Seitenwind 2024 – die bisherige Geschichte

Offene Enden – erster Teil

Zehntausend Euro

von Andreas Eschbach

 An einem Sonntagmorgen öffneten in einem der besseren Wohnviertel Frankfurts zwei schweigsame Männer eine schmiedeeiserne Gartentür, durchquerten den Vorgarten und klingelten. An der Tür prangte ein Schild aus Messing, in das der Name R. Berger graviert war.
 Richard Berger und seine Frau Dorothea, die sich gerade für den Kirchgang fertig machten, sahen einander verwundert an, als sie es klingeln hörten. Um diese Zeit kam normalerweise niemand.
 Berger zog den Knoten seiner neuen Krawatte fest, die goldfarbene Eurozeichen auf grünem Grund zeigte – ein Geschenk seiner Frau, ein liebevoll-spöttischer Kommentar zu seinen erfolglosen Abenteuern an der Aktienbörse –, und sagte: »Ich schau mal nach, was los ist.«
 Er ging zur Tür. Durch den Spion erspähte er zwei alltäglich aussehende Männer, die Jeans und Jacken aus Lederimitat trugen und ernst dreinblickten. Sie sahen nicht aus wie Missionare und auch nicht wie Vertreter, eher wie Vater und Sohn.
 Vorsichtshalber legte er die Sicherheitskette vor, ehe er öffnete. Es roch feucht. In der Nacht hatte es geregnet, man witterte den nahenden Herbst.
 »Sie wünschen?«, fragte er.
 Der jüngere der beiden Männer hielt sein Smartphone vor sich, schien alles zu filmen. Der andere, älter und graubärtig, sagte: »Guten Tag. Bitte geben Sie mir zehntausend Euro, sonst muss ich mich umbringen.«
 »Was?«, entfuhr es Berger.
 Richard Berger, sei an dieser Stelle erwähnt, war Inhaber eines Reisebüros und hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Er war jedoch nicht das, was man reich nennen konnte, jedenfalls nicht in Frankfurt. Dass dem nicht so war, bewies schon der Umstand, dass man ohne Weiteres von der Straße bis an seine Haustüre gelangte.
 Der bärtige Mann wiederholte seine Forderung: »Ich brauche zehntausend Euro. Wenn Sie mir die nicht geben, bringe ich mich um.«
 Richard Berger fühlte eine eigenartige Verblüffung. Das hier, sagte er sich, konnte nicht wirklich passieren. Und selbst falls doch, falls es ernst gemeint und kein Streich der Versteckten Kamera war, fand er sich außerstande, zu lachen. Mit so etwas machte man keine Witze.
 Hier ging etwas Ungutes vor sich, sagte sich Berger. Trug dieser Mensch womöglich einen Sprengstoffgürtel unter der Jacke, um sich in der Art eines Selbstmordattentäters vor seinem Haus in die Luft zu sprengen?
 Er fühlte die Türklinke hart und kalt in seiner Hand. Würde er es schaffen, die Tür rechtzeitig zuzuschlagen? Und wenn, war sie stabil genug, um seine Frau und ihn vor einer Explosion zu schützen?
 Er sah den anderen an, den mit dem Smartphone. »Filmen Sie das?«, fragte er. »Wozu? Was soll das alles?«
 »Geben Sie ihm zehntausend Euro«, sagte der Mann mit dem Smartphone. »Sie haben das Geld, und er braucht es.«
 Richard Berger schüttelte den Kopf. »Sie sind ja verrückt. Wie stellen Sie sich das vor? Ich kann doch nicht irgendjemandem einen Haufen Geld geben, nur weil er an meiner Türe klingelt. Und mir droht!«
 »Ich brauche zehntausend Euro«, beharrte der andere Mann, der, wie Berger bemerkte, nun regelrecht zitterte. »Wenn Sie mir keine zehntausend Euro geben, bringe ich mich um.«
 Berger entfuhr ein unwilliges Schnauben und der Satz: »Machen Sie, was Sie wollen, aber machen Sie es bitte draußen auf der Straße, okay?«
 Er zuckte zusammen, als der Mann daraufhin eine Pistole aus der Jackentasche riss, sich ihren Lauf in den Mund steckte und abdrückte. Der Schuss war lauter, als Berger es erwartet hätte, der Pistolenschüsse nur aus Fernsehkrimis kannte. Eine Art rötlich-graue Wolke sprühte aus dem Hinterkopf des Mannes, dann fiel dieser leblos nach hinten und hinab auf den Plattenweg, der vom Vorgartentor bis zu den Treppen vor der Haustüre führte. Blut breitete sich auf den Platten aus.
 Der Mann mit dem Handy hatte alles gefilmt. Jetzt richtete er das Objektiv auf Berger und schrie: »Sie haben ihn umgebracht! Sie haben ihn umgebracht mit Ihrem Geiz! Sie Schwein! Sie Ausbeuter! Sie Kapitalist!«
 Berger tat, was er, wie er sich sagte, schon längst hätte tun sollen: Er schloss die Tür.
 »Ruf die Polizei«, sagte er dann mit bebender Stimme zu seiner Frau.

Zweiter Teil

Der Journalist

von @montypillepalle

Der Anruf erreichte Christian Pfeiffer in der Büroküche der Redaktion. Er sah auf das Display seines Tastentelefons. Es war nicht die Nummer von Maria. Milde enttäuscht legte er das Gerät auf die Küchenzeile. Wahrscheinlich ein Spamanruf. Alle wichtigen privaten Nummern hatte er eingespeichert und berufliche Anrufe gingen auf sein Dienst-Handy ein, auf diese ebenso teure wie fragile Mischung aus Glas und Aluminium. Mitglieder der Online-Redaktion mussten jederzeit online sein, hatte man ihm gesagt. Pfeiffer schüttelte den Kopf. Die Online-Redaktion. Das würde er Magnus nie vergeben. Online-Redaktion und das nach all den Jahren.
Er griff die Packung Kaffeepulver und füllte damit eine vergilbte Filtermaschine, ohne Löffel und nach Augenmaß. Hauptsache stark. Das Handy klingelte nervtötend, er blockte den Anruf ab und kümmerte sich weiter um sein Lebenselixier. Sein Kaffee war keine Kunst, er war ein Instrument, eine Medizin und in dieser Haltung unterschied sich Pfeiffer von seinen neuen Kollegen, die aus der braunen Suppe ein Lifestyle-Produkt machten. Wer keinen Flat-White trank, war outdated, das hatte er schnell begriffen. Um sein eigenes Outdated-Sein trotzig zu unterstreichen, hatte Pfeiffer deshalb vor drei Monaten die kleine Filtermaschine mitgebracht. Sie war ein Symbol des alten Geistes, eine Verbündete aus Zeiten, da in der Redaktion der Kaffee literweise getrunken worden war und die Konferenzräume den kalten Odeur von harter Arbeit und Zigarettenrauch verströmt hatten. Pfeiffer betätigte den Knopf und die Maschine röchelte los. Ein Anachronismus wie er selbst, Abgrenzung von der Generation Siebträger mit ihren Ungetümen aus Chrom.
Das Telefon klingelte erneut. Er nahm das Handy und hielt es unschlüssig in der Hand. Vielleicht doch Maria, die von einer neuen Nummer aus anrief, aber nein, das war unwahrscheinlich. Obwohl.
»Pfeiffer«, meldete er sich.
»Ich weiß«, antwortete eine Männerstimme. Sie klang tief und selbstsicher. »Christian Pfeiffer vom Frankfurter Generalanzeiger. Onlineredaktion, FGZ.NET. Gehen Sie zu Ihrem Rechner.«
»Wer sind Sie? Woher haben Sie meine Privatnummer?« Der Kaffee lief tröpfchenweise durch.
»Das tut nichts zur Sache, Christian Pfeiffer. Aber ich habe da etwas für Sie. Eine große Story. Interessiert? Dann gehen Sie zu ihrem Rechner.«
Pfeiffer hob die Augenbrauen. Klang nach einem Wichtigtuer, womöglich ein Scherzanruf seiner neuen Kollegen. Seiner ›Kolleg*Innen‹, wie sie selber sagten. Andererseits, dachte er, sollte kein Journalist auflegen, wenn jemand von einer großen Story sprach, am wenigsten er selbst. Und immerhin war der Kaffee fast durchgelaufen.
»Also gut, warten Sie einen Augenblick«, sagte er, schob sich das Telefon zwischen Schulter und Ohr und goss sich das braune Glück in einen Pott.
»Beeilen Sie sich, wir haben beide nicht viel Zeit. Sehen Sie in Ihre Emails.«
Pfeiffers Augenbrauen wanderten noch weiter Richtung Stirn, er nahm den Kaffee und ging ins Großraumbüro, nein, in den Coworking-Space. Er setzte sich an seinen Lieblingsplatz, direkt nebem dem Fenster und mit Ausblick auf den langgezogenen Europagarten. Die Bäume, die rings um dieses grüne Rechteck angeordnet waren, trugen erste herbstlich gelbe Blätter. Eine Oase inmitten grauen Steins.
Er war allein, als er den Bildschirm anschaltete und sich anmeldete. Im Coworking-Space gab es an einem Sonntagvormittag keine Coworker, die waren unterwegs oder saßen im Homeoffice. Er öffnete das Email-Programm. Neben zahllosen ungelesenen Nachrichten ploppte die Mitteilung einer neuen Mail auf, Absender qvu61039[at]kasor.com. Eine Wegwerf-Adresse, darin ein Link zu einem Cloudspeicher.
»Sie wollen, dass ich auf einen unbekannten Link von einer Spam-Adresse klicke?«
Die Stimme am Telefon lachte leise. »Ich bin kein nigerianischer Prinz, der Ihnen 3 Millionen Dollar überweisen will. Sie werden ein Video herunterladen. Glauben Sie mir, Sie werden es nicht bereuen.«
Einen Moment zögerte Pfeiffer. Wie ironisch, wenn ausgerechnet er, der vom großen Magnus in die Online-Redaktion strafversetzt worden war, einen Virus herunterlud. Aber eine Story war eine Story. Er klickte. Ein kurzer Download, das Virenprogramm blieb stumm, dann öffnete sich ein Video. Eine gute Minute lang, aufgenommen im Hochkant-Format, wie diese ganzen grässlichen Social-Media-Schnippsel. Leicht verwackelt sah er ein Haus, zwei Männer schritten darauf zu, einer unsichtbar hinter der Kamera und ein älterer Graubart. Sie klingelten und nach kurzem Warten wurde die Tür eine Handbreit geöffnet. Das Bild zoomte auf den verdutzten Hausbesitzer. Ein rundliches Gesicht mit fliehendem Haaransatz war im Türspalt zu erkennen, dazu ein Sonntagsanzug und eine lächerliche Krawatte, die ihm vom Hals baumelte. Pfeiffer erkannte goldene Euro-Zeichen auf grünem Grund, als hielte der Hausherr sich für den Wolf of Euro-Wallstreet. Dann schwenkte die Kamera auf den Alten. Es folgte ein Dialog, ein absurdes Gespräch.
»Geben Sie ihm zehntausend Euro«, hörte Pfeiffer plötzlich die Stimme seines Anrufers auf dem Video. »Sie haben das Geld und er braucht es.«
Ihm wurde der Mund trocken, er ahnte, worauf dieses Video hinauslief, wusste es, bevor er den Schuss hörte und das Blut sah.
»Wo ist das aufgenommen worden? Und wann?« Seine Stimme war ruhig, professionell, jahrzehntelang trainiert, die freie Hand hatte automatisch nach Kugelschreiber und Block gegriffen.
»Das werden Sie erfahren«, sagte die Anruferstimme. Dieselbe, die auf dem Video den Hausbesitzer anschrie. »Doch zuerst tun Sie mir einen Gefallen. Laden Sie das Video auf dem Social-Media-Account Ihrer Zeitung hoch. Den Hashtag überlasse ich Ihnen, Christian Pfeiffer.«
»Sie sind verrückt!«
»Nein. Und sie haben zwei Minuten. Die Zeit läuft.«
»Auf keinen Fall«, sagte Pfeiffer mit aller Endgültigkeit, zu der er fähig war.
»Ich dachte mir, dass Sie so reagieren. Doch es ist wichtig, dass jeder Mensch die Chance hat, Zeuge zu sein. Noch eine Minute und fünfundfünfzig Sekunden.«
»Sagen Sie mir, wer Sie sind.«
»Später. Zuerst etwas anderes. Wenn Sie in exakt 110 Sekunden das Video nicht hochgeladen haben, wird sich noch eine Person erschießen. Ihre Entscheidung, Christian Pfeiffer.«
Auf dem Computer-Bildschirm war das Ende des Videos als Standbild zu sehen. Der Grauhaarige mit einem roten Loch, wo vorher sein Mund gewesen war, inmitten einer Blutlache. Pfeiffer spürte, wie sein Atem schneller ging, wie der Magen sich zusammenkrampfte.
»Wer? Wo?«
»Das sind gute Fragen, wenn man noch eine Minute und vierzig Sekunden Zeit hat«, sagte die Stimme im Telefon. »Blicken Sie doch mal aus dem Fenster, direkt hinunter zur Straße vor dem Europapark. Sehen Sie die Frau im roten Mantel?«
Er stand auf, spähte hinab und suchte die Straße ab. Sein Atem erzeugte einen kleinen Kondensbeschlag auf der Scheibe. Dann fand er sie, eine Frau, roter Mantel, schwarze Haare. Sie verharrte steif in aufrechter Pose und erinnerte Pfeiffer an ein Mannequin.
»Sehen Sie genau hin«, sagte die Stimme. »Sie braucht ihre Hilfe, sonst lebt sie nur noch exakt 84 Sekunden. Doch lassen Sie mich nachhelfen.«
Einen Augenblick später hob die Frau zögerlich ihren Kopf, sah den Bürotower hinauf, in dem Pfeiffer stand. Ihr Blick schien über die Glasfassade zu gleiten und blieb an ihm hängen. Sie sah ihn an, die Wangen bleich. Sie zitterte am ganzen Körper.
»Maria«, keuchte er.
»Oho, sie haben sie erkannt!«, sagte die Stimme. »Dann genießen Sie noch eine Minute lang den Anblick oder laden Sie das Video hoch.«
»Sofort«, antwortete Pfeiffer, »alles, was sie wollen.« Er öffnete den Browser, gab die Website ein. Unendlich langsam baute sie sich auf. Er tippte den Accountnamen, verschrieb sich, klickte mit der Maus an die falsche Stelle. Das Passwort, er kannte es, hatte es sich irgendwo aufgeschrieben, obwohl das verboten war. Wo war der verdammte Zettel? Er brauchte es nie, Posts setzten die jungen Kollegen ab, nicht er.
»45 Sekunden.«
»Ich mache es, ich mache es«, schrie er in den Hörer.
Bei 30 Sekunden fand er den Zettel. Bei zwanzig hatte er das Passwort eingegeben.
»Wo lädt man hier ein Video hoch, Scheiße, verfluchte Scheiße«, murmelte er.
»Sind Sie kein Online-Redateur, Christian Pfeiffer?«, fragte die Stimme höhnisch. »15 Sekunden.«
Er fand den richtigen Knopf auf der Website bei 12 Sekunden. Bei fünf Sekunden schob er die Datei vom Download-Ordner in den Browser.
Bei einer Sekunde war das Video hochgeladen und er drückte auf veröffentlichen.
Bei null hörte er den Schuss.
»Bedauerlich«, sagte die Stimme im Telefon. »Ihr Journalisten kümmert euch nicht um die Probleme der Menschen. Und wenn ihr es doch tut, dann nur aus Eigennutz und zu spät.«
Pfeiffer fiel das Handy aus der Hand, es prallte auf den Schreibblock, hüpfte zur Seite und blieb neben dem Kaffeepott liegen, der stumm vor sich hin dampfte.

Dritter Teil

von @Linna

Mit hochgeschlagenem Mantelkragen stand Christian Pfeiffer an Marias Grab, den abgewetzten Fedora tief in die Stirn gezogen, die Hände in den Taschen. Es regnete, wie so oft in den vergangenen Tagen. Dicke Tropfen prasselten auf die Chrysanthemen herab, die Marias Mutter erst gestern vor den Grabstein gelegt hatte.
„Es war nicht deine Schuld, Christian.“ Sanft hatte die alte Dame ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt.
Sie hatte recht. Doch nicht jede Wahrheit fühlte sich auch wahr an. Und dass die Polizei dem eigentlichen Täter noch keinen Schritt nähergekommen war, machte es nicht besser. Immer wieder durchlebte Pfeiffer diese letzte Sekunde. Träumte sie, atmete sie, schmeckte sie bitter auf seiner Zunge, spürte sie brennend in seiner Brust. Die Sekunde seines Versagens.
„Ich werde eine Weile nicht kommen, Maria“, sagte er leise. „Ich muss etwas erledigen. Für dich. Für mich.“
Er würde Maria erst wieder besuchen, wenn ihm gelungen war, was er sich vorgenommen hatte. Oder wenn man ihn neben sie zur Ruhe legte. Auch das war ein mögliches Ergebnis der Nachforschungen, die er heute beginnen würde, da machte er sich nichts vor. Doch forschen würde er. War er nicht Journalist?
Er wandte sich ab, ging zu seinem Auto und zog den verknitterten Zettel mit der Adresse aus seiner Tasche.

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„Kaffee?“, fragte Frau Berger. „Ich kann Ihnen Cappuccino, Espresso, Latte Macchiato…“
„Nein, einfach Kaffee, bitte. Ohne alles.“ Aufmerksam sah Christian Pfeiffer sich im bergerschen Wohnzimmer um. Es hier bis auf das cremeweiße Ledersofa zu schaffen, hatte ihn einiges an Überredungskunst gekostet.
„Sie wollen also mit mir sprechen, von Opfer zu Opfer“, sagte Herr Berger, der ihm gegenübersaß. Mit einem Ausdruck tiefer Müdigkeit in den Augen.
„So ist es.“
„Die eigentlichen Opfer waren wohl der Mann mit dem Bart und Ihre Freundin, Maria.“
„Ja. Das ist richtig. Dennoch … stimmt es nicht, dass man Sie belästigt, seit dieses Video viral gegangen ist? Die Kommentare in den Social Media können Sie vielleicht ignorieren. Doch ich sah Reste von Eiern und Sprühfarbe an Ihrer Fassade. Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich kaum noch vor die Haustür wagen. Dass nichts mehr ist, wie es war.“
Das kleine Schaudern, das sich durch Bergers Schultern zog, sagte Pfeiffer, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
„Letzte Woche wollten wir zum ersten Mal wieder essen gehen.“ Frau Berger setzte die Kaffeetassen auf den Glastisch. „Da hat jemand Richard erkannt und nannte ihn einen Mörder. Aber das ist er nicht. Können Sie ihm das klarmachen?“
„Ich hätte das Geld gehabt, Dorothea. Hier in unserem Safe. Für Notfälle.“ Herr Berger wirkte kurz etwas verloren und seine Frau streichelte ihm mitleidig über die Schulter.
„Ich kann Ihnen ebenso wenig Absolution erteilen, wie Sie mir, Herr Berger.“ Pfeiffer griff nach dem kleinen Notizblock in seiner Innentasche. „Aber ich will für Gerechtigkeit sorgen, indem ich die Wahrheit aufdecke. Sie haben von Angesicht zu Angesicht mit dem Täter gesprochen, darum fange ich hier an. Ich habe einige Fragen vorbereitet und …“ Er hielt inne, als es an der Tür klingelte, und ihn beschlich ein ungutes Vorgefühl.
Dorothea ging, um aufzumachen, und kam nur Augenblicke später zurück ins Wohnzimmer. Mit einem kleinen, braunen Päckchen. Es hätte vor der Tür auf dem Plattenweg gelegen.
Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie es auf den Salontisch legte. Vorsichtig, als könnte es jeden Augenblick in die Luft gehen. Das bange Vorgefühl schien nun auch die Bergers erfasst zu haben.
„Hatten Sie etwas bestellt?“ Pfeiffer kannte die Antwort schon, ehe seine Gastgeber den Kopf schüttelten. Auf dem Päckchen stand ja nicht einmal eine Adresse.
Ohne noch lange zu zaudern, riss er es auf und fand einen USB-Stick.
„Bring ihm doch mal den Laptop, Dorothea“, sagte Berger erstaunlich gefasst. „Er arbeitet in einer Online-Redaktion und ist Experte für sowas.“
Experte, ja genau. Da war es wieder, dieses bittere Brennen. Eine Sekunde. Wäre er eine Sekunde schneller gewesen … Nein, diese Gedanken nützten jetzt nichts. Um den Inhalt eines USB-Sticks zu öffnen, war er jedenfalls Experte genug.
Zwei Dateien. Pfeiffer klickte auf das Word-Dokument und las die erste Zeile.
An Richard Berger und Christian Pfeiffer
Sein Herzschlag beschleunigte sich. Die Furcht des Jagdwilds, die erwartungsvolle Aufregung des Jägers. Er empfand beides gleichzeitig. Sein Feind war ihm einen Schritt voraus. Wusste, wo er war, und ahnte sicherlich warum. Würde vielleicht erneut versuchen, ihn zu benutzen, wie ein grauenhafter Puppenspieler. Doch diesmal war Pfeiffer darauf vorbereitet und gewillt, alles zu riskieren.
„Nein“, flüsterte Frau Berger, die gemeinsam mit ihrem Mann über Pfeiffers Schulter gebeugt mitlas.
Eine Adresse stand dort. Irgendwo im Industriegebiet. Zusammen mit der Aufforderung, pünktlich um 20:05 dort zu sein. Er und Berger beide. Es folgte die wenig überraschende Warnung, keine Polizei hinzuzuziehen.
Seine Gedanken rasten. Waren er und Richard Berger keine zufälligen Opfer? Gab es etwas, was sie verband, und hatte der Täter nur darauf gewartet, dass sie endlich zusammenfinden würden? War diese ganze Sache vielleicht persönlicher, als er gedacht hatte?
Er klickte auf die zweite Datei. Ein Video diesmal.
Da war eine graue Betonwand. Schnelle, flache Atemgeräusche, die nichts Gutes erwarten ließen. Die Kamera schwenkte zu einer Frau. An Armen und Beinen gefesselt lag sie am Boden, den Mund mit Panzertape zugeklebt, die Augen weit aufgerissen vor Angst. Ihr Haar war verfilzt und ihr Kleid beschmutzt, als wäre sie schon länger in Gefangenschaft.
„Oh Gott!“, rief Dorothea.
„Marlene!“, riefen Pfeiffer und Berger gleichzeitig. Dann sahen sie sich fassungslos an.

Wie wirst du die Geschichte fortsetzen? Schreib, was als nächstes passiert …

Hier gehts zum nächsten Teil, den DU schreibst …

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