Seitenwind Woche 7: Göttlicher Auftritt

Willkommen zur siebten und finalen Perspektive von Seitenwind.

Deine Perspektive:

Ein Gott. Eine mythologische Figur vergangener Zeitalter. Du bist erwacht und wirst ins hektische Jahr 2023 gestoßen.

Deine Aufgabe:

Wie fühlst du dich, wenn du in diese neugeborene Welt trittst? Erinnern dich die Wolkenkratzer an alte Tempel und konkurrieren Social-Media-Influencer als die neuen Gottheiten? Tauche ein in deine Entdeckungs- und Entscheidungsreise: Wirst du ein Einsiedler, ein Erretter oder die nächste virale Sensation?

Teilnahme
• Poste deinen Beitrag hier in diesen Thread bis Freitag, den 1.12.2023, 15:00 Uhr.

• Bitte gib nur einen Beitrag pro Wochenthema ab und verfasse ihn neu für die Perspektive. Falls du deine Geschichte lieber aus erzählerischer Perspektive schreiben möchtest, ist das auch OK. :wink:

• Gib den Beiträgen, die dir am besten gefallen, ein Like mit dem Buchicon! Gib laufendes Feedback auf die Beiträge anderer mit Kommentieren.

• Der beliebteste Beitrag wird mit einer Vollversion von Papyrus Autor 11 gefeiert! Zusätzlich verlosen wir ein weiteres Papyrus Autor 11 unter allen Teilnehmern.

• Details zur Schreibsaison: Seitenwind: Perspektiven. Deine Schreibsaison 2023

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Kill your Darlings

Mir reicht’s. Jetzt hab’ ich endgültig genug von euch. Mein Meisterstück wart ihr. Zum Untertan gab ich euch Pflanzen und Getier.

Und wie habt ihr es mir gedankt? Ihr macht alles kaputt. Ihr macht einfach alles kaputt. Sodom und Gomorra. Teer und Federn. Pest und Cholera. Jetzt ist endgültig Schluss!

Im Net geht die Post ab. Tausende Videos werden hochgeladen. Auf der ganzen Welt erscheint urplötzilch ein unbekanntes Phänomen. Ein feiner, leichter Regen gleitet vom Himmel, fast schon Schneeflocken gleich. Wunderschön anzusehen, glitzert er in sämtlichen Regenbogenfarben. Und wie zuckersüß er riecht. Mandelgleich, mit einem Hauch Zitrone.

Die Menschen sind begeistert, kommen aus den Häusern, öffnen ihre Münder und kosten von dem wundersamen Nass.

Hah! Und dann liegt ihr. Überall. Kein Einziger wird überleben. Der Preis des Manahs, die Antwort auf eure Frage nach den Kosten für die Welt.

Ich bin der Herr, euer Gott. Mein Wille geschehe. Ok, ich geb’s ja zu. Der Prototyp war nicht besonders gut gelungen. Wenn die Erde sich erholt hat, mach’ ich mir neue.

Schnäppchenjäger

Black Friday. Alle Welt kreischt Black Friday. Ich möchte keine 20 % auf Sonnenbrillen sparen. Danke, auch nicht auf Kontaktlinsen. Mal ehrlich, was soll ich damit? Ich habe mein Auge nicht zum Spaß geopfert und aus dem Brunnen des Wissens getrunken. Mit nur einem Auge spare ich immer 50 %. Nein, Hugin und Munin brauchen auch keine Schnürstiefel.

Wenn du schon in Hamburg bist, musst du unbedingt in die Europa-Passage, haben sie gesagt. Ich schiebe mich durch die Menschenmassen. Die Luft ist stickig. Mein Speer klackert auf dem Boden. Fichten mit bunten Kugeln glitzern hinter den Glasscheiben. Musik glöckelt. Würziger Geruch kriecht in meine Nase. Der Typ neben mir wärmt seine Hände an einem Becher.

Was ist denn das für eine rollende Ebene? Menschen stellen sich drauf und fahren mit. Sie steuern gar nicht. Sie schauen ins Leere, auf blinkende Taschencomputer oder hetzen an anderen Menschen vorbei. Ich will das auch ausprobieren. Hoffentlich verschluckt mich das Teil nicht. Vorsichtig setze ich einen Fuß nach dem anderen auf die rifflige Oberfläche. Das war gar nicht schwer. Los geht’s. Die Ebene setzt sich in Bewegung. Ein Glucksen zieht durch meinen Bauch. Juchuuuu. Das macht Spaß! Mit meinem Speer klopfe ich gegen die Seitenwände. Was für ein Fest. Das Kind neben mir lacht. Das Rollding wäre auch etwas für meinen Sleipnir. Leider muss der Gute draußen warten. Haustiere sind im Einkaufszentrum nicht gestattet. So ein Mist. Mit einem Heunetz wartet er jetzt an der Parkuhr. Das Ticket habe ich für zwei Stunden gelöst. Das sollte reichen.

Zwei Männer in Uniform drängeln sich durch die Menschenmassen. Sie eilen direkt auf mich zu. „Hey Sie. Sie da mit dem Speer. Sofort stehen bleiben!“
Die werden ja wohl nicht mich meinen. Meine Armbanduhr zeigt 16.55 Uhr. Perfekt in fünf Minuten habe ich schon den Termin beim Friseur. Black Week. 30 % auf jeden Undercut.

Ihre Durchlaucht, die Göttin der Nacht-Nyx! Geboren aus dem Chaos.

Kawums! Tot. Aber von vorne:
Wind, Nacht und Nebel. Mysterien, Angst und Schauder. Das bin ich. Nyx-Göttin der Nacht. Chaosgöttin der ersten Generation. Erwacht aus den Tiefen des Hades. Heute wird die Nacht der Nächte. Nach 3000 Jahren tiefsten Schlummers kehre ich auf die Erde zurück, um euch zu beglücken, ihr lieben Menschen.
Ein letztes Leben haben sie mir zugestanden. Es wird episch werden!
Mein Gewand ist gesponnene Seide, schwarz natürlich, genau wie mein Haar. Den Blick auf die Welt vor mir gerichtet, schreite ich in meinen Pumps über den dampfenden Asphalt. Der Boden verneigt sich vor mir, genau wie alle anderen Götter. Die Menge jubelt, bis…ja bis eine Horde Menschlein mitten auf der Straße sitzt. Festgeklebt haben sie sich. Plakate in der Hand mit der Aufschrift: Wir sind die letzte Generation! Mmh. Nun ja, warum nicht. Wenn ich eine der Ersten war, muss es auch die Letzten geben. Elegant lasse ich mich auf den Boden neben Bogor sinken. Mein Haupt verneigt sich, ich lächele und winke, als die Menge hysterisch aufschreit. »Danke, ihr Lieben. Danke.« Zwei große, runde Leuchten setzen mich in Szene. Geben meinem nachtschwarzen Haar, einen goldenen Schimmer. »Ey, du Bekloppte!!! Der LKW stoppt nicht!!!« Schön war es. Kurz, aber schön.

Die Vergessene

Ich treibe durch Leere, das absolute Nichts, einen unendlichen Ozean der Gestaltlosigkeit, in dem ich weniger als ein Tropfen bin. Selbst die Farben sind gewichen. Alles, was ich sehe, gleicht der Tonlosigkeit geschmolzenen Bleis. Ich hätte Schwarz bevorzugt, satt und alles bedeckend, aber hier ist alles Grau, wie die zerstörte Hälfte meines Gesichtes. Ich spüre, wie ich dahinschwinde, Stück für Stück. Jahrhunderte dauert er schon an, dieser schleichende Prozess der Zersetzung oder sind es Jahrtausende? Ich lache von Zeit zu Zeit, lache, um meine Stimme zu hören, lache, um nicht wahnsinnig zu werden. Meine Stimme ist grausam schön. Ihr Echo tröstet mich. „Wie lange noch?“, denke ich, „wie lange, bis ich endgültig verschwunden bin, mich aufgelöst habe, wie die Götter vor mir?“
Das ist es, was sie mir nicht rauben konnten, meine Gedanken. Das ist mein Halt und mein Trost. Wieder lache ich und das Echo meiner Stimme hallt durch die Korridore meines einsamen Gefängnisses. „Worüber beschwerst du dich?“, jagt es mir durch den Kopf, „ist das nicht das Los aller Götter, die sich gegen ihr Schicksal aufgelehnt haben? Besonders das der rebellischen und der bösen? Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte, und dafür an einen Berg gekettet wurde und Loki, den sie an einen Stein fesselten. Und das war nur ein Teil der Strafe.“ Ich lache und die dämonische Seite in mir windet sich in konvulsivischen Zuckungen, während die schöne betreten zusieht. Prometheus wurde von einem Adler besucht, der täglich seine Leber fraß - was heißt wurde besucht - wird er wohl noch, und Loki, der kleine Ränkeschmied, der bösartige Trickstergott, hat es mit einer Schlange zu tun, die fortwährend giftige Säure auf ihn träufelt. Auch bei ihm hat die Strafe etwas immerwährendes, denn Ragnarökk wurde abgesagt wegen mangelnder Beteiligung der Gläubigen…Ich lache bei diesen Bildern und über das Lachen bemerke ich nicht, wie ich fort gesogen werde. Fort, an einen anderen Ort. Erst als ich spüre, wie jede Faser meines Körpers unter dem Druck des Übergangs erbebt, begreife ich. Aber da ist es längst zu spät.

Als ich die Augen wieder öffne, befinde ich mich in einem leuchtenden Bannkreis. Silberstaub, nordische Runen, meine Hochachtung, hier war ein Meister am Werk. Vorsichtig strecke ich den Zeigefinger aus und berühre den Wellenfluss der rot leuchtenden Kuppel, die mich vollständig umschließt. Ein Zischen antwortet mir, begleitet von der Empfindung brennenden Fleisches. Ja, sie tut, was sie soll. Ich schiebe den Vorhang meines schwarzen Haares zurück um einen Blick auf meinen Peiniger zu werfen. Vor mir sitzt ein Mann in einem weißen Anzug. Alles an ihm ist weiß, selbst das samtene Einstecktuch, das sorgfältig gefaltet aus seiner Brusttasche lugt. Er hat das rechte Knie übergeschlagen und sitzt da wie eine Heiligenfigur, hoch aufgerichtet, den Blick starr geradeaus gewandt. Aber der Kopf, aus dem mir dieser Blick entgegen gesendet wird, ist nicht menschlich. Es ist der Kopf eines schwarzen Wolfes, der sich mir entgegenstreckt. „Fenris“, denke ich, „bist du das, geliebter Bruder?“ Aber nein, das kann nicht sein. Ich sehe genauer hin und erkenne meinen Irrtum. Fenris Macht zeichnet sich aus durch ungeheure Zerstörungswut und Körperkraft, gepaart mit dunkelster Magie. Die Aura dieses Gottes ist anders, sanfter und kühler aber mit ebenso großer Macht. Ich sehe es an seinen Augen, die mir, über der langgestreckten, schmalen Schnauze, gleich Bernstein entgegen funkeln.

Der Wolf, Hund, was auch immer, hebt seine Lefzen und deutet mit seinem makellos weißen Gebiss ein Lächeln an. Seine Reißzähne blitzen. Unablässig schaue ich auf den Stab, den er in den behandschuhten Händen dreht. Er ist aus schwarzem Holze und bedeckt mit fremdartigen Zeichen. Auf dem gewundenen Schaft erkenne ich eine Schlange, einen Adler und einen Mann mit einem Falkenkopf. Der silberne Griff ist einem Wolfsschädel nachempfunden. Ob es eine Waffe ist?

Der Wolf, Hund, erhebt sich. Ich sehe seine glänzenden Schuhe näher kommen, höre das Klicken seines Stabes auf den marmornen Fliesen. Einen Fußbreit von dem Rand des Bannkreises entfernt bleibt er stehen und lächelt mich wölfisch an. Er tippt leicht gegen das gestreute Silber, das ihm zischend antwortet.
„Ich bin weder Wolf noch Hund, „Schakalgott“ lautet die korrekte Bezeichnung. Nein, ich bin gewiss nicht Fenris und ja, das hier ist eine Waffe. Eine sehr nützliche, wenn ich das hinzufügen darf, neben vielen anderen Dingen.“
Er schultert lässig seinen Stab und beugt sich zu mir herunter.
„Überrascht?“
Bei Helheims Höllenschlund, hatte er etwa meine Gedanken gelesen? Ja, das hatte er, und er tat es wahrscheinlich noch. Oh, ich Närrin! Wie konnte ich nur so unachtsam sein?
„Das ist verzeihbar“, sagt der Schakal im Anzug mit gefährlich sanfter Stimme, „Ihr seid etwas aus der Übung. Kein Wunder, nach jahrhundertelanger Einkerkerung. Hat Euch mein kleines Gefängnis gefallen? Vermutlich, wisst ihr nicht einmal, wo ihr Euch befunden habt. Oder doch? Nein? Ich will Euch erhellen. Ihr wart im Leib der Apophis, einer alles verschlingenden Anti- Gottheit. Äußerlich eine Schlange, ist sie das genaue Gegenstück zu Eurem Bruder, dem Fenriswolf. Beide sind Weltenverschlinger, kosmische Entitäten, Schwarze Löcher, sozusagen, nur das ihre Energie magisch gespeist wird, vorzugsweise durch die Kraft anderer Götter.“

Er trommelt mit den Fingern auf das Holz seines Stabes, vermutlich, um nach neuen Worten zu suchen. Soll er reden, das verschafft mir die Gelegenheit meine geistigen Barrieren zu errichten…
„Aber woher sollt Ihr wissen, was ein Schwarzes Loch ist, geschweige denn eine kosmische Entität? Ihr trinkt mit Honig gepanschten Wein und glaubt, dass die Erde eine Scheibe ist und das Universum ein Baum. Überraschung! Ist es nicht.“
Er beugt sich noch weiter hinunter, prüft, ob ich zuhöre.
„Aber wie soll eine Leichensammlerin wie Ihr die Wissenschaft verstehen?“
Leichensammlerin, denke ich, wie vermessen. Ich habe die Toten abgeholt und in die Unterwelt geführt, das ist wahr. Aber ich war eine gütige Herrscherin. Kinder, Frauen und alte Leute habe ich mit Freuden aufgenommen, ihnen habe ich das Paradies geschenkt, nur die Mörder und Feiglinge habe ich bestraft.

„Rede weiter, Schakal“, sage ich, „nur zu, ich bin ganz Ohr.“ In Wahrheit bin ich schon bei Schwarzes Loch ausgestiegen.
„Anubis ist mein Name, kleine Göttin“, verkündet der Schakal, „Ankläger und Vollstrecker des Totengerichts.“ Er setzt sich dicht vor mir in die Hocke und streckt mir seinen kantigen Schädel entgegen. Seine gelben Augen gleißen, in seinem Stab knistert Macht. „das ist mein Titel und so werdet Ihr mich von nun an ansprechen, ist das klar?“
„Und wenn ich es nicht tue?“
Der Schakalgott blickt zur Decke, dann zu Boden, schüttelt den Kopf.
„Dann werde ich Euch töten, obwohl, wenn ich ehrlich sein darf, töten werde ich Euch sowieso. Habt Ihr den rötlichen Schimmer der Kuppel bemerkt, die euch umschließt? Er hebt den Stab und klopft sacht gegen die fluktuierenden Felder, die sich knisternd entladen.
„Sie besteht aus reiner magischer Energie, gewonnen aus der Kraft der Götter, die ich hier vor Euch eingeschlossen habe. Erahnt Ihr den Zweck?“
Ich schüttele den Kopf, was hat er vor?
Anubis fletscht mit den Zähnen, was einem Grinsen gleich kommt. Seine Augen funkeln böse.
„Das dachte ich mir. Ich will es Euch erzählen. Das ist nur fair, da Ihr diesen Ort nicht mehr lebend verlassen werdet.“
Ich hätte große Lust ihm ins Gesicht zu spucken.
„Ihr seid zu großzügig.“
„Ich weiß.“

„Ich stelle mich auf einen weiteren Vortrag von ihm ein und werde nicht enttäuscht. Anubis schwenkt mit großer Geste den Stab und beginnt zu erzählen:
"Wie Ihr wisst, haben die alten Götter im Laufe der Jahrhunderte immer mehr an Bedeutung verloren. Alle Götter, auch wir Todesgottheiten. Wir wurden dämonisiert, gegen andere Götter ersetzt und gerieten dadurch in Vergessenheit. Eine wahre Schande. Unsere Reiche, einst blühende Stätten unseres Wirkens, wurden vor unseren Augen verschlossen. Damit waren wir so gut wie tot.“
Anubis hält inne und sieht mich aus gleißenden Schakalaugen an. Ich spüre, wie die Luft um ihn erzittert.
„Ich habe mich nie damit abgefunden. Isis und Osiris mögen verschwunden sein, ebenso Horus und der weise Thot. Selbst mein böser Bruder Seth ist von uns gegangen, aufgelöst in seinem eigenen Chaos. Aber die Felder der Seeligen existieren noch und dorthin will ich zurückkehren. Ich habe den Schlüssel dazu. Leider hat die Sache einen Haken: Um das Tor zur Unterwelt zu öffnen, brauche ich gewaltige Energiemengen. Erst dann wird sich die Duat mir auftun.“

Das also ist sein Plan. Eine Böse Vorahnung überkommt mich und seine nächsten Worte bestätigen meinen Verdacht.
„Unglücklicherweise sind nicht alle Energien dazu in der Lage.“
Anubis lässt den Stab sinken. Er stellt sich direkt vor die rot schimmernde Kuppel und sieht mich mit seinen Bernsteinaugen an.
„Ich habe es mir nicht leicht gemacht, das dürft Ihr mir glauben, aber am Ende stellte sich nur eine Kraft als geeignet heraus. Die Magie von uns Todesgöttern. Sie, und nur sie allein vermag die magischen Siegel zu lösen und die Tore zur Duat zu öffnen. Also habe ich getan, was getan werden musste. Ich habe sie hierher zitiert, die Todesgötter der anderen Familien, Yama, Thanatos, Izanami und wie sie alle heißen, und sie sind gekommen, nichtsahnend, und ich habe sie unter diese Kuppel gestellt, genau, wo Ihr jetzt steht, und ihnen ihre Essenz genommen.“

Anubis legt den Kopf schräg und betrachtet mich wie ein seltenes Ausstellungsstück. Als er spricht, ist seine Stimme kühl und distanziert.
„Aber es reichte nicht. Ich wollte meinen Plan schon aufgeben, als ich mich erinnerte, dass es da noch eine weitere Todesgöttin gibt: Euch! Ich hatte Euch damals in dem Leib von Apophis zurückgelassen, als Aktivposten, sozusagen, und jetzt habe ich Euch wieder hervorgeholt. Ich bin dicht davor, das Tor zu öffnen, es fehlt nur noch ein Hauch von Energie, eine Winzigkeit, und die, kleine Göttin werdet Ihr mir nun geben.“

Nach den Worten des Schakals tritt Stille ein. Ich schweige. Was soll ich auch sagen? Es wurde bereits alles gesagt. Schließlich, nach sekundenlangem Warten, fange ich doch an zu sprechen.
„Bravo, das habt ihr wunderbar eingefädelt.“
„Danke.“ Anubis macht einen Ausfallschritt und deutet tänzelnd eine Verbeugung an.
„Ich hoffe Ihr krepiert dabei.“
„Zu gütig. Ihr habt sicher bemerkt, dass Ihr schon schwächer werdet? Das sind die Kräfte des magischen Feldes , es saugt Euch aus, verzehrt Euch, verschlingt eure Atome, bis ihr Eins mit der Kuppel seid. Dann extrahiere ich eure Essenz und gebe sie dem Gemenge der anderen Gottheiten bei.“
„Ihr seid ein Teufel“, zische ich, „schlimmer als euer Bruder Seth.“
„Ihr vergleicht mich mit Seth?“ Anubis entblößt die Zähne, mein Vergleich amüsiert ihn.
„Seth war ein Schurke. Ich bin Wissenschaftler.“
„Ja“, erwidere ich, „ein Wissenschaftler des Bösen.“
„Nennt es, wie es Euch beliebt.“

Der Schakalgott greift nach seinem Taschentuch und betupft sich die Stirn. „Ich spüre, wie sich die Hitze im Raum ausbreitet, das bedeutet dass der Zersetzungsprozess im vollen Gange ist. Das erinnert mich an Yama, er hat die Tortur der Auflösung klaglos über sich ergehen lassen, ein wahrer Gott bis zuletzt. Anders Izanami. Die hat geschrien und getobt und mich tausendfach verflucht. Ich bin mir sicher, sie hätte weiter geflucht, wenn sie nicht vor meinen Augen zu Staub zerfallen wäre.“

Während mir die Worte des Schakals noch in den Ohren gellen, blicke ich zur Kuppel hinauf und erschaudere. Diese wabernden Ströme rot leuchtender Magie, das waren alles Götterbrüder und – Schwestern. Ich habe sie nie kennenlernt, dennoch spüre ich Verlust und Schmerz. Während ich auf die Kuppel schaue, kommt mir ein weiterer furchtbarer Gedanke: Was wird aus den Menschen, ohne die Möglichkeit zu sterben? Soll Anubis sie alle holen? Vermag er das?“

„Ich werde Euch jetzt verlassen“, höre ich den Schakalgott rufen, es ähnelt mehr einem Knurren als gesprochenen Worten, „ich würde Euch ja gerne Gesellschaft leisten, aber ich muss noch einiges vorbereiten, Ihr versteht. In einer Viertelstunde sehe ich noch einmal nach Euch, dann sollte alles vorbei sein.“
Durch das fluktuierende Feld sehe ich undeutlich, wie sich der weiße Anzug aus meinem Blickfeld entfernt Das Klicken des Stabes wird leiser und verhallt in der Ferne. Ich bin allein.

Kurz darauf beginnt es, ein Reißen und Ziehen, als versuche jemand mein Innerstes nach Außen zu kehren. Das rubinrote Feld leuchtet auf, entfaltet seine todbringenden Kräfte. Ich spüre seine Strahlen wie Geschossgarben in mich eindringen. Jedes kleinste Teilchen schreit in mir.
„Gib nicht auf, die Menschen brauchen dich!“, ruft die schöne Seite in mir, „wenn du jetzt aufgibst, töte ich dich selbst!“, erwidert die andere. Nein, ich werde nicht aufgeben. Ich werde nicht stoisch mein Ende erwarten, wie Yama es tat und ich werde auch nicht schreien und fluchen, wie Izanami und all die anderen. Ich werde kämpfen. Nicht weil ich eine Heldin bin, das war ich nie, sondern weil ich die Letzte bin, die Vergessene, die, die übersehen wurde.
Ich kratze alle Magie zusammen, die mir noch verbleibt, und sende meinen Geist aus. Es gibt ein ehernes Gesetz unter den Göttern, das für alle bindend ist und das lautet: „Eine Gottheit ist nur so stark, wie die Verehrung, die ihr zuteil wird“ und ich bin da keine Ausnahme. Wenn meine Person und mein Wirken in der Menschenwelt nicht ganz vergessen sind, dann müsste ich dafür Zeugnisse finden.Viel Zeit bleibt mir nicht mehr. Ich blende den Schmerz in mir aus und widme mich ganz meiner Aufgabe. Schweiß perlt mir von der Stirn, als ich meine Kräfte bündele und „Hagalaz“ heraufbeschwöre, die Rune des Göttlichen Wirkens. Sie steht in direkter Verbindung mit Mimirs Quelle, wo Odin einst sein Auge für die Gabe der Weisheit gab und wird mir den Weg weisen.

Als erstes sehe ich, wo genau ich mich befinde. Der Ort heißt „Shard“ und ist ein Turm von neunhundert Fuß Höhe. Er liegt in London, welches einst Londinium hieß, am Südufer der Themse. Gleich einem Riesendolch ragt er in den Himmel, seine blau schimmernde Fassade glitzert wie geschliffener Kristall. Ich ahne, weshalb Anubis ihn als sein Hauptquartier erwählt hat; seine Form erinnert entfernt an eine Pyramide. Offensichtlich bin ich nicht die Einzige mit Heimweh. Während ich das Bauwerk betrachte, erfasst mich erneut eine Schmerzwelle. Meine Zeit wird knapp. Wenn ich noch Hinweise auf mein Wirken in der Menschenwelt finden will, dann muss es jetzt geschehen. Rasch knüpfe ich die notwendigen magischen Fäden und verbinde sie mit den blitzenden Impulsen der modernen Zauberei. Das Ergebnis überwältigt mich. Gleich einem Lachs im schimmernden Strom werde ich in eine Flut von Bildern gerissen, die sekündlich vor mir aufflackern und wieder erlöschen. Wohl tausend Mal fällt mein Name. Ich sehe mich in meinem Reich, auf dem Thron sitzend und an der Reling des Schiffes Naglfar, das die Toten zu der letzten Schlacht nach Asgard bringt. Als blutiger Sturm zieht Ragnarökk an mir vorüber, die Götterdämmerung, in der die Kräfte von Gut und Böse gegeneinander kämpfen und untergehen. Auch ich. Manche Bilder wirken starr, wie gefroren im Atem der Zeit, andere bewegen sich, verändern sich stetig, bis wandernde Schriftzeichen erscheinen und das Ende der Schau verkünden. Durch den Äther dringt der Name dieser modernen Magie zu mir. Sie heißt „Popkultur“ und ist wahrlich ein mächtiger Zauber. Und sie ist mein. Mit der Gier der vergessenen Freude stürze ich mich auf sie, verleibe mir jedes Bild ein, reiße jedes Quentchen Kraft an mich, unersättlich, wie ein Schwamm. Und ich wachse, wachse und lache, beflügelt durch den Sog meiner neugewonnenen Macht, und wie ich dies tue, weicht der wühlende Schmerz aus meinen Eingeweiden, gebannt durch einen größeren Zauber.

„Ich bin zurück!“ jubelt es in mir und die Seiten meiner doppelten Natur, die schöne wie die hässliche, stimmen in meinen Siegesgesang mit ein. Berauscht von dem Zauber spreize ich meine Finger und presse sie auf das Runensymbol der Fesselung, in der Mitte des Bannkreises. Das rubinrote Feld feuert ohne Unterlass seinen Strahlen auf mich ab, aber ich lache nur und bade mich in seinen Energien. Es kann mir nichts mehr anhaben. Jetzt bin ich sein Meister. Ein energetisches Zucken, ein letztes Aufflammen und es bricht in sich zusammen. Triumphierend erhebe ich mich. Mit einem Wink meines Fingers zaubere ich ein Kleid aus der Luft, das nun statt der Lumpen meinen Körper bedeckt. Es schillert grün. Ein tannengrüner Umhang erscheint aus dem Nichts und schmiegt sich um meine Schultern. Seine silberne Spange schließt sich wie von Zauberhand. Ich bin zurück.

Anubis ist es auch. Ich höre seine Schritte näherkommen. Noch während er die Tür aufreißt, streckt er seinen Stab nach mir aus. Doch es ist zu spät. Ich hebe die Hand und sein hastig geschleuderter Blitz wird abgelenkt, gestoppt von einem magischen Schild, der grün leuchtend zwischen meinen Handflächen erscheint. Ein zweiter fährt krachend in die spiegelnde Fläche hinter mir. Glas regnet herab, zersprengt in tausend winzige Kristalle. Ein verzweifeltes Stöhnen entringt sich Anubis Kehle, mehr Winseln als Knurren. Seine Faust mit dem Stab zittert. Ich lächle nur.
„Wie…wie ist das möglich? stammelt er, ein unstetes Zucken in den schmalen Augen, „wie konntet ihr meiner Falle entkommen?“
„Ihr habt mich unterschätzt“, sage ich, noch immer lächelnd.
„Offensichtlich“, entgegnet er und weicht vorsichtig ein paar Schritte zurück. Dabei hält er den Stab weiter auf mich gerichtet. Soll er. Ich fürchte ihn nicht. Was jetzt kommt, will ich genießen.
„Eure Falle war gut, das muss ich Euch lassen. Aber Ihr habt einen entscheidenden Fehler begangen.“
„Welchen?“, scheinen seine Augen zu fragen, sein Maul indessen bleibt stumm.
„Das will ich Euch sagen. Oh, seid Ihr überrascht, dass ich Eure Gedanken lese? Auch ich beherrsche diesen kleinen Trick. Nicht, dass er in Eurem Falle notwendig wäre. Euer dummes Gesicht spricht Bände.“
„Sagt schon“, knurrt der Schakal, „wie habt Ihr das angestellt?“
„Oh, das war ganz einfach.“
„Ich warne Euch, Stellt meine Geduld nicht auf die Probe.“
„Zu Drohungen seid Ihr wohl kaum noch in der Lage, also seht Euch vor.“
„Sprecht schon.“
„Also gut.“

Wie schnell das Blatt sich wenden kann. Nun bin ich es, die einen kleinen Vortrag hält.

„Wie Ihr wisst, ist unsere Macht von der Anzahl unserer Gläubigen abhängig und dem Grad ihrer Anbetung. Ihr kennt diese nur aus alten Schriften, die eure Priester verfasst haben und bestenfalls aus Statuen, die man Euch zu Ehren errichtet habt. Aber es gibt noch eine andere, weitaus ergiebigere Quelle der Verehrung. Die Sterblichen nennen sie „Popkultur“. Eurem Staunen entnehme ich, dass Ihr noch nie davon gehört habt. Das ist verzeihlich für einen mit Lapislazuli geschmückten Hund, der glaubt, dass das Pantheon seiner Götter das mächtigste ist und für den ein popeliger Fluss in Afrika das Zentrum der Welt bedeutet. Überraschung, das ist er nicht.“
Danke „Internet“, denke ich, wer auch immer du sein magst.

Ich halte inne. Anubis ist still geworden. Seine Augen indes glühen vor Wut.
„Wo war ich? Ach ja, „Popkultur“. Ich habe herausgefunden, dass es tausende gedruckte Zeugnisse meines göttlichen Wirkens gibt, was sag ich, hunderttausende. Die Menschen nennen sie „Comics“. Und noch etwas habe ich entdeckt: Bewegte Bilder, die im Wechsel von Licht und Dunkel ganze Geschichten zu erzählen vermögen. In einer dieser Geschichten, von den Menschen „Movie“ oder „Film“ genannt, trete auch ich auf, als Gegenspielerin meines Bruders Thor.“
Bei dem Namen „Thor“ krümmt sich Anubis wie unter großen Schmerzen. Ich lasse seinen Stab keine Sekunde aus den Augen.
„Aber es kommt noch besser“, fahre ich mit meiner Rede fort, „allein von diesem Film sind Millionen von Abbildern, sogenannte Kopien, im Umlauf; könnt Ihr Euch vorstellen, wieviel Verehrung das für mich bedeutet? Magie im Überfluss! Ich brauchte sie nur einzusammeln. So gestärkt, war es für mich ein Leichtes Euren Bannkreis zu durchbrechen. Von Euch gibt es übrigens auch einen Film. Aber der war ein Flopp.“

Mit diesen Worten errichte ich einen neuen Schild, gerade noch rechtzeitig, denn ein Blitz aus Anubis Waffe durchschneidet die Luft und rast gleißend auf mich zu. Es knistert, als er auf meine Barriere trifft. Ich lächle geringschätzig.
Ehe Anubis reagieren kann, spreche ich den Zauber der Aneignung und strecke meine Hand aus. Ich sehe die Verblüffung in seinem Schakalgesicht, als ihm der Stab aus den Fingern gerissen wird und leicht wie eine Feder zu mir herüber segelt. Wie beiläufig fange ich ihn auf.

„Ich muss zugeben, anfangs habt Ihr mich verwirrt. Ich dachte der Stab sei der Schlüssel zu Eurem Reich - bis ich den glitzernden Gegenstand unter Eurem Hemd bemerkte. Als ich dann die Magie der Todesgötter darin wahrnahm, die Ihr ermordet habt, war der Fall klar. Dieser Gegenstand ist der Schlüssel zur Unterwelt, nicht Euer Stab. In Euren Gedanken lese ich, dass er Ankh heißt und ein Artefakt von großer Macht ist. Gebt Ihr ihn mir freiwillig oder muss ich ihn mir holen?“
Anubis stößt einen Fluch aus, gefolgt von hundert Verwünschungen.
„Das dachte ich mir.“
Zum zweiten Mal spreche ich den Zauber und nun befindet sich auch das Ankh in meiner Hand. Es ist ein Kreuz aus Silber, mit einem ovalen Bogen im oberen Teil. Durch das kalte Metall spüre ich seine gewaltige Macht.

„Hekau", flüstere ich, das Wort für ägyptische Magie und presse das Ankh gegen meine Stirn, so wie ich es in Anubis Geist gelesen habe. Auf meine Geste hin erscheint ein Licht im Raum, verbreitert sich und wird zu einem weiß glänzenden Tor, hinter dessen Gestalt fremde Sterne leuchten; der Eingang zur ägyptischen Unterwelt.

In diesem Moment wirft sich der Schakal mit einem Schrei auf mich und versucht mir das silberne Henkelkreuz zu entreißen. Gemeinsam stürzen wir in die Leere. Anubis ist durch den Kampf geschwächt, ich hingegen auf dem Höhepunkt meiner Kräfte. Mühelos stoße ich ihn von mir, direkt vor das Maul von Apophis, der Endzeitschlange, die hinter der Schwelle gelauert hat. Mit schnappenden Kiefern gleitet sie heran. Der Schrei, den Anubis ausstößt, als ihn die gigantische Schlange verschlingt, ist Musik in meinen Ohren. Nachdem sie den Schakal-Gott verspeist hat, windet sie sich in weiten Bögen in meine Richtung, doch das Ankh beschützt mich. Geblendet von seinem göttlichen Licht, rollt sich die dunkle Kreatur zusammen und versinkt in der Finsternis. „Bleib“, möchte ich ihr nachrufen, „fürchte dich nicht. Ich verschaffe dir mehr zum Fressen.“

In weiter Ferne erblicke ich wogende Kornfelder, unter einem blauen, wolkenlosen Himmel. Die Felder der Seeligen. Bei ihrem Anblick fallen mir die Worte meines Vaters, Odin des Allweisen, ein.
„Kind“, hatte er gesagt, „du musst Asgard verlassen, denn alle fürchten sich vor dir. Aber sei nicht traurig. Du wirst dein eigenes Reich erhalten, mit tausenden von Untertanen. Und täglich werden es mehr werden. Glaube mir, von allen Aufgaben ist deine die wichtigste. Straferin wirst du sein, grausam und unerbittlich, aber auch Trösterin, liebevoll und sanft.“
Ich sehe meinen Vater noch vor mir, stark und stolz, und dieses eine Mal, das einzige Mal, schließt er mich in die Arme. Die Erinnerung daran ist so frisch wie am ersten Tag. Was er wohl sagen würde, wenn er mich jetzt sehen könnte?

Ich lächle und das erste Mal seit Jahrhunderten bin ich wahrhaft glücklich. Hier, in der ägyptischen Unterwelt, werde ich mein neues Reich errichten, ich, Hel, letzte Göttin des Totenreichs.

Blasphemie

Hallelujah, hier bin ich, euer Gott, geneigt, eurer Lobpreisung zu lauschen und eure Opfergaben zu empfang …
Ähhh … hallo? Spreche ich denn so leise? Also nochmal: EIN GOTT WANDELT IN EUREN REIHEN UND VERLANGT DIE IHM GEBÜHRENDE AUFMERKSAMKEIT!
Sacht mal, gehts noch? Könntet ihr vielleicht mal kurz diese komischen rechteckigen Dinger aus der Hand legen und mir zuhören? Ich bin eine Gottheit, also benehmt euch endlich entsprechend!
Wie? Was soll das heißen, wie viele Follower ich auf Youtube habe? Keine natürlich, brauche ich auch nicht, ich bin schließlich …
Jaja, ich habs kapiert, offensichtlich war ich zu lange weg, deshalb betet ihr jetzt alle zu den heiligen Influencern. Ich warne euch, schwört ab von diesem Irrglauben, bevor es zu spät ist!
Instagram-Account? Facebook? Hab ich nicht, brauche ich genauso wenig. Wieso ist das wichtig? Und was soll das heißen, ihr liked mich nur, wenn ich euch like? Hört mir endlich zu, ich bin ein Gott und ihr habt mich zu verehren, wo ich bin, herrscht Absolutismus, keine Demokratie.
Nein, ich habe keine Mailadresse, und wenn ich eine hätte, wärt ihr die Letzten, denen ich sie geben würde. Ich schreibe auch kein Blog und verschicke keinen Newsletter, was soll dieses ganze Theater eigentlich?
Was, Social Media? Beim ewigen Nirwana, dieser Höllenfluch ist bei euch Menschen offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen und hat die Herrschaft übernommen. Alles klar, wo diese Plage wütet, ist für andere Götter kein Platz mehr.
Ich geh dann mal wieder, vielleicht sollte ich doch einen eigenen Blog ins Auge fassen – und meinen nächsten Besuch rechtzeitig per Newsletter ankündigen …

»Durchlauchtester Erdenbürger, meine Wenigkeit betitelt sich als Hades und es ist mein innigster Wunsch, mich für die ehrenhafte Position des Totengräbers in ihrem bescheidenen Etablissement zu bewerben.«

Der Priester starrt mich nur vollkommen verwirrt an. Habe ich da etwas durcheinandergebracht? Diese Menschen und ihre vollkommen schnelllebigen Sprachverwurbelungen. Heißt das jetzt Etablissement? Geschäftsstelle? Kirche? Religiöse Aufbewahrungsstätte für entseelte leblose Leichen?

Verdammt… ich hätte nicht so viel Zeit in der Unterwelt verbringen sollen. Das hat man nun davon - 1000 Jahre abwesend und schon ist alles ganz anders.

»Ihre Referenzen?«, dringt es knatschig aus seiner sterblichen Kehle.

»Ernsthaft?«, frage ich irritiert zurück. Welch einfältiger Gesell.

»Sie sehen aus, als könnten sie nicht einmal eine Schaufel halten«, erwidert er und will sich doch tatsächlich von mir abwenden. Von MIR – Hades!

So nicht, Spießgeselle.

Wäre mir Persephone nicht mal wieder ins Erdenreich ausgebüchst, müsste ich diesen ganzen Dunghaufen hier nicht auf mich nehmen. Aber ich bin nunmal vollkommen mittellos und Persephone fängt sich schließlich nicht von selbst wieder ein.

»Ich habe schon so viele Menschen unter die Erde gebracht, dass die schiere Anzahl Sie um den Verstand bringen würde«, gebe ich herablassend zurück.

»Arbeitszeugnis?«, fragt er erneut in gelangweiltem Tonfall.

»Was?«

»Arbeitszeugnis?«, wiederholt er seine Frage, nun deutlich genervter.

Ich gebe auf. Wie aus dem nichts brennt sich ein altersfleckiges Pergament in meine Hände. Ich gebe es dem frommen Seelenhirten. Er nimmt es, seine Augen flackern gelangweilt über die blutroten Zeilen.

»Da fehlt der Arbeitgeber«, sagt er schließlich, als er mit seinem begrenzten Verstand auch das letzte Wort in sich aufgesogen hat.

»Luzifer«

Er nickt. Vollkommen unbeeindruckt.

»Geben Sie mir ihre Handynummer, dann gebe ich Ihnen im Laufe der nächsten Tage Bescheid«, sagt er nur.

Handynummer? Nun ist es an mir, ihn verwirrt anzustarren.

»Sie gehören also auch zu denen«, sagt er nur und blickt hilfesuchend nach oben, als warte er auf eine Botschaft von Gott – oder einen Blitzschlag.

»Kommen sie in 6 Tagen wieder, dann werde ich Ihnen meine Entscheidung mitteilen«, ringt er sich schließlich zu einer für mich akzeptablen Aussage durch.

Ich nicke und wende mich ab. Ich komme kaum drei Gräber weit, als mir zwei Raben in den Weg fliegen. Hugin und Munin. Die schon wieder.

»Du auch hier?«, frage ich in die Stille hinein, als auch schon Odin vor mir auftaucht. Ich hasse diese Asen. Vom Nachbargrab blickt mir Loki entgegen, auf der Gruft wartet Erebos. Ich seufze. Vielleicht sollte ich mich doch lieber auf eine Stelle als Buchhalter bewerben.

Weil ich es will.

„Sie schreit schon wieder“. Ich drehe mich zum Spiegel, blicke fragend. Mein Spiegelbild erwidert selbstbewusst meinen Blick. „Diese junge Frau im Feld. „„Ach, die. Interessiert mich nicht.“ Ich drehe mich wieder weg. „Sie hat diesmal auch dich gerufen.“ Die Stimme aus dem Spiegel klingt beschwichtigend. “Und was hat sie mir geboten? Ihre unsterbliche Seele?“. Mein Spiegelbild schweigt und blickt mich ruhig an. Ich betrachte es eine Weile. Wie schön du doch bist, denke ich. Deine Schönheit ist meine Schwäche, immer bringst du mich auf dumme Gedanken. Trotzdem versuche ich mich zu wehren. „Warum soll ich? Soll sie doch andere fragen.“ „Das hat sie bereits getan!“ „Und? “Niemand wird kommen.“ „Selbstverständlich nicht, tun sie doch nie.“ Boshaft verziehe ich die Lippen. „Geh doch ein wenig raus, hol dir frische Luft. Du muss doch für sie gar nichts tun!“ Der Blick im Spiegel ist unschuldig und rein. „Teufel!“ fauche ich und stehe auf. Mein Spiegelbild winkt mir, als ich mich in Luft auflöse.
Im Feld ist es dunkel und windig. Ich sehe ihre Silhouette nicht weit weg von mir, sie steht still, ihr Hund sitzt daneben. Ich mag Hunde nicht, sie wittern das Böse zu gut. Ich gehe ein paar Schritte auf sie zu, so, dass der Hund mich nicht sofort riechen kann, und begrüße sie. Sie zuckt erschrocken und sucht mein Gesicht im Dunkeln. Ihr „hallo“, ist unsicher. Ich gehe gleich zur Sache. „Wie geht es Ihrem Freund?“. Sie schweigt einen Moment verwirrt. „Was? Entschuldigen Sie bitte, kennen wir uns?“. „Ich wohne in der Nähe“ lüge ich. Sie misstraut mir, ich durchwühle kurz ihre Gedanken nach Stütze. „Ihre Nachbarin, aus dem grauen Haus, hat es mir neulich erzählt. Tut mir sehr leid.“ Ich nicke höflich, mein Lächeln ist mitfühlend und aufrichtig. „Ach sie, ja eigentlich rede ich nicht darüber.“ Sagt sie. Und dann tut sie es doch. Sie erzählt mir von ihrem Geliebten. Von einer grausamen Krankheit, die ihn in kürzeste Zeit zerbrochen hat. Die ihm Stück für Stück, alles nahm, was ihm wichtig und lieb war. Von seinem Leid und seinem Mut. Von dem, wie sehr sie ihn liebt, und wie sehr sie sich fürchtet, ihn zu verlieren. Es ist nichts Falsches an ihr, sie ist ein offenes Buch. Ich weiß, dass jedes Wort der Wahrheit entspricht. Ich weiß, dass sie bereit wäre alles zu tun und zu geben, für ihn, für sein Leben. Zu einfach für mich. Ich bedauere, dass ich hier bin.
Dann weint sie plötzlich und ich tröste sie mit den üblichen Sätzen. „Es wird schon, er ist jung, auch Ärzte irren sich.“ Alles gelogen, nichts wird gut gehen für diese beiden. Seine Jugend hilft ihm nicht gegen den Feind in seinem Körper. Die Ärzte irren sich nicht, nicht diesmal.
Sie weint verzweifelt und trostlos. Verfluchter Spiegel denke ich, und wünsche, ich könnte mich in der Dunkelheit einfach auflösen. Als ich endlich gehe, entscheide ich mich doch ihr zu helfen. Weil andere es nicht tun werden, und weil ich es so will.
Eine Weile später sitzt sie mit ihrem Liebsten in dem Krankenhaus und hört, wie der Onkologe ohne eigene Überraschung zu verbergen sagt, dass „es“ kleiner geworden ist. Sie ist überglücklich. Sie kann es nicht fassen und dankt innerlich dem Gott für ein Wunder.
Der Spiegel zeigt mir die Szene und ich ärgere mich über mich selbst. „Siehst du was du getan hast!“ schreie ich mein Spiegelbild wütend an. „Schon wieder erntet er, die Lorbeeren! Mir soll sie danken, nicht ihm!“. Der Spiegel schweigt betroffen.“ Jetzt bist du daran schuld, dass ich wütend bin!“. Ein Wunsch nach Zerstörung macht sich in mir breit. Die Nachbarin aus dem grauen Haus fällt mir auf. Eine Menge Schwachstellen, ihr zu schaden wird es leicht. Ich mache mich auf den Weg. Warum? Weil ich es will. Mein Spiegelbild winkt mir zum Abschied.

Die Krawatte

Mein Kopf wiegt gefühlt 3 Tonnen. Und er schmerzt. Die Party gestern im Olymp war heftig, aber auch witzig. Na gut, vielleicht hätte ich die Krawatte, die der Göttervater zur Feier des Tages getragen hat, nicht in das Schampusglas seiner werten Gattin tunken sollen. Er hat gegrollt, hat mich bedroht. „Ich schieße dich in das Jahr, äh, sagen wir 2023!“
Oh, jetzt sitze ich – der Götterbote – hier, verkleidet als Mensch der Zeit. Meine Füße sind mit Sportschuhen bekleidet – statt kleinen Flügeln sind da nur 3 Streifen.
Mich beschleicht ein leichtes Hungergefühl. Aber Essen muss man sich hierzulande wohl verdienen. „Du solltest arbeiten und nicht die ganze Zeit feiern!“, hat der Senior immer gesagt. Sicher beobachtet er mich. Und wenn ich ihn den Gefallen tue und mich nützlich mache, dann nimmt er mich zurück und ich schaffe es noch heute Abend zur Sause bei Athene. Dort gibt es immer leckere Häppchen.
Da drüben an dem Laden steht ein Schild mit meinem Namen: Hermes. Die warten wohl nur auf mich. Also los.
„Wollen Sie etwas abgeben?“, fragt die ältere Dame hinter dem Ladentisch, schiebt ihre Brille nach oben und mustert mich messerscharf wie die Göttin der Jagd.
Was sollte ich hier abgeben? Da springt hinter mir die Tür auf und erlöst mich von der Fragerei. Ein Mann rumpelt zusammen mit einem kleinen Wagen herein.
„Ach, Igor, endlich!“, begrüßt ihn die Alte. „Heute ist viel los. Du weißt doch, Weihnachten. Da will jeder noch was verschicken.“
Und sie schließt die Tür zu einem Raum auf, in dem ein gigantischer Haufen Pakete auf Igor und seinen viel zu klein dimensionierten Wagen wartet.
„Willst du damit all die Pakete befördern?“, frage ich ihn abschätzig.
„He, Mann, das ist das Jahr 2023, natürlich habe ich einen LKW!“ Er zeigt durch das Schaufenster nach draußen.
„Die Kutsche dort? Kann die fliegen?“, interessiere ich mich. Klar, dieses LKW-Teil hat Räder, aber mit denen kann man doch keine normengerechte Transport-Zeit erreichen. Zeus hätte mich schon lange aus dem Olymp geschmissen, wenn ich mit so einem Gefährt durch die Welt fahren würde, um meine Botschaften zu verteilen.
„Du, wer auch immer du bist, ich habe wenig Zeit“, weist mich Igor in die Schranken. „Ich muss noch die Pakete zur Station bringen und danach zu meiner Tochter nach Hause eilen. Und der Weihnachtsmann hilft nicht in jedem Jahr.“
Jetzt ziehe ich meine Schuhe aus.
„Aber junger Mann!“, will mich die Alte zügeln.
Doch ich bin nicht zu bremsen. Meine Flügel sind vom Schuhwerk befreit. Ich wärme sie kurz auf und klemme mir unter jeden Arm zwei Pakete. Ein kurzes Zischen und schon bin ich weg und wieder da.
„Wo sind die Pakete?“, fragt mich der entgeisterte Igor.
„Ausgeliefert.“
„Aber sie müssen doch in den LKW!“ Hilflos zeigt er nach draußen.
„Geh du zu deiner Tochter“, sage ich, greife seine Schultern und drehe ihn mit göttlicher Kraft und Strenge um. Er trottet aus der Tür.
„Oma, lies mir die Adressen vor, während ich mir die Kisten unter die Arme klemme“, bestimme ich.
Oma spurt. Eine halbe Stunde später ist die Sache vergessen. Der Vorratsraum ist leer, Igor schon zu Hause angekommen und die Oma steht verblüfft neben mir.
Wieder geht die Tür auf. Eine männliche Gestalt mit Rauschebart und einer lächerlichen roten Mütze mit weißer Bommel tritt herein.
„Der Weihnachtsmann!“, findet die Alte ihre Sprache wieder.
„Schön wär’s“, sage ich und gehe auf meinen verkleideten Herrn Göttervater zu. Ich war fleißig. Er holt mich nach Hause.
„Komm mit“, sagt er nur. Und einen Fingerschnipp später stehen wir vor einem großen Gebäude, auf dem genauso mein Name steht.
„Das vorhin in dem Laden war nur ein Test“, sagt der Chef. „Das lief ganz gut, aber jetzt kommt die eigentliche Prüfung. Das hier ist ein Verteilzentrum.“ Er zieht so ein komisches kleines flaches Etwas mit Bildschirm hervor, setzt seine Lesebrille auf und faselt anschließend etwas von 9739 Paketen, die hier lagern. „Wenn du sie an ihren Bestimmungsort gebracht hast, kannst du von mir aus zu Athene Häppchen essen gehen. Ich kenne dich doch.“
„Wie? Was? Ich soll …?“, stammele ich.
„Ja, du sollst die Sendungen befördern. Und immer schön freundlich zu den Kunden sein. Dieser Laden trägt deinen Namen. Du hast einen Ruf zu verlieren. Also ans Werk!“
Seit diesem Tag gehe ich respektvoller mit Krawatten um.

Viele Namen, viele Gesichter, ein Wille

Ich bin es.Glaubst du an mich?
Viele Menschen geben mir die unterschiedlichsten Namen. Einmal bin ich ich „Gott“, ein anderes Mal nennen Sie mich " Allah". Viele Menschen leugnen mein Dasein. Es passieren Kriege auf der Welt, die ich erschaffen habe in meinem Namen.
Die Waffenindustrie verdient Milliarden an diesen schrecklichen Kriegen. Die Welt verliert daran, was keine Währung je bezahlen könnte.

Ich bin sehr traurig, wenn ich diese Dinge beobachten muss.
So war mein Plan nicht gedacht.
Ich kreierte für alle Lebewesen das schönste Paradies. Ihr nennt es die Erde.
Doch ihr wisst nicht, dass es ein solches Paradies ist. Stattdessen glauben viele von euch Menschen, ihr erreicht den schönsten Ort erst nach eurem Tod.
Erwacht aus eurem Schlaf und öffnet eure Augen. Ihr seid bereits da. Ich habe euch alles gegeben was man braucht. Niemand muss hungern oder frieren in meiner Welt für euch.
All dieses Leid auf Erden habt ihr euch selbst erschaffen.

Doch selbst jetzt gebe ich euch noch die Möglichkeit das Ruder wieder rumzureißen. Ich erneuere nicht nur eure Körper, wenn ihr aufhört zu trinken, zu rauchen und ungesund zu Essen.
Nein, ich lasse auch die Wälder wieder wachsen, die ihr abgeholzt habt in Massen.
Ich erneuere jeden Ozean, wenn ihr mich lässt.

Ich bin sehr mächtig, mächtiger als jede Gottesgeschichte in euren heiligen Schriften.
Ich nenne mich Naturgewalt. Mich gab es schon immer und wird es immer geben. Was mit euch auf Erden wird passieren, das entscheidet Ihr alleine.

Nennt mich wie Ihr möchtet, Worte sind nichts wert für mich. Ehrt mich mit euren Taten und ich bin euch wohlgesonnen.

Arbeitslos

Eben noch hatte ich wunderbare Träume von Streit und Zank. Erinnerte mich daran, wie ich Chaos unter den Menschen stiftete. Wie ich mit dem Apfel der Zwietracht dafür gesorgt habe, dass der trojanische Krieg ausbrach. (auch wenn später jemand behauptete, dass Paris und Helena daran schuld waren)

Das waren noch Zeiten. Zeiten, in denen ich soviel zu tun hatte, dass ich mich danach sehnte, mal einen ganzen Tag im Bett zu verbringen. Ihr glaubt ja gar nicht, wie anstrengend es ist, die Leute gegeneinander aufzuwiegeln. Sie dazu zu bewegen, sich zu zanken, aufeinander loszugehen. Immer diese Harmonie, diese Rücksichtnahme, dieser Zusammenhalt unter den Menschen. Schrecklich.

Aber es war auch sehr befriedigend, wenn ich es mal wieder geschafft hatte, dass ein neuer Krieg entbrannte. Wenn man abends bei einem Glas Rotwein die Füße hochlegen und zufrieden behaupten konnte: heute war ein erfolgreicher Tag.

Warum ich euch von früher erzähle?

Ich langweile mich. Seit ich erwacht bin, langweile ich mich zu Tode.

Es gibt nichts für mich zu tun. Bevor ich auch nur auf die Idee komme, wen ich gegeneinander hetzen könnte, haben die sich schon die Köpfe eingeschlagen.

Bevor ich einen kleinen Streit unter Nachbarn anzetteln kann, haben die sich schon vor Gericht gezerrt. Wegen irgendwelcher Zweige, die über die Grundstücksgrenzen wachsen.

Ich kann keine Harmonie zerstören, wenn keine da ist. Rücksichtnahme? So sehr ich auch suche, ich finde sie nicht.

Ich bin total genervt und frustriert. Ich habe einfach nichts zu tun.

Ich, Eris ,die Göttin der Zwietracht und des Chaos bin arbeitslos. Die Menschen brauchen mich nicht mehr, sie haben quasi meinen Job übernommen. Und sie machen es besser als ich.

2,8 Millionen Jahre Entspannung

„Herr!“

„Pst, hörst du es? Sieh her, die Sporenkapseln öffnen sich bald.“

„Herr, es ist Zeit zu handeln. Es ist dringend. Die Menschheit und alles, was hier lebt, wird womöglich zerstört!“

„Ja, das weiß ich, schau lieber her: siehst du, das Moos fängt bald an zu blühen. So eine kleine einfache und doch so besondere Pflanze, unscheinbar und überall vorhanden, es ist das Leben.
Weißt du, am schönsten sind die Laubmoose. Sie sind auf dem Waldboden, in den Gebirgsschluchten und auf den Bäumen zu finden. Abgestorbene, morsche Baumstämme und Baumstümpfe sind oftmals mit einem dichten Moospolster bedeckt. Daneben gibt es die Hornmoose und die Lebermoose.

Wie auch immer, die Laubmoose sind meine Lieblinge. Woher sie wohl kommen?.“

„Ihr habt sie erschaffen.“

„Habe ich das? Erstaunlich, wie schön. Für immer hierbleiben und mich am Wachstum erfreuen, das ist wäre doch wunderbar.“

„Herr, das macht ihr seit mindestens 2,8 Millionen Jahren dieser Zeitrechnung.“

„Tatsächlich? Ist das viel? Mir ist so, als wäre es gestern. Irgendetwas habe ich zuvor gemacht, bevor ich mich in diese wunderschöne Pflanze verliebt habe. Was war es bloß, mir fällt es nicht ein. Aber dieses Moos, es beim Wachsen zuzusehen, ist pure Entspannung.“

„Es waren diese Menschen, Herr. Ihr habt sie vor 2,8 Millionen Jahren erschaffen. Da fing der Schlamassel an. Sie zerstören die Welt und alles Leben.“

„Na, na, übertreibst du nicht ein wenig? Komm, setze dich dazu und leiste mir Gesellschaft.“

Der Herr klopfte neben sich auf den Boden und so saßen beide einträchtig nebeneinander und erfreuten sich eine geraume Zeit am Wachsen des Mooses.

„Und wenn auch die Moose zerstört werden, was passiert dann?“

„Dann haben wir immer noch die Flechten.“

Götterdämmerung 2.0

„Meeting, wenn die Sonne am höchsten steht. Olymp, Raum 231.“
Ich drücke auf Senden. Ante meridiem, Zeit, mich auf das Treffen mit meinen KollegInnen vorzubereiten. Juno, was meine bessere Hälfte ist, steckt ihren Kopf durch die Tür des Konferenzsaals.
„Jupp.“, sagt sie. Besorgnis schwingt in ihrer Stimme. „Du siehst echt gestresst aus. Warum ruhst du dich nicht ein wenig aus?“
Ich betrachte sie. Finde, dass sie eigentlich recht hat. Aber:
„Ich muss noch meine Mails checken und die Sitzungsvorlage durchgehen.“
Juno seufzt. Sie lässt mich allein zurück. Die Sonne lässt ihre Strahlen über den Jahrtausende alten Mosaikboden wandern, den osteuropäische Fliesenleger in kunstvoller Kleinarbeit ausgebessert haben. Ja, auch ein Götterkönig muss sparen. Das liegt vor allem daran, dass niemand mehr an ihn und seine Götterrunde glaubt.
Spenden? Freiwillige Geldströme? Sachspenden? Nada.
Ich rufe meine Tagesordnung auf. Sitzung zur Frage: Ist die Welt wieder reif für Polytheismus?
Die Sonne steht im Zenit, in gleißenden Stalaktiten tropfen ihre warmen Strahlen durch die Deckenkuppel, treffen auf die polierte Marmorplatte des Konferenztisches.
Neptun poltert herein, die Tür fliegt an die Wand. Er quetscht seinen vierschrötigen Körper durch den Rahmen. Ich sehe, wie Mars ihn beiseite schubst, um den Vortritt zu erzwingen. Neptun grunzt, setzt sich auf den Platz am Tisch, an welchem sich sein Namenskärtchen vor ihm niederduckt. Juno hat ihn direkt neben Mars gesetzt. Ich muss mit ihr über die Sitzordnung reden.
Die beiden Herren pranken sich, wo sie nur können.
„Beim Jupiter,“, scherzt Mars in meine Richtung, während er sich umsieht, „was für ein geiler Bodenbelag.“ Minerva betritt den Raum. Ihre Nase wie immer hochnäsig erhoben. Meint, ihre Klugheit mache sie zu etwas Besonderem. Sie nimmt links neben mir Platz. Das alte Mädchen hat sich gut gehalten für ihr Alter. Nacheinander treffen Apollo, Diana, Vulcanus, Vesta, Ceres und Merkur ein. Venus kommt wie immer zu spät.
„Weiß jemand was von Venus?“, frage ich in die Runde.
Ceres schnaubt. „Muss noch ein Filmchen für ihren Beauty-Blog fertigmachen. Kommt fünfzehn Minuten später.“
An der Tür scheppert es. Juno balanciert ein Tablett mit Gläsern voll Ambrosia in den Raum. Sie stellt es auf den Tisch. Mit einem bösen Blick auf Minerva lässt sie sich auf ihrem Platz zu meiner Rechten fallen.
„Wow, das knallt schön.“, freut sich Neptun, greift sich ein Glas, nimmt einen großen Schluck.
Ich projiziere die Tagesordnung auf die Leinwand, bemühe mich um ein verbindliches Lächeln.
„Ich freue mich, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid.“
„Eine Videokonferenz hätte es auch getan.“, mosert Minerva. Ihr kühler Blick sucht meinen. Ich versuche, ihren Einwand wegzulächeln.
„Ich wollte mit euch allen gerne einmal wieder persönlich sprechen. Zumal das Thema wichtig ist.“
Die Tür öffnet sich. Mit wogenden Hüften betritt Venus den Raum. Ihr erotisierender Duft weht ihr wie eine Standarte der Lust voraus. Mars springt auf, rückt ihr bereitwillig ihren Stuhl zurecht.
„Danke.“, haucht sie lasziv, bedenkt jedoch mich mit einem dieser Blicke, der genau auf meine Mitte zielt.
„Nun, da wir vollzählig sind, können wir beginnen.“ Ich schaue in die Runde, versichere mich der Aufmerksamkeit meiner GötterkollegInnen. „Gott, Allah, Buddah, all diese monotheistischen Herren haben bald schon ausgedient. Die Menschen glauben nicht mehr daran, dass ein Gott verantwortlich für alle Umwälzungen in der Welt ist. Sie glauben lieber Schreihälsen, die Verschwörungstheorien verbreiten. Laufen Propagandisten nach, die Unwahrheiten streuen. Negieren Dinge, die wissenschaftlich bewiesen sind. Darüber hinaus wächst der Unmut über rein männliche Götter. Da haben wir einiges zu bieten. Kurzum, ich meine, die Zeit ist reif, dass wir die Aufgaben in unseren Fachgebieten endlich wieder wahrnehmen.“
Mars sieht mich angesäuert an. „Was soll das heißen? Ich bin der Einzige, der seit Jahrtausenden seinen Job macht. Seit Anbeginn. Zuletzt in der Ukraine und Gaza.“
„Das stimmt,“ säuselt Venus, „ich war ebenfalls nicht untätig. Ohne mich gäbe es keine Liebe, keine Lust und keine Schönheit, die ewigen Motoren der Menschheit.“
Neptun stimmt den beiden zu.
„Ich habe mich seit Anbeginn um die Weltmeere gekümmert. Noch nie waren sie so voll wie heute.“
Minerva räuspert sich. „Und ich…“
„Du hast dich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.“, zischt Juno. „Dummheit ist auf dem Vormarsch.“
„Und was ist mit Ehe und Familie? Auch nicht mehr das, was es mal war. Fällt in dein Ressort?“, erwidert Minerva kühl.
Merkur heult. „Ich habe ja überhaupt keine Chance mehr. Götterbote, wer braucht das heute noch.“
„Kunstdünger, Pestizide, Gentechnik, niemand muss mehr um gute Ernten beten. Mein Job ist obsolet.“, mault Ceres, die Göttin des Ackerbaus.
Vesta, die Göttin des Herdfeuers, schnaubt nur.
„Ich sage nur Induktionskochfeld. “
Ich bemühe mich um Kontenance. Erkenne, dass unsere Zeit wohl doch noch nicht reif ist. Dieses alberne Konkurrenzdenken. Vielleicht ist ein Gott doch die bessere Lösung. Deprimiert fahre ich mein Laptop herunter, beschließe, auf Juno zu hören und mich auf die faule Haut zu legen. Soll die Welt doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Mir bleibt immer noch die Ewigkeit, um einen weiteren Versuch zu starten. Ich erhebe mein Glas.
„Auf unser Wohl, ihr GötterInnen.“

Viele Namen

Es ist zu einfach, geradezu erschreckend, euch jämmerlichen Menschen zu manipulieren. Seitdem es Zivilisationen gibt, lauft ihr mir hinterher, betet mich an, doch all das nützt euch rein gar nichts. Ihr kennt mich unter so vielen Namen. Als doppelgesichtiger Gott Janus in Rom, Plutus bei den Griechen, die Wikinger nannten mich Njord, doch am besten trifft es mein aramäischer Name. Mammon, schnöder Mammon. Denn genau das bin ich, ein wertloser Götze, der noch nie etwas Gutes für euch getan hat.

Längst habe ich mich als Weltreligion etabliert, kein Staat kommt mehr ohne mich aus. Ich bin der Grund für eure Kriege, ich zerstöre Freundschaften und entzweie Familien, denn beim Geld hört jede Freundschaft auf. Nur wegen mir versucht ihr nicht mal euren Planeten zu retten, denn jeder Versuch sauberer zu wirtschaften schwächt die Einnahmen. Mich, das Geld, liebt er mehr, als die einzige Heimat, die ihr habt.

Ihr wisst das, aber aufgeben werdet ihr mich nie. Ihr tauscht eure knapp bemessene Lebenszeit ein, um Geld zu bekommen, nur um es dann für Zeug auszugeben, das ihr nicht braucht, um die zu beeindrucken, die ihr nicht leiden könnt. Und zu allem Überfluss verzockt ihr es, im naiven Glauben, es könnte ja diesmal klappen beim Lotto. Wird es nicht, ich bin doch nicht blöd. Mit all dem nährt ihr mich, meint ihr, ich will meine Sklaven verlieren?

Du fehlst noch in unserer Sammlung

Ich habe alles vorbereitet. Der lange Flur glänzt und die Holzgeländer rechts und links an den Wänden sind wieder fest montiert. Alles schläft und es herrscht eine friedliche Stille. Nur der Kühlschrank im Schwesternzimmer brummt ein wenig. Die große Uhr im Flur macht tick, tack, tick, tack. Leise, ich kann es hören, du nicht mehr.

Ich hole dich aus deinem Bett und ziehe dir den alten Frotteebademantel über. Mein Namensschild bleibt an ihm hängen und zieht einen langen Faden. Du lächelst mich sanft an und streichelst mit dem krummen Zeigefinger über das Schild. Dein Lächeln wird breiter und mit deinem zahnlosen Mund, dem faltigen Hals und dem unsichtbarem Haar siehst du beinahe aus, wie eine Schildkröte.
„Heimdall“, hauchst du krächzend.
„Ja, lass uns gehen.“, sage ich und schiebe dich sanft in den Flur.
Er ist in Licht getaucht. Es scheint gleißend durch das Fenster am Ende des Ganges. Überall an der Decke habe ich kleine Glasprismen aufgehängt und zusammen mit dem Licht vom Fenster erstrahlt der ganze Flur in Spektralfarben. Staunend und mit offenem Mund schaust du nach oben. Deine steifen Finger greifen nach dem Holzgeländer und schlurfend gehst du mit mir den Gang hinunter ins Licht. Deine Hausschuhe sprechen mit der Uhr im gleichen Rhythmus. Schlurf, patsch, tick, tack, schlurf, patsch, tick, tack. Du freust dich wie ein Kind.
Wir müssen uns beeilen, denn ich höre Unruhe aufkommen. Die Mittagsruhe ist vorbei und es wird gleich Kaffee und Kuchen ausgeteilt.
„Ich hole dich nach Hause. Wir gehen über die Regenbogenbrücke. Du wirst da gebraucht. Odin wartet schon auf uns.“
„Endlich.“, sagst du.
Blendend weißes Licht umhüllt uns und ich kann noch folgendes hören.
„Lena, schnell ruf den Notarzt. Siegmund Drebinski liegt im Flur.“, schreit eine Frauenstimme.
„Oder, nein. Lass gut sein. Er hat es geschafft.“, murmelt sie leise.

Kerbero’s Burnout


Unterwelt, 21.07.2023

Sehr geehrter Herr Satan,

lange habe ich geschwiegen und Ihr Treiben wortlos hingenommen. Nun muss ich jedoch meinen Unmut kundtun, so kann es nicht mehr weitergehen.
Wie Sie wissen, ist die Unterwelt nicht unendlich groß. Wir können hier mit dem riesigen Zustrom an Neuankömmlingen nicht mehr fertig werden. Es fehlt an Platz, es fehlt an Foltergeräten, mein armer Kerberos ist kurz vor einem Burnout. Teilweise passiert es ihm inzwischen, dass Menschen aus der Unterwelt entfliehen können. Und ich kann ihm dafür nicht einmal böse sein – einerseits ist er überlastet, andererseits bin ich inzwischen froh um jeden Platz, der hier unten frei wird!
Herr Satan, in aller Freundschaft, bitte regeln Sie das bald! Es macht den Anschein, dass inzwischen gar niemand mehr es verdient hat, seine Ewigkeit im Paradies zu verbringen, stattdessen landen alle bei mir herunten. So viel Böses zu säen, das kann doch selbst Ihnen keinen Spaß mehr machen.
Gerne bin ich zu einem persönlichen Gespräch bereit, falls ich etwas dazu beitragen kann, die Situation hier unten zu entschärfen.
Ich bin mir sicher, wir finden eine gemeinsame Lösung.

Mit freundlichen Grüßen,
Hades


Fegefeuer, 14.08.2023

Hades,
rate mal, was du mich kannst…
S.


Himmelstor, 03.09.2023

Werter Hades,

mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich hilfesuchend an unseren gefallenen Engel gewandt hast.
Nun, ich muss zu meiner Schande zugeben, dass es wohl nicht nur seine Schuld ist, wie sich die Welt entwickelt. Ich muss gestehen, das mit dem freien Willen war wohl doch nicht meine beste Idee.

Gott

Auf ein Wort: Hoffnung!

Ich ziehe die Decke etwas näher an mich heran, die Winterkälte ist das Schlimmste, sogar noch schlimmer als die verfluchte Sonne. Doch die Stimme hinter mir bleibt beharrlich.
»Du musst aufstehen. Es ist an der Zeit.«
Allmählich drehe ich meinen Körper auf die Seite, so das ich sie ansehen kann. Sie ist wunderschön. Ein Teil der Abmachung.
»Wie viele?«, frage ich ohne wirkliches Interesse.
»Viele«, antwortet sie. »Es herrscht Krieg.«
»Wo?«
»Hier und da. In Afrika, Südamerika. In Europa.«

Europa. Meine alte Heimat. Ich hole tief Luft, versuche, den Moment noch herauszuzögern, doch dann schieben meine Arme mich nach oben.
»Aphrodite, gib mir bitte meinen Mantel.« Sie tut es. »Und das Ding.« Sie reicht mir einen knorrigen, schwarzen Stab aus Haselnussholz, an dessen Ende ein Sensenblatt angebracht ist. Missmutig nicke ich. »Also los.«

Ich schiebe die dunkle Eichentür auf und trete auf den Flur. Sie folgt mir dichtauf.
»Die anderen Götter sind fort«, brumme ich vor mich hin, während ich in die Dunkelheit trotte.
»Ja.« Ihre Stimme klingt sanft zu mir herüber.
»Nur ich bin noch übrig.«
»Nur wir sind noch übrig.«
»Ja, nur wir.«

Je mehr wir uns der Kammer nähern, desto lauter werden das Stöhnen und das Jammern.
»Das die immer noch keinen Neuen dafür gefunden haben.«
»Sie haben Angst, das ist alles.«
»Und was hat das damit zu tun?« Ich halte an und drehe mich um. Überrascht schaue ich sie an.
»Die Menschen«, fängt sie an, doch dann zögert sie. Ihre Augen verengen sich. »Hades«, sagt sie dann zu mir und fixiert mich. »Sie suchen Erlösung, aber«, wieder zögert sie, »sie suchen nicht wirklich. Sie fliehen einfach nur vor ihrer Angst. Ihre Götter sind nichts als Fantasie. Luftschlösser, schön angemalte Gefängnisse der Illusion.«
»Wovor haben sie denn Angst?«
»Vor dem Tod«, flüstert die Göttin der Liebe in mein Ohr. »Und vor dem Leben.«
Das Erste mach Sinn, das Zweite weniger. Aber sie bleibt beharrlich: »Erst, wenn das Leben und der tot sich treffen und sich lieben, dann kann es Erlösung geben.«
Sich treffen? Erlösung? Warum sollte es Erlösung geben? »Warum sollte es Erlösung geben? Ich bin der Gott der Unterwelt.«
»Genau«, sagt sie. »Also musst du auch deinen Teil davon erfüllen.«

Erst später, als ich schon in der Halle bin, merkte ich, dass sie von der Liebe gesprochen hatte. Ich sehe mich um, doch sie ist nirgends zu sehen. Dann wird es mir klar: Auch ich habe Angst – vor der Liebe. Das nächste Mal, wenn ich sie sehe, werde ich es ihr sagen. »Ich liebe Dich. Hoffnung. Es gibt Hoffnung.«

Hebe

Ich blinzle ins helle Licht einer Sommersonne, die nicht ganz meine Eigene zu sein scheint. Etwas hat sich verändert, seit ich eingeschlafen bin. Die Welt um mich her ragt hoch und grau auf. Ein weiter Platz in düsteren Grautönen, auf dem sich einige Bäume, Bänke und Blumenbeete verteilen.
Diese Architektur - hohe einförmige Türme, überall abweisend spiegelndes Glas - was ist nur aus den Menschen geworden, während ich weg war? Athena muss durchgedreht sein.
Ein Junge rennt an mir vorbei, oder nein, er rollt. Auf einem Brett. Neugierig schaue ich hinterher, wie er eine Schleife dreht und wieder zurückkommt.
„Hey, Junge“, rufe ich mangels eines Namens aus und er schaut tatsächlich in meine Richtung. Ich winke ihn zu mir. „Was ist das für ein tolles Brett auf dem du fährst?“
Der Junge sieht mich vollkommen entgeistert an, dann, nach kurzem Überlegen, setzt er, einen Fuß auf das Brett und rollt zügig von dannen ohne ein Wort gesagt zu haben. Die Jugend scheint sich genauso verändert zu haben wie die Architektur – mal wieder. Ich wandere weiter durch den Park. Es kommt mir immer noch alles etwas düster vor, aber ich entdecke auch eine gewisse Eleganz in den Dingen. Ich passiere eine verspielt geschmiedete Parkbank und finde mich schließlich auf einem Platz wieder, der von verschiedengroßen, naturgrauen Steinquadern dominiert wird. Die Schlichtheit des Ganzen ist erschlagend. Auf den Steinen sitzen Dutzende Menschen, manche mit Picknickdeckchen, andere auf dem bloßen, von der Sonne gewärmten Stein. Die meisten in Grüppchen einige alleine. Was fast alle gemein haben, sind allerdings die kleinen rechteckigen Geräte in ihren Händen.
„Was macht ihr da?“, frage ich eine Gruppe Jugendlicher, die gemeinsam an einem Stein lehnen, jeder in seine Gerätschaft versunken.
„Was geht dich das an?“, fragt ein Junge.
„Sei ruhig, Jonathan“, ein anderer.
„Ich schreibe mit meinem Freund“, lächelt ein Mädchen.
„Damit kann man Briefe schreiben?“, frage ich, entgeistert ob der Wundertechnologie, die die Menschen nun zu besitzen scheinen.
„Whats App Nachrichten“, sagt das Mädchen trocken.
Ich möchte mehr wissen, habe aber das Gefühl, dass diese Gruppe mir nicht sonderlich wohlgesonnen ist und gehe weiter.

Nachdem ich ein wenig durch den Steingarten gewandert bin, sehe ich im Schatten eines der größten Steine ein Mädchen mit langem, schwarzem Haar, das konzentriert auf eine beinahe kopfgroße Tafel starrt, und schlendere, wie beiläufig, hinüber.
„Was machst du da?“, erkundige ich mich und setzte mich neben sie.
„Ich schreibe.“
„Whats App Nachrichten?“, frage ich kennerhaft.
„Du verarscht mich, oder?“
„Darf ich mal lesen?“, frage ich, um das Thema zu wechseln.
Sie mustert mich für einen Moment kritisch, dann rückt sie näher, sodass ich die Vorderseite der - wie ich sie jetzt nenne – Superschiefertafel sehen kann. Darauf ist ein Text zu sehen. Keine kurzen Nachrichten. Nein, ein Fließtext und er handelt von jemandem, den ich kenne.
„Die Götter sind nicht tot!“ Jubiliere ich und vergesse für einen Moment meine Umgebung. Das Mädchen wirft mir einen argwöhnischen Blick zu, rückt wieder ein kleines Stück von mir ab. „Sag, woher kennst du Hepheistos?“, frage ich aufgeregt.
„Ist das hier mit versteckter Kamera?“, fragt sie skeptisch und sieht sich misstrauisch um.
Eine Kamera? „Ist auch egal“, sage ich schnell. Ich möchte mir nicht auch noch dieses Gespräch zerstören. Also sitzen wir eine Weile schweigend nebeneinander, während das Mädchen einige Sätze in seinem Text korrigiert.
„Wie gefällt dir meine Geschichte bisher?“, fragt sie wie nebenher.
„Ich finde, dass sie gut einfängt wie es sich anfühlt. Aber der Schreibstil ist ein wenig merkwürdig.“
„Weißt du was wirklich merkwürdig ist?“, fragt das Mädchen. „Du.“
Wir sitzen wieder eine Weile schweigend da und ich beobachte, wie die Menschen, ihre Superschiefertafeln in der Hand über den Platz gehen. Manche haben ihre Tafeln an Stangen befestigt und posieren.
„So, ich glaube ich bin fertig“, sagt das Mädchen schließlich.
„Darf ich auch mal?“, frage ich.
„Nur, wenn du nicht damit wegläufst.“
„Ich schwöre, dass du deine Superscheifertafel zurückerhältst, sobald ich meine Geschichte geschrieben habe, andernfalls möge ein Adler auf ewig von meiner Leber fressen.“
„Das war Prometheus, oder?“, fragt das Mädchen offensichtlich belustigt und gibt mir die Superschiefertafel. „Außerdem ist das hier ein IPad.“
„Mit dem da unten kann ich schreiben?“
„Ja, genau. Einfach auf die Tasten mit den Buchstaben drauf tippen.
Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
„Nein, nur kurz."
i
„Jetzt noch die Taste hier drücken, wenn der Buchstabe groß sein soll.“

Ich blinzle ins helle Licht einer Sommersonne, die nicht ganz meine eigene zu sein scheint.

„Das sieht doch schon gut aus“, sagt sie.
Also schreibe ich weiter, während das Mädchen mir zunächst belustigt und dann nachdenklich über die Schulter schaut. Ich war vielleicht ein paar Jahre oder Jahrhunderte außer Gefecht, aber mein Gedächtnis ist immer noch perfekt und ich habe eine Geschichte zu erzählen!
Was ich danach mache? Mal sehen. Vielleicht suche ich mir auch ein neues Fachgebiet es scheinen einige Stellen frei geworden zu sein. Schreiben macht Spaß und den Draht zur Jugend scheine ich ohnehin ein wenig verloren zu haben.

Ich liebe…mich

Schaut euch an, schaut nur, wie schön ihr seid!
In keiner Zeit gab es so viele Spiegel um jedem, der es wert ist, dies täglich - ach was sag ich, minütlich zu beweisen. Die Möglichkeiten der Selbstinszenierung sprengen alles, was ich mir hätte vorstellen können.
Keine unbeständige Wasseroberfläche mehr, keine Verzerrung der edlen Züge durch einen kleinen Kiesel und seine Kreise. Nun ist es möglich sich selbst immer im besten Licht zu sehen…, oh Moment…, ein schnelles Selfie mit…, keine Ahnung wer das ist. Scheint wichtig in eurer Zeit.
Er spiegelt sich noch in diesem kleinen Ding. Es wirft sein Bildnis in eine Welt voller Reflexionen, und in allen sieht er nur sich. Viele warten schon darauf. Immer mehr, wie mir scheint.
Ich wundere mich. Es gibt keinen Diener mehr gibt, der dem Jubel entgegen spricht: „Bedenke, dass du ein Mensch bist.“
Wie herrlich, dass die unkenden Selbstwert-Entwerter weniger und weniger werden.
Lasst uns aufbrechen in eine Zukunft, die heute bereits von allen Reklametafeln der Welt auf euch herabblickt. In der geschickte Hände das Altern bis ins Unendliche verzögern können.
Wer weiß, vielleicht findet ihr sogar die Quelle der ewigen Jugend.
Dort treffen wir uns.
Dann schauen wir gemeinsam - doch jeder für sich - hinein und verlieben uns für immer und immer wieder - in uns selbst.
Denn seid mal ehrlich: Gab es jemals eine verlässlichere Liebe? Eben!

Alle Jahrhunderte wieder

Als ich die Augen aufschlug war alles neu und alles gleich. Die Außenwelt sah anders aus, aber im Inneren war alles gleich geblieben.

Die Menschen hatten sich nicht geändert. Sie fuhren in Metall anstatt mit Kutschen und kleideten sich in Baumwolle anstatt Leinen aber sie wurden immer noch beherrscht von denselben Herz, voller Liebe, Schmerz, Hass und Freundlichkeit wie in jedem Jahrhundert.

„Selber scheiß, anderes Jahrhundert“, fluchte Grandium, dessen Ablösung ich war, damit er in einen ruhenden Schlaf gleiten konnte, „sei froh, dass du das 20. Jahrhundert verpasst hast. Shitshow, durch und durch.“

Ich schwieg, wollte mir meine eigene Meinung bilden. Es gab immer Höhen und Tiefen, Gutes und Böses, eine dunkle und eine helle Sei-…na, ihr versteht schon.

„Möchten Sie noch einen Kaffee?“, ein junger Kellner schaute uns freundlich an und als unsere Blicke sich trafen, brach ein Lächeln auf meinem Gesicht aus.

Das war mein Grund immer wieder zu kehren: der junge Kellner, der in seinem letzten Leben ein Graf war, davor ein Schmied, davor eine Nobelsdame.

„Noch ein Kaffee wäre wundervoll.“