Wenn der Frieden im Schrank feststeckt, macht Mars mobil.
Pax
„Ich habe es euch gesagt, ich bin nicht der Richtige für diese Mission, aber ihr wusstet es mal wieder besser. Jetzt sitze ich hier auf dem Baum und weiß nicht, was ich tun soll.“
Die Lage, in der ich mich befand, war alles andere als zufriedenstellend. Ich bin Pax, der Gott des Friedens. Was soll ich auf einem Planeten, der von Krieg, Gewalt, Missgunst, Intrigen, Neid und Egoismus dominiert wird? Man hätte wohl besser Mars herschicken sollen, der versteht was von Krieg, Aufruhr und solchen Sachen. Ich kann nur Frieden herstellen, wenn die Leute gesprächsbereit und einsichtig sind. Aber Mars gondelte gerade irgendwo in GN-Z11 herum und deshalb wollte man ihm den weiten Weg bis zur Erde nicht zumuten. Stattdessen riss man mich aus Voluptas Armen, mit der ich mich in den Andromeda-Nebel zurückgezogen hatte, um unser göttliches Dasein ein wenig zu genießen. Mein Pech, dass ich damit am nächsten dran war, am Zielplaneten dieser Mission.
Ich fragte mich, was Voluptas jetzt wohl macht, so ganz ohne mich, in den Weiten von Andromeda? Ich hoffe nicht, dass Silvanus sie aufspürt und mir wegschnappt. Der besamt doch alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Womit mich meine Gedanken zurück zu meiner augenblicklichen Situation führten.
Seit zehn Minuten, seit ich auf der Erde ankam, drückt mir dieser knorpelige Ast ins Gesäß und bereitet mir Schmerzen. Einen erhabenen Ort sollte ich mir aussuchen, so wurde es mir ans Herz gelegt, aber nicht zu erhaben durfte er sein, damit ich mit den Menschen noch ins Gespräch kommen kann. Also hatte ich mich für diesen Baum entschieden, von dem ich annahm, dass er strategisch günstig lag. Die Bauwerke in der Stadt waren viel zu hoch. Man hätte mich in solchen Höhen nicht mal bemerkt und ein Gerede wäre allenfalls als Geschrei möglich gewesen.
„Was habe ich getan, Jupiter, dass du so entschieden hast? Mars wäre vielleicht eine Stunde später hier gewesen, auf die es nicht angekommen wäre. Bei dem Zustand hier sind wir eh viel zu spät dran. Ich kann hier jedenfalls nichts mehr retten.“
Ich hörte mich reden und fragte mich, ob es für einen Gott angemessen ist, dass er Selbstgespräche führt. Die Verbindung zu meinen göttlichen Kollegen war unterbrochen, das hatte ich längst festgestellt. Wir funken auf 22,2 GHz. Um die Erde flogen aber so viele Satelliten, die alle im Mikrowellenbereich herum krächzen, dass unser Band komplett platt gemacht wurde. Womit klar war, dass ich auf mich allein gestellt war.
„Hey, Alter, was machst du da oben? Bist du nicht ein bisschen zu alt, um auf Bäumen herum zu klettern?“
Die Stimme kam von unten. Unter dem Baum stand ein junger Mann und blickte zu mir hoch, was ich als angemessen empfand. Er hielt etwas am Ohr und sprach hinein, was ich nicht verstand, weil es zu leise war. Als er das komische Ding wegsteckte, antwortete ich ihm.
„Ah, entschuldige, lieber Mensch, ich hatte dich nicht bemerkt.“
„Lieber Mensch? Hast du sie noch alle an der Waffel?“
„Nun, ich kenne ja deinen Namen nicht. Wenn du ihn mir nennst, werde ich dich gerne mit demselben ansprechen.“
„Sag mir doch erstmal, wer du bist.“
„Ah, ja, ich habe mich ja noch nicht vorgestellt. Das war unhöflich von mir. Mein Name ist Pax.“
„Pax, echt? Ich lach mich kaputt. Bist du bei Ikea ausgebrochen oder haben sie dich rausgeschmissen?“
„Ikea? Ähm, was oder wer ist das?“
„Du bist ja wirklich komplett von der Rolle was. Ikea, verstehst du? Pax. Schrank und so. Alter, die kennt doch jeder.“
„Nun, du scheinst dich auszukennen, aber ich komme ja nicht von hier.“
„Ach so, das erklärt alles. Wo kommst du denn her?“
„Von Andromeda. Das ist etwa 2,5 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Ich habe fast zwei Minuten gebraucht, um von dort hierher zu kommen.“
„Häh? Du schneist ja wirklich bekloppt zu sein. Plämpläm, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Nein, das bin ich nicht. Ich bin Pax, der Gott des Friedens.“
„Na klar, und ich bin Elvis, der Gott des Rock and Roll.“
„Ah, schön, dass du dich mir jetzt auch vorgestellt hast. Hallo Elvis. Aber ein Gott kannst du nicht sein, sonst würde ich dich kennen.“
„Aber du bist einer, ja? Sitzt im Nachthemd auf einem Baum und weißt nicht, wie du runterkommen sollst. Toller Gott.“
So unrecht hatte der junge Mann gar nicht, ich war tatsächlich etwas ängstlich, ob ich nicht herabstürzen könnte. Meine nackten Füße waren es nicht gewohnt, auf derart unebenem Grund Halt zu finden. Vielleicht hätte ich mich doch besser auf einem der Gebäude platzieren sollen.
„Wenn du meine missliche Lage schon bemerkt hast, dann könntest du mir doch sicher auch herunterhelfen, oder?“
„Könnte ich schon, aber vielleicht ist es besser, ich rufe die Feuerwehr.“
„Wieso denn die Feuerwehr? Es brennt doch nicht. Wenn du mit deinen starken Schultern an den Stamm trittst, dann kann ich mich darauf abstützen und herunterkommen.“
„Ja klar, und dann fallen wir beide auf die Fresse und du zerreißt mir dabei meine neue Bugatti-Jacke. Nee, Alter, darauf hab ich keinen Bock.“
„Ja, ein Bock wäre noch besser, aber komm schon, wir haben keinen, also hilf mir herunter.“
Tatsächlich trat der junge Mann an den Stamm heran, streckte mir eine Hand entgegen und half mir, sodass ich unbeschadet auf festem Boden zu stehen kam.
„Vielen Dank, Elvis. Es steckt doch mehr Entgegenkommen in dir, als du zugeben willst.“
„Nun laber nicht so nen Stuss, Alter, ich heiße Martin. Das mit Elvis war doch nur ein Scherz.“
„Ah, Martin. Von einem Martin wurde mal in unseren göttlichen Kreisen etwas erwähnt. Ich erinnere mich aber nicht mehr, was es war. Aber sag doch mal, Elvis, ähm, Martin, wo sind wir denn hier eigentlich genau. Und nenn mich nicht immer Alter, ich heiße Pax.“
„Du willst mich doch wirklich verarschen, oder? Ist hier irgendwo eine Kamera versteckt?“
„Wieso Kamera? Ich möcht doch nur wissen, wie dieser Ort hier heißt.“
„Köln, Alter, ähm, Pax, oder so. Du bist hier in Köln. Guck mal, da hinten, geradeaus über den Bäumen, siehst du da die beiden Spitzen?“
„Nun ja, ich bin zwar ein Gott, aber nicht blind. Sicher sehe ich diese Spitzen. Sie scheinen von einem hohen Gebäude zu sein.“
„Oh, Schmerz lass nach. Das hält ja keine Sau aus. Das ist der Kölner Dom. Capito? Der Kölner Dom. Den musst du doch kennen. Er ist das größte Gotteshaus in Deutschland. Bist mir ein schöner Gott und weißt nicht mal, wo deine Häuser stehen.“
„Ah, ja, von diesem Dom habe ich auch schon mal etwas gehört, aber mein Haus ist es nicht. Auch wir Götter tun gut daran, das Eigentum der Anderen zu achten. Aber du könntest mich dorthin führen, dann kann ich mir das Haus mal ansehen.“
„Haus ist gut, das ist ein Dom.“
„Auch ein Dom ist ein Haus. Führst du mich nun hin oder nicht?“
In diesem Augenblick näherte sich langsam ein großer Wagen über den schmalen Weg. Kurz vor uns hielt er an. Zwei Männer in komischen Anzügen sprangen heraus und kamen zu uns herüber. Sie lächelten.
Noch bevor ich die Ankömmlinge freundlich begrüßen konnte, überrumpelten sie mich. Obwohl es nicht kalt war, zogen sie mir, in wohl geübter Manier, eine Jacke über. Die Ärmel dieser Jacke waren jedoch so unglücklich mit Bändern fixiert, dass ich meine Arme nicht mehr bewegen konnte. Offensichtlich wollten sie mich kidnappen.
Gerade, als sie dabei waren, mich in den Wagen zu zerren, gab es einen hallenden Donnerschlag und eine mir wohl bekannte Stimme schallte durch den Park.
„Halt. Was bildet ihr Erdlinge euch ein, so mit einem Gott umzuspringen?“
Erschrocken blickten sich die beiden Männer um. Auch der junge Elvis oder Martin oder wie er auch immer heißen mochte, sah zu der imposanten Erscheinung hinüber, die dies in grollendem Ton gerufen hatte. Im selben Augenblick öffneten sich die Verschlingungen der Ärmel meiner Jacke von ganz allein und sie fiel von mir ab.
„Mars? Du? Hier? Das hatte ich jetzt nicht erwartet. Wie kommt es dazu?“
„Die Verbindung zu dir ging verloren, Pax. Daraufhin hat Voluptas bei Jupiter interveniert und der Chef hat sofort reagiert.“
Als ich dies hörte, strich mir ein warmes Gefühl ums Herz. Aber Mars war mit seinen Ausführungen noch nicht am Ende.
„Er hat die Frequenz gewechselt und mich her delegiert. Wie es aussieht, ist der Frieden, also bis du derzeit bei ihr in Andromeda besser aufgehoben. Die Erde braucht jetzt eine harte Hand, vielleicht sogar eine sehr harte. Deshalb übernehme ich. Ab sofort. Bis auf Weiteres.“
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