Seitenwind Woche 7: Mach eine Szene!

Unser Schreibthema der Woche: Dramatis personae :alembic: :test_tube:

ANREGUNG

Ein unangemeldeter Besucher klopft an die Tür des Alchemisten. Einmal, zweimal, ein drittes Mal. Der Alchemist, der sich versehentlich eine Überdosis seines jüngsten Elixirs verpasst hat, öffnet die Tür.

Was passiert als nächstes? Schreibe eine Szene mit einem Anfang, einem Höhepunkt und einem Schluss. Der Sinn einer Szene ist immer Veränderung.
Fordere deine Figuren heraus. Bring sie dazu, Entscheidungen zu treffen. Am Ende sollten sie in einer anderen Situation oder Verfassung sein als zu Beginn.

Du hast die Wahl … aber mit welchen Folgen?

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Viel Spaß! :star_struck:

:bulb: Benutze diese Vorlage für bessere Sichtbarkeit:

Hier kommt dein Titel hin (lösch die Zeile, wenn du keinen hast)

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Ein kurzer Besuch

Mühsam hob er die Hand, um diese schwer auf die Türklinke zu legen. Knarrend schob sich diese langsam in die flutende Kälte. Aaaa, der Alchemist stöhnte und strich sich das schweißnasse Haar aus der Stirn. Dann blickte er blinzelnd auf die Gestalt, die vor ihm stand und ihn stumm anblickte. Was willst du, fragte der Alchemist mit zitternder Stimme und wusste doch sogleich, dass er die Tür nicht hätte öffnen sollen. Überhaupt hätte er wohl so einiges an diesem Tage unterlassen sollen. Angefangen von den Experimenten mit dem Kraut, das er von dem fahrenden Händler gegen einen Laib Brot getauscht hatte. Und von dem dieser nicht wusste, was es bewirken würde. Seufzend tat der Alchemist einen letzten Atemzug, bevor er auf der Türschwelle niedersank, direkt vor die Füße von Gevatter Tod.

„Es wirkt. Nicht zu fassen, es wirkt tatsächlich.“ Edgar trippelte auf der Stelle und gab sich beidseitig Ohrfeigen.

Er hatte jahrelang täglich experimentiert, die Rezeptur aus dem uralten Buch immer wieder leicht verändert. Mal mehr, mal weniger Kurkuma, Galgant, Alraune, Rote Beete und Ginseng, eine oder zwei Tollkirschen, Erdbeeren Bio oder nicht, gelegentlich eine Sperlingskralle oder Steinöl, manchmal Flohsamen oder eine Flasche Riesling. Keine der bisherigen Rezepturen hatte ihn jünger gemacht.

Doch jetzt schien es zu funktionieren, die Handvoll Buchstabennudeln hatte den Durchbruch gebracht. Sein elf Jahre altes Versuchskaninchen Anselm schlug nach der Gabe eines Teelöffels des Tranks Haken im Labor wie ein Blitz, blieb stehen, klopfte mit den Hinterpfoten und ging in die nächste Runde. Sehr gut.

Mal sehen, ob das bei seinem Kanarienvogel auch funktionieren würde, denn ernsthafte Wissenschaftler stellen ernsthafte Versuchsreihen an. Ein Tropfen, zwei Tropfen, drei Tropfen, vier Tropfen … es klopfte an der Tür. Jetzt nicht, dachte Edgar, Wo war ich? Also: zwei Tropfen, drei Tropfen, guten Appetit. Auf dem Käfigboden bildete sich ein Ei mit einem breiten Riss, der Vogel mühte sich hinein, und der Riss schloss sich. Hoppla, das war zu viel.

Vierzig Teelöffel sollten also für Edgar die korrekte Dosis sein, schließlich wog er exakt so viel wie 40 Anselms. Er wollte mit seinen 65 Jahren nicht nur nicht mehr älter, sondern sogar ein wenig jünger werden, 15 Jahre vielleicht. Ein Teelöffel, zwei Teelöffel, drei, vier, fünf, sechs, sieben … es klopfte an der Tür. Jetzt nicht, dachte Edgar. Wo war ich? Vier, fünf … So, das waren die 50 Teelöffel. Lecker, auch die Rote Beete schmeckte erdig heraus. Es klopfte an der Tür.

„Hallo Edgar. Wie geht’s Dir altem Hobby-Alchemisten, dem wohl letzten seiner Art?“

„Hobby-Alchemist? Emma, Du sagst Hobby-Alchemist zu mir? Schau mal mein altes Kaninchen an.“ Anselm sprang aus dem Stand einen Meter hoch und rannte im Kreis. „Und was sagst Du zu meinem Kanarienvogel?“ Im Käfig lag ein Ei. Es bildete sich ein Riss, ein feuchter Jungvogel quälte sich heraus – und gleich wieder hinein.

„Wie hast Du das gemacht?“

„Ist doch egal, Hauptsache es wirkt.“

„Edgar, was ist mit Dir? Dir wachsen ja wieder Haare auf dem Kopf.“

„Ich fühle mich bestens.“

„Aber Dein Bart fällt aus“.

„Gut. Bärte sind voll doof.“

„Edgar, wirst Du kleiner?“

„Ich will spielen gehen.“

Das Elixier des L.

Freundlich lächelnd tritt der Alchemist auf die Schwelle der Haustür.
„Sein behilflich Euch ich kann womit?“

Der Besucher hebt irritiert die linke Augenbraue. „Was ist mit Euch, Malegôr. Seid Ihr nicht wohl?“

Jetzt ist es am Alchemisten, verwundert zu sein. Er legt den Kopf leicht schräg, und schüttelt ihn dann in kleinen wackelnden Bewegungen. Dabei betrachtet er seinen Besucher neugierig.
„Darauf Ihr kommt wie? Gefühlt gut so mehr nicht lange mich habe ich. Hier von nicht wohl seid aber Ihr. Vor befremdlich mir es kommt so, sagt Ihr was, kann verstehen ich wenn auch. Wen an mich erinnert Ihr, Äusseres Euer wie ebenso. Herum falsch – Ihr seid irgendwie aber.“

Mit diesen Worten wendet der Alchemist sich um. „Kann tun Euch für ich was, mir sagt und herein nur kommt.“

Der Besucher macht einen Schritt über die Schwelle, bleibt dann aber unvermittelt stehen. Seine Finger kneten die Kappe, die er beim Eintreten abgenommen hat. „Ähm, ja… eigentlich…ach wisst Ihr, ich glaube, ich komme besser ein andermal wieder.“
Spricht’s, nickt höflich zum Abschied, und geht hinaus. Etwas zu heftig zieht er die Tür zu, als ob er sicher sein will, dass ihm nichts folgen kann.

Leise vor sich hin kichernd geht der Alchemist nach hinten und setzt sich in seinen dicken Ohrensessel zwischen Kamin und Fenster. Er nimmt ein Büchlein mit abgegriffenem Ledereinband zur Hand und beginnt darin zu blättern. „Du bist mir schon ein Schlitzohr, Leonardo! Nur schade, dass die Wirkung nicht länger anhält. Ein ganzer Tag, mei, das wäre mir ein Spaß!“

Meine Güte, wie oft sollte er noch klopfen? Man hatte ihm doch gesagt, Meister Mirello sei der Beste der Zunft. Verschwiegen, pünktlich und: zuverlässig. Davon merkte Taver gerade nichts. Dabei brauchte er dringend dieses Viagara-Zeug wegen Ameilia. Zum dritten Mal hämmerte er gegen die getäfelte Holztür.
»Meister Mire …«
Mit einem Ruck wurde die Tür aufgerissen, doch niemand stand im Türrahmen. Ein seltsamer Geruch kroch in Tavers Nase: Zimt, Minze und darunter ein Hauch Schwefel … puh. Er wedelte sich vorm Gesicht und trat ein.
»Meister Mirello?«
»Hier ooooben!«, flötete es.
Taver blickte auf. Unter den Dachbalken des Turms hing Meister Mirello. Hing? Eher schien er zu schweben. Um seinen Knöchel ein Seil, das zum Boden führte und an dem schmiedeeisernen Alchemietisch festgebunden worden war.
»Ohje. Meister, was ist passiert? Kann ich Euch helfen?«
»Aaalles in Ordnung. Das hat seine Richtigkeit. Aber wenn Ihr schon so fragt, könntet Ihr mich bitte herunterziehen? Und wickelt dabei das Seil um den Tisch.«
Taver befolgte seinen Wunsch. Unten angekommen schwebte der Meister einen Kopf über ihm, das Seil spannte.
»Nun, wie kann ich Euch helfen?«, frage Meister Mirello.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr keine Hilfe benötigt?«
»Neinneinneinnein, das kommt nur von meinem neusten Schwingelixier. Es soll einem die Leichtigkeit zurückgeben, die unter dem schweren Leben oft verlorengeht.« Taver nickte verständnisvoll. »Einen beschwingt machen, etwas schweben lassen. Was soll ich sagen? Es funktioniert besser, als ich gedacht hatte. Höchstens ein Viertel Fingerhut scheint mir notwendig. – Nun sagt schon, was ich für Euch tun kann?«
Taver zog den Kopf ein und flüsterte: »Man sagt, Ihr …«
»Jaaaaa?«
»Ihr habt so ein …«
»Ein?«
»Man nennt es …« Taver atmete durch. »Viagara«, stieß er erleichtert hervor.
»Oh, ach soooo … Natürlich. Da kann ich Euch helfen. Dort drüben«, er wies auf ein Regal hinterm Alchemietisch, »die Fläschchen mit der hellblauen Flüssigkeit sind es. Könnt Ihr euch selbst eins nehmen? Ihr seht ja, ich bin verhindert, ha ha.«
Taver eilte um den Tisch und hob vorsichtig eins der Fläschchen vom Regalboden. Die Flüssigkeit schimmerte wie der Sommerhimmel. Wenn Ameilia im Weizen lag, das Kleid aufgeschnürt …
»Einfach den Verschluss bis zum Rand füllen und trinken. Nach einer halben Stunde tritt die Wirkung ein. Ihr werdet begeistert sein, selbst der König – uuups!« Meister Mirello schlug die Hand vor den Mund.
»Wunderbar, ich nehm’s. Wieviel?«
»Fünf Goldtaler.«
Taver atmete tief ein und griff sich auf die Brust.
»Gut, gut. Weil Ihr es seid und Ihr mir geholfen habt, mein Lieber, gebe ich es Euch für vier Goldtaler.«
»Drei!«
»Drei fünfzig!«
Taver seufzte. »In Ordnung.«
Er zählte die Taler ab und reichte sie Meister Mirello.
»Macht Euch keine Sorgen meinetwegen, ich komm hier schon wieder runter, jede Wirkung geht ein mal zu Ende.«
Taver packte das Fläschchen ein, verabschiedete sich und verließ den Alchemistenturm. In den Gassen herrschte reger Betrieb, eine Magd scheuchte eine Horde Gänse an ihm vorbei, eine Kutsche mit feinen Herrschaften ratterte vorüber. Taver blieb stehen. Nur noch den Markt überqueren, dann wäre er bei Ameilia. Sie durfte natürlich nichts von seinem kleinen Helfertrunk wissen … Eilig packte er das Fläschchen aus, träufelte die Kappe voll und trank.
Nun schnell zu Ameilia …
Er trabte über den Marktplatz. Vorm Haus stand Ameilias Mutter hinter ihrem Bäckerstand.
»He, Taver«, rief sie und winkte.
Er winkte zurück und eilte in ihre Richtung.
Mit einem lauten »Ratsch« riss der Schritt seiner Hose auf.

Die Rache des Alchemisten

»Mach endlich diese verdammte Tür auf oder ich werde sie eintreten, so wahr ich Renke von Broden heiße«. Der stämmige Mann schlug mit erhobener Faust immer wieder gegen die morsche Holztür. Mit jedem Schlag drohte das alte Holz zu brechen.
»Ist ja schon gut.«, hörte er eine krächzende Stimme aus dem Inneren der heruntergekommenen Hütte, die selbst zu ihren besten Zeiten nicht mehr als ein ärmlicher Stall gewesen sein konnte.
»Hört auf, gegen die Tür zu schlagen, ich komme ja schon.« Kurz darauf öffnete sich knarrend der Verschlag und das bärtige Gesicht eines alten Mannes erschien in der Lücke.
»Was wollt ihr, und wer gibt euch das Recht, hier …« Bevor er seine Frage beenden konnte, stieß sein Besucher die Tür auf, sodass der Alte den Halt verlor und sich nur mühsam an dem morschen Holz festklammern konnte.
»Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich warten lässt wie einen dahergelaufenen Bettler.«, stieß der Besucher hervor und schob seinen massigen Körper durch die winzige Öffnung.
»Ich bin Renke von Broden, Burgherr auf Burg Hohenstedt. Bist du der Giftmischer, der sich rühmt, Elixiere zu mischen, die einem Menschen den Verstand verwirren?«
Der Alte hatte sich gefangen und schloss die modrige Holztür. Im Raum war es dunkel. Nur die Feuerstelle, über der verschiedene Krüge hingen, spendete gerade so viel Licht, dass er das Gesicht des Eindringlings erkennen konnte. Er war nicht alt, hatte aber den Zenit seiner Jugend längst überschritten.
Seine Erscheinung ließ keinen Zweifel daran, dass er es gewohnt war zu befehlen. Befehle, denen sich niemand entgegenstellen würde.
»Man nennt mich Alexis und mit Elixieren habe ich nichts zu schaffen. Wenn Ihr deswegen gekommen seid, habt ihr den langen Weg umsonst gemacht.« Der Alte schlurfte gebeugt zu einem Tisch, setzte sich auf einen Hocker und griff nach einem Becher, den er sich an die Lippen setzte.
Mit zwei Schritten hatte ihn andere erreicht, packte ihn an seinem Wams und hob ihn mühelos hoch, als wäre er leicht wie das faule Heu, das auf dem Boden herum lag.
»Willst du mich zum Narren halten, Alter? Hier gibt es weit und breit keine andere Behausung als die deine. Ich frage dich nochmals, und du tust gut daran zu antworten. Bist du der Alchemist, der ›besondere Tränke‹ braut?« Mit dem letzten Wort stieß er den Alten von sich, der wie ein nasser Sack zu Boden fiel.
»Schon gut, edler Herr. Ich bin`s«, lenkte der Mann ein. Mühsam kam er auf die Knie und stemmte sich vom schmutzigen Boden hoch.
»Doch bevor wir über meine … meine besonderen Fähigkeiten sprechen, erlaubt mir zu fragen, wer euch zu mir schickt? Ich muss es wissen, ansonsten kann ich Euch nicht helfen.
»Nun ja, es schadet nichts, wenn ich es dir sage, Alter. Drunten im Dorf wohnt eine alte Vettel, die man Muriel nennt. Du kennst sie bestimmt. Sie ist das Hässlichste, was mir je unter die Augen gekommen ist. Sie hat mich den Weg zu dir teuer bezahlen lassen, obwohl ich ihr lieber ihren faltigen Hals umgedreht hätte.«
»Die gute Muriel«, brabbelte der Alte, »ist doch immer wieder eine treue Vermittlerin. Ich sollte ihr etwas Gutes zukommen lassen.«. Er schaute auf und blickte dem Burgherrn ins Gesicht.
»Nun gut, da Ihr es sowieso wisst, spielt es jetzt keine Rolle mehr. Ja, ich beherrsche die Zubereitung gewisser Elixiere. Tränke, die den Menschen die Sinne rauben und sie Dinge tun lassen, die sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können. Was ist euer Begehr, mein Herr.«
»Es handelt sich um eine …« Von Broden zögerte. Es war ihm anzusehen, dass es ihm nicht leicht über die Lippen kam.
»Nun es geht um eine delikate Angelegenheit, von der ich mir absolute Diskretion erbitte. Garantierst du mir dein Schweigen, wenn ich dir einen Auftrag erteile? Es soll nicht dein Schaden sein.« Renke von Broden hatte seine Stimme gesenkt, als befürchtete er, belauscht zu werden.
»Meine Loyalität gehört dem, der mich bezahlt«, sagte der Alte. Der Ton seiner Stimme wurde von der Vorfreude auf klingende Münzen begleitet. »Ihr könnt ohne Sorge sprechen, edler Herr.«
Einen Moment starrte der Burgherr den Alchemisten an. Konnte er ihm wirklich trauen? Hatte er eine Wahl? Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme nicht mehr so kräftig wie zuvor.
»Es gibt da eine Frau, eine junge Frau. Ihre Schönheit sucht ihresgleichen. Den Namen musst du nicht wissen. Ich werbe um sie seit einem langen, verfluchten Jahr. Doch diese hochnäsige, eingebildete …«, er zögerte, »diese … Dame verwehrt sich meinen Avancen. Sie hat die Impertinenz, mich, Renke von Broden, Burgherr von Hohenstedt abzuweisen; mich der Lächerlichkeit meines Standes preiszugeben. Kurzum, braue mir einen Trank, der sie meinem Werben gefügig macht. Nie wieder soll sie einen anderen lieben.«
»Mhm … Ihr wollt einen Liebestrank?«, fragte der Alte.
»Nenn es, wie du willst, solange es nur seinen Zweck erfüllt.«
»Bevor ich das Elixier zubereite, gibt es ein paar Regeln, die Ihr …« Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Ehe er zurückweichen konnte, packte ihn der andere am Wams und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
»Hast du jetzt verstanden, Alter, dass für mich keine Regeln bestehen oder muss ich es dir erst mit meinen Fäusten eindreschen?«

Der kleine Mann schüttelte vehement den Kopf. »Gut, Herr, … schon gut. Ich hab` verstanden. Keine Regeln.« Von Broden stieß ihn so hart von sich, dass er gegen den Tisch prallte.
»Und jetzt spute dich, Alter. Ich will nicht den ganzen Tag in dieser stinkenden Hütte zubringen.«
»Hat euch die hässliche Muriel gesagt, was ich für den Trank benötige?«
»Sie sagte, ein paar Haare würden genügen.« Er öffnete ein ledernes Säckchen und griff hinein. Als er die Hand hervorzog, hielt er eine Locke schwarzen Haares zwischen seinen Fingern.
»Reicht das für den Trank?«, wollte er wissen und streckte dem Alten die Haare entgegen.
»Das ist mehr als genug. Wenn Ihr genau meinen Anweisungen Folge leistet, wird sie schon bald Euer Bett wärmen, edler Herr.«
»Es soll dein Schaden nicht sein, aber wehe dir, wenn Isabella … wenn der Trank nicht wirkt.« Der Burgherr ließ offen, welche Strafe dann folgen sollte, aber Alexis hatte keinen Zweifel an seinen Worten.

Die nächste Stunde verbrachte der Alte mit der Zubereitung des Elixiers. Er mischte Zutaten aus verschiedenen Säckchen in den Sud, der in einem Kessel über dem Feuer köchelte. Der Burgherr beobachtete jede seiner Bewegungen. Hinterfragte jedes Pulver, das der Alte hinzumischte, ohne zu wissen, was die Namen bedeuteten, die er zu hören bekam. Dass der Alte die Haare Isabellas nicht nutzte, entging dem aufmerksamen Beobachter jedoch.
Schließlich füllte Alexis eine halbe Kelle dieses Suds in einen hölzernen Becher.
»Trinkt und wundert euch nicht des bitteren Geschmacks.« Er reichte dem Burgherrn den halbgefüllten Becher.
Von Broden blickte überrascht auf. »Warum muss ich es trinken? Ich dachte, ein paar Tropfen dieses Trankes in den Wein der Frau würden genügen. Willst du mich vergiften, Alter? Ich warne dich!« Mit einer fließenden Handbewegung zog der Mann einen Dolch unter seinem Mantel hervor und setzte die Spitze an den Hals des Alchemisten.
Alexis legte den Kopf zurück, um dem Druck der Dolchspitze zu mindern, die sich schmerzhaft gegen seinen Kehlkopf drückte.
»Ihr müsst beide davon trinken, sonst wirkt es nicht. Ihr zuerst.«
Zögernd schob von Broden den Dolch zurück in die Scheide unter seinem Mantel und nahm dem Alten den Becher aus der Hand. Er zögerte. Konnte er dem Giftmischer wirklich trauen? Doch welche Wahl hatte er? Isabella musste ihm gehören. Isabella, die schönste Frau, die er je begehrt hatte. Er war bereit, dafür jedes Risiko einzugehen.
Rasch setzte er den Becher an die Lippen und leerte ihn zur Neige. Das Gesöff schmeckte wie warmes, ranziges Fett, das wochenlang in einem Topf gestunken hatte. Nie zuvor hatte er so etwas Widerliches getrunken. Mit einem angewiderten Laut warf er den Becher nach dem Alchemisten, verfehlte ihn jedoch.
»Was hast du mir da gegeben, du elender Giftmischer?«
»Umso ekliger der Geschmack, umso größer die Wirkung. Das Gesetz der Alchemie, Herr von Broden.« Ohne den Mann eines weiteren Blickes zu widmen, wandte sich Alexis ab und füllte einen kleinen, gläsernen Flakon mit der Flüssigkeit. Er verschloss das Fläschchen und reichte es seinem Gast.
»Drei Tropfen ins Essen oder in den Wein und Eure Isabella wird euch auf ewig lieben. Ich schwöre bei meinem Leben.«
Von Broden nahm das Elixier und hielt es mit der Faust umschlossen. Er würde es hüten wie einen Edelstein und sollte es seine Wirkung nicht zeigen, würde der Alte es mit seinem Leben bezahlen.
»Doch eines bedenkt,«, schob der Alte ein, »die Wirkung des Elixiers kann niemals zurückgenommen werden.«
»Ich habe dies zu keiner Zeit in Erwägung gezogen«, antwortete von Broden. Er nahm einen ledernen Beutel aus seinem Mantel, zählte drei Münzen ab und warf sie vor dem Alchemisten in den Dreck.

Ohne ein weiteres Wort öffnete er die morsche Holztür und trat hinaus. Als er sein Pferd erreichte, waren seine Gedanken schon bei der Frau, die er wie nichts anderes auf dieser Welt begehrte. Muriel würde endlich ihm gehören. Kurz stutze er. Hatte er gerade an Muriel gedacht? Nein, seine Liebe galt Isa…, Isa…, Isabella? Verdammt, er wusste doch den Namen seiner Angebeteten. Als im Sattel saß und sein Pferd antrieb, lachte er. Natürlich wusste er den Namen. Niemals würde er Muriel vergessen. Isabella? Wer zur Hölle war Isabella?

Er betrachtete das Fläschchen in seiner Hand, dann warf er es mit einer ausholenden Bewegung zwischen die Bäume. Laut brüllend trieb er sein Pferd an. Er wusste genau, wo er Muriel finden würde. Muriel, die größte Liebe seines Lebens.

Alchi gibt auf

Das Klopfen wollte nicht aufhören. Die Tür, hinter der er sich verborgen hatte, liess Geräusche ungefiltert durch. Und jetzt auch noch diese Frage. "Ist alles in Ordnung?“. Nichts war in Ordnung. Der Lebensmittelchemiker Alchi war gerade aus seinem Labor geflüchtet und hatte sich in der Toilette verschanzt.
Er hatte schon einiges mitgemacht. Beispielsweise als Projektleiter für die Herstellung von Fruchtsäften, die keine waren. Sie enthielten nur Wasser, künstliche Aromastoffe und Plastikteile, die Fruchtfasern von Äpfeln oder Orangen vortäuschten. Es sollte ja möglichst naturtrüb aussehen. Auch Joghurt mit Sägemehl, Käse-Imitate oder Klebefleisch hatte er federführend auf den Markt gebracht. Und jetzt sollte er Fleischersatzprodukte entwickeln - das war zu viel für ihn. Und genau deswegen hatte es ihn auf die Toilette getrieben, um dort zum wiederholten mal die Verkostungen auszuwürgen, die er gerade zu sich genommen hatte.

„Ist alles in Ordnung?“ Erneut hörte er die besorgte Stimme seines Kollegen. Er raffte sich auf und entriegelte die Tür. Eine Schwindelattacke erfasste ihn und leichenblass verkündete er: „Ich kann nicht mehr. Ich mach das nicht mehr mit. Ich habe endgültig die Schnauze voll davon. Ich hasse diese gefakten Lebensmittel.“

"Alchi, alter Junge, komm zu dir“. Der Kollege griff Alchi unter die Arme. „Ich geb ja zu, die letzte Rezeptur war schon ziemlich ekelhaft, aber wir kriegen das hin. Komm, jetzt trinken wir erst mal einen Kaffee, und dann reden wir über die Verbesserungen.“ Alchi verdrehte die Augen und meinte nur, „aber keinen Kaffee aus unserer Produktion“.

Pfui Spinne

„Nein, doch nicht ausgerechnet jetzt!“ Robert fluchte, als es an der Wohnungstür klopfte. „Robert? Ich bin es Gina. Machst du auf? Ich würde gern über gestern Abend reden. Robert, sei nicht albern, ich wohne nebenan, ich hab doch gehört, dass du da bist.“ Zögerlich öffnete Robert die Tür. Nur einen Spalt breit. „Es ist ein schlechter Zeitpunkt Gina, können wir nicht heute Abend…Es geht mir nicht gut.“ Seine Hand rutschte von der Türklinke, wodurch sich die Tür weiter öffnete. Doch Robert war nicht mehr da. „Robert? Wo bist du so schnell hin?“ Irritiert trat Gina ein paar Schritte in die Wohnung. „Was ist mit dir? Du klingst gar nicht …wouw, das ist ja eine mega fette Spinne!“ Das Krabbeltier rannte wie betrunken im Kreis, panisch auf der Suche nach einem Versteck? Gina zog den Fuß an, wagte jedoch nicht sie zu zertreten. „Die ist voll ekelig.“ rief sie in Richtung Badezimmertür. Sie schloss die Augen, holte kurz Luft, gab sich einen Ruck und schmiss einen dicken Wälzer auf den kleinen Achtbeiner. „Ich hoffe du hängst nicht zu sehr an …ähm …‚die geheimen Elixiere der Alchemie Band 39‘?“ fragte sie die Badezimmertür.

Erst jetzt schaute Gina sich im Raum um. Bunsenbrenner, große Glaskaraffen, Reagenzgläser mit Flüssigkeiten in den verschiedensten Farben. „Hast du hier ein Drogenlabor?“ Stirnrunzelnd betrachtete sie die Arbeitsfläche. Eines der umliegenden Bücher war aufgeschlagen. "Elixier „Dwayne the Rock“ sie überflog die Seite „schneller Muskelaufbau ohne Training“ sie grinste. „Das klingt ja wie in einer Klatschzeitung beim Friseur.“ Die Badezimmertür antwortete nicht. „Und hier, wie geil, als Nebenwirkung steht bei Übersosis kann man sich in ein Insekt, Wurm oder eine Spinne verwandeln. Das hält dann fünf Stunden. Das steht in den Klatschzeitschriften nie“ johlte Gina „Was ein Murks“.

Plötzlich verstummte ihr Lachen. „Glaubst du etwa an sowas“ fragte sie so leise, dass die Badezimmertür es nicht hören konnte. Ein mulmiges Gefühl stieg in ihr auf. Wie gut kannte sie ihren Nachbarn wirklich? Die letzte Nacht war ein Fehler gewesen. Beim Verlassen der Wohnung fiel ihr Blick auf das Buch unter dem die zermatschte Spinne lag. „Hast du das etwa inszeniert um mich glauben zu lassen, ich hätte dich zerquetscht? Welche krankhafte Art jemanden zu Ghosten ist das denn? Robert? Rooobert?“

Träume in Wirklichkeit verwandeln

Er stellte das Glas mit der grünen Flüssigkeit auf den Tisch. Ein Tropfen von der roten hinein, nur ein Tropfen. Er schwamm oben auf der grünen Flüssigkeit, wie Öl. Der Alchimist lächelte zufrieden. Nun noch etwas von dem weiß-perligen Pulver und es ist vollbracht. Sachte schwenkte er das Glas. Das Pulver schäumte das Grün auf und zog den roten Tropfen in seinen Strudel. Ja, das war es! „Blei zu Gold! Träume zu Wirklichkeit!“, sagte er feierlich zu sich selbst, hob das Glas und nahm einen Schluck.

Und wie das wirkte! Schon zischte es in der Kehle, gurgelte der Bauch. Ja, es würde wirken. Blei zu Gold, Träume in Wirklichkeit!

Ein lautes Pochen ließ ihn aus seiner Verzückung aufschrecken. „Herr Schwarz! Sind Sie da drin? Herr Schwarz?“ Das verrückte Gesindel von draußen, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er würde sich nicht unterbrechen lassen.

Doch wieder klopfte es. Einmal. Zweimal. Dreimal… dann immer hektischer. „Herr Schwarz, ich weiß, dass Sie da wieder drin sind. Schwester Nicol hat Sie reingehen sehen. Machen Sie auf…!“ Noch ein letzter Schluck und das Glas war leer. Der Alchimist spürte einen Hitzeschwall durch seinen gesamten Körper strömen. Die Lunge brannte. „Störet mich nicht, ihr Pack!“, rief er nach draußen. „Schert euch weg und kümmert euch um euresgleichen!“ Er war bereit, zu empfangen. Möge die Gabe ihn erfüllen! Er breitete die Arme aus, schloss die Augen.

Draußen Stimmengewirr. „Hier der Schlüssel!“, „Schnell“, „Welcher ist es?“, „Der kleine hier…“, „Nein der andere…“. Dann sprang die Tür auf.

Der junge Pfleger rannte hinein. „Herr Schwarz!“.

„Man nennt mich den Alchimisten, junger Mann. Und ihr müsst Santiago sein?“

„Alchimist, ja natürlich… haben Sie wieder…?“ Er sah das leere Glas. „Oh Scheiße… Nicol! Nicol!“ Eine Nonne kam hinter ihm angetippelt. „Heute war’s Chlorreiniger… und Waschpulver… schnell… rufen Sie…“ Die Krankenschwester war schneller losgerannt, als man es ihr zugetraut hätte.

„Hören Sie, Herr Alchimist… wie fühlen Sie sich?“ „Ich fühle mich phantastisch, Santiago! Phantastisch.“ Aus seinem Mund schäumte es. „Ich spüre, es wirkt. Und du wirst teilhaben dürfen…“

„Herr Schwa… Herr Alchimist, bitte, darf ich Sie bitten, Sie müssen sich den Finger in den Hals… sehen Sie so… bitte…“

„Santiago, was für nichtiges Geschwatz aus deinem Munde! Aber nun: Empfange die Gabe von deinem Meister und höre! Denn alle suchen sie aus Blei Gold zu machen, doch du bist weise und weißt, worauf es ankommt. Folge deinem Herzen und… und du verwandelst… du verwandelst… Träume… in…“ Dann kippte Herr Schwarz um.

Als der Notarzt eintraf, hatte sein Herz schon aufgehört zu schlagen.

„Er wollte doch wieder nur Träume in Wirklichkeit verwandeln!“, sagte der Pfleger am Abend, sein Kopf im Schoß seiner Freundin, die ihm tröstend über das Haar strich und beruhigend zumurmelte.

Am nächsten Tag kündigte er. Der Alchimist hatte Recht.

…zu spät…

„Meister! Meister Hieronimus! Hört ihr nicht? Meister, ich bin’s. Ich bringe euch die bestellten Rattenschwänze.“
„Ja, ja…komme gleich - einen Moment.“
„…, Meister, bitte macht doch auf - es ist lausig kalt hier draußen!“
„Da bin ich, was wünscht du?“
„Ich hab hier die Rattenschwänze; ihr habt mir zwei Schilling dafür versprochen.“
„Wirklich?“
"Ja, wisst ihr nicht mehr - heute Morgen nach der Messe.
„Junge, du zitterst ja; komm doch rein ans Feuer. Bei der Kälte solltest du nicht draußen sein.“
„Danke, Meister.“
„…, warum klopfst du noch so spät bei mir?“
„Ähm, wegen der Rattenschwänze - Meister.“
„Welche Rattenschw…“
„Na diese hier!“
„Ich sehe sie, mein Junge, kein Grund sie mir vors Gesicht zu halten.“
„T’schuldigung - Meister. Aber ihr sagtet doch zu mir, dass ich sie schnellstens besorgen soll. Hat mich fast den ganzen Tag gekostet. Diese Viecher sind schwer zu kriegen…“
„Welche Viecher?“
„Die Ratten.“
„Ja, natürlich. Ratten sind ein großes Problem in unserer Stadt.“
„…, bekomme ich jetzt die zwei Schilling?“
„Wofür?“
„Für die Rattenschwänze - Meister Hieronimus. War euch wirklich wichtig. Ihr meintet, euch sei eines eurer Elixiere nicht gut bekommen. Und ihr bräuchtet die Rattenschwänze dringend für einen Trank gegen das Vergess …“
„Ja, natürlich… wer bist du noch gleich?“
„Ähm, Meister, ich bin’s - Alfred - der Sohn von Martha, der Wäscherin. Ich wohn hier im Nebenhaus.“
„Alfred - das ist aber schön. Dich habe ich ja ewig nicht gesehen!“
„Doch - heute Morgen erst - Meister Hieronimus. Und ihr habt mir zwei Schilling versprochen, wenn ich…“
„Na wenn ich dir heute Morgen zwei Schilling versprochen habe, dann sollst du sie auch haben … ähm…“
„Alfred.“
„Natürlich - weiß ich doch!“

Benommen öffnete Anselmus, Alchemist von Beruf, seine Augen. Wie sich sein Blick schärfte, war ihm, als hörte er einen Schrei verklingen und er meinte, einen Albtraum gehabt zu haben. Er befand sich in seinem Arbeitszimmer im vierten Stock. Zahlreiche Apparaturen bedeckten den Arbeitstisch, sowie Phiolen mit brodelnden Flüssigkeiten in den verschiedensten Formen und Größen. Mehrere Kerzen tauchten den Raum in schummriges Licht. Eine Phiole war leer und lag umgekippt auf der Tischplatte. Anselmus musste bei der Arbeit eingeschlafen sein, denn er saß aufrecht im Sessel. Ein dumpfes Pochen hatte ihn geweckt, nun erklang es erneut. Jemand klopfte an der Tür. Mühsam richtete sich der alte Alchemist auf und schlurfte zum Eingang. Als er den Schlüssel ins Schloss stecken wollte um aufzusperren, rutschte dieser ab und machte einen Kratzer im Holz, wo sich bereits eine Kerbe derselben Art befand. Anselmus schloss auf und öffnete. Ein Mann stand im Türrahmen. Er trug einen dunklen Mantel, hatte ein schmales Gesicht und unter seinen buschigen Augenbrauen funkelten ein Paar böser Augen hervor. Ein entsetzliches Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus, dann fragte er:
„Erinnert Ihr euch an mich?“
„Ich meine, euch schon einmal gesehen zu haben. Wann und wo kann ich mich allerdings nicht entsinnen.“
Dem unheimlichen Mann entfuhr ein heiseres Lachen. „Interessant! Nun, ich möchte Eurem Gedächtnis gerne auf die Sprünge helfen. Vor nicht allzu langer Zeit verkaufte ich Euch ein seltenes Kraut, aus dem Ihr sogleich einen Trank gebraut habt.“
„Tatsächlich, ich erinnere mich. Was war dies noch gleich für ein Kraut.“
„Die Wirkung ist durchaus einzigartig: Es ruft im Schlaf überaus reale Träume hervor. Ihr trankt von dem Elixier. Wisst Ihr, was dies bedeutet?“ Der Alchemist wurde blass. „Ich sehe, Ihr versteht. Tatsächlich sitzt Ihr in diesem Moment immer noch auf eurem Stuhl, und ich stehe neben Euch. Das interessante an der Situation ist, dass ich, als derjenige von uns beiden, der sich noch im Wachzustand befindet, Einfluss auf euren Traum nehmen kann und dazu brauche ich Euch bloß ins Ohr zu flüstern.“
Anselmus wurde totenblass. „Ich demonstriere!“ rief der Unheimliche und wie er die Worte sprach, wuchs sein ganzer Körper auf beträchtliche Größe an, während sein schauriges Lachen durch den Raum hallte. Der Alchemist wurde von heftigem Grauen erfasst. Seine Gedanken überschlugen sich. Es gab nur eine Möglichkeit, diesem Albtraum zu entkommen: Er musste aufwachen. Blitzschnell stürzte er zum Fenster und riss es weit auf. Er spürte die ausgestreckte Hand des Ungeheuers bereits an seinem Nacken, da schwang er sich hinaus und stürzte mit einem markerschütternden Schrei in die Tiefe.
Anselmus öffnete die Augen. Er hörte noch den Schrei aus seinem Traum. Die leere Phiole lag auf der Tischplatte. Er hätte wirklich nicht so viel von dem Elixier nehmen sollen. Dieses furchtbare Experiment würde er bestimmt nicht wiederholen. Es klopfte an der Tür. Er erhob sich und schlurfte zum Eingang, doch als er den Schlüssel ansetzte, rutschte dieser ab und machte einen Kratzer im Holz, wo sich bereits zwei Kerben derselben Art befanden.

Wer pochte da nur so unverschämt aufdringlich an die Tür?

In seinem Kopf dröhnte es wie in einem Glockenturm. Mit undeutlicher Brummstimme rief er nach einem Gehilfen, aber niemand hörte ihn oder das Klopfen, um die Tür zu öffnen.

Mit etwas Mühe gelang es ihm, seine schweren Glieder langsam von der Liege zu schieben, wobei ihm ein lauter Rülpser entfuhr. Da er nicht mehr der Jüngste war und auch sein beleibter Körper ihm beim Aufstehen nicht weiter behilflich sein wollte, suchte er nach einem brauchbaren Griff, an dem er sich hätte hochziehen können, fand aber keinen. Also ließ er sich vor dem Stuhl neben seiner Bettstatt auf die Knie fallen und stützte sich mit seinen starken Armen auf der Sitzfläche ab. Langsam und ächzend wie eine alte Zeder drückte er sich in eine aufrechte Position. Für einige Augenblicke musste er sich aber an der Stuhllehne festhalten, damit der Schwindel in seinem Kopf ihn nicht sofort wieder umwarf.

Erneut pochte es mit der vorherigen Aufdringlichkeit an der Tür.

Es war bereits später Nachmittag im hohen Norden. Finsternis wollte von draußen ins Innere des Gebäudes dringen, wurde aber von einer hellen Flurleuchte erfolgreich abgewehrt. Seinem Kopf gelang es immer noch nicht so recht, einen klaren Gedanken zu fassen. Zudem zog eine leichte Übelkeit vom Magen die Speiseröhre empor, unterwarf sich aber glücklicherweise der Kontrolle seines Organinhabers. Empört meldete sich nun noch seine Nase und beschwerte sich über ein Mix aus Schwefel, Ethyl und Erbrochenem.

Wankend und überall Halt suchend bewegte er sich langsam aus einem kleinen Flurzimmer zur Haustür. Wie war er überhaupt in diesen Raum gekommen und wie sah er jetzt aus? Sein beflecktes Hemd hing aus einer Hose, die gerade noch von den Hosenträgern unter dem Bauchansatz gehalten werden konnte. Die Stiefel, die er sonst trug, waren unauffindbar gewesen, weshalb er sich auf seinen schmutzigen Stricksocken zur Haustür schleppte.

Seltsam, die Kellerräume seines großen Wohnhauses beherbergten eine riesige Werkstatt, aus der normalerweise Hammer, Sägen, Hobel und viele andere Werkzeuge um die Wette bastelten. Im Labor daneben brodelten farbige Reagenzen in gläsernen Behältern, Messgeräte und eine lange Reihe von Versuchsanordnungen in Glas beherrschte die vorhandenen Tische. Fröhliche und ernste Stimmen untermalten gewöhnlich das eifrige Schaffen in den Räumen – nun aber vollkommene Ruhe wie in einem Totensaal.

Aus der nahen Scheune vernahm er das Umschichten von Heu, das Klappern von Geräten und das Bewegen eines Holzfahrzeugs. In den Ställen käuten Paarhufer an ihrem Abendfutter, damit sie als kräftige Zugtiere am nächsten Morgen bei einer anstrengenden Reise ihren wertvollen Dienst erfüllen konnten.

Das ganze Anwesen lag in einem Waldstück, etwas entfernt von der von Menschen bewohnten Fläche. Nur gelegentlich lenkte jemand seinen Weg zu diesem Grundstück, von dem man wusste, dass dort das ganze Jahr über ein Alchemist mit seinen Gehilfen wohnte. Sie verwandelten die Stoffe der Natur in heilende und betörende Elixiere, formten Rohstoffe in Werkzeuge, gewannen leuchtende Farbstoffe, vor allem das Purpurrot und ein helles Moosgrün. All das diente ihnen zur weiteren Verarbeitung der zahlreichen Aufträge. Sogar Gold aus unedlen Naturstoffen herzustellen, getraute man sich, ihnen anzudichten. Dem war aber nicht so. Die glitzernden Edelmetalle, welche sie benötigten, schürften sie in geheimen Minen und bearbeiteten sie später.

Obwohl die körperliche Bewegung auf seinem Weg zur Tür nur äußerst beschränkt war, zog sie dennoch gemächlich den grauen Schleier von seinem Gedächtnis. Am gestrigen Abend hatten er und seine Gehilfen alle Aufträge vorzeitig erledigt und das mit einigen Flaschen Wein gefeiert. Die lagerten zufällig in einem alten, verstaubten und mit Spinnweben benetzten Regal im Keller. Bei dieser Gelegenheit hatte der alkoholungewohnte Hausherr sich wohl etwas gehen lassen und mehr als eine Flasche des guten Tranks gebechert. Seinen Rausch schlief er danach aber fast einen ganzen Tag lang aus.

Ein drittes Mal dröhnte das Pochen an der Tür.

Er musste sich an den Kopf fassen, um den vom Klopfen verursachten Schmerz etwas zu mildern, ehe er die Türklinke drücken konnte. Dabei bemerkte er, dass seine weißen Haare ungeordnet auf dem Kopf tanzten und teilweise das Gesicht bedeckten. Er strich sie glatt, so gut es ging. Überdies versuchte er, seinem gleichfarbenen Rauschebart zu einem besseren Sitz zu verhelfen, was ihm aber auch nur unvollkommen gelang.

Vor der geöffneten Tür zeichnete sich das Schemen einer elfenhaften Gestalt von der Dunkelheit ab. Kälte drang in das Wohnungsinnere und hell leuchtete der Schnee von den Tannen und auf den gefrorenen Wegen.
»Das Labor ist geschlossen«, gab der Hausherr dem Fremden mit noch leicht lallender Stimme bekannt, ohne zuvor auf dessen Begehren gehört zu haben.
»Das weiß ich doch, Meister«, erwiderte das Schattenmännchen freundlich lächelnd und trat etwas näher in den Lichtschein. »Ich bin Euer Stallmeister.«
Schnell entfernte der Besucher sich aber wieder einige Schritte zurück in die Nacht, nachdem ihn ein seltsamer Zechgestank aus dem Flur erreicht hatte.

»Ach so«, gab der Hausherr zurück und bemerkte erst jetzt, dass auf seiner Nase die Brille fehlte. »Ist denn irgendetwas mit den Tieren?«

»Alles in Ordnung, Meister. Euer Schlitten ist beladen, die Rentiere sind gefüttert, und wenn Ihr Euren Rausch ausgeschlafen habt, dann ist es morgen wieder Zeit, sich auf den Weg zu machen. Die Menschenkinder warten bereits ungeduldig auf ihre Weihnachtsgeschenke.«

„Ich schwanke?“

„Guten Abend.“
„Ja, das könnte ein guter Abend sein. Sie wünschen?“
„Ich komme von… wieso schwanken Sie so?“
„Ich schwanke?“
„Sie schwanken sogar bedenklich.“
„Na sieh einer an… keine Sorge, alles was passiert wird notiert.“
„Dann bin ich beruhigt. Sie sind der Alchemist?“
„Soweit ich weiß schon.“
„Sie sind sich nicht sicher?“
„Das Schwanken scheint mein Gedächtnis zu beeinflussen. Es könnte auch gut sein, dass ich Metzger bin.“
„Wa- wie dem auch sei! Ich wurde geschickt, um Sie zu einer Konsultation zu bringen!“
„Eine Konsultation? Warten Sie. Blaue Hose, rote Schuhe - Sie sind einer der Boten vom Kardinal!“
„In der Tat.“
„In der Tat keine gute Nachricht, erst recht nicht an diesem Abend! Immer wenn ich von Ihrem Herrn zu einer einfachen Konsultation gerufen werde muss ich mich einem Abenteurertrupp anschließen!“
„…Wäre das so schlimm?“
„BiTtE?“
„Einem Abenteurertrupp anzugehören, meine ich. Ich würde das gerne. Wissen Sie, ich wollte immer ein Barde sein, aber die Prüfungen waren einfach zu schwer… und hier bin ich nun. Ist alles in Ordnung?“
„WaS MeInEn SiE?“
„Sie werden blau.“
„IhRe HoSe FäRbT ab! MuSs IcH hElFeN?“
„Das müssen Sie. Sie wissen schon, seit Artikel sieben in Kraft getreten ist. Todesstrafe bei Nichthelfen einer potentiell landesverändernden Sache.“
„BüRoKrATeNmIsT!“
„…Sie klingen komisch.“
„SiE mÜsStEn HöReN, wAs AuS iHrEm MuNd KoMmT! aLsO gUt, IcH bIn MoRgEn Am RaThAuS.“
„Ich danke Ihnen. Und vergessen Sie Ihre Siebenmeilenstiefel nicht, es wird eine lange Reise!“

Tue Gutes!

„Ich verbrauche mein Leben“, stöhnte Peter Silienstengel und streckte den Rücken. „Nacht für Nacht, Jahr für Jahr kein Erfolg!“ Er legte die erkaltete Pfeife beiseite. Im Vorgarten des Nachbarhauses krähte der Hahn gegen die sechs Schläge der Glocke von St. Bartholomeus an. Morgenrot wischte über den Arbeitstisch. Peter presste einen Daumen auf seine Nasenwurzel. Eine Müdigkeitsträne zwängte sich aus dem rechten Augenwinkel und verfing sich in seinem Backenbart.
Er pustete in das Teelicht unter dem Glaskolben. Die Kerze flackerte. Er bließ mit aller Kraft. Ein grauer Rauchfaden kräuselte sich in die Höhe und umgarnte die Kräuter, die an dem rußgeschwärzten Dachbalken hingen. Der Alchemist linste zwischen halb geschlossenen Lidern auf das Gefäß. Die braune Brühe darin sprudelte für einige Augenblicke weiter, beruhigte sich und schlief ein. Nein, aus dieser Suppe würde niemals Gold zu fischen sein! Mit mehr als zwanzig Essenzen aus Kräutern, mal verdünnt, mal pur, gemischt mit Mineralien und Salzen hatte er in den letzten zwölf Stunden experimentiert. Bei niedriger Temperatur, bei größter Hitze. Wieder eine verlorene Nacht. Drei Kerzen für nichts verbraucht, von den kostbaren Gewürzen aus dem Orient ganz zu schweigen. Er schob das Glasgefäß und den Reagenzglasständer beiseite, beugte sich vor. Sein Kopf sank auf die Arbeitsplatte. Nur fünf Minuten Schlaf, bevor … Es klopfte an der Tür. Oh nein, der erste Patient des Tages! Ein zweites Klopfen. Fordernder. Dann ein Poltern.
„Ich komme, ich komme!“ Peters Stimme war heiser vom Pfeifentabak. Er schlurfte zu einem deckenhohen Regal. Ohne hinzusehen, packte er eine bauchige Flasche. Der Korken quietschte. Ein Schluck von der Wachmacheressenz brannte auf der Zunge, glühte in seiner Kehle. Peter schüttelte sich, stellte die Flasche zurück. Er taumelte. Zählte bis drei, ein Blitz schlug hinter seinen Augen ein. Der Alchemist riss die Tür auf und grinste seinen Besucher an.
„Der Meister Müller, eine Freude, mit ihnen den neuen Tag zu begrüßen, herein, herein!“
„Verehrter Medicus Silienstengel, ihr seid schon wach, welch Glück. Und so lebendig am frühen Morgen!“ Der Gast trat ein und klopfte sich Mehl von seinem runden Bauch. Seine Finger hinterließen rote Striemen auf der Schürze.
„Setzt euch, lieber Müller. Von welcher Plage darf ich euch befreien?“
Der Müller zeigte seine blutigen Handflächen.
„Ärmster! Das Mehl beißt eure Haut.“
„Eine Qual, lieber Medicus. Wie soll ich weiterhin die Bäcker der Stadt versorgen, wenn das Schrot mein Feind ist?“ Der Müller schrumpfte zu einem Häuflein. Es klopfte an der Tür.
„Geduld bitte!“, rief der Alchemist. Er sprang auf und langte nach einem Leinensäckchen im Regal. Er reichte es dem Müller.
„Darin findet ihr Spinnenweben, die ich bei Vollmond gesammelt habe. Legt sie auf die Handflächen, jede Nacht. Ein Labsal für die Haut.“
„Wie kann ich euch danken? Die Missernten der letzten Jahre rauben mir das Auskommen.“ Der Müller stemmte sich aus dem Stuhl und atmete schwer. Er blickte zum Boden.
„Geehrter Müller, es kommen bessere Zeiten und dann erinnert ihr euch an mich und meine Bezahlung.“ Der Alchemist legte seinem Patienten eine Hand auf die Schulter und schob ihn zur Tür. Er öffnete schwungvoll und eine Greisin kroch auf allen vieren am Müller vorbei in den Raum. Peter Silienstengel kannte die Bettlerin und ihr Arthritis. Er gab ihr ein Fläschchen Krötenschleim.
„Eine Fingerspitze täglich“, sagte er. Er half ihr auf die Füße. Verzichtete auf seinen Lohn.
Der Küster mit seinem wuchernden Kropf, der Schneider mit Brechdurchfall, das Blumenmädchen vom Marktplatz mit dem verschorften Gesicht. Die Leidenden des Ortes gaben sich die Klinke in die Hand.
Vom Kirchturm schlug es sieben Uhr am Abend. Die Wirkung der Wachmacheressenz war seit dem Nachmittag verflogen. Der Alchemist zündete eine Kerze an. Er sank auf seinen Stuhl vor dem Arbeitstisch und öffnete ein Holzkästchen. In der Kassette schimmerte ein einsamer Groschen.
„So ist es. Der Lohn eines Heilers besteht in der Dankbarkeit Menschen. Davon habe ich heute immerhin reichlich erhalten“. Peter Silienstengel lächelte mit der Milde eines Großvaters, der an seine Enkel denkt. „Nun gut, mein Tagesverdienst reicht für einen Krug Bier im Gasthaus. Danach aber geht es wieder auf die Suche nach dem Goldrezept. Ich muss es finden. Zum Überleben.“ Peter mühte sich auf, tappte zur Garderobe und warf sich einen Umhang über die Schultern. Er öffnete die Tür. Sein Blick schweifte die Gasse auf und ab. Kein weiterer Patient war auf dem Weg zu ihm. Der Alchemist atmete hörbar aus.
„Oh. Wie freundlich von dem Blumenmädchen“, murmelte er. Vor der Türschwelle lag eine rote Rose mit einer walnussgroßen Blüte. Er nahm sie auf und trat unschlüssig vor seinen Arbeitstisch. Sah sich um, nickte. Stellte die Blume in den Glaskolben mit der pfützenfarbenen Suppe. Ein Blütenblatt fiel in die Essenz. Der Alchemist schmatzte, das Bier rief ihn zum Gasthaus. Er trat hinaus in die Gasse und schloss die Tür.
In dem Kolben warf die Brühe Blasen. Sie schäumte. Metallischer Geruch strömte über den Arbeitstisch. Die Suppe verdickte sich. Sie erstarrte und wechselte die Farbe von Braun zu Gold.

Ein Elixier namens Gackelglucker

Und nun noch eine winzige Prise Kitzelkrautextrakt … Aber bloß nicht zu viel davon! Das war teuer und schwer zu beschaffen. Höllisch schwer. Darum musste sie sparsam sein, noch sparsamer als mit dem Klumpen Erbsenerz, der auch schon längst im Topf gelandet war.
So, jetzt noch dreizehn Mal linksherum umrühren und vierzehn Mal rechts … Und fertig! Vor ihr im Topf blubberte nun das wertvollste und schwierigste Elixier, das sie je gebraut hatte: der Gackelglucker. Er wirkte besser als Dopamin, besser als die Stimmungsaufheller aus der Apotheke, besser als jede glücksversprechende Droge auf dem Schwarzmarkt. Zumindest, wenn man jeden einzelnen Arbeitsschritt sorgsam bis zur Perfektion ausgeführt hatte.
Zufrieden lächelte Meg in sich hinein und schöpfte eine große Kelle des violetten Gebräus. Es duftete schon so verführerisch, auch wenn sie gar nicht sagen konnte, wonach eigentlich. Doch es prickelte in ihrer Nase und dann in ihrem Rachen und lud sie ein, zu probieren. Und die letzte Stromrechnung war so unerfreulich gewesen, dass sie ein wenig Aufheiterung doch verdient hatte, oder? Außerdem musste sie ihr Brauergebnis ja testen.
Aber nur einen kleinen Schluck davon, denn noch war der Gackelglucker nicht verdünnt und daher extrem potent. Sie beugte sich also zu der Kelle hinab und hielt sie an ihre Lippen, schmeckte schon das erste Kitzeln einer Geschmacksexplosion auf ihrer Zunge und …
Die Klingel schrillte und Meg zuckte zusammen. Und schluckte dabei mehr, als sie hatte nehmen wollen.
Aus der Explosion wurde eine Kette von Explosionen und daraus ein Inferno, als Säure und Süße einen Reigen mit herber Bitterkeit tanzten. Meg presste die Augen fest zusammen und genoss diesen einzigartigen Geschmack, und verfluchte im Stillen den, der draußen stand und nun schon zum zweiten Mal die Türglocke schrillen ließ. Na ja, nicht wirklich verfluchte. Wirklich sauer war sie nicht.
„Ich komme doch, ich komme doch“, sang sie und warf ihre Arbeitshandschuhe zur Seite. Dann ging sie öffnen.
Und fand sich einem Polizeiausweis gegenüber. Der befand sich in einer schwarzbehandschuhten Hand, der wiederum an einem uniformierten Arm hing, der wiederum von einem Mann Ende vierzig mit blau-schwarzer Schirmmütze auf dem Kopf vorgestreckt wurde. Lustig, mit einem Polizisten hatte sie noch nie das Vergnügen gehabt.
„Guten Abend, Miss“, sagte der Mann. „Officer Gugel. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen zu den Einbrüchen stellen, die in letzter Zeit hier in der Gegend stattgefunden haben.“
Gugel, was für ein Name. Gugelhupf war ein Kuchen, den sie sehr mochte. Sie lächelte über den Gedanken.
„Was für Einbrüche?“, fragte Meg, hatte aber schon eine blöde Ahnung.
„In eine Apotheke hier um die Ecke“, sagte der Polizist. „In den Keller von einem Alchimisten die Straße runter. Die Lagerhalle von einem Pharmahersteller eine Busstation von hier. Es wurde immer dasselbe gestohlen, eine sehr wertvolle alchimistische Komponente.“
Und Officer Gugel suchte nun den Täter? Er verrichtete Suchaufgaben wie eine Suchmaschine? Ha! Wie amüsant.
„Wie dumm“, sagte sie. „Da weiß ich leider nichts drüber.“ Außer, dass Kitzelkrautextrakt wirklich sehr wertvoll war. Sehr teuer. Und als schwerbeschäftigte Alchimistin hatte sie eben einen Weg gebraucht, um bei sich in der Nähe preiswert zu beschaffen. Hoffentlich würde der Mann vor ihr nicht zu viel nachhaken, sonst könnte sie in Probleme geraten.
Sie grinste.
„Das ist sehr schade, Miss“, sagte Officer Google. „Aber sind Sie sich sicher, dass Ihnen nichts aufgefallen ist? Keine verdächtigen Fahrzeuge? Leute, die hier herumlungern, obwohl sie nicht hergehören? Die seltsame Fragen stellen?“
„Außer Ihnen?“, fragte Meg zurück und gluckste selbst über ihren Witz. Der Polizist hingegen sah nicht sonderlich amüsiert aus.
„Nein, überhaupt nicht“, sagte sie eilig und musste ein Kichern zurückbeißen. Schweiß trat ihr in die Stirn von der Anstrengung, sich zusammenzureißen. Das musste der Gackelglucker sein. Ausgerechnet. Das Elixier und eine Befragung? Ganz doofe Kombination.
„Sicher, Miss?“ Der Typ war nervig.
„Sicher, Officer“, sagte Meg und ihr entschlüpfte ein Auflachen. Scheiße. Konnte der nicht endlich gehen? Bevor sie sich noch irgendwie reinritt?
„Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“ Misstrauisch verengte Augen.
„Ja, ja“, brachte sie heraus und hatte langsam Schwierigkeiten, die Worte zu formen. „Alles in Ordnung. Haben Sie noch mehr Fragen?“ Das Grinsen ging nicht mehr ab von ihren Lippen und ihre Wangen schmerzten davon.
„Nein“, sagte der Polizist, musterte sie aber, als wüsste er genau, dass sie einen Teil des gestohlenen Kitzelkrautextrakts gerade intus hatte. „Wenn Ihnen doch noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei mir.“
Er streckte ihr eine Visitenkarte mit Polizei-Logo hin und ihre Hand zitterte, als sie sie entgegennahm. Ihr Bauch tat weg vor zurückgehaltenem Lachen und sie konnte kaum noch aufrecht stehen. Ihrer Stimme traute sie nicht mehr, darum nickte sie nur.
„Dann noch einen schönen Abend“, sagte Officer Gugelhupf-Google und Meg stieß die Tür zu, noch bevor der Polizist sich endgültig umgedreht hatte. Und dann konnte sie nicht mehr und sie brach in Gelächter aus. Ihre Beine gaben unter ihr nach und sie keuchte und lachte und schlug vor Vergnügen auf den Boden und hatte Tränen in den Augen, weil sie nicht mehr konnte, doch immer noch lachte sie und lachte und lachte und lachte bis zum Morgengrauen.
Es war die furchtbarste Nacht ihres Lebens. Danach war ihr Bedarf an Gackelglucker für ein Leben gedeckt.

„Beim dornhäutigen Zylinderstrauch, wenn das wieder eine dreiäugige Hexe ist, die mir Sumpfdotter andrehen will, werde ich - nanu! Was seid ihr für welche?“, fragte der Alchemist verwundert, nachdem er die Tür erbost aufgerissen hatte. Drei kleinwüchsige Menschartige standen vor ihm, alle in grauen Oberhemden, grünen Beinkleidern und bereits geknoteten, aber für einen praktischen Nutzen viel zu kurzen Stricken um den Hals.
„Hallo, wir sind die Pfadfinderinnen Lisa, Lena und Lara und wir möchten Ihnen diese schönen Plätzchen verkaufen!“, verkündeten die Mädchen im Chor.
Der Alchemist runzelte die Stirn.
„Ich dachte, ich würde alles Getier in dieser Gegend kennen. Nun gut! Welche Plätze habt ihr Mutigen, die ihr auf den geheimen Pfaden wandelt, gefunden? Und was geht da vor, dass diese Plätze käuflich wären? Ich muss sagen, was ihr da hinter euch herschleift, sieht einladend aus!“ Der alte musterte interessiert die ordentlich asphaltierte Straße, die festinstallierten Bäume, die in regelmäßigen Abständen darauf angebracht waren und die ebenmäßigen Behausungen, sich sich ihm im gleichförmigen Sonnenschein darboten. Etwas eintönig vielleicht.
Die Mädchen schauten sich verdutzt an. Aber sie waren nicht zum ersten Mal auf ihrer Tour und hatten schon so manche merkwürdige Erlebnisse gehabt. Alte Leute waren eben seltsam. Lisa, die älteste und erfahrenste, versuchte es langsamer: „Nein, wir sind von der Ortsgruppe Neuenstadt und sammeln für das neue Kinderheim!“
„Ich habe mit Gruppierungen nichts zu schaffen! Hatte letztes Mal nur Ärger mit der Henkersgilde, und von den Achtarmigen will ich gar nicht erst anfangen!“ Er wollte gerade eine seiner Geschichten zum besten geben, da unterbrach ihn Lara, die jüngste, plötzlich aufschreiend: „Ach, wow! Was ist das denn?“ Sie starrte auf etwas hinter dem Alchemisten. Ein kleines Wesen mit grün schillerndem Fell und blauen Federn an den Seiten war eben hereinstolziert, elegant auf einen Schemel gesprungen und machte sich mit Hingabe an dem überbreiten Tisch zu schaffen, der den Raum beherrschte. Der Alchemist drehte sich um und ließ ein zischelndes Fauchen hören, wobei seine gespaltene Zunge zwischen seinen Lippen auf und niederschlug. „Dorin“, brüllte er mit zweifacher Stimme los, „beiß nicht wieder in die Tischplatte!“ Die Mädchen zuckten erschrocken zusammen, Lena ließ ein erschrockenes Quiken hören.
„Was ist?“, wollte der Alchemist wissen, „habt ihr noch nie einen Säbelwicht gesehen? Die kennt doch jeder Wüstenolm! Sagt bloß ihr habt Angst vor ihm, der ist ja noch ein Baby“
Der Säbelwicht indessen beantwortete die Rüge seines Herrn mit einem beleidigten, markerschütternden Brüllen und einer Stichflamme, die aus seinen Nüstern schoss.
„Ist das, äh, eine Art Katze?“, fragte Lisa in dem verzweifelten Versuch, Herrin der Lage zu werden. Erst jetzt betrachteten die Pfadfinderinnen die Behausung des von außen so unscheinbaren Reihenhauses genauer. Der Fußboden bestand aus glänzend schwarzen Steinfliesen, jede mit einem anderen seltsamen Symbol verziert. Auf Regalen, die majestätisch durch den Raum schwebten, standen unzählige Bücher und Papierrollen, Reagenzgläser, Glasfläschchen, Tonkrüge und Schädel ungewisser Herkunft. Hier und da geisterte ein Nebelfaden von einem Gefäß in ein anderes und von der Decke hingen hin- und herschwingende algenartige Pflanzen, von denen einige Augen, andere wiederum Finger und wieder andere mit spitzen Zähnen besetzte Münder zu haben schienen. Der Alchemist bemerkte die Verwandlung, die in den glatten Gesichtern vor ihm vorging. Großes Erstaunen wich furchtsamem Schaudern und schließlich blankem Entsetzen. Ihm ging ein Licht auf.
„Eine was? Eine Katze? Momentchen, momentchen, ich frage mich, ob… Woher kommt ihr gleich nochmal?“
„N- Neuenstadt. Der Nachbarort?“
„Jaja das ergibt Sinn! Von dieser Stadt hab ich noch nie etwas gehört. Überhaupt, was ist das für ein Name? Die Orte in der Nähe heißen Tondor, Asguin und Mordrid. So müssen Städtenamen klingen: mächtig! Verheißungsvoll!“ Der Alchemist hatte eine Faust geballt und gen Himmel gestreckt. Er war im Begriff, einige der großen Legenden zum Besten zu geben, von Jisten, dem Wurmreiter, der die ersten Städte gegründet hatte um die Spöcklings und die Wrotzler zu vereinen im Kampf gegen die Übermacht der schwebenden Wälder, als Lena schüchtern die Hand hob und „entschuldigen Sie bitte“, piepste. Er besann sich auf das Naheliegende und studierte den Fußboden. Unerhört, er glitzerte. Wütend warf er einen Blick auf Dorin, der schelmisch vor sich hinlächelnd am Kronleuchter hing.
Der Alchemist atmete durch. Es war ja nicht so, als ob diese Sache nicht aus der Welt geschafft werden konnte.
„Ihr Duftenden. Es scheint, mein liebes Haustier, die, äh, Ketze, nicht wahr, nun sie hat wohl VERSEHENTLICH“ - er warf einen weiteren grimmigen Blick in Richtung seines Säbelwichtes - „eines meiner Elixire verschüttet und die Haustür getroffen, die sich daraufhin in ein Portal verwandelt hat in - nun wie soll ichs ausdrücken - ach was solls, in eure Welt also!“
Der Blick des Alchemisten wurde bei dem Versuch zu lächeln leicht irre, was die Mädchen einen Schritt zurückweichen ließ. Er streckte schnell und beschwörend die Hand aus, wie um sie aufzuhalten. „Nein nein, nicht doch, nicht gehen, ihr Lieblichen! Was habt ihr mir erzählt über Kinder? Die sammelt ihr? Die sammle ich auch gerne! Es ist alles in Ordnung! Das, äh, das haben wir gleich. Ich muss nur dafür sorgen, dass ihr diesen kleinen Zwischenfall hier vergesst, denn eigentlich sind Portale ja verboten seit der Sache mit dem schwarzen Loch und wenn die Aufsichtsbehörde davon Wind bekommt, also das sind hauptsächlich Ghule und Orks, müsst ihr wissen, und mit denen ist nicht gut Maden essen, gar nicht gut… Also schön, stillhalten!“ Er hatte während seines Gefasels einen Beutel mit Pulver aus seiner Tasche gezogen und nun streute er etwas davon auf seine Hand und blies es ihnen, bevor die Mädchen wussten, wie ihnen geschah, ins Gesicht. Augenblicklich waren die drei festgefroren. Stumm vor Schreck und unfähig sich zu bewegen, sahen sie dem alten Mann dabei zu, wie er einige Pulverdosen und Fläschchen im nächstschwebenden Regal zu durchsuchen begann, dabei seltsame Flüche über Irrwichte und ihre pelzigen Abkömmlinge murmelte und schließlich fand, was er augenscheinlich gesucht hatte. Eine kleine Phiole mit der Aufschrift „Vergessenszauber, stark dosiert“. Er träufelte drei Tropfen davon auf jeweils ein Verkaufsplätzchen und stopfte dieses dann in die offenen Münder der Mädchen, die sich insgeheim schworen, in Zukunft lieber die Klappe zu halten, wenn’s brenzlig wurde. Dann besann sich der Alchemist auf seine Tätigkeit als Forscher und nahm sich einen vierten Keks aus der Pfadfinderdose, für die Wissenschaft. Sodann schloss er die Tür und machte sich daran, das Portalgel abzuwaschen.

In einer anderen Welt, in einer anderen Zeit, schloss auch Herr Meier seine Haustür müde. Er war alt, auch ein wenig senil, das wusste er. Er dachte, es habe geklopft und da Sonntag war und er sehnsüchtig auf die Pfadfindermädchen wartete, die ihm sein Lieblingsgebäck brachten, war er zur Tür geeilt und hatte sie geöffnet, aber was hatte er gesehen! Die Welt war in mattes Lila getaucht, ein eiskalter Sturm hatte unmittelbar zu seiner Rechten getobt, während links sich eine hässliche Wüste voller seelenloser Gerippe ausbreitete und gegenüber, wo sich das Haus der Witwe Emma und ihrer fürsorglichen Tochter hätte befinden müssen, war ein Pärchen Ulmen ästehaltend spazieren gegangen.
Herr Meier schlurfte langsam in die Küche und schüttete bedauernd den guten Rum, von dem er gern ein Gläschen zur Verdauung trank, in den Ausguss.
Anschließend wusch er sich bedächtig die Hände mit kaltem Wasser und benetzte auch sein Gesicht. Er fühlte sich besser. Und da, diesmal hörte er ganz deutlich, wie es an der Haustür läutete. Etwas zögerlich näherte er sich ihr, straffte dann aber die Schultern, drückte entschlossen die Klinke herunter und zog, und atmete erleichtert aus, als drei freundliche, wenn auch leicht verwirrt dreinblickende Pfadfindergesichter ihm entgegenlächelten.
„Ihr wart wohl unterwegs schon hungrig?“, fragte er neckisch mit einem Blick in die Auslage, denn von jeder Sorte fehlte ein Keks.

Vermaledeite Ewigkeit

„Wer stört zu so später Stunde?“, Jöns will seine Tür zur Abschreckung möglichst wirkungsvoll aufreißen, kann in seinem Zustand aber nicht mal die Türklinke herunterdrücken. Verwirrt betrachtet er seine nutzlosen Hände.

„Lasst mich ein, Meister, ich brauche eure Hilfe!“

„Seid ihr es, Martha? Ich befürchte, ich benötige ebenfalls ein wenig Unterstützung! Tretet nur ein.“

Zögerlich drückt das alte Kräuterweib die unverschlossene Türe nach innen auf, geradewegs durch den Körper des Alchemisten hindurch. „Huch, was ist denn hier passiert?“ Ungeniert lässt sie ihren Blick durch die Stube schweifen. Rauchschwaden verhüllen den Boden, auf dem Labortisch liegt ein Glaskolben, aus dem eine pinke Flüssigkeit auf den Tisch verschüttet wurde. Die Alte grinst. In dem Mörser entdeckt sie Reste von dem blassrosa Kraut, das sie ihm vor einer Woche geschenkt hat.

„Hier ist nichts passiert, ich experimentiere! Was führt euch zu mir, Martha?“

Der Qualm verzieht sich in die Nacht und gibt den leblosen Körper des Alchemisten frei.

„Huch, was ist mit mir geschehen, warum liege ich da?“, Jöns blickt der Alten direkt in die Augen, fuchtelt mit seinen durchscheinenden Händen vor ihrem Gesicht herum.

„Unterlasst das bitte, ich kann euch durchaus sehen und hören!“, säuselt das Kräuterweib. „Das war das Kraut meiner Ahnen. Ihr habt damit die irdische Welt verlassen und seid nun in der Lage, einzig mit eurer Seele ewig weiterzuleben.“

„Oh weh, dann brauche ich eure Hilfe ja offenbar viel dringender, als ihr die meine!“, seufzt Jöns.

Die Alte kniet sich neben ihn und streichelt liebevoll über seine langen Haare, seine Wangen, seine Brust: „Aber gewiss, mein Liebster, genau darum bin ich hier, bei dir! Ich kümmere mich um dich. Wir werden endlich zusammen sein!“

„Was macht ihr da? Wieso zusammen sein? Geht fort von mir, ich hab es mir anders überlegt. Ich fühle mich lebendig wie nie!“, die Seele des Alchemisten verlässt panisch das Haus.

Martha legt sich neben Jöns auf den Boden und nimmt seine Hand. Beseelt zieht sie die Phiole mit dem pinken Elixier aus ihrem Unterrock und leert sie in einem Zug.

Bevor ihr Geist sich auf die Suche nach dem Alchemisten macht, betrachtet sie ihr letztes Werk: „Besser tot, als nie!“

Unerwartet / In Erwartung

Magnus kneift die Augen zusammen. Das Licht von draußen ist zu hell für seine müden Augen. Er erinnert sich an diese Frau. Sehr gut sogar. Eine langhaarige Schönheit mit eindringlichen grünen Augen. Er lehnt im Türrahmen, sein zerzaustes Haar wischt er mit dem weiten Ärmel zurecht. Dabei fängt er den Schweiß ab, der aus allen Poren drängt.
Maria macht einen Schritt herein. Magnus hält sie zurück mit einer unbeholfenen beschwichtigenden Bewegung, als ob er sagen wolle, nicht so schnell, Madame, das ist immer noch mein Laboratorium. Die brodelnde Flüssigkeit im Kessel macht ein leises Zischen, Dampf steigt auf.

„Du hast gesagt, du weißt Rat, Magnus. Jetzt musst du mir helfen. Du sagtest, du hast ein Mittel.“
„I-ich b-bin d-doch k-k…“
Maria zückt ein Messer, das sie unverhohlen seinem Hals entgegenstreckt und ihn an die Wand drückt. Wohlwissend, dass sie sich gerade mit einem hoch angesehenen Mann der Stadt anlegte. Schweiß tropft von Magnus‘ Stirn.
„Es ist von dir. Hilf mir, es wieder wegzumachen.“ Maria nimmt Magnus‘ Hand und drückt sie auf ihren Bauch.
Magnus reißt die Augen auf. Befreit seine Hand. Zitternd greift er um sich, ringt um Halt und stützt sich auf den schweren Holzstuhl neben sich.

„Was ist mit dir, Magnus? Hilfst du mir?“ Maria steckt das Messer weg.
„I-ich m-muss m-mich setzen…“ stöhnt er.
Maria schaut sich um.
„Ist es das? Soll ich das nehmen?“
Sie nimmt ein Glas mit grünlicher Flüssigkeit in die Hand, auf dem mehrere lateinische Kräuternamen auf ein vergilbtes Etikett geschrieben waren. Dazu etwas, das aussah wie ein Warnhinweis.
Doch Magnus antwortet nicht, er scheint in eine Ohnmacht versunken seit er sich in den Stuhl hat fallen lassen.
Links, rechts klatscht sie mit der flachen Hand auf sein aufgedunsenes Gesicht. Maria fallen die schwarzgefärbten Zähne auf. Die verdrehten Augen.
Sie hört seinen keuchenden Atem.
„Was hast du genommen?“
„E-eine Do-Dosis z-z-zu v-viel.“
Sie greift nach einer grünen Flüssigkeit neben sich und sieht ihn mit stählerner Miene an.
„Ist es nun das, was die Frauen nehmen müssen?“
Tränen wollen sich den Weg bahnen. Er schüttelt wild den Kopf.
„Töte e-es nicht. I-ihr werdet e-es g-gut haben.“ und deutet dabei flehend auf eine Schublade.
Maria geht hin. Ein großes Blatt Papier, mit der Feder verfasst und mehrfach unterzeichnet. Sie presst den zittrigen Mund zusammen. Sie liest bis sie verschwommen sieht.

Als sie aufblickt, ist er nicht mehr. Sein Körper hängt schlaff vom Stuhl.
Maria hält sich den Bauch und bricht weinend zusammen. Immer wieder liest sie dabei das Testament und streicht über das Wachssiegel.
Das Elixir lässt sie zurück, nimmt das Papier fest an sich und rennt nach draußen.

Ein unangemeldeter Besucher klopfte an die Tür des Alchemisten. Einmal, zweimal, ein drittes Mal. Der Alchemist dachte gar nicht daran, sie in seinem derzeitigen Zustand zu öffnen, doch er hatte die Hartnäckigkeit des Besuchers unterschätzt. Ein einziger, kräftiger Stoß der breiten Schultern ließ den Türriegel krachend zerbersten und der unwillkommene Gast trat in den Raum hinein. Sein gebieterischer Blick fiel sofort auf den Alchemisten.
„Junge, ist dein Vater nicht da? Ich will ihn sprechen.“
Angespannt fuhr sich der Alchemist mit der Hand über das glatte, weiche Kinn, wo sich nur Augenblicke zuvor noch ein würdevoller, weißer Bart befunden hatte. Sein Verstand arbeitete wie immer schnell. Dieser ärgerliche Besucher war eine Gefahr, könnte sich aber auch durchaus als nützlich erweisen. Versuchsobjekte waren nicht leicht zu finden.
„Nein. Aber setzt Euch doch, Herr. Setzt Euch da an den Tisch. Vielleicht kann ich Euch behilflich sein?“
„Kaum.“ Der Fremde ließ sich nieder und es war schwer zu sagen, wer lauter ächzte. Mann oder Schemel. „Bring mir Wein und Speisen, während ich warte. Und hoffe lieber, dass es nicht zu lange dauert. Ich bin heute nicht in geduldiger Stimmung.“
Der Alchemist eilte zum angrenzenden Vorratsraum und stellte kurz darauf mit fahrigen Händen Weinkrug und Becher auf den Tisch. Dazu ein Teller mit ein paar dicken Scheiben Früchtebrot. Erleichtert sah er, dass der ungeduldige Fremde mit diesem einfachen Mahl zufrieden zu sein schien. Der Alchemist kauerte sich in eine Ecke des Raums.
„Du bist ein seltsamer Junge“, sagte der Besucher nach einer Weile nachdenklich. „Deine Augen passen nicht zu dir. Schlag sie gefälligst nieder.“
Der Alchemist gehorchte, während um seinen Mund ein befriedigtes Lächeln spielte, welches den Fremden sicher in Unruhe versetzt hätte, hätte er es bemerkt. Doch er beachtete den Jungen nicht weiter und widmete sich lieber dem Wein. Es war ein erstaunlich guter Tropfen. Tiefrot, vollmundig und stark. Bald schlich sich eine seltsame Müdigkeit in all seine Knochen. Und eine kindliche Sorglosigkeit in sein Gemüt. Er hatte keine Lust mehr auf Wein. Ein Becher Milch, das wäre jetzt das Wahre. Süße Milch.

Eine Stunde später sah eine alte Bettlerin, wie ein Junge durch die Gassen huschte. In seinem Umhang verbarg er einen verzweifelt schreienden Säugling. Bestimmt sein Geschwisterchen. Bestimmt hungrig, wie so viele Kinder in dieser vermaledeiten Stadt. Schweren Herzens beobachtete sie, wie der Junge das winzige Bündel auf die Türschwelle des Waisenhauses legte, anklopfte und sich dann zügig entfernte. Ein herzzerreißender Anblick. Aber was will man dagegen tun. Kopfschüttelnd machte auch sie sich auf ihren Weg. Noch lange verfolgt von dem mitleiderregenden Weinen.