Die Rache des Alchemisten
»Mach endlich diese verdammte Tür auf oder ich werde sie eintreten, so wahr ich Renke von Broden heiße«. Der stämmige Mann schlug mit erhobener Faust immer wieder gegen die morsche Holztür. Mit jedem Schlag drohte das alte Holz zu brechen.
»Ist ja schon gut.«, hörte er eine krächzende Stimme aus dem Inneren der heruntergekommenen Hütte, die selbst zu ihren besten Zeiten nicht mehr als ein ärmlicher Stall gewesen sein konnte.
»Hört auf, gegen die Tür zu schlagen, ich komme ja schon.« Kurz darauf öffnete sich knarrend der Verschlag und das bärtige Gesicht eines alten Mannes erschien in der Lücke.
»Was wollt ihr, und wer gibt euch das Recht, hier …« Bevor er seine Frage beenden konnte, stieß sein Besucher die Tür auf, sodass der Alte den Halt verlor und sich nur mühsam an dem morschen Holz festklammern konnte.
»Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich warten lässt wie einen dahergelaufenen Bettler.«, stieß der Besucher hervor und schob seinen massigen Körper durch die winzige Öffnung.
»Ich bin Renke von Broden, Burgherr auf Burg Hohenstedt. Bist du der Giftmischer, der sich rühmt, Elixiere zu mischen, die einem Menschen den Verstand verwirren?«
Der Alte hatte sich gefangen und schloss die modrige Holztür. Im Raum war es dunkel. Nur die Feuerstelle, über der verschiedene Krüge hingen, spendete gerade so viel Licht, dass er das Gesicht des Eindringlings erkennen konnte. Er war nicht alt, hatte aber den Zenit seiner Jugend längst überschritten.
Seine Erscheinung ließ keinen Zweifel daran, dass er es gewohnt war zu befehlen. Befehle, denen sich niemand entgegenstellen würde.
»Man nennt mich Alexis und mit Elixieren habe ich nichts zu schaffen. Wenn Ihr deswegen gekommen seid, habt ihr den langen Weg umsonst gemacht.« Der Alte schlurfte gebeugt zu einem Tisch, setzte sich auf einen Hocker und griff nach einem Becher, den er sich an die Lippen setzte.
Mit zwei Schritten hatte ihn andere erreicht, packte ihn an seinem Wams und hob ihn mühelos hoch, als wäre er leicht wie das faule Heu, das auf dem Boden herum lag.
»Willst du mich zum Narren halten, Alter? Hier gibt es weit und breit keine andere Behausung als die deine. Ich frage dich nochmals, und du tust gut daran zu antworten. Bist du der Alchemist, der ›besondere Tränke‹ braut?« Mit dem letzten Wort stieß er den Alten von sich, der wie ein nasser Sack zu Boden fiel.
»Schon gut, edler Herr. Ich bin`s«, lenkte der Mann ein. Mühsam kam er auf die Knie und stemmte sich vom schmutzigen Boden hoch.
»Doch bevor wir über meine … meine besonderen Fähigkeiten sprechen, erlaubt mir zu fragen, wer euch zu mir schickt? Ich muss es wissen, ansonsten kann ich Euch nicht helfen.
»Nun ja, es schadet nichts, wenn ich es dir sage, Alter. Drunten im Dorf wohnt eine alte Vettel, die man Muriel nennt. Du kennst sie bestimmt. Sie ist das Hässlichste, was mir je unter die Augen gekommen ist. Sie hat mich den Weg zu dir teuer bezahlen lassen, obwohl ich ihr lieber ihren faltigen Hals umgedreht hätte.«
»Die gute Muriel«, brabbelte der Alte, »ist doch immer wieder eine treue Vermittlerin. Ich sollte ihr etwas Gutes zukommen lassen.«. Er schaute auf und blickte dem Burgherrn ins Gesicht.
»Nun gut, da Ihr es sowieso wisst, spielt es jetzt keine Rolle mehr. Ja, ich beherrsche die Zubereitung gewisser Elixiere. Tränke, die den Menschen die Sinne rauben und sie Dinge tun lassen, die sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können. Was ist euer Begehr, mein Herr.«
»Es handelt sich um eine …« Von Broden zögerte. Es war ihm anzusehen, dass es ihm nicht leicht über die Lippen kam.
»Nun es geht um eine delikate Angelegenheit, von der ich mir absolute Diskretion erbitte. Garantierst du mir dein Schweigen, wenn ich dir einen Auftrag erteile? Es soll nicht dein Schaden sein.« Renke von Broden hatte seine Stimme gesenkt, als befürchtete er, belauscht zu werden.
»Meine Loyalität gehört dem, der mich bezahlt«, sagte der Alte. Der Ton seiner Stimme wurde von der Vorfreude auf klingende Münzen begleitet. »Ihr könnt ohne Sorge sprechen, edler Herr.«
Einen Moment starrte der Burgherr den Alchemisten an. Konnte er ihm wirklich trauen? Hatte er eine Wahl? Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme nicht mehr so kräftig wie zuvor.
»Es gibt da eine Frau, eine junge Frau. Ihre Schönheit sucht ihresgleichen. Den Namen musst du nicht wissen. Ich werbe um sie seit einem langen, verfluchten Jahr. Doch diese hochnäsige, eingebildete …«, er zögerte, »diese … Dame verwehrt sich meinen Avancen. Sie hat die Impertinenz, mich, Renke von Broden, Burgherr von Hohenstedt abzuweisen; mich der Lächerlichkeit meines Standes preiszugeben. Kurzum, braue mir einen Trank, der sie meinem Werben gefügig macht. Nie wieder soll sie einen anderen lieben.«
»Mhm … Ihr wollt einen Liebestrank?«, fragte der Alte.
»Nenn es, wie du willst, solange es nur seinen Zweck erfüllt.«
»Bevor ich das Elixier zubereite, gibt es ein paar Regeln, die Ihr …« Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Ehe er zurückweichen konnte, packte ihn der andere am Wams und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
»Hast du jetzt verstanden, Alter, dass für mich keine Regeln bestehen oder muss ich es dir erst mit meinen Fäusten eindreschen?«
Der kleine Mann schüttelte vehement den Kopf. »Gut, Herr, … schon gut. Ich hab` verstanden. Keine Regeln.« Von Broden stieß ihn so hart von sich, dass er gegen den Tisch prallte.
»Und jetzt spute dich, Alter. Ich will nicht den ganzen Tag in dieser stinkenden Hütte zubringen.«
»Hat euch die hässliche Muriel gesagt, was ich für den Trank benötige?«
»Sie sagte, ein paar Haare würden genügen.« Er öffnete ein ledernes Säckchen und griff hinein. Als er die Hand hervorzog, hielt er eine Locke schwarzen Haares zwischen seinen Fingern.
»Reicht das für den Trank?«, wollte er wissen und streckte dem Alten die Haare entgegen.
»Das ist mehr als genug. Wenn Ihr genau meinen Anweisungen Folge leistet, wird sie schon bald Euer Bett wärmen, edler Herr.«
»Es soll dein Schaden nicht sein, aber wehe dir, wenn Isabella … wenn der Trank nicht wirkt.« Der Burgherr ließ offen, welche Strafe dann folgen sollte, aber Alexis hatte keinen Zweifel an seinen Worten.
Die nächste Stunde verbrachte der Alte mit der Zubereitung des Elixiers. Er mischte Zutaten aus verschiedenen Säckchen in den Sud, der in einem Kessel über dem Feuer köchelte. Der Burgherr beobachtete jede seiner Bewegungen. Hinterfragte jedes Pulver, das der Alte hinzumischte, ohne zu wissen, was die Namen bedeuteten, die er zu hören bekam. Dass der Alte die Haare Isabellas nicht nutzte, entging dem aufmerksamen Beobachter jedoch.
Schließlich füllte Alexis eine halbe Kelle dieses Suds in einen hölzernen Becher.
»Trinkt und wundert euch nicht des bitteren Geschmacks.« Er reichte dem Burgherrn den halbgefüllten Becher.
Von Broden blickte überrascht auf. »Warum muss ich es trinken? Ich dachte, ein paar Tropfen dieses Trankes in den Wein der Frau würden genügen. Willst du mich vergiften, Alter? Ich warne dich!« Mit einer fließenden Handbewegung zog der Mann einen Dolch unter seinem Mantel hervor und setzte die Spitze an den Hals des Alchemisten.
Alexis legte den Kopf zurück, um dem Druck der Dolchspitze zu mindern, die sich schmerzhaft gegen seinen Kehlkopf drückte.
»Ihr müsst beide davon trinken, sonst wirkt es nicht. Ihr zuerst.«
Zögernd schob von Broden den Dolch zurück in die Scheide unter seinem Mantel und nahm dem Alten den Becher aus der Hand. Er zögerte. Konnte er dem Giftmischer wirklich trauen? Doch welche Wahl hatte er? Isabella musste ihm gehören. Isabella, die schönste Frau, die er je begehrt hatte. Er war bereit, dafür jedes Risiko einzugehen.
Rasch setzte er den Becher an die Lippen und leerte ihn zur Neige. Das Gesöff schmeckte wie warmes, ranziges Fett, das wochenlang in einem Topf gestunken hatte. Nie zuvor hatte er so etwas Widerliches getrunken. Mit einem angewiderten Laut warf er den Becher nach dem Alchemisten, verfehlte ihn jedoch.
»Was hast du mir da gegeben, du elender Giftmischer?«
»Umso ekliger der Geschmack, umso größer die Wirkung. Das Gesetz der Alchemie, Herr von Broden.« Ohne den Mann eines weiteren Blickes zu widmen, wandte sich Alexis ab und füllte einen kleinen, gläsernen Flakon mit der Flüssigkeit. Er verschloss das Fläschchen und reichte es seinem Gast.
»Drei Tropfen ins Essen oder in den Wein und Eure Isabella wird euch auf ewig lieben. Ich schwöre bei meinem Leben.«
Von Broden nahm das Elixier und hielt es mit der Faust umschlossen. Er würde es hüten wie einen Edelstein und sollte es seine Wirkung nicht zeigen, würde der Alte es mit seinem Leben bezahlen.
»Doch eines bedenkt,«, schob der Alte ein, »die Wirkung des Elixiers kann niemals zurückgenommen werden.«
»Ich habe dies zu keiner Zeit in Erwägung gezogen«, antwortete von Broden. Er nahm einen ledernen Beutel aus seinem Mantel, zählte drei Münzen ab und warf sie vor dem Alchemisten in den Dreck.
Ohne ein weiteres Wort öffnete er die morsche Holztür und trat hinaus. Als er sein Pferd erreichte, waren seine Gedanken schon bei der Frau, die er wie nichts anderes auf dieser Welt begehrte. Muriel würde endlich ihm gehören. Kurz stutze er. Hatte er gerade an Muriel gedacht? Nein, seine Liebe galt Isa…, Isa…, Isabella? Verdammt, er wusste doch den Namen seiner Angebeteten. Als im Sattel saß und sein Pferd antrieb, lachte er. Natürlich wusste er den Namen. Niemals würde er Muriel vergessen. Isabella? Wer zur Hölle war Isabella?
Er betrachtete das Fläschchen in seiner Hand, dann warf er es mit einer ausholenden Bewegung zwischen die Bäume. Laut brüllend trieb er sein Pferd an. Er wusste genau, wo er Muriel finden würde. Muriel, die größte Liebe seines Lebens.