Bücher, hunderte Bücher schleppte sie heran, in Kisten, Kartons, ein alter Koffer voll.
„Ein Nachlass,“ sagte sie, „der alte Herr P., du weißt doch., bei dem meine Schwiegermutter den Haushalt führte. Niemand will etwas von seinen Sachen. Sie soll alles auflösen, behalten was sie brauchen kann. Die Bücher …“,sie sah sich um, das Zimmer war vollgestellt, Staub flirrte in der Luft, „…sie wollte sie wegwerfen oder auf den Flohmarkt geben. Da fiel mir ein, du liest doch so gern. Nimm, was du brauchen kannst, den Rest …“ Sie machte eine wegwerfende Geste.
Ich wußte kaum etwas über Herrn P., ein feiner alter Herr, der alleine lebte. Irgendwo hatte er Söhne, Professoren sollten sie sein, in Süddeutschland. Söhne, die nichts von ihrem Vater haben wollten.
Ich nahm die Bücher aus den Kartons. Alte, vergilbt, verstaubt. Und doch die Spuren seiner Hände, die in diesen Seiten oft geblättert hatten. Deutsche Literatur, viele Ausgaben schon aus den vierziger Jahren. Wolfgang Borchert, Kafka, Mann , Fontane ,Brecht, Schiller, Hauptmann , Benn und viele andere. Ein Rundgang durch die deutsche Literaturgeschichte. In jedem sein Name , stolz, dieses Buch zu besitzen. Wie die Kinder die schrieben : dieses Buch gehört Friedrich P.
Randbemerkungen, vieles war unterstrichen. Er hatte diese Bücher nicht nur besessen, er hatte sie gelebt.
Während ich packte, überkam mich ein Gefühl der Achtung. Politische Abhandlungen , Kunst, Philosophie, dieser feine, zurückhaltende alte Herr, war sehr belesen gewesen . Die philosophischen Bände… ich blätterte ein wenig, schweifte über die Inhaltsangabe, nein, zu hoch für mich. Aber er hatte sie gelesen. Wieder Bemerkungen am Rande, Fragezeichen , kleine Zettel mit Gedanken als Lesezeichen.
Bücher über die Kunst der deutsche Sprache, Stillehre, Grammatik, … War er ein Schriftsteller ? Nein, ich wußte, dass er Lehrer war. Ein Lehrer mit großer Liebe zur Sprache, ob er es geschafft hatte, diese Liebe an seine Schüler weiterzugeben?
Viel Bücher trugen persönliche Widmungen. Von Freunden…dir lieber Friedrich zu deinem Geburtstag… lieber Vater, was soll man dir schon schenken außer …
meiner liebsten Margarete zu ihrem Ehrentag… auch seine Frau mußte die Liebe zu den Büchern geteilt haben. Fast kam ich mir wie ein Eindringling vor, wenn ich in diesen Widmungen stöberte. Doch niemand, dem sie zugedacht waren, war mehr da. Er und seine Frau waren tot.
Gesammelt, geliebt, ein Schatz, den der alte Herr in Laufe seines Lebens angehäuft hatte. Und nun? Lieblos in Kartons geworfen, ein Leben sollte auf dem Flohmarkt verramscht werden.
Fremde Hände, die in diesem Leben wühlen würden. Die versuchten, sich ein Bild zu machen, von diesem Menschen, von dessen Leben nichts geblieben war. Wissen und Weisheit, die plötzlich verloren waren. Ein Schatz, der plötzlich nichts mehr wert war, weil dumme Menschen seinen Wert nicht zu schätzen wussten.
Vorsichtig wischte ich den Staub von jedem Buch und stellte sie in ein Bord, aus dem ich vorher alle meine modernen und unterhaltsamen Romane rausgeschmissen hatte. Ich betrachtete meine Bücher und nahm das erste zur Hand. Borchert. Ich würde mit Borchert beginnen und mich vortasten über Kleist zu Schiller bis Zweig. Ich würde eintauchen in dieses fremde Leben und würde es zu einem Teil von mir werden lassen.
Ich würde reich sein, denn ich habe in alten Kartons und in einem alten Koffer einen Schatz gefunden.