„Wenn alle da sind, dann können wir starten.“
Der Dozent für altertümliche Geschichte startete das Programm. In dem weißen Raum erlosch Licht.
Stand die Gruppe junger Leute gerade noch in einem sterilen Raum ohne Möbel, waren sie nun umgeben von diesen. Der Boden gefliest, ein Teppich lag vor der anthrazitfarbenen Couch. In Regalen standen Bücher und Bilder. Fenster gaben einen weiten Blick ins Grün frei.
Die Umstehenden verfielen in lautes Gemurmel über den Ausblick, der sich ihnen bot.
„Ein schöner Anblick, nicht wahr? Bedauerlich, dass unsere Vorfahren den Kipppunkt nicht aufhalten konnte und uns eine lebensfeindliche Umgebung hinterlassen haben. Kaum zu glauben, dass es einmal so grün und hell war.“ Auch er sah sehnsüchtig aus der gläsernen Barriere, welche die Gruppe von der vermeintlichen Außenwelt trennten. „Leider sind wir dazu verdammt zusammengepfercht in unseren kleinen Unterkünften zu Hause, die nur Platz für Schrank, Bett und Tisch bieten.“ Ein Seufzen entfleuchte seiner Kehle. „Seien sie sich von nun an bewusst, dass sie zu den wenigen Auserwählten gehören, die diesen Anblick zu Gesicht bekommen.“
Schlagartig wandte er sich der Gruppe junger Menschen zu. „In welchem Jahrhundert befinden wir uns?“
Suchend nach Anhaltspunkten, sahen sie sich um.
„Ende des 20ten?“, rief ein junger Mann.
„Woran machen sie das fest?“
„Der Flachbildfernseher.“
„Woran noch?“
Er sah sich um. „Das Audio-Gerät.“
„Welches?“, hakte der Lehrer nach.
„Das kleine.“ Er grübelte über den Namen.
Der Dozent wandte sich der restlichen Gruppe zu. „Wer weiß es?“
„MP3-Player“, rief eine junge Frau in den Raum hinein.
Der ältere Mann nickte zustimmend. „Genau.“ Langsam ging er im Raum umher. „In welchem Raum befinden wir uns?“
„Im Wohnzimmer des Hauses“, antwortete ein anderer.
Seine Worte entlockten dem Dozenten ein Lächeln. “Wie ich sehe, haben sie sich alle gut auf die Stunde heute vorbereitet. Genau, wir befinden uns im Hauptwohnraum des Hauses oder der Wohnung. Dieses Hologramm empfindet ein Haus nach, welches, geologisch gesehen, im früheren Allgäu stand. Auf der anderen Seite des Hauses werden sie einen Blick auf ein Bergmassiv erhaschen können, welches damals als ‚Alpen‘ bezeichnet wurde.“ Schlagartig kam er auf das eigentliche Thema zurück. „Man sollte meinen, dass der Raum, in dem wir uns gerade befinden, der Dreh- und Angelpunkt des Lebens damaliger Menschen war, doch dem ist oft nicht so. Kommen sie mit!“ Er deutete den jungen Menschen ihm zu folgen und verließ den Raum durch einen Durchgang in der Wand. Dahinter lag ein langgezogener Raum. Karger als der vorherige. Haken und Bilder an den, mit Blumenornamenten verzierten, Wänden. Am Ende des Raumes standen Schuhe geordnet auf dem Boden.
Der Alte bog linksseitig in einen weiteren Raum ab. „Seit Jahrhunderten bezeichneten frühere Menschen diesen Ort als ‚Herz‘ ihrer Unterkünfte.“ Er drehte sich um und wartete, bis der Letzte den Raum betrat. „Wo sind wir?“
„Das Schlafzimmer“, bemerkten einige. Andere antworteten, in unterschiedlicher Lautstärke: „Küche.“
„Eines stimmt. Nur welches?“
„In einem Schlafzimmer würden Betten stehen. Hier ist keines zu sehen. Dafür ein Herd. Außerdem ein Tisch mit mehreren Stühlen. Das deutet auf eine Küche hin.“
„Wenn sie das so gut wissen, dann wissen sie bestimmt auch, wozu die Küche gedacht war.“
„Hier bereiteten die Menschen ihr Essen und ihre Getränke zu.“
„Ganz genau. ‚Herz des Hauses‘ wurde es genannt, weil sich die Menschen früher genau hier zusammenhorteten, um ihre Mahlzeiten einzunehmen. Eine jahrtausendalte Tradition, die sich, im Laufe der Zeit, immer mehr verlor und darin gipfelte, wie wir es heute kennen. Aber sie saßen nicht nur deshalb am Tisch zusammen. Manches Mal plauderten sie einfach nur oder spielten Spiele.“
Er pausierte seine Ausführung, um sich zu räuspern. „Wissen sie, die Küche ist mein liebster Ort in diesen Behausungen. Von hier zog der stark würzige Duft des zubereiteten Essens durch die Wohnräume. In früheren Aufzeichnungen wurde sogar vermerkt, dass man mit dem Betreten des Hauses roch, welche Mahlzeit zubereitet wurde. Unser Essen, wie wir es heute kennen, hat nichts mit dem, von damals zu tun. Sehr schade, weil, so viel kann ich ihnen aus Untersuchungen und Tests berichten, die Gerüche und die Geschmäcker der einzelnen Komponenten sehr weit von unseren entfernt sind. Bis heute kann ich nicht verstehen, warum es so weit gekommen ist.“
„Wahrscheinlich, weil es zu Zeitintensiv war die Zutaten zu sammeln und zusammenzubringen. Es geht doch viel schneller sie am Replikator herzustellen“, unterbrach eine junge Frau seine Ausführungen.
„Da haben sie durchaus recht. Aber vielleicht werden sie, so wie viele andere Kurse vor ihnen, es in der nächsten Stunde verstehen. Wie jedes Jahr, dürfen meine Studenten Zwiebeln braten. Ein großer kulinarischer Hochgenuss.“
Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge.
„Bis dahin machen sie sich vertraut damit, wie die früheren Menschen gekocht haben.“ Der Dozent schlug kräftig seine Hände zusammen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Und nun, lassen sie uns den Rest des Hauses begutachten.“