Dies ist eine Szene aus meinem aktuellen Buchprojekt. David und Katarina sind etwa dreizehn Jahre alt und betätigen sich in der Freizeit mit einigen Mitschülern am Bau einer „Bude“ im Unterholz am Ortsrand. Dabei kommt es einerseits zu Machtspielen zwischen den Beteiligten, zum anderen entstehen erste zärtliche Bande. Hier sitzen sie in der großen Pause zusammen auf einer Bank.
»Der hat doch einen an der Waffel, so wie der glotzt«, platzte es aus Katarina heraus. Entrüstet stützte sie die Hände auf die vordere Kante der Bank, als wollte sie jeden Moment aufspringen.
David hätte sie am liebsten am Unterarm gepackt, um sie aufzuhalten. Er traute sich nicht, sie anzufassen. Sie waren sich zwar langsam vertrauter, seit sie vor einigen Tagen gemeinsam die Wache gehalten hatten. Sie zu berühren kam für David aber nicht in Frage.
»Lass ihn doch«, sagte er stattdessen abfällig und hoffte, das würde ausreichen, um Katarinas Temperament abzukühlen. »Wer weiß, was ihm wieder Beklopptes durch den Kopf geht. Wahrscheinlich hat er Stress zuhause und versucht, das an irgendwem auszulassen.«
Katarinas Groll wollte nicht weichen. Nach wie vor die Stirn in Falten, sah sie ihn an. Er musste sich zusammenreißen, um nicht erschrocken zurückzuweichen.
»Das ist aber noch lange kein Grund, so zu starren. Soll er besser Holz hacken gehen oder kalt duschen.« Sie wandte sich wieder gen Schulhof und zeigte erbost hinüber zu den Jungs. »Jetzt sieh dir das an!«
Malte und Arne hatten ihr Gespräch unterbrochen. Alle drei sahen herauf zu ihnen. Malte formte mit beiden Händen ein Herz, das er vor seiner Brust pulsieren ließ, und legte in gespielter emotionaler Überwältigung den Kopf schief. Kai grinste und warf ihnen zwischendurch alberne Küsschen zu. Arne schenkte den beiden ein breites Lächeln.
»Diese …«, grollte Katarina, mehr fiel ihr nicht ein. Sie sprang auf die Füße und ballte die Fäuste.
»Katarina, nicht!«, rief David. Er war selbst erstaunt über seine volle Stimme und darüber, dass seine Worte das ungestüme Mädchen innehalten ließen. Nach zwei stampfenden Schritten blieb sie stehen und sah ihn finster an.
»Was ist? Willst du dir das gefallen lassen?«, fragte sie ihn hitzig.
»Das … bringt doch nichts«, stammelte er und sank in sich zusammen. Im Grunde wusste er nicht, was er wollte. Eine Konfrontation würde zu nichts führen und die Gräben, die zwischen ihm und den anderen noch tiefer reißen. Andererseits schämte er sich in Grund und Boden dafür, dass er statt des Mädchens nicht selbst den Mut aufbrachte, die drei Großmäuler zur Rede zu stellen und ihnen wenigstens verbal die Stirn zu bieten. Was genauso wenig zu irgendetwas geführt hätte. Die sprichwörtliche Zwickmühle. Es war zum Verrücktwerden!
Katarina stand immer noch da, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und sah abwechselnd die feixenden Jungs und den am Boden zerstörten David an. Der leichte Herbstwind zerzauste ihre Haare, einige Strähnen wedelten störrisch vor ihren Augen.
Sie sieht aus wie Jeanne d’Arc, dachte David verwirrt. Gleich würde sie sich trotz einer Übermacht von Gegnern in den aussichtslosen Kampf stürzen. Bewundernd sah er zu ihr auf.
Etwas in seinem Blick schien ihre unbändige Wut zu zähmen. Die senkrechte Falte auf ihrer Stirn verschwand, und ein verhaltenes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Sie hatte nur noch Augen für ihn und ignorierte Arne, Kai und Malte, die sich weiterhin abmühten, mit Gesten und Mimik auf sich aufmerksam zu machen und ihrer beider Zorn heraufzubeschwören.
Katarina verschränkte trotzig die Arme und schenkte David einen gleichermaßen herausfordernden wie warmherzigen Blick.
»Ich weiß jetzt, was wir machen«, sagte sie voller Überzeugung.
Die Wärme in Davids Bauch war zurück und kletterte auf dem Thermometer ein paar Stufen überspringend ins siedend Heiße. Er stützte die Hände auf die Bank, weil er vor Verlegenheit nicht wusste, wohin damit.
»Und … was genau?« Wollte er das wirklich wissen?
Er verfolgte, wie Katarina die paar Schritte zu ihm zurückkam und sich zu ihm hinabbeugte. Sie stützte die Hände auf die Knie und brachte ihr Gesicht nah an seines. Die Sonne glitzerte in ihren Augen und ließ ihre Iris grün funkeln. David konnte die Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren Wangen erkennen, die sich unter der Sommerbräune fast verborgen hielten, und sah die winzigen Poren an ihrem Kinn.
Kurz wandte sie sich um und warf dem Trio einen frechen Blick zu. Die Jungs hatten ihr Theater beendet, standen abwartend da und starrten zu ihnen herauf. David nahm das nur am Rande wahr, Katarinas Gesicht so nah vor seinem, ihr warmer Atem, das Kitzeln ihres Haars auf seiner Stirn. Er glaubte, sein Herz müsste jeden Moment vor Aufregung aus der Brust springen.
Ohne ein weiteres Wort beugte sie sich ein wenig vor und berührte seine Lippen sanft mit ihren. Für zwei Sekunden. Oder Monate. Oder Jahre.