Seitenwind Woche 9: Konflikte

She too

Sie erbrach sich lange auf der Toilette.
Es schien ihr, als ob sie das fremde Blut bis in den Rachen hinunter verätzt hätte, weshalb sie noch immer der Würgereiz überkam, obwohl sie sich schon mehrfach den Mund ausgewaschen hatte.
Als er mich bat, ihn zu befriedigen, hätte ich Nein sagen müssen, dachte sie jetzt.
Stattdessen signalisiert sie ihm mit einem kurzen Augenaufschlag, dass sie verstanden hat und öffnet fix seine Hose. Und auch alle weiteren Wünsche erfüllt sie ihm: Geht auf die Knie, obwohl kalter, harter Marmor, und sie nur in Nylons. Knöpft sich mit einer Hand die Bluse auf, schiebt den Rüschen-BH hoch und berührt sich an den Brüsten. Sie lässt sich sogar zu einem lustvollen Jauchzen hinreißen, nachdem er sie gönnerhaft darauf hinweist, vor lauter Penisfixierung seine Hoden nicht zu vergessen.
Erst, als er ihr befiehlt, den Kopf in den Nacken zu legen und den Mund so weit zu öffnen, damit er treffsicher in ihn hinein ejakulieren kann, schnellt die Hospitantin zurück und schaut zu ihrem Chef hoch.
»W-was … was ist?«
»Will ich nich!«
»Wie? Will ich nicht? Was soll das heißen?«
»Dass mir das zu weit geht! Ganz einfach!«
»Tickst du noch richtig, du Schlampe? Erst dich den ganzen Abend an mich ranschmeißen! Und dich jetzt verweigern? Soweit kommt`s noch! Mach sofort dein blödes Maul auf, sonst …!«

»Sonst?« Die Kommissarin sprach leise, als schreckte sie instinktiv vor dem zurück, was als Antwort kommen würde. »Was passierte dann?«
Aber die junge Frau hielt ihren Blick gesenkt und schwieg.
Wie erklären, dass sie zunächst tatsächlich ihren Mund geöffnet, dann jedoch blitzschnell zugebissen hatte, und zwar mit all der Kraft, die ihr der viele Champagner noch erlaubte, woraufhin der alte Mann, der sie den ganzen Abend gelobt und schließlich mit einer Assistentenstelle gelockt hatte, vor Schmerz einen Schritt zurückwich, dabei ausrutschte und mit dem Hinterkopf auf dem Waschbecken aufschlug.

»Ich verstehe Ihre Scham«, sagt die Kommissarin jetzt, »aber ich verspreche Ihnen, diesmal werden wir gewinnen!«

Vom Einfall zum Schlaganfall

Er hätte sich gar nicht erst einen Termin beim Chef geben lassen sollen. „Geh nie zu deinem Ferscht, wenn du nicht gerufen werscht“ - haha. Früher konnte er darüber lachen. Heute war ihm ganz und gar nicht danach.

Vorgesetzte! Pah!

Vor einen gesetzt, ja! Aber kein Verständnis, wenn man sie als „Nachgesetzter“ auf einen Missstand hinweist, den man abstellen und dabei zugleich noch eine ganze Menge verbessern könnte. Freundlich, vorsichtig, in wohl abgewogenen Worten hatte er seinen Vorschlag unterbreitet. Er hatte es gut gemeint. Für alle hätte es besser ausgesehen, die Mitarbeiter, die Chef-Etage, die Kunden. Genützt hats nichts. „Ja, Herr Bergkammer, ich überleg mir das gerne nochmal“, und „Danke auch für Ihren Hinweis! Das wird sicher geändert!“. Und ein abschließendes: „Geht klar!“

Nichts würde klar gehen, das wusste er vom ersten Moment an, an dem er wieder vor der Tür des Chefbüros stand. Geld hätte es gekostet. Und die Aufgabe alter Gewohnheiten. Aber das eigentliche Problem, die unangenehme Situation, das nicht ausgeschöpfte Potenzial zur Verbesserung blieb. Und der massige Mann stand da wie eine Mischung aus begossenem Pudel und kleinem Schulbub, den man gerade zurechtgewiesen hatte: „Halt deinen Mund, wenn du nicht gefragt worden bist!“

Wochenlang hatte er sich Gedanken gemacht, alles für ihn Wichtige aufgeschrieben, zwischendrin mal seine Kollegen befragt, alles bis ins Detail sauber durchgerechnet, sogar aufwändige Grafiken zur Präsentation vor dem Chef angefertigt. Seine Freizeit ging derweil flöten, seine Familie reagierte zunehmend mit Unverständnis. Egal, es war es wert. Der CEO müsste nur einen guten Tag haben und ihm zustimmen. Vielleicht war ja sogar eine Prämie drin?

Es gab keine Prämie. Und auch sonst nichts: Kein gutes Wort, keine Anerkennung. Dafür allerlei, was ihn in kürzesten Abständen abblockte: keine Zeit, kein Interesse, kein Geld, keine Möglichkeit, vom bisherigen Standard abzuweichen. Er war schneller wieder weg von seinem Stuhl vorm Chefsessel als er für die Begrüßung draußen bei der Sekretärin gebraucht hatte.

Es nagte in ihm. Erst leicht in den folgenden Minuten, dann immer intensiver in der Stunde danach. Er saß an seinem Arbeitsplatz, schrieb etwas auf, redete mit einem Kollegen, dachte nach, telefonierte - aber der Groll wurde nicht weniger. Im Gegenteil: Wut kroch in ihm hoch, verstärkte sich, kam in enger laufenden Wellen ins Herz und von dort direkt ins Hirn. Unverständnis, Ärger, Enttäuschung – alles ballte sich zusammen, stieg in ihm immer höher, wurde intensiver, begann schließlich zu pochen und zu schmerzen…

Nein, er hätte wirklich nicht dorthin gehen sollen, jedenfalls nicht jetzt, nicht so. Es lohnte sich einfach nicht. Vielleicht hätte er dem Boss lieber direkt … hmpf. Verd…

Der Knall kam plötzlich. Nein, kein Knall, mehr ein Geräusch, als wenn man einen Zwirnsfaden spannt und ihn nach einem Moment der äußersten Anspannung zerreißen lässt. Krr…ick. Dann kam der elende Schwindel, der getrübte Blick, die unsägliche Übelkeit, das nur seiner Umwelt gewahr werdende Herumlallen, der irre Kopfschmerz, ganz zum Schluss die Wahrnehmung einer irgendwo im Schwarzen geschrienen Notfallnummer…

Ein Schlaganfall mitten im gesprochenen Satz, sagte der Arzt später. Mit ausgelöst durch Stress womöglich. Und mehr Glück als Verstand, dass er ihn überlebt hatte.

(leider nach einer wahren Begebenheit)

Auszug aus „Die Feder des Kakadus“ - der Prinz spricht

Bisher war es nicht nötig, einen Freund davon abzuhalten, Artur nach Hause zu folgen. Er tut gut daran, vorzugeben, dass er mich nicht kennt. Wie würde der ehemalige Ratgeber meines Vaters seine Rolle in dieser Geschichte erklären? Der kleine Mann war einmal mein engster Vertrauter. Ich bin wahrhaft nicht gutgläubig und trotzdem bin ich auf diesen Windhund hereingefallen!
Beim Gedanken, mit ihm nach Hause zu gehen, wird mir einfach nur schlecht! Wenn er einen Fuß in den Palast setzt, reiße ich ihm den verdammten Kopf ab.

Sie ist da!

Eine Glaswand teilt den Raum, in den ich von Adam geführt werde. Auf der anderen Seite steht sie, gebeugt über eine Anrichte, und drapiert sorgfältig etwas auf Teller. Sie trägt eine lange schwarze Schürze über einer kurzärmligen schwarzen Bluse, und auf ihrem Kopf sitzt ein adrettes schwarzes Häubchen. Der andere Adam, der schwarze, steht neben ihr und wartet.
Als wir eintreten, blickt sie ganz kurz auf, senkt aber ihre Augen sofort wieder, konzentriert auf die Tätigkeit ihrer Hände. Ich bin mir nicht sicher, ob ihr Blick mich überhaupt registriert hat.
Chan! Eine heiße, verzehrende Welle rollt durch meinen Körper. Meine Wangen glühen, und Tränen trüben mir den Blick.
»Komm, Dev.« Adam schiebt mich am Arm in den Raum diesseits der Glaswand.
Ohne den Blick von ihr zu wenden, lasse ich mich an die Schmalseite eines langen Tisches führen und auf einen Stuhl drücken. Der Tisch, weiß und leuchtend, ist mit edlen Gläsern, Besteck und Servietten gedeckt. Adam setzt sich an die breite Seite; und mir gegenüber am anderen Ende der Tafel wartet ein drittes Gedeck. Wird dort etwa der andere Adam sitzen, während sie uns bedienen muss?
Jähe Wut steigt in mir auf. Wie kann ich ihr zu verstehen geben, dass ich die beiden töten will? Ich sehe Messer beim Besteck – sind sie scharf genug? Wenn jede von uns einen übernimmt, kann es ganz schnell gehen… Blutige Bilder drängen sich in meine Vorstellung, zwei grausige, kahlköpfige Fratzen mit durchschnittenen Kehlen, das grellrot besudelte Weiß dieser makellosen Räumlichkeiten…
Mein stierer Blick schreckt hoch.
Jemand hat mir gegenüber Platz genommen.
Es ist sie.
Sie hat ihre Schürze und das Häubchen abgelegt. Ihr Haar sieht anders aus. Es gefällt mir. Wer hat es ihr geschnitten? Eine Maschine?
Ich sehe auch, dass sie ihr Netz noch trägt.
Und ihr Gesicht? Sie sieht nicht unglücklich aus. Eher genervt. Sie sieht mich mit demselben Ausdruck an, den sie bei der Aufzeichnung hatte, die Adam dem Captain gesendet hat, als er sie kurz ins Bild geholt hat und sie sich über das Essen beschwert hat.
Ich schaue sie schwer atmend an; meine Freude über das Wiedersehen ringt mit der Ahnung, dass etwas Fürchterliches über dieser Begegnung schwebt. Ich versuche, Chan wenigstens mit meinen Blicken zu berühren, suche in ihren Augen nach einer Erwiderung meiner Gefühle…
Adam sitzt zwischen uns und schaut erwartungsvoll von einer zur anderen. Dann winkt er dem zweiten Adam, der daraufhin mit einer Flasche Champagner an den Tisch kommt.
»Wo kommst du denn jetzt auf einmal her?«, blafft Chan plötzlich in meine Richtung.
Die Kälte ihrer Stimme fährt wie ein Schlag in meine Magengrube und lässt mein Gesicht erstarren. Neben mir schenkt der schwarze Adam mein Glas voll.
Ich bringe kein Wort heraus.
»Bist du etwa gekommen, um mich zu retten?«, fragt Chan mit einem keuchenden Lachen.
»Ich… ich…«, stammle ich verdattert.
»Ja wirklich!« Sie schaut den weißen Adam amüsiert an und zeigt dabei auf mich. »Meine Freundin Dev ist gekommen, um mich zu befreien! Wie rührend, wie toll!«
Ihre Stimme klingt völlig anders, als ich sie kenne: böse und gehässig. Jede ihrer beißenden Bemerkungen schmerzt mich wie ein Peitschenhieb.
Ich lasse meinen Kopf sinken und starre auf die Tischplatte.
Bruder Adam serviert das Essen.
Es gibt – natürlich – Blumenkrabbe.
Der intensive heiße Dunst von Meeresgetier, Hühnerfett, flüchtigem Alkohol und Zwiebeln dreht mir den Magen um.
»Lass es dir schmecken, Dev«, sagt Chan bitter. »Ist mit Liebe gekocht.«
Was ist mit ihr? Warum ist sie so gemein zu mir? Hat etwa das System sie so verdreht? Sie benimmt sich, als hätte ich ihr etwas Böses angetan, als wären wir in Streit und Zwietracht auseinandergegangen – wo doch das Gegenteil der Fall war! Wir waren uns so nahegekommen, schon bei unserer ersten Begegnung. Und an unserem letzten Abend war es, als ob Chan mir ihre Hand gereicht und eine schwere Last von mir genommen hätte…
Und jetzt?
Ihr grausamer Hass zerstört all meine Hoffnung und Zuversicht.
Ich bin umsonst hergekommen!

Adam hört zu essen auf und legt den gesenkten Kopf schräg, um meinen Blick einzufangen, der immer noch starr auf den unberührten Teller vor mir gerichtet ist.
»Nimm’s nicht so schwer, Dev. Zu mir ist sie die ganze Zeit so.« Er schaut zu Chan hinüber. »Na ja, ich hab’ sie angeblich ‚entführt’. Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass ich sie einfach als erster gerettet habe, aber sie scheint das anders zu sehen.« Er seufzt und stößt einen kurzen Lacher aus. »Ich glaube, die lange Zeit allein dort unten hat ihr nicht gut bekommen. Sie war mal so ein süßes kleines Ding – aber sie ist ein richtig gemeines Biest geworden.«
Als Chan ihn mit einer finsteren Grimasse bedenkt, schaut er wieder mich an. »Was zwischen euch beiden los war, weiß ich nicht…«
Meine Augen sind noch auf Chan gerichtet, während Adam das zu mir sagt.
Und da – für einen Wimpernschlag – verwandelt sich ihr Gesicht!
Wie ein Schatten weicht der bösartige Ausdruck von ihr, und ein Lächeln strahlt mich an, erfüllt von der Zuneigung, die ich schon verloren geglaubt hatte.
Mein Herz macht einen Satz. Und Chan schickt noch schnell ein Zwinkern hinterher, das mich augenblicklich wissen lässt, wie ich ihre Worte verstehen soll.
Adam merkt meinem Gesicht etwas an, doch als er sich irritiert zu Chan umschaut, ist da wieder derselbe böse Blick wie zuvor.
»Jetzt esst doch«, sagt er ärgerlich »Es wird ja kalt!«
Ich bemühe mich, weiter Appetitlosigkeit vorzutäuschen, aber nach Chan’s Botschaft gelingt mir das nur für ein paar zaghafte Bissen.
Es schmeckt so gut! Ich fange an, hemmungslos zu schlingen.
»Na also!«, sagt Chan spöttisch. »Hau rein, Herzchen. Nicht einmal du kannst verbergen, dass dir mein Essen schmeckt.«
»Mit genügend Hunger schmeckt jeder Fraß«, knurre ich mit vollem Mund.
»Pass nur auf, dass du dich nicht wieder überfrisst«, lacht sie höhnisch. »Wie an unserem letzten Abend bei Deepak. Was habe ich auf dem Klo zu dir gesagt, während du gekotzt hast?«
»Nicht zu fassen!«, rufe ich entrüstet, »Jetzt fängst du wieder damit an! Mir war so schlecht, dass ich nichts darauf sagen konnte. Aber pass mal auf: Du hast mir gesagt, was du von mir hältst – und jetzt sage ich dir: Ich halte dasselbe von dir!«
»Du mich auch, Dev! Verstanden?«
»Ja, du mich auch! Eines Tages bekommst du es zurück! Hundertfach…«
»Das möchte ich sehen, haha!«
»Ich kriege dich!« Ich funkle sie giftig an. »Darauf kannst du dich verlassen!«
»Auf den Tag freue ich mich schon!«
»Du wirst weinen, wenn ich mit dir fertig bin! Du zitterst ja jetzt schon, schau dich nur an!«
»Weil ich es nicht erwarten kann, dich in die Hände zu bekommen!« Chan springt auf. Sie schnappt nach Luft und ringt zornig mit Tränen. »Am liebsten würde ich dich jetzt gleich… packen… und…«
Ich stehe auch auf. »Komm doch her…«
Ich presse meine linke Hand an meine Brust und strecke Chan die rechte entgegen – als wollte ich sie packen oder abwehren. Und sie tut dasselbe. Ohne Adam zu beachten, stehen wir uns keuchend gegenüber. Wir durchbohren uns feindselig mit Blicken, starren uns so tief in die Augen, dass ein schmerzhafter Sog entsteht, dem wir nur mit Mühe widerstehen können, eine Energie, die wir in diesem Moment gemeinsam spüren als wären wir eins; eine Energie, die uns beiden in alle Fasern dringt und uns verbindet mit einem Hochgefühl, das tausendmal intensiver ist als meine erste Begegnung mit dem goldenen Netz.
Chan!
»Jetzt reicht’s!«
Adam, der die ganze Zeit mit offenem Mund unseren theatralischen Schlagabtausch verfolgt hat, schlägt mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass Gläser und Geschirr klirren.
»Eure Streiterei geht mir auf die Nerven! Ihr setzt euch jetzt beide wieder hin und benehmt euch!«

Das Innere des Bunkers war düster und staubig, ein durchdringender Geruch nach Staub und Schimmel hing in der Luft. Ich blieb auf der untersten Stufe der Treppe stehen und sah mich in dem schwachen Streifen Tageslicht um, der durch die Luke in meinem Rücken hereinfiel. Die Umrisse einer kargen, zweckmäßigen Einrichtung schälten sich aus der Dunkelheit; ein wackeliger Tisch, beladen mit Papierstapeln und anderem Krimskrams, rundherum Stühle. Mir gegenüber zwei Regale an der nackten Betonwand und eine weitere, nur angelehnte Tür. Das Innere des Bunkers wirkte unordentlich, als wäre er durchsucht worden.

Ein leises Klirren ertönte, und ich zuckte zusammen. Außerhalb der Stadt war ich ungewohnt schreckhaft, aber das war es nicht, was meinen Puls zum Rasen brachte, sondern Pax, der mit gerunzelter Stirn durch den Raum streifte und alles mit scheinbarer Verachtung musterte. Gerade hatte er eine Tasse hochgenommen und drehte sie beiläufig in seinen Händen.

„Stell das wieder hin.“ Bevor ich es verhindern konnte, schossen die Worte aus meinem Mund, hart und scharf wie Dolche.

Pax hob den Kopf. „Wieso? Wen stört es?“

„Mich.“ Ich rang um Beherrschung, zwang mich, langsam zu ihm zu gehen und ihm die Tasse aus der Hand zu nehmen, statt zu rennen und sie ihm zu entreißen. „Und die … Bewohner.“
Bewohner?“ Er schnaubte und hielt seine staubverschmierten Finger in die Höhe. „Hier wohnt niemand mehr, und zwar seit einer ganzen Weile. Wahrscheinlich sind sie längst …“

Trotzdem gehört es sich nicht, in fremden Sachen herumzuschnüffeln“, schnappte ich, bevor er seinen Satz beenden konnte, und ignorierte die Tatsache, dass das vor uns offensichtlich schon jemand getan hatte. Ich drehte mich so, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte, als ich die Tasse vorsichtig wieder auf dem Regal abstellte. „Die Sachen gehören dir nicht. Fass einfach nichts an.“

Ich spürte mehr, wie er näher kam, als dass ich es hörte. Seine Fähigkeit, sich nahezu lautlos zu bewegen, war wirklich unheimlich. Ich drückte den Rücken durch und rührte mich nicht, aber obwohl ich wusste, dass er hinter mir stand, zuckte ich zusammen, als seine Stimme plötzlich viel zu dicht an meinem Ohr erklang.

Du warst es doch, die uns hierher geführt hat“, raunte er. Sein Atem strich warm über die Haut an meinem Nacken und ich bekam eine Gänsehaut. „Es war deine Idee, diesen schäbigen alten Bunker aufzusuchen, also erzähl mir nichts von Hausfriedensbruch und Privatbesitz. Soll ich dir einen Tipp geben? Wenn du hier draußen überleben möchtest, solltest du deine moralischen Grundsätze über Bord werfen. Die sind ja ganz sexy, aber außerhalb der Stadt kommst du damit nicht weit.“

Mit einem Zischen fuhr ich herum – und stieß ihn mit aller Kraft von mir. Ich sah die Überraschung in seinem Gesicht, als er rückwärts taumelte und mit einem Poltern gegen den Tisch prallte. Mit Mühe schaffte er es, nicht hinzufallen, doch die Sachen auf dem Tisch hatten nicht so viel Glück. Ich zwang mich, nicht hinzusehen, als mehrere Messgeräte ins Rutschen kamen und über die Kante rollten. Glasröhrchen zersprangen splitternd in tausend Teile. Es war egal. Es waren nur Dinge.

„Erzähl mir nichts vom Überleben“, fauchte ich. Pax stand noch immer an den Tisch gelehnt, hielt sich mit den Händen an der Platte fest. Seine Miene drückte Verständnislosigkeit und Ärger aus. „Du kennst mich nicht.“ Zum ersten Mal erlebte ich ihn sprachlos, doch ich konnte meinen Sieg nicht genießen – wenn es denn überhaupt einer war. Ohne eine Antwort abzuwarten, marschierte ich an ihm vorbei in den angrenzenden Raum.

Der Pilger

Eine höchst ungewöhnliche Szene spielte sich ab an diesem Sonntagvormittag, hier mitten im Wald, weit ab von Haus oder Ansiedelung. Von Ferne riefen Kirchenglocken die Gläubigen zur Sonntagsmesse.
Gestalten in Motorradkleidung und Helm waren von ihren Enduros gestiegen und bewegten sich, mit Schlagstöcken, einer Motorradkette und einem Messer bewaffnet auf einen Mann zu. Der stand mit dem Rücken zum Felsen auf seinen Stab gelehnt da und betrachtete regungslos die fünf bedrohlich näherkommenden Angreifer. Die Motoren der kleinen Geländemaschinen tuckerten im Leerlauf.
Er war gekleidet wie ein Pilger aus alten Erzählungen. Bequeme, feste Wanderschuhe, unter der dunklen verwaschenen Lodenkotze mit undefinierter Farbe waren Gamaschen zu sehen, die verhinderten, dass die Hosenbeine und die Oberseite der Schuhe nass wurden, beim Laufen durch Gras und Unterholz. Auf dem Kopf ein Schlapphut aus Filz und auf dem Rücken ein Stoffrucksack beide von ebenso undefinierbarer Farbe wie die Kotze. An den Rucksack war eine Decke geschnürt.
Er wirkte eher wie eine Statue, ein Denkmal, als ein lebender Mensch. Doch, als der erste Stock auf ihn herabzusausen drohte, kam Bewegung in die Statue. Das obere Ende des Wanderstabes schlug dem ersten Angreifer so hart an das Handgelenk, dass der Stock, den sie hielt, in hohem Bogen davon flog. Die untere Seite des Stabes traf den zweitnächsten Vermummten in einer Drehbewegung hinten am Genick und warf ihn, den Schwung des Angriffes ausnützend, zu Boden. Pilger und Stab wirbelten noch einen kurzen Augenblick durch die Luft und kehrten dann in die Ausgangslage zurück.
Das Pilgerstandbild blickte stumm, als sei gar nichts gewesen in den letzten drei Sekunden, auf die fünf Vermummten Gestalten, die allesamt am Boden lagen. Die sammelten sich, wie vom Blitz getroffen irgendwie zusammen und dachten nur noch daran, wie sie auf ihre Maschinen kamen und fort von hier.

Einige Stunden später, die Nacht war nicht mehr weit, bewegten sich der Pilger und noch ein Mann, Ende vierzig, durch die Schlucht. Da war nur der Bach, der Weg und Felsen. Der Pilger hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Begleiter unbemerkt an die Küste zu bringen. Aber sie mussten sich beeilen. Deshalb nahmen die beiden Männer das Risiko in Kauf, die zwei Kilometer durch die enge Schlucht zu gehen, ohne eine Möglichkeit sich zu verstecken, so wie der Pilger seinen Schützling im Gebüsch versteckt hatte, kurz vor dem Zwischenfall mit der Motorradgang.

Der andere Mann war wie ein normaler Wanderer gekleidet in moderner Funktionskleidung und mit Treckingrucksack, Schlafsack und Isomatte ausgerüstet. Er wirkte weit weniger sicher und vertraut mit dem, was er da tat als der Pilger.
Wie schon erwartet und befürchtet, kamen Motorengeräusche auf die beiden Wanderer zu. Erst von Norden, nach einer Weile auch von Süden. Die beiden Trupps bewegten sich ganz langsam, die Schlucht gründlich, Meter für Meter absuchend, mit lichtstarken Scheinwerfern ausleuchtend, so dass trotz der heraufziehenden Dämmerung nichts verborgen bleiben konnte.
Der Pilger nahm dem anderen Mann den Rucksack ab und legte ihn zusammen mit seinem eigenen Bündel nahe an der Felswand auf den Boden. Er packte seine Decke aus und breitete sie über das Gepäck. Dann setzte er sich drauf und zog seinen Begleiter neben sich. Er legte seinen Arm um ihn und nahm ihn bei der Hand. „Schließe die Augen und stell Dir vor, Du wärst unsichtbar. Auf keinen Fall die Augen öffnen und keinen Mucks!“ Der Pilger deckte die Lodenkotze über sich und seinen Begleiter und schloss ebenfalls die Augen. Die Fahrzeuge und die Scheinwerfer kamen näher. Nicht lange, und die beiden Männer merkten an der Helligkeit, die durch die geschlossenen Augenlider drang, wie das Licht der Scheinwerfer über sie hinweg glitt. Nichts geschah! Als die beiden Suchtrupps aufeinanderstießen, nicht weit entfernt von ihnen, hörten sie eine Weile die Stimmen der Suchenden, bevor diese mit ihren Fahrzeugen wieder abzogen. Sie waren nicht entdeckt worden!

Sie hatten nicht viel geschlafen letzte Nacht und kaum miteinander gesprochen. Dafür waren sie viel gelaufen. Der Begleiter des Pilgers glaubte, jedes Glied und jede Muskelfaser einzeln zu spüren. Er war Wissenschaftler, sein Platz war das Labor und nicht der Wald. Noch dazu im Dezember!

Man musste nicht Wissenschaftler sein, um einen Sack an Fragen zu haben, nach dem Vorfall gestern. Wieso hatten die Schergen der Chinesen sie nicht gefunden?

„Findest Du nicht, Du schuldest mir eine Erklärung?“, fragte er schließlich. „Sie haben uns nicht gesehen, obwohl sie uns direkt angeleuchtet hatten. Doch nicht, weil wir die Augen geschlossen haben und uns vorstellten, wir wären unsichtbar?“
„Aber ja“, antwortete der Pilger nach einer Weile. „Warum sonst? – hast Du noch nie mitbekommen, dass Kinder die Augen schließen beim Versteckspiel und denken, sie seien unsichtbar?“ –
„Aber sie sind es nicht, das ist doch mein Punkt!“, warf der Begleiter ein. –
„Nicht mehr!“, erklärte der Pilger weiter. Die Kinder haben noch den Reflex aus früheren Tagen, ohne den die Menschen wohl nicht überlebt hätten, diese unbewaffneten, langsamen, felllosen Kreaturen, die wir sind. Wir haben es mit der Entwicklung der Zivilisation im Laufe der Jahrtausende verloren. Alles, was nicht regelmäßig benutzt wird, verkümmert, wird abgeschaltet!“
„Und wieso hat es dann gestern funktioniert? Bist Du ein Außerirdischer oder ein unentdecktes Fabelwesen?“ Der Begleiter sah den Pilgern fast ehrfürchtig an. –
„Nein, ich lebe nur schon sehr lange anders. Immer auf Wanderschaft, immer draußen in der Natur. Diese Fähigkeiten scheinen nicht endgültig verloren zu gehen. Sie werden nur abgeschaltete. Mit der Zeit können sie, bei Bedarf und bei Geschick, wieder aktiviert werden.“
Der Pilger schien es ganz allgemein vor sich hinzusagen, zu niemandem im Besonderen.

„Gut, sagen wir mal, ich nehme Dir ab, dass Du das kannst“, hakte der Begleiter nach. „Aber ich und unsere Rucksäcke und Kleidung hätten doch gesehen werden müssen?“ –
Der Pilger räumte ein: „Ich kann das nicht so genau erklären. Es sind mehr Erfahrungswerte. Die Fähigkeit der Unsichtbarkeit überträgt sich nicht auf die Sachen, die Du anhast und trägst. Aber auf meine Sachen schon. Auch auf Menschen, die ich anfasse, scheint es zu wirken. Alles im Zusammenhang mit dem Aussenden der Botschaft mittels Gedanken, dass man unsichtbar ist, dass einen das Gegenüber nicht sehen wird. Da läuft auch was auf der geistigen Ebene ab. Ich nehme es, wie es sich mir bietet!“ –
„Kannst Du auch Gedanken lesen?“ -
Der Pilger lächelte nur leicht und sagte nichts.

„Wieso nennst Du Dich ‚der Pilger‘, hast Du keinen Namen?“ –
„Doch, ich habe einen Namen, aber ich trete hier auf, als ‚der Pilger‘. Kennst Du die Geschichte von der Braut des Prinzen, den ‚grausamen Piraten Roberts‘? Der echte Roberts hatte sich längst zurückgezogen und an seine Stelle war ein anderer getreten. Und an dessen Stelle wieder ein Anderer, und so fort. Der Name war eine Institution. War nicht mehr an den ursprünglichen Träger gebunden. Vor einem ‚grausamen Piraten Roberts‘ hatte jeder Angst. Das ersparte meist den Kampf. Vor einem ‚Piraten Westley‘ hätte niemand Angst gehabt.

Genauso bin ich hier in dieser Gegend ‚der Pilger‘ es gibt auch Pilger in anderen Gegenden. Die Pilger sind die Verbindung der ewigen Wanderer, manche nenne sie ‚die Uris‘ andere ‚die Touris‘, zur Zivilisation. In den meisten Kreisen der Bevölkerung ist das alles völlig unbekannt. In manchen Kreisen jedoch, unter den Wanderern und denen, die sich draußen in der Natur bewegen, ist ‚der Pilger‘ ein Begriff. Manchmal ist auch ein Anderer ‚der Pilger‘ und ich habe Urlaub. Der Pilger lächelte.

Dann nahm er den Kopf seines verdutzten Begleiters zwischen seine Hände und hielt ihn eine Weile fest.

„Das ist aber ein angenehmes Gefühl“, dachte Friedrich Schuller und er hatte keine Fragen mehr. Er wusste noch nicht einmal, dass er etwas gefragt hatte. Und - seine Glieder taten ihm längst nicht mehr so weh.

Verblendeter Kugelsternhaufen

„Hast du das Teleskop überprüft?“, fragte der Professor nach einer Weile.
„Ich bin gleich soweit“, murmelte sein Student Henri mürrisch.
Der alte Akademiker hatte die Stirn in Falten gelegt und blätterte weiter in den Journalen.
Henri zuckte zusammen. Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen, freilich nur so lange, wie er sich sicher sein konnte, vom Universitätslehrer nicht beobachtet zu werden. Denn der Ordinarius hatte wieder angefangen, die Nase hochzuziehen. Jedes einzelne Mal, wenn er in Gedanken versunken war, schniefte er.
„Seit vielen Monaten studieren wir nun Tag für Tag Fotoplatten, Logbücher und Notizen“, sinnierte der Studios. „Ich ertrage seine Blasgeräusche langsam nicht mehr!“

Der junge Mann sah geknickt aus. Er dachte an seine Freunde, die sich aller Wahrscheinlichkeit schon am frühen Morgen am kühlen Nass erfreuten. Wohingegen er ganze Tage und Nächte hier verbrachte, um zu diskutieren, ob es sich bei Terzan 5 um ein Überbleibsel einer im Anfangsstadium unserer Milchstraße eingefangenen Zwerggalaxie handle oder nicht.
„Wie absurd anzunehmen, dass er den Hochschullehrer dazu bringen könnte, ernsthaft über seine Hypothesen nachzudenken!“ Er fühlte sich müde und erschöpft. Bisher hatte der Universitätsprofessor nicht annähernd seine Forschungsüberlegungen näher in Betracht gezogen.
„Beeindruckend!“ flötete der Professor und riss Henri dabei aus den Gedanken.
„Sie sind ja heute schrecklich still“.
Der Student versuchte zu lächeln.
„Haben Sie gerade über den Kugelsternhaufen nachgedacht?“, erkundigte sich der Universitätsprofessor. „Wieso fragen Sie?“, antwortete Henri, während er das Teleskop weiter kontrollierte.
„Können Sie etwa an andere Dinge denken?“ Der Professor zog verwundert eine Augenbraue nach oben.
„Ich für meinen Teil habe mir Ihre Aufzeichnungen nochmals angesehen“, posaunte er. „Sie sind nicht übel, außer wenn man bedenkt, dass Sie nicht miteinbezogen haben …“.
Für einen kurzen Moment unterbrach der Akademiker die Unterhaltung und starrte auf die Notizen.
Henri hantierte weiterhin am Teleskop und hing seinen Gedanken nach. Ihm war ganz und gar entgangen, dass sein Ordinarius mitten im Satz innehielt. Obwohl der Wissenschaftler inzwischen zügig weitersprach, war Henri gedanklich wieder am Badesee. Er musste sich auf anderes konzentrieren, er hielt die Geräusche, die die Atemnot des Alten verursachte, schlicht und einfach nicht mehr aus.
„Sollen wir heute länger bleiben und das Teleskop auf den Sonnenaufgang richten?“, schlug der Professor vor.
„Um Himmels willen, dann komme ich erst recht nicht nach Hause“, fuhr es Henri durch den Kopf. Was sollte er machen? Seinem Prof einen Korb geben? Wobei, wer würde daheim auf ihn warten? Seine Freunde hatten ihn seit Wochen nicht mehr gefragt, ob er mit ihnen an den See wolle. Andernteils waren diese furchtbaren Rachenlaute unerträglich geworden.
Henri biss die Zähne zusammen und sagte ausgelaugt: „Ja, warum nicht, ich möchte gerne wieder mal die Sonne beobachten“.
„Wunderbar“, erwiderte der Gelehrte. „Haben Sie alles fertig?“
Der Student prüfte abermals die Einstellungen und schwenkte das Fernrohr Richtung Himmelskörper. „Sie wissen“, mahnte der Alte, „die Sonnenfilter sind meine Angelegenheit“.
Henri verdrehte die Augen, was sein Hochschullehrer nicht sehen konnte, da sich sein Schützling dabei geschickt weggedreht hatte. Zum wiederholten Male schniefte der Professor kräftig erwartungsgemäß, als er die Filter in Augenschein nahm. Henri standen endgültig alle Haare zu Berge.
„Wenn er das weiterhin macht, muss ich ihn erwürgen“, durchfuhr es Henri.
„Alsdann“, meinte der Prof zufrieden. „Sind sie bereit?“

Fokus

„Weist du was ihn beruhigt hat, als er rausgelaufen ist und ich hinterher? Eine glitschige kleine Schnecke. Ich hab meinen Fuss da einfach hingestellt und er so: Vorsicht! Er hat die ganze Zeit die mini Schnecke beobachtet, hat sich richtig drauf fixiert. Das hat ihn beruhigt.“ Sia ist am Telefon und durch die kleinen Stöpsel leide ich mit ihr mit. Ich lasse den Popsocket los, weil ich mich ertappt fühle. Eigentlich dient der als Handyhalterung. Ich habe ihn irgendwann ans Armaturenbrett geklebt, weil mein Handy sonst nicht in die iPhone Halterung passt, und seit dem wird er dort von mir rein und wieder rausgedrückt, während dem fahren, so als Antistress - Button.

Das waren höchstens 20 Minuten französisch Klausur für Karl und die Blätter haben es wohl auch nicht im Ganzen überlebt.

Ich schlussfolgere, das wird mindesten ne sechs.

Erneuter Widerspruch

Sehr geehrte Personalagentur,

nach all meinen Erfahrungen halte Ihre Personalagentur die Sie mir so schillernd angepriesen haben, mit Abstand für die unseriöseste Personalvermittlung, mit der ich je zu tun hatte!

Um den Geschäftserfolg moralisch äußerst fragwürdig um jeden Preis sicherzustellen, werden Mitarbeiter von Ihnen

  • zuerst ganz ungeniert getäuscht,
  • dann willkürlich gekündigt,
  • dabei die Kündigungsfristen zugunsten der Personalagentur falsch berechnet,
  • ferner die zur Herstellung eines anderweitigen Arbeitsverhältnisses notwendigen Arbeitspapiere zurückgehalten
  • und zuletzt wird noch nicht einmal eine korrekte Lohnabrechnung erstellt!

Es grenzt schon an Unverschämtheit, wie hier der Arbeitnehmer über den Tisch gezogen werden soll!

Es fällt mir schwer, hinter all dem keine Absicht, sondern vielleicht tatsächlich nur Unkenntnis und Unfähigkeit zu sehen!

So oder so kann ich mir nicht vorstellen, dass Ihre Geschäftsleitung ein solches Vorgehen gutheißt!

Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass so ein konkretes Fallbeispiel höchstwahrscheinlich auf großes öffentliches Interesse stoßen würde!

Sollten Sie obige Punkte aus Unkenntnis bisher bei Ihrem Personal anders gehandhabt haben und damit stets durchgekommen sein, dann nehmen Sie hiermit zur Kenntnis, dass Sie bei mir damit nicht durchkommen - das ist mein Recht!

Ich fordere Sie hiermit ein letztes Mal auf, mich korrekt aus dem Arbeitsverhältnis zu entlassen, ansonsten sehe ich mich leider gezwungen, mein Recht vor dem Arbeitsgericht durchzusetzen!

Als Frist setze ich Ihnen …

Uff, mit diesem geharnischten Antwortbrief hatte sich meine gesamte Wut entladen, die sich wegen der sich häufenden Jobungerechtigkeiten in den letzten Monaten in mir angesammelt hatten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich das jetzt verarbeitet hatte.

Ein paar Tage später - an meinem Geburtstag - erhielt ich einen Anruf des Geschäftsführers. Er entschuldigte sich ausführlich bei mir und gab mir in allen Punkten Recht.

Die Personalvermittlerin, die mich dermaßen hinters Licht geführt hatte, bekam einen ordentlichen Rüffel und musste sich persönlich bei mir entschuldigen, was ihr hörbar schwerfiel.

Er versicherte mir, dass alles in Ordnung gebracht würde und dass das alles nicht der Geschäftspolitik der Personalfirma entspräche.

Und tatsächlich – innerhalb weniger Tage hatte ich alle Papiere, einschließlich korrigierter Lohnabrechnung auf dem Tisch, selbst der fehlende Lohn war auf dem Konto.

Na bitte – ging doch!

Morgen sehe ich rot, morgen bin ich tot.

Die Kabel an den Monitoren begannen plötzlich zu leben. Wie Schlangen kringelten sie sich durchs Krankenzimmer. Wie nur sollte er je wieder aus dem Krankenbett ins Ehebett kommen? Er müsste dann ja durch die wabernden unheimlichen Verbindungen hindurch. Panik machte sich in ihm breit. Erst wenige Tage zuvor war er mit einem septischen Schock nach Elbstett eingeliefert worden. Und als er aus diesem wieder zu Bewusstsein kam, drohte der nächste Schock. Sein Gehirn war zu einer Generator für Horror mutiert, es reihte Bilder aneinander, wie Perlen auf der Schnur: Bluttransfusion. Lungenbeatmung, Herzinsuffizienz, Leberversagen, Thrombose, angestochene Vene, Blutvergiftung, tanzende Gallensteine, die in Richtung Niere wanderten, die Füße wollten auch nicht mehr. Der Nervenzusammenbruch war eine Frage der Zeit und des Gefühls, er schwitzte, schreckte plötzlich im Bett hoch –mit einem Schrei. Er war auf der Flucht vor Fratzen, die nur die Nacht kennt. Er fühlte das grosze Geschrei durch die Natur aus dem Jahr 1895. Die Hamburger Kunsthalle hatte ein Bild davon. Er hatte beim Kunstmuseumbesuch hunderte Male darauf gestarrt. Es war ihm in Wien, in Oslo und bei Andy Warhol aufgefallen. Er erinnerte den Karl, der Andys Gesicht trug und mit seinem Chefarzt über Fallpauschalen stritt, die auszubildende Ärztin hatte die OP versaut! Es war ja nur die Erzieherin, die musste auch mal üben.
Als er die Augen ein letztes Mal aufschlug, sah er eine rote Frau am Krankenbett sitzen ,er hörte den Lärm auf dem Krankenhausflur und schlief einfach ein.

Miller in Amsterdam

Sanft glitt die Tür hinter ihnen zu und geräuschlos setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Schweben durch den Raum in einer High-Tech Kabine, in der jeder Quadratzentimeter Material Luxus und Überfluss ausstrahlte. Eisernes Schweigen mischte sich mit der diffusen Beleuchtung der Kabine zu einer unwirklichen Welt. Das Raubtier neben ihm mutierte zum Aal, von dem man nicht wusste, ob seine wulstigen Lippen grinsten oder einem sadistischen Gedanken vorauseilten, der jeden Moment zur quälenden Wirklichkeit werden konnte. Jeff Miller wurde abwechselnd heiß und kalt. Die Fahrt schien endlos und er wusste nicht mehr, ob es aufwärts ging oder abwärts, direkt in die Vorzimmer eines teuflischen Wesens.

Mit einem entfernten Rauschen öffneten sich die Türen wieder, und ohne ihn zu berühren, schob ihn der Aal vor sich her bis vor eine Tür, der man ansah, welch eine Festung dahinter lag. Sie wurde kurz geöffnet, und als sie wieder in ihr großes Schloss fiel, ein weiches Einschnappen von massivem Metall, stand Jeff Miller allein in einem großen Raum. Absolute Stille. Kein Laut drang durch die getönten Fenster. Sie waren also nach oben gefahren, wahrscheinlich ins oberste Stockwerk. Die Welt der Menschen lag tief unter ihnen.

Eine Stimme hinter ihm ließ sich vernehmen, deren Zynismus unüberhörbar war:

»Entweder haben Sie Mut, oder Sie sind einfach nur dumm!«

Jeff drehte sich erschreckt um und sah, wie sich der Raum hinter ihm an der Seite neben der Tür öffnete und in einen zweiten überging. Am Ende hinter einem massiven Schreibtisch saß der Mann, dessen Stimme er gerade gehört hatte: Groß und schlank in einem grauen Maßanzug und mit einem dieser unscheinbaren Gesichter, an die sich kaum jemand erinnern kann.

»Kommen Sie ruhig näher, Miller. Sie haben ohnehin nichts mehr zu verlieren!«

Die Selbstsicherheit in seiner Stimme war vernichtend. Jeff begann zu zittern. Alle seine Atemtechniken versagten. Er verstand, wie existentiell dieser Satz gemeint war, spürte es in jeder Faser seines Körpers. Seit er herausgefunden hatte, wer sich hinter dem Namen Anadeva Marananda Yogi verbarg, wurde ihm zunehmend klar, in welche Organisation er hineingeraten war. Für sie hatte er einen Fehler begangen. In einer solchen Organisation macht man keine Fehler. Und als wäre es ein Echo seiner Gedanken, sagte der Mann mit sanfter Freundlichkeit, deren Oberfläche die Endgültigkeit seines Urteils nicht zu verbergen versuchte:

»Miller, Sie wissen, Sie haben einen Fehler gemacht. Einen schwerwiegenden Fehler! Aber – Miller – bei uns – macht man keine Fehler! Und bestimmt keine, die an die Öffentlichkeit gelangen!« Und mit einer plötzlichen Wut: »MILLER!«

Jeff brach in kalten Schweiß aus. Diesen Wutschrei kannte er zu gut aus seinen Kindertagen. Er fühlte einen eisigen Hauch, gefolgt von einer Spur Verwesungsduft. Der Magen zog sich ihm zusammen.

»Mut war es nicht, der Sie hierher führte, Miller«, fuhr van der Molen mit seinem lächelnd zynischen Unterton fort, »eher abgrundtiefe Dummheit«, und wieder schreiend: »Sie sind ein VERSAGER!«

Jeff sah versteinert in das angewiderte Gesicht des Mannes. Das hatte er oft genug von seinem Vater gehört. Der Rebell in ihm stand auf und gab ihm etwas von seiner Fassung zurück:

»Ich weiß, wer Sie sind, Herr Fons van der Molen alias Anadeva Marananda!«

Der Mann im Maßanzug brach in schallendes Gelächter aus.

»Gewaltig, Miller, geradezu überwältigend! Ich hab’ mich nicht in Ihrer Naivität getäuscht! Was glauben Sie, warum wir SIE ausgesucht haben für unsere Mission? Sie abgebrochener Medizinstudent und Weltverbesserer! Hervorragendes Basiswissen in der Medizin, gerade genug, um saubere Injektionen zu setzen«, es schüttelte ihn wieder vor Lachen, »und zu wenig, um die größeren Zusammenhänge zu verstehen, denen Sie nur geschadet hätten. Es war ein idealer Moment, Sie den reaktionären Fängen der medizinischen Fakultät zu entreißen und Sie in den unendlich formbaren Sumpf der Esoterik zu tauchen.«

Er lachte vergnüglich.

»Dort konnten Sie mit dem gleichen Fanatismus als Weltverbesserer arbeiten, wie Ihr Vater in der Religion, und alles, ohne dass Sie es bemerkt hätten, denn es war in einem gänzlich anderen Gewande. Haha! Was seid ihr doch alle für blinde Hühner und würdet euch gern als Propheten fühlen! Kaum gibt man euch ein anderes Gewand, und schon merkt ihr nicht mehr, dass ihr immer noch in derselben Soße watet! Neue Namen, neue Götter, neue Regeln, derselbe Sumpf! Hühner? – Nein, eher Enten! Immer den Kopf in der Grütze! Und immer an der Oberfläche, ohne es zu merken! Den Kopf nach unten, und erreichen nie den Grund! Den Arsch in der Luft, und erreichen nie den Himmel. Welch traurige Rasse!«

Van der Molen badete in seinem Amüsement. Jeff schien der Boden unter den Füßen zu zerbröckeln. Er fühlte sich in einen gähnenden Abgrund fallen.

»Sie dürfen sich ruhig setzen, Miller«, gab van der Molen mit gespielt großmütiger Geste von sich.

Jeff griff nach einem Stuhl, der ihm nicht mehr den Halt bieten konnte, den er gebraucht hätte. Ein letztes Mal bäumte sich sein Widerstand in ihm auf:

»Und diese Spritzen!? Was haben Sie in dieser Substanz verborgen …?«

Van der Molen unterbrach ihn:

»Das – Geheimnis der Spritzen werde ich Ihnen nicht einfach auf die Nase binden. Das müssen Sie selber herausfinden«, er grinste breit, »wenn Sie Zeit dazu haben«.

Der sarkastische Unterton wurde unerträglich und Jeffs Hände hielten sich krampfhaft am Stuhl fest. Es war mehr als eine Ahnung, dass er hier nicht heil herauskommen würde.

Das Geheimnis der Spritzen! Seine Gedanken fieberten zwischen der Gier nach den letzten Zusammenhängen und nackter Existenzangst hin und her. Die Zeit lief unaufhaltsam davon. Wie sollte er einen klaren Gedanken fassen? Die Spritzen! Da musste ein Schlüssel liegen. In barschem Ton fuhr ihn van der Molen an: »Die Zeit ist um! Miller! Ende der Audienz!«

Mit seinem typisch abschätzigen Blick und halb angewidert erhob sich Fons van der Molen. Die zwei dunklen Typen aus seiner, wie er es gerne nannte, Exekutive, hatten inzwischen lautlos den Raum betreten. Jeff Miller war ihnen ausgeliefert.

Jeff zitterte nicht mehr. Er stand da, wie ein Tier, von seinen Jägern umzingelt und spürend, dass es kein Entrinnen mehr gab. Aller Widerstand zerfiel in Apathie. Die zwei nahmen Jeff in ihre Mitte. Er ging willenlos mit. Die schwere Türe schloss sich hinter ihnen mit dem gewohnt sanften Einschnappen massiven Metalls. Jeff Miller, eingerahmt von zwei Raubtieren in eleganten Anzügen, verschwand hinter sich lautlos schließenden Fahrstuhltüren. Zurück blieb ein leerer Raum, in dem die letzten Schwingungen einer Existenz langsam verebbten.

[aus meinem Roman »inject« von Hans von Holt - ISBN 978-3-7562-1049-7]

Warum sie sterben musste, wollte sie wissen. Was ist das denn für eine Frage? Sie war eben genauso kalt und ungemütlich, wie dieser Raum hier. Dunkel ist es hier, wie ihre Augenringe und Haare waren. Gerne würde ich der Inspektorin erzählen, dass sie eine Blondine war, denen man nie etwas Böses zutraut. In diesem Fall war es aber leider eine Brünette. Ihr Schopf war dunkel, lang und es sah sogar gesund aus.
Ich höre die Türe. Ein Klacken, ein Quietschen, ein Krachen.
«Sie bleiben also bei Ihrem Geständnis?»
«Ja, die Welt muss sich nun nicht mehr mit so einer Kreatur herumschlagen.»
«Das ist Ihr Motiv?»
«Wenn Adolf Hitler vor seinen grausamen Befehlen getötet worden wäre, wäre die gute Tat auch nicht als solche Erkannt worden.»
«Wie auch immer. Wie war sie?»
«Gestört. Unberechenbar.»
«Sie sieht sehr freundlich auf den Fotos aus.»
«Das ist es ja. Dieses süsse Lächeln. Dazu noch diese hohe Stimme. Da hätte ich ihr am Liebsten durchgehend die Fresse poliert. Weil sie aber nicht leiden musste, habe ich ihr einen Gefallen getan.»
«Es gibt Menschen, die mögen solche jungen Frauen.»
«Aber keine, die Jekyl und Hyde gleichermassen akzeptieren. Sie war durch und durch böse. Dieser Blick, wenn ihr etwas nicht passte: Durchdringend. So, als könnte sie einem mit ihren Gedanken um die Ecke bringen. Die dunklen, grossen Augen, die exakt zu ihrer dichten Haarpracht passten, veränderten ihren Ausdruck in Millisekundengeschwindigkeit. Diese Sommersprossen, leicht über ihr etwas bausbäckiges, olivhäutiges Gesicht gesprenkelt, konnten dann nicht mehr über ihren wahren Charakter hinwegtäuschen. Mir war von vorne herein alles zu glatt und einfach. Wie ihr Körper. Nicht modelmässig schlank, aber auch nicht dick. Richtig schön im gesunden Gleichgewicht. Alles passte genau, jedes Detail: Die Lippen waren nicht diese Gummibootdinger, wie sie billige Kosmetikerinnen mit Botoxspritzen verursachen, aber auch nicht diese schmalen, die einem normalerweise Misstrauen vermitteln. Dennoch hat sie immer damit verletzt, wenn sie sie bewegt hat. Immer bissige Bemerkungen.»
«Ist es nicht eine harte Strafe? Die Todesstrafe?»
«Seelische Verletzungen werden völlig unterbewertet. Sie machen einen kaputt. Diese Frau, auch ihre Grösse war durchschnittlich, verstand es perfekt zu manipulieren. Ihr Freund hat immer seitlich hinter ihr gestanden und abgewartet, wie sie reagieren würde. Schrecklich.»
«Er ist nun aber auch in Trauer.»
«Weil er eben nicht weiss, dass er gerettet wurde. Sie war unfähig in einer Gruppe zu leben. Ihre Kacke klebte nach ihrem Toilettengang noch in der Muschel, ihre langen, glatten Haare, zusammen mit ihren kurzen gekräuselten Schamhaaren verteilten sich nach dem Benutzen der Dusche in der Wanne. Der Boden im Badezimmer war patschnass. Nachdem ich sie gebeten hatte, den Bodenlumpen zu nehmen, um wenigstens trocken zu wischen, hat sie ihren Freund geschickt und mich mit einem vernichtenden Blick gestraft. Das war MEIN Haus, verdammter Mist nochmal. MEIN Haus!»
«Nun, sie hatten sie eingeladen.»
«Ja, um im Team zu arbeiten. Dann hat sie aber nichts mit mir und meinem Mann gesprochen. Kein Wort. Sie hat, wenn wir sie etwas gefragt hatten, nur ihren Kopf leicht in Richtung ihres Freundes gedreht, eine Augenbraue nach oben gezogen, an ihm vorbeigestarrt und er hat übersetzt. Zwar hatte sie unsere Sprache üben wollen, aber das ganze ohne sie zu benützten. Wenn es aber darum ging zu meckern, hat sie zwischendurch etwas verstanden. Sie konnte insgesamt mit der Freiheit, die wir in unserer Arbeits- Wohngemeinschaft hatten, nicht umgehen. Sie hat jegliche Art von Arbeit vermieden. Sie ist niemals ohne ihren Freund aus dem gemeinsamen Zimmer gekommen. Wenn, dann hat sie unsere Blicke vermieden. Gegrüsst hat sie nur, wenn man sie ganz direkt mit einem Gruss konfrontierte. Sie hat in ihrer Sprache vor uns allen über uns hergezogen. Dumm nur, dass ich am Ton, sowie an einigen Sätzen, die ähnlich formuliert werden, wie die Sprache der gleichen Sprachfamilie, die auch ich spreche, verständlich wurde, worum es ging.»
«Sie hören sich an, wie eine beleidigte Leberwurst.»
«Hören Sie mir nicht zu?»
«Doch, sie hatten es ganz offenbar mit einer unsicheren Person zu tun, die nicht wusste, wie man sich benimmt.»
«Aus ihrem Mund klingt das harmlos.»
«Nun, dieser schwache Charakter ist ohnehin eine Strafe fürs Leben. Die wäre immer wieder angeeckt, weggeschickt worden.»
«Ja, aber davor hätte sie immer und immer wieder Schaden angerichtet. Das hat sie auf der Arbeit gemacht und zu Hause. Weil sie kein Interesse zeigte, keine Empathie hatte, hat sie einfach irgendwas gemacht und damit unsere Vorarbeiten kaputt gemacht. Sie hat dann eine einfache Arbeit bekommen. Staubsaugen auf einer Baustelle. Nur den gröbsten Dreck. Sie hat es so genau genommen, als sollten wir von den Böden essen. Zu Hause wäre ihr das niemals in den Sinn gekommen. Totale Zeitverschwendung. Zweimal täglich musste sie duschen. Am Morgen und nach der Arbeit. Der Föhn war öfters zu hören, wie das Klappern des Geschirrs.»
«Hört sich nach Zicke an.»
«Ja, genau.»
«Benutzen Sie Parfums?»
«Wie kommen Sie jetzt darauf?»
«Der Geruch, der im Raum zu vernehmen war, als man sie fand.»
«Das war ihr billiges Parfum. Kaum zu ertragen. Süsslich, nuttig mit einem Hauch Putzmittelnote.»
«Ok. Wie dem auch sei. Sie bleiben erst mal in Untersuchungshaft. Das ist ihrer Beschreibung nach einfach nur kaltblütiger Mord und keine Selbstverteidigung.»
«Das Opfer wollte ich ja nie sein, also habe ich mir eben selbst geholfen.»
«Ja und wir helfen der Welt, indem wir sie wegsperren.»

Verschlafen

Das Gefühl zu haben, am Morgen verschlafen zu haben, ist wohl etwas vom Schlimmsten was einem passieren kann. Frühstress ist programmiert. Man stürzt noch verschlafen aus dem Bett. Gibt dem Wecker die Schuld, ohne dass er sich verteidigen kann. Auf dem Weg ins Badezimmer, es ist noch dunkel, stolpere ich über meine Schlarpen. Mit einem Kick fliegen sie in die gegenüberliegende Ecke. Die damit verbundenen Ausdrücke fallen unter die Zensur. Im Badezimmer angekommen, geht es unter die Dusche. Der beste Weg wach und wieder etwas ruhiger zu werden. Brausewasser auf, und ein Aufschrei nach dem ersten Wasserkontakt: „Himmel Herrgott wer hat den das Wasser so kalt eingestellt?“ Genervt versuche ich, dem Strahl auszuweichen, was natürlich nicht gelingt. Ich fluche und gebe der Brause die Schuld. Ich merke, ich bin heute genervt. Nach der ankleide geht es zum Kaffeeautomaten. Der Kaffeesatzbehälter ist, wie kann es an einem solchen Morgen anderst sein, wieder voll. „Du hast dir gestern Abend den letzten Kaffee rausgelassen, gib ja nicht der Maschine schuld.“ Ich nehme einen Schluck des Wachmachers. Er belebt, tut gut. Dann der Blick aufs Handy. Nur noch 10 Prozent Energie. Ich habe vergessen es zu laden. Bei meiner Laune ist es einfach dem Handy die Schuld dafür zu geben. Ich unterdrücke den Wunsch, es in die Ecke zu schmeißen. Das ist heute ganz klar nicht mein Tag. Ich schaue auf die Uhr. Oh! Schon zu spät. Gestresst stehe ich auf, nicht ohne auch noch den Rest in der Kaffeetasse zu verschütten. Himmel was ist den heute nur mit mir los? Geht es mir durch den Kopf. Was soll das? Nimm es endlich gelassener, ruhiger. Auszuflippen ist doch schliesslich nicht meine Art. Solche Tage gibt es und zu spät ist zu spät. Endlich habe ich für das alles ein Lächeln übrig.

In diesem Moment klingelt das Handy. Die Stimme dahinter: „Hi Alter, geht es dir gut? Bist du schon voll da? Schliesslich haben wir Wochenende. Hast du Lust auf ein Abenteuer?“

Wochenende! Nicht Freitag? Wieso …? Ach was: „Klar, ein Abenteuer, bin ziemlich gut drauf heute. Bin gut aufgestanden, habe fein geduscht, einen heißen aufmunternden Kaffee getrunken und genau in diesem Moment auf deinen Anruf gewartet. Ich bin bereit.“

In Wut und Trauer vereint

Er war in den letzten Tagen sehr ruhig. So ruhig wie ein uralter ausgetrockneter Bach. So schien es zumindest von außen. Im Inneren war er ein Vulkan und das Blut in seinen Adern war so kochend heiß, wie Lava.

Jetzt war es an der Zeit, nach Hause zurückzukehren. Er musste, obwohl dort nichts und niemand mehr auf ihn warten würde. Nichts, absolut nichts!
Sobald er durch die Tür dieser riesigen Villa innerhalb des gesicherten und bewachten Viertels trat, spürte er, wie die Wut in ihm zu kochen begann. Sie wollte aus ihm herausbrechen.
Und es dauerte nicht lang. Nachdem die schwere Tür aus Mahagoni hinter ihm ins Schloss gefallen war, brach es aus ihm heraus.

Wie ein Tornado fegte er, schreiend und schlagend, vom Eingangsbereich durch das Erdgeschoss. Kein Stein blieb auf dem anderen. Er zerlegte Tische und Stühle, warf Vasen samt verwelkten Blumen an die Wand.
Alles, einfach alles hatte man ihm genommen und nichts was sich in diesem Haus befand hatte nun noch irgendeine Bedeutung.
Erst als er schlitternd vor dem mittlerweile riesigen trockenen Blutfleck in der Küche zum Stehen kam, sank er zitternd und schluchzend auf die Knie.

Hier hat es geendet. Alles! Hier wurden ihm sein Leben, seine Liebe, seine Hoffnung aus dem Herzen gerissen. Hier hat er sie gefunden. Beide, seine Frau und seine kleine Tochter. Hier, an dieser Stelle, hörte sein Herz auf zu schlagen.

Das Teufelselexir

In alten Legenden wimmelt es von Zaubertränken mit unfassbaren Eigenschaften. Doch was, wenn die Realität solche Mythen einholt? Wenn sich herausstellt, dass unsere Großeltern Recht hatten und in der Natur tatsächlich Heilmittel für alle Arten von Leiden zu finden sind? Hier die Geschichte:

Vor kurzem habe ich eine solche Entdeckung gemacht. Auf einem Spaziergang mit meinem Hund stieß ich auf ein kleines Glasfläschchen, das mitten im Wald neben einer Eiche stand. Darin befand sich eine dunkle Flüssigkeit, die verdächtig nach Tinte aussah. Ich steckte es spontan in meine Tasche und brachte es nach Hause, um genauer untersuchen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, welches Abenteuer damit beginnen sollte .
Als ich das Fläschchen zu Hause öffnete, kam mir ein herber Geruch entgegen. Die Tinte roch alt und muffig, als hätte sie seit Jahren in der Erde gelegen. Ich beschloss, einen Versuch zu wagen und etwas von der Tinte auf meine Handfläche zu tröpfeln. Zunächst geschah nichts Außergewöhnliches damit - die Tinte war schwarz und trocknete schnell auf meiner Haut. Doch als ich den Tropfen mit dem Finger berührte, spürte ich plötzlich ein Kribbeln in meinem Arm. Was passiert hier? fragte ich mich. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis ich die Antwort bekam. Denn plötzlich veränderte sich die Tinte auf meiner Haut und begann, sich zu winden und zu kräuseln, als wäre sie lebendig. In Windeseile kroch die Tinte meinen Arm hinauf und verschlang meine Hand. Ich schrie auf vor Schreck, als ich sah, wie die Tinte immer weiter meinen Arm hinaufkroch, bis sie schließlich meinen ganzen Körper einhüllte.
Ich war gefangen in der Tinte - gefangen in einem dunklen, schwarzen Loch, aus dem es kein Entkommen gab. Ich brauche Hilfe! Was soll ich jetzt tun? Die Tinte hatte mich vollständig eingeschlossen und ich konnte nicht mehr atmen. Ich bekam Panik und begann, um Hilfe zu schreien, doch meine Schreie gingen in dem dichten schwarzen Nebel unter. Meine Panik wurde immer größer. Ich ruderte wild mit den Armen, um irgendwie aus dem Nebel zu entkommen, doch es war vergebens. Ich sah nur noch Schwärze und spürte, wie meine Kräfte schwanden.
Ich hörte plötzlich Stimmen. Meine Tochter betrat das Zimmer und sah mich hilflos in der Tinte gefangen. Sie schrie auf, packte das Kreuz, welches auf ihrer Halskette war und streckte es zu mir hin. Die Tinte zog sich von mir zurück und ich atmete heftig durch. „Was ist passiert?“ Fragte meine Tochter verängstigt. Ich schüttelte den Kopf, da ich selbst nicht wusste, was geschehen war.

Taktik ist alles

Wie in jedem Jahr stand in dem Teammeeting mit dem Chef auch die Spendenvergabe an Weihnachten auf der Tagesordnung.

Die überwiegend weiblichen Teilnehmer stimmten sich vor jedem Meeting ab. Das war keine offizielle Besprechung, sondern es geschah beim Kaffeetrinken… Es betraf vor allen Dingen die taktische Vorgehensweise. Männer waren nicht zugelas-sen. Fast immer kamen die Damen mit einer einheitlichen Meinung zum Meeting. Da hatte es der „Herr“ Chef schwer. Allerdings traf er kraft seines Amtes immer die endgültige Entscheidung.

„Was machen wir bei den Spenden für das Hospiz?“ Das war eine der Frage bei der Vorabstimmung.
„Das Hospiz braucht auf jeden Fall wieder die jährliche Spende! Dringend! Wenn es geht mehr!“

„Ihr wisst doch, dass der Chef immer das Gegenteil von dem entscheidet, was wir vorschlagen. In dem Fall müssen wir also eine Reduzierung für die Spende an das Hospiz vorschlagen, auch weil unsere Ergebnisse im letzten Jahr so viel schlechter waren.“

Das hielten einige für sehr riskant. Es folgte eine kurze Diskussion, aber dann blieb man bei dem Vorschlag für die Reduzierung.

Bei dem Meeting hörte sich der Chef den Vorschlag an und dann geschah das Un-erwartete: Er stimmte dem Vorschlag zu! Geflüsterte Bemerkungen machten die Runde: „Ich hab’s doch gleich gesagt“ und „Auf Männer kann man sich halt nicht verlassen.“

Jetzt zeigte sich aber, was eine gute Vorbereitung und eine sorgfältige Recherche wert sind. Die Leiterin des Controlling teilte mit, dass der größte Konkurrent die Spende an das Hospiz deutlich erhöht hatte. Nach kurzem Überlegen entschied der Chef, dass der gleiche Betrag wie im letzten Jahr gespendet werden sollte.

Fazit

Meistens kann man sich auf Männer doch verlassen!
Man muss immer ein Ass im Ärmel haben!

»Was hat Sie dazu bewegt, sich während einer Laufenden Gefechtsübung mit Ihrem Zug durch ein Gebiet den Weg zu bahnen, welches erstens gesperrt und zweitens und scharfen Beschuss stand? Stehen Sie bequem Harvey. Was verdammt noch mal haben Sie sich dabei gedacht? Sie wissen was auf Gehorsamsverweigerung steht?« – »Sir, lassen Sie mich erklären.« – »Erklären, was erklären? Das wegen Ihrer Inkompetenz vier gute Soldaten ihr Leben lassen mussten? Treten Sie mir aus den Augen, Harvey. Für Sie wird die Apokalypse eine ganz neue Definition haben.« – »Aber Sir…« – »Ich sagte wegtreten!« Harvey dreht sich um, öffnet die Tür und nachdem er durchgetreten ist, schließt er sie wieder. Er geht den Gang entlang. Sein Gesicht ist erstarrt vor Wut. Einem zufällig an ihm vorbei gehendem Soldaten schlägt er ohne Vorwarnung die geballte Faust ins Gesicht. Dieser geht mit stöhnenden Lauten und einer gebrochenen Nase zu Boden.

BEITRAG:

Rot

„Oh Mann, was machst du Arsch denn da?“

Von dem Ereignis aufgeschreckt, schlug Gerhard mit der flachen Hand auf das Lenkrad, obwohl das runde Etwas kaum eine Schuld an der Situation haben konnte.

„Hast du das gesehen? Zieht der Blödmann einfach hinter dem Bus raus. Der hat doch gesehen, dass ich komme. Mann, Mann, Mann.“

Als der entgegenkommende Wagen an uns vorbeifuhr, fuchtelte er aufgeregt mit der Hand in Höhe des Seitenfensters herum. Es war zu, sodass man draußen wenigstens nicht hören konnte, was er drinnen lauthals von sich gab. Zum Glück ließ er sich nicht dazu hinreißen, seinen Stinkefinger auszupacken. Das hatte ich auch schon mal erlebt.

Ich bin Jana, Gerhards Frau, und habe festgestellt, dass sich solche Entgleisungen bei ihm in letzter Zeit häuften. Nur konnte ich keinen Grund dafür erkennen. Vielleicht lag es an seinem Alter. Oder er war seelisch nicht ausgeglichen. Ich sah es gelassen. Noch.

„Es war doch genug Platz neben dem Bus“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

„Nonsens“, reagierte er gereizt. „Verteidigst du diesen Idioten jetzt etwa noch? Der gehört zurück in die Fahrschule und nicht auf die Straße.“

Sein Atem ging für einen Moment schwerer als sonst. Man konnte es gut hören. Jedoch dauerte das gerade einmal so lange, bis ich etwas lauter werden musste. Aufgeschreckt. So, wie er zuvor.

„Gerhard!“

„Was ist?“

„Das war ein Zebrastreifen und da standen Leute.“

„Ja und? Wenn sie rüber wollten, hätten sie wohl nicht gewartet. Was weiß ich, warum die da herumstanden? Hör endlich auf, dich einzumischen. Ich fahre vierzig Jahren unfallfrei.“

Ich beschloss, nichts weiter dazu zu sagen. Immerhin hatte auch ich schon länger keinen Unfall mehr gebaut. Meinen letzten und einzigen hatte ich mit achtzehn, das war fünfunddreißig Jahre her. Gerhard war einfach zu aufgeregt. Es wäre zwecklos gewesen. Heute war nicht an ihn ranzukommen. Irgendwann sollte er sich schon wieder beruhigen. Dachte ich.

„Gerhard!“

„Was ist denn jetzt schon wieder?“

„Die Ampel!“

Mehr brachte ich nicht raus, weil wir bereits über die Kreuzung waren und uns dahinter ein Polizist in Empfang nahm. Mit beleuchteter Kelle winkte er uns aus dem Verkehr und forderte uns auf, am Fahrbandrand zu halten. Gerhard folgte der Weisung. Als wir standen, ließ er die Seitenscheibe runter und sprach den Polizisten mit genervt klingendem Unterton an. Wie ich heraushörte, kannten sie sich.

„Herr Bramberg, Sie schon wieder. Als wir uns zuletzt trafen, hat es mich hundert Euro gekostet. Was wollen Sie heute von mir.“

„Guten Tag, Herr Pfarrer. Sie sprechen die Sache aus dem letzten Monat an, ja? Das war alles gerechtfertigt. Wo dreißig draufsteht, ist auch dreißig drin. Mehr nicht. Das gilt auch für Leute, die im Auftrag des Herrn unterwegs sind. Wo brennt‘s denn heute wieder? Sie haben es ja gerade ziemlich eilig."

„Eilig? Wieso? Warum sollte ich es eilig haben?“

„Na ja, wenn Sie es nicht wissen, was soll ich dann dazu sagen. Ich gehe mal davon aus, dass Sie es eilig haben. Ist einfach so eine Vermutung von mir. Wieso sonst sollten Sie an einer hoch frequentierten Kreuzung die Ampel überfahren, obwohl sie längst Rot zeigt?“

„Rot? Das war maximal Gelb.“

„Ne, ne, Herr Pfarrer, das war schon ein bisschen mehr als das. Das war eher Tief-Rot. Möchten Sie ein Foto haben?“

„Lieber nicht. Wie ich Sie kenne, kostet das extra.“

„Nicht mal der Tod ist umsonst, aber wem erzähle ich das? Sie sitzen da doch dicht an der Quelle.“

Nach diesem Treffen mit Wachtmeister Bramberg, was zu meinem Erstaunen wohl nicht das Erste war, besserte sich Gerhard zusehends. Seit nunmehr drei Monaten hat er sich nicht mehr hinter dem Lenkrad aufgeregt. Jedenfalls nicht, wenn ich mit im Wagen saß. Und auch beim Beachten der Verkehrsregeln verzeichnete ich einen deutlich positiven Trend. Was nicht ausschloss, dass er hin und wieder doch mal mit der Deutung von Vorschriften haderte. Alles in allem war ich jedoch zufrieden. Ich fand, er war auf dem richtigen Weg.

Ich vermute, er hatte eine entsprechende Dienstanweisung von seinem Chef bekommen, doch wirklich einschätzen konnte ich das nicht. Er hatte halt bessere Kontakte nach oben als ich. Aber von solch intimen Sachen erzählte er mir nichts. Nicht mal im Auto.

Vielleicht lag es aber auch an der Strafe. Hundertfünfzig Euro und ein Punkt im Verkehrsregister, das kann schon mal weh tun. Solch weltliche Werkzeuge sollte man wohl nicht leichtfertig außer Acht lassen.

„Besuch unwillkommen“

Für jemanden, der untergetaucht war, konnte es sich nur um ein Warnsignal handeln.
Das alarmierende Zeichen erschien in Gestalt eines Bootes. Hardy erspähte es, als er mit seiner Morgenzigarette an das Schlafzimmerfenster geschlurft war, um einen ersten Blick über die Umgebung seiner Hütte taumeln zu lassen. Er riss den Vorhang zu, stolperte zum Nachttisch, warf die Zigarette in den Aschenbecher und griff nach dem Fernglas.
Hardy visierte das Boot durch den Gardinenspalt an. Eines, wie es Angler nutzten. Der Außenbordmotor war hochgeklappt. Zwei Riemen lagen über Kreuz auf den Sitzbänken. Ganz klar: Der Ankömmling hatte die letzte Wegstrecke gerudert, hatte sich angeschlichen. Warum war er auf Hardys Insel gelandet?
„Scheiße aber auch!“, flüsterte Hardy. Er ließ das Fernglas schweifen, suchte die Umgebung im nebelgetränkten Morgenlicht ab. Sand. Steine. Seetang am Wassersaum. Der schweinswalförmige Felsbrocken, auf dem sich Lachmöwen aneinanderdrängten. Alles war so wie gestern. Oder vorgestern. Abgesehen von diesem Boot!

Hardy warf sich in seine Klamotten. Er riss die Besteckschublade auf. Kramte. Schnappte sich das lange Brotmesser. Hardy sprang zur Haustür und quetschte sich in die Gummistiefel. Schweißperlen prickelten auf seiner Stirn. Er drehte den Schlüssel mit der Vorsicht eines Einbrechers. Der Türgriff knirschte, sanft drückte Hardy gegen die Tür. Sie wurde ihm aus der Hand gerissen, flog auf, krachte gegen die Hauswand. Ein Mann füllte den Türrahmen aus. Hardy sprang zurück, streckte das Messer nach vorn. „Ruhig, Alter, ich bin es!“ Die bekannte Tenorstimme stellte Hardys Nackenhärchen auf.

„Ist nicht gerade ein Palast. Und es stinkt nach Erbsensuppe.“ Der Ankömmling hatte sich einen Stuhl genommen und die Beine unter dem Tisch ausgestreckt. Er ließ den Blick durch die Wohnküche kreisen. „Einsam hier, oder? Leg´ doch das Messer weg, freu´ dich, dass mal Besuch kommt!“
„Ich bleib` stehen. Sag´ schon, was du hier suchst, Blacky.“
„Als ich rausgefunden habe, wo du bist, konnte ich nicht anders. Musste dich wiedersehen. Jetzt setz´ dich!“ Blacky zeigte auf den Hocker links neben sich. „Und pack´ endlich das Messer zur Seite!“
Hardy setzte sich auf den Hocker, legte das Messer auf den Tisch. „Brav. Du weißt noch, wer der Boss ist.“ Blacky grinste.
Hardys Beine zitterten. „Was haben wir zu reden? Ich will nichts mehr von früher hören.“
„Okay, keine Plauderstunde, machen wir es kurz. Wo ist mein Anteil an der Beute?“
„Die Kohle ist weg. Verbrannt.“
„Lüg´ nicht!“ Blacky rückte näher.
„Ist so. Alles verkokelt. In dem schrottigen Fluchtwagen, den du besorgt hast. Alles ist in Flammen aufgegangen.“
„Du verkohlst mich, Alter!“ Blacky nestelte in seiner Jacke herum, zog die Hand wieder hervor.
„Hatte Glück, mich aus der Kiste retten zu können.“ Hardy hob seinen rechten Arm, schob den Hemdärmel zurück und wies mit einem Kopfnicken auf die wulstigen Brandnarben. „Muss neu anfangen. Bleibe hier, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Niemand weiß von mir.“
„Doch. Und zwar dein Kumpel Blacky.“
Hardy senkte den Kopf.
„Geld her und Blacky vergisst dich!“
Hardy atmete schwer. Er wippte auf dem Hocker. Ein Gummistiefel quietschte.
„Na gut. Ich sollte dir vertrauen, wie schon immer“, raunte Hardy. Seine linke Hand schnellte vor. Er rammte die Messerklinge in Blackys Brust.

Am Horizont schimmerte es golden. Hardys Blick fing Sand, Steine, Seetang, das Boot und den Lachmöwenfelsen ein. Alles war wie heute Morgen. Abgesehen von dem langgesteckten Steinhügel.

Der Überfall

Seine Laune ist gut und die schlichte Mönchsrobe weht im Wind während er in Richtung Heimat gleitet. Im Auftrag des Bischofs rettet er die Seelen vor den Ungläubigen. Zart und bestimmt sind seine Worte. Schwer wiegen die Strafen seiner Gefolgschaft. Sein Weg führt ihn in den Wald. Bäume versperren ihm den Weg. Er sucht nach einer Lichtung. Doch dort lauert nicht das grüne Gras der Hoffnung. Nein. Einige Ungläubige haben ihm aufgelauert. Sie reden auf ihn ein. Er muss sich bekehren lassen. Seinen Glauben aufgeben. Kurz lässt er sich beirren. Doch dann sammelt er all die manische Wut, die ihn so weit getrieben hat und brüllt laut. „Ich! Bin der, der Euch von Eurem traurigen Irrtum befreit!“ Seine Augen Platzen fasst aus ihren Höhlen. Sein Herz schlägt wie das von einem Elefanten und die Bäume kommen näher, als würde er sie in sich aufnehmen. Er fühlt sich sicher, unbesiegbar und doch irgendwie einsam. Da trifft ihn der erste Schlag. Sein Kiefer bricht zuerst. Die verlorenen Seelen stürzen sich Zähne knirschend und mit Schaum vor dem Mund auf ihn. Morgenstern, Messer und Faust. Solche Werkzeuge der Gewalt trägt er selbst nicht bei sich. Doch auch in der Wut seiner Gegner hört das Blut in seinen Adern nicht auf zu kochen. Brüllen will er. „Verrat!“ Doch er verstummt in einem Gegurgel aus Blut und Fleisch die in seine Luftröhre gedrückt werden. Es ist fast als wäre in diesem Wald zwischen so vielen Bäumen es schließlich so gekommen, wie es ihm sein Vater prophezeit hatte. Von den selbst festgestellten höheren Weihen wollte der nichts Wissen. Dem Bischof wollte der an die Gurgel. Doch abbringen könnte er seinen Sohn nicht nun alleine auf der Lichtung zu sterben. Da besinnen sich die Angreifer und lassen von ihm ab. Sie haben ihren Wutrausch ausgelebt und begeben sich auf die Suche nach seiner Gefolgschaft. Jede Spur von ihm, jedes Wort soll vernichtet werden. Die Sonne scheint nicht mehr. Es sind Wolken, die den Regen bringen, der das Blut in die Erde wäscht.