Seitenwind Woche 9: Konflikte

Alle Jahre nie wieder

Keine Krippe im Stall, kein Stern, keine heilige Familie.
Stattdessen: Dicke Luft in der Küche des Pfarrhauses, adventliche Beleuchtung ohne jegliche Wirkung und eine Familie im Ausnahmezustand.
Der Streit ist seit Beginn des Abendessens im Gang, wir hören einmal rein.
»Jedes Jahr das Gleiche«, schreit Marie, »ich kann nicht mehr. Einmal im Leben möchte ich ganz normal Weihnachten feiern, wie andere auch, ist das zuviel verlangt?«
Volker setzt die Tasse mit einem lauten Knall auf der Tischplatte ab und würgt seinen letzten Bissen Brot herunter. »Du hast genau gewusst, auf was du dich als Frau eines Pfarrers einlässt, jetzt komm mir nicht so. Ich habe weder die Zeit noch den Nerv hier weiter zu diskutieren. Pack´deine Texte für die Lesung zusammen, es sind nur noch zwei Gottesdienste heute Abend plus die Mitternachts-Mette, Herrgottnochmal.«
»Papa« stöhnt Ben auf, » Mama hat doch recht. Ich hab´ auch keinen Bock mehr auf diesen Stress, sagt mir Bescheid, wenn ihr Zeit zum Feiern habt, ich fahre zu Lily.«
»Du fährst nirgendwohin, mein Sohn, Du räumst die Küche auf, wie besprochen,« Volker weiß, dass er das viel zu fordernd und autoritär gesagt hat, aber er muss los.
Lilith ist Ben zuvorgekommen und steht bereits an der Tür und faucht ihre Eltern wutentbrannt an. »Hört endlich auf! In einem normalen Mietshaus hätten die Nachbarn schon die Polizei alarmiert.«
»Einmal Nein sagen, einmal den Mut haben, an uns zu denken,« Marie weint und zittert.
Volker hat endgültig genug, er springt wutentbrannt auf, sein Stuhl fällt um, aber er stürzt aus der Küche. Theatralischer Abgang denkt Marie, fehlt nur noch, dass jetzt alle Kerzen verlöschen. Wie weit sind wir gekommen? Sie schaut Ben und Lilith ratlos an.
»Wisst ihr was? Feiert mit euren Freunden, lasst uns das Beste aus diesem Abend machen.«
Lilith nimmt sie in den Arm und sagt nur »Ach, Mama.« Ben schnappt sich seine Jacke und seinen Helm und ist weg.
Wie ferngelenkt klemmt sich Marie ihre Textmappe unter den Arm und geht hinüber in die Kirche. Die ersten Gottesdienst-Besucher sind schon da und der Geruch von Braten, Parfum und feuchten Mänteln hängt in der Luft. Marie bleibt im Foyer vor der beleuchteten Krippe stehen und schaut wie gebannt auf die Figur des Josef. Sie atmet tief durch, und dann geht alles ganz schnell.
Sie greift sich den Josef und läuft ins Pfarrhaus zurück. Packt in Windeseile eine Tasche und während die Glocken läuten, steigt sie ins Taxi, das sie zum Flughafen bringt.
Am nächsten Morgen schaut Marie aus ihrem Hotelzimmer auf einen strahlend blauen Himmel, die Sonne glitzert über dem Meer. Sie hält Josef in der Hand und denkt: »Du bist wie ich, Du hast auch nicht gewusst, auf was du dich da einlässt. Bist immer dabei, aber irgendwie eine Randfigur. Jedes Jahr das Gleiche. Aber jetzt machen wir mal was anderes.«
Später wird Marie behaupten, Josef hätte sie angelächelt.
Und wenn es das in der evangelischen Kirche geben würde, wäre Josef längst der Heilige der Pfarrfrauen.

Nachfolgeplanung

Es war an einem regnerischen Sonntag, kurz vor Ostern. Ich war damals etwas über 30 Jahre alt und besuchte, zusammen mit der Ehegattin, meine Eltern, die zum Mittagessen eingeladen hatten. Nach dem Kaffee, die Damen verschwanden plaudernd in die Küche, bat mich Vater in sein Büro, das gleich neben dem Wohnhaus über der Lastwagenhalle seines Unternehmens lag.
„Nimm Platz!“ Er deutete auf einen der Fauteuils, die vor seinem Pult um ein Salontischchen kauerten und setzte sich mir gegenüber.
„Sicher kannst du dir vorstellen, worüber ich mit dir sprechen möchte.“ Ich nickte. Mein Vater entzündete sich umständlich eine Brissago. „Also, hör zu. Dein älterer Bruder ist ja leider vor einem Jahr tödlich verunglückt. Das hat meine aufgegleiste Nachfolgeplanung aus den Schienen geworfen. Er hätte das Geschäft weiterführen sollen.“ Seine Schultern sanken etwas ein, strafften sich aber wieder. „Es ist jedoch mein grösster Wunsch, dass das Unternehmen in der Familie bleibt. Es täte mir wirklich weh, wenn ich es verkaufen müsste. Ich zähle jetzt auf dich.“ Er beugte den Oberkörper in meine Richtung und legte die Unterarme auf den Tisch, während er mir gerade in die Augen sah.

Seit dem tragischen Tod meines älteren Bruders ahnte ich, dass Vater mich früher oder später als Nachfolger in sein Geschäft bringen wollte. Nur, das Transportgewerbe interessierte mich nicht sonderlich, am wenigsten die Kies- und Betonfuhren. Es passte nicht zu mir. Die rauen Umgangsformen dieser Chauffeure, die leidenschaftlich gerne mit ihren Kipplastern, den Motor dumpf röhren lassend, durch Sandgruben donnerten und auf den Strassen Normalautofahrer aufschreckten, irritierten mich. Ich fühlte mich unter ihnen wie ein Florettfechter, der sich gegen mit Zweihandschwertern bewaffnete Kämpfer zur Wehr setzen muss. Als Chef würde ich einen schweren Stand haben. Die Untergebenen akzeptierten und mochten meinen Vater, weil er noch immer die schweren Brummer fuhr und sich wohl fühlte in klobigen, schweren Schuhen, die ihn an die Erde banden und ihm in struben Zeiten Halt und Sicherheit gaben. Ihm ähnlich war mein älterer Bruder gewesen. Mir hingegen lag das nicht, dieses Grobe, Erdige, das im übertragenen Sinn auch meines Vaters Unternehmen verkörperte. Ich bevorzugte leichtes, elegantes Schuhwerk. In einem internationalen Unternehmen bekleidete ich eine sehr gute Stelle, wo ich nicht so mir nichts dir nichts aussteigen konnte und auch nicht wollte. Aber wie meinen Vater überzeugen, dass er im Interesse und zum Wohle aller sein Geschäft besser verkaufte?
Es gibt Theorien darüber, wie ich einen Konflikt bewältige. Ich muss einen Konsens ausloten der beiden dient, einen Schritt auf den anderen zugehen, von ihm aber auch ein Entgegenkommen verlangen. Nur in diesem Fall funktionierte das nicht. Ein Kompromiss war nicht möglich und eine Konfrontation unvermeidlich. Ich fühlte mich unbehaglich.

„Ich habe darüber nachgedacht. Ich weiss nicht recht, wie ich es dir sagen soll, aber ich bin zum Schluss gekommen, dass ich nicht der Richtige bin. Ich kann dein Geschäft unmöglich übernehmen.“

Mein Vater legte seinen Kopf schräg und kniff ein Auge zusammen. „Das kannst du nicht machen.“ Seine Stimme klang brüchig. „Das Unternehmen muss in der Familie bleiben. Du weisst das. Dein Bruder, der mein Nachfolger hätte werden sollen, kann ja leider nicht mehr.“

„Ja, mein älterer Bruder. Du hast ihn immer bevorzugt. Das hat mir wirklich zu schaffen gemacht. Was ich gerne tat und tue, hat dich nie interessiert. Jetzt wo er nicht mehr da ist, soll ich, als zweite Wahl sozusagen, zum Zug kommen.“

„Sieh das nicht so eng. Es ist doch ganz natürlich, dass der Älteste dem Vater nachfolgt.“

„Ich bezweifle das. Meiner Ansicht nach sollte der Fähigste das Geschäft übernehmen. Ob das nun der Sohn ist oder einer von ausserhalb der Familie spielt keine Rolle. Klar, mein Bruder wäre sicher der ideale Mann gewesen. Er war ja wie du. Nur ich bin anders. Begreif das doch.“

„Ich habe all meine Energie in dieses Unternehmen gesteckt, habe, unter anderem, meinen Kindern eine gute Ausbildung ermöglicht. Du bist jetzt noch der einzige Sohn und als solcher in der Pflicht. Du musst mein Unternehmen in der Familie halten.“

Ich hielt die inneren Handflächen gegeneinander und schwenkte sie gegen meinen Vater. „Bitte bleiben wir doch bei den Tatsachen. Ich bin überhaupt nicht und fühle mich auch nicht verpflichtet deinen Kiestransport, zu übernehmen.“

Jetzt sprang mein Vater auf, zog, hin und her schreitend, einige Male heftig kauend an seiner Brissago und setzte sich wieder.
„So du bist also nicht verpflichtet.“ Er deutete mit der Zigarre auf mich. „Ich sag dir was. Ist das der Dank dafür, dass ich mich aufgeopfert habe für die Familie. Ich habe dir, ja dir, ein besseres Leben ermöglicht. Es war nicht einfach damals, als ich in dieses Geschäft eingestiegen bin. Mit nur einem Kipplaster habe ich vor 30 Jahren begonnen, alleine.“

„Ich bestreite ja gar nicht, dass du dich aufgeopfert hast. Aber du hast es auch geliebt und liebst es immer noch. Nur ich habe kein Flair für Kiestransporte. Das liegt mir nicht.“

„So ist das also. Du bist ein verdammter Egoist.“

„Es geht ja nicht um mich. Es geht um dein Geschäft.“ Ich klopfte mit dem Mittelfinger auf den Tisch. „Du musst einen geeigneten Nachfolger finden, einer der die Firma in deinem Sinne weiterführt. Das schuldest du deinem Unternehmen, das du aufgebaut hast.“

Sich mit den Ellbogen auf den Tisch stützend, vergrub mein Vater das Gesicht in seinen schweren Händen. „Geh mir aus den Augen. Lass mich allein.“

„Ich werde Mutter sagen, dass du im Büro bist.“, sagte ich und verliess das Büro.

Unbändige Wut

Sie rannte zum Wald und trat dabei gegen jeden Pfahl, der sich ihr auf ihrem Lauf entgegenstellte. Was fiel ihm ein, sie so zu behandeln? Wieder ein Tritt. Alles hatte sie für ihn getan, alles. Sie ballte die Fäuste und hob sie drohend in die Luft. Ich werde nicht aufgeben, da kannst du lange warten. Sie verlangsamte ihren Lauf, weil ihr die Luft ausging. Sie stemmte die geballten Hände in die Hüften und atmete schwer. Ihr Körper wurde zu einem einzigen angespannten Muskel, Krämpfe schüttelten sie. Dann kippte sie einfach um und schlug mit dem Kopf auf den Waldweg auf. Sie suchte mit den Füßen einen Gegenstand, gegen den sie treten konnte, damit die Krämpfe in ihren Beinen nachließen. Kälte zog über ihren Rücken in den Bauch und ihre Brust, sie hatte definitiv die falsche Kleidung an für einen längeren Aufenthalt auf dem feuchten, erdigen Boden… Sie drückte sich mit ihren Armen hoch, um Herr über diese Erschütterungen zu werden.

Cool down, und ein und aus und ein und aus.

Jetzt war nur noch ihr Kopf heiß vor Wut und das würde sich sicher nicht sobald ändern. Noch nie war sie so gedemütigt worden. Immer konnte sie bisher rechtzeitig die Reißleine ziehen. Doch dieses Mal war er bis zum Äußersten gegangen und ihr blieb nichts anderes übrig, als stöhnend, aber sprachlos aus dem Raum zu flüchten. Der richtige Widerwille bildete sich erst nach und nach, doch es ihm direkt ins Gesicht zu schleudern, dazu fehlte ihr noch die Kraft. Zu oft schon gelobte er hinterher Besserung.

Ihr ganzer Körper schmerzte und ihr Ungeborenes hatte seine Attacken hoffentlich überlebt. Wieder packte sie bei dem Gedanken an ihr Kind die Wut über den Vater, der rücksichtslos auf sie eingeschlagen und -getreten hatte. Ständig hatte er sich nicht im Griff, schwor anschließend ewige Liebe, wollte alles wieder gut machen, sie solle ihn auf keinen Fall deswegen verlassen, hatte Kinder mit ihr haben wollen und… Sie stockte mitten in ihrer Aufzählung und ließ die entscheidende Szene Revue passieren.

Wie immer hatte es harmlos begonnen. Sie hatten >danach< zusammen Wein getrunken, sich liebevoll zugeprostet, bis er über ihren Bauch streichelte und sie ihm gestand, dass sie im 4. Monat sei. Wütend ohrfeigte er sie daraufhin so heftig, dass sie von der Couch fiel und er begann, auf sie einzutreten, immer bemüht, ihren Bauch zu treffen, wo doch sein eigenes Kind drin wohnte. Diesmal achtete er nicht darauf, ihr Gesicht unbeschadet zu lassen, damit der Schein des liebevollen Mannes nach außen hin nicht getrübt würde.

Er schrie sie an, dass er noch nicht bereit sei, um Vater zu werden und überhaupt, glaube er nicht, dass sie die richtige Mutter sei, für seine Kinder. Sie sei doch so schlampig, dass er immer wieder eingreifen und sie mit harter Hand auf die richtigen Bahnen lenken müsse und er wolle sich das nicht länger gefallen lassen. Außerdem sei das Kind sicher nicht von ihm, wer weiß, was sie triebe, wenn er nicht zu Hause sei.

Er griff nach der halbvollen Weinflasche, die er jetzt an den Mund setzte und in einem Zug leerte. Seine Wut auf sie ließ etwas nach und sie robbte sich nach und nach aus seinem Dunstkreis.

Den Bauch haltend, zog sie sich am nahestehenden Sessel hoch, raffte ihre verstreuten Kleidungsstücke auf und starrte ihn währenddessen unter Tränen an. So war das also, benutzt hatte er sie all die Jahre. Bequem war es für ihn gewesen, in ihr gemachtes Bett zu kriechen, eine Putzfrau, Köchin und Bettgesellin zu haben, die willig und aus wirklicher Liebe, seinen Treueschwüren geglaubt, alles erduldet hatte. Im Flur ergriff sie sich irgendwelche Schuhe und zog leise, aber bestimmt die Wohnungstüre hinter sich zu.

Nicht mehr mit mir und meinem Kind, das sie entschlossen war, auf die Welt zu bringen; ob mit ihm oder ohne ihn! Ein zurück gab es jedenfalls nicht, das stand für sie nun fest. Sollte er doch ohne sie zugrunde gehen, wie er immer behauptete, wenn sie unter Tränen androhte, ihn zu verlassen.
Mit entschlossener Kraft schaffte sie es, sich vollends zu erheben und in ihrem Handy nach der nächsten Polizeidienststelle zu suchen. Sie würde ihn anzeigen, sich körperlich untersuchen lassen, das Zimmer im Frauenhaus, das ihr schon angeboten wurde, in Anspruch nehmen und ihm und der gemeinsamen Wohnung endgültig den Rücken kehren. Das war sie ihrem Ungeborenen schuldig. Sie oder er sollte nicht auch Opfer weiterer Attacken werden.

Mit diesem Gedanken raffte sie sich endgültig auf und marschierte mit festem Tritt nach den Anweisungen ihres Routenplaners los, obwohl die Blutergüsse im Gesicht, an ihren Beinen und auch an ihrem Bauch höllisch zu schmerzen begannen und das Schuhwerk unpassend für dieses Gelände.

Um ihre Gedanken von blinder Wut zu befreien und sie in konstruktives Handeln umzumünzen und um dem Kind nicht noch mehr Aufregung zu bereiten, begann sie, während des Gehens durch gezielte Atemzüge ihren Herzschlag zu beruhigen und horchte auf weitere Kindsbewegungen. Es darf ihm einfach nichts geschehen sein, sonst würde sie sich an dem Vater des Fehlgeborenen fürchterlich rächen. Das schwor sie sich feierlich, ballte ein letztes Mal beide Fäuste und gewann eine Distanz zu dem Mann, den sie noch vor zwei Stunden innig umarmt hatte. Nie mehr sollte er Herr über ihr Tun und Lassen sein, nie mehr die Hand gegen sie erheben.

Marion Kulinna©

12.12.22

nöööt. nöööt. Es dauert etwas bevor ich das nervenraubende Geräusch einordnen kann. Die Türklingel. Ich dreh mich wieder um. Ich erwarte niemanden und bevor ich einigermaßen adäquat aussehe, um einem Nachbarn oder Postboten die Tür aufzumachen ist der ungebetene Gast weg. Ein Schlüsselklackern lässt mich hochschnellen. Kackmist! Ich greife nach meinen Klamotten. Tino steht bereits im Schlafzimmer, während ich noch versuche den Fuß aus dem falschen Hosenbein wieder rauszuziehen. Er stammelt, er habe geklingelt und gedacht ich sei nicht zu hause. Ich erwidere ich sei sehr wohl da und bereue den unnötigen Kommentar sogleich. Tino beteuert nur seine restlichen Sachen aus der Wohnung zu holen und wieder zu verschwinden. Ich starre ihn nur an. Verzweifelt versuche ich mich an all die Sachen zu erinnern, die ich ihm vorwerfen wollte. Kein klarer Gedanke. So sollte das erste Treffen nach der Trennung nicht ablaufen. Schick, aufgestylt und selbstbewusst wollte ich sein, nicht ungekämmt mit Nachthemd und einem verkehrt herum angezogenen Hosenbein.
Ich gehe ins Badezimmer, die Hose schleift über den Fußboden.
Langsam ordne ich mein Äußeres und Inneres. Er könne nicht einfach reinkommen, blaffe ich durch die Badezimmertür. Das Denken funktioniert langsam wieder. Gerade als ich Startklar bin für meinen wütenden Auftritt, höre ich die Haustür scheppern. Der Schlüssel liegt auf der Kommode.

Magnetische Stille

Und jetzt sitz ich hier,
und weiß nicht mehr warum.
Weiß nicht, wie ich gelandet bin,
wie’s passieren konnt.
Um mich herum erklingen Töne der Natur. In mir erklingt nur Stille.
Pochende Leere.
Wie ein schwarzes Loch
bereit, sich auszudehnen,
einzusaugen, was ihm zu Nahe kommt.

Will laufen. Rennen gar.
Der Boden umschlingt mich fest,
zieht mich magnetisch an, als wäre ich Metall.
Schwer und kalt.
Nur die Übelkeit, flau und mies,
in den tiefsten Schichten meines Kerns,
erinnert mich,
dass ich noch bin.
Unangenehm krall ich mich daran fest.
Einen letzten Gedanken bewahrend:
Wenn ich das verliere, verliere ich auch mich.
Halte Ausschau
nach einem Stückchen Ingwer,
nach einem Stückchen Licht.
Und wenn ich sie gefunden hab,
springe ich hinein,
suhle mich,
suhle meinen Bauch,
wärme meine Beine,
vertreibe all die Kälte
und stehe wieder auf.

Der letzte Abend

Sie hatte soeben das Restaurant betreten und schaute sich suchend um. Beherzt schnappte Tom sich den bunten Rosenstrauß und stand auf. Da hatte sie ihn auch schon entdeckt. Lächelte ihn an. Senkte kurz den Blick, als sie die Blumen sah. Oder war das nur sein Eindruck? Sie kam auf ihn zu. Gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. „Setz dich!“, hörte er sich sagen. „Ich habe deinen Lieblingswein bestellt.“

„Fein, dann lass uns mal anstoßen auf unser gemeinsames Jahr.“ Das klang gut.

Nach der Lasagne klang für Tom gar nichts mehr gut. Leonie hatte ihm ziemlich umständlich erklärt, dass sie eine Auszeit brauchte. Sie wolle studieren gehen, in Heidelberg. Sie habe lange genug Schuhe verkauft und wolle noch etwas Anderes machen aus ihrem Leben. Deutsch und Französisch auf Lehramt. Die Lehramtsidee hörte Tom nicht zum ersten Mal. Aber durfte sie ihn so einfach außen vor lassen? Alles in ihm schrie laut: „Nein!“ Aber sie redete unumwunden weiter. Sie wollte das Studentenleben genießen, neue Erfahrungen sammeln. Weg von zu Hause auf eigenen Füßen stehen. Abends feiern gehen, lange schlafen und mit literweise Kaffee bis spät in die Nacht hinein lernen.

„Das verstehst du, doch, Schatz. Ich möchte mich einfach nicht fester binden, wenn ich so weit weg bin. Das ist mir zu anstrengend.“

„Aber wir könnten uns doch an den Wochenenden sehen“, schlug er vorsichtig vor. Seine Stimme zitterte.

„Nein, ich will keine Fernbeziehung führen, und du doch auch nicht. Du wohnst ja quasi noch bei deiner Mutter.“ Das war nicht fair! Leonie schien es im selben Augenblick zu bemerken, denn sie schlug die Hand vor den Mund. „Entschuldige bitte, das hätte ich nicht sagen dürfen. Ich finde es ganz großartig, wie du dich um deine Mutter kümmerst. Du kannst sie nicht allein lassen. … Ich könnte das an deiner Stelle auch nicht.“ Wer hatte seiner Leonie erlaubt, solche Dinge zu sagen? Wer hatte ihr den Floh ins Ohr gesetzt, studieren zu wollen? Wer hatte sie auf die Idee gebracht, dass er keine Fernbeziehung wollte? Und woher zum Teufel, wusste sie, dass es wirklich so war? Tausend Fragen schwirrten ihm in seinem Kopf herum. Es drängte ihn, ein Plädoyer zu halten für ihre wunderbare Beziehung. Für ihre Zufriedenheit miteinander. Für so viele gemeinsame Stunden, auf die er auch in Zukunft nicht verzichten wollte. Im Geiste stellte er sich vor, wie er vor Leonie auf die Knie fiel und ihr einen Heiratsantrag machte. Und wie sie mit tränenerstickter Stimme ein ´Ja´ zu ihm hauchte. Heraus brachte er nicht vielmehr als ein gestammeltes: „Aber wir haben uns doch nie gestritten!“ Das klang erschreckend lahm im Vergleich zu dem, was er sich gerade überlegt hatte.

„Ich weiß, und ich kann es auch schlecht erklären. Es fühlt sich für mich einfach verkehrt an, dich hier warten zu lassen, während ich in Heidelberg einen Alltag lebe, an dem du nicht teilhaben kannst.“

„Und wenn ich mitkomme?“

„Würdest du?“ Sah er da einen Hoffnungsschimmer in ihrem von Traurigkeit überschatteten Gesicht? Eine neue Stadt? Neue Leute? Er könnte sich eine neue Stelle suchen. Das könnte doch sogar schön werden! Der kurze Moment der Erleichterung wich dem schlechten Gewissen. Mama ging es wirklich nicht gut. Sie würde eine Pflegekraft benötigen, auf die sie nicht angewiesen sein wollte. Nein, wenn er ehrlich war, dann war ein Umzug keine Option. Tom sagte nichts.
Den Nachtisch aßen sie schweigend, und als er nach einer schmerzvollen Abschiedsumarmung allein nach Hause stapfte, konnte er sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob es ihm geschmeckt hatte.

Mistkerl

„Was? Aber warum? Ich verstehe das nicht. Was ist denn los?“
Er schafft es nicht, mich anzusehen, sondern sieht nur auf seine Füße.
„Es liegt nicht an dir, sondern …“
„Jetzt komm mir nicht mit irgendwelchen Klischees. Ich glaube, ich habe eine bessere Erklärung verdient. Eine bessere Erklärung dafür, dass du mich erst ghostest, obwohl du mein Freund bist und das nicht erst seit gestern, sondern seit 3 Monaten, und jetzt, nachdem ich zu dir kam, um das zu klären, du einfach mit mir Schluss machst. Hast du eine Andere?“ Am Ende des Satzes bin ich fast am Zittern, ich verstehe die Welt nicht mehr und will Antworten von jemanden, der sie mir scheinbar nicht geben kann oder will.
„Nein, ich habe keine Andere. Ich… ich bin gerade einfach mit allem überfordert. Du bist so eine tolle Frau und ich habe dich leider einfach zum falschen Zeitpunkt kennengelernt.“
Ich atme tief aus, nachdem ich gar nicht gemerkt hatte, dass ich die Luft anhalte.
„Aber wenn es dir zu schnell geht, können wir es auch langsamer angehen lassen. Ich kann dir Zeit und Raum geben. Wir schaffen das.“
„Nein, ich kann gerade einfach nicht. Es tut mir Leid. Du gehst besser.“
Ein kurzer Blick von ihm reicht mir, um zu sehen, dass jedes noch so gute Argument nichts nützen wird. Er hat seine Entscheidung getroffen. Ich bin wie erstarrt. Dann setzt sich mein Körper wie von selbst in Bewegung und ich verlasse seine Wohnung, mache mich auf den Heimweg. Unten angekommen, fängt nach der anfängliche Starre meine Wut an, sich Bahn zu brechen. Ich laufe los. Innerlich kocht und brodelt es in mir, mein Körper braucht die Bewegung, um die Anspannung los zu werden.
Meine Gedanken rasen immer schneller, wenn ich daran denke, wie- leider nur scheinbar- glücklich wir waren und wie er mir die letzten 2 Wochen aus dem Weg gegangen ist. Erst keine Zeit für Treffen, dann immer weniger Anrufe und Nachrichten, die letzten zwei Tage dann nichts mehr. Jaja, keine Zeit, von wegen, er hatte seine Entscheidung schon getroffen und nur einfach nicht den Arsch in der Hose, es mir zu sagen. Als wäre ich so ein Unmensch. Er hätte einfach ehrlich sein sollen. So ein Mistkerl. Mittlerweile renne ich fast und nun weine ich auch noch vor Wut. Das ärgert mich schon wieder so sehr, dass ich noch wütender werde und noch mehr weine. Als ich gar nicht mehr weiß, wohin mit meiner Wut und Anspannung, renne ich einfach los. Und renne und renne, bis ich keine Luft mehr in den Lungen habe. Auf einer Brücke komme ich zum Stehen. Es ist stockdunkel, mitten in der Nacht, weit und breit ist niemand zu sehen und ich schreie los. Schreie so lange, bis ich nicht mehr kann und alle Schimpfwörter, die ich kenne, verbraucht habe. Langsam lässt die Wut nach und wird ersetzt durch etwas Anderes. Eine tiefe Traurigkeit. Und ein Gefühl von Einsamkeit. Langsam mache ich mich auf den Heimweg.

Friede auf Erden? Damit könnte man schon in der Tram beginnen.

Mit Wucht platziert sie ihren Hintern neben der schlanken Frau auf der Bank in der Tram. Die Schlanke schaut kurz pikiert von ihrem Buch auf und rutscht ein Stückchen zur Seite. Die Platzhirschin klappert mit den Augendeckeln, nestelt an ihrer Tasche und befördert nacheinander die Unerlässlichkeiten des Alltags einer Wichtigtuerin ans Tageslicht, bis sie ihr kitschverkrustetes Handy gefunden hat, mit dem sie rumhantiert. An der nächsten Station steigt junger Spund ein, schlaksig und beschwingt. Latscht versehentlich der Dicken auf den Fuß, ein theatralisches „Auuuu!“ entfährt ihr. „Entschuldigung!“, dreht er sich in ihre Richtung. „Wenn es ein Elefant gewesen wäre, hätte es auch nicht weniger wehgetan.“ Die Schlanke verdreht schon die Augen. „Entschuldigung.“ Die Wichtige sieht sich mitleidheischend nach Bestätigung durch die Umsitzenden um: „Was hampeln Sie auch hier so rum?“ Der Schlaksige ist eigentlich nur eingestiegen und hat nicht gehampelt. Die Schlanke setzt sich zwei Plätze nach links. „Ich habe mich zweimal entschuldigt. Was wollen Sie noch?“ „Arschloch.“

H2O

„Ich bin nicht so alt geworden, um jetzt zu sterben!“, sagte Hans-Otto.
„Was sollte der ganze Aufwand?“
„Das Jahrelange strecken. All die Ärzte und die Medikamente! Die Lauferei!“
„Der sinnlose Sport! Fit halten. Immer weiter. Sport. Gesund ernähren!“
„Und dann, dann liegst Du hier und begaffst die Wände. Hörst Dir das Gelabere der Ärzte an und schaust den Schwestern auf den Hintern!“
„Lange liegen, Lungenentzündung. Biopsie. Der Beweis. Krebs. Ha, so eine Scheiße. Was soll das? Wie hätte ich leben sollen?“
Stille im Raum. Zweibettzimmer. Das andere Bett war leer. Noch leer.
„Nicht rauchen, kaum saufen. Alles im Rahmen. War alles ein Fehler!“
„Hör doch endlich auf. Du hast gelebt!“, sagte der Tod.
„Falsch! Gevatter. Ich lebe immer noch!“
„Naja, wie man es nimmt!“
„Außerdem möchte ich Dich bitten mich in Ruhe zu lassen. Diese Maskerade. Das imponiert mir kein Stück!“, sagt H2O.
„Ich bin der aktuellen Mode entsprechend gekleidet!“, sagte der Tod.
„Ja eben! Das ist mehr als albern. Du bist nicht normal. Du bist der Überbringer der letzten Nachricht!“
„Eben. Also mach dich bereit!“
„Du kannst mich kreuzweise!“
H2O lief zur Höchstform auf.
„Ich werde einen Deibel tun!“
„Halt den Teufel da raus!“
„Ich halte raus, wen ich will!“, sagte H2O.
„Du glaubst doch nicht, dass ich Rücksicht auf dich nehme!“, sagte der Tod.
„Hast Du jemals auf jemanden Rücksicht genommen?“
„Auf mehr, als Du denkst!“, sagte der Tod.
„Du lügst doch. Du bist eine arrogante, gottlose, mordlüsterne Unperson! Sonst nichts! Wertlos und überflüssig!“
„Bring mich nicht in Rage!“, sagte der Tod.
„Ha, was zu beweisen war. Du bist unbeherrscht und gewaltbereit!“
„Und Du bist ein kleiner sinnloser Mensch. Einer mehr oder weniger von Deiner Sorte, darauf kommt es nicht an!“
„Arrogant. Sag ich doch!“, sagte H2O.
„Dann wollen wir mal. Also entspann Dich. Atme ruhig und tief. Bald kommt Dein letzter Schnapper!“, sagte Gevatter Tod.
„Nichts dergleichen werde ich machen. Nix!“
„Du willst es also mit Schmerzen?“
„Von Dir will ich gar nichts!“, sagte H2O.
„Aber ich will etwas von Dir. Nichts Weltbewegendes. Nur Dein erbärmliches leben!“
„Wenn mein Leben so erbärmlich war, dann kannst Du getrost darauf verzichten!“
„Nein das kann ich nicht. Dienstplan. Kapiert?“
„Ach dummes Zeug. Auch Dienstpläne kann man ändern!“
„Es reicht jetzt. Du bist nicht der Einzige heute. Da liegen noch andere in der Bredouille!“, sagte der Tod.
„Kriegst auch ein Einzelzimmer!“, schickte er hinterher.
Der Tod grinste und H2O hatte verstanden, dass er das Spiel verloren hatte.
„Also wie war das? Tief einatmen und dann … !“

Zwei wie Hund und Katz

Mein Bruder Ben tauchte wie eine dunkle Wolke in der Küchentür auf. „Wer hat mein Zimmer aufgeräumt?“, schnauzte er in die Runde.
Wir bereiteten gerade das Mittagessen vor. Meine Mutter und ich starrten ihn mit offenem Mund an. Selma, meine Freundin, die gerade zu Besuch bei uns war, wusch in aller Seelenruhe das Brett ab, das sie zum Gemüseschneiden verwendet hatte.
„Das wird Gertrude, unsere Haushaltshilfe, gewesen sein“, fühlte ich mich bemüßigt etwas zu sagen, nachdem sich sonst niemand äußerte.
„Die weiß, dass sie das Zimmer nicht betreten soll!“, übellaunig fuhr Ben mich an und spießte mit seinem Blick Selmas Hinterkopf auf. Diese wandte sich jetzt langsam um, als hätte sie es gespürt. Ein säuerliches Grinsen umspielte ihren Mund.
„Also gut! Ich habe deine stinkende Bettwäsche gewechselt, die Vorhänge aufgezogen und die Dutzenden leeren Flaschen entsorgt!“, blaffte sie im selben Ton zurück. „Bist du ein Zauberer, oder was? Glaubst du, du kannst bewirken, dass deine Verfehlungen jetzt meine sind?“
„Mir wäre jedenfalls ein zerwühltes Bett lieber, als eine putzwütige kalte Frau!“, schrie er.
„Fahr doch zur Hölle, ich hasse dich!“ Sie warf den triefenden Küchenschwamm nach ihm.
„Ich hoffe, dir rutscht der Ärmel runter beim Abwaschen!“
Selma stürmte wütend aus der Küche.
Ich starrte meine Mutter mit aufgerissenen Augen an. Was war das? Ich wusste, meine Freundin war ein kleiner Kontrollfreak und hatte einen ausgeprägten Putzfimmel, aber das überraschte mich dann doch.
„Benjamin! Habe ich dir nicht beigebracht, dass immer die Frau das letzte Wort haben sollte?“, mischte sich meine Mutter ein. Sie kicherte dabei leise. Wie konnte sie nur?
Ben verschwand wortlos in seinem Zimmer.
Als sie meinen entgeisterten Blick registrierte, sagte Mutter mit einem Schulterzucken: „Ich glaube, hier liegt etwas sexuelle Spannung in der Luft! Was meinst du? Sie schreien sich an, streiten und ignorieren sich, seit sie hier ist“, fuhr sie fort. „Dann lächelt er sie wieder wie ein Idiot an. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“
Ben und Selma? Die beiden sind seit unserer Kindheit wie Hund und Katz. Verwundert fing ich an zu Begreifen. Vorgestern waren die zwei alleine zu Hause gewesen und meine Freundin hatte mich danach über meinen Bruder ausgefragt. Was für eine Überraschung. Ich würde Popcorn für Mama und mich besorgen müssen, diese Geschichte würde noch spannend werden.

Jährlich grüßt das Murmeltier

Völlig genervt stand ich an einer roten Ampel. „So ein verfluchter Mist, ich bin eh schon spät genug dran und jetzt komme ich von einer roten Welle in die andere. Mir bleibt heute auch echt nichts erspart“ schimpfte ich vor mich hin. Ungeduldig trommelte ich mit meinen Fingern auf das Lenkrad ein, als ich auf einmal einen lauten Knall hörte und spürte. „Was zum Teufel war das denn?“ Durchgeschüttelt und schockiert schaute ich in den Rückspiegel und sah, wie mir der Hintermann in mein Auto gefahren ist. Wutentbrannt stieg ich aus und knallte mit voller Wucht meine Autotür zu. „Geht’s noch!! Du Idiot! Hast du deinen Führerschein im Lotto gewonnen oder was? Bist du zu blöd zum Fahren?“ schnautze ich den Unfallverursacher an. „Entschuldigen Sie, ich habe nicht richtig aufgepasst und Sie zu spät gesehen“ sagte mein Gegenüber. „Ja ja ist klar, mein knallroter Mini ist ja auch so schwer zu übersehen. Gehe zum Augenarzt und lass dir eine Brille verschreiben“ setzte ich meine Schimpftriade weiter. „Angeblich sind wir Frauen, die schlechteren Fahrer… Dabei bauen die Herren der Schöpfung die ganze Zeit Unfälle, weil sie meinen, dass sie die Größten sind und jedem Rock hinterher schauen müssen. Ich werde jetzt auf jeden Fall die Polizei rufen.“ Während ich mein Handy aus der Tasche hole, grinst mich der Typ, belustigt an, was mich noch mehr auf die Palme bringt. „Warum grinsen Sie denn die ganze Zeit so? Sie haben doch den Unfall gebaut. Wegen Ihnen darf ich mein Auto erneut in die Werkstatt bringen, dabei habe ich es erst heute früh wieder abgeholt, weil mir letzte Woche schon so ein Idiot ins parkende Auto gefahren ist. Männer sind echt unmöglich. Hören Sie endlich das Lachen auf, sie Idiot“ sagte ich zu dem Mann. Leider muss ich ja doch zugeben, dass er schon ganz niedlich aussieht. „Sie sind richtig goldig, wenn Sie sich so aufregen und völlig in Rage sind. Sie brauchen übrigens nicht die Polizei zu holen, denn die steht bereits vor Ihnen“ klärte er mich lächelnd auf. „Oh…Konnte ich ja nicht ahnen, so ganz ohne Uniform und ohne Polizeiauto“ „Ja, ich war auch in Zivil unterwegs“ Mit einem Mal war meine ganze Wut verraucht. „Entschuldigen Sie bitte meinen Wutausbruch, bin mit dem falschen Fuß aufgestanden“ gab ich zerknirscht zu. „Wie regeln wir das jetzt?“ „Ich werde jetzt ein Abschleppdienst organisieren und den Rest regeln wir auf der Wache, da es ja auch ein Arbeitsunfall war“ klärte mich der hübsche Polizist auf.

Ein Jahr später stande ich erneut an der gleichen roten Ampel, mit meinem neuen reparierten Auto. Dieses Mal ist es aber anders, denn ich bin nur die Beifahrerin und mein Freund, der hübsche Polizist, fährt das Auto. „Alles Gute zum Jahrestag Schatz“ beugte sich mein Freund zu mir um mich zu küssen, als es auf einmal einen lauten Knall gab. „Du Idiot, geht’s eigentlich noch? Hast du deinen Führerschein im Lotto gewonnen oder was?“ lachte und stöhnte leicht genervt gleichzeitig vor mich hin…

Doris liebte ihren Job, den sie vor einiger Zeit, als Zeichnerin für Elektrotechnik angetreten hatte.
Die Kollegen waren nett und freundlich. Außer ihr und der Sekretärin, gab es da nur Herren, ihres Zeichens, Ingenieure. Der Chef war meist im Hauptbüro und hier nur der Filialleiter.
Nur einer der Kollegen, war mehr als unangenehm. Er brachte ihr Entwürfe von Stromlaufplänen, die sie in’s Reine zeichnen sollte. Immer wieder kam er und schnauzte sie an: „Sie haben da schon wieder einen Fehler gemacht“.
Sir zog dann den Kopf ein und berichtigte die Stelle. Was sollte sie auch schon machen. Vor dem Typ, zogen alle den Schwanz ein.
Eines Tages, hatte sie eine Idee. Wenn ihr der Kollege wieder eine Arbeit brachte, wartete sie bis er sich wieder entfernt hatte, nahm den Plan und ging zum Kopierer und kopierte ihn. Dazu legte sie einen Extraordner an, auf dessen Rückseite sie nur den Anfangsbuchstaben, des Namens des Kollegen schrieb. Da hinein heftete sie die Kopie ab.
Als er nun wieder kam, und sie lautstark ansprach: „Sie haben da schon wieder einen Fehler gemacht“.
Sagte sie, Moment, holte den Ordner hervor: „Sehen Sie selbst, der Fehler stammt von Ihnen“. Wut schnaubend, ging er zurück auf seinen Platz. Weil er da mit seiner Tour nicht durch kam, ließ er ihr in Folge, die Arbeit von einem Botenjungen bringen.
Dessen aber nicht genug. Er wusste, dass sie Mitglied des Kirchenchores war und nannte sie deshalb des Öfteren Betschwester oder ähnliches. Sie aber schenkte dem keine Beachtung. Nein, dieser ungute Kerl, konnte sie nicht beleidigen.
Eines Tages, sollte der Botenjunge den Rasen um das Firmengebäude mähen. Leider war aber der Benzintank des Rasenmähers leer und der junge Mann, hatte kein Fahrzeug.
„Warte, ich habe einen fünf Liter Kanister in meinem Auto, den kannst Du haben und damit Deinen Rasenmäher auffüllen“.
„Super, danke schön“ und eilte mit ihrem Autoschlüssel davon.
Der ungute Kollege hatte das mitbekommen, ging zu ihr: "Sie Betschwester, hier haben sie das Geld für das Benzin. Dabei fummelte er seine Geldbörse aus der Hosentasche und fingerte da, vor Wut zitternd, Pfennige und sonstiges Kleingeld heraus und warf es vor ihr auf den Schreibtisch.
„Sie haben sich ja auch die Überstunden an Ostern bezahlen lassen“.
Doris aber wurde nun ganz leise, Es war ihr in dem Moment egal, ob man sie nun feuern würde oder nicht: „So, sie haben mich nun, seit heute Morgen beleidigt“ und brüllte nun los: „Jetzt reicht es mir“.
zugleich packte sie das Geld mit der Hand un warf es ihm nach. Die Pfennige hüpften durch das ganze Büro.
Er drehte sich um und verließ die Firma, in dem er laut die Tür zuknalle. Der Abteilungsleiter schaute vorsichtig aus seinem Kabäuschen und verzog sich wieder.
Zuhause, dachte Doris, morgen brauche ich wohl nicht mehr in die Firma zu kommen. Obwohl, mehr wie kündigen, können die mir nicht. Jetzt gehe ich erst einmal hin, dann werde ich schon sehen, was passiert.
Es gab keine Kündigung. Das Gegenteil war der Fall. Alle waren froh, dass es einmal Einer gewagt hatte, diesem unguten Menschen die Meinung zu sagen.
Von Stund an hatte sie da einen super guten Arbeitsplatz.

1 „Gefällt mir“

Wieder glücklich.

Da lag er und rauchte die Zigarette danach. Das blonde Flittchen, dessen Namen er sicher bereits wieder vergessen hatte, duschte nebenan. Vielleicht vergriff sie sich gerade an ihrem Lieblingsduschbad. Erst ihr Mann und jetzt noch cherry blossom. Der kalte Stahl des Messers kühlte die brennend heiße Welle der Wut, die sie bei dem Gedanken überrollt, ein bisschen herunter. Doch ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien erst, als sie das Gurgeln aus seiner Kehle vernahm und Blutspritzer ihr Hochzeitsbild trafen, das auf dem Nachttisch stand. „Liebling, ich hab es Dir versprochen.“, flüsterte sie liebevoll. „Bis dass der Tod uns scheidet.“

„Sie hat angefangen!“ Die Frau, deren Gesichtsfarbe einen leicht rötlichen Farbton angenommen hatte, nickte bekräftigend dazu.

„So ein Unsinn!“ Die Frau, die ihr gegenüberstand schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre grüne Bommelmütze fast davonflog. „Ich habe es doch ganz genau gesehen.“

Die andere fiel ihr ins Wort. „Ich stand doch genau daneben und konnte es beobachten. Meine Harriet hat überhaupt nichts gemacht.“

„Ach, reden sie doch nicht. Sie wollen ihre ja immer nur in Schutz nehmen. Das ist ja nicht das erste Mal, das so etwas passiert.“

„Also, jetzt reicht es aber“, knurrte die Erste. „Sie sind doch immer diejenige, die meint, ihre Molly tue niemandem etwas zu leide. Immer sollen es die anderen gewesen sein.“ Ihre Gesichtsfarbe vertiefte sich zu einem tief lilafarbenen Ton.

Die Bommelmütze wurde voller Wut auf den Boden geworfen. „Das ist Verleumdung. Das lasse ich mir nicht gefallen. Bringen Sie ihrer Harriet erstmal eine anständige Erziehung bei!“

Die Pulsadern der Ersten schwollen an und sie japste laut bei den nächsten Worten. „Ich rufe gleich die Polizei! Das ist eine Unverschämtheit. Sie können ja von Glück sagen, dass sie nicht verletzt worden ist. Ihre Molly benimmt sich schließlich ständig daneben!“

Die beiden Frauen standen dicht voreinander und hatten die Fäuste geballt. Ihre Augen sprühten vor Wut.

Unterdessen kuschelten sich die beiden Hunde Harriet und Molly auf dem nassen Weg zusammen und träumten von ihren Körbchen.

Als mir die Roten das Fürchten lehrten

Weniger Glück hatte ich am Münchner Hauptbahnhof. Beim Aufstieg aus den Katakomben sinnlich erfahrbar, Heimspiel des FC Bayern stand an. In Horden warteten die uniformierten Fans grölend auf Gleichgesinnte, belagerten den Ausschank. Die Stimmung aufgeheizt, die klare Intonation der siegbereiten Gesänge ließen im Moment keine Eskalation erwarten. Es diente dem Vorglühen, der akribischen Choreografie des wöchentlichen Kampfes. Die Zugeinfahrt der gegnerischen Fans wurde nach Mittag erwartet.
Ich kannte den heutigen Gast nicht, das änderte sich auf dem Weg zur Straßenbahn. Mein grünes Sweatshirt mit weißem Kragen enthemmte, ich wurde das Gladbachschwein. Lärmunterstützt umzingelten sie, eingekeilt wie ein Vieh trieben sie mich ins Abseits. Die Köpfe der einschließenden Traube glichen einem Igludach, stolz brüllten sie: „Wir haben den Verräter!“, übertönten meine Hilferufe. Ein gezücktes Messer führte zum Verstummen. Ich zog das vermeintliche Übel aus, sie zwangen mich, das Shirt zu verbrennen. Das Gewebe aus Baumwolle und Kunstfaser verhinderte ein loderndes Entfachen. Langsam schmolz das stinkende Gemisch. Der verkohlte Haufen entsprach dem empfundenen Elend. Sie ließen ab. Zitternd und entblößt stand ich da. Eine beeindruckende Fankultur.
P.S. Ein Freund von mir erlebte Ähnliches in der Fußgängerzone. Er war nicht bereit, seinen bevorzugten Verein zu benennen, wurde in ein betoniertes Blumenbeet gedrückt. Dessen Rand diente zum Hebel, sie brachen ihm Elle und Speiche. Nächste Woche spielen die Bayern auswärts.

Versuchter Fliegenmord

Nach einem arbeitsreichen Tag macht man sichs vergnüglich
auf dem Sofa gemütlich,

um geruhsam im Fernsehen zu streamen
und vielleicht vom Paradies zu dreamen.

Doch kaum beleuchtet die Mattscheibe das Fernsehlicht,
etwas schwarzes Fliegendes es bricht.

Erst läuft es munter,
am Fernsehbildschirm runter.

Nun umkreist es mein Gesicht
und stiehlt die uneingeschränkte Sicht.

Am Nasenflügel lässt sich das Wesen nieder
und reckt seine Glieder.

Mit der Hand will man den Störenfried verjagen,
doch er beschließt frech weiter zu plagen.

Am Ohr vorbeigerbrummt,
er nun am Hinterkopfe summt.

Man dreht sich um und renkt den Kopf,
wackelnd mit dem Pferdezopf.

Plötzlich piekt und zwackt etwas am Unterarm.
Die Gegenwehr ist leider zu lahm.

Behende fliegt das Ungetier
zum Feierabendbier.

Schnell hat es vom Gebräu getankt,
nun sichtlich etwas wankt.

Den Blick auf das Tier gebandt,
saust hernieder die flache Hand.

Siegessicher wird das Glas getroffen,
von dem die Fliege eben noch gesoffen.

Zu dumm,
klirrend kippt das Glas jetzt um.

Der teure Teppich wird vom Hopfensaft getränkt,
was mich zum Zorne kränkt.

Die Fliege, längst um die nächste Ecke gebogen,
ist schnurstracks zurück zum Fernsehen geflogen.

Mit einem großen Kissen will ich des Flieges Henker sein
und schick es wütend hintendrein.

Es trifft den Großbildschirm, der erhält mit meinem Wurfgeschick
einen kräftigen Kick.

Der noch laufende TV löst sich zeitlupenartig von der Wand
und zerschellt verstummend auf dem noch feuchten Bierteppichrand.

Der Fliege Leiche wurde nie entdeckt,
hat wohl nicht unterm Fernsehen gesteckt.

Und ich höre den Versicherungsmann heute noch lachen:
„Sowas sollte man nicht machen!“

Zivilcourage oder couragiertes Weglaufen?

[Sonntag]

Das Geräusch des Feuermelders wurde lauter und lauter, je weiter wir die Straße entlang liefen. Mein Blick glitt zu meiner Schwester, die Hände tief in meinen Jackentaschen vergraben. Meine Wangen mussten ebenso wie meine Nase knallrot sein von der herrschenden Dezemberkälte und ich bereute, keinen Schal umgelegt zu haben, als wir das Haus verließen.
„Hörst du den auch?“
Ich nickte und wie automatisch bewegten sich meine Beine in Richtung des Geräuschs.
Tue es nicht. Lass es einfach bleiben! Wieso willst du da jetzt nachsehen gehen? Das ist wirklich nicht dein Problem! Ernsthaft! Vielleicht hat auch wieder irgendein Trottel das Essen anbrennen lassen und nun schreit dieses dumme Ding! Oder die Wohnung steht leer und das Teil ist einfach defekt! Dreh um und geh!
Ich ignorierte meinen eigenen kleinen Kopfdämon, welcher oftmals leider gar nicht so klein war, und lief an dem langen Reihenhaus entlang.
„Hier ist es“, sagte ich zu meiner Schwester.
Um zu überprüfen, ob ich richtig lag, machte ich einige Schritte weg von dem angekippten Fenster. Vor, zurück. Das Resultat blieb dasselbe. Unterhalb des Fensters hörte ich den Feuermelder am lautesten.
„Sollen wir die Feuerwehr anrufen?“
Wir sahen uns etwas unbehaglich um. Die anderen Fenster der Wohnung waren geschlossen, die Rollläden hinuntergezogen.
„Vielleicht ein Fehlalarm“, merkte meine Schwester nervös an.
Oh ja. Das kam uns bekannt vor. Waren wir doch erst vor wenigen Monaten von einem solchen um den Schlaf gebracht worden. Schon davor hatten wir ebenfalls diverse Fehlalarme von defekten Rauchmeldern erlebt.
„Und was, wenn jemand da drin ist? Wir können ja nichts sehen“, sagte ich.
Eine Weile herrschte Schweigen zwischen uns, während wir beide in Gedanken versunken dem nervigen Geräusch des Rauchmelders lauschten. Vielleicht kam ja doch noch jemand und schaltete ihn aus. Im Haus schien es auch niemanden zu beunruhigen. Die Erfahrung mussten wir leider auch schon am eigenen Leib machen, dass Menschen taten, als würden sie nichts sehen oder hören. Wegschauen hieß wohl das Prinzip. Kalte Gesellschaft.
In meinem Kopf arbeitete es. Feuerwehr anrufen oder nicht? Erst zuletzt mussten wir den Notruf wählen, wegen eines gefährlichen, randalierenden Mannes im Haus.
Lass es. Ganz ehrlich. Vermutlich steht die Wohnung eh leer. Du machst dich nur lächerlich. Ihr macht euch nur lächerlich. Das willst du Sabine doch nicht antun, oder? Außerdem … Was geht es dich an? Du bist nicht betroffen. Das ist nicht euer Haus. Es ist sogar einige Straßen entfernt. Interessiert es dich wirklich? Wie heißt es doch so schön: Aus den Augen, aus dem Sinn oder nicht?
Geh weiter. Geh einfach und vergiss es.
Die Stimme in meinem Kopf schien gewonnen. Meine kleine Schwester beäugte mich, schien darauf zu warten, wie ich reagierte. Als ich mich wieder in Bewegung setzte, tat sie es auch.
„Wir sollten die Feuerwehr anrufen“, sagte ich, als wir einige Schritte entfernt waren. Es war angenehmer, nicht mehr direkt unter dem Fenster zu stehen.
Das laute Piepsen triggerte mein Innerstes und ich sah Sabine im Gesicht an, dass es bei ihr nicht anders war. Sie nickte, während sie mich anschaute.
„Ich habe aber kein Handy dabei“, gab sie zu bedenken.
Mir fiel ein, dass ich meins vorhin noch schnell in meine Hosentasche gestopft hatte, ehe ich aus der Wohnung gelaufen war. Mit kalten Fingern holte ich es hinaus und hielt es ihr hin. Sie wusste, dass es mir schwerfiel, zu telefonieren, weshalb sie souverän die Nummer des Notrufs wählte. Ich bewunderte ihre Souveränität immer wieder.
Die Situation war schnell erklärt, auf ein Klingeln hin öffnete niemand die Tür und der Mitarbeiter in der Zentrale ließ uns wissen, dass er jemanden schicken würde. Wir sollten warten.
Meine Schwester legte auf und reichte mir das Mobiltelefon zurück.
„Wir sollen warten“, teilte sie mir nochmal mit.

Ich nickte, während die Stimme in meinem Kopf mich fast ohrenbetäubend anschrie, was ich mir dabei bitte gedacht hatte. Meine posttraumatische Belastungsstörung mochte keinen Stress, keine Trigger und auch keine anderen Menschen. Einen Spaziergang zu machen war für mich schon eine unglaubliche Herausforderung und nun sollte ich hier stehen und auf die Feuerwehr warten.
Warten mochte sie im Übrigen auch nicht. Zu viele Gedanken im Kopf, zu viele Optionen was alles Schlimmes passieren konnte, also perfekt um eine Panik herauf zu provozieren.
„Wollen wir einfach noch eine kleine Runde gehen? Nützt ja nichts, wenn wir hier stehen bleiben und warten. Die brauchen bestimmt einen Moment und wir hören und sehen die ja, wenn die in die Straße reinfahren.“
Meine Schwester nickte und ich war froh, nicht warten zu müssen. Stumpfes Herumstehen. Angst bekommen vor Dingen, die nicht mehr existierten oder nie existiert hatten und nervig von meinem Dämon angebrüllt werden.
„Ich wollte doch nur in Frieden spazieren gehen“, witzelte ich etwas steif.
Sabine lachte, doch ich sah, dass sie ebenfalls gestresst war. „Ja, ich auch. Aber wann ist unser Leben schon mal friedlich? Wir sind doch echt scheiße darin Dinge zu ignorieren.“
Da hatte sie leider nicht Unrecht. Wegschauen lag uns nicht. In unseren Leben war das durch andere Menschen viel zu oft passiert, was tiefe Narben bei uns hinterlassen hatte. Das bedeutete jedoch nicht, dass wir genauso sein mussten.
Doch, doch das bedeutet es! Du solltest die Dinge um dich herum einfach mal ignorieren, dann würde es dir auch besser gehen!
Ja, vielleicht. Wahrscheinlich aber eher nicht.
Ich verabscheute Menschen, die wegschauten. Aber Zivilcourage von anderen verlangen, jedoch selbst keine besitzen kam für mich schon als Kind nicht in die Tüte.
Wir kamen die Straße gerade wieder hoch, als wir die ersten Sirenen auf der Hauptstraße hörten.
Viele Sirenen.
Verwirrt blickte ich zu meiner Schwester.
„Die kommen aber nicht alle hierher, oder?“, fragte ich. Meine Stimme wackelte nervös. Ich und viele Menschen, keine gute Mischung.
Überhaupt nicht gut. Du wirst nur in Panik ausbrechen und das hast du dann davon!
Mein Blick glitt an dem Reihenhaus nach oben. Ich entdeckte einen alten Mann mit einer Fluppe in der Hand, wie er aus dem Fenster schaute, uns neugierig beäugte.
Ehe ich mich versah, rief ich nach oben: „Entschuldigung? Wissen Sie, ob in der Wohnung dort drüben links jemand wohnt?“
„In der Midde? Nä, da wohnt niemand mehr, die wohnt jetze hier, ganz unten“, rief er zurück.
Ich deutete auf die Wohnung vor mir. „In dieser hier?“
„Ja, jenau! Wieso? Was iss’n los?“
„In der Wohnung da drüben schreit ein Rauchmelder“, antwortete ich.
Der Alte rümpfte die Nase. „Is bestimmt nur kaputt des Scheißding. Passiert doch dauernd bei den Teilen! Klingeln se mal bei der, die wohnt ja hier, die hat garantiert noch nen Schlüssel, weil die immer noch Kram da in der Wohnung hat!“
Na, der wusste ja Bescheid. Ich machte einige Schritte vor und drückte auf die Klingel, welche zur genannten Wohnung gehören musste. Niemand öffnete.
„Da macht keiner auf! Wir haben die Feuerwehr angerufen!“
Der Alte verschluckte beinahe seine Zigarette. „Was? Ach du Schreck, wieso’n das? Der is bestimmt nur defekt!“, rief er.
Ich zuckte die Schultern.
„Sicher ist sicher“, schaltete sich nun auch Sabine ein.

Kurz darauf hielt bereits ein Feuerwehrwagen in der Straße neben uns. Es folgte ein Polizeiwagen und dann wurden es mehr und mehr.
Ich spürte, wie die altbekannte Panik in mir hoch wallte wie ein Stachel, den niemand zu ziehen vermochte. Mein Dämon machte erneut auf sich aufmerksam. Laut und erbarmungslos.
Noch ist genug Zeit, um das Weite zu suchen! Was, wenn in der Wohnung niemand ist? Was, wenn die jetzt mit so einem Großaufgebot anrücken und da ist nix? Hm? Ganz schön peinlich, oder? Außerdem hast du Angst vor Menschen, schon vergessen? Große Angst. Gemein, gehässig, verurteilend …
Ich wusste, dass mein Dämon noch eine ganze Menge mehr auf Lager hatte. Viel mehr.
Halt die Klappe! Halt bitte endlich mal die Klappe! Ich fauchte ihn zwar nur in meinen Gedanken an, aber für die nächsten Minuten war er still. Zumindest so lange, bis mir ein netter Polizist halb im Gesicht steckte.
Viel. Zu. Nah.
Die Panik wollte ausbrechen. Ich wollte schreien, wegrennen oder laut heulen. Aber mein Körper bewegte sich keinen Millimeter, trotz meines Dämons, welcher mich mürbe machte. Das rationale Denken zimmerte ihm eins drüber und ich machte einen Schritt zurück, während der Polizeibeamte meine Daten aufnahm.
Meine Hände zitterten, kalter Schweiß stand mir im Nacken und wie sooft war ich mir sicher, dass mir jedermann meine Panik im Gesicht ablesen konnte, trotz meines aufgesetzten Lächelns.
Es dauerte gefühlte Stunden, obwohl es nur Sekunden waren, und hinter meiner Stirn hämmerte es. Sabine neben mir sah nicht minder unruhig aus, als ich mich fühlte. So viele Feuerwehrleute, so viele Schaulustige, das machte zusammen gefasst sehr, sehr viele Menschen.
Lauf endlich weg! Die Stimme in meinem Kopf meldete sich lauthals zurück. Die starren dich alle an, weil sie dich für eine Psychopathin halten! Wer ruft denn bitte am Adventssonntag den Notruf an? Hm? Die glauben doch, du bist bekloppt! Wegen eines Fehlalarms ein ganzer Löschzug plus Bevölkerungsschutz und Polizei. Du musst ernsthaft verrückt sein! Verrückt!
Er lachte hämisch in meinem Kopf dieser Mistkerl von Dämon. Am liebsten wollte ich ihn lauthals anschreien, weil es mir allmählich reichte. Doch ich war die wortwörtliche Geduld in Person – für gewöhnlich. Schreien mochte ich nicht, es war irrational und nervig, zudem wurden meist nur andere Menschen verletzt. Ja, mein Dämon mochte kein Mensch sein, laut herumschreien bewältigte dieses Problem allerdings auch nicht.

„Ich habe keine Fragen mehr“, ließ uns der Polizeibeamte wissen und wir suchten rasch das Weite.

„Frau wurde in Wohnung ohnmächtig beim Rauchen. Am 2. Adventssonntag ereignete sich in München Allach-Untermenzing beinahe eine kleine Katastrophe. Die gerufenen Rettungskräfte waren jedoch schnell genug Vorort und konnten Schlimmeres verhindern. Eine Frau war beim Rauchen …“
Weiter brauchte Sabine gar nicht zu lesen.
„Ein Glück nicht weggerannt“, murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Der Dämon randalierte schon wieder in mir, bereit für eine neue Auseinandersetzung.
Ätzend.


Zivilcourage kann Leben retten.
Danke fürs Lesen <3

Dämlack oder unübertreffliche Süße

Ellas Halsschlagadern pulsierten. Hastig biss sie von ihrem Honigbrot ab, stierte dabei unentspannt auf ihr Smartphone und spülte die Kaumasse mit Kaffee herunter. Sie hatte sich auf das Gespräch gedanklich vorbereitet, aber ob sich Frank überhaupt die Mühe machte, ein paar Worte mit ihr zu wechseln?
„Hallo! – Ach du, Ella“, blies er zischend den Qualm der Selbstgedrehten in das Mikro. „Ist das Geld wieder zu spät bei dir aufs Konto gekommen?“
„Guten Morgen, Frank“, zwang sie sich zur Sachlichkeit und befürchtete zugleich, er könnte auflegen, bevor sie mit ihrer wichtigen Information durch war. Seit der Scheidung beschränkte sich ihre Konversation nur auf das Nötigste und falls er keinen Bock oder keine Zeit für ihre Themen hatte, legte er einfach auf.
„Sag an, hier sind Kunden“, setzte er sie unter Druck, schnell zu sprechen, damit er sie von den Hacken hatte.
Sie schüttelte automatisch den Kopf und war zunächst sprachlos, dass er wieder mit dieser Masche rüber kam. Er war wichtig und sie hatte immer betteln müssen, damit er zuhörte und sich in der Familie einbrachte.
„Es geht um unsere Tochter“, sagte sie ruhig. Dabei wischte sie sich die Tränen aus den Augen, denn ihre Amelie würde noch lange an den Folgen des Unfalls zu knusen haben. Möglicherweise würde sie nie wieder richtig laufen können.
„Wirst wohl mit dem Pubertier nicht fertig.“ Mit zischendem Geräusch blies er den Zigarettenqualm aus seiner Lunge. Er lachte doppeldeutig und unterstellte ihr Unfähigkeit in puncto Erziehungsfragen. „Ich habe hier zu tun. Du störst echt. Meine Kunden fackeln da nicht lange. Sie hauen ab.“
Deine Kneipe im Dortmunder Westen zwischen Städtische Kliniken und Polizeirevier läuft also nicht so ausgezeichnet, schade für dich, du Supermann. Musst du Armer die Kunden anwinseln?
Ella rieb sich die Stirn, um sich die hässlichen Gedanken zu verbieten: „Amelie hatte einen Unfall. Sie soll in eine Fachklinik verlegt werden.“
„Meine Tochter“, rief er neugierig.
„Gleich schicke ich dir die Kontaktdaten.“
„Wie?“
Sie hörte, wie er den Qualm wegblies: „Du kannst sie besuchen und aufheitern.“ Sie wollte ihn diesmal dumm sterben lassen und sie ahnte, welche Litanei folgen würde, um sich irgendwie rauszureden, damit er nichts zur Unterstützung beitragen musste.
„Wo ist sie denn?“
„Lass stecken“, unterbrach sie bestimmend. „Kein Mensch würde es für wahrscheinlich halten, dass du deinen Kram ruhen lässt.“
Sie hörte wieder seinen zischenden Ton und vor ihrem geistigen Auge verfolgte sie, wie automatisch er die Asche vom Glimmstängel ab schnippte. Wenn er dann die Glut endlich zerdrückt hatte, faltete er die Hände und gab meistens etwas zum Besten, was er in der Vergangenheit gemeistert hatte und ob andere das auch von sich sagen könnten.
„Wie gesagt, ich rechne nicht damit, dass du dich bei ihr sehen lässt, aber notwendig wäre es schon, um sie aufzubauen. Machs gut!“
Als er wenige Sekunden später zurückrief, drückte sie ihn weg, griff sehnsüchtig zum Honigbrot, um wieder etwas von der unübertrefflichen Süße abzubekommen. Hätte nicht eine Textnachricht gereicht? Hätte ich doch schon viel eher so machen können, statt mich von dem Dämlack dauernd beschimpfen zu lassen.

„Else hat gesacht, is so trocken hier. Un ich soll dem hier reintun. Muss ja nix bei rumkomm’n.“

Blödmann

Es war Samstag und die Sonne schien. Grund genug, dass alle Bänke am Fluss besetzt waren.
„Hey, Erwin, hasse dat geseh’n?“
„Ne, Else, watt denn?“
„Na, dem da, dem Kerl, der da auf‘e Mauer sitzt.“
„Lass ne doch da sitzen. Is doch nich verboten.“
„Dat nich, aber …“
„Aber watt? Ham nich alle nen Platz aufe Bank, wie du.“
„Dat mein ich doch gar nich, Erwin.“
„Watt denn dann?“
„Der hat ne Kippe in nen Fluss geschippt.“
„Nee.“
„Watt nee?“
„Hab ich nich gesehn. Hasse doch gefragt. oder?“
„Abber ich hab’s gesehn.“
„Un nu?“
„Watt, un nu? Nu gehste hin un sachs dem watt.“
„Warum?“
„Weil dat so nicht richtich is.“
„Un watt soll ich dem sagen?“
„Na, dat der n Blödmann is.“
„Mein’se wirklich?“
„Kla mein ich dat. Nu geh schon, Erwin, gleich is se Sonne wech.“
„Na gut.“
Erwin erhob sich widerwillig von der Bank und ging zu dem Mann hinüber.
„Moin.“
Der Mann sah ihn unfreundlich an.
„Watt is Alter?“
„Du has da grad ne Kippe in nen Fluss jeschnippt.“
„Ach, hab ich dat?“
„Ja hasse.“
„Un nu?“
„Nix.“
„Dann hau wiedder ab un lass mich in Ruhe.“
„Na gut.“
„Blödmann.“
„Hmm. Schön’n Tach noch.“
Erwin drehte sich um, ging zur Bank zurück und setzte sich hin.
„Un? Was hasse dem jesacht?“
„Dat er n Blödmann is.“
„Jut, Erwin, dat hasse jut gemacht. Auf dich is Verlass. Wusst ich doch immer.“
„Hmm. Kla.“
„Du, Erwin, meine Kippen sin alle. Hasse ma eine?“
„Kla, hab ich. Hasse Feuer? Hab keins mit."
„Blödmann.“
„Warum denn dat schon widder, Else?“
< >

„Was habt ihr über mich gesagt?“

Vor uns stand ein Mann, den wir bevor er uns angesprochen hatte, noch nicht einmal bemerkt hatten.
„Nichts“, sagte John verwirrt. „Wir haben uns ganz normal unterhalten.“

„Aber ihr habt doch über mich gesprochen?“ Der Mann ging langsam auf uns zu. Oder schwankte eher auf uns zu.

„Nein, haben wir nicht. Was sollen wir denn über dich gesprochen haben? Wir kennen dich nicht. Was könnten wir über dich sagen, selbst wenn wir es wollten?“, entgegnete ich genervt.

„Dann redet ab jetzt gefälligst lauter, sodass man hört, dass ihr nicht über jemanden redet.“

„Was? Nein. Warum sollen wir unsere Privatgespräche so laut führen, damit irgendein Wildfremder hören kann, dass wir nicht über ihn sprechen.“

Man merkte, dass dieser Typ sich mit jemandem schlagen wollte. Nicht einmal mit der Logik eines Betrunkenen kann man das wirklich ernst meinen.
Ich blickte ihm in die Augen, während er auf mich zuschritt wie ein Gorilla, der zeigen will, dass er das Alphamännchen ist. Meine Atmung wurde schneller und ich ballte meine Rechte Hand zur Faust. Ich wollte mich zwar eigentlich nicht prügeln, aber ich hatte auch keine Angst vor diesem Betrunkenen Hooligan, der mich wahrscheinlich nicht einmal mit seinem Schlag treffen würde, wenn ich nur still stehen bleiben würde.

„Komm, ignorieren wir ihn einfach und lass uns gehen“, hörte ich Johns Stimme neben mir.

„Er will es doch nicht anders“, gab ich nur zurück.

„Hey, was ist hier los? Gibt es hier ein Problem?“ An der Kreuzung am Ende der Straße waren gerade zwei Polizisten eingebogen.

Der Hooligan drehte sich mit einem wütenden Blick zu ihnen um und hatte schon begonnen irgendetwas zu brüllen, als er wohl gesehen hatte, dass es zwei Polizisten waren. Er unterbrach sich und lallte laut in ihre Richtung: „Nein, nichts. Alles okay.“

Als er an mir vorbeilief, zischte er mir nur zu: „Da hast du nochmal Glück gehabt.“
Ich sagte nichts und bedachte ihn nur mit einem wütenden Blick.
Doch als er schon mehrere Meter hinter uns verschwunden war, atmete ich doch noch einmal tief durch und war erleichtert, dass doch nicht noch mehr passiert ist.