Nachfolgeplanung
Es war an einem regnerischen Sonntag, kurz vor Ostern. Ich war damals etwas über 30 Jahre alt und besuchte, zusammen mit der Ehegattin, meine Eltern, die zum Mittagessen eingeladen hatten. Nach dem Kaffee, die Damen verschwanden plaudernd in die Küche, bat mich Vater in sein Büro, das gleich neben dem Wohnhaus über der Lastwagenhalle seines Unternehmens lag.
„Nimm Platz!“ Er deutete auf einen der Fauteuils, die vor seinem Pult um ein Salontischchen kauerten und setzte sich mir gegenüber.
„Sicher kannst du dir vorstellen, worüber ich mit dir sprechen möchte.“ Ich nickte. Mein Vater entzündete sich umständlich eine Brissago. „Also, hör zu. Dein älterer Bruder ist ja leider vor einem Jahr tödlich verunglückt. Das hat meine aufgegleiste Nachfolgeplanung aus den Schienen geworfen. Er hätte das Geschäft weiterführen sollen.“ Seine Schultern sanken etwas ein, strafften sich aber wieder. „Es ist jedoch mein grösster Wunsch, dass das Unternehmen in der Familie bleibt. Es täte mir wirklich weh, wenn ich es verkaufen müsste. Ich zähle jetzt auf dich.“ Er beugte den Oberkörper in meine Richtung und legte die Unterarme auf den Tisch, während er mir gerade in die Augen sah.
Seit dem tragischen Tod meines älteren Bruders ahnte ich, dass Vater mich früher oder später als Nachfolger in sein Geschäft bringen wollte. Nur, das Transportgewerbe interessierte mich nicht sonderlich, am wenigsten die Kies- und Betonfuhren. Es passte nicht zu mir. Die rauen Umgangsformen dieser Chauffeure, die leidenschaftlich gerne mit ihren Kipplastern, den Motor dumpf röhren lassend, durch Sandgruben donnerten und auf den Strassen Normalautofahrer aufschreckten, irritierten mich. Ich fühlte mich unter ihnen wie ein Florettfechter, der sich gegen mit Zweihandschwertern bewaffnete Kämpfer zur Wehr setzen muss. Als Chef würde ich einen schweren Stand haben. Die Untergebenen akzeptierten und mochten meinen Vater, weil er noch immer die schweren Brummer fuhr und sich wohl fühlte in klobigen, schweren Schuhen, die ihn an die Erde banden und ihm in struben Zeiten Halt und Sicherheit gaben. Ihm ähnlich war mein älterer Bruder gewesen. Mir hingegen lag das nicht, dieses Grobe, Erdige, das im übertragenen Sinn auch meines Vaters Unternehmen verkörperte. Ich bevorzugte leichtes, elegantes Schuhwerk. In einem internationalen Unternehmen bekleidete ich eine sehr gute Stelle, wo ich nicht so mir nichts dir nichts aussteigen konnte und auch nicht wollte. Aber wie meinen Vater überzeugen, dass er im Interesse und zum Wohle aller sein Geschäft besser verkaufte?
Es gibt Theorien darüber, wie ich einen Konflikt bewältige. Ich muss einen Konsens ausloten der beiden dient, einen Schritt auf den anderen zugehen, von ihm aber auch ein Entgegenkommen verlangen. Nur in diesem Fall funktionierte das nicht. Ein Kompromiss war nicht möglich und eine Konfrontation unvermeidlich. Ich fühlte mich unbehaglich.
„Ich habe darüber nachgedacht. Ich weiss nicht recht, wie ich es dir sagen soll, aber ich bin zum Schluss gekommen, dass ich nicht der Richtige bin. Ich kann dein Geschäft unmöglich übernehmen.“
Mein Vater legte seinen Kopf schräg und kniff ein Auge zusammen. „Das kannst du nicht machen.“ Seine Stimme klang brüchig. „Das Unternehmen muss in der Familie bleiben. Du weisst das. Dein Bruder, der mein Nachfolger hätte werden sollen, kann ja leider nicht mehr.“
„Ja, mein älterer Bruder. Du hast ihn immer bevorzugt. Das hat mir wirklich zu schaffen gemacht. Was ich gerne tat und tue, hat dich nie interessiert. Jetzt wo er nicht mehr da ist, soll ich, als zweite Wahl sozusagen, zum Zug kommen.“
„Sieh das nicht so eng. Es ist doch ganz natürlich, dass der Älteste dem Vater nachfolgt.“
„Ich bezweifle das. Meiner Ansicht nach sollte der Fähigste das Geschäft übernehmen. Ob das nun der Sohn ist oder einer von ausserhalb der Familie spielt keine Rolle. Klar, mein Bruder wäre sicher der ideale Mann gewesen. Er war ja wie du. Nur ich bin anders. Begreif das doch.“
„Ich habe all meine Energie in dieses Unternehmen gesteckt, habe, unter anderem, meinen Kindern eine gute Ausbildung ermöglicht. Du bist jetzt noch der einzige Sohn und als solcher in der Pflicht. Du musst mein Unternehmen in der Familie halten.“
Ich hielt die inneren Handflächen gegeneinander und schwenkte sie gegen meinen Vater. „Bitte bleiben wir doch bei den Tatsachen. Ich bin überhaupt nicht und fühle mich auch nicht verpflichtet deinen Kiestransport, zu übernehmen.“
Jetzt sprang mein Vater auf, zog, hin und her schreitend, einige Male heftig kauend an seiner Brissago und setzte sich wieder.
„So du bist also nicht verpflichtet.“ Er deutete mit der Zigarre auf mich. „Ich sag dir was. Ist das der Dank dafür, dass ich mich aufgeopfert habe für die Familie. Ich habe dir, ja dir, ein besseres Leben ermöglicht. Es war nicht einfach damals, als ich in dieses Geschäft eingestiegen bin. Mit nur einem Kipplaster habe ich vor 30 Jahren begonnen, alleine.“
„Ich bestreite ja gar nicht, dass du dich aufgeopfert hast. Aber du hast es auch geliebt und liebst es immer noch. Nur ich habe kein Flair für Kiestransporte. Das liegt mir nicht.“
„So ist das also. Du bist ein verdammter Egoist.“
„Es geht ja nicht um mich. Es geht um dein Geschäft.“ Ich klopfte mit dem Mittelfinger auf den Tisch. „Du musst einen geeigneten Nachfolger finden, einer der die Firma in deinem Sinne weiterführt. Das schuldest du deinem Unternehmen, das du aufgebaut hast.“
Sich mit den Ellbogen auf den Tisch stützend, vergrub mein Vater das Gesicht in seinen schweren Händen. „Geh mir aus den Augen. Lass mich allein.“
„Ich werde Mutter sagen, dass du im Büro bist.“, sagte ich und verliess das Büro.