Seitenwind Woche 9: Konflikte

Pony Moritz hat einen schlechten Tag

„Attacke!“ brüllte Peter und sein Mercedes gab volle Pulle Gas und raste gehorsam auf Gabis kleines Pony-Glück zu.

„Hör auf, du A…“ kreischte Gabi und wusste nicht so recht, ob sie ihre Pferdchen oder lieber ihre Finger in Sicherheit bringen sollte.

Peter grinste schurkenhaft. Er hatte sein Ziel genau im Blick. Auf den Knien rutschte er schubweise vorwärts. Sein Mercedes beschleunigte erneut. Auf der Zielgeraden graste friedlich Pony Moritz, etwas abseits der Herde. Das sollte ihm nun zum Verhängnis werden.

‚Doofe Gabi…‘

„Tante Petra!“ heulte Gabi „Der Peter…!“

Kraabuuumm, quitsch, kreisch!!! Der Mercedes überschlug sich dramatisch, bevor er Moritz mit voller Wucht traf. Durch den Aufprall flog der kleine Pferdekörper entsetzt wiehernd durch die Luft, bis zum Klettergerüst auf dem die größeren Kinder lachend „Stille Post“ spielten.

„Yeaah“ schrie Peter „Volltreffer“ sprang auf und riss die Arme siegestaumelnd in die Luft. „Yeah!“

„TANTE PETRA!!!“

Gabis Stimme explodierte und die anderen Kinder im Kindergarten und die Nachbarn in ihren Wohnungen nebenan hielten sich entsetzt die Ohren zu.

Oma Müller aus dem dritten Stock verschluckte sich an einem Stück Kuchen und ihr Enkel rief den Notarzt.

„TANTE PEEEETRAAAA!!!“

Gabi war aufgestanden. Die nackten Zehen fest in die Erde gekrallt. Ihre Arme steif an den Körper gepresst. Die kleinen Hände, zu Fäusten geballt, zitterten vor Anstrengung. Ihre weitaufgerissenen Augen fixierten Tante Petra in einem Tunnelblick. Dicke Tränen liefen sturzbachartig über ihre roten Wangen. Kleine Rotzblasen quollen wie die Schallblasen von Kröten aus ihren Nasenlöchern. Raus, rein, raus, rein…

Peter hatte erschrocken aufgehört zu tanzen, die Hände an die Ohren gepresst stand er da und blickte entsetzt zu Gabi, die immer noch wie eine Löwin brüllte und heulte, und dann zu Tante Petra und dann wieder zu Gabi und wieder zu Tante Petra.

‚Was, wenn Tante Petra mit mir schimpft? Vor allen Kindern! Und dann muss ich mich bei der doofen Gabi entschuldigen. Und Tante Petra erzählt das bestimmt auch meinen Eltern…
Blöde Gabi. So ein Baby! War doch nur Spaß.‘ schoß ihm durch den Kopf.

Tante Petra kam mit der genau richtigen Geschwindigkeit auf Gabi zu. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. So wie sie es während ihrer Ausbildung gelernt hatte. Auf dem Weg ließ sie ein paar beruhigende magische Worte fallen und die anderen Kinder fingen wieder an zu atmen. Manche sogar zu spielen.

Vor Gabi blieb sie stehen und ging auf Augenhöhe zu ihr in die Hocke.

„Na, was ist denn hier passiert?“ fragte sie ruhig.

„Der…der… huhu… Peter…huhuhu…hat…hat einfach…“ Gabi zeigte mit dem Zeigefinger abwechselnd auf Peter, auf ihren Ponyhof, den Schauplatz des Verbrechens, und dann auf ihr totes Pony Moritz, das noch immer regungslos beim Klettergrüst lag.

Tante Petra fingerte ein Taschentuch aus ihrer Hose, wischte zuerst Gabis Tränen ab und ließ sie dann hinein schnauben.

„Peter, komm mal her zu uns.“

Gehorsam trabte Peter heran. Vor Gabi und Tante Petra blieb er stehen und senkte schuldbewusst den Kopf.

„Peter, stimmt es, dass du Gabis Pferdchen umgefahren hast?“

„Ja, aber… das war doch bloss ein Spiel. Mein Auto musste da langfahren… Was kann ich denn dafür, dass die blöden Pferde im Weg standen…“

„Keine blöden Pferde, du Dummbatz!“ Keuchte Gabi und fing wieder an zu weinen

„Du bist blöd! Kannst bloß nicht mit Pferden spielen. Nur mit deinen bekackten Autos!“

„Ja und du,“ verteidigte sich Peter „du lässt mich ja nicht mit deinen Pferden spielen. Und außerdem bist du ja noch ein Baby…immer nur heulen… Huhuhu“ äffte Peter Gabi nach. „Will garnicht mit dir spielen“

Tante Petra hatte genug gehört.

„So ihr zwei. Jetzt beruhigt ihr euch erst mal und dann“ sie sah Peter an „entschuldigst du dich bei Gabi und holst ihr Pferdchen zurück.“

Und du Gabi. Du überlegst dir mal, ob du den Peter nicht auch mit deinen Pferdchen spielen lässt. Vielleicht können die Pferdchen ja dann auch mal Auto fahren?“

Gabi dachte nach und hörte auf zu weinen.

Peter sagte „Tschuldigung.“ zu Gabi und ging los, um Moritz zu holen.

Auf der Straße neben der Kita fuhr ein Krankenwagen mit Blaulicht vor und hielt an.

Die anderen Kinder ließen ihr Spielzeug fallen und eilten aufgeregt zum Zaun. Die Großen sprangen ebenfalls vom Klettergrüst. Andreas sprang als Letzter.

Gabi sah gerade Peter nach, wie er zu Moritz ging. Dann sah sie zu Moritz und bemerkte einen Schatten, der über ihm immer größer wurde. Und dann war alles plötzlich so merkwürdig langsam, so wie in Zeitlupe. Und Andreas’ Füße landeten genau auf Moritz.

Tante Petra hielt sich die Ohren zu.

Die zehnte Etage

Der Chef erhob das Glas und blickte in die Runde.
„Den Erfolg des letzten Jahres verdanken wir Henri! Und deshalb zieht er mit seinem Team ab Januar in die zehnte Etage!“
Das Team jubelte ausdauernd, Henri kam sich vor wie im Fußballstadion. Gläser wurden nachgeschenkt. Die neue Azubine murmelte ehrfürchtige „die Zehnte“. Ja, das war ein echter Aufstieg, in der zehnten Etage hatte man Blick über die ganze Stadt. Ein eigenes Büro war sicher, denn dort oben gab es keine Gemeinschaftsbüros. Dort gab es aber schicke Möbel, luxuriöse Grünpflanzen und Espressomaschinen in jedem Büro. Henri war hocherfreut, war sich aber im gleichen Moment sicher, diesen Aufstieg auch verdient zu haben. Mühsam verdient zu haben. Durch jahrelange, bedingungslose Schufterei. Er lächelte leise.
Der Chef nickte ihm zu.
„Es steht ein großes Projekt für das Unternehmen an. Sie werden mir zustimmen Henri: dafür braucht es Unterstützung an allen Ecken und Enden. Und da habe ich direkt an Susann gedacht, die heute neben ihnen sitzt.“
Henri schaute verdutzt nach links, die attraktive Tischnachbarin hatte er noch überhaupt nicht richtig registriert. Was war das für ein Glückstag heute, er sonnte sich in seinem Erfolg und konnte es nicht fassen. Auch noch eine Assistentin. Er würde Arbeit delegieren können, endlich.
Der Chef erhob das Glas:
„Henri, Susan ist ab heute ihre neue Chefin.“

Es war auf einmal totenstill im Raum.
Henri starrte seinen Chef ausdruckslos an. Er bekam eine Chefin vor die Nase gesetzt? Henri war fassungslos. Was für eine Blamage vor der ganzen Truppe! Nach all der Plackerei der letzten Jahre! Was fiel dem Kerl ein? Was für eine öffentliche Degradierung! Was dachte sich dieser bärtige Lackaffe von Chef, von dem er sich viel zu lange hatte schikanieren lassen! Langsam und unaufhaltsam kroch eine nie dagewesene Wut in ihm hoch. Schwungvoll goss er sich ein Glas Rotwein ein und kippe das Glas auf einmal herunter. Als er aufsprang, knallte sein Stuhl lautstark zu Boden. Die junge Frau neben ihm zuckte erschrocken zusammen. Wie hieß die nochmal?, durchzuckte es Henri.
Er starrte wie betäubt in die Runde und sein ausdrucksloser Blick blieb an seinem Chef hängen. Henri holte tief Luft.
„Ich habe auch eine Mitteilung zu machen“, sagte er dann mit gepresster Stimme.
“Heute ist mein bester Tag, denn es ist mein letzter Tag in ihrem Unternehmen. Sie werden schon ab morgen ohne mich auskommen müssen!“
Er griff seinen Schal und zog sein Jackett mit aufreizender Langsamkeit an. Seine „Exchefin“ hatte den Kopf gesenkt, um ihre roten Wangen zu verbergen.
Als er den Raum verließ, herrschte noch immer Totenstille, nur die Azubine pfiff anerkennend, aber leise durch die Zähne.

Wenn Konflikte zu lange unausgesprochen bleiben

„Da drüben ist was frei, sollen wir uns setzen?“, Katta deutet nach links auf eine verlassene Holzbank und eilt schnurstracks darauf zu, ohne die Antwort ihrer Freundin abzuwarten.
„Da, du tust es schon wieder“, fassungslos sieht Laura ihr hinterher.
„Was denn?“, antwortet Katta mit einer Unschuldsmiene und klopft auf den Sitzplatz neben sich.
„Du unterbrichst mich immer mitten im Satz, als würde dich überhaupt nicht interessieren, was ich dir erzähle.“
„Ich hab dir zugehört, du sagtest irgendwas über einen Film, der dich inspiriert hat oder so. Und ich glaube, ähm, …“, Katta schaut Laura gequält an, zupft ihr Oberteil zurecht und zieht dann eine Haarbürste aus ihrer Handtasche, „hilf mir kurz auf die Sprünge!“
„Es war ein Buch, kein Film. Und genau das meine ich, du hörst mir überhaupt nicht mehr zu“, erklärt Laura leise, „niemand tut das.“
„Ach komm, ich hör dir jetzt aufmerksam zu. Da war irgendwas mit einer Blume; mit gelben Blüten, oder?“ Katta steckt ihre Bürste weg und kramt in der Tasche herum. „Jetzt sag schon!“, fordert sie beiläufig.
„Mit blauen Blüten. Aber die meine ich nicht. Interessant ist eine andere Besonderheit der Pflanze, sie…“ Laura verfolgt mit den Augen, wie ihre Freundin endlich das Objekt ihrer Begierde findet und sich in den Mund steckt.
„Möchtest du auch eins?“, unterbricht Katta sie erneut und hält Laura ein Tütchen Bonbons hin.
Resigniert schüttelt Laura ihren Kopf.
„Wer nicht will, der hat schon!“ Schwungvoll schmeißt sie es zurück in ihre Tasche und kundschaftet die nähere Umgebung aus.
„Also, das Besondere an dieser Pflanze ist, dass sie“, wagt Laura einen weiteren Versuch, sich ihrer Freundin mitzuteilen.
„Spinnt der? Sorry“, Katta springt aufgeregt auf, „aber der darf das Kind doch nicht so hinter sich her zerren.“ Gereizt wendet sie sich an den Mann: „Ey, geht’s noch!?“
„Haste‘n Problem?“, brüllt dieser zurück.
„Ja, hab ich. Du hörst doch, dass ihm das weh tut. Lass ihn sofort los!“, offensiv geht sie ein paar Schritte auf die beiden zu, woraufhin der Kleine prompt Schutz hinter den Beinen seines Vaters sucht und verstummt. Der Mann lässt den Ärmel des Jungen los und streckt ihr seine Mittelfinger entgegen.
„Besser so? Bist du jetzt zufrieden?“, blafft er Katta an.
„Ja, danke!“
„Ach, kümmer dich um deinen eigenen Scheiß“, sagt er nun schon deutlich ruhiger, nimmt seinen Sohn an die Hand und lässt Katta stehen.
Triumphierend dreht sie sich wieder zu ihrer Freundin um: „Siehst du, war doch gut, dass ich mich eingemischt habe, der …“, überrascht hält sie inne.

Laura ist weg. Stattdessen liegt ein Zettel auf der Bank: ‚Diese Blume ist etwas Besonderes für mich! Ihr Name ist ‚Blauer Eisenhut‘ und sie wächst sogar bei uns im Garten. Ich hoffe, dass es klappt!‘

Katta kramt ihr Handy aus der Tasche und googelt nach der Pflanze. Wenige Augenblicke später rennt sie wie von der Tarantel gestochen los und murmelt im Takt ihrer Schritte: „Nein, nein, nein, nein, …!“

Gewalt ist auch eine Lösung – oder doch nicht?

Morgennebel hing über den Straßen, die Menschen froren und zogen mürrische Gesichter, wenn Hanny an ihnen vorbeiging. Nicht so eine Gruppe betrunkener Berserker, die trotz der Kälte und der frühen Stunde mit nacktem Oberkörpern lachend um einen Feuerkorb standen, stolz ihre Tätowierungen zur Schau trugen und ihre halbvollen Metkrüge schwenkten. Offenbar dauerte das Stadtfest an.
„Bock auf ne Walpurgisnacht, Hexe?“, rief einer der Männer, mit breiten Schultern und markantem Gesicht, vermutlich der Anführer des Rudels und fasste sich anzüglich in den Schritt.
Hanny hielt inne, trat näher, lächelte den frechen Kerl an, legte, als wolle sie ihn liebkosen, einen Arm um seinen stählernen Oberkörper und rammte dem Großmaul ohne jede Vorwarnung ihre gepanzerte Faust in den Magen. Nicht einmal ein Minotaur hätte diesem Schlag standgehalten.
„Nein“, sagte sie eisig und stapfte weiter durch den Schnee, derweil der Hüne sich am Boden zwischen seinem Erbrochenen krümmte und seine Saufkumpane sich verärgert um ihn scharrten, aber keiner wagte es, einer Hexenritterin hinterherzujagen.
Ein Abstieg in die Kanalisation sorgte bei Hanny stets für schlechte Laune, obendrein hatte der Bote sie im Morgengrauen geweckt. Sie hatte ihn ohne eine Antwort aus dem Fenster geworfen, aber seinen empörten Rufen nach hatte er sich zumindest nicht den Hals gebrochen.
Die Stadtgardisten warteten am Eingang, gerüstet und bewaffnet, alles gestandene Frauen und Männer, die seit Jahren ihre Pflicht erfüllten. Sie bedachten Hanny mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Widerwille. Es schmeckte ihnen nicht, dass sie zu Handlangern einer Fremden degradiert wurden, aber sie waren schlau genug, um zu wissen, wer die echten Wölfe in diesen Landen erlegte. So führten sie die Monsterjägerin ohne ihre Befehle zu hinterfragen, wenn auch mit leisen Flüchen über den Geruch in den Teil der Kanalisation, in der sie den Drachen vermuteten.
Es dauerte nicht lange, den ungebetenen Besucher aufzustöbern. Er ruhte in einem halbgefüllten Rückhaltebecken, das eine verdächtig rote Färbung aufwies, beobachte die Neuankömmlinge und ihre Laternen mit Argwohn. Hannys Begleiter zogen sich auf ihr Zeichen zurück. Die Hexe warf einen Lichtzauber an die Decke, der die Kaverne bis in den letzten Winkel erhellte. Die blauen Drachenschuppen schimmerten wie Saphire, wenn auch von geringerem Wert. Eine tote Stadtwache saß an einer Wand gelehnt, mit dem Unterkörper im Wasser, ein Arm fehlte und Ratten nagten an der offenen Wunde.
„Und wieder mal hat jemand versucht, den Helden zu spielen. Warum muss es erst eine Sauerei geben, bevor man mich zur Hilfe ruft?“, stellte Hanny pikiert fest und warf einen vorwurfsvollen Blick über die Schulter, in den Gang, in dem sich die Stadtwachen verbargen. „War es deshalb so dringend? Ich hasse es wie die Pest, wenn man mir Informationen vorenthält.“ Da niemand antwortete, suchte ihr Blick den des Drachen. „Wie lautet deine Rechtfertigung?“
„Er ließ mir keine Wahl. Ich habe mich nur verteidigt. Sein törichter Mut brachte ihm den Tod“, sprach der Wasserdrache und richtete sich auf wie eine Schlange, die sich zum zu beißen wappnet. Seine Stimme war zugleich dunkel und melodisch. Sein Geweih verlieh ihm die majestätische Aura eines irren Königs, denn seine Zähne waren blutig, der Größe seines Mauls nach hatte er den Arm mit einem Biss abgerissen und geschluckt. „Ich habe keinen Streit mit Euch, Rabenherz.“
„Du bist in dieser Stadt unerwünscht. Du störst das Abwassersystem, eines der Rohre wurde beschädigt und ein Straßenabschnitt überflutet“, erläutere Hanny im sachlichen Ton. „Mal davon abgesehen, dass du eine Wache getötet hast. Daher wurde ich beauftragt, das Problem zu lösen.“
„Es war zu eng. Ich steckte fest und hab die Röhre beim Versuch mich freizukämpfen auseinandergebrochen.“
„Das ist mir einerlei. Dies ist kein geeigneter Ort, um zu überwintern. Es steht mir frei, ob ich dich höflichst zum gehen auffordere oder dich gewaltsam hinauswerfe. Die ritterlichen Tugenden und die Gier des Söldners streiten in mir, aber ich will nicht ungnädig gegenüber einem unschuldigen Wesen sein, daher: Verlasse diesen Ort und ich lasse dir dein Leben. Weigere dich und ich weide dich aus, verkaufe Fleisch und Innereien an einen Metzger, deine Schuppen und Knochen an den Schmied, Blut und Herz an den Alchemisten.“ Hanny zog mit bedeutungsvoller Geste ihr Schwert und strich sanft über die Klinge. „Ehrlich gesagt habe ich nichts dagegen, wenn du dich für diese Option entscheidest. Dich zu töten bringt wesentlich mehr Geld ein.“
Der Drache verzog säuerlich das Gesicht, eine Mimik, die seinesgleichen Hanny gegenüber häufiger zeigte. „Ihr Hexenritter seid so abscheulich wie euer Ruf. Und ebenso unerschrocken, wenn Ihr das Risiko nicht scheut. Gold ist völlig wertlos, wenn Ihr bei dem Versuch mich zu erlegen Euer Leben aushaucht.“
„Du wärst nicht der erste Draconid und gewiss nicht der letzte, mit dem ich das Schlachtenlied singe. Oder wagst du zu behaupten, eine Tochter der Walküren bluffe wie eine Hure, die bei einem Kartenspiel ihre Einnahmen versetzt?“
„Meinetwegen“, grummelte der Drache. „Ich schwimme wieder hinaus in den gefrorenen Fluss. Dort gibt es zumindest weniger Ratten.“
Hanny kniff die Augen zusammen. „Du meinst sicher die tierischen Vertreter, andernfalls überleg ich mir das nochmal mit deinem Kopf.“
„Unhöfliche Manieren habt Ihr, Möchtegern-Drachenschlächterin“, zischte der Blauwurm, wandte sich ab und schlängelte durch den Kanal davon.
Einer der Stadtgardisten betrat die Kaverne. „Er hat nicht Unrecht. Euer Ton…“
„Habe ich dich nach deiner Meinung gefragt, Wachsoldat?“
„Nein, Mylady…“
„Dann halt die Schnauze. Lauf in den Goldenen Hahn, die Mägde sollen mir ein heißes Bad einlassen. Ist ja nicht auszuhalten dieser Gestank.“
„Wie Ihr wünscht. Aber erlaubt mir vorher ein paar Fragen. Warum lasst Ihr ihn ziehen? Nicht nur die Familie meines toten Kameraden, die halbe Stadt wird über Euch fluchen.“
„Würde es ihr Leid lindern, wenn ich ihnen das Haupt des Scheusals vor die Füße werfe, das ihren Geliebten getötet hat? Nein. Es würde nur die primitiven Gelüste jener Menschen befriedigen, denen es nach Rache dürstet, davon gibt es in jeder Stadt genug. Aus solch niederen Motiven begehe ich keinen Mord.“
„Mord nennt Ihr das?“, empörte sich der Gardist und nahm seinen Helm ab. „Es ist Eure Pflicht, Monster wie dieses zu erschlagen.“
„Mein Amt vereint Klägerin, Verteidigerin, Richterin und Henkerin in einer Person. Die Richterin in mir hat abgewogen, welches Anliegen mehr Gewicht hat: Dass des Drachen auf Selbstverteidigung und einen warmen Schlafplatz, dass der Stadt auf eine funktionierende Kanalisation, dass des Toten und seiner Angehörigen auf Vergeltung? Dieser Interessenskonflikt hat ein Leben gekostet, es wäre Verschwendung ein zweites zu nehmen. So lautet mein Urteilsspruch. Wenn dir und deinen Kameraden meine Entscheidung missfällt, lauft dem Lindwurm hinterher, versucht ihn zu töten. Ich werde keinen von euch aufhalten, aber ich werde auch keinem von euch eine helfende Hand reichen, bevor ihr nicht in eurem eigenen Blut und mit zerfetzten Gedärmen im Kanal treibt. Dann werde ich eure Köpfe einsammeln und sie an den Herrn dieser Stadt schicken, mit der Empfehlung seinen Wachen künftig besser einzubläuen, mein Urteil zu respektieren und nicht auf eigene Faust zu handeln. Das ist zwar nicht höflich, hindert andere aber daran eurem Beispiel zu folgen und rettet somit eines Tages Leben.“
Der Gardist starrte sie kreidebleich an. „Also ist es wahr. Die Geschichten, die man sich über Euch und euersgleichen erzählt.“ Wut, Angst und Faszination wechselten sich auf seinem Gesicht ab. Zu Hannys Verwunderung war die Neugier am stärksten. „Habt Ihr wirklich einen Drachen bezwungen?“
Hanny hob die Brauen und schob ihr Schwert in die Scheide. „Wie kommst du darauf, es sei nur einer gewesen?“ Mit dieser Antwort ließ sie ihn stehen und lief, Verlass die Stadt, Rattenfänger, pfeifend, zurück Richtung Gasthaus. Am Ausgang der Kanalisation drehte sie sich noch einmal zu dem Wachmann um, der ihr mit seinen Kameraden schweigend folgte. „Wenn ich vor dir im Goldenen Hahn eintreffe und kein heißes Wasser in der Wanne ist, wirst du am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, mich zu verärgern.“
Der Gescholtene sah betreten zu Boden, seine Ohren färbten sich rot und unter den Blicken seiner Kameraden rannte er los, als wären sämtliche Dämonen der Zwischenreiche hinter ihm her.
Hanny schmunzelte. Es war nicht mal Mittag, aber der Tag hatte sich gewandelt. Wenn sie jemanden auftrieb, der ihr die Schultern massierte, war der grauenhafte Morgen bald vergessen.

Bop ´til you drop

Ich rege mich auf.
Während einer ganz normalen Woche rege ich mich auf, ständig.
Der Kollege, der die Öffentlichkeitsarbeit meiner Firma verantwortet ist inkompetent. Mein Arzt sülzt mich mit inhaltlosem Scheiß voll, weil er mir nicht helfen kann. Die überheblichen Radfahrer glauben, Verkehrsregeln würden nur für Autos gelten. Meine Freundin hat keinen Bock auf Sex. Der Nachbar dreht den bekackten Orientpop bis zum Anschlag auf. Es gibt keine Termine zur Ausweisverlängerung beim Einwohnermeldeamt. Im Supermarkt drängelt sich so ein dämlicher Bodybuilder vor.
Die Welt ist ein Haufen Kacke und jede Woche nervt es. Immer wieder.

Aber ich bin eine friedliche Person. Ich bin respektvoll gegenüber anderen und hasse Gewalt.
In mir kocht es trotzdem. Immerzu.
Die Zähne knirschen, dauernd. Und dann bekomme ich Migräne.
Manchmal bricht es aus mir raus: „Fuck it all! Fuck the world!“

Aber das hilft noch nicht. Mein Kopf platzt, so komme ich mir vor. Die Glieder zittern, weil da keine Entlastung ist.
Ich brauche Entlastung. Öfter schon habe ich mir einen Punchingball gewünscht und Boxhandschuhe. Dem Ball würde ich es mal so richtig geben!
Aber die Decke hält nicht und überhaupt, in welchem Zimmer will man so ein Ding hängen haben?

Aber vor ein paar Jahren habe ich die Lösung entdeckt: PUNK und METAL!
Auf Konzerten dieser Musikrichtungen gibt es immer Pogo, Moshpit, Slamdance oder wie die Begriffe heißen, um mal ordentlich abzugehen!
Kaum legt die Band los, bin ich dabei.
Fäuste geballt, Ellenbogen raus und los geht das!
Da kann man austeilen bis zur Erschöpfung, ohne dass die anderen die Bullen rufen. Die Musik ballert, die Band nehme ich kaum wahr, aber Füße, Arme und Kopf rotieren, schütteln sich, unkontrolliert zuckt alles und das mit ordentlich Kraft. Hier erwischt einen meine Faust, da kickt der Fuß den anderen und nebenbei krachen wir mit unseren Schultern aneinander!
Schweißgetränkt stecke ich die Hiebe an Rippen und Schienenbein ein, keuchend nehme ich wieder Anlauf, wir kollidieren und schnaufen, Haare hängen im Gesicht, Nietenarmbänder schrabben am Kinn entlang und ich trete nochmal richtig nach.
Ist das schön!
Jeden Tag so viele Arschlöcher und diese Typen hier sind vielleicht gar keine, aber sie machen mit und so geben wir alles, blaue Flecken ohne Ende, totale Erschöpfung, aber auch Befreiung und Spaß! Wir wollen das genau so, jaaa, ein ultimatives Druckablassventil!
Die paar Leutchen, die nur tanzen möchten oder zu schmächtig sind, tja, die müssen sich was anderes suchen.

It shouldn´t have to happen to you, for it to matter to you!


„Sag mal, Julia, kann es sein, dass sich an der Speisekarte in fast drei Jahren so gar nichts verändert hat?“

„Ja, voll cool, oder? Als wäre nichts passiert.“

„Ja. Genau. Nur cool finde ich das nicht…“

Julia rollte mit den Augen.

„Ach, Paule! Ist das jetzt wirklich Dein Ernst? Da sitzt man endlich mal wieder gemütlich zusammen und Du fängst an mit Deinem Vegan-Kram…“

„Du weißt genau, dass ich diesen Spitznamen nicht mag. Ich finde auch nicht, dass Paule niedlich klingt. Es klingt in meinen Ohren mitleidig. Als hätte ein kleiner, dummer Junge mal wieder -“

Sie wurde unterbrochen und Julia beendet den Satz und äffte dabei grinsend auch den Tonfall ihrer alten Freundin nach.

„…was falsch gemacht und brauchte nun Hilfe. Ja, ja. Ich weiß. Hast Du oft genug gesagt.“

„Offensichtlich nicht.“ Pauline nahm einen großen Schluck Kaffee, um nicht noch mehr dazu zu sagen.

„Wie meinst Du das denn jetzt?“, hakte Julia nach.

„Offensichtlich habe ich es nicht oft genug gesagt, denn Du nennst mich noch immer so.“

„Ja, aber doch nur weil ich den Spitznamen total schön finde und finde, dass er zu Dir passt.“

„Du hast das aber nicht zu entscheiden!“ Pauline hatte sich gerade aufgesetzt und die Hände geöffnet. Eine Geste der Fassungslosigkeit.

„Entschuldige? Ich kann ja wohl schön finden, was auch immer ich will!“ Julia verschränkte die Arme und fixierte ihr Gegenüber angriffslustig.

„Bitte nicht, Julia. Bitte, bitte nicht. Es ist keine Einschränkung Deiner Grundrechte, wenn ich darauf bestehe, dass Du mir keine blöden Spitznamen gibst. Wirklich nicht. Wir hatten die Diskussion wirklich oft genug. Es ist keine Einschränkung Deiner Redefreiheit, wenn jemand Dir sagt, dass Du etwas nicht sagen sollst, weil die Person es als beleidigend empfindet.“

Julia lächelte triumphierend.

„Offensichtlich nicht.“

Nun musste Pauline verwirrt nachfragen. „Was meinst Du?“

„Nun, Paule, offensichtlich habe ich das noch nicht oft genug gesagt, denn Du schränkst noch immer meine Rechte ein.“ Sie lehnte sich zufrieden zurück.

Pauline schob ihren Becher von sich weg, beugte sich vor und suchte den Blick ihrer alten Freundin.

„Das kannst Du so nicht meinen, Julia. Du weißt, dass es mehr als einen Grund gibt, warum ich diesen Spitznamen nicht mag. Warum es mir weh tut, so genannt zu werden. Was für Erinnerungen damit verknüpft sind…“

Julia seufzte genervt.

„Das ist doch schon ewig her. Nächsten Monat hat Simon wieder Geburtstag. Willst Du deshalb auch dieses Jahr seine Party schwänzen? Du weißt, dass Du es damit allen schwer machst? Wenn Du nicht kommst, dann bringt irgendjemand das Thema auf, wieso Du nicht da bist, und das versaut allen die Stimmung. Das hatten wir jetzt schon mehrfach und das ist echt nicht fair von Dir.“

„Es ist nicht fair von mir?“ Pauline traute ihren Ohren nicht.

„Ja. Es ist nicht fair. Du bist nicht da und stehst trotzdem im Mittelpunkt. Und außerdem weiß ich echt nicht, was daran so schlimm gewesen ist. Ihr wart immerhin zusammen. Und Martin ist und bleibt der beste Fang, den Du je machen wirst. Er verdient sehr gut, sieht toll aus und vor dem Vorfall auf der Feier hast Du mir immer erzählt, wie toll der Sex ist.“

„Ja. War er auch. Und?“

„Nichts und. Ihr beide steht doch auf … die härtere Gangart. Ich verstehe einfach nicht, wieso Du Dich da so anstellst. Er hat sich danach doch entschuldigt, Dir sogar ein Auto gekauft und einen Antrag gemacht. Was willst Du denn noch?“

„Meine Zeit nicht länger hier verschwenden.“ Pauline stand auf und klaubte ihre Sachen zusammen.

„Ha! Wusste ich es doch! Du erträgst es einfach nicht, dass jemand eine andere Meinung hat als Du!“

„Natürlich. Das ist das Problem hier…“ Sie legte einen Zehner unter ihren Kaffeebecher und ging.

„Wenn Du das endlich einsiehst, Paule, dann gibt es noch Hoffnung für unsere Freundschaft! Meld Dich! Ich bin immer für Dich da!“, rief Julia ihr noch hinterher, als die Tür des Cafés schon ins Schloss fiel.

Unvergesslich

„Jetzt freue ich mich so richtig auf den saftigen Regenwurm, den du mir versprochen hast“, rief Igelkott aus. Er und sein bester Freund, die Zwiebel Lökk, befanden sich auf dem Rückweg von einer Achterbahnfahrt auf der Eicheltransportlore der Eichhörnchen. Lökk, der zwischen Igelkotts Igelohren ritt, krallte seine Wurzeln enger um dessen flauschige Ohrmuscheln.
„Ich?“, fragte er. „Ich hab mich wohl verhört.“ Er fühlte, wie die samtige Igelstirn sich unter seinem Wurzelpopo kraus zog.
„Nein. Jetzt verhöre ich mich wohl! Du hast mir einen Regenwurm versprochen, wenn ich mit der Lore fahre!“
„Gar nicht“, entgegnete Lökk mit gerade so verhohlener Wut. „Du irrst. Daran kann ich mich nicht erinnern.“
Igelkott reagierte mit einem schnaubenden Niesen. Lökk brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er es mit einem Laut der Entrüstung zu tun hatte. Die grünen Blätter auf Lökks Haupt peitschten daraufhin wie der Schwanz einer nervösen Katze.
„Und jetzt erwartest du wohl, dass ich dir einen ekelhaften Wurzelzutzler aus dem Untergrund zupfe, wie?“, entfuhr es ihm unwillkürlich.
„Allerdings!“, fauchte Igelkott. Und wer noch nie einen Igel hat fauchen hören, dem sei gesagt, es ist fürchterlich. Lökks Blätter standen senkrecht in den Himmel, während sich in seinem Rücken die Igelstacheln aufstellten. „Ach ja? Und wie denkst du, soll ich das anstellen?“, zischte Lökk zurück. Und wer noch nie einen Hauch Zwiebelatem in die Nase bekommen hat, kann nicht ahnen, wie Igelkott sich jetzt fühlte. Mit tränenden Augen schielte er unter unglaublicher Willensanstrengung nach oben und gab zurück: „Bohr einfach deine Wurzeln in den Boden, so wie du’s bei meinen Ohren machst!“
Bitterböses Schweigen stand zwischen den Freunden, während Lökk sich würdevoll von Igelkotts Stirn plumpsen ließ. Beleidigt rollten und tapsten sie eine Weile nebeneinander her.
„Was mich so trifft“, knüpfte der Igel schließlich mit gerümpfter Nase an, „ist, dass du dich gar nicht für mich freust. Immerhin habe ich mich an dein Versprechen erinnert. Das tut mir noch mehr weh als diese katastrophale Fahrt in der Eichelachterbahn. Immerhin war das deine Idee, und ich habe mich von dir überreden lassen. Du hast gesagt, der heilsame, positive Schock würde mein Gedächtnis aktivieren. Ich habe mich grauenhaft gefühlt dort oben. Kein Igel sollte jemals solche Geschwindigkeit erfahren. Und jetzt, wo mein Gedächtnis aktiv ist“, schloss er mit düsterem Seitenblick, „ist es auch nicht recht.“
Lökk seufzte aus der Tiefe seines runden Leibes und ließ seine Blätter dramatisch hinter sich herschleifen. „Also gut! Zunächst mal: Entschuldigung. Bitte entschuldige, dass ich dir helfen will, dich zu erinnern. Und zweitens: Keine Ahnung, ob ich etwas versprochen habe oder nicht. Als ich gesehen habe, dass Ekorre die Weiche in Richtung Katapult stellt, habe ich mich schrecklich erschrocken. Ich hatte furchtbare Angst um dich! Womöglich habe ich darüber …“, er sah zerknirscht in Igelkotts wartende Miene, „alles andere vergessen.“
Einen Moment lang standen sie im goldenen Herbstlicht. Die Luft fühlte sich dick und reich an und schmeckte nach Steinpilz.
„Schwamm drüber“, schlug Igelkott vor. Lökk grinste und zeigte mit einem steifen Blatt auf den prall unter einem Herbstblatt emporwachsenden Röhrling. „Im wahrsten Sinn des Wortes.“

Man muss den roten Knopf drücken

Rumms! Es fuhr unangenehm durch meinen Körper, so dass ich einen Augenblick lang hin und her geschüttelt wurde, wie die Blätter eines Baumes im Sturm. Es folgte ein kurzes unheilvoll klingendes Knarren, dann stand die Fahrstuhlkabine zwischen dem dreizehnten und vierzehnten Stockwerk. Ich drückte mich noch enger in meine Ecke.

Der Typ mit den sauteuren Schuhen schaute mich fortwährend an. Ich sah es nicht, aber ich konnte es spüren. Meinen Blick hatte ich konsequent gen Boden gerichtet, seit er zugestiegen war. Ich hasste solche Kerle. Der Kleidung nach zu urteilen, legte er keinen Wert auf Understatement. Das hatte ich sofort erkannt.
Diese drei Quadratmeter hätte ich lieber mit einer Giftschlange geteilt als mit dem.

Unsere missliche Lage konnte ich jedoch nicht ewig ignorieren. Also straffte ich meine Schultern, hob den Kopf und sah zu dem wohl 1,90 Meter großen Mann auf, geradewegs in kalte stahlblaue Augen. Ein kurzes Nicken seinerseits interpretierte ich weniger als Begrüßung, sondern eher als ein »Na endlich, Kleine!« Arroganter Mistkerl, dachte ich und fühlte mich in meiner schlechten Meinung bestätigt.

Ein kurzes Räuspern leitete seine Worte ein. »Man muss den roten Knopf drücken.«
Das ärgerte mich. Warum tat er es nicht einfach?
Aber nicht mit mir, du Schnösel! Um Zeit zu gewinnen, richtete ich meine Kleidung. Eine abgerissene Jeans und die kurze Kittelschürze mit dem Schriftzug der Putzfirma, für die ich arbeitete.

»Nur zu!«, ermunterte ich ihn.
»Bitte?« Er schob eine seiner gepflegten Augenbrauen nach oben.
Wusste ich es doch! Einer, der nichts selber erledigte, sondern alles delegierte.
»Ja, dann mache ich das mal.« Er wendete sich dem Paneel mit den Knöpfen zu und betätigte die Notruftaste.

»Machen Sie sich keine Sorgen. Die Fahrstühle in all meinen Objekten sind einwandfrei gewartet und auf dem neuesten Stand der Technik«, ließ er mich wissen.
Ein Immobilienbonze also, schloss ich aus seinen Worten und warf ihm ein knappes »Yep« hin. Das Wort Angeber konnte ich mir gerade noch verkneifen. All meine Objekte äffte ich ihn innerlich nach.

Jetzt starrte der mich schon wieder so an. Um mich der unangenehmen Situation zu entziehen, zog ich einen Putzlappen hervor und polierte einen Fleck vom Spiegel fort.
Hätte ich damals doch nur nicht das Studium geschmissen, um mich ganz und gar der Kunst zu verschreiben. Leider brotlos. Während meiner gesamten Karriere als Malerin hatte ich gerade mal ein einziges Bild verkauft. Deshalb musste ich mich auch mit diversen Putzjobs über Wasser halten.

»Jetzt weiß ich es!«, quatschte der mich erneut an. »Ich weiß jetzt wieder, woher ich Sie kenne.«
Unbeteiligt schaute ich auf meine Fingernägel.
»Vor einer Weile habe ich Ihnen auf dem Künstlermarkt ein Bild abgekauft. Es hängt in meinem Büro und findet allgemein Gefallen.«

Augenblicklich gehörten ihm meine volle Aufmerksamkeit sowie das strahlendste Lächeln, zu dem ich fähig war. Bei genauerem Hinsehen war er eigentlich doch ganz sympathisch mit seinen freundlichen blauen Augen. Ich hatte es gleich gespürt! Das war der Beginn einer wundervollen Freundschaft.

Der innere Konflikt

Ein Mädchen auf einsamer Straße auf der Suche nach dem Tod. Sie konnte und wollte nicht mehr. Hatte mit dem Leben abgeschlossen, das ihr außer Bitterkeit, Trauer und Wut nichts mehr bot. Ihre Eltern hatten sich abgewandt, als die Drogen in ihr Leben traten. Ihr Freund hatte sich abgewandt, als sie kein Geld mehr für seine Drogen aufbringen konnte, und sie selbst hatte sich abgewandt als die Sucht sie zwang, sich selbst zu verkaufen.

„Du suchst nach mir?“ erklang eine kalte, aber doch angenehme Stimme hinter ihr. Sie fuhr herum und sah sich einem attraktiven Mann gegenüber. Wie alt er war konnte sie nicht einschätzen. Er wirkte jung und doch auch uralt.

„Wer bist Du?“ fragte sie beklommen. Außer Ihnen war in diesem dunklen Hinterhof niemand und auch wenn sie eigentlich mit dem Leben abgeschlossen hatte, überwog nun die Angst.

„Der Tod.“ entgegnete er und verbeugte sich galant.

„Sie sucht nicht nach Dir! Sie sucht nach mir!“ Wie aus dem Nichts stand ein weiterer Mann vor ihr. Groß, schlank, blass und irgendwie aus der Zeit gefallen.

„Wer bist du?“ fragte sie auch ihn und er antwortete „Ein Vampir der alten Schule.“ und setzte an ihr einen Handkuss zu geben. Entsetzt zog sie die Hand zurück.

Der Tod entgegnete angespannt „Was willst Du hier?“

„Ihr helfen“ der Vampir wandte sich an das Mädchen „Wähle mich und ich biete Dir das ewige Leben. Die Nacht wird Deine Verbündete.“

„… und dein lebendiges Grab.“ kam es trocken vom Tod.
„Erzähle ihr, was passiert, wenn sie Dich wählt. Erzähle ihr von der Ewigkeit ganz allein, von der Gier nach Leben und damit dem Tod Unschuldiger. Erzähle Ihr, daß sie ihre Seele auf ewig verlieren wird, wenn sie durch Dich den ewigen Tod wählt. Erzähle Ihr, daß es danach keine neue Chance auf Rückkehr mehr gibt.“

„Halt den Rand!“ herrschte der Vampir den Tod an und ging auf ihn los.

„Was willst Du von mir?“ sprach dieser unbeeindruckt „Den Tod töten?“

Er wandte sich wieder an das Mädchen „Wähle mich und Deine Seele wird weiterleben. Sie bekommt eine Chance auf einen Neuanfang.“

„Und was soll ihr das bringen?“ fauchte der Vampir „Sie selbst wird nicht mehr sein, sich nicht mehr an ihr früheres Leben erinnern. Wird für immer weg sein! Mit mir allerdings“ damit wandte er sich wieder mit gierigem Blick dem Mädchen zu „Mit mir wirst du weiterleben, mächtig und frei. Du wirst Dich an Allen die dich enttäuscht haben rächen können und keiner kann Dir mehr weh tun!“

„Deine Probleme wirst Du dadurch aber nicht los. Deine Sucht wird bleiben, da Du auch jetzt nicht den Mut hast sie zu bekämpfen. Aber zusätzlich wirst Du auch noch süchtig nach Leben werden. Und um es zu bekommen wirst Du Andere zerstören müssen.“ versuchte es der Tod erneut.

Das Mädchen rang mit sich.

Wählte sie den Vampir konnte sie weiterleben. Konnte sich an ihrem Freund, der sie hatte fallen lassen, rächen. Konnte den Zuhälter, der sie verkaufte, aus der Welt schaffen und ihr Schicksal anderen Mädchen ersparen. Aber an seine Stelle würde ein Anderer treten.

Und war sie nicht eigentlich selbst an allem Schuld? Sie selbst hatte ihre Schritte gewählt und jede Abzweigung ignoriert. War immer verzweifelter und wütender geworden; auf sich selbst, auf das Leben, auf die verpassten Möglichkeiten, auf die Ungerechtigkeit des Schicksals.

Wen sollte sie wählen?
Wollte sie eine zweite Chance in einem anderen Leben?
Wollte sie eine zweite Chance in einem neuen Leben?
Oder gab es eine dritte Möglichkeit im jetzigen Leben?

Aurora

„Was? Wer wagt es, mich zu wecken?“ Stirnrunzelnd richtete sie sich in den Samtkissen auf.
„Aurora! Du bist tatsächlich wach!“ Der vornehm gekleidete junge Mann strahlte vor Freude.
„Allerdings. Wie hast du das geschafft?“
„Mit dem Kuss wahrer Liebe.“
„Aber ich kenne dich gar nicht.“ Sie wischte sich mit der Hand über die Lippen und ihre Augen verengten sich.
„Das ist auch nicht weiter wichtig. Ich bin dein Traumprinz.“
Es klang sehr überzeugt und Aurora musterte den Eindringling abschätzend. Von den blank geputzten Stiefelspitzen bis hin zur Pfauenfeder an seinem Barett.
„Ach ja? Ich träumte gerade davon, wie ich auf meinem geflügelten Pferd über einen im Mondlicht glitzernden See ritt. Seine Hufe berührten nur gerade so die Wasseroberfläche. Am gegenüberliegenden Ufer wartete ein hübscher Bauer unter einem Weidenbaum. Tausend Glühwürmchen tanzten um ihn herum.“
„Ähm…ja…nun komm Aurora, wir müssen fliehen. Der letzte Prinz, der dich retten wollte, wurde von einem Drachen gefressen. Das Scheusal muss sich hier irgendwo verborgen halten.“
„Er lächelte mir zu und wollte gerade sein Hemd ausziehen.“ Ihre Stimme wurde gefährlich leise. „Aber nun hast du mich geweckt. Und hast nicht mal Frühstück dabei, sehe ich.“
„Au…Au…Aurora…was hast du denn auf einmal so g…g…große Zähne?“
Ein Vogelschwarm flog erschrocken aus der dichten, das Schloss umgebenden Dornenhecke auf, als ein markerschütternder, schriller Schrei die Stille durchbrach.
Mit einem zufriedenen Schmatzen wickelte Aurora sich wieder in die kunstvoll bestickte Seidendecke.

Und die Moral von der Geschicht: Schlafende Frauen weckt man nicht.
Und wenn, dann tu es très charmant, mit Kaffee, O-Saft und Croissant.

Gekränkte Gefühle

Ohne seiner Umgebung Beachtung zu schenken, lief er in Richtung der Treppe. Dabei prallte er fast mit Lena zusammen, die sich vor ihn stellte und fordernd ansah. „Wir wollten reden.“
Lena, seine große Liebe oder sollte er sie besser als seine Exfreundin bezeichnen?
„Ich nicht!“, er versuchte, sich an ihr vorbei zu drängen. Doch sie versperrte ihm den Weg und sah ihn entschlossen an. Es war ihr anzusehen, dass sie ihr Gespräch hier und jetzt haben wollte, eher würde sie ihn nicht vorbeilassen. „Du hast es mir versprochen!“

„Okay, bringen wir es hinter uns.“ Er packte er sie am Arm und zog sie in das nächste Zimmer. Mit ausdruckslosem Gesicht stellte er sich ihr gegenüber. „Machen wir es kurz. Mit uns beiden ist es vorbei.“
„Damit bist du fertig?“, fragte sie fassungslos.
„Ja. Du packst deine Sachen und gibst mir den Wohnungsschlüssel zurück.“
„Bist du verrückt geworden? Seit zwei Tagen will ich dir alles erklären. Aber du hörst mich gar nicht erst an und triffst einfach eine Entscheidung!“, Lena holte tief Luft, am liebsten wäre sie wie eine Furie auf ihn losgegangen.

Lennart stand zornig vor ihr, konnte aber nur schwer verbergen, wie verletzt er war. Er wirkte, als wollte er dieses Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen, um sie endlich aus der Wohnung zu werfen. Ihr Herz verkrampfte sich und sie sah ihn entsetzt an. Es war außerhalb ihrer Vorstellungskraft, dass er sie fallen ließ und nie mehr für sie da sein würde. Aber von seiner liebevollen Wärme war nichts mehr zu spüren.

„Du hast mich belogen, mein Vertrauen ausgenutzt und mich betrogen“, warf er ihr an den Kopf.
„Ich habe dich nie betrogen“, antwortete sie, aber mehr fiel ihr zu ihrer Verteidigung nicht ein.
„Weil er ein Mistkerl ist. Jeder weiß, dass er einer ist. Nur du hast es nicht gemerkt, weil dir seine Rolex gefallen hat.“
„So ein Blödsinn! Ich weiß auch, dass er ein Idiot ist!“
„Aber wenn er ein netter Kerl gewesen wäre, hättest du es getan.“
„Was soll ich mit wenn und hätte anfangen?“, fauchte sie. „Wenn du nicht so unentschlossen wärst, könnten wir schon seit zwei Jahren glücklich zusammen leben. Aber nein, der Herr kann sich ja nicht entscheiden und braucht seine Freiheit! Was hast du erwartet, wenn du mich am langen Arm verhungern lässt?“
„Also bin ich an allem schuld!“, stellte der fest.

„Nein“, sie hatte sich wieder besser unter Kontrolle und atmete tief durch. „Ich wollte ein Gespräch, um mich bei dir zu entschuldigen. Wenn es möglich wäre, würde ich alles ungeschehen machen. Aber das geht nicht. Ich kann dich nur um Verzeihung bitten und darum, mich nicht zu verlassen.“
„Hast du einmal überlegt, wie es mir geht, wenn du mir deine Zuneigung vorspielst und dich heimlich hinter meinem Rücken mit meinem Chef triffst? Wenn ich eine Kündigung kriege, weil ich ihm vor Zorn auf dem Betriebsfest das Getränk ins Gesicht kippe?“, entgegnete er bitter.

Lena schluckte schwer. „Ich habe dir nichts vorgespielt und dich nicht betrogen. Bitte wirf nicht weg, was zwischen uns ist. Ich will dich nicht verlieren. Wenn ich jetzt die Wohnung verlasse, ist alles vorbei.“
„Du hast es nie ernst gemeint“, entgegnete er.
Lena straffte sich. „Wenn du das denkst, ist jedes Wort zu viel.“
Er wandte den Kopf ab und vermied es, ihr in die Augen zu sehen. Ihre Beziehung war vorbei und es machte keinen Sinn, noch länger um seine Liebe zu betteln. Sie hatte verloren.

Sie drehte sich mit gesenktem Kopf zur Tür, um aus dem Zimmer zu gehen.
Wenn ich jetzt die Wohnung verlasse, ist alles vorbei, hämmerte ihr Satz in seinem Kopf. Es lag an ihm, ob ihr gemeinsamer Weg weiterging oder hier zu Ende war. Sie hatte sich nicht gescheut, ihn um Verzeihung zu bitten. Vielleicht hatte sie gar nicht gelogen und es war tatsächlich nichts passiert? Wollte er sie wirklich ziehen lassen?
Wie von selbst schnellte seine Hand vor und packte sie am Arm. „Warte!“
Erstaunt sah sie ihn an, als sein fester Griff sie unerwartet zurückhielt.

„Was ich nicht brauche, ist eine Frau, die immer nimmt, während ich nur gebe. Der ich ständig hinterherlaufe und der ich nicht trauen kann.“
„Das bin ich nicht und das weißt du“, entgegnete sie und sah ihn bei ihrer Antwort nicht an.
„Woher soll ich das wissen?“
„Du spürst es. Was kann ich machen, dass du mir wieder vertraust?“
Er zog sie an seine Brust und drückte ihr Kinn hoch, damit sie ihm in die Augen sah. „Ehrlich sein.“

Bandprobe & Auftritt

Zur Bandprobe kam Anton etwas verspätet mit seiner Bassgitarre in den Raum gestürmt.
„Hey Jungs, wir können in drei Wochen auf dem Heldenfestival spielen!“
Peter, der gerade noch seine Gitarre stimmte, unterbrach dies und fragte mit dem Plektrum zwischen den Lippen: „Und wann?“
„Am 17.08., ist das nicht geil?“
Ron legte seine Schlagzeugsticks auf die Snare und warf einen Blick in seinen Handykalender.
„Ist 'n Donnerstag, dann muss ich mir frei nehmen. Besprech das morgen gleich mit meinem Chef. Sollte aber kein Problem sein.“
„Super. Peter, wie sieht das bei dir aus?“, fragte Anton voller Euphorie, als würde er ein Nein gar nicht erwarten.
„Donnerstag ist schwierig. Das hab ich euch aber schon gefühlt 1000 mal erklärt. Unter der Woche ist es schlecht.“
„Nimm doch einfach Urlaub für den Tag!“, schlug Anton vor.
Ron preschte mit einer Frage dazwischen: „Um welche Uhrzeit spielen wir dort?“
„16 Uhr! 13 Uhr ist Soundcheck.“
Peter stellte genervt seine Gitarre bei Seite und sprach: „Vergesst es. Das wird nix!“
„Hä, warum? Bekommst du keinen Urlaub?“, fragte Anton energisch.
Genervt davon, sich immer wieder aufs Neue erklären zu müssen, sprach Peter:
„Ich arbeite im Schulhort. Jeder Erzieher hat eine Gruppe. Fehlt ein Erzieher, muss jemand seine Gruppe zusätzlich übernehmen. Das ist Mehrarbeit, die man vermeiden kann. Außerdem sind wir eh schon zu wenig Erzieher.“
Ron dachte kurz nach und schlug vor: „Und wenn du einfach den Dienst mit jemanden tauschst? Er macht deinen Nachmittagsdienst und du bist morgens dran?“
„Wie oft soll ich noch erklären, dass der Hortdienst erst um 11 beginnt. Vormittags ist Schulunterricht. Da sind nur Lehrer tätig!“
„Na, dann nimm doch ein paar Überstunden!“, befahl Anton regelrecht.
„Hab ich nicht eben erklärt, dass dann keiner meine Gruppe nehmen kann?“
„Ganz toll!“, begann Ron, „Vielleicht sollten wir uns umbenennen in: Die Band, die nur samstags spielen kann.“
Auch Anton ging es gegen den Strich. Jedes Mal schoss Peter dagegen. „Ja, vielleicht sollten wir uns wirklich umbenennen. Und vielleicht sollte ich jetzt auch nach Hause gehen. Denn wozu proben wir, wenn wir eh nicht auftreten können? Wozu mache ich mir die Arbeit und suche nach guten Auftrittschancen?“
Die Stimmung kochte. Schweigen erfüllte den kleinen Proberaum. Nur das leise Surren des Gitarrenverstärkers war zu vernehmen. „Und wenn ihr den Soundcheck ohne mich macht?“, schlug Peter zaghaft vor.
Antons miese Stimmung fühlte den Hauch der Hoffnung. „Was genau meinst du damit?“, fragte er.
Auch Ron lehnte sich neugierig über sein Schlagzeug. „Naja“, führte Peter fort, „Ich könnte 16 Uhr – vielleicht auch halb 4 – da sein. Ihr müsstet nur den Soundcheck um 1 ohne mich durchführen.“
Ron und Anton lächelten sich zu. „So wird es gemacht! Genial, danke Peter!“, freute sich Anton. „Na dann, lasst uns gleich mal mit der Probe beginnen“, sprach Ron und zückte seine Schlagzeugsticks. „Erster Song: Stummer Schrei!“

Dieser Text steht nicht mehr zur Verfüfung!

Ich habe Hobbys, das kann man von meiner Frau nicht behaupten. Ich frage mich die ganze Zeit, wie man so zu Leben vermag? Ich – nicht!

Wenn sie morgens mit dem Hund Gassi geht, ist das ja normal. Okay. Aber sie ist schon verdammt früh dran. Egal. Ich bleib im Bett liegen und lese. Trinke mein Kaffee und knabbere an Keksen herum. Mag sein, dass sie das, als störend empfindet, aber da stört mich schon was anderes an ihr.

Gibt es einen – nur einen Morgen, an dem sie nicht ins Auto steigt und einkaufen fährt? Ich glaube nicht. Haushaltsplanung ist was anderes! Und warum?

Spätestens am Mittagstisch, übrigens koche ich, hängt sie rum, wie eine Flasche leer, höre ich in meinen Gedanken den legendären Bayern Trainer Giovanni Trapattoni zitieren. Passt. Und warum?

Ich sag es ihr: „Musst du immer so viel trinken?“

Sie guckt mich nur an. Scheel von der Seite, bevor sie das Zimmer verlässt. Ihr Gang wirkt unsicher.

„Was heißt denn hier immer?“, leichtes Lallen erreicht meine Ohren.

„Verdammt“, denke ich, gib`s nicht einen Tag, der anders verläuft. Ich komme mir vor, wie in einer Zeitschleife gefangen.

Ich will ihr nachgehen, aber ich bleibe sitzen. Ihr halbaufgegessenes Gericht starre ich Kopfschütteln an. Ich rufe ihr hinterher: „Was denkst du, wie peinlich du bist, vor all unseren Bekannten?“

Nun folge ich ihr doch, und finde sie im Schlafzimmer, wie sie auf der Bettkante sitzt und die Wand anstarrt.

„Und?“, frage ich traurig, „willst du damit nicht mal aufhören? Was quält dich so im Leben, dass du Trost auf dem Boden einer Flasche suchst?“

„Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?“, sagt sie und schaut mich Nichtmals an.

Der Hund kommt herein und leckt über ihre verschränkten Hände.

„Das was du tust, lässt mich nicht in Ruhe“, schimpf ich, obwohl ich es nicht so wollte.

„Du spinnst doch“, sagt sie und löst ihre Hände voneinander und streichelt das Tier übers struppige Fell. Genauso struppig wie sie sich gibt.

„Mit dir kann man gar nichts mehr anfangen“, sag ich Böse.

„Und du? Du mit deinen Bücher, den Filmen und Serien?“, gibt sie voller Hass in der Stimme zurück. „Und dein ewiges Geklimper auf dem Klavier und der blöden Gitarre!“

„Ich kann doch nichts dafür, dass du keine Interessen hast“, kontere ich zurück und setze noch einen obenauf: „Außer Trinken und dann Pennen.“

„Du bist so langweilig“, schreit sie mich an, das der Hund den Schwanz zwischen den Hinterläufen einklemmt und sie aus dem Zimmer verzieht. „Da kann man ja nur die Augen zu machen und Schlafen.“

„Weißt du, wie langweilig du bist?“, gebe ich ihr zu hören, und verlasse das Zimmer.

Nach einer Weile komm ich aus meinem Arbeitszimmer hinunter und schau nach ihr. Sie liegt angezogen auf dem Bett und schnarcht mit offenem Mund. Wie friedlich sie aussieht. Es ist wirklich jammerschade, sie war so ein lebenslustiges Mädchen, als ich sie kennen lernte. Wo und wann war sie zerbrochen?

Ich schließ die Tür, gehe durch den Flur, schnappe mir die Hundeleine und gehe mit dem Hund Gassi.

„Heut Abend wird alles wieder in Ordnung sein“, denke ich, „wenn sie ihren Rausch ausgeschlafen hat.“

Ich bin zum ersten Mal auf einem Weinfest – und es ist absolut großartig! So etwas gibt es in Texas nicht.
„Schau mal, dort drüben ist noch was frei.“ Lisa deutet zu einer Biergarnitur auf dem Stadtplatz.
„Setz´ dich schon mal. Ich hole was zu trinken.“ Ich küsse sie und stelle mich am Getränkestand an. Die Schlange ist lang. Das wird dauern.
Plötzlich schubst mich jemand mit voller Wucht aus der Reihe. „Verdammt, was soll das“, schnauze ich den Typ an.
„Ich bin jetz´dran“, nuschelt er.
„Sie sind betrunken, gehen Sie lieber nachhause.“ Ohne ihn weiter zu beachten, stelle ich mich wieder in die Reihe.
„Du has´ mir gar nix su sagen.“ Er wankt auf mich zu, wobei etwas Wein aus seinem Glas schwappt.
Ich fange Lisas erschrockenen Blick auf, die sich einen Weg aus der Menge bahnt und auf uns zueilt.
„Du solltest lieber gehen, Georg, du bist betrunken.“
„Un´ du, Lisa, bis´ su auch betrunken? Oder has´ du die Ich-Vögel-Einen-Ami-Woche.“
Bevor Lisa etwas erwidern kann, packe ich den Kerl am Hemd.
„Ja, los, schlag mich, du Arschloch.“
„Wie du willst, Penner.“ Ich hole zu einem Schlag aus, von dem er sich nicht so schnell erholen würde, doch Lisa fällt mir in dem Arm.
„Ihr spinnt wohl!“ Lisa fasst nach meiner Hand. Widerstrebend löse ich die Faust.
„Verpiss dich.“ Ich stoße den Kerl von mir, der taumelnd mit dem Gleichgewicht ringt.
Gefühlt alle Menschen auf dem Platz sehen zu uns her.
„Komm jetzt.“ Lisa zieht mich weg.
„Ami, go home“, brüllt der Typ uns nach.
„Verdammt, wer ist das?“ Ich schaue mich um.
„Das ist mein Ex.“ Lisa verzieht das Gesicht. „Er hat wohl rausgekriegt, dass ich mit dir zusammen bin.“

Das besondere Hobby

Mal wieder hatten sie sich über ihn lustig gemacht. Wie hatte es auch anders sein sollen?
„Wie geht es dir?“ Sie kam hinter ihm hergelaufen.
„Passt schon.“
„Wie passt schon?“
Er hatte keine Lust auf diese Unterhaltung und ging weiter. „Ich muss mich um meinem Opa kümmern gehen. Heute ist Einkaufstag.“
„Hey, jetzt lauf doch nicht weg.“
„Warum? Hast du noch was zu meiner Musik, Hobby oder Kleidung zu sagen?“
„Nein. Ich wollte nur mit dir reden. Hübsche Brille übrigens.“
„Ja ja, mach dich nur über mich lustig.“
„Das war mein Ernst. Ich würde mich nie über dich lustig machen.“
„Oh, achso. Dann danke.“ Er stoppte und guckte zu Boden.
„Ist dir sowas unangenehm?“ Sie stellte sich ihm gegenüber und sah ihn an.
„Ich höre nicht oft positive Dinge über mich. Außer von meinem Opa, aber das zählt nicht.“
„Ich denke schon, dass das zählt. Mach dich nicht kleiner als du bist.“
Er sah sie nun endlich an, verzog bei der Floskel aber das Gesicht.
„Warum sollten Menschen Witze über dein Hobby machen?“
„Weil sie es nicht verstehen und sonderbar finden.“ Er sah wieder weg und irgendeinen Baum an, der am Rand des Weges stand.
„Ich mag besondere Hobbys.“
„Besonders.“ Er lachte trocken. „Ja, so kann man es auch nennen. Ich spiele Pen and Paper mit einer Gruppe Norweger.“
„Im Internet?“
„Nein, ich fliege immer mit meinem Privatjet.“
„Kein Grund gleich unfreundlich zu werden.“
„Es war nun mal eine dumme Frage.“ Als nichts mehr von ihr kam, drehte er sich um, steckte seine Hände in die Taschen und ging.

Licht und Dunkel

Licht und Dunkel

,Ich versteh das nicht!„, stammelt Ingo. Er schüttelt den Kopf und ist so weiß wie die Stoffbahn auf der Warenschaumaschine. ,Rohweiß’ heißt das bei uns in der Weberei. ,Warum hast du das getan?“
Ich zucke mit den Schultern. ,Keine Ahnung.„, sage ich, ,Nur so!“ Dann schalte ich auf Durchzug und spule zurück auf heute Morgen.
Ich weiß noch, wie ich zum dritten Mal meine Zwiebel schüttele, weil ich befürchte, sie hätte ihren Geist ausgehaucht. Aber auch der Wecker an der Wand steht auf 9.18 Uhr. Steht und steht und steht!
Noch zwölf Minuten bis zur Pause. Meine Schultern brennen, die Füße sind schwer wie bei einem Mafia-Opfer und in meinen Ohren rattert es. Immer. Auch wenn ich nachts an der Matratze horche, dröhnen mir die Webmaschinen noch durchs Hirn. Wummtatta, wummtatta, wumm…
Noch elf Minuten! Dabei ist es hier in der Warenschau leiser als im großen Websaal, aus dem ich mit dem Trecker die Stoffballen heran- schleppen muss. Und man kriegt wenigstens Luft, nicht wie in der Kleberverarbeitung, wo beißende Chemie-Pampe durch die Tröge schleimt. Es ist ja nicht so, dass die hier Klamotten weben oder Vor-hänge. Nee, die machen Fließbänder, Heißluftballonhüllen, Trampo-line, Airbag-Klappengewebe, und was weiß ich für technisches Zeugs, das mit Paste verklebt wird. Wenn ich aus der Kleberabteilung Stoff-rollen holen muss, halte ich so lange es geht die Luft an.
Zehn Minuten noch! Und nix kriege ich geschafft, immer muss ich spurten, wenn sie schreien: ,Alexander, ich bin fertig!" Als ob sie auf dem Kump hocken und ich ihnen die Scheiße abwischen soll! Siehste, wusste ich’s doch! Schon wieder brüllt das Erdmännchen. So nenne ich ihn, weil er immer guckt, was andere tun, anstatt auf seine Schau-maschine.
Neun Minuten noch bis zum Glimmstängel. Na, das wird knapp mit dem Wechsel. Und die Bitch, der Fußnagelverkoster und das Erd-männchen tun so, als ob sie was zu besprechen haben. Wichtigfurzer! Mitanpacken ist für die wie Kinderficken! Absolutes No-Go! Und keiner trägt Schnotten-Pampers. Aber wenn ich komme, dann schnallen sie sofort die Maske vor die Fresse. Als ob ich die Pest hätte. Oder stinke. Ist doch normal, dass man schwitzt, wenn man ackern muss wie so’n Wildschwein! Die hocken den lieben langen Tag nur an ihren Schaumaschinen, gucken Webfehler an und polieren sich die Kronjuwelen!
Uff, nur noch fünf Minuten! Als ich das Gewebe laden will, knallt mir die Alustange auf den Betonboden, dass mir die Ohren klingeln.
,Gesundheit!„, jodelt die Bitch. Hä? Wieso Gesundheit? Kapier ich nicht! Die anderen grinsen.
Drei Minuten noch! Ja, klar, die streben in ihre Kuchenbude und ich bin mich hier am Abquälen, weil der Bremsmotor nicht richtig in die Nut vom Abwickler passt. Verrrfffickt und zzzugewichst! Ich kloppe mit dem Hammer dagegen.
Der Fußnagelverkoster schaut mich im Vorbeigehen an als wäre ich ein plattgewalztes Insekt, das er von der Ware kratzen muss und murmelt etwas von rohen Kräften und sinnlosen Gewalten. So ein Schwachsinn!
Das Erdmännchen grinst: ,Na, Alex, kriegst du ihn nicht rein?“
Die Bitch gackert.
Ha! Irgendwann zeige ich dir mal, wo ich ihn überall reinkriege…
Jetzt erst mal Bütterken mampfen und ein bisschen mit dem Handy döddeln. Auf dem Weg nach draußen begegnet mir Dingo-Ingo, der von seiner Cheflaberrunde kommt und sofort dämonstruktiv auf seine Rolex glotzt oder was auch immer da für ein Protzstück an seinem Handgelenk blitzt.
,Hallo?„, hätte ich sagen können. ,Die anderen aus der Abteilung stecken sich inzwischen schon den zweiten Krebsköder ins Gesicht!“ Aber wozu wertvolle Zeit verplempern? Wortlos verziehe ich mich auf meine Bank in die Sonne.
Och nö, schon sind die 30 Pausenminuten verballert. Seufzend schleppe ich mich in die Abteilung zurück. Doch was ist das? Alle Maschinen sind dunkel. Wann haben sie die abgestellt? Schon vor der Halbzeit? Durch die Murkserei mit der Bremse habe ich überhaupt nix mitgekriegt! Was ist hier los? Verwirrt schaue ich mich um. Ist eine Betriebsversammlung angesetzt, von der ich nichts weiß? Oder habe ich einen Hörtest-Termin beim Betriebsarzt verdrängt? Stromausfall? Nur an den Maschinen, geht das überhaupt? Die Neonfunzeln an der
Decke leuchten ja… Oder ist Warnstreik? Die sind doch wohl nicht nach Hause gegangen, ohne mir was zu sagen?
Ach nein, da kommen sie angeschlendert! Grinsen blöde!
,Stromsparen, Alex.„, erklärt der Fußnagelverkoster. ,Die neueste Idee von Dingo-Ingo! In der Pause müssen jetzt die Maschinen ausge-schaltet werden.“
Die Bitch kichert. ,Hat dir keiner was gesagt, Alex?" Sie guckt, wie immer wenn sie mit mir redet, knapp an mir vorbei. Dann dreht sie den Schalter an Maschine 3 um. ,Na, jetzt geht dir aber ein Licht auf, was?"
Das Telefon im Glasbunker klingelt und erspart mir die Antwort. Einer der Pastenfrösche, der ein Fass aus dem Lager heran rollt, schreit ,Telefoooon!„, als ob man das überhören könnte! Seit sie unseren Apparat mit der Werksirene gekoppelt haben, juijuijuht sie wie eine Alarmanlage. Was mich auf eine Idee bringt…
Ich verdrücke mich nach hinten, in die Nähe der Rampe. Nicht da, wo der Kübel mit dem Wasser steht, weil es durchs Dach tröpfelt. Sondern zu den kaputten Holzpaletten, den Pastenfässern und Pack-papierballen. Ich atme tief ein und ziehe den Rotz durch die Nase hoch. Ein dicker, zäher Klumpen Schleim, ähnlich wie die Paste aus der Kleberabteilung, sammelt sich in meinem Mund. Ich schlucke. Zu-rück bleibt ein bitteres Brennen. Als hätte ein Warg Besitz von meinen Körper ergriffen, wühle ich in den Taschen der Arbeitshose nach meinem Feuerzeug, knipse es an. Zong!!!
,Jetzt wird euch mal ein Licht aufgehen!“ , denke ich, während die Flammen an den Paletten lecken. Boah, wie das fuckelt!
Ich reiße mich los und sprinte zurück zu meinem Trecker in die Warenschau. Da schrillt es juiiijuiiijuuuh!
,Telefooon!", brülle ich.

Die lieben Kleinen

Alarmiert von unerwartetem Geschrei, offenbarte sich der Kindergärtnerin Tina ein offener Kampf um ein Feuerwehrauto zwischen Chris und Freddy - dieser zog gerade den Kürzeren. Noch bevor sie einschreiten konnte, schnappte sich Freddy einen Bauklotz und warf ihn Chris an den Kopf. "Sofort aufhören“, schrill ertönte Tinas Stimme, doch es half nichts. Gerade als Tina die beiden Streithähne erreicht hatte, stürzte sich Chris auf Freddy und biss ihn in die Backe, was noch mehr Geschrei zur Folge hatte.

Vom Lärm aufgeschreckt stand die Leiterin des Kindergartens in der Tür und sah eine sichtlich überforderte Tina, wie sie zwei plärrenden Steppkes auseinanderhielt. „Was ist hier los Tina?“. Diese Frage war eigentlich überflüssig, denn die Bisswunde auf Freddys Backe war unübersehbar - und sie blutete. „Nein, nicht schon wieder“ - es war bereits das dritte mal in diesem Monat. Die Leiterin war ausser sich: „Tina, ich habe dir ausdrücklich gesagt, du sollst Chris besser im Auge behalten. Und jetzt müssen wir uns schon wieder rechtfertigen. Wir reden später unter vier Augen darüber, das bleibt nicht ohne Folgen für Sie. Jetzt rufe ich erstmal den Notarzt an, und dann die Mütter von Freddy und Chris.

Moni, die Kollegin von Tina, war dieser mittlerweile zu Hilfe geeilt und hielt einen Mullverband an die Bisswunde. Chris hatte sich schmollend in eine Ecke verzogen und entzog sich jeder Ansprache. Kurz nach dem Notarzt traf auch Freddys Mutter ein, die sich kaum beruhigen liess. „Es sieht schlimmer aus, als es ist“, sagte er - „es ist nichts Dramatisches. Gehen Sie aber sicherheitshalber noch mal zu Ihrem Hausarzt“, und verabschiedete sich.

„Nichts Dramatisches? Das hätte sehr übel ausgehen können“, die Augen von Freddys Mutter blitzten vor Zorn. „Was ist das hier für ein Kindergarten? Wie verstehen Sie denn eigentlich ihre Aufsichtspflicht? Ich muss ja befürchten, dass ich mein Kind irgendwann nicht mehr erkenne, wenn ich es abhole.“ Während die Leiterin des Kindergartens krampfhaft versuchte, zu beschwichtigen und sich zu entschuldigen, stand, fast unbemerkt, die Mutter von Chris im Raum. „Guten Tag, was ist passiert?“, fragte sie kleinlaut. Schlagartig waren alle Blicke auf sie gerichtet. „Chris hat wieder zugebissen“, meinte die Kindergartenleiterin, die damit erleichtert die Schuldfrage abwälzte. „Ach, Sie sind die Mutter von diesem Monster - gut, dass ich Sie auch mal kennenlerne“, meinte die Mutter von Freddy in einer ausnehmend sarkastischen Tonlage. Die sogenannte Monstermutter brach sofort in Tränen aus. „Was soll ich denn machen", schluchzte sie. Ich hab doch schon genug mit meinem Mann zu tun, der wird jeden Tag aggressiver. Und jetzt auch noch der Kleine. Ich kann nicht mehr“. Worauf sie sich umdrehte und einfach davonlief.

Bäng, Bäng!(lösch die Zeile, wenn du keinen hast)

Hast du das gehört?

Nein, was? Ja, spinnst du? Tu den Revolver weg!

Da ist jemand am Fenster. Ein Einbrecher. Ich wusste es. Ich wusste, dass er heute Nacht kommt!

Wieso wusstest du das. Habt ihr euch verabredet?

Quatsch. Rede keinen Blödsinn, natürlich nicht – wie kommst du darauf. Ich habe es nur den ganzen Tag schon gespürt.

Spüren ist Weibersache, Wissen ist Männersache – eine deiner geliebten Stammtischweisheiten. Weißt du, dass da ein Einbrecher ist? Nein, das weißt du nicht. Da ist keiner. Du willst nur schießen. Schießplatz reicht nicht mehr. Ist nicht aufregend genug. Pack die Waffe weg!

Still! Beweg dich nicht. So… ganz vorsichtig … den Klick beim Entsichern hat man kaum gehört, nicht wahr? … er ist noch da! … siehst du seinen Schatten?

Ich seh nur den hängenden Makramee Blumentopf, du Idiot. Seitdem du dir den Revolver angeschafft hast, wünschst du dir nichts sehnlicher als einen Einbrecher. Das ist doch krank, so was. Allerdings, vielleicht sollte ich mich nicht beschweren, seitdem du das Ding unterm Kopfkissen hast, schießt deine eigene Pistole viel öfter. Ich kann mich kaum bewegen.

Du Aas… ihr Frauen könnt Männer so was von runtermachen! Hätte ich gewusst, dass du dich in solch ein fieses Weibsbild verwandeln würdest, hätte ich dich nie geheiratet. Trotzdem, ist dir in deinem Spatzenhirn nicht vielleicht die klitzekleine Tatsache aufgegangen, dass ich dich beschützen will?

Mich beschützen. Warum?

Warum wohl. Weil ich dich liebe.

Ich lach mich kaputt! Wir haben zwei scharfe Hunde, vergitterte Fenster, vergitterte Türen, Alarmanlagen ̶ und du meinst, du müsstest mich nun auch noch mit einer Waffe beschützen. Wenn du mich lieben würdest, wärest du mit mir in Urlaub gefahren und hättest nicht $ 9083.65 für diesen Revolver ausgegeben. Nein, du willst nur schießen. Totschießen am besten. Also gut, ich werde das Fenster öffnen, damit wir wenigstens nicht auch noch die Ausgabe für eine kaputte Scheibe haben und dann schieß den Blumentopf tot.

Danke, Liebling, ich sehe ihn gut, den Blumenkopf.

Bäng. Bäng.

Beitrag:

Gelöscht

Mein Handy piepste. Der Ton signalisierte mir, dass eine E-Mail eingegangen war.

„Oh Mann“, dachte ich, „nicht jetzt.“

Ich hatte es eilig. Wegen eines Termins. Es passierte mir nicht das erste Mal, dass ich viel zu spät dran war. Wie so oft hatte ich geschrieben und die Zeit völlig aus dem Blick verloren. Zum Glück hatte mich das Handy erinnert. Aber fünfzehn Minuten Vorlauf waren einfach zu wenig. Mein Navi zeigte an, dass ich zwölf Minuten zu spät kommen würde. Drei Minuten musste ich noch hinzu rechnen, für den Weg vom Parkplatz bis in die Praxis.

Ich suchte nach einer passenden Ausrede.

„Stau? Ne. Zu banal.“

„Unfall? Auch nicht. Mit sowas kommen doch alle.“

„Bauchkrämpfe? Ich musste noch zur Toilette.“

Das Letzte war noch das Beste, was mir einfiel, aber sowas seiner Ärztin aufzutischen, die gleich einen Generalcheck machen würde, wäre wohl nicht sehr klug gewesen.

Mir fiel nicht wirklich etwas ein, das mich überzeugt hätte.

„Mist. Jetzt auch das noch. Was ist denn heute nur los?“

Kurz bevor ich die mobile Ampel vor der Baustelle erreichte, war sie auf Rot gesprungen.

Das konnte dauern. Erst neulich hatte ich hier fast zehn Minuten gestanden, weil die mit einem LKW rangierten, der Teer brachte.

Mein Handy piepste schon wieder. Noch eine E-Mail.

Was sollte ich nur dumm vor der Ampel rumstehen und mir ein Loch ins Hirn warten? Ich zog mein Handy aus der Jackentasche und öffnete den Mail-Client. Der erste Eintrag war nur Spam, aber der zweite sprang mir gleich ins Auge. Ich war schockiert.

„Papyrus Autor: Gemeldeter Beitrag von Team entfernt.“

Nach dem Öffnen der Mail las ich, dass es sich um eine automatische Mitteilung aus der Community handelte. Man teilte mir mit, das MEIN BEITRAG entfernt wurde.

„Dieser Beitrag wurde von der Community gemeldet und ein Team-Mitglied hat entschieden, ihn zu entfernen“, stand im Text.

Mein Blutdruck stieg an und mein Puls legt zu. Keine guten Voraussetzungen, für einen anstehenden Gesundheitscheck.

„Hammer. Was fällt denen ein? Sind die bekloppt? Wie können die einfach meinen Beitrag rauskicken?“

Ich war entrüstet. Mit vielem hätte ich gerechnet, aber nicht damit. Nur wegen ein paar schlüpfrigen Bemerkungen in meinem Text. Was war das für eine provinzielle Chose, auf die ich mich da eingelassen habe?

„Das werde ich so nicht stehen lassen, Freunde, da könnt ihr ganz sicher sein.“

Ein alter Spruch viel mir wieder ein, an den ich lange nicht gedacht hatte.
„Wäre Goethe stets auf Pfaden der Tugend gewandelt, hätte sein Genie den Weg ins Licht nie gefunden.“

Nun ja, meine Fähigkeiten mit denen von Goethe in Beziehung zu setzen, wäre vielleicht ein wenig vermessen gewesen, aber was war mit der Meinungsfreiheit? Und was mit meiner Freiheit, mich künstlerisch ausdrücken zu dürfen, wie ich es für angemessen erachte? War es erlaubt, mich auf diese Weise in die Schranken zu weisen?

„Die hätten ja wenigstens den Grund angeben können, weshalb sie mich so abstrafen. Aber nichts, kein Wort dazu. Einfach gelöscht und das wars.“

Ich fühlte mich diskriminiert. Meine Gedanken rotierten und in mir machte sich so etwas wie Zorn breit. Was würde ich als Nächstes tun? Sollte ich vielleicht alle meine anderen Beiträge selbst löschen? Vielleich hatten sie die nur aus lauter Gnade stehen lassen?

Ich war mir nicht sicher.

Aber würde sie so ein Verhalten von mir überhaupt schmerzen? Oder wären sie am Ende sogar froh, dass sie sich mit mir nicht mehr rumplagen müssen?

Die Ampel sprang auf Grün. Ich wollte losfahren, würgte aber erstmal den Motor ab und musste ihn neu starten. Hinter mir wurde gehupt.

„Was auch sonst?“, brüllte ich in die abgeschlossene Hemisphäre des Inneren meines Wagens, „ihr blöden Säcke wisst doch gar nicht, was hier los ist.“

Als ich an der Baustelle vorbei war, fiel mir wieder ein, dass ich auf dem Weg zu meiner Ärztin war.

„Beruhig dich, Junge, beruhig dich“, sprach ich mir selbst Mäßigung zu.

Ich holte ein paarmal Luft, sog sie tief ein und zwang meine Gedanken weg von dieser peinlichen Niederlage. In der Praxis angekommen, war ich wieder ganz ich selbst.

„Sorry, tut mir leid wegen der Verspätung. Ich weiß auch nicht, was da mit meinem Kalender wieder los war.“

Zwei Stunden später war ich wieder zuhause. Mein erster Weg führte mich an den PC. Von der erlittenen Schmach hatte ich mich die ganze Zeit über nicht wirklich lösen können. Deshalb war es jetzt an der Reihe, zum Gegenschlag auszuholen.

Ich öffnete das E-Mail-Programm. Wie nicht anders zu erwarten, fand ich dort dieselbe Mail vor, wie sie mir zuvor schon mein Handy an den Kopf geschleudert hatte. Neue Erkenntnisse? Fehlanzeige. Also habe ich den Browser geöffnet und mich im Seitenwind, so hieß die Schreibrunde, angemeldet.
Eine neue Meldung wurde mir signalisiert. Ich öffnete sie sofort und las sie.

„Gemeldeter Beitrag von Team entfernt.“

Das war nichts Neues, aber es ging ja noch weiter.

„Hallo“, stand da, „dies ist eine automatische Nachricht von Papyrus Autor Community, um dich darüber zu informieren, dass dein Beitrag entfernt wurde. Dein Beitrag wurde den Moderatoren gemeldet: Die Community denkt, dass etwas an deinem Beitrag das Eingreifen eines Team-Mitglieds erfordert.“

Mein Puls hatte schon wieder kräftig zugelegt.

Las ich das richtig? Mein Beitrag wurde den Moderatoren gemeldet! Warum? Und vor allen Dingen, wer hatte ihn gemeldet. Wahrscheinlich so ein feiger Anonymus, der sich nicht traute, aus seiner Burka zu schlüpfen, mutmaßte ich.

Aber die Meldung ging ja noch weiter.

„Dieser Beitrag wurde von der Community gemeldet und ein Team-Mitglied hat entschieden, ihn zu entfernen.“

Ich schüttelte meinen Kopf.

„Jetzt fangen die auch noch an, sich zu wiederholen“, kam mir als Anflug von Besserwisserei in den Sinn, „Ich dachte, die wüssten so genau, was man schreiben darf und was nicht. Den letzten Satz hätten sie sich auch schenken können.“

Dann war da noch so ein Feld mit grauem Hintergrund. Da stand noch was drin.

„BEITRAG VOM VERFASSER GELÖSCHT.“

Hoppla, was war das denn?

Ich versuchte, den Sinn hinter den zuletzt gelesenen Worten zu verstehen. Es gelang mir nicht gleich. Offensichtlich befand ich mich in einem Zeitlupenmodus. Ich las es nochmal.

„BEITRAG VOM VERFASSER GELÖSCHT.“

Mit dem Gefühl, dass mein Blutdruck in den Keller sackte, schwante mir, was das zu bedeuten hatte. Eine lange vermisste Fähigkeit meldete sich zum Dienst zurück. Die Erinnerung.

Wenn eine Erinnerung dazu führt, dass man sich ertappt fühlt, muss man zuvor wohl auf Abwegen gewesen sein. Und das war. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Der VERFASSER, das war ich.

Am Tag zuvor hatte ich einen Beitrag gelöscht, mit dem ich nicht zufrieden war und ihn durch einen anderen ersetzt. Dabei war mir aufgefallen, dass mein alter Beitrag zwar weg war, aber der Rumpf noch existierte. Man konnte also sehen, dass es dort mal einen Beitrag gegeben hatte. Weil die Bedienung auf der Webseite auch an anderen Stellen etwas holprig war, maß ich dem keine Bedeutung bei. Ich schloss den Browser und stürzte mich zurück in mein Projekt, an dem ich gerade werkelte. Wie das bei mir so war, tauchte ich gleich wieder tief in eine anderen Welt ein.

Deshalb kam ich am nächsten Tag auch zu spät zu meiner Ärztin.

Die Erkenntnis, dass ich mich über nichts aufgeregt hatte, ärgerte mich. Ich hatte andere in die Ecke es Unlauteren gestellte und mich, entgegen meinem Naturell, auf einen Pakt mit der Rache eingelassen. Zumindest gedanklich. Aber auch das war schon schlimm genug.

Ich fühlte mich schlechter, als die miesesten Gestalten in meinem neuen Roman, an deren Charakteren ich noch zu basteln hatte. Ich nahm mir vor, auch mit meinem eigenen Charakter ins Gericht zu gehen. Ich vermisste bei mir die Besonnenheit, das ausgeglichene Wesen, die Ruhe, dem stärksten Sturm zu trotzen, und nicht zuletzt die Fairness im Denken gegenüber anderen.

Unterstellungen sind keine guten Ratgeber. Ohne sie wäre man selbst meist besser dran. Womit mir ein weiteres Zitat aus früheren Jahren in den Sinn kam.

„Niemand gewinnt an Größe, indem er andere klein redet.“

Mit der Folge, dass ich mein Haupt erneut schütteln musste.

„Klugscheißer“, dachte ich, „du weist es besser und driftest dann doch ab.“

Ich nahm mir vor, mich jetzt wirklich zu bessern.

Dann dachte ich noch darüber nach, was das wieder für ein Zufall war. Das Thema in dieser Schreibrunde hieß „Konflikte“. Wie hätte ich ahnen sollen, dass es bei mir auf einen derart fruchtbaren Boden treffen und diesen Konflikt hervorrufen würde?

Ergänzung:

Um selbst nicht im falschen Licht zu erscheinen, bin ich es mir schuldig, dem Beitrag eine Ergänzung zu gönnen. Der beschriebene Vorgang ist eine Mischung aus Wahrheit und Fiktion. Ich bin tatsächlich über die Mail wegen der Entfernung eines, von mir selbst gelöschten Beitrags gestolpert. Gestolpert deswegen, weil ich den Grund dafür erst mit einer Minute Verspätung geschnallt habe. Die Handlung drum rum sprang mir dann von irgendwo her ins Hirn. Auch, wenn es nicht so war, es hätte zumindest so sein können.

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