Mein 2. BEITRAG zum Thema Konflikte:
Rosa Lackschuhe beim Bäcker
Ostersamstag, morgens neun Uhr fünfzehn, mitten in einem langen Wochenende. Die Schlange vor der Theke der Bäckerei reicht hinaus, bis auf den Gehweg. Aktuelle Wartezeit bis zur Abfertigung, etwa fünfzehn Minuten. Da lagen die Nerven schon mal blank. Insbesondere, wenn jemand die Wartenden ignorierte, dreist an der Schlange vorbeiging und sich vorne, neben die Person, die gerade bedient wurde, an die Theke stellte. Wurde die Person auf ihr Fehlverhalten angesprochen und tat dann noch so, als sei sie im Recht, wirkt das wie Doping für den angestauten Groll der Wartenden.
Vor allen Dingen, wenn man Erna Müller hieß und es gerade bis ganz nach vorne, an die erste Warteposition geschafft hatte.
„Hallo. Was soll das, Gnädigste? Hintenanstellen. So, wie anständige Menschen das tun.“
Die so gesprochene Dame vor ihr wirkte überrascht.
„Aber, ent…“
Erna ließ sie nicht ausreden und fiel ihr ins Wort.
„Bla, bla. Kennen wir schon alles. Los, ab nach hinten.“
Im Stänkern war Erna an diesem Morgen geübt. Herbert, ihr Ehemann, hatte sie zuhause schon um acht angemacht, weil nichts mehr im Kühlschrank war und auch kein Brot mehr in der Trommel. Da hatte sie ihm erstmal richtig die Meinung sagen müssen. Schließlich war gestern ein Feiertag, wie hätte sie da einkaufen gehen sollen? Seit Erna und Herbert Rentner waren, das war seit knapp acht Jahren der Fall, gingen sie immer freitags einkaufen. Da hätte er auch mal dran denken können, bevor er sie anmault.
„Bitte, gnäd…“
Wieder fiel Erna ihr ins Wort.
„Haben Sie was mit den Ohren? Das Ende der Schlange ist dahinten. Auf der Straße.“
Erna deutete mit der Hand nach draußen und verlieh ihren Worten mit einem giftigen Blick Nachdruck. Sie war aber noch zu wenig ihres nagenden Ärgers losgeworden. Also setzte sie noch einen oben drauf.
„Oder glauben Sie etwa, nur weil Sie sich so schicke rosa Lackschühchen leisten können, wären Sie etwas Besseres?“
„Liebe Frau…“
Die gut angezogene Frau an der Theke kam einfach nicht zu Wort. Immer wenn sie es versuchte, war Erna mit einer schnellen Attacke zur Stelle.
„Jetzt reicht es mir aber langsam. Sie kommen hier reinstolziert, markieren eine dicke Lady und wollen uns weismachen, das sei alles richtig. Nichts ist richtig. Gehen Sie endlich nach draußen und stellen sich hinten an.“
Die Frau mit den rosa Lackschuhen senkte den Blick. Für einen Moment sah es so aus, als sei sie betroffen und wüsste nicht weiter. Das meinte auch Erna erkannt zu haben und setzte gleich einen weiteren Hieb.
„Na los. Zack, zack. Ab nach hinten, sonst stehen wir Weihnachten noch hier.“
Wegen des Disputs war die Abfertigung der Kundin, die gerade bedient wurde, ins Stocken geraten. Die Verkäuferin hinter der Theke beobachtete das Geschehen mit offenem Mund. Sie war sprachlos, weil sie sonst wohl etwas zu dem Zwist gesagt hätte. Sie sah aber nicht zu Erna rüber, sondern zu der gut gekleideten Dame vor der Theke. Fast sah es so aus, als sei ihr das Verhalten von Erna peinlich.
Währenddessen legte die bislang noch nicht wirklich zu Wort gekommene Dame ihre Höflichkeit für einen Moment beiseite, hob den Kopf und holte zum Gegenschlag aus. Diesmal ließ sie sich nicht mehr von Erna unterbrechen.
„Jetzt machen Sie mal halblang, ja. Ich weiß ja nicht, was Ihnen Schlimmes widerfahren ist, aber es ist noch lange kein Grund, hier so zu pöbeln. Nicht ich halte hier den Verkehr auf, sondern Sie mit ihren unverschämten Anschuldigungen. Ich bin die letzte, die sich hier vordrängelt. Im Gegenteil.“
Erna hatte mit solch einer resoluten Reaktion nicht gerechnet. Eben sah sie sich noch klar im Vorteil, wurde jetzt aber in eine Rolle gezwängt, die ihr nicht behagte. Sie suchte nach Worten, doch ihr Hirn schien ihr diesbezüglich gerade nicht folgen zu wollen. Somit war sie gezwungen weiter zuzuhören.
„Schauen Sie mal da oben auf das Schild, liebe Frau. Können Sie den Namen lesen, der dort steht?“
Erna blicke zu dem Schriftzug hoch, den die Dame meinte. Er befand sich über den Brotregalen und zog sich über die gesamte Breite der Wand. Gelbe Schrift auf rotem Untergrund. ‚Landbäckerei Ludwig Lehmberg‘ war dort zu lesen, gefolgt von einem Logo, das drei ineinander verschachtelte L symbolisierte.
„Und? Was wollen Sie mir damit sagen?“, drückte Erna kleinlaut die Frage zwischen ihren Lippen hindurch.
„Ich will Ihnen damit sagen, dass ich nicht der Ludwig Lehmberg bin, der da auf dem Schild erwähnt wird. Der trägt nämlich keine rosa Lackschuhe, aber er mag es, wenn ich sie trage. Ich bin seine Frau und gleichzeitig Geschäftsführerin unserer Bäckereien. Ich bin da, um unserer Angestellten mitzuteilen, dass es noch eine halbe Stunde dauern wird, bis die Kollegin da sein wird, die ihr bei dem Andrang hier helfen soll.“
Erna fühlte sich ertappt und plötzlich sehr unwohl in ihrer Haut. Hinter sich vernahm sie ein Raunen aus den Reihen der Wartenden. Sie senkte den Blick auf den Boden und bekam deshalb nicht mit, wie die Dame in ihren rosa Lackschuhen hinter die Theke ging. Bis sie von ihr von dort erneut angesprochen wurde. Jedoch nicht mehr ernst und gerade heraus, sondern nett und freundlich, wie es sich für eine Bäckereifachverkäuferin gehört.
„Der Nächste bitte. Gnädige Frau, was darf ich Ihnen Gutes tun?“
Erna musste schlucken, bevor sie in der Lage war zu antworten.
„Vier, ähm, vier Normale und ein Kastenbrot.“
„Das Brot geschnitten?“
„Ja, bitte.“
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