Seitenwind Woche 6: Großstadttiere

Legion

Ich bin immer da, kann überall hin, bin gut versteckt und doch bekomme ich alles mit. Ich laufe durch die Luftschächte der U-Bahn Tunnel, den Abwasserkanälen und Stromleitungskanälen.
Du findest mich, wenn du wirklich nach mir suchst. Aber ihr Zweibeiner zieht es vor, uns zu ignorieren. Wenn ihr wüsstet, wie viele wir wirklich sind, könntet ihr nachts nicht mehr schlafen.
Ihr könnt uns nicht leiden, so manch einer von euch erschrickt, wenn er einen der unseren sieht. Und dann erschallt ein lautes: „Iiiih, eine Ratte.“

Über den Dächern

Seit Stunden schon, huscht vor ihr ein winzig, kleiner Schemen über den Dächern auf und ab. Flink springt er über nasse Zinnen, an schmutzigen Luken vorbei und jetzt gerade- gegen den Uhrzeigersinn, scharf um einen Kamin rund herum. Ihr wachsamer Blick ist zu gefährlichen Schlitzen verengt, wenn auch ihr langsam schwindlig wird. Ihr Opfer turnt und tanzt sich in wildem Ballett immer weiter der ersehnten Freiheit entgegen. Auf leisen Pfoten folgt sie selbstbewusst und ohne Scheu. Ihr weicher Gang ist anmutig und der Körper so geschmeidig, dass Menschen noch lange von ihr erzählen werden, das ist gewiss. Blasiert hat das edle Wesen kaum einen Blick nach unten übrig. Schwerfällge Busse, kreischende Tauben, die grob an Imbissresten picken und-oh, nasse Hunde an hoffentlich soliden Leinen. Gut, dass sie hier oben ist. Ihr rechtmäßiger Platz ist eindeutig über ihnen. Unerwartet setzt das Tier zum Sprung an. Die Landung mitten in den ausgedienten Versandkarton ist natürlich perfekt gelungen. Innen wartet schon ganz aufgeregt die kleine Spitzmaus. Sie hat keine Angst vor der Katze. Ihr Gaumen ist durch das tägliche Gourmetfutter einfach zu verwöhnt. So vergeht ein weiterer Nachmittag, an dem die beiden friedlich in der Sonne schlummern.

Die Sorgen einer Großstadtkatze
Keiner will mich haben. Ich bin schon richtig neidisch auf meine Mitkatzen. Die werden gehätschelt und getätschelt. Bekommen täglich ihre Streicheleinheiten. Um ihr Fressen müssen sie sich nichts kümmern. Dafür sorgen Herrchen und Frauchen. Die meisten von denen können vor Fett kaum noch Laufen, geschweige jagen. Stundenlang hängen die am Fenster rum. Unsereins schlägt sich durchs Leben. Wann ich frühmorgens das erste Mal etwas zwischen die Beißer bekomme, entscheidet der Zufall. Mal ist es eine freche Maus, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist und mir direkt vor die Nase läuft. Manchmal ist auf meinem täglichen Streifzug bereits hinter der Kaufhalle etwas Brauchbares zu finden.
Also los. Hier muss ich über die Straße. Bloß aufpassen. Diese selbstfahrende Blechlawine lässt mir kaum Gelegenheit. Jetzt endlich eine Lücke. Mit drei, vier Sätzen sollte es geschafft sein. Mensch, das war knapp. Hast du mich eben richtig aufs Korn genommen und Gas gegeben? Die Kaufhalle ist Fehlanzeige. Noch ist nichts Essbares aufzuspüren. Dann halt weiter. Was ist denn mit dem los. Kaum, dass er mich gesehen hat, dreht er entsetzt um. Ach, das ist doch einer von den Spinnern, die schwarzen Katzen aus dem Weg gehen. Dabei will ich doch nichts von denen.
Von da vorn zieht mir so ein Geruch entgegen. Eine Tasche steht auf dem Weg. Daraus kommt der Duft. Das muss etwas Fleischiges sein. Aber Vorsicht, zwei Frauen stehen davor. Die unterhalten sich. Das könnte trotzdem gefährlich für mich werden. Schleichend an der Hauswand entlang könnte es gelingen, die Beute zu erhaschen. Jetzt ran und das obere Päckchen mit der Schnauze herausfischen.
„Halt du Mistvieh, meine Rollladen!“
Bloß weg hier und durch den Zaun. Das wäre geschafft. Na bitte, wie wahr ist doch das Sprichwort: Gelegenheit macht Diebe und mir einen vollen Bauch.

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Die nächtlichen Abenteuer des Kater Karlo

Ich bin Karlo, ein Kater mit glänzendem, schwarzen Fell und leuchtend grünen Augen, ein wahrer Schatten in den nächtlichen Gassen der Metropole. Die Stadt, mein Spielplatz, ein Labyrinth aus Beton und Lichtern, birgt Geheimnisse, die nur einer wie ich zu schätzen weiß.

Meine Geschichte beginnt in einer lauen Sommernacht. Die Straßen sind von der Hitze des Tages noch warm, und die Gerüche von Essensresten und Abenteuern liegen in der Luft. Mein Ziel: Die legendäre Delikatesse „Gourmet-Mülltonne“ am Ende der 5th Avenue, ein Schmaus für jeden Vierbeiner in der Stadt. Doch der Weg dorthin ist gefährlich und erfordert mehr als nur einen guten Geruchssinn.

Ich schleiche mich an einem schlafenden Wachhund vorbei, der unter dem Schild „Vorsicht, bissig!“ tief in Träumen versunken ist. Ein leises Schnurren entfährt mir. Zu einfach! Doch als ich um die Ecke biege, sehe ich mein erstes richtiges Hindernis: die Tauben-Gang unter der Führung des einäugigen Pietro. Sie patrouillieren ihr Gebiet mit einer Ernsthaftigkeit, die man sonst nur bei Steuerprüfern sieht.

Mit einem geschmeidigen Satz lande ich auf einem Vordach und beobachte sie. Ihr Gurren klingt fast wie ein Lachen. „Heute nicht, meine gefiederten Freunde“, flüstere ich und springe auf ein nahes Fenstersims. Von hier aus kann ich die Tauben umgehen und meinen Weg fortsetzen.

Plötzlich höre ich ein leises Klirren. Ein Mensch in einer dunklen Gasse, kauernd bei einem aufgebrochenen Fenster. Ein Dieb! Ich überlege kurz, mische mich aber nicht ein. Das ist eine Geschichte für andere Nachtwesen.

Endlich erreiche ich mein Ziel. Die Mülltonne ist genau so prall gefüllt, wie ich es erhofft hatte. Ein Festmahl! Doch bevor ich zum Angriff übergehen kann, höre ich ein leises, fast unhörbares Kichern. Der Waschbär Rico, ein alter Rivale und Meister des heimlichen Anschleichens, hat es ebenfalls auf den Müll abgesehen.

Wir starren uns einen Moment lang an, dann beginnt das große Spiel. Ein Wettstreit des Geschicks und der Gerissenheit. Wir tanzen um die Mülltonne, jeder versucht, den anderen auszutricksen. Aber ich kenne Ricos Tricks. Mit einem gezielten Sprung lande ich direkt am Ziel und schnappe mir den besten Happen.

Triumphierend ziehe ich mit meiner Beute in eine ruhige Ecke. Die Stadt schläft nie, aber für einen Moment genieße ich die Stille und den Geschmack des Sieges.

Und während ich dort liege, mit vollen Bauch und einem Lächeln im Gesicht, weiß ich, dass die Stadt noch viele Abenteuer für mich bereithält. Denn ich bin Karlo, der Kater aus den Schatten, und dies war nur eine Nacht von vielen im Herzen der Metropole.

Blöd! Richtig blöd!
Wie bin ich bloß in diese Lage gekommen?
Hab ich nicht genug aufgepasst?
Wäre ich doch bloß an der Küste geblieben!
Aber nein, ich wollte ja die große Stadt sehen!

Ich liege hier auf dem Küchentisch von Olaf. Eingerollt in Angelschnüre und Plastik. Mein schöner Schnabel ist geknickt.

Tina hat mich gefunden und aus dem Wasser gezogen. Jetzt heult sie. Ob ihr etwas weh tut? Vielleicht sollte sich Olaf um sie kümmern.

Olaf sieht mich lange an. Tippt auf eine kleine Maschine. Die scheint ihm zu antworten. Dann er weiß wohl, was zu tun ist.

„So, Kleine Emma, es macht jetzt etwas Lärm, aber dort wo dein Schnabel gebrochen ist, da hast du keine Nerven.“

„Du willst doch wohl keine Löcher in den Schnabel bohren?“ Kreischt Tina „Mach doch lieber die ganzen Schnüre ab!“

„Sie darf sich nicht bewegen. Erst der Schnabel, dann die Schnüre. Hol mir bitte den dünnen Draht und die Schere aus der Schublade.“

Es rattert in meinem Kopf. Olaf arbeitet konzentriert. Er biegt den Draht, fädelt ihn durch die Löcher. Schmiert eine stinkende Paste darüber.

Zufrieden betrachtet er sein Werk. „Emma, damit bist du einzigartig. Der Kleber ist auch schon fest.“

Jetzt zerschneidet er die Schnüre und stellt mich auf meine Füße. Ich bewege meine Flügel. Hurra! Nichts tut weh.

Olaf macht das Küchenfenster weit auf. Tina schnäuzt in ihr Taschentuch.

Ich fliege hinaus und denke: So schlimm ist die Großstadt doch gar nicht.

Überleben

Es ist dunkel. Vorsicht ist geboten. Ich sehe mich um, bevor ich die Straße überquere. Diese Metallmonster mit den glühenden Augen machen mir Angst, aber ich habe keine Zeit. Das Fressen wird knapper. Heute konnte ich einige Mäuse und Insekten erbeuten, aber das reicht nicht. Ich muss weiter. Eigentlich darf ich das Gebiet nicht betreten. Wenn sie mich entdecken, werden sie mich jagen. Das darf nicht passieren. Ich hebe die Nase dem Wind entgegen. Ab jetzt wird es gefährlich. Der Mond scheint hell und beleuchtet meinen Weg. Durch die Gassen schleichend, verlasse ich mich auf meinen Geruchssinn, bis ich den großen Behälter erreiche. Plötzlich öffnet sich eine große Tür und ich verstecke mich hinter einigen Kartons. Der Mensch steht einfach da und macht ein kleines Feuer um sich einen stinkenden Glimmstängel anzuzünden. Es juckt mir in der Nase. Ein schnaufen entweicht mir. Plötzlich brüllt der Mensch und stampft, während er wild mit den Armen rudert. Seine Augen durchbohren mich. Ich habe Angst und laufe davon, jedoch nur so weit, dass er mich nicht mehr sieht. Nach wenigen Minuten verschwindet er wieder und ich klettere an einer Regenrinne hinauf. Ich weiß nie ob ich es auch aus den großen Behältern wieder herausschaffe, aber ich habe keine Wahl und lasse mich fallen. Als erstes fresse ich so viel ich kann. Dann klaube ich das was die Menschen verschmähen zusammen und werfe es über den Rand. Das Glück ist auf meiner Seite. Ich schaffe es hinaus. Hoffentlich haben mir die Ratten nichts davon gestohlen. Die Biester können richtig groß werden und ihre Bisse schmerzen. Ich sammele meine Schätze zusammen und sprinte zurück zum Versteck. Ich drücke mich durch ein enges Loch. Meine Kinder warten schon. Sie hören mich und wuseln aufgeregt um mich herum, weil auch sie den Duft meiner Beute in der Nase haben. Meine Milch reicht ihnen nicht mehr, aber zum Jagen ist es noch zu früh. Über uns höre ich die Schritte der Menschen. Was ich mitgebracht habe, reicht nicht. Ich weiß, dass ich noch einmal raus muss, denn ich habe keine Wahl. Bald wird es leichter, dann können meine Kinder mit auf Beutezug. Vielleicht überstehen wir den Winter, bis die Menschen uns bemerken. Sie mögen uns nicht und verjagen uns, hetzen ihre Hunde auf uns oder verteilen stinkende Köder und Fallen, im uns fernzuhalten. Sie wollen uns nicht. Wenn ich könnte würde ich meine Kinder in einem holen Baumstumpf sicher wissen, doch hier gibt es keine richtigen Wälder mehr. Sie wurden verdrängt von den Menschen mit Ihren Häusern aus tristem grauem Stein. Ich schärfe meinen Kleinen noch einmal eindringlich ein, sich ruhig zu verhalten, während ich unterwegs bin. Dann zwänge ich meinen Körper mit dem dichten grauschwarzen Fell durch den Eingang. Die Nacht ist noch nicht vorüber. Ich gebe nicht auf.

Perry

Es war ein Morgen des Schicksals, der mich aus meinem sicheren Heim in die Weite des städtischen Dschungels trieb. In einer Stadt, umgeben von Glas und Stahl, begann mein neues Leben. Anfangs ängstlich, bald fasziniert von der Fremdheit der Geräusche und dem beständigen Wirbel um mich herum.

Die ersten Tage waren hart. Ich fand Essen an ungewöhnlichen Orten, sichere Ruheplätze in versteckten grünen Flecken. Die Stadt, ein Labyrinth aus Licht, Schatten, wurde mein Revier.

Ich beobachtete die anderen Stadttiere: Tauben, elegant zwischen Menschen, Kenner der U-Bahn, Katzen, die in dunklen Gassen verschwanden, Waschbären, gerissen in Mülltonnen, listige Eichhörnchen. Sie beherrschten ihre Welt, ich aber war anders.

Meine Stimme war meine Stärke. Ich ahmte Menschenworte nach, anfangs ein Spiel, bald mehr. Meine Worte bewirkten etwas. Sie brachten Menschen zum Lachen, zum Nachdenken, boten Ablenkung.

Ein Tag am Markt, zwei ältere Damen sprachen über Verwandte, die sie vermissten. Ich rief spontan: „Besuche sie!“ Ihr Lachen war Musik. Meine Worte waren Brücken, verbanden mich mit den Menschen.

Tage voll kleiner Streiche, Beobachtungen. Ich liebte es, menschliche Eigenarten aufzugreifen, Worte im falschen Moment zu wiederholen. „Zu spät!“ rief ich einem gehetzten Geschäftsmann nach.

Der Geruch von frischem Brot zog mich an. In einer Bäckerei ließ ein Mädchen Brot fallen. „Hoppla!“ rief ich, als es den Boden berührte. Überraschung und Lachen folgten.

Im Park, Kinder spielten mit einem Ball, Hunde tollten. „Hole ihn!“ rief ich einem Hund zu. Verwirrung, Lachen, ein Echo meiner Worte im Park.
Jeder Tag eine neue Geschichte, ein Abenteuer. Ich hatte meinen Platz und meine Bestimmung gefunden, ich, Perry, der Papagei.

das Netz

Früher war ich Einzelgängerin. Stolz auf meine kunstvollen, eng gewebten und bemerkenswert stabilen Netze, um die mich andere Spinnen oft beneideten. Doch die Menschen mögen uns nicht, mochten uns noch nie sonderlich. Besonders die weiblichen. Dabei sind wir einander gar nicht so unähnlich. Wollen wir doch nur ausreichend Nahrung für unsere Liebsten, ab und zu mal einen besonders köstlichen Happen und uns dann und wann – wenn Sonne und Tau perfekt zusammenspielen – an der glitzernden Schönheit unseres Zuhauses erfreuen.

Die Welt hat sich verändert. Ist immer sauberer geworden. Wir mussten uns zusammentun, unsere Netze verstärken, unsere Nahrung besser einteilen. Überall Besenwagen, Putzroboter und Spritzkanister mit Giften, die uns das Atmen schwer und unsere Beute ungenießbar machen.

Mit meinen haarigen Beinen husche ich zu der Stelle in unserer Falle, in die heute früh ein Zementbrocken geflogen war. Ich hatte gerade mit meiner Flickarbeit begonnen, als ich eine Erschütterung bemerke. Sofort ist unsere gesamte Truppe zur Stelle. Das Netz bebt und schaukelt gefährlich. Es ist zum Zerreißen gespannt, denn unser Opfer zappelt erbärmlich. In Windeseile produzieren wir Faden und wickeln unser Päckchen ein. Eine kleine Ratte – welch´ Volltreffer! Davon würden wir bis Weihnachten leben können.

Könige der Stadt

Ich und meine Gang sind die Könige der Stadt,

tanzen edel durch die Straßen,

das Kleid ist schwarz matt.

Ob am Boden, auf Straßen aus Teer und Asphalt,

oder im Himmel, dessen Blau die Welt umkrallt,

sind wir die Schlausten, die Schönsten, allen überlegen

wir sind die Raben, die auch in deinen Straßen leben.

Vor einigen Tagen entschloss ich mich dazu, meinen Schreibtisch aufzuräumen. Nachdem ich bereits die oberste Schicht an Unordnung beseitigt hatte, stolperte ich über das Buch „Joachim Ringelnatz - Schöne Gedichte“. Ein breites Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich es in die Hand nahm und mich in meinen gemütlichen Schreibtischsessel sinken ließ. Ein vergessenes Lesezeichen im Buch zeigte mir, an welcher Stelle ich innehalten sollte, und ich begann, laut vorzulesen:

„In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reise.“

Mit einem tiefen Seufzer stand ich auf, legte das Buch beiseite und blickte aus dem Fenster. Draußen erstreckte sich die Welt, groß und unerforscht, und doch so oft eingeschränkt durch die ‚schmerzenden Beine‘ unserer Realität. Inspiriert von Ringelnatz‘ humorvollem, aber tiefgründigem Blick auf das Leben, griff ich zu meinem Stift. Es war Zeit, eine Geschichte zu schreiben – eine Geschichte über Umsetzungen von Ideen und Plänen Reisen, über das Erreichen und das Akzeptieren von Grenzen, über das Finden von Abenteuern in den kleinen Dingen und darüber, wie oft die größten Reisen die sind, die wir in unserem eigenen Herzen und Geist unternehmen.

                               **Die Ameisen auf Reisen**

Mein Name ist Formicidae, aber du kannst mich Tony nennen. Ich bin eine Ameise, die im Herzen eines Großstadt-Dschungels lebt, einem Ort, der mich zunehmend frustriert. Sehe in mir den Indiana Jones der Insektenwelt, immer auf der Suche nach dem heiligen Gral der Sauberkeit in einer Welt voller Hundekacke und Kaugummi auf dem Bürgersteig, leerer Fast-Food-Verpackungen und Zigarettenstummel.
„Eines muss ich mal loswerden“, verkündete ich eines Tages meinen Ameisenkollegen, während wir einen gigantischen Berg aus Pommes-Frites bezwangen. „Warum lassen wir uns von diesem Chaos umgeben? Wir könnten stattdessen …“
„… in einem Park leben!“, vervollständigte Fritz, mein bester Freund und ein Meister im Versuch, Gedanken zu lesen – oder zumindest in Gedanken zu stöbern.
„Genau!“, rief ich begeistert aus. „Stell dir vor: frische Luft, kein Müll, nur wir und die Natur!“

Eines Tages, während ich auf einem vergessenen Keksbrösel balancierte und darüber nachdachte, kam mir eine verrückte Idee. Ich hatte einen schrägen Plan im Kopf, und ich war fest entschlossen, ihn in die Tat umzusetzen. Wir bauen einen Tunnel!

An einem sonnigen Tag versammelte ich meine Freunde zu einer außerordentlichen Ameisenversammlung auf einem alten Kaugummipapier. Die Stimmung war gespannt, als ich mein Vorhaben präsentierte. Einige Ameisen schauten mich skeptisch an, aber ich ließ mich nicht beirren: „Denkt nur an all die großartigen Dinge, die uns auf der anderen Seite der Straße in diesem paradiesischen Park erwarten. Saftige Blätter ohne Zigarettenstummel, kristallklare Bäche ohne Plastiktüten und makellose Picknickplätze ohne Kaugummi auf dem Boden.“
„Hahaha“, kam von unserem Einsatzleiter. „Nach dem zwölften Schritt auf der Straße wirst du flacher sein als das Papier, auf dem du gerade stehst. Zwischen uns und dem Park liegt der meistbefahrene Highway von ganz Hamburg. Null Chance – vergiss es und komm lieber und probiere diese Tomatensoße.“ Die anderen Ameisen lachten, und dann erst recht, als ich von meinem Maulwurfmasterplan sprach.
„Ein Tunnel ist perfekt, damit kommen wir unterirdisch rüber und das ohne, von gigantischen Schuhen oder Reifen plattgestampft zu werden“, fügte Fritz hinzu, was nochmals zu Gelächter führte.
Aber wir waren von meiner Idee überzeugt. Der Plan war simpel, aber gewagt. Wir würden einen Tunnel graben, einen langen Tunnel, der uns unter der Straße hindurchführen sollte. W. Fritz zeichnete eine Karte, auf der saubere Orte markiert waren, basierend auf Gerüchten und Ameisenwissenschaft.

Am Vorabend unserer großen Flucht feierten wir ausgelassen. Es gab Kuchenkrümel, Tropfen Limonade und wir tanzten bis in die frühen Morgenstunden. „Auf, zu einem neuen Leben!“, riefen wir, unsere kleinen Füße schmerzten vom ausgelassenen Tanzen.

Am nächsten Morgen, mit müden Augen, aber voller Hoffnung, begaben Fritz und ich uns in den von uns selbst gegrabenen Tunnel. „Auf ins Abenteuer!“, rief ich, während wir uns in die Dunkelheit wagten.
Von unserem weisen Ameisen-Scout hatten wir den ultimativen Insidertipp erhalten: In nur dreißig Metern Entfernung befand sich eine Baustelle. Aber ehrlich gesagt, in Hamburg gibt es vermutlich mehr Baustellen als Ameisen auf einem Zuckerstückchen! Also machten wir uns auf den Weg zu diesem vermeintlichen Eldorado der Baustellen.
Als wir endlich vor Ort ankamen, fanden wir ein Schild mit der Aufschrift „Baustelle“ und eine Absperrung, aber keine Bauarbeiter in Sicht. Wir Ameisen rieben uns verwundert die Fühler. „Sind wir zu früh oder zu spät gekommen?“, fragte Fritz mit einem skeptischen Klickern.
Unerschrocken wagten wir uns vor. Doch oh, welch ein Abenteuer erwartete uns. Wir mussten uns vor riesigen Regentropfen in Sicherheit bringen, uns durch ein Wurzellabyrinth kämpfen und sogar eine rasante Rutschpartie auf einem gigantischen Lutscher überstehen. Ich sage euch, selbst die besten Achterbahnen würden vor Neid erblassen!

Nachdem wir uns gestärkt hatten, beschlossen wir, den Tunnel zu graben. Der Boden erwies sich jedoch als hartnäckiger als ein Keks, den man aus dem Glas nicht herausbekommt. Gegen Abend gaben wir erschöpft auf, und die Enttäuschung hing schwer in der Luft wie der Duft eines vergessenen Bratwurstdöners.
Wir Ameisen sind hartnäckige Kämpfer, darum fiel es uns sehr schwer, den Traum vom Park aufzugeben. Bevor wir den Heimweg antraten, beschlossen wir, noch einmal zum Park hinüberzuspähen. Wir kletterten auf eine Barke der Baustellenabsperrung, und just als wir uns in der Mitte befanden, passierte das Unglaubliche!
Ein riesiger Bauarbeiter packte unsere Barke und stellte sie auf die andere Straßenseite. Wir zitterten am ganzen Panzer und klammerten uns verzweifelt fest. Die Ameisenachterbahn war zurück, und diesmal gab es keinen Ausstieg!

Aber siehe da, wir erreichten tatsächlich unser Ziel. Die Parklandschaft war so atemberaubend schön, dass selbst unsere winzigen Ameisenmundwinkel vor Freude zu grinsen begannen - und das bei Ameisen ist so selten wie ein Schneemann im Sommer! Die Luft roch nach Freiheit und Frühling, als ob ein Parfümflacon von „Ameisenwonne“ über uns ausgekippt worden wäre, die Blumen strahlten in den lebhaftesten Farben, als ob sie an einem Neonlichtwettbewerb teilnahmen, und es gab Delikatessen, von denen wir zuvor nur geträumt hatten. Es war, als ob der Ameisenhimmel auf Erden eröffnet hätte!
Wir tanzten vor Freude, und da sah ich neben einer Parkbank einen angebissenen Hamburger liegen. Mein Herz raste vor Aufregung - endlich eine würzige Belohnung für unser großartiges Abenteuer! Wer hätte gedacht, dass unser Abenteuer mit einem „McSchmaus“ enden würde?
Wir beschlossen, unsere Ameisen-VIP-Lounges unter den Blättern aufzuschlagen und lebten ab diesem Moment in unserem eigenen, winzigen Paradies.

Also, meine lieben Freunde, träumt Eure Träume, verwirklicht Eure Ideen, lacht viel und denkt daran: In jedem von uns steckt ein kleiner Abenteurer! Möge euer Leben so aufregend sein wie eine Ameisenreise durch den Großstadt-Dschungel – voller Mut, Humor und unvergesslicher Erlebnisse.

Ein Traum

Frostklirrend fegt der Wind durchs nadelige Geäst
Schnee stäubt rauschend zwischen dem nächtlichen Grün
Atem dampft in kurzen Nebelstößen
Leise knirschen zertretene Eiskristalle
Augen glühn
Rastlos
den Fang kaum zollbreit überm harten Boden
streift er voran
in leichtfüßiger Geschmeidigkeit
Mit einem Male steht er
den schmalen Kopf um weniges erhoben
erstarrt zu Stein
nur einen Herzschlag lang
Dann strecken sich die grauen Schatten
Und prasselnd bricht die Meute aus dem Schutz des Waldes
Nur noch ein Sprung
die Beute stürzt
Kiefer schnappen
Körper wirbeln durch die kalte Luft
es reißt ihn hoch
Wie Wetterleuchten zuckt sein Blick
Und prallt an schwere Käfiggitterstangen
An unbarmherzig neugierige Augen
Danach ein Laut
Ein Seufzen ringt sich aus der Kehle
Der Leib vibriert unter dem dichten Fell
Ein Stöhnen
dumpf und tief
Das müde Haupt sinkt nieder
langsam
wie betäubt
Die Lider schließen sich
Ein Traum nur
nur ein Traum
ein Traum

Wir werden bleiben

Gestattet? Fuchs, mein Name. Eigentlich war ich nur der Kundschafter. Ich sollte schauen, ob es möglich ist, in der Nähe der großen Bauten der Menschen zu leben und zu überleben.
Ja, kann man. Sogar recht gut, wie ich finde. Nahrung, Unterschlupf, angenehmes Raumklima, selbst im Winter. Ja, in einer Stadt lässt es sich recht gut leben. In diesem Punkt kann ich die Menschen durchaus verstehen. In diesem Lebensraum aus Stein, Beton und ein bisschen Grünzeug, findet sich für jeden ein Plätzchen.
Nur jetzt kommt der Knackpunkt: Die Menschen scheinen das irgendwie anders zu sehen. Und das verstehe ich wiederum nicht.
Ich meine, sie errichten riesige Bauten, beschweren sich aber, wenn dort noch jemand wohnt. Tss, wenn Platz genug ist, lassen wir auch Dachs, Kaninchen und Gänse mit im Fuchsbau wohnen. Alles andere wäre Verschwendung.
Apropos Verschwendung: Menschen lassen überall Futter rumliegen. Sie lassen es fallen, lagern es in großen Tonnen … so viel, dass können die gar nicht alles futtern. Aber wehe, man bedient sich. Dann ist das Geschrei wieder groß.
Und sie schimpfen, wir würden Dreck und Chaos hinterlassen. Sie beschweren sich über unseren Lärm, über unsere Rufe, über unsere Hinterlassenschaften – hallo, geht’s noch?
Wer hat sich denn hier auf den Wäldern und Wiesen mit seinen Betonbauten breitgemacht? Wer hat alles mit Asphalt zugepflastert? Wer fährt denn in großen, stinkenden Blechbüchsen durch die Gegend? Wer schmeißt täglich seinen Müll in die Gegend?
Aber wir machen den Dreck. Schon klar.
Nur jetzt möchte ich etwas klarstellen: Uns gefällt es trotzdem in »euren« Städten. Wie gesagt: Nahrungsangebot, Auswahl an Unterschlüpfen, Klima – wir werden bleiben. Wer schon mit Dachs, Karnickel und Gans zusammengewohnt hat, arrangiert sich auch mit Menschen.

Einfach mal Loslassen

Ich habe lange genug gewartet, meine Geduld ist am Ende. Seit einer gefühlten Ewigkeit warte ich darauf, dass die laufenden Riesen auch nur einen Krümel auf den Boden fallen lassen. Doch nicht die kleinste Brotkrume findet ihren Weg auf den Boden. Nicht mal auf die kleinen Riesen, die normalerweise eine sichere Bank darstellen, ist heute Verlass. Deshalb nehme ich mein Glück selbst in die Hand, breite meine Flügel aus und fliege los. Das Gefühl der Entspannung welches mich sogleich überkommt ist genauso unbezahlbar wie der entsetzte Blick im Gesicht des Riesen, nachdem es „flatsch“ gemacht hat und der Riese ist im wahrsten Sinne des Wortes angeschissen ist. Vor Schreck lässt er sein Baguette fallen, doch das scheint ihm im Moment total egal zu sein. Schell tastet er nach Tüchern, während er sich offenbar peinlich berührt aus dem Staub macht. „Guten Appetit, Edgar.“

Nacht

Klatsch, Klatsch …! Alter, die Nacht war wieder sehr anstrengend. Eigentlich froh sie überstanden zu haben.
Mein Hunger war groß, die Gerüche sind verlockend und es macht Spaß die großen Monster zu ärgern.
Viel Zeit bleibt mir in meinem kurzen Leben nicht, also muss ich mich beeilen um es zu genießen.
Im grauen Dunkel bewege ich mich kamikazenhaft, ja manchmal sehr eng im jetzt zu sterben, oder weiter zu leben.
Nacht für Nacht bin ich auf der Suche, mich zu stärken, zu Leben. Die Zeit, die für mich verbleibt ist echt kurz, manchmal mehr wie kurz.
Seit ein paar Tagen bin ich Vampirhaft, süchtig nach etwas süßem, leckerhaftem.
Sie liegen ja auch einfach da, die leckeren Mahlzeiten. Sie liegen einfach da rum…lecker!
Klatsch…ich glaub mich hat es erwischt. Vielleicht zu laut gesummt?
Klatsch…schon wieder. Da kommt schon wieder, eine klobige Hand.
Klatsch…!
Mein kurzes Leben …!

Vorsicht. Hier besteht Juckgefahr!

Großstadtrevier

„Autsch.“

Das wäre fast schief gegangen. Mit einem schnellen Sprung konnte ich mich gerade eben noch auf den Gehweg retten und mit einem weiteren Satz beförderte ich mich zurück in mein Homebase.

„Puh, das war knapp.“

Mir schlotterten alle sechs Knie. Dass ein Bus so schnell auf der Haltespur angerast kommt, hatte ich nicht auf dem Schirm. Wahrscheinlich hatte der Fahrer wegen einer fetten Verspätung wieder richtig Druck auf dem Kessel.

Seit ich vor langer Zeit in die Stadt kam, war mir so etwas noch nicht passiert.

Da wo ich herkam, gab es keine Busbahnhöfe wie diesen hier. Nur eine Haltestelle, an der zweimal am Tag ein klappriger Bus hielt, und die lag fast einen Kilometer von dem Hof entfernt, auf dem ich zur Welt kam. Weder für mich noch für meine Geschwister und Verwandten hat es auf dem Land solche Gefahren gegeben, wie sie mir hier in der Stadt jeden Tag begegnen.

Ich war mit dem Knecht meines Bauern hergekommen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der am nächsten Tag mit dem Bus in die Stadt fahren würde, als ich mich nachts in seinen Bart schlich. Ich war damals hungrig, ja, da übersieht man schon mal was, auf das man besser hätte Acht geben sollen.

Aber das war lange her. Nach menschlicher Zeitrechnung sicher schon länger als einen Monat.

Genau hier, neben meinem Homebase hatte der Bus damals angehalten. Als der Knecht ausstieg, sprang ich mit einem Satz aus seinem Bart auf den Mülleimer, der unter einer Infotafel an einem Mast befestigt war. Wie sich herausstellen sollte, ist es für mich die ideale Unterkunft in einer Stadt, die Tiere wie mich nicht haben wollte.

Jetzt saß ich wieder auf meiner Tonne und blickte mich um. Der Schreck saß mir immer noch in den Gliedern. Wahrscheinlich wäre es den Menschen Recht gewesen, wenn die breiten Reifen des Busses mich plattgewalzt hätten. Ungeziefer schimpfen sie mich und meinesgleichen. Das muss man sich mal vorstellen, Un-ge-zi-fer. Damit meinen sie Tiere, die es nicht wert sind zu leben.

Was maßen die Menschen sich an, so über die Natur zu richten? Können die denn nicht lesen? Überall, wenn mal irgendwo eine Zeitung herumliegt, kann man es doch lesen: Das wahre Ungeziefer auf dieser Welt ist der Mensch selbst. Er versaut alle Grundlagen, die das Leben braucht, um zu existieren. Egal ob Tier, Mensch oder Pflanze, allen geht er an den Kragen.

Wir Flöhe sind dagegen machtlos. Wir könnten zwar versuchen, ihnen ein wenig von ihrem geschädigten Hirn abzusaugen, was nicht einfach würde, weil unser Saugrüssel dafür zu kurz ist, aber am Ende würde es die Sache vielleicht noch verschlimmern. Je größer das Vakuum im Hirn eines Menschen wird, desto weniger rational dürfte er sich verhalten.

Ich für mich habe deshalb beschlossen, es sein zu lassen. Am Ende geht mein Saugrüssel noch dabei drauf und das wäre mein Ende. Da hätte ich mich ja gleich vom Bus überrollen lassen können.

Stattdessen versuche ich in meinem Revier, hier am Busbahnhof, zu überleben. Zu futtern finde ich hier genug. Die Leute präsentieren es mir doch quasi frei Haus. Ich muss nie lange auf meinem Mülleimer sitzen, bis ein Mensch mit seinem Hund kommt und auf den Bus wartet. So schnell wie ich dann zuschlage und in das dichte Fell ihres Lieblings eindringe, kommt kein Bus. Die Dinger haben eh meist Verspätung, was mir sehr in die Karten spielt.

Wenn alles gut geht, kann ich hier, nach menschlicher Zeit, noch ein oder zwei Monate überleben. Länger hätte ich es auf dem Hof am Land auch nicht geschafft. Von meinen Geschwistern ist sicherlich schon der oder die eine unter die Räder eines Treckers gekommen. Nur fuhren die da nicht so häufig, wie hier die Busse.

Egal, sollen die Menschen doch machen, was sie wollen. Wenn mir danach ist, springe ich hin und wieder mal in einen ihrer Bärte. Nur passe ich jetzt besser auf als früher. Bevor die Tür von einem Bus sich hinter mir schließt, bin ich wieder draußen.

Jeder muss halt sehen, wo er bleibt. Ich auch. Vor allen Dingen in so einer Monsterstadt, wie dieser.

Wir sehen uns, euer Flohy Floh.

Aus gutem Hause

Vorbeieilende Passanten werfen mir mitleidige Blicke zu als ich, sichtlich verletzt, in der Morgendämmerung durch die sauberen Straßen im Hafenviertel schleiche. Doch niemand nimmt ernsthaft Notiz an meinem erbärmlichen Zustand.
Mein schwarzes Fell ist stumpf und struppig. Die schmerzende Bisswunde am Hinterbein von Blut verklebt. Ich fühle mich furchtbar und bin auf der Suche nach einem Rückzugsort um meine Blessuren zu lecken und auszuruhen. In diesem schrecklich durchgestylten Viertel hier muss es doch irgendwo ein gottverdammtes Kellerfenster geben in das ich ungesehen rein huschen kann. Ein Schlückchen Wasser wäre auch nicht schlecht. Aber das ist wohl jetzt zu viel verlangt. Meine Nacht, durchzogen von den Strapazen der Futtersuche und den Beißattacken eines Marders, war furchtbar. Ich bin neu hier und dieser Asphaltcowboy meinte tatsächlich, der ganze Straßenzug sei sein Revier und somit auch die Mülleimer vor der neu eröffneten Fischbude am Fähranleger. Zur Zeit bin ich ein bisschen schwach auf den Rippen und musste ganz schön was einstecken. Verletzt und hungrig zog ich ausnahmsweise den Kürzeren. Möglicherweise aber auch weil ich, aus gutem Hause kommend, keine Ahnung habe wie man erfolgreich um Futter kämpft.

Aber nichtsdestotrotz komme ich heute Nacht wieder und versuche mein Glück erneut. Ein paar Fischreste könnte ich wirklich dringend vertragen nach tagelanger Futternot.
So ein Leben als Straßenkater ist ganz schön anstrengend. Hab’s mir nicht ausgesucht aber manchmal ist das Schicksal eben ein mieser Verräter.

Nach und nach erwachen die Straßen zum Leben. Immer mehr Zweibeiner laufen an mir vorbei. Ich hab Schmerzen. Hunger. Durst. Bin schwach und will ein warmes Plätzchen. Ein Bettler sitzt am Straßenrand. Ihm geht’s wohl ähnlich wie mir. Aber immerhin bekommt er hin und wieder Almosen von den Menschen zugesteckt. Vielleicht auch weil er einen Hund dabei hat.
Betteln ist unter meiner Würde, schließlich bin ich kultiviert und hoffentlich nur vorübergehend Straßenkater.

Nanu, eine junge Frau bückt sich zu mir nieder und streichelt mich am Kopf.

Rrrrr, wie gut das tut. Das habe ich ja so vermisst. Rrrrr ich kann nicht anders und bettle um mehr. Sie soll noch bleiben. Ich schmiege mich an ihre Beine, drücke meinen zerzausten Kopf ganz eng in ihre Hand.
Sie will mich hochheben. Krrr, ich fauche. Das tut weh. Pass doch auf! Siehst du denn nicht wie malträtiert ich bin?
Sie spricht mit mir. Ich verstehe kein Wort aber die Tonlage ihrer Stimme gefällt mir.
Ja so ist es gut, kraule meine Ohren. Mach weiter.
Hey, was machst du mit mir? Ui, so weit oben? Muss das sein? Lass mich lieber wieder runter. Hoppla, in eine Tasche? Echt jetzt?
Obwohl….ist recht gemütlich hier drin.
Na gut, hab ja eh grad nix zu tun.
Kurze Frage: Ist das jetzt Kitt-napping?
Wie dem auch sei. Es ist zumindest warm hier drin.
Sie bringt mich in ein Zuhause.
Wärme. Wasser. Futter.
Wo bin ich? Im Paradies?

Umzug ist keine Option

„Wo brüten wir dieses Jahr? Gleich am Kanal?“
„Viel zu gefährlich. Da werden die Kleinen von fetten Karpfen, Ratten und anderem Getier angegriffen. Auf der Insel im Schlossweiher, gleich beim Stadtpark natürlich.“
„Aber die ist immer noch so dreckig! Das sehe ich schon von hier oben. Ich will nicht mehr über leere Plastikflaschen, Glitzerpapier und irgendwelche Stofffetzen steigen müssen, um zu unserem Nest zu kommen. Außerdem habe ich immer Angst, dass die Jungen in ihrer Unerfahrenheit irgendwelche Plastikreste fressen und daran zu Grunde gehen. Oder Menschen beim Spaziergang auf uns losgehen. Ich kann nicht schon wieder eines meiner Kinder verlieren. Der Gedanke ist mir unerträglich, Liebster.“
„Ich kann dich ja verstehen, Liebste, aber der Schlossweiher garantiert trotzdem die größtmögliche Ruhe und Abwechslung an Leckereien im Schnabel, wenn die Kleinen schlüpfen. Und das Nest im Schilf des Uferbereiches zu nutzen, ist nach der Pleite letztes Jahr keine Option.“
„Stimmt, nicht einmal die zusätzlich aufgestellten Trennwände zum Fußweg haben diese halbwüchsigen Wilden letztes Jahr davon abgehalten, unser Gelege mit Müll zu bombardieren. Dabei haben ihre großen Artgenossen sie doch extra zu ihrem und unserem Schutz aufgestellt. Ich verstehe nicht, warum sie weder vor ihren eigenen Ordnungshütern Respekt haben noch vor unseren riesigen Flügeln, die ihnen jeden Knochen im Leib brechen könnten, oder zumindest unseren starken Schnäbeln. Ich sehne mich mittlerweile nach der Zeit zurück, als sie uns allein unserer Größe und Anmut wegen nicht zu nahe gekommen sind. Wir tun ihnen doch nichts. Wir wollen doch nur dieses Fleckchen Erde für ein paar Monate in Ruhe nutzen. Und wir verschwinden doch auch jedes Jahr im Herbst wieder ohne Dreck zu hinterlassen. Was können sie denn dagegen haben? Ich verstehe die Menschen nicht. Wachen wie die Glucken über ihre eigene Brut, aber haben kein Verständnis für andere. Aber wie auch immer, noch einmal überstehe ich solch ein Drama auf gar keinen Fall. Ich bin nur wegen dir nicht an gebrochenem Herzen gestorben. Manchmal ist es überhaupt nicht hilfreich, nicht weinen zu können.“
„Ich weiß, Liebste. Und ich verspreche dir, das passiert uns nicht noch einmal. Das würde auch ich nicht noch einmal überleben.“
„Wie kannst du wissen, dass und das nicht noch einmal passiert? Deinen Vater hat einer von ihnen glatt über den Haufen gefahren, nur weil er versucht hat, die Besitzer der Blechdosen um etwas Rücksichtnahme zu bitten.“
„Ich habe aus den Fehlern meines Vaters, mögen ihn seine Schwingen in eine bessere Welt getragen haben, gelernt und habe einen Plan!“
„Und wie sieht der aus?“
„Hilfe zur Selbsthilfe.“
„Ach!“
„Genau! 1. Noch vor dem Nestbau säubern wir die Insel. Wir werfen ihren Müll einfach zurück auf den Gehweg an der Schule. Vielleicht ist es ihnen eine Lehre, wenn sie selbst über ihren Müll steigen müssen. 2. Dann bauen wir unser Nest auf der Insel, so wie früher. Direkt in den lichten Schatten der Korkenzieherweide. 3. Wenn die Horden von Halbwüchsigen Morgens in die Schule gehen, meiden wir den Weg um den Teich und bleiben mit den Jungen im Wasser. 4. Den Zebrastreifen nutzen wir wie bisher, wenn der größte Verkehr und Mief vorüber ist. So gelangen wir am sichersten vom Teich in den Stadtpark und zum Leitgraben, solange die Kleinen nur watscheln können. Von dort ist es auch ein leichtes ihnen die Innenstadt mit den vielen bunten Läden zu zeigen. Das ist ein Erlebnis, das werden sie nie in ihrem Leben vergessen. Außerdem sind im Park auch immer nette Menschen, am Spielplatz, gleich gegenüber unserer Trauerweide, die uns mit Brot, Möhren oder Äpfeln versorgen.“
„Du hast bei allem Recht, aber für mich klingt das nach dem Erlebten fast zu schön, um wahr zu werden.“
„Komm, gib deinem Herzen einen Stoß! Zwischen den Idioten gibt es die ganz Netten, die auf unserer Seite sind und uns vermissen würden, so wie ich den Park, die altbekannten Büsche und Bäume, die Stromschnelle im Leitgraben, die Butterblumen und Gräser, die…“
" Hör auf! Das ist so unfähr, du weißt genau, dass ich dir keinen Wunsch abschlagen kann, Liebster. Und der Platz unter der alten Weide würde mir wirklich fehlen. Den haben all unsere bisherigen Kinder immer am meisten gemocht. Und ich selbst finde die Abende im Park ja auch immer so romantisch, die Lichter, die sich auf dem Wasser spiegeln, die verliebten Pärchen, die ihre Köpfe zusammenstecken."
„Deswegen ist Umzug auch keine Option.“
„Aber wenn die Kleinen geschlüpft sind, ihren braunen Flaum ablegen, etwas kräftiger sind und ihre Schwingen sie tragen…“
„…dann wird es Zeit für Familienurlaub am ruhigen Teil des Kanals.“
„Versprochen?“
„Ehrenwort!“
„Ich kann es kaum erwarten! Ich freu mich schon auf die ausgedehnten Flüge mit den Kindern über den Wald, die Blütenpracht im Landesgartenschaugelände und die Stadt.“
„Und ich mich über eine glückliche Frau und abenteuerlustige, starke Kinder. Aber jetzt lass uns landen und loslegen! Rundflüge sind zwar schön, aber ich will das Nest nicht um dich herum bauen müssen, auch wenn ich dabei viel Gelegenheit hätte, den schönsten aller Schwanenhälse bis ins kleinste Detail zu studieren.“
„Ach Liebster, du bist und bleibst ein Charmeur.“
„Und du die Liebe meines Lebens.“

Berti im Bart
«Sag Mal, tickt der noch sauber?»
«Wer?», fragt Berti.
«Na, der moosbärtige da, mit seinem halben Frühstück im Gesicht!»
«Lass gut sein, Funny! Wir sind wie die, nur besser, sagt Queen Rosie immer.»
Ja ich erinnere mich. Queen Rosie schultert ihr Vintagewissen, damit es unserem Volk gut geht. Sie ist eine lebende Antiquität am Hebel der Macht. Weisheiten aus Eiszeiten und Versprechen, die nicht brechen. So ist sie, unsere Queen! Keiner kommt zu kurz, egal wie lang es dauert.
Mein Blick fällt schräg hoch zu diesem lumpigen Gesichtsfell. Wankend lallt er auf mich zu. Fast akrobatisch und mit flinkem Pirouettentanz weiche ich seinem trunkenen Gestampfe aus.
«Sie sind nicht intelligenter als sprechende Pandas, meinen aber, sie könnten den Mars besiedeln», sagt Berti breit grinsend.
«Wohl eher besudeln!»
Wir lachen gemeinsam. Gemeinsamkeit ist alles, in unserem Volk.
Das hüftsteife Zweibein torkelt jetzt gefährlich in unsere Richtung. Beim heiligen Fichtennadelfilz meiner Großmutter, ist das schwafelnde Stinkeding etwa so besoffen? Die Hände öffnen sich, die Augen doppelt so groß. Der Döner fällt, halber Liter Bier folgt nach. Ein nasses Patschen auf Asphalt. Bersten von Glas, alles sprengt auseinander, Scherben in alle Himmelsrichtungen.
«Sprengung!», ruft Berti, «Haha, nur Spaß Funny!»
Nein, kein Sprengsatz! Berti hört zu oft Menschen reden! Vielleicht auch weil er immer über den Rand dieser Flimmerkisten schaut. Sowas wie Boshaftigkeit ist in unserem Denken gar nicht hinterlegt.
Jetzt klatscht die Schwerkraft in die Hände. Lass Kalbfleisch und Gemüsematsch regnen und jede Menge Glas! Queen Rosie sagt da immer, zum Glück es ist die Schwerkraft, die der Mensch so schwer schafft!
Bei allen wildwachsenden Wacholderwurzeln, ja zum Glück! Denn sonst, wäre es längst aus und vorbei mit dem schönen All! Knall auf Fall würde es vergehen, kein Sternenfunkeln mehr, nur wilde bunte Flaggen würden wehen. Planetenausverkauf. Statt Meteoriten Stacheldrahtgürtel hinterm Mars. Wir kennen euch genau!
Wir folgen euren Spuren seit Anbeginn eurer Zeit, die nicht unsere ist, denn wir sind anders, wir sind älter, besser und na ja logisch, auch klüger.

Nur zu dir du wandelnder zugedröhnter Zellhaufen. Ich lese deine Spuren auf unseren Straßen. Fette Spuren. Sie führen in dein Gesicht. Lecker und fett, das will ich dir sagen! Sicher, ich könnte es auch direkt in dein Ohr schreien, aber auch das kümmerte dich nicht. Du scheinst mit offenen Pupillen zu schlafen. Das ist gut so! Denn manchmal, ja manchmal, so wie jetzt, da schlage ich Purzelbäume, rufe die Freunde zusammen und wir feiern! Wir rufen:«Danke Mensch!», alle im Chor.
Homosapische Geschenke spuckst du uns vor die Füße. Weil dein plappernder Klappkiefer entweder kaut, sabbert oder faselt, meist alles zusammen. So beschenkst du uns tagtäglich. Und wenn du nicht selbst faselt, schaust du wie betäubt in deine bunte Kiste, die für dich palavert. Weiß die Evolution allein, wie so was wie du überhaupt entstehen konnte. Dein Gleichgewicht, pah, nicht gerade lobenswert, haariger Pendejo, eher wankelmütig wie dein verspakter Charakter. Man kann dir nicht bis zum nächsten Schritt trauen. Haben deine Freunde übrigens auch schon gesagt, okay, wollt jetzt nicht petzen, aber wir sind zur Lüge nicht imstande. Heute fütterst du uns, morgen gibt es ’ne Ladung Gift auf die Mütze.
Unser aller Augen sind auf dich gerichtet, mein Lieber, waren sie immer. Und die sehen alles, Pendejo. Wir haben mehr Facetten, du verstehst?
Wir bewohnen dein Haus, deinen Kühlschrank, deine Kammer und oft genug dein ungepflegtes Gestrüpp von einem Bart. Walt Disney hat uns verfilmt. Mein Volk steht an deiner Seite, immer schon. Schon die ersten Schlingerschritte auf Erden. Konnte ja keiner wissen, dass du so abgehst!
«Guck mal wie der guckt, Funny. Ich sag nur Augenrolle rückwärts.»
«Er speit! Pass auf!»
«Selbst Bewusstlos sind sie noch gefährlich!», mahnt Berti.
«Da hinten kommen schon seine johlenden Gefährten.»
Sie schwingen bunte Fahnen und brüllen gut bezahlte Namen und Vereine. Wir verziehen uns lieber. Wird höchste Zeit. Schnell noch die Duftspur legen, man weiß ja nie. Wir sind ja nicht zum Spaß hier.
«Lass noch schnell den Fleischsalat aus dem Bart pflücken», sagt Berti und kraxelt im Turbotempo den nikotinierten Wildwuchs entlang.
«Berti! Sie kommen!», schrei ich.
Doch Berti hängt im Bart.
«Öhhhh! Ronnie, bisse besoffen? Der FC hat gewonnen! Öhhhhöhh!»
Der Riese schlägt Ronnies Gesicht, Hektomilliliter Bier ergießen sich auf Berti und er fliegt aus dem Gesicht.
Es spült ihn in den Rinnstein. Der Stollenschuh des Brüllosapiens tritt nach ihm. Er fällt, stolpert durch die Gullistreben.
Nein nicht Berti!
Gullis sind Todeszonen, das weiß jeder. Unten lauert die Oberflächenspannung und oben, schon acht gierige Augen, die auf frisch gestrickter Seide staksen.
«Komm auf meinen zarten Teppich, Süßer», säuselt Linda Lu, die stadtbekannte Gullispinne, bekannt für tödliche Verstrickungen aller Art.
«Hier», rufe ich ihm zu, «Nimm meinen Fühler.»
Doch Berti will ihn nicht packen! Fühler sind sehr intim. Er baumelt mit einem seiner sechs Beine wie ein Kunstturner einhändig am Reck. Die anderen fünf umklammern den Fleischwurstbrocken, als hinge unser Leben davon ab. Ich glaube fast, er hat zu viel Bier abbekommen!
«Sei kein Mensch, verdammt! Denk wie eine Ameise!»
Berti erwischt mein Bein. Seine Greifzangen packen die Wurst im Flug.
Alles ist gut.
Wir fliehen im leichten Zickzacklauf mit satten drei Kilometern pro Stunde, folgen den alten immer noch duftenden Pfaden. Es ist unserer Viertel.
Unsere Arbeit ist nie gefahrlos, aber wir bereiten die Wege für die andere.
Wir sind Späher.

Ein Rattenplan

Vorsicht. Aufpassen. Es nähert sich dem Futterplatz. Es wirft etwas hinein. Schnell!
Ich huschte aus meinem Versteck unter einer Treppe hervor und rannte mit meinen kurzen Beinchen auf den Container zu. Flink kletterte ich hinauf und stürzte mich in das stinkende Meer vom Abfall. Systematisch wühlte ich nach dem duftenden Futter. Ich liebte diese Zweibeiner. Sie warfen alles weg, was sie nicht mehr fressen wollten und sicherten so mein Überleben. Meine scharfe Rattennase bohrte sich durch den Müll, immer tiefer, bis sie auf etwas lauwarmes stieß. Etwas Pelziges. Grau. Gestreift.
Fauchend wirbelte der Waschbär herum. Er packte mich am Genick und schleuderte mich aus dem Container. Quiekend landete ich auf dem harten Stein und huschte in die Schatten. Dieser blöde Waschbär!
Ich beobachtete ihn lang. Er saß den ganzen Tag in meinem Container und schlug sich die Wampe voll! So ein Egoist! Es dämmerte und ich war mir sicher, dass er weg sein musste. Schnell kletterte ich den Container hinauf und sprang in die stinkende Masse. So schnell ich konnte wühlte ich nach etwas Essbaren. Und ich fand etwas. Doch bevor ich es mir in den Mund stopfen konnte, knurrte es hinter mir. Der Waschbär packte mich und schleuderte mich aus dem Container. Ein zweites Mal. Frustriert verschwand ich im Schatten einer Mauer.
Ganz leicht konnte ich den Mond erahnen. In meinem Territorium war es viel zu hell, als dass ich die Sterne hätte sehen können. Und der Waschbär war immer noch nicht rausgekommen. Und teilen wollte dieses Krankheitsübertragendes-Fellknäul auch nicht! Soll ihm doch der Fraß im Hals stecken bleiben, bis er erstickte! Moment! Das war die Idee! Ich sah mich um. Dann weckte ich meine Nase auf und machte mich auf die Suche. Es dauerte etwas, bis ich was Geeignetes gefunden hatte. Es war größer, als alles im Container und als die Zweibeiner mich sahen hatten sie es vor Schreck einfach fallengelassen und sind abgehauen. Es war rund und duftete köstlich. Ich schleppte es zu dem Container, nagte kleine Stückchen heraus und legte eine Spur bis zu einem Versteck. Dann legte ich mich auf die Lauer. Neugierig zuckte die Nase des Waschbären, als er aus dem Container kletterte. Er fraß die Häppchen und verschwand, während er der Spur folgte. Mit genügend Abstand schlich ich hinter ihm her. Er erreichte das Versteck, eine Sackgasse unter einer Mauer. Sie war gerade so groß, dass der Waschbär hinein passte. Schnell schob ich einen Stein davor. Stolz betrachtete ich meinen Gefangenen, der nun wütend fauchte und seine Hand durch den Schlitz sausen ließ, um mich zu kratzen. Doch ich drehte mich einfach um und genehmigte mir ein Mahl in meinem Container.

Kanaligator

Das Leben der Stadt hat in diesen Tunneln einen Teppich aus verflochtenen Gerüchen gewoben, so dicht, dass ich in ihm versinke bis zur völligen Unsichtbarkeit. Nur selten verlasse ich meine Dunkelheit. Dann harre ich still am Schlammufer des Sees, bis ich mir sicher bin, dass ich allein bin. Von Zeit zu Zeit wage ich mich in den Stadtpark vor, husche vom Schatten eines Baumes in das knisternde Blätterwerk eines Busches. Doch ich bleibe immer in der Nähe des Sees, immer in der Nähe des Abwasserrohrs, das die eine Dunkelheit von der anderen trennt. Aber nicht heute.
Schritte vibrieren leise trommelnd seit Stunden in meinem Körper. Sie sind wieder gekommen. Die Menschen der Stadt. Bald werden sie mit ihren grellen Lichtern und lauten Geräten in meinen Tunneln stundenlang rattern und rumpeln. Die Ratten sind schon ganz unruhig. Einige sind zu nah an den Rand des Betonstegs gekommen. Ich bin schnell. Kein Quieken. Kein Schmerz.
Jetzt haben sie die Maschinen gestartet. Der Lärm aus Rattern, Pumpen und Klopfen ist schrecklich. Ganz schwach kann ich das Lachen und Schnattern hören. Normaler Weise sinke ich in den Schlick hinab und warte bis es vorbei ist. Oder ich krieche weg von dem Lärm, dorthin, wo sie nicht hinkommen. Aber nicht heute. Das Lachen wird lauter, das Poltern, das Reden.
Bald werden sie schreien.