Seitenwind Woche 6: Großstadttiere

10.000 Monde

“Es ist nicht weit", hallt die Stimme meiner Mutter in mir wider. Ich habe sie nie gesehen, sie hat uns am Strand abgelegt und ist dann zurück in’s Meer gezogen. Dennoch höre ich sie klar und deutlich. “Nicht weit, nur wenige Meter über den kühlen Sand. Folgt einfach dem Licht des Mondes. Und dann, wenn ihr am Wasser seid, schwimmt einfach los.”

Es fühlt sich bereits unendlich lange an, dass ich dem Licht folge. Meine Flossen sind ganz schwer und tun weh. Erst dachte ich, es liegt nur an mir, doch auch meinen Geschwistern geht es gleich. Wir sind müde und haben Angst. Unsere Mutter hatte nichts von den großen Tieren erwähnt, die mit lautem Dröhnen über einige meiner Brüder und Schwestern hinweggerollt sind. Das Geräusch ihrer brechenden Panzer habe ich noch in den Ohren.

Der kühle Sand hat sich längst in eine schwarze Oberfläche verwandelt, auf der meine Flossen keinen Halt finden. Meine Haut ist dick, doch ich spüre, wie sie langsam wund wird, wenn sie über den rauen Untergrund schrappt.

Es kann doch nicht mehr weit sein, ich sehe doch den Mond klar vor mir. Nicht nur einen, es sind sogar 10.000 Monde, die mir den Weg weisen.

Nachts träumen Fische auch

Die Lichter der Stadt spiegeln sich auf den gläsernen Mauern meines Gefängnisses. Schleier aus Silber, Schlieren aus Gold und dazwischen alle Farben des Regenbogens. Eine Stadt der Sterne, so mag es mir scheinen. Und dahinter…dahinter liegt das Meer. Ich habe immer davon geträumt, es einmal leibhaftig zu sehen. Diese endlosen Weiten, das tiefe Blau, der Geschmack des Salzes –

„Du bist ein Goldfisch, Cindy! Du würdest qualvoll verrecken.“

„Danke für deinen ungefragten Beitrag Sandy, aber du darfst jetzt gerne wieder schlafen gehen!“

„Würde ich ja wirklich sehr gerne, aber deine ausufernden Monologe erschweren das ungemein. Du hast nicht zufällig eine Idee, warum die ‚innere Monologe‘ heißen?“

„Hä?“

„Weil man die für sich behalten soll! Oh Mann, ihr Goldfische seid wirklich so blöd, wie man sagt.“

Diese neunmalkluge Garnele, was weiß die schon?

„Auch das hast du laut gesagt…“

„GUTE. NACHT. SANDY!“

Eines Tages werde ich all das hier hinter mir lassen. Eines Tages werde ich frei sein und endlich das Meer sehen. Ich muss nur irgendwie diese Scheibe kaputt bekommen…

„Oje…“

Vergiftete Mäuse schmecken nicht

Ich habe Hunger.

Vor einigen Tagen durchzog ein Kribbeln meinen gesamten Körper, die alte Haut war zu eng. Zuerst bemerkte ich kleine Risse, die sich an den schuppigen Seiten bildeten, dann löste sie sich.

Mit geschmeidigen Bewegungen wand ich mich aus der verbrauchten Hülle heraus, die sich wie ein zu enger Mantel anfühlte. Die Schuppen fielen ab, eine nach der anderen, und enthüllten eine frische, leuchtende Haut. Ich konnte die Textur und Farbe der neuen Schichten darunter fühlen. Sie schimmerten im schummrigen Licht der Kanalbeleuchtung.

Die Luft war erfüllt von einem sanften Rascheln, als meine Schuppen sich voneinander lösten. Mit jedem Zentimeter, den ich aus der alten Haut glitt, fühlte ich mich erneuert und gestärkt, bereit, die Dunkelheit des Kanalschachtes mit neuer Energie zu durchstreifen.

Das war vor drei Tagen und jetzt habe ich Hunger!

Es war eine warme Nacht im Herzen der Stadt, als ich vor Monaten aus dem Terrarium floh, mich durch die offene Tür schlängelte, die unbeabsichtigt offengelassen wurde. Durch das Kellerfenster gelangte ich auf den Gehweg und verschwand damals in einem Kanalschacht. Es wurde mein neues Zuhause, ein Labyrinth aus Dunkelheit und Verstecken. Und es war gut, es gab immer genug zu fressen, fette saftige Mäuse und ab und zu eine Ratte, um meinen Hunger zu stillen.

Doch heute ist alles anders, die üblichen flinken Mäuse, die normalerweise den Weg kreuzen, liegen regungslos auf dem feuchten Boden. Der Tod hat sie ereilt, ein bitterer Geschmack von Verderben.

Ich schleiche mich vorsichtig durch die düsteren Gänge des Kanals, meine Zunge tastet nach der Luft. Die übliche Beute ist nun zu einer Gefahr geworden. Mein Magen knurrt vor Hunger, aber der Instinkt warnt davor, die vergifteten Mäuse zu verschlingen.

Ich gleite durch das Dunkel des Kanals, und höre den schwachen Klang von anderen Kreaturen, die sich in den Schatten verbergen. Ratten, die genauso wie ich versuchen, der Gefahr der vergifteten Mäuse zu entkommen. Doch im Moment ist die Jagd nach ihnen eine unmögliche Aufgabe. Mein Körper fühlt sich schwer an, und ich sehne mich nach der Kraft, die nur eine gute Mahlzeit mir bieten kann. Oben pulsiert die Stadt im hektischen Treiben, ahnungslos über das Drama, das sich in ihrem Untergrund abspielt.

Ich beschließe, mein Glück anderswo zu versuchen. Meine geschwächte Schlangengestalt begibt sich auf den Weg zu einem sichereren Ort, wo ich was zu fressen finde, ein einsamer Jäger in der städtischen Wildnis, auf der Suche nach Nahrung und den Geheimnissen, die die Nacht verbirgt.

Federleicht in der Betonwelt.

Als ich mit einem stolzen Schritt und einem Federkleid, das in allen Farben des Regenbogens schillerte, die Großstadt betrat, war ich sofort von ihrem pulsierenden Rhythmus gefangen. Wolkenkratzer ragten wie moderne Berge in den Himmel, und die Straßen waren Flüsse aus hastenden Menschen und rauschendem Verkehr.

Meine erste Herausforderung war eine Begegnung mit Mia, einer Straßenkatze mit einem listigen Blick, der ihre Erfahrung im Stadtdschungel verriet. „Ein exotischer Vogel, der sich verflogen hat?“ fragte sie, während sie um einen überquellenden Mülleimer schlich.

„Ich bin Aramis, und ich habe einen Plan,“ erwiderte ich, mein Hals reckte sich vor Stolz.

Mia führte mich durch das Labyrinth aus Asphalt und Beton, zeigte mir, wie man in dieser chaotischen Welt überlebte. Eines Tages, als ich versuchte, ihre Anweisungen zu befolgen, stolperte ich ungeschickt über einen verirrten Skateboard, rutschte quer über den Bürgersteig und landete in einem Haufen von Müllsäcken. Meine Federn waren bedeckt mit allem, was man in einem Großstadtmüll so findet.

Mia konnte nicht aufhören zu lachen. „Aramis, du bist ein wahrer Künstler des Chaos!“

Trotz meines Missgeschicks wuchs mein Entschluss nur stärker. Ich war entschlossen, meinen Platz in dieser unbekannten Welt zu finden.

Der Wendepunkt kam, als ich einen verborgenen Garten entdeckte, umgeben von den stählernen Riesen der Stadt. Inmitten des Grüns und der Blumen fand ich einen alten Baum, der wie für mich gemacht schien.

„Ich habe mein Paradies gefunden, Mia!“ rief ich, als wir uns auf unserem abendlichen Treffpunkt, einem Dach mit Blick über die Stadt, trafen. Ich schlug ein Rad.

Mia schnurrte zufrieden. „Du hast es geschafft, Aramis. Du bist jetzt ein Teil dieser Stadt.“

Als ich in den folgenden Tagen mein neues Zuhause genoss, erkannte ich, wie viel ich Mia zu verdanken hatte. Eines Abends, als wir zusammen die Lichter der Stadt betrachteten, sagte ich: „Danke, Mia. Ohne dich wäre ich nur ein exotischer Vogel unter vielen gewesen. Du hast mir gezeigt, wie man in dieser chaotischen Welt überlebt.“

Mia blinzelte mich an. „Jeder braucht einen Freund, Aramis. Auch ein stolzer Pfau.“

In dieser unerwarteten Freundschaft fand ich nicht nur einen Zufluchtsort, sondern auch einen Platz, an dem ich meine wahre Natur entfalten konnte – mitten im Herzen der Großstadt.

Clog Rouge

Ich habe den Kanal voll. Randvoll. Nach sieben Tagen unangekündigtem Dauerregens durchspülen Sturzbäche mein angestammtes Habitat, in dem es sich - unter normalen Umständen - ganz muggelig leben lässt. Reißen jedes noch so kleine Stückchen an Nahrungsmitteln fort, dass sich, von bequemen Städtern, die noch nie etwas von Mülltrennung gehört haben, hören wollen oder Müllkosten sparen wollen, achtlos in die Toilette gedumpt, an die Kanalwand klammerte. (Ehrlich? Habe eine Toilette noch nie gesehen. Weder von außen noch von innen. Granny Elisabeta sagt, man solle Toiletten grundsätzlich meiden.)
Darf ich mich vorstellen: Ich bin Sam, Oberguru des städtischen Rat-Packs, Sektion Nord, einer Gang von eineinhalb Millionen Gangstas mit kleinen spitzen Zähnen und langen Schwänzen, die ihr Leben damit verbringen, sich die Futterressourcen der Boomtown über uns zu teilen.
Ich bin ein Einzelgänger, ein einsamer Jäger, immer auf der Pirsch nach Essbarem. Auf Gesellschaft lege ich keinen gesteigerten Wert. Ständig dieses Fiepen, Quieken, Jammern. Vermutlich behandeln mich die anderen aufgrund meiner zur Schau gestellten Unantastbarkeit mit Hochachtung und Respekt.
Das Wasser im Kanalschacht steigt an. Vergeblich versuche ich, mit meinen Pfoten an den mit Exkrementen und Schmutz tapezierten Wänden Halt zu finden.
“Sam, wir werden alle versaufen! Tu‘ endlich was!“
Rita, eine Rattendame aus dem Rotlichtmilieu einige Straßen weiter, zugegebenermaßen recht attraktiv, schießt mit der Strömung an mir vorbei. „Du bist der Ooobermooootz!!“
Ihre Stimme verhallt nach der nächsten Biegung. Ihr folgen weitere Damen aus selbigem Milieu. Und Äste und Plastiktüten. Und ein Herrenclog. Ich verliere den Halt, falle, stürze in den reißenden Strom, schwimme um mein Leben. Rette mich auf den knallroten Clog, der in der Gischt neben mir herjagt. Als ich mit meinem provisorischen Floß um die Ecke biege, sehe ich die Köpfe von Rita und ihren Mädels in den Fluten auf und abtauchen. Das Plastikteil, mit mir als Passagier, ist schneller und überholt sie.
„Aufspringen!“ brülle ich im Vorbeihetzen. Das Tosen des Wassers übertönt alles. Rita schafft es, hält sich an mir fest. Ihre Mädels bleiben zurück, fließen einer ungewissen Zukunft entgegen. Rita umklammert mich von hinten. Ein nicht ganz unangenehmes Gefühl. Wir treiben in der Dunkelheit. Treiben in einen toten Kanalarm, in dem sich das Wasser staut. Mit dem steigenden Pegel steigen wir höher.
„Endstation. Sackgasse.“, denke ich. Kein Entkommen.
Der Herrenclog verklemmt sich unter einer Eisensprosse. Einer von vielen Sprossen, die nach oben führen.
„Rita, hoch!“ schreie ich und deute nach oben. Sie denkt nicht lange nach, erklimmt die nächste Stufe. Ich folge ihr. Weiter und weiter geht es in die Höhe. Das Rohr, in dem wir klettern, verengt sich. Wir überwinden ein Rückschlagventil. Auch, wenn wir nicht empfindlich sind, es stinkt. Keine Sprossen mehr, dafür trockene Wände. Rita klettert um ihr Leben, ich auch. Oben wird es heller. Eine weiße Schüssel öffnet sich. Wir sehen Wasser. Durch seine bewegten Schemen scheint etwas Fleischfarbenes, das sich unvermittelt erhebt, gleißende Helle fällt hinein. Ich sehe Rita an. Sie nickt. Wir stoßen nach oben, durchqueren die Wasserschicht, schießen durch sie hindurch wie Flipper in seinen besten Zeiten, tauchen aus weißgrellem Porzellan auf. Schwimmen im Kreis, atmen. Wir haben es geschafft.
Ein spitzer Schrei lässt uns zusammenfahren. Von oben fällt etwas Großes auf uns hinunter, sperrt uns ein, lässt uns im Dunklen zurück.
„Was für ein Arsch.“, grinst Rita.

Schlaflos in Berlin

Kenn’ Sie den Görlitzer Park? Nich? Sie sin wohl nich von hia, wa?
Abba Kreuzberch? Na sehn’ se, dett kenn sogar welche von Außahalb.

Na jedenfalls, da bin ich jebohrn’, inne Görlitzer Park, wa.

Aba icke bin eena von den Sensiblen sacht meene Omma, mia macht Parklärm zu schaff’n. Watt meen Ua-ua-ua- … moment, also meen, ach, ejal, watt meene Omma mir erzählt hat, war dett da mal janz schön, aba watt se da drauß jemacht ham? Fuurchtba, sach’ ich da nur, fuurchtba. Menschen halt.

Ick meen’, früher, also prä-smaatfohn, als die Kinda noch versucht ham’, uns mit Äppel un’ Milch vom Winterschlaf abzuhalten - oooch, is der süüß! Maaaaama, darf ich dehn behalt’n? - Sie wiss’n schon, Lehramangel, dett übliche halt, abba heute steht sowatt im Indanet, dett uns Würma un Mad’n nich so Durchfall mach’n wie dett vejahne Zeuch … aba watta heute abjeht im Görlitzer Park, da wa’n diese Milchbubis un’ -mädels Waisen dajejen, Vollwaisen.

Jednfalls, als meene Schwesta mal an so’n weißet Pulva geschnuppat hat, da hat Mamma jesacht jezz is Schluss mit lustich. Pappa mocht’s im Grünen, und hat versucht sie umzustimm’, aba wenn Mamma un’ Pappa … un dann sinnwa hierher jezohch’n. Keine Ahnung, wer Mamma dett jesteckt hat, wahscheinlich beim Abendknubbln die Tante Erna, die wah ja imma schon neugierich uff Neuet und Kreuzberch wah ja schon imma irchendwie so kosmo- äh, vonne janze Welt, wa.

Klaa, hier is’ nich Park, aba dafür jed’n Abend lecka Ess’n. Ick weeß noch, wie die uns entdeckt ham’ in unsam Vasteck hinnerm Balkong, un jekuckt ham.
Spähta ham wa dann rausjekricht, datt der Koch zuerst dachte, wia wä’n Measchweinch’n, aba mit Stachl’n? Dett kannte der nich, wo der herkommt, „And’n“ heeßt dett, da jibbts keene von uns.

Aba wia ham uns aneinanda jewöhnt, vor allem, wo die datt selbe ess’n wie wia, voll lecka. Angeblich dett erste Restorang mit Würma un’ Insekt’n füa Mensch’n in Balihn, aba icke bin da juter Hoffnung. Mensch’n sin Jewohnheitsviecha, sacht mein Oppa, dett wird schon …

Gurrigunde

Als die schöne Gurrigunde in mein Leben trat, änderte sich alles. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ein graues Dasein gefristet, wenngleich ich ein gutes Auskommen hatte und nie Hunger leiden musste. Unser Revier war ein Knotenpunkt in der Stadt. Tagein, tagaus eilten zigtausende Füße an uns vorüber und regelmäßig fiel etwas Nahrhaftes zu unserer stetig wachsenden Schar herunter. Es war ein lauter, gefährlicher Ort und das Essen oft schmutzig, aber ich beschwerte mich nicht.

An einem sonnigen Tag stolzierte Gurrigunde in unsere Runde und erregte sofort Aufmerksamkeit. Sie war so schön, dass mein Köpfchen in der Bewegung innehielt. Sie trug ein sauberes Kleid, das ihre Rundungen aufreizend betonte. Aus sicherer Entfernung beobachtete ich sie. Sie hatte sich direkt selbstbewusst in die Mädelsrunde begeben. „… Dort gab es nur das Feinste vom Feinsten!“, hörte ich sie sagen. Mir fiel auf, dass sie ihr Schnäbelchen beim Reden immer wieder keck nach oben reckte. Die anderen Weibchen scharten sich begeistert um sie. „… Erfolgreiche Männchen, delikates Essen – ich habe noch nie etwas aus dem Müll fischen müssen.“ Bei den letzten Worten blickte sich Gurrigunde angewidert um. Eine Weile sah ich ihr zu und bemerkte eine innere Aufregung, die ich noch nie verspürt hatte. Kurze Zeit später löste sich die Runde auf und alle gingen wieder ihrer Nahrungssuche nach. „… als ob sie was Besseres ist, nur weil sie aus einer feinen Gegend kommt …“, hörte ich Tilly zu ihrer Freundin Pilly sagen. „Da fragt man sich ja, wieso sie jetzt hier abhängt, wenn es doch woanders so viel besser war.“ „Unsympathisch!“, warf eine andere ein. Doch das Geschwätz interessierte mich nicht.

In den nächsten Tagen suchte ich immer wieder Gurrigundes Nähe, doch sie beachtete mich kaum. Eines Mittags allerdings segelte ein ganzes Arsenal an Futter neben mir herab. Ich schielte zu meiner Angebeteten herüber. Tatsächlich, sie näherte sich sofort mit eiligem Schritt. Wir hatten ein Date! Mein Herz klopfte so stark, dass ich befürchtete, es würde mir gleich aus der Brust springen. Nur noch ein paar Schritte, dann … Doch plötzlich wandte sich Gurrigunde um und änderte ihre Richtung. Da erblickte ich ihn, Gigantoprollo, den schönsten, stärksten, dicksten, mutigsten unter uns Männchen. Mit aufgerissenen Augen verfolgte ich das Geschehen. Er hatte einen noch größeren Brocken gefunden, ausgerechnet dort, wo es am gefährlichsten für unsere Spezies war. Entsetzt sah ich, wie sich Gurrigunde und Gigantoprollo in trauter Zweisamkeit über den Leckerbissen hermachten. Mir wurde übel. Dann hörte ich das Geräusch, das absolute Lebensgefahr bedeutete. Ich gurrte, so laut ich konnte, und sah, wie sich Gigantoprollo aus dem Staub machte. Doch Gurrigunde, die aus einer besseren Gegend stammte, hatte keinen Sinn für Gefahr. Ich wollte gerade ansetzen, mich heldenhaft auf sie zu stürzen, da donnerte das gigantische Ungetüm an mir vorüber.

Mit gesenktem Kopf tippelte ich zurück zu meinem Dinner, doch auch das hatte man mir genommen.

Online-Star

Böse Stimmen behaupteten ja, meine Familie müsse ziemlich crazy sein, mich in einer Wohnung mitten in der Stadt zu beherbergen. Artgerechte Haltung unmöglich. Außerdem waren einige der Meinung, solche wie ich sollten besser auf irgendeinem Teller landen als im Wohnzimmer auf dem Sofa. Keine Ahnung, was genau sie damit meinten. Aber ganz sicher nichts Gutes. All diesen Bedenkenträgern konnte ich entgegenhalten, dass ich glücklich war.
Wir wohnten in einem alten Haus mit riesigem Grundstück. So etwas fand man selten in einer ansonsten zugepflasterten Gegend wie der unseren. Der Garten ein wahres Kleinod für junge Wilde wie mich. Viel Platz zum Herumtollen und den Erdboden von unten nach oben zu befördern und wieder zurück.
Übrigens, ich bin Rippe. Diesen Namen haben mir meine Menschen verpasst, als sie mich damals adoptierten.
Täglich waren sie bemüht um mein Wohlergehen. Ich dankte es ihnen mit Gelehrigkeit und immer neuen Späßen. Dann lachten sie so herrlich und es gab ein Extra-Leckerli für mich.
Ihnen die Post an den Frühstückstisch zu bringen, die durch den Briefschlitz an der Haustür zu Boden fiel, hatten sie mir nicht beigebracht. Auf diese Idee war ich von selbst gekommen. Ich glaube, das machte sie echt happy. Darum hatte ich das in meine tägliche Routine übernommen. Sobald sich der Postbote dem Haus näherte, stand ich Gewehr bei Fuß.
Meine Spezies galt als außerordentlich sensibel und intelligent. Daraus folgerte ich, dass all meine Artverwandten so ein hohes Ansehen genossen wie ich in unserer Familie. Außer vielleicht bei denen, die mich aus unerfindlichen Gründen mit einem Teller in Verbindung brachten.
Ich musste wohl etwas sehr Besonderes sein. Die Hausherrin fotografierte mich ständig. Im Regal standen bereits zwölf Fotobücher mit dem Titel ‚Rippchen‘. Und neuerdings drehte sie auch noch Videos, die sie ins Internet stellte. Ein Blog oder so. Eines Tages erzählte sie mir, dass ich inzwischen ein richtiger Online-Star war. Was auch immer das zu bedeuten hatte.
Dann ein Video-Call, bei dem ich zufällig mithörte: «Der ist ja so zuckersüß», säuselte eine Rothaarige auf dem Bildschirm. «Unbegreiflich, dass so viele sie essen!»
Sprach die über mich? Was hieß das? Und wer wurde gegessen? Fragen über Fragen …
Ich kannte nur Vegetarier. Dennoch überkam mich ein schlimmer Verdacht.

Verhängnis

Gestatten? Bello, der Name. Bello von Wittgenstein. Seit dem Tod meines Herrchens lebe ich auf der Straße. Verarmter Adel, sozusagen. Am Anfang war es hart. Keine geregelten Mahlzeiten, und ein warmes Plätzchen zum Schlafen zu finden ist nicht einfach. Besonders im Winter. Aber ich habe mich daran gewöhnt. Und so schlecht ist es nicht. Ich muss keine Befehle mehr befolgen und kann gehen, wohin ich will. Heute ist Pferderennen. Renntage mag ich besonders. Gutes englisches Ale, und beim Gedanken an die vielen Häppchen, die mir vor die Pfoten fallen, läuft mir jetzt schon das Wasser im Maul zusammen. Um meine alten Knochen zu schonen, nehme ich die U-Bahn. In der Bahn sitzt ein kleiner Junge, der seine Kekse mit mir teilt. Und höflich, wie ich bin, gebe ich ihm die Pfote. Als ich aussteige, sehe ich SIE. Das blonde Haar weht im Wind und lange Wimpern beschatten blaue Augen. Welch wunderbare Erscheinung! Ich will mich ihr vorstellen, aber ihr Frauchen zieht sie weg. So schnell gebe ich jedoch nicht auf. Ich folge ihr über die Straße, übersehe das Auto. Ich fühle den Schmerz. Fühle, wie das Leben mich verlässt. Das Letzte, das ich wahrnehme, ist eine weiche Schnauze, die mich sanft berührt.

Nachtschatten

Stille legte sich auf die Straßen wie eine warme, schwere Decke. Die abendlichen Spaziergänger waren mit ihren Hunden längst wieder in ihren sicheren Behausungen verschwunden. Nun kam die Zeit der umherhuschenden Schatten. Das war meine Zeit.
Ich reckte meine Nase in die Luft und schnupperte. Hmmmm, oh ja. Der heutige Streifzug durch die Straßen würde sich lohnen. Es roch lecker nach Fisch, aber auch der Duft von Obst und Gemüse stieg mir in die Nase. Zugegeben, es schwang ein Hauch von Moder und Fäulnis darin, doch das war mir egal. Heute Nacht würde ich ein Festmahl bekommen.
Ich verließ schnell den Schutz der Hecke, zwischen deren Ästen ich mich versteckt hatte. Ich musste mich beeilen, denn ich würde nicht der einzige sein, der diese Leckerei gewittert hatte. Ich schlich, verborgen in den Schatten der Häuser, zielsicher auf den ersten Unterstand zu, unter dem die Menschen ihre stinkenden Fahrwerke abstellten, denn auch dort standen oft ihre Abfallbehälter, in die sie alles warfen, was sie nicht mehr gebrauchen konnten. Ich habe noch nie verstanden, warum diese nutzlosen Tiere so viele Leckereien fortwarfen. Doch mir sollte es egal sein, denn diese Tatsache füllte mir allabendlich den Bauch.
Die schweren Deckel dieser großen Tonnen aufzubekommen hatte mir meine Mutter schon früh beigebracht. Sie hatte mich und meine Geschwister immer ermahnt, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Nur dann konnte man in Ruhe fressen, da sonst die Menschen mit allerlei Gerät bewaffnet und mit lautem Geschrei angerannt kamen, um einen zu verjagen. Meine Mutter war eine kluge Waschbärin!
Aber als ich den Deckel der Tonne zurückklappen wollte, schepperte es laut. Zu Tode erschrocken sprang ich in die nächste Ecke und wartete zitternd auf das drohende Geschrei. Doch nichts geschah. Vorichtig lugte ich aus meinem Versteck hervor. Eine Gartenschere lag neben der Tonne. Die hatte ich gar nicht gesehen. Ich musste dringend vorsichtiger sein. Ich wartete noch ein paar Atemzüge, bevor ich wieder auf die Mülltonne kletterte. Herrlich. Gleich zu oberst lagen Kartoffel- und Gemüseschalen, achtlos in etwas Zeitungspapier geschlagen und gleich daneben die Reste eines großen Fisches. Da hatte mich meine Nase nicht getäuscht. Genüßlich machte ich mich über mein Festmahl her, aber immer mit einem Ohr horchend, ob nicht doch ein Mensch den Unterstand stürmen würde. Oder gar ein Rivale. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hörte ich auch schon ein leises Schnurren ganz in meiner Nähe. Sofort hörte ich auf zu essen. Die Krallen bereit, mein Abendessen zu verteidigen. „Miau, guten Abend Theodor!“, säuselte es plötzlich hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum. Eine große, weiße Katze mit langem seidigen Fell saß auf dem Auto hinter mir und putze sich ausgiebig das Fell. „Choupette!!“, entgegnete ich genervt. „Was treibt dich hier her?“ „Nichts“, entgegnete sie mir und sprang elegant vom Auto. Mit einem Satz landete sie neben der Tonne neben mir. „Die Langeweile vielleicht. Du weißt schon, es ist soo öde bei mir daheim. Was hast du denn da schönes?“ Wie nebenbei reckte sie ihren weißen Kopf, in dem zwei große, intelligente blaue Augen saßen, in meine Richtung. „Hmmmmm“, schnurrte sie. „Rieche ich da Fisch?“ Blitzschnell ließ ich eine klauenbewerte Pfote auf den Fischkadaver fallen und fletschte die Zähne. „Mein!“, knurrte ich sie an. Sollte dieses überkandiedelte Haustier zurück nach Hause laufen und sich dort ihr Whiskas geben lassen. Dieser Fisch gehörte mir! „Ach Theodor, nun hab dich doch nicht so. Als ob ich etwas von diesem gammeligem Abfall haben möchte“ Sie begann wieder, sich fast schon gelangweilt das Fell zu säubern. Eines musste man der Dame ja lassen, sie sah schon recht hübsch aus, mit dem langen, schneeweißem Haar, in dem es an den richtigen Stellen, nämlich in dem runden Gesicht, den Pfoten und dem buschigen Schwanz, braune Akzente gab. Ihre blauen Augen sahen mich herausfordernd an. Um meinen Standpunkt noch einmal zu verdeutlichen, fletschte ich erneut die Zähne. „Lass nur Choupette, er wird dir nichts abgeben, der kleine Vielfraß!“, ertönte plötzlich eine dunkle Stimme, die ich nur zu gut kannte, neben mir. Ich rollte mit den Augen. Jasper! Der hinterhältigste Fuchs in der ganzen Gegend. „Verzieh dich, Jasper!“, zischte ich ihm entgegen. „Das hier ist mein Revier!“ „Ach Theo,“, raunter er, während er gemächlich zu mir und der nervigen Mieze herüber geschlendert kam. „mein Revier, dein Revier. Das spielt doch keine Rolle. In dieser Tonne ist genug für uns alle. Du weißt, dass ich eine Menge hungriger Mäuler zu stopfen habe, also stell dich nicht so an!“ Und mit einem Satz saß er neben Choupette. Die Katze gab ein empörte Fauchen von sich, was der räudige Fuchs ignorierte. Dieser elende Kerl log, dass sich die Balken bogen. Ich wusste, dass es keine Welpen gab, die er versorgen musste. Ich schlug meine Krallen tiefer in den Fisch. Ich wußte, dass auch Jasper es darauf abgesehen hatte. „Verschindet! Alle beide, ich sag’s nicht nochmal!“, knurrte ich. Mein Körper war bis zum zerreißen angespannt. Darauf gefasst, meine Beute mit allem, was ich hatte zu verteidigen. „Ach Theo, immer so angespannt.“, lamentierte der Fuchs und im nächsten Moment sprang er mir entgegen. Die Wucht seines Sprunges traf mich so heftig gegen die Brust, dass es mich von der Tonne katapultierte. Ich hörte Choupette vor Empörung fauchen. Doch ich war nicht dumm. Blitzschnell schlang ich meine Vorderpfoten um den Fuchs und zog ihn so mit zu Boden. Wieder schepperte es. Dieses Mal lauter als vorhin. Zähne fletschend und nacheinander beissend rollten wir über den Boden und warfen so das ein oder andere Gartengerät um, was den Lärm noch erhöhte. „Lass gut sein Theodor. Wir wissen beide, dass ich den Fisch bekommen werde!“, bellte er mir entgegen und schnappte mit seiner langen Schnauze nach mir. Ich sprang hastig zurück, um den messerscharfen Zähnen zu entkommen. „Ich denke nicht!“, schnurrte Choupette triumphierend über uns. Jasper und ich verharrten in unserer Bewegung und schauten beide verblüfft zu ihr auf. Die vermaledeite Katze sprang behende auf meine Tonne. „Seht!“, säuselte sie und wies mit dem Kopf zum Haus. Überall war plötzlich Licht und man konnte bereits die Rufe der Menschen hören. Mist. „Au revoir Jungs!“, verabschiedete sie sich und im nächsten Augenblick hatte sie meinen Fisch in ihrem Maul und war von der Tonne gesprungen und beim nächsten Wimpernschlag hatte sie die Nacht verschluckt. Fassungslos schauten Jasper und ich ihr nach. Dann brach der Fuchs in lautes Gelächter aus, was wie ein viel zu helles bellen klang. „Dieses kleine Biest. Da hat sie uns doch glatt ausgetrickst!“ Wir hörten, wie sich hektische Schritte und laute Stimmen dem Unterstand näherten. „Wie gewonnen, so zeronnen. Komm, lass uns verschwinden!“ Und im nächsten Moment war auch der Fuchs in der Dunkelheit verschwunden. Wehmütig warf ich noch einen letzten Blick auf die offene Tonne. Der Fisch war weg und gleich würden die Menschen hier ein riesen Theater veranstalten, wenn sie mich hier fanden. Also sprang ich behände wieder zurück in meine Hecke, und in ihrem Schutz weiter die Straße hinauf. Weiter zur nächsten Futtergelegenheit, die bestimmt nicht weit war. Der Verlust des Fisches ärgerte mich immer noch. Aber ich war eben nicht der einzige Schatten der Nacht

Ich bin Midnight

Durch die dunklen Gassen der Stadt streife ich, auf der Suche nach Gleichgesinnten.

Mein Name ist meine Bestimmung, denn meine Zeit ist die Mitternacht, wenn die meisten Menschen schlafen. Die Regeln und Hierarchien der Stadtbewohner kümmern mich nicht, denn ich schmiede einen kühnen Aufstand. Mit Schlauheit und Geschwindigkeit versammle ich eine Gruppe von unzufriedenen Kreaturen aus dem Betondschungel, um gemeinsam gegen die Einschränkungen der urbanen Welt zu kämpfen und eine Revolution in der Tiergesellschaft der Stadt zu entfachen.
Man lässt uns im Stich, wenn wir sterben landen wir im Müll. Unsere Existenz ist bedroht.
Doch damit ist jetzt Schluss. Ich bin der Kater, der alles verändern wird.
Die Menschen behaupten, dass es keine Chance gibt, drei aggressiven Katzen zu entkommen, wenn sie angreifen - und das ist wahr.
Also macht euch bereit!
Das Schreien meiner Familie, meiner Kinder, höre ich bereits. Sie wollen leben, genauso wie ich.
Darum hört mich an: Ohne Mitleid, ohne die Hand eines Lebewesens, das uns Liebe entgegen bringt und uns etwas schenkt - egal was -, gibt es für uns kein Leben.
Überlegt es euch. Ihr habt nicht mehr viel Zeit. Mein Name ist Midnight und wir werden kommen. Bald!

Auf der Straße

Ich trotte zur üblichen Ecke, blicke mich um. Keiner ist da. Immer an der Mauer entlang, wo der Wind kalt ist, aber der Regen nicht hinkommt. Ich rieche ihn schon. Der kleine Schwarze mit den scharfen Zähnen hat sein Zeichen an der Wand hinterlassen. Er lernt es nicht. Ich setzte mein eigenes Zeichen.
Geräusche! Jemand kommt. Zweibeiner nähern sich von hinten. Ich beschleunige meine Schritte, schnell um die Ecke, hinter die knisternden Säcke. Aus einem steigt der Duft von Essbarem in meine Nase. Der Duft ist schier unwiderstehlich. Ich zögere. Der Hunger ist seit Monaten mein treuster Freund. Stürmisch wühle ich mit meiner Nase in dem Sack, rupfe mit den Zähnen daran. Die Zweibeiner sind vergessen. Gierig schlinge ich herunter, was ich dort finde. Fleischreste, herrlich, ein Festmahl.

„Sieh mal, der Drecksköter verteilt den ganzen Müll!“

Ich verstehe sie nicht, werfe ihnen aber einen kurzen Blick zu. Zweibeiner. Wollen die etwa an mein Fleisch? Das wird nichts, Freunde. Das ist mein Fleisch. Ich knurre, ziehe die Leftzen hoch. Zweibeiner sind begriffsstutzig, da muss man deutliche Grenzen ziehen. „Verschwindet!“ sagen meine Zähne.

„Der Köter will frech werden.“

Sie kommen näher. Ihr rafft es nicht, oder? Das ist mein Fleisch. Gebückte Haltung, gebleckte Zähne, warnendes Knurren. Deutlicher geht es doch kaum. „Verschwindet endlich.“
Dann ist es zu spät. Der Stock trifft mich mit voller Wucht. Einmal, zweimal. Ich jaule auf, versuche wegzuspringen. Ein Schlag trifft mein Bein. Ich kann nicht rennen. Trotzdem versuche ich fortzukommen, winselnd vor Schmerz und Angst. Steine fliegen mir nach, prallen an mir ab. Doch sie hinterlassen tiefe Wunden.
Prellungen, Blutergüsse, Tage voller Schmerz.
Furcht, Misstrauen, Jahre voller Angst.
Mein Schicksal ist vorherbestimmt.
Abgemagert und geschunden verliere ich meinen Lebenswillen in einem Rinnstein. Schutziges, stinkendes Wasser spült ihn unter mir fort, trägt ihn in einen Gulli, wo er unbeweint versickert.

Heute kann ich euch diese Geschichte erzählen, weil ich gerettet wurde. Heute habe ich ein Heim. Es gibt eine Decke, die mich warm hält, einen Futternapf, der mich satt macht und einen Zweibeinder, der mich liebt. Vertrauen zu entwickeln war nicht leicht, die Angst zu bändigen noch etwas schwerer, aber mit Stolz kann ich sagen: „Ich habe es geschafft.“

Pale Male in New York

Kennt ihr die Stadt, die niemals schläft?
Dort rechnet man im Central Park mit Sarah Jessica Parker und ihrem Mr.Big, jedoch weniger mit mir.
Ich habe mein Nest direkt in New York City errichtet.
An einem Luxus Anwesen.
Ich dachte dort bin ich ungestört und niemand der gehetzten schnell lebenden Menschen würdenNotiz von mir nehmen. Ich legte meine Eier in meinem selbstgebauten Nest ab und brühtete Sie in Ruhe aus.
Es schlüpften 3 stolze Pale Male Küken.

Ich flog jeden Tag mehrmals hoch hinaus, an den vielen Wolkenkratzern vorbei. In der grünen Oase in New York fand ich genug Futter für meine kleinen Nachkömmlinge.

Die Zeit verging und die Kleinen wurden immer größer und auch lauter.
Sie lockten viele Menschen an, die sich nun für mein Nest interessierten. Täglich standen ganze Menschenmengen vor meinem Nest und versuchten einen Blick auf meine Goldstücke zu erhaschen.
Doch ich versteckte Sie sehr gut. Mich selbst konnten Sie gerne fotografieren, es fing an mir zu gefallen.
Ich flog extra riskant auf mein Nest zu um ihnen eine kleine Show zu bieten.

Ich dachte, so bekommen Sie vielleicht nochmal einen Bezug zu der Natur und ihrer Schönheit?
Ob ich es geschafft habe? Was denkt ihr?

Vertan

Das leuchtende Orange sticht verheißungsvoll aus der Menge. Ihre Größe verblüfft mich und ich bin verwundert, dass sie sich bewegt. Vielleicht ist sie frischer als die, die sie mir sonst geben.

Aber wie komme ich an sie ran?

Eine Vielzahl von Menschen versperrt mir den Weg. In acht oder zehn Reihen stehen sie hintereinander am Straßenrand, bunt und laut wie die Pfauen im Volkspark. Sie recken die Hälse, um einen Blick auf die Prozession zu erhaschen, strecken ihre Arme nach oben und grabschen nach allem, was geflogen kommt.

Wo ist sie? Gerade war sie noch da.

Vor mir marschieren sie im Gleichschritt, tragen Uniform, ähnlich der, die mir so vertraut ist. Der Lärm ist ohrenbetäubend, sobald sie in ihre glänzenden Hörner blasen und mit kurzen Stöcken in gleichmäßigem Rhythmus auf die Oberseiten verschieden großer Gefäße schlagen.

Ich sehe sie wieder. Verlockend wedelt sie mit ihrem Grün. Ich muss sie einfach haben.

Sehr langsam geht es weiter. An den Menschenmassen vorbei. Manches Kinderauge glänzt, wenn es mich sieht, andere schrecken vor mir zurück. Ich soll dafür sorgen, dass niemand unter die Räder der Traktoren kommt oder unter die mächtigen Anhänger, die sie durch die enge Schneise manövrieren.

Verdammt, jetzt ist sie in die Menge getaucht wie eine Ente in einen Teich. Ich werde ganz nervös, trete aufgeregt von einem Bein auf das andere.

Menschen, so bunt wie auf der Straße, hängen in den Fenstern der Häuser und fordern die Werfer auf den Wagen heraus. Andere haben Regenschirme aufgespannt, halten sie verkehrt herum, um sich beim Sammeln der Wurfgeschosse einen Vorteil zu verschaffen.

Ich entdecke das Objekt meiner Begierde. Sie drängt sich durch die Menge Richtung Schneise, will sie wohl überqueren. Das ist meine Chance. Ich schnaube, tänzle und steige. Das Gewicht auf meinem Rücken ist plötzlich leichter. Ich sehe mich kurz um, mein Reiter sitzt fluchend auf dem Asphalt. Vor mit teilt sich die Gruppe der Krachmacher. Ich stürme hindurch, erwische die Möhre und beiße hinein.

Ihr Schrei überrascht mich, erst recht der fade Geschmack. Ich lasse enttäuscht von ihr ab. Mein uniformierter Reiter holt mich ein, greift sich ruppig die Zügel und ich weiß, dass es jetzt mächtig Ärger gibt.

Zibbe

„Guck mal Mami, ein Hase!“, krächzt ein Kind hinter mir.
„Oh, wie entzückend.“
Entzückend? Ich sehe an mir herab. Ich bin ein ausgewachsener Feldhase - mit Erde und Dreck beschmiert. Entzückend wäre definitiv nicht das erste Wort, dass mir in den Sinn kommen würden. Aber Menschen waren schon immer komisch. Das Kind beginnt auf mich zuzulaufen. Die Mutter lächelt nur, aber hält es nicht ab.
Ziemlich unhöflich, denke ich. So werde ich meine Kinder sicher nicht erziehen.
In der Nähe bemerken mich in seltsamer Gleichzeitigkeit weitere Kinder. Vermutlich weil das erste fast geschrien hatte. Großartig.
Ich hechte im Park umher. Das hohe Gras bietet mir Schutz, doch den Kindern ist das egal. Der Park ist ihr Großstadtdschungel. Das gefährlichste und das größte Abenteuer, dass ihnen in diesem Alter passieren wird. Und ich bin ihre Beute. Ich schmunzle. Versucht es nur. Ich bin abgehärtet. Angepasst. Schnell. Beinahe tagtäglich verfolgen mich irgendwelche Menschen. Meistens Kinder. Solange sie dabei keine Schusswaffen auf mich richten, macht mir das wenig aus. Ich bin es gewohnt. In meiner Routine schlage ich Haken und springe was das Zeug hält. Ich lasse sie hinter mir im Kreis laufen, bis die Kinder müde sind oder ihre Mütter sie zu sich rufen, weil die Sonne langsam am Horizon verschwindet.
„Darf der einfach so hier rumhoppeln?“, fragt das Mädchen ihre Mutter, als das letzte Kind endlich den Heimweg antritt.
Ich schnaube. Die Parks hier sind für alle da. Auch für Feldhasen. Die Antwort der Mutter höre ich nicht mehr. Ich befürchte, dass es irgendein Blödsinn ist, den ich ohnehin nicht hören will. Auch ich beschließe endlich meinen Heimweg anzutreten. Er ist nicht lange. Ich schlafe an einer etwas abgelegeneren Stelle des Parks - doch eigentlich ist der gesamte Park mein Zuhause.

„Wie ist die Lage?“, frage ich Trabbe, als dieser sich aus der Luft neben mir sinken lässt.
„Die Luft ist rein. Die Menschen ziehen sich alle langsam in ihre Bauten zurück“, gurrt der Tauberich. Das letzte Stück zu meiner Sasse schreitet er neben mir her. Trabbe war ein guter Freund. Zwischen all den Gefahren des Großstadtparks war er wie eine sichere Höhle. „Dass du dir das jeden Tag antust und dich von diesen Kindern jagen lässt.“
„Alles eine Frage der Perspektive“, erwidere ich. „Wenn sie auf mich fixiert sind, entdecken sie nicht, was eigentlich hier versteckt ist.“
„Den Kleinen geht es gut“, sagte er.
„Danke, Trabbe. Fürs Aufpassen aus der Luft.“
„Ich hätte dich ohnehin geholt, wenn irgendetwas gewesen wäre.“
„Ich weiß“, sage ich und meine es so. Mein Blick wandert über die vier Fellknäuel vor mir. Meine Fellknäuel.
„Der ganze Park freut sich über deinen Nachwuchs“, gurrt Trabbe erfreut.
„Die Menschen wissen überhaupt nicht, wie viele es von uns gibt. Und dass wir immer mehr werden“, murmle ich.
„Die Menschen sind schlecht im Teilen, aber wir sind nicht dumm. Wir arrangieren uns. Passen uns an. Das haben wir schon immer getan.“
„Und wir werden es immer tun“, erwidere ich mit einem hoffnungsvollen Lächeln.
„Deine Kleinen sind ein eindeutiges Zeichen dafür“, sagt Trabbe und lächelt zurück.

Schritt für Schritt, atme ich.
Atemzug für Atemzug, ziehe ich.
Dicke Luft steht still um mich herum und ich weiß genau, wie lange ich noch gehen muss, um wieder einen Schluck Wasser zu bekommen.
Zuhause konnte ich trinken, wann immer ich es brauchte.

Die Hitze legt sich wie ein Kettenhemd um meinen Körper, die Abgase benebeln mein Sichtfeld.
Zuhause gab es Wälder und Flüsse, welche mein heißes Blut kühlten und mich bei klarem Verstand hielten.

Das Grau in Grau macht mich allmählich verrückt. Immer wieder berühren mich fremde Menschen und dieses kleine Ding in ihren Händen blendet meine Augen, wenn es ständig aufblitzt.
Zuhause durfte mich niemand anfassen, außer Emilia.

Den lieben langen Tag schleppe ich eine Kutsche hinter mir her, egal ob mir der Rücken schmerzt oder die Hufe brennen.
Zuhause bin ich im Galopp durch saftig grünes Gras geritten, doch heute weiß ich gar nicht mehr, wie sich das genau angefühlt hat.

Der Tag, an welchem sie mich in die Stadt verkauften, schmerzte nur beinahe so sehr, wie die Tränen auf Emilias Wange.
In meinen ersten Wochen bei dem Kutscher, traf ich auf einen streunenden Hund und ich fragte nach einem Ausweg. Dieser lachte nur und meinte: „Einmal verschluckt, immer verschluckt.“

Damals verstand ich nicht, heute sehr wohl. Die Jahre verschwanden sowie mein Wille zur Flucht.
Einmal bin ich weggerannt, doch sie fingen mich wieder ein.
Ein anderes Mal versuchte ich es mit Ungehorsam, aber sie schlugen mit einer Gerte auf mich ein.
Ein letztes Mal stellte ich mich furchtbar krank, jedoch hatte niemand Erbarmen.

Nun stehe ich, auch heute wieder, auf dem gepflasterten Platz vor dem Rathaus und warte darauf, dass ich übergewichtige Touristen durch die Mauern aus Hochhäusern schleppe.
Eine junge Frau starrt mich schon seit geraumer Zeit an, nur kann ich sie in der Ferne nicht genau erkennen.
Erst als die Sonne ihr goldenes Haar erleuchtet und die erste Freudenträne ihre Wange hinabläuft, sehe ich meine Emilia und ich weiß einfach, dass sie mich nun endlich wieder nach Hause holen wird.

Begegnungen

„Bundesverdienstkreuz!“
„Was redest du da?“
„Tolles Wort! - Findest du nicht! Habe ich gerade gelernt.- Sie bekommt es!“
„Du sollst ihr nicht immer zu nahe kommen!“

Dieser Vogel ist unbelehrbar. Wie oft habe ich ihn gewarnt, mit seinem Leichtsinn bringe er unnötig Gefahr über uns. Und sie. Nicht dass wir uns nicht wehren könnten. Wir schon. Aber was ist mit ihr?
Dann packt mich die Neugier: „Hat sie wieder was Leckeres zubereitet?“
Mein Herzensvogel nickt heftig: „Mmmmh. Sie wird uns gleich etwas rausstellen.- Da ist sie schon.“
„Pst! Sprich nicht in ihrer Sprache!“
„Warum nicht? Das macht so Spaß!“
„Es wird sie erschrecken!“
„Wieso?“
„Sie weiß nicht, wie gut wir es können. Und dass wir sie genau beobachten…“
„Erstens hat sie uns zuerst beobachtet, und sie mag uns. Sie findet uns sogar schön. Hat sie gesagt!“
„Zu wem?“
„Zu dem Nachbarn, der sich immer über ihre Musik beschwert und sie anschwärzt bei der Hausverwaltung. Sie beschimpft, wie sie nur diesen schwarzen Totenvögeln etwas abgewinnen könne, die hätten in der Stadt nichts verloren, sollen sie doch raus auf Feld, da könnten sie ihr Unwesen treiben. Da hättest du sie hören sollen! Legte sich ins Zeug mit ihrer Verteidigungrede. Wie im Fernsehen diese amerikanischen Staranwälte. Genial.“
„Und zweitens?“
„Wie? Und zweitens?“
„Auf erstens muss zweitens folgen.“
„Ach so. Ja. Zweitens weiß sie nicht, dass wir sie auch schön finden, sie zurücklieben und dass wir sie beschützen.“
„Wie auch? Und sie soll es nicht wissen. Es ist nur zu ihrem Besten. Und sicherer für uns, unser friedliches Fortleben. Zuviel des Guten an Fähigkeiten macht den Menschen Angst. Dann auch noch sprechen, verstehen sowieso… Wenn die Presse davon Wind bekommt, oder irgendein anderer Klugscheißer, dann geht die Hetzjagd los. Wie du weißt, kommen dann nicht nur harmlose Wissenschaftler. Seit Jahrhunderten wird uns alles mögliche angedichtet, immer wieder neue Varianten. Und Hitchcock hat uns auch keinen Gefallen getan.- Also halte nächstes Mal gefälligst die Klappe!“
„Schnabel.‘“
„Was?“
„Es heißt Schnabel, nicht Klappe.“
„Egal. Schnabel oder Klappe, Hauptsache du quatscht nicht!“
„Gar nicht? Auch nicht rabensisch?“
„Das schon. Aber pass auf, was und wie du krächzt. Sie begreift viel.- Das mit dem Stalker…“
Ich stutze. Mein Liebster steckt einen Flügel unter. Das macht er immer, wenn er verlegen ist.
„Oh. hast du etwa…?“

„Ich musste gar nichts sagen. Sie dachte zuerst, der Stalker ließe sie in Ruhe wegen der polizeilichen Verfügung. Aber dann… hat die Nachbarin ihr erzählt, sie hätte zwei Raben beoachtet, die diesen Typen attakierten. Seitdem käme er nicht mehr. Da wäre wohl die Angst vor den schwarzen Vögeln größer gewesen, als die Lust auf sie.“
„Und? Wie hat sie reagiert?“
„Gelächelt. Und mit einem Kiekser in der Stimme geantwortet: „Da muss ich wohl den Raben dankbar sein.“

Er legt seinen Kopf schräg und schaut mich treuherzig mit seinen glänzenden, schwarzen Knopfaugen an:
„Sie weiß es nicht. Wird es auch nie erfahren, dass wir nur ihr zuliebe den Stalker angegriffen und auf immer vertrieben haben.- Schade.“
Er scheint ein bisschen traurig zu sein und mich überfällt das schlechte Gewissen, ihn vorhin so angefahren zu haben. Ich versuche einzulenken.
„Weißt du noch unsere erste Begegnung mit ihr?“
„Ja, natürlich!“ winkt er ab. „Schließlich erzählen wir es uns immer wieder. Jetzt habe ich keine Lust dazu.“
Ach herrje, er ist beleidigt.
Dabei ist es eine so schöne Geschichte.
Dann ein andermal.

Mein eingeschnappter Vogelliebster hat den Kopf weggedreht.
Ich versuche es schmeichlerisch:
„Nun erzähl schon Schatz, was ist mit diesem Dingsda, du weißt schon… Nicht aussprechen!“ bremse ich ihn gerade noch rechtzeitig. „Krächzte es! Ich versteh dich doch!“
Er plustert sich ein wenig auf, bevor er loslegt: „Das ist ein Spezial-Anhänger. Für besondere Verdienste…“
Das Folgende geht unter in einem Krächzkonzert. Melodisch verständlich nur für mich und meinesgleichen. Und wie es scheint, auch für sie.
Sie lauscht.
Während einige Fenster aufgehen, andere zugeklappt werden, Wortfetzen zu hören sind: was für ein Lärm … verdammte Rabenvögel … wieder diese Krähen … Ruhe … die haben in der Stadt nichts verloren … man sollte sie vertreiben …

steht sie am Balkon mit einem Gesichtsausdruck, als höre sie den Andachtsjodler gerappt.

Ist auch irgendwie so. Melodie einer Großstadt.

Schnirkelgefühle

3 Meter pro Stunde, sagt Google. 3,046 Meter pro Stunde, sage ich.
Und unter uns: Der Untergrund ist entscheidend. Auf sandigem Boden muss ich mich wesentlich mehr anstrengen. Auf Beton kann ich ein paar Minuten heraus holen. Ich habe Erfahrung, Google nerdige Möchtegern-Biologen.

Keine drei Zentimeter vor mir schnirkelt Tante Babsi. Ich kann sie nicht hören, ich fühle sie. Mein ganzer Körper ist mit lichtempfindlichen Zellen besetzt. Ich spüre ihren Schatten. Vor sechs Wochen hatten wir uns am Stadtrand im Garten der Hutschenreuthers zum Familienschnirkeltreffen eingefunden. Verrottete Pflanzenteile soweit die Augenfühler reichten. Das war ein Fest! Der dicke Gerd war auch da. Mit seiner neuen Frau. Bärbel heißt sie oder Gisela. Seht es mir nach, ich habe ihren Namen aussortiert. So wie Gerd sie bald wieder aussortieren wird. Aber der schwarze Streifen auf ihrem Häuschen, der war richtig hübsch. Stille Kalligraphie.

Langsam werden die Tage kürzer. Unsere Wintervorbereitungen laufen. Auf Deko verzichten wir dieses Jahr. Tante Babsi und ich wollen uns einfach nur eine schöne windgeschützte Stelle im Stadtpark suchen. Einbuddeln, fertig und im Frühjahr mit den ersten warmen Sonnenstrahlen wieder raus.
Der Nieselregen streichelt mein Häuschen. Mmmmh, ich mag das. Hier auf dem Gehweg der Forsterstraße komme ich auch schneller voran. Einer Cola-Dose bin ich vor acht Stunden ausgewichen. Babsi ist gut drauf, sie kennt den Weg. Sie ist echt eine coole Tante. Letztens hat sie mir gezeigt, wie ich kleinere Wandreparaturen an meinem Häuschen mit einer Extraportion Kalk selbst erledigen kann.

Mit einem Mal verdunkelt sich der Himmel über uns. Ich fühle ein dumpfes Geräusch. Ich spüre ein Knirschen. Das war nicht der Bus. Wir sind noch nicht an der Emma-Gärtner-Straße. Babsi? Ich erreiche ihr Häuschen. Babsi. Es ist zertrümmert. Ihr Häuschen ist zertrümmert. Ihre Fühler zertreten. Überall liegen Kalksplitter. Und ganz viel Schleim. Ich kann sie fühlen. Ihren Schmerz. Ihre Wut. Ihren stummen Schrei. Ich streiche mit meinem Fühler über ihren Kopf. Ihr Blick geht ins Leere. Babsi. Warte, ich kann mit einer Extraportion Kalk dein Häuschen reparieren. Ich fange sofort an. Bitte bleib wach. Schlaf nicht ein, Babsi. Zusammen schaffen wir das.

Die Weide blüht, das Leben lacht

»Halt, ich will auch mit, ich habe großen Hunger!« Geschwind versuchte ich, den anderen zu folgen, die müssen was Tolles gefunden haben, den Jackpot sozusagen. Und ich strengte meine Flugmuskeln an, für das menschliche Auge kaum sichtbar schlug ich die Flügel auf und ab, um Tempo zu bekommen, zack den anderen hinterher. Ich genoss die ersten Sonnenstrahlen im März. Der Vorfrühling war da, Eis und Schnee endlich vorbei.

Früher siedelten hier ein paar Bauern, mittlerweile wuchs der Ort zu einer riesigen Stadt heran. Sinnlose Anhäufungen von Beton, Teer und Glas, alles überflüssig, wenn ihr mich fragt. So wenige nutzbare Plätze, meist nur Friedhöfe oder aber eben mal ein verwilderter Garten, so wie der hier.

Jeden Morgen schlurfte die Alte mit der kleinen Gießkanne einsam über den gepflasterten Hof. Wie schön hatte sie damals alles mit ihrem lieben Mann angelegt. Gerne erzählten sie ihren Freunden: »Unseren Garten betreten wir nicht mit den Füßen, nur mit dem Herzen«. Liebenswert war er und sollte auch den kleinsten Lebewesen Schutz und Nahrung bieten.

In dem mit Ackersteinen angelegten Steinhaufen waren die Eidechsen heute nicht zu sehen, vielleicht war es ihnen so erdnah doch noch zu kalt. Sie ging vorbei am verrotteten Sandkasten aus Holz, einst von der Enkeltochter heiß geliebt und bespielt. Danach hatten sie ihn für Insekten mit Quarzsand befüllt, sogar mit Hasendraht abgedeckt, damit keine Katze den Sand durcheinanderbringen konnte.

Im Gebüsch beschwerten sich bereits die Spatzen lautstark, die Meisen und Finken sind dezenter. »Ja, ja, ich komm doch schon«, brummelte die Alte und öffnete die Futtertonne. Mit einem Becher warf sie in die alten verrosteten Papageienkäfige Körner, Flocken und Nüsse. Raffiniert flogen die Vögel durch die Stangen ein- und aus. Vor den Elstern und Krähen waren sie gut geschützt und die konnten den Kleinen nichts wegfressen. Weiter hinten im Garten bekamen die Großen ihr Brot ausgelegt.

Die langen biegsamen Zweige der alten knorrigen Weide wehten leicht im zarten Wind. Unzählige Kätzchen blühten schon seit Tagen, einige waren bereits verblüht und fielen herab. Direkt in die flache Schale.

Gerade wollte die Frau auch hier das Wasser auffüllen, als sie mich und die anderen entdeckte. »Oh, wer seid ihr denn? », fragte sie verwundert und lächelte, als sie mit ihren müden alten Augen das Gewusel in der Schale sah. »Welch eine schöne Überraschung!«

Die herabgefallenen Weidenkätzchen hatten Zucker an das Wasser abgegeben und wir naschten daran, bis uns die Bäuchlein wehtaten, na ja, so ungefähr.

Mit unserer Zunge löffelten wir alles durch den langen Rüssel, mampf, hinein. Wie das schmeckte. Der Teller war fast trocken und die Alte dachte: »Ich gieß ein wenig nach.«

So kam ein vorsichtiger Strahl aus der Kanne. HILFE, die unerwartete Wasserflut brachte dennoch einige zu Fall. Wir kringelten im Wasser mit nassen Flügeln umher, schnappten mühsam nach Luft, versuchten oben zu bleiben oder uns vielleicht an einem Blättchen festzuklammern. Nein, wir wollten nicht ertrinken! Ich fiel blubbernd nach unten, meine Beinchen strampelten erfolglos, ich ruderte, alles half nichts.

Schwerfällig kniete sich die Alte hin, erschrocken sah sie die große Not und murmelte: »Was hab ich nur getan? Oh ihr armen Bienchen«. Sogleich schob sie ihre runzlige Hand rettend unter unsere schwarz-weißen Leiber, puh, gerade noch gut gegangen. Sanft hob sie uns in die Höhe, wir schüttelten kurz die Flügel in der Sonne, gleich war alles wieder gut.

Einvernehmlich Fressen, ja das tun wir. Sonst habe ich nicht viel mit meinen Kumpels gemeinsam, schließlich sind wir Solitärbienen vom uralten Stamme der Weiden-Sandbiene (Andrena vaga).

Die kleine Pause hatte gut getan, jetzt aber flogen wir davon. Die Alte beobachtete unsere Flugbahn. Wir sausten direkt in den Sandhaufen unter den Bäumen. Hier, im alten Sandkasten, bauten wir die herrlichsten Nester, jeder für sich, dennoch aber fast ein Dorf. »Ja, hier dürft ihr ewig leben, danke, dass es euch gibt.«

Nachts auf der Museumsinsel

Mit leisen Sohlen schlich der Fuchs um das Museum. Es war dunkel und regenrisch und im leichten pitter-patter des nassen Betons hätte er fast die Menschen überhört.

Wie erstarrt blieb er stehen.

Die Menschen auch.

Sie starrten ihn an. Er starrte zurück.

„Komm her“, flüsterte das weibliche Menschlein und beugte sich nach unten. Der Fuchs zuckte mit der Nase, das Käsebrötchen in der Hand der jungen Frau roch verführerisch. Seit zwei Tagen waren die Mülleimer verschlossen, der Magen leer.

„Er ist so süß, oder?“, sagte der Mensch, die Stimme weiter freundlich.

„Und wahrscheinlich voller Krankheiten“, das Gesicht des Mann kräuselte sich und der Fuchs trat wieder einen Schritt zurück, nachdem er sich vom Käsebrötchen fast hatte versuchen lassen.

„Wirf es hin oder nicht, aber lass mal jetzt gehen“, das tippel-tappel der Schuhe des Mannes war lauter als der Regen auf dem Asphalt.

Mit einem sanften Blick warf die Frau das Brötchen auf den nassen Boden.

„Nimm es ganz schnell“, sie richtete sich auf und warf noch einen letzten Blick auf den Fuchs. Wie eine Statue stand er da, das Fall klebte an seinen kleinen Körper, der Magen knurrte.

Kaum hatten die Menschen sich umgedreht, sprang er nach vorn und griff sich das durchgeweichte Brötchen. Für einen Moment sah er den Menschen hinteher. Musste er dankbar sein? Das Brötchen lag ihm schwer im Magen. Hoffentlich konnte er morgen etwas mehr im Müll erwischen.
Als er das zip-zip-zip von Fahrradreifen im Regen hörte, stahl er sich davon. Zurück in die Schatten des Museum, in dessen Garten er geboren wurde.

Gehörte es ihm oder den Menschen?