•Die Weide blüht, das Leben lacht
»Halt, ich will auch mit, ich habe großen Hunger!« Geschwind versuchte ich, den anderen zu folgen, die müssen was Tolles gefunden haben, den Jackpot sozusagen. Und ich strengte meine Flugmuskeln an, für das menschliche Auge kaum sichtbar schlug ich die Flügel auf und ab, um Tempo zu bekommen, zack den anderen hinterher. Ich genoss die ersten Sonnenstrahlen im März. Der Vorfrühling war da, Eis und Schnee endlich vorbei.
Früher siedelten hier ein paar Bauern, mittlerweile wuchs der Ort zu einer riesigen Stadt heran. Sinnlose Anhäufungen von Beton, Teer und Glas, alles überflüssig, wenn ihr mich fragt. So wenige nutzbare Plätze, meist nur Friedhöfe oder aber eben mal ein verwilderter Garten, so wie der hier.
Jeden Morgen schlurfte die Alte mit der kleinen Gießkanne einsam über den gepflasterten Hof. Wie schön hatte sie damals alles mit ihrem lieben Mann angelegt. Gerne erzählten sie ihren Freunden: »Unseren Garten betreten wir nicht mit den Füßen, nur mit dem Herzen«. Liebenswert war er und sollte auch den kleinsten Lebewesen Schutz und Nahrung bieten.
In dem mit Ackersteinen angelegten Steinhaufen waren die Eidechsen heute nicht zu sehen, vielleicht war es ihnen so erdnah doch noch zu kalt. Sie ging vorbei am verrotteten Sandkasten aus Holz, einst von der Enkeltochter heiß geliebt und bespielt. Danach hatten sie ihn für Insekten mit Quarzsand befüllt, sogar mit Hasendraht abgedeckt, damit keine Katze den Sand durcheinanderbringen konnte.
Im Gebüsch beschwerten sich bereits die Spatzen lautstark, die Meisen und Finken sind dezenter. »Ja, ja, ich komm doch schon«, brummelte die Alte und öffnete die Futtertonne. Mit einem Becher warf sie in die alten verrosteten Papageienkäfige Körner, Flocken und Nüsse. Raffiniert flogen die Vögel durch die Stangen ein- und aus. Vor den Elstern und Krähen waren sie gut geschützt und die konnten den Kleinen nichts wegfressen. Weiter hinten im Garten bekamen die Großen ihr Brot ausgelegt.
Die langen biegsamen Zweige der alten knorrigen Weide wehten leicht im zarten Wind. Unzählige Kätzchen blühten schon seit Tagen, einige waren bereits verblüht und fielen herab. Direkt in die flache Schale.
Gerade wollte die Frau auch hier das Wasser auffüllen, als sie mich und die anderen entdeckte. »Oh, wer seid ihr denn? », fragte sie verwundert und lächelte, als sie mit ihren müden alten Augen das Gewusel in der Schale sah. »Welch eine schöne Überraschung!«
Die herabgefallenen Weidenkätzchen hatten Zucker an das Wasser abgegeben und wir naschten daran, bis uns die Bäuchlein wehtaten, na ja, so ungefähr.
Mit unserer Zunge löffelten wir alles durch den langen Rüssel, mampf, hinein. Wie das schmeckte. Der Teller war fast trocken und die Alte dachte: »Ich gieß ein wenig nach.«
So kam ein vorsichtiger Strahl aus der Kanne. HILFE, die unerwartete Wasserflut brachte dennoch einige zu Fall. Wir kringelten im Wasser mit nassen Flügeln umher, schnappten mühsam nach Luft, versuchten oben zu bleiben oder uns vielleicht an einem Blättchen festzuklammern. Nein, wir wollten nicht ertrinken! Ich fiel blubbernd nach unten, meine Beinchen strampelten erfolglos, ich ruderte, alles half nichts.
Schwerfällig kniete sich die Alte hin, erschrocken sah sie die große Not und murmelte: »Was hab ich nur getan? Oh ihr armen Bienchen«. Sogleich schob sie ihre runzlige Hand rettend unter unsere schwarz-weißen Leiber, puh, gerade noch gut gegangen. Sanft hob sie uns in die Höhe, wir schüttelten kurz die Flügel in der Sonne, gleich war alles wieder gut.
Einvernehmlich Fressen, ja das tun wir. Sonst habe ich nicht viel mit meinen Kumpels gemeinsam, schließlich sind wir Solitärbienen vom uralten Stamme der Weiden-Sandbiene (Andrena vaga).
Die kleine Pause hatte gut getan, jetzt aber flogen wir davon. Die Alte beobachtete unsere Flugbahn. Wir sausten direkt in den Sandhaufen unter den Bäumen. Hier, im alten Sandkasten, bauten wir die herrlichsten Nester, jeder für sich, dennoch aber fast ein Dorf. »Ja, hier dürft ihr ewig leben, danke, dass es euch gibt.«