Seitenwind Woche 6: Großstadttiere

Sprachlos

Wir sind die Könige der Lüfte! Keiner kann uns etwas anhaben. Wir beherrschen die Küsten und alles was dort lebt. Die Menschen, dieses flugunfähige Gewürm, haben wir uns gut gezogen. Sie fahren mit ihren Schiffen auf das Meer und fangen unser Essen. Wir brauchen nur über ihre Netze zu fliegen und uns die Fische bequem heraus zu pflücken. Sie essen uns zuliebe sogar im Freien und wir holen uns im Tiefflug, was sie für uns auf ihre Teller häufen.

Ihre Küstenstädte und Dörfer sind unserer Heimat und wir lassen sie in dem Glauben, dass sie ihnen gehören. Doch wir dekorieren sie mit unserer besonderen Note und freuen uns über ihre Reaktionen. Sie lassen sich so herrlich ärgern. Heute Nacht werden wir uns wieder auf einem ihrer Dächer treffen und unsere nächsten Schritte planen.

Ich bin einer unserer Anführer und habe den Treffpunkt persönlich ausgesucht. Tagelang bin ich über die Dächer geflogen, um das Richtige zu finden, denn wir sind viele.

Die Nacht bricht an und alle sind sie gekommen. Ein paar unserer Kundschafter haben neue Müllhalden entdeckt und die Ausbeutung will sorgsam geplant sein. Zumal wir nicht die einzigen Interessenten sein werden. Der Platz will bewacht und verteidigt werden. Wir diskutieren lange und gründlich. Nur in den dunkelsten Stunden der Nacht gönnen wir uns kurz Ruhe und schlafen ein wenig. In den frühen Morgenstunden endlich ist das Treffen zu Ende und ich ziehe zufrieden wieder meiner Wege.

Ich fliege zum Hafen, denn ich habe Hunger. Mal sehen, was die Fischer für mich gefangen haben, ohne es zu wissen. Nachdem ich mir meine Frühstücksfische stibitzt habe, sitze ich satt und zufrieden auf einem der Betonpfeiler, die zusammen mit einer dicken Stahlkette die Menschen daran hindern ins Wasser des Hafens zu fallen. Sie sind so tollpatschig, diese Zweifüßer.

Zwei davon kommen gerade auf mich zu und ich beschließe, ihnen zu sagen, was ich von ihnen halte. Ich öffne meinen Schnabel, fange an meine Meinung in die Welt zu kreischen, als das Undenkbare geschieht. Einer der Menschen – ich glaube, es ist ein Weibchen – schießt auf mich zu und brüllt mich an!

„Ihr blöden Mistviecher! Die halbe Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ihr eure Jahreshauptversammlung ausgerechnet auf unserem Dach abhalten musstet! Ihr habt rumgekreischt wie die Bescheuerten!“

Mir verschlägt es die Sprache, ob dieser Unverschämtheiten und mein Schnabel klappt langsam zu. Doch sie ist noch nicht fertig.

„Wenn heute Nacht auch nur eine einzige Möwe wieder so einen Radau da oben veranstaltet, dann reiß ich jedem von euch jede Feder einzeln aus!“

Ich bleibe mit halb offenem Schnabel sprachlos auf dem Betonpfeiler sitzen.

Der Weg zu einem Neuanfang, oder ein Herz aus Gold

Ängstlich duckte sie sich noch ein wenig tiefer ins Gebüsch. Mit großen, braunen Augen blickte sie in die für sie fremde Welt hinaus. Was war geschehen? Wo war sie hier? Verschwunden waren die gewohnten Geräusche. Weg die heimischen Gerüche.
Hatte sie etwas falsch gemacht? Bisher waren ihre Menschen immer nett zu ihre gewesen. Bei schlechtem Wetter durfte sie sich ins Warme kuscheln, sie bekam regelmäßig zu fressen und wurde hin und wieder sogar gestreichelt. Am Bauch, dort wie sie es am liebsten hatte.
Dann hatten ihre Menschen sie mit auf einen Ausflug genommen. Etwas, was sie sonst nie machten. Sie wurde lange in dieses sich bewegende Ding gesteckt. Es war ohrenbetäubend laut und roch merkwürdig.
Später waren sie gemeinsam ein kleines Stück gelaufen. Nicht weit, das war für sie inzwischen zu anstrengend.
Nur einen Augenblick, einen Moment hatte sie nicht aufgepasst. Plötzlich waren sie weg. Hatten sie verlassen. Sie war allein. Und egal wie lange sie suchte, ihre Nase hatte die vertrauten Gerüchte nicht mehr finden können. Verwirrung und Angst drohten sie zu überwältigen. Ihre Umgebung erdrückte sie mit fremden Eindrücken. Stinkende, rollende Dinger, laute Menschen, bellende Hunde.
Dann hatte sie endlich einen sicheren Ort gefunden. Dort war es friedlich und still. Der Geruch nach frischer Erde und Moos hing in der Luft. Das Merkwürdige waren einzig die senkrecht im Boden steckenden Steine. Doch von denen schien keine Gefahr auszugehen.

Seit zwei Tagen verharrte sie schon in ihrem Versteck. Ihr Magen rumorte laut, das Wasser aus der Pfütze konnte ihren Durst kaum stillen.
Sie hob den Kopf. Spitzte die Ohren. Da war etwas! Sie schnupperte aufmerksam. Da kam ein Mensch in ihre Richtung. Eine Frau. Ihr Schwanz zuckte in freudiger Erwartung und hielt mitten in der Bewegung inne. Was, wenn sie eine Bedrohung darstellte?
Sie fiepte unruhig, wollte aufspringen, davonlaufen. Doch sie konnte nicht. Also duckte sie sich noch tiefer unter den Busch und verharrte regungslos. Die Schritte kamen näher. Hielten direkt vor ihrem Versteck.
Vorsichtig wurde ihr eine Hand entgegengestreckt. Nervös nahm sie den fremden Geruch in sich auf. Der Duft dieses Menschen umhüllte sie, warm und einladend. Ihr Schwanz klopfte zögernd auf den harten Boden. Die Stimme der Frau war sanft und beruhigend. «Keine Angst Mädchen. Du und deine Welpen seit jetzt in Sicherheit.»

Stadtschweine …

… haben es wahrlich nicht leicht. Laut einer aktuellen Umfrage fühlen sich über 90 Prozent der Stadtschweine von den Menschen ausgegrenzt und ignoriert. Oft wird der Gruß des Schweines überhaupt nicht erwidert, was zu Enttäuschungen führt. Wenn es in seltenen Fällen doch mal zu einem Abendessen zwischen Sau (oder Eber) und Mensch kommt, wird das Schwein auf sein Fleisch reduziert. Es ist daher nur logisch, dass die meisten Stadtschweine die Menschen meiden und tagsüber schlafen, um lieber nachts den Geschäften nachzugehen - und der Kultur!

Kaum ein Mensch weiß von der schweinischen Subkultur, und im Gegensatz zum kulturellen Allesfresser namens Mensch hat das urbane Schwein einen ausgezeichneten Kunstgeschmack. Es organisiert und trifft sich zum Beispiel in Literaturkreisen, um ältere oder aktuelle Texte zu besprechen. Hunderte Schweine sitzen dann dicht gedrängt in dem großen Hörsaal der Universität und diskutieren lebhaft. Oder sie lauschen andächtig und gewissermaßen schweinehaft, wenn ein Autor oder eine Autorin vorliest. So wie Freitagnacht, als eine Nachwuchsautorin die folgende absurde Kürzestgeschichte präsentierte, die - das ist nur meine bescheidene Meinung - weder inhaltlich noch formal überzeugt, aber beim Publikum sehr gut ankam, weil sie sich über zwei Menschen lustig macht und mit dem Topos der Unterlegenheit menschlicher Kunst spielt:

Das war der schönste Augenblick seines Lebens: 500 Menschen jubelten ihm zu. Sie applaudierten zwar nicht, das fiel ihm auf, aber sie strahlten und grölten. Er hatte es geschafft und nun, mit 35, endlich die ersehnte Anerkennung erhalten. Er trat einen Meter neben das Mikrophon, verbeugte sich tief und fasste sich mit der rechten Hand in Richtung Herz, um anzudeuten, wie bewegt er war: tief bewegt. Was für ein Triumph! Natürlich auch ein Triumph der Kunst, der Lyrik, in deren Dienst er stand. Er würde noch ein bisschen hier oben auf der Bühne bleiben und den Beifall genießen. Dann bemerkte er vereinzeltes Gelächter aus rosa Gesichtern, das immer lauter wurde und zu einem ohrenbetäubenden höhnischen Grunzen anschwoll. Aber warum? Schließlich kramte er den Zettel wieder hervor und las nach, was er eben vorgetragen hatte:
„Am Firmament der Leidenschaft /
hab ich die letzte Nacht verbracht.“
‚Daran kann es also nicht liegen‘, dachte er, aber das Gelächter nahm kein Ende. Mit gesenktem Kopf verließ er die Bühne und beschloss, in Zukunft doch eher Bilder zu malen. Er bereute den Auftritt: ‚Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich doch nie gedichtet.‘ Das Gelächter aber verstummte nicht, und er wurde wütend. Er kletterte zurück auf die Bühne, wollte etwas sagen wie: „Ich bin gespannt, ob ihr ein besseres Gedicht findet!“ Jetzt stand er wieder oben, plusterte sich auf und fuhr die Ellenbogen energisch aus: „Ruhe, bitte! Ich…“ —
„He!“ wurde er von der Seite angefahren. „Was haust du mich! – Außerdem schnarchst du. – Hattest du wieder diesen Traum?“
„Ja“, sagte er und klagte: „Leider konnte ich mir das Gedicht wieder nicht merken. Weißt du: Es ist wirklich gut. Ein kleines Meisterwerk.“
„Natürlich. Und jetzt schlaf weiter. Du musst morgen früh raus und die Schweine füttern.“
„Ist gut. Mutti.“

Die Autorin klappte ihr Buch mit einem Knall zu. Das Publikum holte fünf Sekunden lang Luft, und dann lachten, klatschten und grunzten die versammelten Schweine in voller Lautstärke, und es war, als habe sich ein Ventil geöffnet, aus dem nun all der Ärger über die Knechtung durch die Menschen entwich, zumindest für den Moment. Und als sich die Autorin dann noch einmal zu Wort meldete und dem Publikum erklärte, man könne den Menschen immerhin für den Bau der Städte und die Erfindung der Urbanität dankbar sein, da beschloss ein wohlwollender Paarhuferapplaus die wunderbare Literaturnacht.

Großstadtdschungel

Der Grunewald ist mein Paradies mitten in Berlin. Hier verbringe ich die Tage unter Kiefern und Eichen, finde Schlafplätze im Gehölz. Bei Sonnenuntergang verlasse ich den Forst und besuche die parkähnlichen Gärten der nahegelegenen Villen.

Die Marmorsäulen vor dem Eingang der „Villa Mondäna“ schimmern im Mondlicht. Links von mir plätschert ein Springbrunnen. Ich kauere mich ins feuchte Gras, krieche in Richtung des Komposthaufens. Zwei mal pro Woche türmt der Gärtner hier mit Eicheln und Kastanien gewürzte Gartenabfälle auf, die Köchin entsorgt dort Essensreste. Angeschnittene Steaks aus Kobe-Rindern, Gänsekeulen, saftige Fasanenbrust. Ein ganzes Ferkel am Spieß verweste bei meinem letzten Besuch auf dem Abfall. Ein verstörender Anblick!
Hinter mir knarrt die Haustür aus Eichenholz. Ich husche in den Schutz einer Thuja-Hecke und spähe zum Villenportal.

Der Hausherr tritt heraus, steckt sich einen Ast zwischen die Lippen. Feuer flammt auf. Er nestelt an den Knöpfen seines knielangen Wildledermantels, schlägt den Fellkragen hoch, dreht sich zu seiner Frau und winkt ihr mit dem qualmenden Ast zu. „Kurz frische Luft schnappen, eine Runde um den Park. Danach machen wir es uns gemütlich!“ Er lächelt.
„Genieße es, Schatz! Falls du einem Wildschwein begegnest, halte Abstand, strahle Ruhe aus und entferne dich!“
„Und wenn es ein Löwe ist?“ Beide lachen. „Zum Glück leben wir nicht in Kleinmachnow!“, ruft der Wildleder-Mann und streckt das Kinn vor.
Die Tür fällt ins Schloss. Ich pirsche unter der Hecke hervor. In den Kastanienkronen raschelt es. Ein Windzug schleppt Aasgeruch vom Komposthaufen heran. Ich rieche den Mantel, er duftet nach Antilopenhaut. Mir tropft Speichel aus dem Maul. Ich fahre mit den Krallen durch meine Mähne, unterdrücke ein Grollen. Dann springe ich auf, fauche, hetze los. Ein weiterer Tag im Paradies!

Ein altes Stück

Bin eine Stechsaugmücke,
eine bluthungrige Rüsseltücke.
Meine Reisezeit ist vorbei,
erstarre nun stumm im Schrei.

Sirren in kalten Lüften fällt mir schwer,
wie bald schlagen meine Flügel nicht mehr
Wird mein Schatten im Lampenlicht entdeckt,
schnelle Hand mit Wut mich niederstreckt.

Warte nur ein gutes halbes Jahr,
ist Sommer sind meine Kinder da,
piesacken mit Rüsselstichen,
um Erinnerung aufzufrischen.

Is wie is

Ich wollte, ich wäre eine Ameise. Dann wäre ich klein und wendig. Wäre Teil eines Teams. Aber ich bin keine Ameise. Ich bin nicht klein und nicht wendig. Und ich gehöre zu keinem Team. Oder doch – ich bin Team ICH!

Der Gedanke heitert mich auf. Vergnügt schnuffelnd genieße diesen den Moment und seine Gedanken zwischen Schlafen und Wachen. Die Sonne muss gerade untergegangen sein. Glaube ich zumindest. Die Laterne gegenüber verunsichert meine innere Uhr. Meinen Magen nicht. Er grummelt.

Noch einmal strecke ich mich genüsslich in meinem Bau. Eine Zeitung und etwas Laub bieten mir ein komfortables Heim. Der Ausgang ist gerade groß genug für meinen Kopf. Vorsichtig luge ich hinaus. Direkt vor meiner Tür liegt der Park. Eine riesige Landschaft voller Verlockungen. Mein Zuhause. Für jetzt.

Herrlich ist es hier um diese Zeit. Die Menschen sind gegangen und haben ihren Lärm mitgenommen. Das Gras wird langsam nachtfeucht, erdiger Duft steigt auf. Auch zu mir. Trotz kurzer Beine und vorwinterlicher Rundungen schaffe ich es blitzschnell aus meinem Versteck. Schaue einmal ins Rund.

Ich weiß genau, wohin ich gehe. Dort hinten an der Bank gab es gestern reichlich Leckeres. Praktisch an Menschen ist, dass sie nicht essen können. Ständig liegt Angebissenes vom Rind, Runtergefallenes vom Getreide oder Ausgespucktes vom Wer-Weiß-Das-Schon auf dem Boden. Man muss nur zubeißen.

Ich tipple los. Feuchtes Gras kitzelt meine Füße und den Bauch. Ich schnaufe. Wenn ich es über den garstigen Kies unter der Laterne geschafft habe, ist es nicht mehr weit. Gerade steht mein erster Fuß auf dem kratzigen Grund, als mich eine schrille Stimme lähmt.

»Ach, der feine Herr ist wieder da.«

Mist. Edda. Ich würde sie unter Millionen heraushören. Wie habe ich Edda geliebt. Und sie mich. Wir konnten und wollten uns nicht zurückhalten. Haben uns umgarnt, geknutscht, gekuschelt und … na Sie wissen schon. Es war verrückt. Wir waren verrückt.

Das Weib, das nun dort steht, hat mit meiner Sommerromanze rein gar nichts zu tun. Sie ist rund. Nein eher zeppelinförmig. Die ehemals schönen Beine sind im Grunde mit dem Körper verschmolzen. Und sie ist sauer. Die Stacheln sind aufgestellt, schwarze Augen funkeln mich an.

»Äh, hallo Edda. Wie geht´s denn immer so?«

»Wie geht´s denn immer so? Wo warst du? Was hast du dir gedacht? Einfach so abgehauen bist du und ich durfte die Kinder großziehen.« Das Weib poltert. Ich versuche es auf die Pragmatische.

»Edda, wir sind Igel. Einzelgänger.«

»Du hast mir geschworen, dass du anders wärst.«

»Edda, ich wollte, das wäre ich. Ich wollte… ja, ich wollte, ich wäre eine Ameise. Dann wäre ich klein und wendig. Wäre Teil eines Teams. Aber ich bin keine Ameise. Ich bin nicht klein und nicht wendig. Und ich gehöre zu keinem Team. Oder doch – ich bin Team ich.«

Während ich mich über den Kies manövriere, brüllt Edda: »Hoffentlich haben deine Kinder diese Macke nicht geerbt.«

Ich höre kaum hin. Von rechts duftet es nach Weggeworfenem vom Apfel.

Raubzug

Langsam gehen die Lichter in der lauten Wüste aus. Das stetige Brummen wird etwas erträglicher und es die Dunkelheit senkt sich Schützend darüber. Nur noch ein kurzer Augenblick.
„Los!“, zische ich in die Dunkelheit, bevor wir uns langsam, einer nach dem anderen aus dem schützenden Dickicht der Bäume wagen. Ohne die Kleinen natürlich. Zu gefährlich. Das letzte Mal…. Lieber nicht daran denken. Sie bleiben sicher im Wald.
Eilig über eine umgegrabene Wiese, auf steinernen Wegen, immer der Nase nach. Der Wind bringt eine wilde Mischung aus Gerüchen. Ist das…Verbranntes Gummi? Irgendwelche vergorenen Früchte? Naja, man nimmt, was man bekommt. Die anderen steuern schon auf den üblichen Ort zu. Die Menschen streben tagsüber in Scharen her, wie Bachen um eine reich tragende Eiche. Und abends füllen sich die Kisten im dunklen Hinterhof mit einer ganz leckeren Mixtur aus dem, was übrigbleibt. Es riecht deutlich besser als der Rest der Stadt. Kartoffeln, Karotten, Fleisch, Salat…allen läuft das Wasser im Munde zusammen.
Nur sind die Kisten heute verschlossen. So sehr wir es auch versuchen, an das zu kommen, was so verlockend duftet, es lässt sich keine Öffnung finden. Die Menschen wollen es doch nicht mehr, also warum nicht mit uns teilen? Wir lassen sie doch auch in unseren Wald. Krachend stoße ich mit dem Kopf gegen die Kiste, doch es ändert auch nichts.
Licht! Woher? Wir nehmen reißaus, bevor wir dazu kommen es festzustellen. Wahrscheinlich jemand, der nach dem Lärm gesehen hat. Nur weg, um nicht den brüllenden Stöcken zu begegnen, die mit ihrem Schrei das Fleisch zerreißen. Manchmal kommen die Menschen damit in den Wald, hier müssen sie dutzende mehr davon haben. Lieber kein Risiko eingehen.
Wir flüchten über die steinernen Wege, zu einem weiteren Ort, an dem es früher etwas gab. Ein Gebäude mit einem großen, blau leuchtenden Dreieck auf dem Dach.
„Glück gehabt!“, vermeldet jemand von vorne. Und tatsächlich, kistenweise Brot! Sofort beginnen wir, uns die Bäuche voll zu schlagen, es ist genug für alle da. Die Nacht ist uns gnädig, denn niemand stört uns, bis niemand mehr einen Bissen herunterbekommt. Jetzt nur zurück in den sicheren Wald. In Reihe, hintereinander, den gewohnten Wegen nach.
Ein schrilles Kreischen durchdringt meine Knochen, der Weg vor mir wird in Licht getaucht und etwas beginnt zu dröhnen. Eine ihrer schnellen Kisten! Ein kurzer Blick in die Gruppe. Puh, noch einmal gut gegangen. Nur weg, bevor der Mensch auf die Idee kommt, auszusteigen.
Satt in wieder in Sicherheit. Heute. Doch was, wenn sie weiter ihre Kisten verschließen? In den Wald kommen und sich nehmen, was ihnen beliebt, aber dann nicht mit uns teilen wollen, was sie nicht mehr brauchen?
Sorge für einen anderen Tag. Heute wollen die Frischlinge gesäugt werden.

Ich liebe das Stadtleben

Genüsslich esse ich ein Stück Käse aus einem weggeworfenen Sandwich und geniesse dabei die wunderschöne Aussicht auf den Vierwaldstättersee und die umliegenden Berge. Ich liebe das Leben in der Stadt Luzern. Besonders früh morgens und spät abends. Dann, wenn alles noch schön ruhig ist und die Lichter friedlich vor sich hindämmern.

Eigentlich mag ich die Menschen, aber leider mögen viele mich nicht.
Sie behaupten, Ratten seien unsaubere Tiere und übertragen nur Krankheiten.
Das stimmt aber nicht, denn wir sind sehr saubere Genossen.
Vereinzelt gibt es Menschen, die sich über mich freuen und mir sogar etwas zu essen geben, aber die meisten ekeln sich vor mir und schreien so laut, dass ich nur noch die Flucht ergreifen kann.

Mir ist aufgefallen, dass gewisse von ihnen in meiner Umgebung viele grüne Behälter mit Nahrung deponieren. Einige meiner Freunde, die dort etwas gegessen haben, waren danach tot. Ich habe daraus gelernt, dass man nicht allen Menschen vertrauen kann. Aber zwischenzeitlich habe ich sehr gute Menschenkenntnisse entwickelt und weiss, wer es gut mit mir meint.

Manchmal, wenn mich der Hafer sticht, und ich Lust verspüre, wieder jemandem kurz vor der Arbeit den Puls zu erhöhen, schleiche ich langsam dem Quai entlang und flitze wie ein Knallfrosch durch das Bushäuschen. Nach diesem Gekreische sind dann bestimmt alle wach.

Zum Wohle aller

Gerüche katalogisieren: Zimt. Orange. Schmalzgebäck. Waffeln. Kartoffeln, frittiert. Tomaten, süß. Wurst. Mandeln, gebrannt. Zuckerwatte. Der himmlische Duft lockt sie auf die Straße hinaus.
Es ist wieder diese Zeit des Jahres! Die Möglichkeit, sich die Bäuche bis zum Platzen vollzustopfen. Sich in Völlerei zu verlieren. Von einem Stand des Weihnachtsmarkts zum nächsten zu taumeln, eine Köstlichkeit nach der anderen zu verschlingen. Ein Schlaraffenland. Paradies auf Erden.
Es ist auch die Zeit des Kämpfens. Wenn Schneestürme, die Straßen der Großstadt vereisen, lauert in der unbarmherzigen Kälte der Tod. Der Winter ist ihr so verhasst, so sehr verhasst. Es geht um das blanke Überleben. Der beste Platz auf dem Weihnachtsmarkt wird darüber entscheiden, ob sie es schaffen. Sie und ihre Anhänger. Dreizehn Krieger sind es. Sie ist ihre Anführerin, ihre Prinzessin. Die Müllprinzessin.
Eine Ratte. Die größte Bevölkerungsgruppe hier in New York. Ihr Rudel ist das stärkste. War es zumindest gewesen. In dem letzten Blizzard haben sie Sieben und Vier verloren. Eins und Neun fehlen nun Zehen und Pfoten. Festgefroren waren sie.
Ihr ist wieder schmerzlich bewusst geworden, wie flüchtig Macht ist.
Würde sie sich nicht ihr Territorium bei den Fressbuden sichern können, wäre ihre Herrschaft zu Ende und mit ihr die Existenz ihres Volks. Die Verluste sind herb gewesen. Die Feinde wittern ihre Gelegenheit. Es sind so viele, vielleicht zu viele.
Daran darf sie jetzt nicht denken. Es ist wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren, für ihre Freunde, Familie, ihre Krieger.
Gerüche katalogisieren: Glühwein, verführerisch, gefährlich. Heiße Schokolade mit Schuss, verführerisch, gefährlich. Eggnog, verführerisch, gefährlich. Unerfahrenen Ratten können sie hier eine Falle stellen. Sie hätte auf dieses Wissen verzichten können. Ihr geliebter Vater hatte dafür sein Leben gegeben.
»Zwei und Drei, hier stationieren. Haltet euch an die Sahne!«, wies sie die beiden Krieger an. »Neun und Sechs, nur die Orangenscheiben!« Sie schwärmen aus.
Auch wenn die Prinzessin weiß, dass sie schlau sind, schlau und stark, bleibt immer die Angst, ihre Freunde das letzte Mal zu sehen. Das ist der Preis, den man bezahlen muss, wenn man regiert. Zum Wohle aller schwierige Entscheidungen treffen, Verluste hinnehmen. Trotzdem schmerzt jede Ratte, die nicht zurückkommt.
Weiter erkunden. Den perfekten Ort finden, sich zu positionieren.
Schutz vor dem Winter. Schutz vor Feinden. Nahrung. Wärme.
Fünf hat etwas gefunden. Hier, der Hotdog-Stand. Perfekt! Ein Schlitz zwischen den Brettern reicht, um sich Zugang zu verschaffen. In der Dämmung zwischen dem Holz können sie sich niederlassen. Es gibt nur diesen Eingang, kein Feind kann sich unbemerkt hineinschleichen. Ideal, um ihre jungen Krieger großzuziehen.
Eins mag eine Pfote eingebüßt haben, um Nachwuchs kann sie sich trotzdem kümmern. Sie soll hier zusammen mit Elf die Stellung halten. Zwölf und Acht in freudiger Erwartung. In der Dämmung ist ihr Nachwuchs nicht zum Tode verurteilt. Sie können es schaffen.
Die Prinzessin spürt ein Gefühl in ihrer Brust wachsen. Hoffnung. Sich satt fressen, bis die Bäuche platzen. Von einer Leckerei zur nächsten wanken. Ihr Volk kann wachsen und gedeihen – selbst in dieser Todeskälte.
Wütendes Piepsen dringt an ihr Ohr. Zwei Stände weiter. Sie hüpft darauf zu. Die Prinzessin muss sichergehen, ob weitere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen sind. Zehn und Dreizehn begleiten sie. Es ist zu gefährlich, alleine zu sein.
Zu spät bemerkt sie ihren Fehler.
Das Piepsen ist nicht wütend gewesen. Es sind Warnrufe. Katze. Katze. Katze. Katze.
Sie hat Zehn!
Die Prinzessin hört ihn brüllen. Flucht oder Angriff? Flucht oder Angriff? Sie sind bereits so wenige. Wie viele Verluste schafft ihre Gemeinschaft noch? Nicht ihren. Sie ist die Prinzessin. Sie muss überleben.
Sie rennt, rennt, rennt.
Und findet den Hotdog-Stand verschlossen vor. Hässliche Abdichtmasse klebt zwischen dem Schlitz, durch den sie geschlüpft sind. Von drinnen hört sie die panischen Schreie von den Kriegern und das Piepsen der Babys. Hoch, schrill, verzweifelt. Gerade erst geboren und schon dem Tode geweiht, wenn die Prinzessin tatenlos blieb.
Sie beginnt an der Masse zu knabbern, schmeckt aber den bitteren Nachgeschmack auf ihrer Zunge. Frisst sie weiter, stirbt sie daran. Ihr Leben ist zu kostbar. Sie stoppt. Doch was tun? Sie kann doch nicht alle sterben lassen. Noch das Fiepen der Babys in den Ohren, eilt sie davon, um Hilfe zu holen. Ansonsten sind sie verloren. Die Prinzessin springt zu den Ständen mit heißer Schokolade und Glühwein. Ihre Krieger sind schlau und stark! Aber nicht schlau genug. Sie haben das Rattengift nicht erkannt. Zu unerfahren. Ihre Körper nicht stark genug, gegen das Gift anzukommen.
Gerüche katalogisieren: Es riecht nach Verlust.
Was ist eine Prinzessin ohne Volk? Nur eine einsame Ratte.

Alle meine Entchen …

Wir sind die Armada. Wo ihr auch hinkommt, wir sind schon da. Kein Ufer dieser Stadt ist frei, alles gehört uns. Und wenn ihr denkt, ihr seid genug, um uns das Paradies streitig zu machen, denkt noch einmal scharf nach. Wir sind mehr - immer.
Ein warmer Nachmittag, einer der letzten vor der kalten Zeit. Wir paddeln herum, schöpfen müßig Wasser, hin und wieder gründelt einer. Dann wird der Ruf laut, es wären wieder Paradieser erschienen. So nennen wir diese Wesen, die am Ufer entlang spazieren und das Paradies Wirklichkeit werden lassen. Wenn sie kommen, regnet es häufig Nahrung.
Der Kapitän unserer Flotte gibt das Signal zum Sammeln. Einer wird losgeschickt, den Admiral zu informieren, der aktuell eine andere Flotte beaufsichtigt. Da hat es gestern Probleme mit Blässhühnern gegeben, freche Biester. Wird er klären und uns die Vormachtstellung erneut sichern. Heute jedoch sind wir die, sie dich beweisen müssen.
Als wir auf den Anlandungsort der Paradieser Kurs nehmen, entdecken wir nämlich, dass wir nicht die ersten sind. Stattdessen sind bereits fünf andere dort, die aufgeregt nach den Krumen schwimmen, die die Paradieser regnen lassen. Fünf und ein Schwan, aber den ignorieren wir. Der ist nur einer, Schwäne sind selten eine echte Gefahr. Aber die fünf anderen …
Der Kapitän gibt den Befehl zum Angriff und wir werfen uns in die Schlacht. Wir schlagen mit den Flügeln und schnappen nach Schwanzfedern und das reicht, um die fünf die Flucht antreten zu lassen. Fünfzig gegen fünf mag nicht fair sein, aber effizient. Jetzt sind wir an der Quelle und streiten uns um das Bankett der Sieger. Die Fremdlinge schauen aus der Ferne zu, sichtlich enttäuscht. Aber so ist das nun einmal. Es können nicht alle Gewinner sein.
Wir sind die Armada. Nehmt euch in Acht.

Aus dem Leben eines Turmfalken

Es war ein lauer Sommermorgen, als Titus Turmfalke beschloss, aus seinem ländlichen Domizil in Ammersbek nach Hamburg Altona zu fliegen, um dort Vetter Albert zu besuchen, der sich gerade in einer schwierigen Phase seines Lebens befand. Seine Frau Tilla war wenig amüsiert über Titus´ Pläne, aber da sie selber aus einer Großfamilie stammte, konnte sie seinen Wunsch nach familiärem Zusammenhalt in Übergangszeiten gut verstehen und ließ ihn ziehen.
„Du bist aber in den nächsten Tagen zurück! Die Kinder brauchen ihren Vater!“, gab sie ihm mit auf den Weg und schenkte ihm einen liebevollen Blick aus ihren dunkelbraunen Augen.
Titus flog los, ließ Frau und Brut, Landnest und Biofutter hinter sich, um mit Albert dessen Junggesellenabschied im wilden Hamburg zu feiern. Albert wohnte in Altona, dem Multikultiviertel mit lauter spannenden Örtlichkeiten und bot alles, was sich ein Turmfalke aus Hamburgs Speckgürtel wünschen konnte: reichlich alleinstehende Turmfalkinnen und Unmengen Mäusefutters und dazu sogar eine nicht geringe Spatzenpopulation! Das würde eine tolle Zeit werden, glaubte Titus und freute sich auf einen unbeschwerten Abend auf der Vergnügungsmeile Reeperbahn, wo all die leichten Falkinnen auf und ab stolzierten. Viele Stand- und Strichvögel baten da aufregende Stunden oder Minuten an. Die schwankenden Türme waren genau das richtige Ambiente für einen Junggesellenabschied!
Vetter Titus lebte erst seit Kurzem direkt an der Elbe. Seine Frau hatte ihn wegen eines Falken vom Lande, irgendwo bei Pinneberg, verlassen, als die Nestlinge gerade flügge geworden waren, und so kam eines zum anderen. Als alleinerziehender Vater hatte er wenig Zeit für die Partnerinnensuche gehabt und kein Falke, der auf sich hielt, lebte dauerhaft alleine. Auf der Partnerbörse im Michel hatte es dann gematcht und morgen wollte Albert seine Elsbeth in sein Nest führen.
„Letzter Abend als Junggeselle!“, stöhnte Albert. „Es ist echt nicht leicht, sich um alles zu kümmern.“
Albert und Titus hatten es sich in dem Nest mit Elbblick gemütlich gemacht und knabberten an einer der Feldmäuse, die Titus von unterwegs mitgebracht hatte.
Titus musterte Albert irritiert. „Worum kümmerst du dich denn?“
„Dir sieht man an, dass du nicht weißt, was es heißt, ohne Frau zu leben! Die Kinder! Was meinst du, was das für eine Arbeit macht! Den ganzen Tag wollen die gefüttert werden und bespielt. Ich musste anfangs sogar Regenwürmer anschleppen, weil eines der Lüdden Schluckschwierigkeiten hatte! Du hast keine Minute für dich. Ich habe es nicht mal geschafft, zum Sport zu fliegen, nachdem meine Gerda mit diesem Dorftrottelt durchgeflogen ist!“
„Und mit Elsbeth hast du einen guten Griff getan. Sie kommt aus gutem Nest, ist klug und gebildet und hat einen Flügelschlag… Da kommt ein echter Flieger schon mal ins Träumen. Allein dieser Rüttelflug…“ Titus kannte Elsbeth von der Flugschau im letzten Jahr, sie hatten sich beim Gleitflugtraining für Fortgeschrittene kennengelernt und manche Höhen und Tiefen im Paarflug gemeistert.
Albert warf Titus einen Seitenblick zu, vertiefte sich dann aber wieder in die Feldmaus, die vor ihm lag.
„Leckeres Stück, Titus! Danke nochmal. Die Sicht auf den Hafen ist hier unglaublich, aber das Futter, das rumläuft, manchmal von mieser Discounterqualität. Halbtotes, krankes Viehzeug. Kaum zu genießen. Da wird Elsbeth weit fliegen müssen, um uns satt zu bekommen.“
Titus war verblüfft und auch ein wenig oder auch mehr erbost. Er kannte Vetter Albert als nicht sonderlich engagiert, aber für sein Futter musste ein anständiger Turmfalke schon selber sorgen!
„Aber du weißt ja, ihr Flügelschlag ist ungeheuer. Sie wird eine gute Frau und Mutter sein. Ein bisschen jung vielleicht, aber dafür umso oho!“, lachte Albert vor sich hin.
Titus gefiel diese Anzüglichkeit und das Geschwafel seines Machovetters immer weniger. Er bereute schon, die Feldmäuse mitgebracht zu haben, da Albert augenscheinlich meinte, andere wären für sein leibliches Wohlbefinden zuständig. Als es dunkel wurde, kamen die Großstadtfalken aus der Turmfalkenmukkibude in Bahrenfeld zum Nest mit Elbblick, um auf die große Sause zu fliegen. Titus war die Lust vergangen. Er gab vor, unter der schlechten Luft zu leiden und sich einen Platz im Volkspark zu suchen, der seinen Lebensgewohnheiten mehr entsprach. Es gab da eine neue Feriennestkette, die Habitate auch für eine Nacht vermieteten. Morgen würden sich die Jungs dann bei Albert zum Katerfrühstück treffen. Titus war noch unentschlossen, ob er dazu gehören wollte.
Als am nächsten Morgen die Sonnenstrahlen ihn weckten, stand sein Plan fest.
Titus schaute kurz bei Albert vorbei, ließ ihm die Nachricht in der Junggesellenbude, dass er leider nicht zur Feier kommen könne, -dringende Familienangelegenheiten. Dann flog er zu Elsbeth in Schnelsen. Sie lebte nach einer schwierigen Falkenbeziehung mit einem Gehegebewohner aus dem Klöwensteen allein im Gebälk des Albertinenkrankenhauses. Natürlich war Elsbeth zuhause, denn sie bereitete sich auf ihr Leben mit Vetter Albert vor und ließ nach einem Wellnessabend mit Freundinnen gerade den Umzug nach Altona vorbereiten. Elsbeth freute sich über den Überraschungsgast und nach einigen Förmlichkeiten schilderte Titus Elsbeth in aller Deutlichkeit, auf was, oder besser auf wen sie sich da heute dauerhaft einlassen würde.
„Oh, was für eine Närrin ich bin! Albert hat mir ein leben in Luxus versprochen, mit Haushaltshilfe und Kindervogel! Oh, was für eine Närrin ich bin!“, stöhnte Elsbeth auf und legte ihren Schnabel mit einer vertrauensvollen Geste auf Titus linken Flügel.
Lieber Leser, liebe Leserin, wie es mit Titus, Elsbeth und Albert weiterging, ist schnell erzählt:
Elsbeth verließ ihr Nest im Albertinenkrankenhaus in Schnelsen und zog nach Ahrensburg. Die Koffer waren ja eh schon gepackt und in Ahrensburg gab es genug Wohnraum in einem steinalten Baum in der Nähe des Schlosses. Für eine Künstlerin wie Elsbeth eine angemessene Umgebung. Sie wurde Fluglehrerin für Gleit- und Rüttelflug und unterrichtete die Kleinstadtnestlinge bis ins hohe Alter.
Titus flog natürlich zu Tilla und den kleinen Flügelschlägern zurück und die beiden legten noch viele Eier, fingen Regenwürmer und Mäuse und wenn sie nicht gestorben sind…
Albert hingegen suchte sein Glück mit einer ihn versorgenden Falkin noch lange. Schließlich nahm die verwitwete Gräfin von Basowitz, eine Zugezogene aus Blankenese mit ebensoviel Stammbaum wie Zeit, sich seiner an. Seine Eskapaden scherten sie nicht und ihr Alter spielte für ihn auch keine Rolle. Hauptsache Freiheit und immer eine fette Maus auf dem Tisch!

Bono

Ja, ja, ja, kennen wir alle. Hier auch, da ebenfalls – Moment! – da ist ein Neuer. Bitteschön, ein Schuss zum Gruß und weiter. Plötzlich links, im Laub, meine Nase stecke ich hinein, in den Moderduft mit köstlichem Beigeschmack. Da! Da unten! Im Rinnsteinlaub, gleich neben dem runden Gummiding, das könnte was sein, was Fressbares. Das könnte, könnte, nein, doch, nochmal bohren, stöbern, Zuschnappen auf Verdacht. Dann ein Ruck, etwas würgt mich, ich werde gezogen. Herrchen hat seine Hand am Ohr und mich mal wieder vergessen.

Ich stemme mich, stemme hart dagegen. Herrchen, scharf: »Bono!«

Ich stemme nochmal, muss ins Laub, jetzt, da ist was Dringendes für mich!

»Pfui, Bono!«

Herrchen zieht mich weg, ist zu stark, ich stolpere zwangsläufig hinterher. Pfui, Pfui, immer Pfui! Hundeleben.

In der Großenstadt

„Tschiep.“
Keine Antwort.
„Tschiep! Tschiep?“
Wieder keine Antwort.

Der kleine Spatz hüpft aufgeregt auf dem alten Telefonmast umher. Wo sind nur die anderen Spatzen?
Am Morgen ist der kleine Spatz aufgewacht und alle anderen Spatzen waren verschwunden. Niemand mehr da. Der kleine Spatz ist plötzlich ganz allein in der Großenstadt.

Vielleicht sind sie zu den Hohen Bäumen geflogen, fragt sich der kleine Spatz. Dort kann man ja so toll spielen und es gibt dort auch Sonnenblumen und die haben so leckere und so saftige Kerne. Sicherlich kommen die anderen Spatzen gleich zurück, denkt der kleine Spatz und versucht sich selbst zu beruhigen. Bestimmt wollten mich die anderen Spatzen nicht aufwecken; aus Rücksicht, weil ich gestern Abend so-so müde war. Ich muss jetzt nur noch ein ganz klein wenig warten und dann sind alle wieder da.

„Tschiep?“
Immer noch keine Antwort.

Ich warte jetzt doch schon so lange, so richtig lange, denkt der kleine Spatz und hüpft weiter ganz aufgeregt auf dem alten Telefonmast hin und her. So langsam müssten sie doch wieder da sein. Nur noch etwas warten, nur noch eine Kleinigkeit warten und dann singen und tanzen wir wieder gemeinsam.

Der kleine Spatz spricht sich selbst Mut zu, wieder und wieder, ist richtig tapfer, so ganz allein in der Großenstadt. Doch die Furcht ist zu stark, steigt immer mehr in ihm auf, immer mehr und mehr, umhüllt sein kleines Herz mit bitterer Kälte und lässt ihn am ganzen, kleinen Körper zittern.

„Tschiep,“ ruft der kleine Spatz noch einmal und ohne eine Antwort abzuwarten, fliegt er plötzlich los. Zu den Hohen Bäumen. Fliegen hilft gegen Einsamkeit. Bestimmt warten die anderen Spatzen dort auf ihn und kommen deshalb nicht zum alten Telefonmast zurück, vermutet der kleine Spatz.

Aber bei den Hohen Bäumen ist niemand. Kein einziger Spatz.

Total enttäuscht fragt der kleine Spatz die Hohen Bäume, ob sie die anderen Spatzen gesehen haben. „Nein, leider nicht,“ antworten die Hohen Bäume, „Hier waren heute keine Spatzen. Oder gestern. Aber vielleicht sitzen sie auf den Regenrinnen, bei den Hohen Dächern?“

Der kleine Spatz bedankt sich bei den Hohen Bäumen und macht sich auf den Weg zu den Hohen Dächern. Aus lauter Aufregung und Vorfreude über das Wiedersehen fliegt der kleine Spatz ganz schnell. Vorfreude hilft auch gegen Einsamkeit.

Aber auch bei den Hohen Dächern ist niemand. Kein einziger Spatz sitzt auf der Regenrinne.
„Wisst Ihr, wo meine Freunde sind?“ fragt der kleine Spatz die Hohen Dächer. „Leider nein. Hier waren schon lange keine Spatzen mehr.“ Die Hohen Dächer denken angestrengt nach. „Vielleicht haben die Hohen Türme aus Glas und Eisen Deine Freunde gesehen. Immerhin sind sie so hoch, dass sie den Himmel kratzen können, wenn es die Wolken juckt.“

Das ist eine gute Idee, findet der kleine Spatz und verabschiedet sich mit zwei lauten Tschiep, was so viel wie Dankeschön und auf Wiedersöhn‘ bedeutet. Höflichkeit hilft auch gegen Einsamkeit.

„Habt Ihr meine Freunde gesehen?“ Der kleine Spatz muss ganz laut rufen, so hoch sind die Hohen Türme. „Ihr seid doch so groß, so riesig, Ihr müsst doch alles in der Großenstadt sehen können!“ Verwundert schauen die Hohen Türme, wer da spricht; so klein ist der kleine Spatz, dass sie ihn zunächst gar nicht bemerken. „Wir können zwar weit sehen, aber nicht alles erkennen.“ Die Stimme der Hohen Türme ist so tief und laut, dass sich der kleine Spatz die Ohren mit den Flügeln zuhalten muss, so laut ist die Stimme der Hohen Türme. So tief und laut.

„Was mache ich jetzt nur?“ Der kleine Spatz seufzt ganz herzzerreißend und ist so traurig und verzweifelt. „Ich werde die anderen Spatzen wohl nie wieder sehen.“ Die Einsamkeit war jetzt wieder da. Richtig da; ganz doll und kalt.

„Wo hast Du denn die anderen Spatzen das letzte Mal gesehen?“ versuchen die Hohen Türme zu helfen.
„Beim alten Telefonmast,“ antwortet der kleine Spatz und macht sich eilig auf den Weg. Zuversicht hilft auch gegen Einsamkeit. Vor Aufregung vergisst er sich für den Rat bei den Hohen Türmen zu bedanken, die dafür aber Verständnis haben. Immerhin sucht der kleine Spatz die anderen Spatzen. Mitgefühl hilft auch gegen Einsamkeit.

Aber auch beim alten Telefonmast ist niemand.
Der kleine Spatz ist so traurig und einsam. Ganz allein in der Großenstadt. Jetzt kann er nur noch warten. Warten und warten. Er plustert sein Gefieder auf und wartet auf die anderen Spatzen. Sie werden schon wiederkommen und wenn ich hier für immer warten muss, denkt der kleine Spatz. Trotz hilft auch gegen Einsamkeit.

Und solltet Ihr einmal in der Großenstadt sein, schaut doch am Himmel, ob Ihr ein paar Spatzen seht. Falls ja, ruft ihnen ganz laut zu, dass der kleine Spatz am alten Telefonmast auf sie wartet und sie sich sputen mögen. Er wartet doch schon so lange auf sie.
Und solltet Ihr einmal in der Großenstadt sein und am alten Telefonmast vorbei kommen, lasst bitte für den kleinen Spatz ein paar Sonnenblumenkerne da; die mag er so gerne. Und singt bitte mit ihm ein kleines Lied, damit er nicht so allein ist und es sich leichter auf die anderen Spatzen wartet. Denn Singen hilft auch gegen Einsamkeit.

Der Dieb

Die Stadt ist mein Revier. Hier kenne ich jeden Winkel und weiß genau, wo es die guten Sachen gibt.
Nur bei den Menschen muss man aufpassen. Manche reden von „streunender Katze“, wenn sie mich sehen. Dann mache ich mich aus dem Staub, sonst lande ich wieder in einer dieser Tierkasernen mit endlos langen Spalieren von Käfigen – so wie damals, als ich noch selber Menschen hatte, ein Heim, ein Körbchen. Doch dann zogen meine Menschen weg, weit weg, wo man keine Katzen halten darf. Und sie haben mich in dieser Kaserne abgegeben.
Die Flucht hat gerade so geklappt.
Seitdem bin ich auf der Straße, immer in der Nähe von diesem Schnellrestaurant um die Ecke, wo hier und da Reste vom LKW fallen.

Hier in der City ist was los: tausende Personen, eine geschäftiger als die andere. Sie haben keine Gesichter, so schnell hetzen sie vorbei.
Nur einer hat Zeit: Ede. Er sitzt hier an der Straße mit seinem Becher mit Münzen, die noch nicht mal den Boden des Gefäßes bedecken. Doch er harrt aus, selbst jetzt in der kalten Adventszeit, in der ich froh bin, dass ich mein Fell habe.
Er streicht manchmal über meinen Rücken. Das tut gut und weckt alte verschüttete Erinnerungen. Nur nicht sentimental werden! Und dann steckt er mir etwas zu, obwohl er selbst nichts hat.

Im Advent gibt es Gutscheine für ein Festmahl im Schnellrestaurant. Die Betreiber müssen auch sehen, wo sie bleiben. Wenn du sonst keine Idee für ein Weihnachtsgeschenk hast, dann besorge deinem Nächsten einen Gutschein. Er wird ihn dann schon „auffressen“.
Der prachtvollste aller Coupons steckt in einer Vitrine, schillernd beleuchtet. Ich kann ihn von draußen sehen. Geht da nicht was?
Ich sitze vor dem Restaurant. Vor mir betritt eine Horde Halbwüchsiger den Fress-Tempel. Die Tür ist noch einen Spalt offen. Wie ein Pfeil schieße ich hinein. Schnell unter einem Tisch verstecken! Keiner hat mich bemerkt.
Drüben leuchtet der Gutschein. Edel sieht die Vitrine aus. Die lassen sich nicht lumpen. Sie haben sie extra auf einem Tisch platziert.
Mein Weg ist frei. Mit einem kurzen Anlauf und einem Satz schubse ich sie vom Tisch. Das Glas zerbricht, genau wie bei den Vasen, die ich von früher auf dem Gewissen habe, in der Zeit mit dem Körbchen.
Ich lande glücklich auf dem Boden neben dem zerborstenen Schaukasten. Um mich herum kreischen die Leute. Der Tumult spielt mir in die Karten. Mit der Sorgfalt eines Mikadospielers und der Gewandtheit, wie sie eben nur Katzen aufbringen, fische ich den Gutschein mit dem Maul aus dem Scherbenhaufen.
Leute rennen durcheinander, manche flüchten aus dem Lokal, glauben an einen Überfall. Prima, sie halten mir die Tür weit genug auf. Ich komme ins Freie.

Schnell entrinne ich dem Tumult, laufe ein paar Querstraßen weiter. Da drüben ist Ede. Ich flüchte mich unter seine ausladende Jacke, die so lang ist, dass sie im Sitzen auf dem Bürgersteig genug Schutz bietet. Meine Verfolger rennen an Ede vorbei.

Als die Luft rein ist, krieche ich hervor. Den Gutschein lasse ich im Schutz des Mantels liegen. Ede wird das Papier finden, wenn er abends aufsteht, weil es zu ungemütlich wird. Im Restaurant werden sie ihm das Festessen nicht verwehren. Das gibt schlechte Publicity – so kurz vor Weihnachten. Und wer glaubt schon daran, dass wir Komplizen sind?
Dir einen schönen Advent, Ede!

Der Eusynanthrop

"Da war wieder eine!”

Der Schrei hängt mir nach. Mist!

Nachts sollte es dunkel sein. Punkt. Dunkel ist dunkel ist dunkel! Aber nein - nicht bei diesen Naturbanausen. Diese Riesen lassen ein Klick hören und ein grelles Licht erhellt den Raum. So schnell ich auch bin, dass schaffe ich dann doch nicht, so rasch ein Versteck unter dem Küchenschrank aufzusuchen. Und es ist mir kein Trost, dass es jede von uns hätte erwischen können. Es hat MICH erwischt. Schei…

Ab jetzt wird es gefährlich - nicht für mich in meinem neuen Versteck und nicht sofort, aber doch schon bald für uns alle! Obwohl wir echt viele sind. Sehr viele!

Also… bauen können diese Riesen. Alles schön trocken und nur ab und zu etwas Feuchtigkeit. Und warm ist es auch. Bei Meiers ist der Tisch reich gedeckt. Da finden viele von uns die besten Köstlichkeiten. Soßenreste, zerquetschte Nudeln, offene Dosen mit Heringresten und vieles mehr. Ein Paradies. Das sind sehr angenehme Riesen.

Aber die Wolfs? Schrecklich! Obwohl sie direkt neben den Meiers wohnen. Niemand von uns mag sie. Epepetete… halten sich für was Besseres! Putzen mindestens einmal die Woche und räumen ihr Geschirr immer sofort in eine Maschine. Wenn die an zu rumpeln fängt, ist eines klar: zwei Stunden später ist alles so… so… so… igitt hygienisch! Ein Alptraum!

Der Schrei von vorhin verfolgt mich in Gedanken. Dabei wollte ich nur ins Eßzimmer. Dort habe ich mal in einem Kasten in einem angenehmen Halbdunkel „Men in black“ gesehen. Leider nicht bis zum Ende. Es gab mitten drin dieses Klick mit grellem Lichtbefall, weil Herr Wolf aufs Klo musste. Hätte er von mir aus nicht müssen. Die Meiers sind da locker. Was soll’s - ich konnte es ja nicht ändern. Aber bis dahin war der Film toll! Ein riesiger außerirdischer Verwandter von uns nahm es erfolgreich mit den Riesen auf. Ein Held! Ganz große Klasse!

Diesen Verwandten könnten wir nun gut brauchen. Als Schädlingsbekämpfer vom Schädlingsbekämpfer sozusagen!

Ich ziehe mich seufzend in den Mauerriß zurück. Der zentrale Müllschacht wird wohl bald wieder vorübergehend unbewohnbar sein. Ca. 4 Wochen später geht es dann wieder. Bis dahin also der Mauerriß. Für ein paar wenige von uns, die klug genug sind. Überlebenskünstler wie ich. Und Künstlerinnen. Eusebia hat es mir besonders angetan. Klug, wunderschön mit ihren sechs Beinen. Und erst ihre schlanken Fühler. Mhm… ein Traum! Ein paar hundert wunderschöne Nachkommen mit Eusebia … und einigen anderen entzückenden Weibchen. Soo schlecht ist das Leben dann auch nicht. Wenn es dieses Klick mit dem Licht-Schock und der Schreierei zwischendurch nicht gäbe.

Aber wir lernen. Wartet es nur ab! Und aus so einem Hochhaus sind wir doch nicht wegzukriegen. Meiers sei Dank! Und wir tanzen zu „La cucaracha“. Also bis bald …

Nackt im verlorenen Federkleid

Wir schreiben das Jahr 2057, die Tage und Monate werden nicht mehr gezählt. An jedem Tag brennt die Sonne auf meine Haut, mein Federkleid ist mir schon vor langer Zeit verloren gegangen. Menschen haben wohl nicht überlebt, so flüstert es über die rostigen Drähte, die wie Wäscheleinen von den übrig gebliebenen Häuserruinen quer über die leeren Zwischenräume hängen.
Einige meiner Kolleginnen versuchen, sich an den dünnen braunen Fäden festzuhalten. Es ist angenehmer, im Wind zu hängen als auf dem kochendem Asphalt hin und her zu hüpfen.

Früher waren diese Abstände Straßen, gefüllt mit fröhlichen Menschen, deren Hände Schwärme von Tauben fütterten. In Straßencafés trafen sie sich, plauderten über kleine und große Fortschritte, über Katastrophen oder Ängste, die im nächsten Moment wieder vergessen waren. Kleine lustige Kerlchen mit gut gelaunten Computerstimmen rollten über gepflegte Pflastersteine, servierten den Gästen gekühlte Getränke oder leckere Eisbecher unter lustigen Sonnenschirmen.

Das alles gibt es nicht mehr.

Warum stecken solche Erinnerungen in meinen Zellen?

Einsam ist es, auch wenn meine Ohren ab und an Geräusche auffangen. Ich greife nach ihnen, nehme sie dankbar wie kleine Schätze auf und kann sie sofort zuordnen, denn viel Auswahl an Leben ist nicht vorhanden.

Täglich träume ich mich in einen immer wiederkehrenden Traum hinein, den es in Wahrheit nicht geben kann. Dort sitze ich in einem Liegestuhl, strecke mit unzähligen anderen Menschen freiwillig meine Haut der Sonne entgegen und blicke auf ein endloses frisches, lebendiges Meer. Möwen fliegen über brausende Wellen hinweg, lassen sich vom Wind tragen. Ein Tag, so wunderbar sauber, so klar - wie mein Entschluss.
Ich schnappe mir mein Elektro-Motorrad und rolle lautlos zu meinem Büro. Es ist nur ein Klick, ein Schalter den ich umlegen muss, dann ist es geschafft.
Ein Rädchen dreht sich in das nächste, der globale Zusammenhalt funktioniert, ein Krieg beginnt, ohne bemerkt zu werden und löscht alles aus. Niemand wird darüber schreiben, es wird niemand überleben, der davon erzählen kann, niemanden mehr, der es hören oder lesen kann.
Dieser Traum ist so verrückt und doch sitze ich hier, verwandelt ohne Federkleid, ohne Macht und schaue mir an, was ich verursacht haben soll.
Die Städte sind leer, doch die Natur erholt sich und ich muss diese Zeit aushalten.
Mein Blick fällt nach unten, wo sich gerade ein zartes Löwenzahnköpfchen durch die Risse im Beton drückt und nach Lebendigkeit lechzt. Leben setzt sich durch, obwohl uranhaltiger Nebel aufsteigt und in meine Atemwege beißt. Mein Schnabel ist verformt, und dennoch kann ich atmen, habe mich daran gewöhnt. Singen kann ich nicht, obwohl mein Herz sich danach sehnt.

„Vladimir“, piepst ein nacktes Etwas neben mir: „Glaubst du an Karma?“

Der Königstanz

Heute ist die Nacht der Nächte,
Heute, hell im Vollmondschein,
Werde ich, soweit ich dächte,
Derer Tiere König sein.

Vorbereitet! Auf zum Tanze!
Hab mein schwarzes Fell geleckt,
Das es strahlt im vollen Glanze,
Und den Sieger in mir weckt.

Schleiche, schleiche,
Durch die Gassen,
Nicht zu fassen,
Zieh ich durch die Häuserschlucht,
Immerzu dem Menschen weiche,
Stets bereit zur Jagd und Flucht.

Angekommen auf dem Platze,
Tief versteckt im Hinterhof,
Unruh fließt durch meine Tatze,
Als beginnt der große Schwof.

Grüß die Tiere, die ich kenne,
Als ich durch die Menge geh,
Doch mein Herzensfeuer, brenne!
Als ich meine Sehnsucht seh.

Schnurre, schnurre,
Ihr entgegen,
Bin verwegen,
Schmeichle ihr mit Eleganz,
Ernte leises Süßgemurre,
So beginnt nun unser Tanz.

Bosco haut den Hundebeat rein,
Mischt und mixt am DJ-Pult,
Agnes und die kleinen Täublein,
Ihre Light-Show ist schon Kult.

Rattikarl greift sich das Mikro,
Rappt im Flow, die Menge schreit,
Macht die Groupispatzen hochfroh,
Badet sich in ihrem Hype.

Tanze, tanze,
Will berühren,
Sie verführen,
Schnellen Schrittes, Fell an Fell,
Schüre unsere Romanze,
Leidenschaftliches Duell.

Und ich wedel mit dem Schwanze,
Kreuze Pfoten hin und her,
Fasse Mut und geh aufs Ganze,
Swing im Rhythmus voller Flair.

Meiner Liebsten hingezogen,
Ihre Blicke, sündhaft heiß,
Und die Menge ist am toben,
Bildet um uns einen Kreis.

Schneller, schneller!
Drehe, drehe,
Sprung und stehe,
Leidenschaft ist unser Takt,
Und die Funken sprühen heller,
Von des Herzens Liebespakt.

Als die Wahl zum König kame,
Zu regieren diese Nacht,
Stets man den vom Tanze nahme,
Der den Jubel hat entfacht.

Und so kam es mir zu Ehre,
König bis zum nächsten Tag,
Doch die Frage ist, was wäre
Ohne meiner Liebsten, sag!
Hätte nicht fiel Glut gefunden,
Die des Tanzes Feuer weckt,
Doch sie half mir unumwunden,
Zu erkenn’ was in mir steckt.
Dafür und für ihren Tanze,
Kommt mir nur noch eins in Sinn,
Heut regiert in ihrem Glanze,
Heut regiert die Königin.

DON WAUWAU

»Du kommst in meine Stadt«, kläffte der Pincher und senkte theatralisch den Blick. Die beiden Bullterrier hinter ihm bewahrten mich vor Dummheit. Das Fellknäuel streckte sein Pfötchen aus und leckte sich über die Krallen. Beinahe hätte ich lachen müssen.
»Du kommst in meine Stadt«, begann er noch einmal, »und bittest mich um einen Knochen. An einem Sonntag, wo jeder Zweibeiner die Spendierhosen anhat.«
»Ich hatte Hunger«, log ich und senkte nun meinerseits den Kopf, um meine Demut zu zeigen. Innerlich musste ich mit mir kämpfen, um nicht laut loszujaulen. Aber ich musste mich an den Plan halten. Ich musste sein Vertrauen gewinnen.
»Jeder Streuner weiß wie großzügig ihr seit, Don Wauwau. Ich flehe euch an, helft mir. Ich habe seit Tagen nichts mehr gefressen. Mein Dank wird euch sicher sein.«
Der Winzling lächelte gleichgültig. »Euer Dank wird nicht reichen« sagte er. »Es kommt der Tag, da werde ich euch um einen Knochen bitten. Und dann müsst ihr bereit sein, mir einen zu geben. Verstanden?«
Wieder sah er mir in die Augen. Die beiden Bullterrier stellten die Ohre auf und knurrten leise.
»Selbstverständlich«, sagte ich. »Ihr könnt euch auf mich verlassen.« Don Wauwau würde sich noch wundern.

Der letzte Adler

Hoch über den kopfsteingepflasterten Straßen des viktorianischen Londons zog ein einsamer Adler namens Silberflügel seine Kreise. Sein scharfer Blick durchbohrte den dichten Smog der die, nun industrialisierte, Stadt erfüllte und sein stolzer Schnabel öffnete sich, als wolle er einen warnenden Schrei ausstoßen.

Silberflügel war der Letzte seiner Art die noch den Luftraum von London bewohnten. Seine Artgenossen hatten bereits vor vielen Jahren diese Lande verlassen um der aufkommenden Industrialisierung zu entkommen. Doch Silberflügel blieb zurück, als einsamer Wächter seiner Heimat.

Während er auf der Suche nach Nahrung war, bemerkte er die allmählichen Veränderungen in seiner Umgebung. Die Wälder und einst blühenden Grünflächen waren verschwunden und durch Fabriken und rauchende Schornsteine ersetzt worden. Auch die Themse war schon so verschmutzt, dass kaum noch ein Fisch darin schwamm. Die Beute wurde knapper und die Flüge über diese riesige Stadt immer mühsamer.

Tag für Tag zog Silberflügel seine Kreise über die qualmenden Dächer Londons. Seine Flüge begleiteten stille Traurigkeit, denn die Umweltverschmutzung missfiel ihm zutiefst. Doch er brachte es nicht übers Herz zu fliehen wie seine Artgenossen damals. Zu sehr war er mit seiner Heimat, die nun den Menschen gehörte, verbunden.

Eines Tages, als der alte Adler sein Suchgebiet erweiterte, entdeckte er eine kleine grüne Oase mitten in der Stadt. Ein Park mit einem großen See und vielen Bäumen, der der Zerstörung durch die Menschen zu trotzen schien. Hier fand er nicht nur Nahrung, sondern auch einen Zufluchtsort vor den Auswirkungen der Industrialisierung. Silberflügel beschloss, diesen Ort zu schützen, in der Hoffnung, dass die Natur eines Tages wieder die Oberhand gewinnen würde.

So wurde der einsame Adler zu einem stillen Hüter dieser Oase inmitten von Qualm und Unrat, während er weiterhin über die rauchenden Dächer Londons flog, seine Flügel im Kampf gegen die schleichende Veränderung ausbreitend.

Haariger Teenageralarm

Ein Tag, fast wie jeder andere, die Sonne ist längst aufgegangen und ich erhebe mich träge aus meinem, aus Ästen und Blättern gemütlich hergerichteten Nest.
Pfleger Tom hat bereits unser Frühstück gebracht.
Mein Magen knurrt und ich bewege mich Richtung Futterstelle.
Gierig schlinge ich das leckere Obst in mich hinein,
schnappe mir noch zwei Bambussprossen und klettere behände auf einen nahestehenden Baum.
Dort klemme ich mich in eine Astgabel, knabbere an meinem Bambus und schaue dem Rest der Familie beim futtern zu.
Sicher wird es heute wieder warm.
Das heißt, dass bestimmt wieder viele Besucher kommen.
Tadaa, da sind sie auch schon.
Ich bewege mich in Richtung Glasscheibe und setze mich in etwas Abstand davor.
Kinder drücken sich an der Scheibe die Nasen platt, strecken mir die Zunge raus und machen noch allerlei andere Faxen.
Ob sie wissen wie dumm sie dabei aussehen?
Es ist so ermüdend den Menschen zuzusehen und ich bekomme schon wieder Hunger.
Ich ducke mich kurz, um den Anschein zu erwecken, dass ich jeden Moment gegen die Scheibe springe, dabei reiße ich mein Maul auf,
das, obwohl ich erst 10 Jahre alt bin, sofort die Sicht auf ein imponierendes Gebiss freigibt.
Die erschrockenen Gesichter der Leute ist zu köstlich.
Einige sind sogar ehrfürchtig einen Schritt zurück gewichen.
Langsam kehre ich ihnen den Rücken zu, suche mir einen ruhigen Platz um auszuruhen und um mir weiteres Obst und verschieden Blätter einzuverleiben.
So geht der Tag ohne weitere Störungen dahin.
Lediglich meine kleine Schwester kommt ab und zu vorbei um mich zum spielen zu bewegen aber dazu bin ich doch langsam zu alt und ich schubse sie immer wieder weg.
Tom hat mal gesagt ich wäre wohl in der Pubertät,
keine Ahnung was das bedeutet, aber es hört sich irgendwie wichtig an.
Langsam wird es ruhig.
Die Menschen verschwinden und unser Pfleger hat neues Futter gebracht.
Naja, Gorillas haben eben viel Hunger.
Als er uns verlässt schaue ich ihm hinterher und registriere das die Tür nicht richtig zu ist.
Kommt er vielleicht nochmal wieder?
Unauffällig beobachte ich, aber nein, er kommt nicht zurück.
Neugierde erwacht in mir, wollte ich doch schon immer mal wissen was hinter unserem zu Hause ist.
Aber vorsicht, Mama und vor allem der Silberrücken (so nennt man unser Familienoberhaupt) dürfen nichts merken.
Also, geduldig warten.
Es wird schon immer dunkler, der Mond steht bereits hoch am Himmel, als endlich alle zu schlafen scheinen.
Langsam pirsche ich mich Richtung Ausgang, noch ein letzter Blick zurück und leise durch die Tür hinaus.
Der Boden fühlt sich ungewohnt hart an.
Er ist auch nicht so grün, egal, weiter geht’s.
Links und rechts von mir sind Zäune, und manches, mir unbekannte Tier bewegt sich dahinter.
Dann stehe ich vor einem einem anderen Zaun.
Dahinter, das Unbekannte.
Das Hinderniss ist nicht groß das schaffe ich doch mit Leichtigkeit!
Nun ist der Weg viel breiter.
Neben mir stehen hintereinander komisch geformte Tiere die jedoch alle zu schlafen scheinen.
Vorsichtig schubse ich eins an, dann fester und noch fester aber nix passiert.
Komische Sache, die fühlen sich auch so kalt und glatt an.
Meine Neugier treibt mich weiter.
Plötzlich erfassen meine Ohren ein immer lauter werdendes Geräusch und schon bald sehe ich zwei große sehr helle Augen auf mich zukommen.
Vor Freude ein waches Tier zu treffen springe ich in die Luft.
Dann lautes quietschen und ein dröhnendes Krachen, das ist mir jetzt aber viel zu laut und ich entferne mich vom Ort des Geschehens.
Bunte flackernde Lichter erwecken meine Aufmerksamkeit. Ich nähere mich ihnen.
Wieder kommt so ein geräuschvolles Tier. Ich verharre an meinem Platz. Es bleibt einige Meter vor mir stehen und die Augen werden dunkel. So schnell möchte ich auch einschlafen können.
Aber was passiert denn jetzt?
Irgendetwas fächert links und rechts auf und…
Zwei Frauen kommen herausgeklettert.
Sind diese komischen Dinger etwa gar keine Tiere?
Stimmen klingen zu mir herüber. Erfreut darüber jemanden in Freiheit zu begegnen stelle ich mich vor die Menschen und trommele mir auf die Brust um sie zu begrüßen.
Die Freude scheint jedoch nur auf meiner Seite zu sein. Die Damen schreien viel zu laut und rennen einfach weg.
Oder wollen sie einfach nur mit mir fangen spielen?
Ich tue ihnen den Gefallen und folge ihnen bis sie hinter der Tür eines Hauses verschwinden.
Weiter geht’s mit meiner Erkundungstour.
Nach einer Weile treffe ich auf Menschen die mit leeren rollenden Körben in ein Haus gehen und mit vollen wieder herauskommen. Ich beobachte sie eine Zeit lang.
Dann gehe ich, einen Korb vor mir herschiebend auch dort hinein. Links und rechts von mir stehen irgendwelche Sachen die ich nicht kenne.
Ich greife danach und lass es scheppernd in den Korb fallen.
Dann ertönt ein gellender Schrei. Eine Ältere Dame hat mich entdeckt und steht zitternd vor mir. Der Schrei hat die anderen Leute herangelockt. Sie sehen mich und schließen sich dem Gebrüll an.
Alle laufen kreuz und quer herum und jemand ruft: „Hilfeee, Polizei, Pooooliiiizeeiiii.“
Was immer das auch sein mag es klingt gefährlich also schnell weg hier.
Mein weiterer Weg führt mich in eine Gegend die meinem zu Hause ähnelt. Unter meinen Füssen fühle ich Gras auch kann ich einige Bäume erkennen.
Ich gönne mir eine Verschnaufpause.
Eigentich mach es Spaß Menschen zu erschrecken.
Aus der Dunkelheit heraus kann ich welche beobachten die Tiere an Stricken festhalten.
Das stimmt mich traurig.
Ich stelle mich ihnen in den Weg. Zwei lassen sogar die Stricke los. Ich rufe den Tieren zu:" Los, lauft, genießt eure Freiheit." Aber anscheinend verstehen sie mich nicht.
So langsam wird es ungemütlich. Lautes, mir unbekanntes Geheule durchdringt die Nacht und überall sind flackernde blaue Lichter zu sehen. Eine überaus laute Stimme sagt so etwas wie " Achtung, Achtung, in unseren Strassen treibt ein freilaufender Gorilla sein Unwesen, bleiben sie in ihren Häusern"
Das versetzt mich in Angst und im Schutz der Dunkelheit mache ich mich auf den Heimweg.
Auf einmal durchfährt mich ein Gedanke wie ein Blitzschlag, was wenn jemand aus der Familie wachgeworden ist und bemerkt das ich nicht da bin?
Die Lektion die mir der Silberrücken dann erteilt wird richtig übel werden. Sorgenvoll beschleunige ich mein Tempo. Dort hinten ist bereits der Zaun hinter dem mein zu Hause ist.
Nachdem ich ihn überwunden habe schleiche ich mich zögernd Richtung heimische Tür.
Erstmal lauschen ob alles ruhig ist.
Dann schlüpfe ich hinein und schleiche mich in mein Nest mein Herz schlägt so laut das ich Angst habe jemand könnte es hören.
Was ist denn jetzt?
Das flackernde blaue Licht und dieses Gejaule ist auf einmal ganz nah. Die Tür öffnet sich. Tom kommt herein und leuchtet alle unsere Nester mit einem hellen Licht ab. Jetzt sind natürlich alle wach. Draußen scheint unser Pfleger mit jemandem zu reden. Die nervenden Töne verstummen endlich und auch das Licht entfernt sich.
In Gedanken an meinen nächtlichen Ausflug muss ich immer wieder rülpsen.
Mama fragt was mich den grad so glücklich macht das ich immer wieder solche Töne von mir gebe. Ich antworte ihr das ich einen tollen Traum hatte.
Unser Familienoberhaupt beäugt mich argwöhnisch legt sich dann jedoch wieder hin um weiter zu schlafen.
Puh,…nochmal Glück gehabt.