Sprachlos
Wir sind die Könige der Lüfte! Keiner kann uns etwas anhaben. Wir beherrschen die Küsten und alles was dort lebt. Die Menschen, dieses flugunfähige Gewürm, haben wir uns gut gezogen. Sie fahren mit ihren Schiffen auf das Meer und fangen unser Essen. Wir brauchen nur über ihre Netze zu fliegen und uns die Fische bequem heraus zu pflücken. Sie essen uns zuliebe sogar im Freien und wir holen uns im Tiefflug, was sie für uns auf ihre Teller häufen.
Ihre Küstenstädte und Dörfer sind unserer Heimat und wir lassen sie in dem Glauben, dass sie ihnen gehören. Doch wir dekorieren sie mit unserer besonderen Note und freuen uns über ihre Reaktionen. Sie lassen sich so herrlich ärgern. Heute Nacht werden wir uns wieder auf einem ihrer Dächer treffen und unsere nächsten Schritte planen.
Ich bin einer unserer Anführer und habe den Treffpunkt persönlich ausgesucht. Tagelang bin ich über die Dächer geflogen, um das Richtige zu finden, denn wir sind viele.
Die Nacht bricht an und alle sind sie gekommen. Ein paar unserer Kundschafter haben neue Müllhalden entdeckt und die Ausbeutung will sorgsam geplant sein. Zumal wir nicht die einzigen Interessenten sein werden. Der Platz will bewacht und verteidigt werden. Wir diskutieren lange und gründlich. Nur in den dunkelsten Stunden der Nacht gönnen wir uns kurz Ruhe und schlafen ein wenig. In den frühen Morgenstunden endlich ist das Treffen zu Ende und ich ziehe zufrieden wieder meiner Wege.
Ich fliege zum Hafen, denn ich habe Hunger. Mal sehen, was die Fischer für mich gefangen haben, ohne es zu wissen. Nachdem ich mir meine Frühstücksfische stibitzt habe, sitze ich satt und zufrieden auf einem der Betonpfeiler, die zusammen mit einer dicken Stahlkette die Menschen daran hindern ins Wasser des Hafens zu fallen. Sie sind so tollpatschig, diese Zweifüßer.
Zwei davon kommen gerade auf mich zu und ich beschließe, ihnen zu sagen, was ich von ihnen halte. Ich öffne meinen Schnabel, fange an meine Meinung in die Welt zu kreischen, als das Undenkbare geschieht. Einer der Menschen – ich glaube, es ist ein Weibchen – schießt auf mich zu und brüllt mich an!
„Ihr blöden Mistviecher! Die halbe Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ihr eure Jahreshauptversammlung ausgerechnet auf unserem Dach abhalten musstet! Ihr habt rumgekreischt wie die Bescheuerten!“
Mir verschlägt es die Sprache, ob dieser Unverschämtheiten und mein Schnabel klappt langsam zu. Doch sie ist noch nicht fertig.
„Wenn heute Nacht auch nur eine einzige Möwe wieder so einen Radau da oben veranstaltet, dann reiß ich jedem von euch jede Feder einzeln aus!“
Ich bleibe mit halb offenem Schnabel sprachlos auf dem Betonpfeiler sitzen.