Bastet
Ich betrete die enge Gasse. Hier sind alle Lichter erloschen, der Mauerstein glänzt im nieselnden Regen. Vor mir ragen Mülltonnen auf, aus ihnen duftet der Unrat. Im Schatten verharrt eine geduckte Gestalt. Ich beachte sie nicht, ein Streuner, nichts weiter. Seine Katzensinne sind auf Fischreste gerichtet, auf das Fleisch halb abgenagter Knochen. Derlei Dinge interessieren mich nicht. Ich verfolge einen Plan und der hat nichts mit Nahrungsaufnahme oder anderen profanen Gelüsten zu tun, die meine Art gewöhnlich antreiben. Aus den Winkeln meiner grünen Augen erspähe ich das grau getigerte Fell des Streuners. Als er meiner ansichtig wird, springt er zwischen den Kübeln hervor und taxiert mich mit wilden Blicken. Seine Drohgebärden zeigen es deutlich, er will kämpfen, will sein Revier gegen mich, den ungebetenen Gast, verteidigen. Ich habe fast Mitleid mit ihm. Fast. Jetzt beginnt er zu fauchen, seine Krallen sind weit vorgestreckt. Ich sehe seine Muskeln unter dem Fell zucken. Plötzlich verstummt er, duckt sich und weicht zurück. Er weiß, irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas ist anders als sonst. Ich sehe es in seinen bernsteinfarbenen Augen und genieße die Verwirrung darin, die prickelnde Ahnung einer Gefahr. Ich könnte ihn jetzt töten. Aber wozu? Sein lächerliches Straßenkaterdasein hat keine Bedeutung für mich. Wenn mich meine lange Existenz etwas gelehrt hat, dann das: „Verhalte dich ruhig und töte nur, wenn du musst.“ Als er in das Grün meiner Feuer gespeisten Augen blickt, ist ihm jegliche Lust auf einen Kampf vergangen. Ich lecke über meine Lippen und stelle mir vor, wie süß sein Blut schmeckt. Einige wonnevolle Momente schwelge ich in diesem Bild, dann lasse ich den Streuner Links liegen und setze meinen Marsch durch die dunkle Stadt auf samtweichen Pfoten fort. Jeder der mich sieht, erblickt nur eine Katze, fleckenlos schwarz und geschmeidig, mit ungewöhnlich leuchtenden Augen, die in ihren unauslotbaren Tiefen wie Smaragde funkeln. Könnte ich lächeln, so würde ich es tun. So zucke ich nur belustigt mit den Schnurrhaaren und wiege gemächlich den Schwanz.
Feuchtigkeit dringt durch die weichen Ballen meiner Pfoten, als ich gespenstisch leise über das regennasse Pflaster eile. Straße um Straße zieht vorbei, immer spärlicher beleuchtet, bis ich schließlich an meinem Ziel angelangt bin. Ein großer Platz erstreckt sich vor mir, sorgsam verfugt und aus grauem Stein. Durch das Fenster meiner grün glühenden Augen sehe ich ein Gebäude vor mir aufragen,langgezogen und von hohen Säulen umgeben. „Britisches Museum“ prangt als Tafel über dem Eingang. Es hat gedauert, bis ich die primitive Sprache der Neuzeitmenschen erlernt habe. Sie ist so ganz anders als meine ursprüngliche, aber schließlich und endlich habe ich sie meistern können…Ich horche auf.
Meine Katzenohren spitzen sich. Ohne Zweifel da sind Geräusche am Eingang, ein Schieben, Rumpeln und Krachen, begleitet von rauen, kehligen Stimmen. Das Poltern und Rufen der Männer belagert meine empfindlichen Sinne. Ich möchte schreien und wage es nicht, aus Furcht entdeckt zu werden. Wie ich noch so schaue und denke, drängt sich eine neue Empfindung in meine Wahrnehmung und als die Männer eine schwere, längliche Kiste aus dem Eingang ziehen, weiß ich, der Moment ist gekommen. Eilig haste ich vorwärts, jede Deckung ausnutzend, damit mich die Männer nicht sehen. Ich spanne die Muskeln, strecke die Glieder, setze zum Spurt an und im letzten Augenblick, ehe sich die Plane des Lastwagens schließt, springe ich auf die Kiste. „Geschafft!“, denke ich „nach so langer Zeit, nach Jahren des Planens, geschafft! Wohlig strecke ich meinen schlanken Katzenleib und sinke auf die vernagelte Kiste. Meine Augen leuchten überirdisch hell, als sie zu dem Körper in der Kiste Kontakt aufnehmen. Ich schnurre zufrieden.
Etwas unter den ledrigen Bandagen, die durch die Ritzen der Kiste schimmern, antwortet mir. Eine uralte Stimme, leise und brüchig, verschwunden geglaubt im Nebel der Zeit. Ich lecke mein Fell, bis es seidig glänzt und denke an das samtene Haar, das einst mein Haupt bedeckte, schwarz und duftend von den Wohlgerüchen raffinierter Tinkturen,
Bei Osiris, wie schön ich war! Jeder begehrte mich, meinen schlanken Leib, meine zarten Hände, meinen wollüstigen Mund, das war mein Segen und mein Fluch und schließlich mein Todesurteil.
Mit Wehmut sehne ich mich in den Tempel meiner Göttin zurück, die Hände mit dem blutigen Opfermesser erhoben. Wievielte Tode schenkte ich meiner Göttin Bastet, wie reich war meine Ernte!
Doch meine Hände sind verwelkt und was einst mein Körper war, ruht jetzt einbalsamiert in dieser Kiste. Meinen Geist aber konnte Anubis, der listige Schakalgott, nicht an sich binden.
Die Katze weiß es. Nur sie kennt mein Geheimnis, gut versteckt und wohlverwahrt hinter diesen grün schillernden Augen.
Der Wagen rumpelt über das Pflaster. Ich höre es und weiß, wo die Reise hingeht, nach Kairo, meine einstige Heimat. In Vorfreude auf das Überwechseln putze ich meinen Katzenleib. Ich stöhne und der Laut dringt als Murren aus dem Leib der Katze an mein Ohr. So aufgeregt ich bin, so groß ist auch meine Angst, vor dem Moment, wenn sie die Kiste öffnen. „Werde ich mich wiedererkennen?“, ruft es in mir und die Katze maunzt kläglich, „werde ich wieder so betörend schön sein, wie zuvor?“
„Ruhig, mein Kind“, höre ich meine Göttin flüstern, „fürchte dich nicht. Wir werden bald wieder vereint sein. Du wirst diesen Leib verlassen, wie du es so viele Male zuvor getan hast und mir erneut dienen. Jetzt und alle Zeit.“