Seitenwind Woche 6: Großstadttiere

Willkommen zur sechsten Perspektive von Seitenwind.

Deine Perspektive:

Ein Stadtbewohner mit Fell, Federn oder Schuppen. Bist du die Taube in der U-Bahn, der Waschbär im Dach oder die Katze aus der Gasse?

Deine Aufgabe:

Der Betondschungel ist dein Spielplatz. Du stapfst durch urbane Geschichten, die den meisten Menschen entgehen. Bist du auf der Suche nach dem leckersten Happen oder heckst du vielleicht einen verschmitzten Masterplan aus? Schreibe eine Geschichte von Überleben, Strategie und Glück im Herzen der Metropole.

Teilnahme
• Poste deinen Beitrag hier in diesen Thread bis Freitag, den 24.11.2023, 15:00 Uhr.

• Bitte gib nur einen Beitrag pro Wochenthema ab und verfasse ihn neu für die Perspektive. Falls du deine Geschichte lieber aus erzählerischer Perspektive schreiben möchtest, ist das auch OK. :wink:

• Gib den Beiträgen, die dir am besten gefallen, ein Like mit dem Buchicon! Gib laufendes Feedback auf die Beiträge anderer mit Kommentieren.

• Der beliebteste Beitrag wird mit einer Vollversion von Papyrus Autor 11 gefeiert! Zusätzlich verlosen wir ein weiteres Papyrus Autor 11 unter allen Teilnehmern.

• Details zur Schreibsaison: Seitenwind: Perspektiven. Deine Schreibsaison 2023

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WIE ES SEIN WIRD

Erzähl es mir noch einmal, flüstere ich.

Erzähl mir, wie schön es sein wird.

Du schnurrst. Du reibst dein Köpfchen an meines, dein Bauch hebt und senkt sich im Rhythmus deiner Atmung. Irgendwo hinter uns hupt ein Auto. Ich schmiege mich dicht an dich.

Es wird schön sein, sagst du.

Es wird warm sein. Wie früher. In der Küche wird eine weiche Decke vor der Heizung liegen, auf der wir uns einrollen können. Sie werden uns Schalen hinstellen, jedem eine, gefüllt bis an den Rand mit Thunfisch-Gelee. Jeden Tag werden wir frisches Wasser haben. Und im Bad wird ein kleines Klo stehen, dass sie jeden Tag reinigen.

Deine Pfoten hast du weit von dir gestreckt. Ihre Krallen fahren ein und aus, in knetenden Bewegungen, als würdest du an der Zitze unserer Mutter saugen. Dein Körper brummt so kraftvoll, dass ich die Vibration in jeder einzelnen meiner Fasern spüre. Ich schließe zufrieden die Augen.

Und das Schlafzimmer?, frage ich.

Was ist mit dem Schlafzimmer?

Wieder ein Hupen. Der Asphalt ist nass, in der Nacht hat es geregnet. Es ist eine enge, viel befahrene Straße. Auf der anderen Seite steht die Pizzeria von Luigi. Die Mülltonnen im Hinterhof sind nie verschlossen. Sie haben die besten Essensreste der ganzen Stadt.

Im Schlafzimmer sind wir immer willkommen, schnurrst du, die Pfoten immer stärker knetend.

Wir dürfen immer im Bett schlafen, genau wie früher. Sie kuscheln sich an uns und streicheln uns, bis sie einschlafen. Die Tür bleibt immer offen. Wenn es Nacht ist, müssen wir nicht mehr aufpassen. Niemand tritt uns, niemand vertreibt uns. Wir dösen und spielen, ohne, dass wir uns fürchten müssen.

Mit quietschenden Reifen bremst ein Auto vor uns ab. Mir stellen sich die Fellhaare auf. Ich fahre hoch, platziere mich schützend vor dich, hisse. Das Auto fährt vorsichtig an uns vorbei. Ich schmiege mich wieder an deinen schnurrenden Körper. Du liegst noch genauso da wie zuvor. Nur dein Atem, er geht etwas langsamer.

Erzähl weiter, flehe ich. Ich stecke meine Nase so tief ich kann in den zarten Flaum unter deinem Kinn. Da, wo du noch am wärmsten bist.

Erzähl mir von den Menschen, die dort leben.

Ich höre, wie die Tür der Pizzeria aufgeht. Ich höre das Glöckchen am Türrahmen klingeln, höre die tiefe, aufgeregte Stimme von Luigi über das Rollen der Fahrzeuge hinweg.

Die Menschen sind gut zu uns, sagst du.

Sie lieben uns. So wie früher. Sie pflegen uns gesund, wenn wir krank werden. Sie lachen, wenn wir etwas umschmeißen. Und wenn sie wegziehen müssen, dann nehmen sie uns mit. Immer nehmen sie uns mit.

Dein Brummen wird leiser. Ich kann deinen Atem kaum noch hören. Die Schritte von Luigis weichen Lederschuhen nähern sich.

Erzähl es mir noch einmal, flüstere ich erstickt.

Erzähl mir noch einmal, wie schön es sein wird.

Ein guter Tag

Heute ist Tag 151, ein guter Tag.

Wie immer drehe ich meine Runden durch das Viertel. Ich beobachte die Zweibeiner, weiche ihren langen Beinen aus, wenn sie wieder einmal viel zu schnell von einer Ecke zur anderen gehen. Ich laufe ihnen hinterher, schmiege mich an ihre weichen Beine und Mäntel und springe davon, wenn sie wieder einmal nach mir treten. Das war früher anders. Früher, da haben sie mein Fell gestreichelt, sich gefreut, wenn ich schwanzwedelnd auf sie zugelaufen kam. Doch heute, heute gehen sie mir aus dem Weg. Zugegeben, mein Fell ist nicht mehr das, was es mal war und auch der juckende Ausschlag sieht nicht besonders schön aus.

Wenn ich Glück habe, wirft mir jemand ein Stück Brot vor die Nase. Ich teile es mir mit den Tauben und Ratten, doch in letzter Zeit werden auch diese Spenden selten.

Manchmal sehe ich meinesgleichen auf den Straßen. Sie laufen brav an ihren langen Leinen, so wie ich es einst tat. Und wie ich vor langer Zeit schauen auch sie ihren Zweibeiner an und erhalten dafür ein Stück Wurst oder Käse. Oh, wie ich mich nach dieser Zeit sehne. Gute Zeiten, einfachere Zeiten. Zeiten des Glücks und der Geborgenheit. Irgendwann wird diese Zeit zurückkommen. Bis dahin, drehe ich meine Runden durch das Viertel. An meinem Ziel angekommen, warte ich. So wie jeden Tag. Eine schmale Gasse an der Straße und ich mittendrin. Hinter mir hängt das letzte Geschenk von meinem Zweibeiner. Das Rot der Leine leuchtet längst nicht mehr, die Buchstaben auf dem Schild am Boden sind verblasst. Die Worte aber habe ich mir gemerkt.

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Ich weiß nicht, was sie bedeuten, aber ich passe weiterhin darauf auf. So lange bis mein Zweibeiner wieder kommt. Dann werde ich ihn schwanzwedelnd begrüßen und ihm voller Stolz sagen können: Ich habe darauf aufgepasst, wir können nach Hause.

Die Wächterin der Weltenseele

Oh du wunderschöne Morgendämmerung. Wenn du am Himmel die zartesten Farben am Horizont auftauchen lässt, steigt mein Herz mir in die Kehle und ich singe. Singe meine schönsten Melodien, um dir zu gefallen.

Oh du Träumende. Lass mich dich begleiten, dir mit meinem Lied den Weg zeigen, damit du das Tor aus der Traumwelt findest.

Ich sehe dich. Hier, von dem großen Alleenbaum, der gegenüber von deinem Schlafzimmer steht, habe ich einen guten Blick. Von hier kann ich dich im Auge behalten.

Ich liebe es, wenn du dein Fenster öffnest und mir zuhörst. Ich sehe den glücklichen Ausdruck in deinem Gesicht, wenn du zu mir herüberblickst.
Und ich höre deine geflüsterten Worte. Dein Dankeschön.

Wir starten jetzt beide in unseren Tag.
Du wirst das Haus verlassen, um arbeiten zu gehen. Ich werde voll damit beschäftigt sein, auf mein Gelege aufzupassen. Die Elster von nebenan spitzt schon wieder auf meine Eier.
Und dieser abscheuliche Rabe, der sich letzte Woche herverirrt hatte, kreist offenbar auch wieder über dem Dach.
Die Katzen deiner Nachbarin machen mir keine Angst. Die dämmern den ganzen Tag auf der Terrasse vor sich hin. Bis zu meinem Nest kommen die bestimmt nicht hoch. Und du magst sie. Also können sie so schlimm nicht sein.

Danke übrigens, für die Haferflocken und die Rosinen. Damit hast du mir sehr geholfen. Die Nahrungssuche in der Stadt ist nicht gerade einfach und ich lasse nur ungern mein Nest aus den Augen. Man weiß ja nie. Oder eben gerade, weil man weiß. Meinen Partner habe ich ja vor zwei Jahren bei sowas verloren. Aber es geht auch alleine, das sehe ich ja an dir.

So schnell verging dieser Tag. Du bist zurück. Sitzt auf deiner Terrasse. Hast ein Glas Wein vor dir stehen und liest in einem Buch. Jetzt entzündest du die Kerzen. Ich komme ein wenig näher, setze mich auf deinen hübschen Olivenbaum. Sieh, es dämmert.

Oh du wunderbare Abenddämmerung. Wenn die letzten Strahlen der Sonne den Himmel entflammen, steigt mein Herz mir in die Kehle und ich singe. Singe meine schönsten Melodien, um dir zu gefallen.

(Für die Amsel, auch der Schwarze Druide genannt)

Warum

In den letzten Monaten sind unsere Spaziergänge kürzer geworden. Dafür sitzt du viel mit mir im Garten. Eingemummelt in eine Wolldecke. Deine Hand auf meinem Rücken. Du riechst anders als früher.

Heute fahren wir zusammen in den Urlaub. So wie früher, nur dass du nicht selber fährst. Stattdessen sitze ich jetzt neben dir in dem großen Auto mit dem blauen Licht. Es war in den letzten Monaten schon oft bei uns. Diesmal leuchtet es nicht.

Als wir ankommen gehst du langsam mit mir durch den Garten zu unserem Zimmer. Ich liebe es jetzt schon. Riesige Glastüren, Blick auf den kleinen Teich. Sogar Enten gibt es hier. Du hast meine Kuscheldecke mitgenommen.

Nachts liege ich neben deinem Bett und versuche die neuen Gerüche zu sortieren. Es riecht sauber. Unzählige Putzmittel. Waschmittel. Deine Bettwäsche riecht fremd. Du riechst fremd. Immer wieder kommen fremde Menschen in unser Zimmer.

Dir ist kalt. Ich lege mich zu Dir ins Bett und rolle mich ganz klein zusammen, um Dich nicht zu stören. Deine Hand auf meinem Rücken. Deine Stimme wird leiser. Jeden Tag ein bisschen leiser. Du gehst nicht mehr mit mir in den Garten. Ich verlasse dich nur noch, wenn es nicht anders geht. Dann liege ich wieder bei dir im Bett. Deine Hand auf meinem Rücken.

Heute Nacht ist deine Hand von meinem Rücken gerutscht. Jetzt sind wieder fremde Menschen in unserem Zimmer. Eine streichelt mich sanft und hebt mich vom Bett. Eine Träne rollt von ihrer Wange in mein Fell.

Man tut was man kann.

Anzeige: Zu verschenken.

Schweren Herzen müssen wir uns von unseren lieben und verspielten HSLBM (homo sapiens, ledig, blond, männlich), trennen. Er ist 25 Jahre alt, dreifach gegen Corona geimpft und stubenrein. Er frisst alles, hat keine Unverträglichkeiten und verbringt sehr gerne Zeit auf dem Sofa.

Spielen tut er auch gerne, am liebsten Computerspiele. Zur sicheren Eingewöhnung geben wir technische Ausrüstung inklusive zwei Controller mit.

Er ist ein Freigänger, kommt aber immer zuverlässig nach Hause. Er kennt auch den Kontakt zu Kindern, diese mögen ihn nur nicht besonders.

Wir würden ihn gerne behalten, nur leider haben wir sehr viel zu tun und haben keine Zeit mehr für ihn. Da er uns sehr viel bedeutet, suchen wir für ihn ein liebevolles und sehr geduldiges Zuhause.

Bei der Abnahme geben wir auch etwas Zubehör dazu, eine Zahnbürste, Handy und eine Transportbox.

Flocke und Pfötchen.

Auftragsangebot

Gestatten, mein Name ist Bartholomäus Buddler und ich bewohne mit meiner Familie die Grünfläche „Schöne Aussicht“, eine der angesagtesten Gegenden der Stadt.

Wir buddeln hier bereits in fünfter Generation und sind sehr stolz darauf. Es gibt zwar in der Nachbarschaft Bewohner, die ihre Generationen nicht mehr zählen können, aber mit diesen ständig poppenden Karnickeln haben wir nichts gemein.

Unser Familienunternehmen ist effizient, flexibel und belastbar. Wir übernehmen alle Erdarbeiten wie Sondierungsbohrungen, Tunnelbau und Aushub. Wir sind in der Lage, in einer Nacht eine hundert Meter Unterführung auszuschachten. Unser wichtigstes Tätigkeitsfeld sind Vorgärten mit der Kernkompetenz „Erdhügel bis kein Grün mehr zu sehen ist“.

Unser Firmenmotto lautet: It is hip to dig.

Leider kam es bei unserem letzten Einsatz zu Missverständnissen, so dass wir ab sofort Kapazitäten frei haben.

Sollten wir Interesse geweckt haben, kontaktieren sie uns bitte unter :
Urban-digging@ molehills.com

Wir können schon morgen für Sie da sein.

Bastet

Ich betrete die enge Gasse. Hier sind alle Lichter erloschen, der Mauerstein glänzt im nieselnden Regen. Vor mir ragen Mülltonnen auf, aus ihnen duftet der Unrat. Im Schatten verharrt eine geduckte Gestalt. Ich beachte sie nicht, ein Streuner, nichts weiter. Seine Katzensinne sind auf Fischreste gerichtet, auf das Fleisch halb abgenagter Knochen. Derlei Dinge interessieren mich nicht. Ich verfolge einen Plan und der hat nichts mit Nahrungsaufnahme oder anderen profanen Gelüsten zu tun, die meine Art gewöhnlich antreiben. Aus den Winkeln meiner grünen Augen erspähe ich das grau getigerte Fell des Streuners. Als er meiner ansichtig wird, springt er zwischen den Kübeln hervor und taxiert mich mit wilden Blicken. Seine Drohgebärden zeigen es deutlich, er will kämpfen, will sein Revier gegen mich, den ungebetenen Gast, verteidigen. Ich habe fast Mitleid mit ihm. Fast. Jetzt beginnt er zu fauchen, seine Krallen sind weit vorgestreckt. Ich sehe seine Muskeln unter dem Fell zucken. Plötzlich verstummt er, duckt sich und weicht zurück. Er weiß, irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas ist anders als sonst. Ich sehe es in seinen bernsteinfarbenen Augen und genieße die Verwirrung darin, die prickelnde Ahnung einer Gefahr. Ich könnte ihn jetzt töten. Aber wozu? Sein lächerliches Straßenkaterdasein hat keine Bedeutung für mich. Wenn mich meine lange Existenz etwas gelehrt hat, dann das: „Verhalte dich ruhig und töte nur, wenn du musst.“ Als er in das Grün meiner Feuer gespeisten Augen blickt, ist ihm jegliche Lust auf einen Kampf vergangen. Ich lecke über meine Lippen und stelle mir vor, wie süß sein Blut schmeckt. Einige wonnevolle Momente schwelge ich in diesem Bild, dann lasse ich den Streuner Links liegen und setze meinen Marsch durch die dunkle Stadt auf samtweichen Pfoten fort. Jeder der mich sieht, erblickt nur eine Katze, fleckenlos schwarz und geschmeidig, mit ungewöhnlich leuchtenden Augen, die in ihren unauslotbaren Tiefen wie Smaragde funkeln. Könnte ich lächeln, so würde ich es tun. So zucke ich nur belustigt mit den Schnurrhaaren und wiege gemächlich den Schwanz.

Feuchtigkeit dringt durch die weichen Ballen meiner Pfoten, als ich gespenstisch leise über das regennasse Pflaster eile. Straße um Straße zieht vorbei, immer spärlicher beleuchtet, bis ich schließlich an meinem Ziel angelangt bin. Ein großer Platz erstreckt sich vor mir, sorgsam verfugt und aus grauem Stein. Durch das Fenster meiner grün glühenden Augen sehe ich ein Gebäude vor mir aufragen,langgezogen und von hohen Säulen umgeben. „Britisches Museum“ prangt als Tafel über dem Eingang. Es hat gedauert, bis ich die primitive Sprache der Neuzeitmenschen erlernt habe. Sie ist so ganz anders als meine ursprüngliche, aber schließlich und endlich habe ich sie meistern können…Ich horche auf.

Meine Katzenohren spitzen sich. Ohne Zweifel da sind Geräusche am Eingang, ein Schieben, Rumpeln und Krachen, begleitet von rauen, kehligen Stimmen. Das Poltern und Rufen der Männer belagert meine empfindlichen Sinne. Ich möchte schreien und wage es nicht, aus Furcht entdeckt zu werden. Wie ich noch so schaue und denke, drängt sich eine neue Empfindung in meine Wahrnehmung und als die Männer eine schwere, längliche Kiste aus dem Eingang ziehen, weiß ich, der Moment ist gekommen. Eilig haste ich vorwärts, jede Deckung ausnutzend, damit mich die Männer nicht sehen. Ich spanne die Muskeln, strecke die Glieder, setze zum Spurt an und im letzten Augenblick, ehe sich die Plane des Lastwagens schließt, springe ich auf die Kiste. „Geschafft!“, denke ich „nach so langer Zeit, nach Jahren des Planens, geschafft! Wohlig strecke ich meinen schlanken Katzenleib und sinke auf die vernagelte Kiste. Meine Augen leuchten überirdisch hell, als sie zu dem Körper in der Kiste Kontakt aufnehmen. Ich schnurre zufrieden.

Etwas unter den ledrigen Bandagen, die durch die Ritzen der Kiste schimmern, antwortet mir. Eine uralte Stimme, leise und brüchig, verschwunden geglaubt im Nebel der Zeit. Ich lecke mein Fell, bis es seidig glänzt und denke an das samtene Haar, das einst mein Haupt bedeckte, schwarz und duftend von den Wohlgerüchen raffinierter Tinkturen,

Bei Osiris, wie schön ich war! Jeder begehrte mich, meinen schlanken Leib, meine zarten Hände, meinen wollüstigen Mund, das war mein Segen und mein Fluch und schließlich mein Todesurteil.

Mit Wehmut sehne ich mich in den Tempel meiner Göttin zurück, die Hände mit dem blutigen Opfermesser erhoben. Wievielte Tode schenkte ich meiner Göttin Bastet, wie reich war meine Ernte!

Doch meine Hände sind verwelkt und was einst mein Körper war, ruht jetzt einbalsamiert in dieser Kiste. Meinen Geist aber konnte Anubis, der listige Schakalgott, nicht an sich binden.

Die Katze weiß es. Nur sie kennt mein Geheimnis, gut versteckt und wohlverwahrt hinter diesen grün schillernden Augen.

Der Wagen rumpelt über das Pflaster. Ich höre es und weiß, wo die Reise hingeht, nach Kairo, meine einstige Heimat. In Vorfreude auf das Überwechseln putze ich meinen Katzenleib. Ich stöhne und der Laut dringt als Murren aus dem Leib der Katze an mein Ohr. So aufgeregt ich bin, so groß ist auch meine Angst, vor dem Moment, wenn sie die Kiste öffnen. „Werde ich mich wiedererkennen?“, ruft es in mir und die Katze maunzt kläglich, „werde ich wieder so betörend schön sein, wie zuvor?“

„Ruhig, mein Kind“, höre ich meine Göttin flüstern, „fürchte dich nicht. Wir werden bald wieder vereint sein. Du wirst diesen Leib verlassen, wie du es so viele Male zuvor getan hast und mir erneut dienen. Jetzt und alle Zeit.“

Leberwurstbrot versus Veilchenduft

Mein Name ist Bond. James Bond. Für Leberwurst würde ich töten. Ich tue es nicht, aber ich könnte.

Wie jeden Freitag warten wir auf die S 21 Richtung Aumühle. S-Bahn-Geruch mag ich lieber als U-Bahn-Gestank. Hier riecht es nach dem Veilchenduft meiner Besitzerin, nach kalter Winterluft und dem halbangegessenen Burger drüben im Mülleimer. U-Bahn ist bäh. Zu stickig, zu abgestanden. Ich kenne sie alle, den gesamten HVV, Zone A-H. Ich bin einfach ein Hamburger Jung.

Die Bahn kommt. Quietschen. Hektisches Aussteigen. Drängelndes Einsteigen. Fahrräder dürfen zwischen 6 und 9 Uhr und 16 und 18 Uhr nicht mitgenommen werden. Ich habe Pfoten. Mich betrifft das nicht. Ich darf mit. Ein Kind schreit. Sanft streichelt mein Frauchen mein Ohr. Ja, seht alle her. Sie ist mein Frauchen! Mmmmh, bitte mehr davon, wenn wir zu Hause sind. Jetzt habe ich einen Job zu erledigen. Seht ihr die Weste, die ich trage? Ich bin im Dienst. Auf geht’s. Die Luft es rein. Du kannst rein. Ich stupse sie an. Ihr Stock mit dem aufgeschnittenen Tischtennisball klackert auf dem Betonboden. Vorsicht Stufe. Warte, ich hopse schon rein. Sehr gut. Geschafft. Halt dich bitte dort am Griff fest. Sie macht das so toll. Heimlich bin ich ein bisschen stolz auf uns.

Der Typ gegenüber beißt in ein Leberwurstbrot. Leberwurstbrot. Würzig und zart weht dieser himmlische Geruch in mein Näschen. Entschuldigung, Frauchen, ich würde dort mal eben kurz fragen, ob ich mal beißen darf. Ist ok oder? Nur einmal ganz kurz. Ich wäre in drei Sekunden zurück.

Die Bahn fährt los. Es ruckelt. Frauchens Ärmel bewegt sich. Halt stopp, aus dem Weg. Ich gehöre zu ihr. Sie braucht mich. Ach, nur die Ponysträhne hat sie im Gesicht gekitzelt. Sie lächelt. Puh, Glück gehabt. Ich lege mich vor sie. Mein Kinn auf ihrem Fuß. Wohlige Wärme durchströmt mein Bäuchlein. Bei ihr bin ich zu Hause. Leberwurst rettet keine Leben. Ein Blinden-Retriever jeden Tag.

Was gibt’s Neues, Henri?

Da kommt er. Ich erkenne ihn schon von weitem an seinem Gang. Kleine Schritte, das rechte Bein will nicht schneller. Seit kurzem hat er einen dicken Stock dabei, der scheint ein bisschen zu helfen.
„Da ist dein humpelnder Menschen-Freund“, rätschen meine Kumpels hämisch von der hohen Kastanie runter. „Ach haltet doch den Schnabel“, krächze ich zurück. Dummflieger sind das.
So würdevoll wie möglich hebe ich ab und kreise zweimal zwischen dem efeubewachsenen Tor und dem alten Mann. Er schaut hoch, hebt kurz die freie Hand. Landung auf einem der vielen großen Steine, die von den Menschen überall aufgestellt wurden. Dann kann es jetzt zu Fuß weiter gehen, ist weniger anstrengend - also für mich.
Ich hüpfe zwischen den eckig angelegten Blumenbeeten und der blätterbedeckten Wiese in Richtung eines rot lackierten Holzgestells. Das ist mein und sein Ziel.
Natürlich bin ich schneller. Na endlich! Er lässt sich auf den Sitz plumpsen, lehnt sich an das Brett und stellt den Stock neben sich ab.
Wie immer schaut er eine ganze Weile still auf den eckigen Stein, der letzten Winter hier neu dazu gekommen war.
Vorsichtig spechte ich zu ihm rüber.
„Na Henri, was gibt’s Neues?“ Ah - er hat was gesagt, oder so. Keine Ahnung, versteh kein Wort von diesen seltsam murmelnden Lauten.
Aber weil ich ein Vogel mit Umgangsformen bin, erwidere ich: „Schääk - schääk.“
„Nein, bei mir ist auch nicht viel passiert. Bloß beim Arzt war ich, du weißt, mein Knie. Wird schlimmer bei dem Nieselwetter.“
Während er so brabbelt, holt er aus der äußeren Schicht seines gewebten Gefieders ein silbrig glänzendes Ding hervor und schraubt es auf. Dampf steigt auf.
Er nestelt weiter. Das vertraute Rascheln lässt mich näher rücken.
„Ja, ja, du bekommst gleich was. Schau; heute gibt es Emmentaler, Gürkchen und Ei. Dein Lieblingsbelag.“
Essiggurken? Bäh - mag ich gar nicht! Lass ich an der Burger-Bude auch immer liegen. Er nimmt sich die Hälfte vom Brot. Langsam schiebt er das Papier mit den extra klein geschnittenen Häppchen zu mir.
„Schääk - schääk.“
„Wünsche dir auch einen guten Appetit, Henri.“
Angewidert picke ich das saure Grünzeug aus meinem Anteil und schleudere es auf den Boden.
"Ach stimmt - du hasst Gürkchen. Paprika - das willst du immer drauf haben. Wie konnte ich das vergessen? Er starrt kurz verwirrt auf sein Brot. „Paprika war es…, ach, ist sowieso viel zu teuer im Winter.“ Er pustet in den heißen Dampf und schlürft ein wenig. „Nächstes Mal gibt’s einfach ne’ Salami Stulle, da kann man nix falsch machen.“
„Schääk -schääk.“
Irgendwann ist alles verputzt. Und wie meistens gebe ich das Signal. Das Abendlicht ist kurz, der Schlafplatz ruft.
„Schääk - schääk“, sag ich zum Abschied und schraube mich in den Himmel.
Mühsam erhebt sich der Mann; schaut mir nach. „Ja, wir sehen uns. Und richte deinem Namensvetter da oben einen Gruß von mir aus.“

Voll langweilig

Dort. Ich kauere am Waldrand im tiefen Gras, lasse die Beute keinen Moment aus den Augen. Langsam pirsche ich mich heran. Alle Muskeln angespannt, ein Sprung – und ich schlage meine Zähne in das weiche Fleisch, stille meinen Hunger. So soll es sein, so hat es die Natur bestimmt.
Mein gewaltiges Brüllen erfüllt die Luft, lässt alle Lebewesen innehalten und erzittern. Irgendwo in der Ferne erklingt eine Antwort. Ein Weibchen? Nein, das wäre noch zu früh. Ein Konkurrent, der mir das Territorium streitig machen will? Ich fürchte ihn nicht. Das Geschnatter der Affen lenkt mich ab, ich drehe den Kopf …

… und sehe mich um. Wie schön, sie haben mir ein eigenes Wasserloch geschaffen. Wenn es nur nicht so seltsam riechen würde, irgendwie künstlich und so gar nicht nach Wildnis. Daneben die Felsen spenden etwas Schatten, vor den Blicken schützen sie allerdings nicht, denn das ganze Territorium ist winzig und mit wenigen Schritten zu durchqueren. Anschleichen? Völlig unmöglich, selbst wenn es hier irgendwelche Beute geben würde. Stattdessen bekomme ich ausreichend und gutes Futter und muss niemals hungern, doch ich möchte jagen, denn das ist meine Natur und liegt mir im Blut.
Meine Stimme erheben? Wozu. Mittlerweile lassen sich davon nicht einmal mehr die Mäuse beeindrucken, die unter dem Felsen hausen.
Ich sehe den tiefen Wassergraben, der meine Welt umschließt, und der auf der anderen Seite von einer hohen Mauer begrenzt wird. Dort oben stehen sie, die Zweibeiner, und sie starren mich an. Ihre Jungen kreischen und schnattern lauter als die Affen, aber das Anstarren ist das Schlimmste. Sie nennen es Zoologischer Garten und haben es sicher gut gemeint, ein Gefängnis ist es trotzdem.
Müde lasse ich den Kopf wieder sinken, ich möchte zurück in meinen Traum, dorthin, wo ich frei und lebendig bin …

»Och Menno, der Tiger is voll langweilig, der macht ja gar nichts. Mami, warum liegt der immer nur da und schläft?«
»Na, wahrscheinlich war er gestern zu lange auf und ist jetzt schrecklich müde.« Und so leise, dass es ihr Kind nicht hört, fügt sie noch hinzu: »Oder unendlich traurig.«

Die Spur nimmt mich gefangen. Gesottenes und Gebratenes, dort drüben, beim alten Jupp. Ahhh. Der Duft kitzelt meine Nase, meine Schnauze ist schon ganz wässrig. Ich kann den Braten schon in meinem Mund fühlen.
Nee, das darf doch nicht wahr sein. Eli, die blöde Kampfkatze von Frau Schneckenwerth, ist natürlich die Erste. Immer dieses aufgeblasene, frisierte, mit Spangen behangene, blasierte Persertier. Schleichend, mit angehaltenem Atem, nähere ich mich dieser Schnepfe. »Miau, miau.«
Gurrend schnurrt sie um Jupps Beine. »Ja, mein liebes Kätzchen, ich habe noch Fisch für dich.« Ihre großen, blauen Augen blicken leidend zu ihm auf. Das kann sie! Schauspielern! Der Alte legt ihr einen Bratfisch vor die Pfoten und gibt ihr noch ein Schälchen Katzenmilch. Arrogant, wie sie ist, läuft sie ein paar Schritte hinter ihm her. Meine Chance, ihr das Fressen gründlich zu versauen.
Nett wie ich bin, entleere ich meine Blase direkt auf ihrem Teller. Kreischend und fauchend springt sie mich an. Jaulend lege ich mich auf den Boden.
»Du böse Katze, lass den armen alten Hund in Frieden! Scheuch dich!«, brüllt Jupp. Grinsend lege ich mich vor seine Füße. »Du armer komm, ich gebe dir ein Lecker.«
Klar, tust du das. Das Leben ist hart und unfair, ne Eli?

Für uns Städter ist es doppelt schwierig. Lange schon suche ich nach dem Einen. Den meisten anderen ist es egal. Meine Mutter hat mir immer damit in den Ohren gelegen. Ich höre es wie heute. Magdalena, hat sie gesagt, reiß dich zusammen. Es geht ums nackte Überleben. Um nichts weiter. Da kannst du dir keine Extravaganzen leisten. Denk an unsere Zukunft!
Sicher, den Sinn des Lebens müssen wir im Auge behalten. Immer. Das ist vollkommen klar. Aber um jeden Preis? Ich bin mir deshalb nach wie vor unsicher. Meine Freundinnen, die haben längst ihren Beitrag geleistet. Mehrfach und noch viel öfter. Aber da mache ich nicht mit. Ich … Moment mal!
Das ist Wahnsinn. Ich werde verrückt! Die dunklen Flecken auf dem bleichen Untergrund hauen mich um. Sie umschmeicheln seine Figur. Ich drehe gleich durch. Und dann dieser Duft. Absolut betörend. Ich zwinge mich, im Schutze der Mülltonne unentdeckt zu bleiben. Aber was, wenn er gleich weg ist? Zum ersten Mal im Leben bin ich nervös. Ich muss an die Arterhaltung denken. Mama hatte Recht.
Ich setze zum Sprung an, bremse kurz vor ihm ab, drehe mich weg, zeige ihm frech meinen Hintern, Schwänzchen hoch. Er dreht sich lüstern zu mir. Ich schmeiße mich auf den Gehweg, strecke mich, rolle hin, rolle her, schreie vor Glück. Oh, mein Gott!
Ich freue mich auf die nächsten 9 Wochen, auf die Ruhe vor dem Sturm. Danach geht der Stress los, wenn meine kleinen Kätzchen alle gleichzeitig an den Zitzen nuckeln. Das ist die schönste Zeit, Magdalena, hat Mama immer gesagt.

Hauptstadtlöwin

Manchmal gloob ick et hackt. Ick mein dit is Balin, Hauptstadt der Nich-janz-Zurechnungsfähigen, aber ma ehrlich: wat sich die Zweibeinigen da wieder ausbaldowert haben, dit jeht uff keene Kuhhaut. Aber jut, ick werd ma nich beschwern. Bin ick halt die berühmteste Löwin des Landes. Hier kannste ja allet sein, warum nich och dit. Und is ja och ne Abwechslung.
Eigentlich hatte die Schose janz harmlos anjefangen. Kleiner Ausflug am Vortag nach Brandenburg, n bisschen durch de Wälder inne Pilze. Nich immer nur Kleingärten in Zehlendorf umpflügen, stattdessen: Natur. Is klasse, kann ick empfehlen. Da jibts Pilze, riesen Apparillos, dit gloobste nich, ne wahre Pracht. Naja, lirum larum, wat soll ick sagen, ick hab se mir einjefiffen, aber waren wohl nich alle janz bekömmlich. Bunte Farben, allet schick, aber in der Abenddämmerung, wie ick so langsam den Heimweg antrete, wird mir doch blümerant. Also ab zum Nikolassee ne Runde die Plauze ins Wasser halten. Rückweg durchn Wald, an Häusern vonne Zweibeinigen vorbei und da passierts. N Halbjewalgerter steht anner Bushaltestelle und rotzt inner Jegend rum. Na dit kann ick ja gar nich leiden. Ick mein uff dem gleichen Boden schnüffel ick. Und weil grade eh noch n paar Pilze ihre Wirkung tun, bin ick in Pöbellaune.
“Ey du Fatzke”, grunz ick ihn an. “Benimm da oder et setzt n Satz warme Ohren.”
Vasteht er natürlich nich. Stattdessen fängt dit Backfeifenjesicht an wie bekloppt mit seinen Armen zu wedeln und dit Handy rauszuholen. Ick verdünnisier mir, bin ja n Wildschwein und keene Rampensau. Soll er halt meinen Arsch filmen und dit mit seinesgleichen teilen. Wers braucht!
Aber det se meenen Hintern am nächsten Tach inna Zeitung zur Löwin erklärn, dit fass ick nich. Meen Arsch! Ne Löwin! Jetzt läuft hier die Polente rum, een Hubschrauber nach dem anderen kreist. Verrückt die Zweibeiner! Aber jut, ick halte erstmal die Hufe still und übe zu pfeifen. Morgen bin ick een Kanarienvogel.

Kein gutes Personal zu finden

Das morgendliche Sonnenlicht fällt sanft durch die Vorhänge und kitzelt meine Nase. Ah! Genug geschlafen! Wirklich? Ach nein, ein paar Minuten noch! Ich rolle mich nochmal ein. Zwei Stunden später werde ich aber doch hungrig. Ein neuer Tag im Königreich beginnt!

Letzte Woche haben sie mich von der Straße geholt und in wenigen Tagen habe ich hier die Regentschaft übernommen. Sie waren wohl auf der Suche nach einem Anführer.

Ich strecke mich, mache einen Buckel. Dehne die Muskeln, wie es sich für den größten aller Jäger und die Herrin des Hauses gehört! Ah, da liegt sie noch an der Ecke meines Kissens! Die Wollmaus, die ich gestern erst zur Strecke gebracht habe! Wo habe ich eigentlich das Papier hin, das ich vorher vom Schreibtisch meines Bediensteten, den ich liebevoll „Menschen“ nenne, gezogen habe? Unter die Couch gestopft, wie seine Socken? Hmm? Ach egal! Wo das herkommt, gibt es noch mehr. Und es ist so lustig, wenn er auf die Suche geht – nach seinen Socken oder den Papieren auf denen er gerade noch rumgekritzelt hatte. Sowieso eine Frechheit! Wie kann er seine Aufmerksamkeit diesem knistrigen Stück widmen, wenn doch ich da bin? Natürlich habe ich mich draufgelegt, aber er hat mich weggeschoben. Unglaublich!

Aber ich schweife ab.

Hunger! Das war der Gedanke! Was, das Dienstpersonal schläft noch? Es ist doch schon 5 Uhr! Ich bekomme sie einfach nicht erzogen! Ich schnurre seufzend und versuche es erneut. Ein Sprung aufs Bett, ein wenig über die Beine laufen. Nützt nichts. Na gut. Härtere Maßnahmen sind erforderlich. Ich setzte mich auf das Gesicht des einen. Ah! Er wacht auf.

„Was zum …? Maunzel weg da!“ Er wischt mich herunter. Sicher, weil er noch halb im Schlaf ist, sonst würde er das nicht wagen.

„Mauuu!“, mache ich und schnurre ein wenig. Das hilft immer.

„Na schön.“ Er seufzt ergeben, wie sich das gehört und schlurft in die Küche. „Hühnchen oder Fisch?“

„Mau!“, mache ich für Fisch.

„Also Hühnchen“, sagt er prompt. Macht er das extra? Ich muss an ihm einfach noch arbeiten!

Von Menschen und Mäusen

Laufen. Schneller. Immer in Bewegung bleiben. Nie vorhersehbar. Immer schön tiefer gelegt entlang der Mauern, die genauso grau sind wie wir. Geschwindigkeit und Tarnung sind unsere Geheimwaffen. Wer beides aus dem Effeff beherrscht, kann unter dem schützenden Rockschoß von Mutter Glück das juvenile Alter ohne Blessuren überwinden und neue Familien gründen.

Anders als bei unseren Verwandten vom Land sind für uns Stadtmäuse nicht die Katzen die größte Bedrohung. Nicht einmal Autos sind so gefährlich wie unser schlechter Ruf und die Mäusephobie vieler Menschen. Erwischt uns jemand in einem Keller, die übrigens schon längst ihre Attraktivität eingebüßt haben, quieken sie lauter als wir und rennen fast genauso schnell davon. Richtig lecker hingegen sind die Plätze, wo Menschen ihren Abfall entsorgen. Was die alles für Müll halten! Der Inhalt einer frischen Mülltüte aus einer gepflegten Küche ernährt eine Mäusefamilie eine Woche lang. Und verschenken können wir auch noch reichlich. Okay, die Tonnen müssen wir uns mit den Waschbären teilen. Arbeitsteilung: Sie werfen die Tonnen um oder sortieren sie vor, fummeln sich ihren Anteil raus, und wir schleppen die Reste fort. Hier in Kassel sind die Biester schon so adipös wie Luftballons und müssen Räuberleiter machen, um noch an die Tonnendeckel zu kommen. Da sind wir im Vorteil. Immer auf Achse, nie ausruhen, außer im Schutz des Nests – das hält uns fit und am Leben.

So, jetzt noch schnell über den Hof huschen … bitte, bitte, ohne gesehen zu werden, dann bin ich am heutigen Tagesziel. Hier soll einer alten Dame eine Einkaufstüte geplatzt sein. Jepp, tatsächlich, Getreidekörner, nur flüchtig in den Rinnstein gefegt. Hatten wir schon ewig nicht mehr auf dem Speiseplan. Machen pappsatt! Gönne ich mir ein, zwei Körnchen vorab für den langen Heimweg?

„Paul? Ich habe dir schon hundertmal gesagt, du sollst den Mäuse-Getreideköder nicht einfach hier draußen ausstreuen, wo so viele Leute vorübergehen! Was, wenn ein Hund ihn frisst?“, höre ich noch.

Ode an Jane.

Ich laufe, ich laufe. Gras unter meinen Füßen. Grünes Gras. Das tut gut. Laufen. Laufen. Schon seit drei Tagen.
Stop. Da rechts, war da nicht ein Geräusch? Ein Geräusch? Eine Bewegung? Ich bin aufmerksam geworden. Ich sabbere ein bisschen.
Ein Mensch. Da ist ein Mensch. Er steht an der Tür und sieht mich an. Ich ignoriere ihn.
Laufen. Meine Beine tragen mich. Oh, eine Petunie. Ich zerre sie heraus. Der Garten gehört mir. Mir.
Der Mensch sieht mich noch immer an. Er sieht zu mir herüber. Sabber. Ich sabbere noch mehr. Ich gehe hin. Er hebt seine Hand. Er bewegt seine Hand zu mir. Ist er verrückt? Ich sehe nur noch seine Hand. Meine Wut wächst. Seine Hand hat meine volle Aufmerksamkeit. Ich folge seiner Hand mit meinen Augen.
Der Mann an der Hand hält inne. Halte inne, sonst reiße ich dir die Hand ab. Ich sehe nur noch seine Hand. Ich atme. Ich sabbere. Meine Temperatur steigt.
Er nimmt seine Hand weg. Meine Augen folgen der Hand. Jetzt ist der Moment gekommen, ich…
Aus der Tür schlägt mir ein Geruch entgegen. Fleisch. Rohes Fleisch. Meine Wut geht zurück. Er hat Glück. Ich beruhige mich.
Ich vergesse die Hand. Habe die Hand schon vergessen. Das Fleisch hat meine Aufmerksamkeit. Ich sabbere. Ich sabbere noch mehr.
Ich laufe zweimal auf und ab. Aber der Geruch nach dem Fleisch ist zu präsent. Ich rieche Fleisch.
Gib mir das Fleisch. Ich knurre. Ich rieche. Ich sabbere. Los, gib mir das Fleisch. Gib mir das Blut, sonst nehm ich mir deins. Beeil dich. Du hast meine volle Aufmerksamkeit, meine Wut steigt wieder. Gib mir das Fleisch, sonst springe ich an deine Kehle. Ich laufe. Laufen, auf und ab.
Das Gras unter meinen Pfoten beruhigt mich nicht. Ich habe das Blut gerochen.
»Was ist da los?«, fragt eine Stimme aus der Wohnung.
»Ein Hund«, antwortet die Blut-Hand. »Ein Bull-Terrier, glaube ich.«
Ja, glaube, was du willst. Hauptsache du gibst dir das Fleisch. GIB MIR DAS FLEISCH! SOFORT!
»Gib ihm was zu essen«, sagt die Stimme im Haus. Stimme im Haus. Essen. Ich stürme hinein. Gib mir was zu essen. Meine Wut verrinnt. Da steht ein Napf. Ich bin ganz weich. Mit Fleisch. Sie geben mir was zu essen. Sie lassen mich hinein. Sieh mein Fell. Wie weich. Wie lieb ich bin.
Meine Wut ist verflogen. Neben dem Napf ist eine Schale mit Wasser. Sie geben mir Wasser. Ich liebe Wasser.
Habe vierzig volle Bahnen im Garten gemacht. Habe den ganzen Garten gemacht. Habe Durst. Habe Hunger. Sie geben mir Wasser und Fleisch. Das Leben ist gut.
Ich trinke. Ich esse.

Später sagt die Stimme aus dem Haus, eine Frau, das sie mich Tarzan nennen wird. Tarzan. Ich sabbere.
Für mich nenne ich sie Jane.

Hansis Flug

Die Mutter schreit: „Schnell, fang ihn ein!“
Der Vater donnert: „Hansi, nein!“
Ich schlüpfe durch den Fensterspalt
Australien! Ich komme bald!

Mein kleines Herz, es jubiliert
Als es den Rausch der Freiheit spürt
Wind unter den blauen Schwingen
Ich möchte frohe Lieder singen

Da hüpfen Kinder durch die Gassen
Da hupen Autos auf den Straßen
Da fahren Schiffchen durch die Gracht
Ich sehe der Stadt ganze Pracht

Australien, ich käm ja bald
Wär mir nur nicht gar so kalt
Ich spür wie meine Kräfte schwinden
Ich kann den Fensterspalt nicht finden!

Mein Herz ist bang und ich verstecke
Mich in einer Stadtparkhecke
Der Nachtfrost kriecht mir ins Gefieder
Und erstarrt all meine Lieder

Leise schleich ich,
Mit Pfoten so sanft,
Dein Herz erweich ich,
Bis es lacht und tanzt.

Im Dschungel der Stadt
Sei du mein Kleeblatt,
Mein Glück zu wenden,
Mir Obdach zu schenken

Doch nimm dich in Acht,
Bald bin ich an der Macht,
Dein Leben zu regieren,
Mich in Herrschaft zu verlieren.

Denn ich bin der Tiger,
Der dann auf dich blickt,
Das Whiskas zu öffnen,
Mit einem Klick.

Du wirst mir gehorchen,
Mein Futter mir geben,
Sonst ist es schnell aus mit dem glücklichen Leben.

Dann kratze und beiß ich,
Deine Träume zerreiß ich,
Zerfetzen, wetzen, alles zerstören,
Deine Wohnung wird fortan mir gehören

Was lernst du daraus, ist dir das schon klar?
Du wirst mein Bediensteter, ich werde dein Zar.
Also verhalte dich brav, sonst ist es schnell aus,
Mit dem Leben als Herrchen im eigenen Haus.