Das verlassene Haus
Als Rentner habe ich mir ein außergewöhnliches Hobby zugelegt. Ich begebe mich an Orten, wo es spukt. Zumeist durchforste ich die Soziale Medien nach themenspezifische Geistersuche. In meiner Samtgemeinde spukt es auf einem vergessenen Friedhof. Das fand ich interessant. Aber dann fiel mir ein Bericht vor die Augen, wo ein verlassenes Haus an einer stark frequentierten Kreisstraße sei. Die Bewohner waren spurlos verschwunden. Was mir den Anlass gabt, diesen Ort aus zu wählen.
Die Beschädigungen am Gebäude, obwohl es seit zirka zehn Jahren leer steht, waren der Verwitterung geschuldet. Normalerweise sind bei so einem Haus die Scheiben eingeschmissen oder etliche Sprayer hätten ihre Graffiti hinterlassen.
Ich schwang mich auf meine Maschine und ab ging der Peter.
Es war stark bedeckt, als ich meinen Shopper vor dem Haus anhielt. Das Blubbern des 1200cc Evo ließ, im Strahl des Scheinwerfers, die Schatten des verwilderten Gewächses an der Häuserfront tanzen.
Ich saß noch eine Weile im Sattel, ließ mich durchrütteln und rauchte. Ein sanftes Kribbeln wanderte die Wirbelsäule hinauf und meine Nackenhaare sträubten sich. Ein untrügliches Zeichen, dass ich hier richtig war.
Das Haus bestand aus zwei Gebäuden. Das Rechte war sicher das Wohnhaus, es hatte eine zweite Etage, wirkte aber durch das tiefherabgezogene Dach kleiner, als das im rechten Winkel anschließende Haus. Es waren zwei Fenster in der Schleppgaube, die auf mich herabblickten.
Zunächst durchschritt ich das hölzerne Rosentor zum Eingang. Die Tür im Landhausstil weiß, mit einem eloxierten Türknauf aus Messing. Im oberen Drittel war, unter den Wiener Sprossen, das Glas satiniert.
Auf beiden Seiten hatte es große Fenster, aber wegen des Gestrüpps konnte ich nicht dorthin, um durch sie ins Haus sehen.
Ich beschloss links vorbei, am Nebengebäude einmal um das Ganze zu schreiten. Dort war die Fassade schmutzig und es sah heruntergekommen aus. Ein Schaufenster und ein Eingang aus Glas sagten mir, dass hier ein Geschäft betrieben worden war. Doch länger, dann ungenutzt dem Zahn der Zeit ausgesetzt gewesen sei.
Das Kopfsteinpflaster der Einfahrt hatte Furchen und war verunkrautet. Eine rostige Treppe führte hoch zum Dachboden, welcher von einem niedrigen Holzverschlag verschlossen war. Neben dem fensterartigen Glasbaustein gab es eine Metalltür. Sie war verschlossen.
Ich ging weiter und betrat eine ungepflegte Wiese, um einem riesigen Lorbeerbusch herum. Die Rückseite des Nebengebäudes hatte gleichfalls Glasbausteinfenster. Das verwahrloste Grundstück wurde durch eine gekalkte Mauer begrenzt, die auch bessere Zeiten gesehen hatte. Davor ein Wald aus Tannen, die mindestens fünfzehn Meter hochstanden. Nur unterbrochen von einem Gastank. Ich kam auf eine Art Terrasse und das Haupthaus hatte am Ende wieder die beliebten Glasbausteine der sechziger Jahre. Aber es gab auch zwei Fenster. Das kleinere der beiden sicher zum Bad und WC. Ich schaute durch das größere und erahnte ein Esszimmer in dunklem Holz. Als ich einen schuppenartigen Überbau durchschritt, der beide Häuser verband, stand ich auf den Stufen vor einem Nebeneingang zum Hauptgebäude. Es war verschlossen. Aber das primitive Schloss getraute ich mir zu entriegeln.
Mein Dittrich öffnete mir den Zugang und ich trat ein. Tastete nach einem Lichtschalter, es klickte und blieb dunkel. Also Taschenlampe hervorgezogen und es war die Küche. Abgesehen von den Spinnenweben, die meine Exkursion begleitete, sahen die Schränke, Spüle und das Ceranfeld mit der Dunstabzugshaube edel aus. Ich trat auf helle Holzdielen vorbei am Küchenanbau mit Backofen auf halber Höhe und dem Kühlschrank ins Esszimmer.
Die dunklen Möbel im Kolonialstil riss der Lichtfinger aus seinem Dornröschenschlaf. Man sollte meinen, dass Polizei und Offizielle, oder andere Personen wenigstens den Tisch abgeräumt hätten. Aber ein Kaffeegedeck für Zwei samt Kuchen, na ja, dass was einmal es gewesen sein mochte, waren noch an Ort und Stelle. Ich spürte eine Atmosphäre der Verlassenheit beinahe körperlich. Eine Gänsehaut kroch mir den Körper empor.
Die nächste Tür führte mich in dem L-förmigen Flur. Linkerhand war eine Nische. Dort stand ein hoher Gefrierschrank. Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung, erschrocken richtete ich den Lichtstrahl in die Richtung, und war geblendet. Ich sah die Gestalt vis-à-vis, als ich die Taschenlampe zu Boden richtete. Mein Gott, was hatte ich einen Schrecken bekommen. Es war ein mannshoher Spiegel, und die Gestalt war ich.
Eine Tür neben dem Gefrierschrank führte sicherlich in den Keller. Darüber eine Treppe in die obere Etage. Der längere Teil des Flurs endete an der Eingangstür. Ich drehte mich und sah zwei weitere Türen. Eine musste ins Bad und WC gehen, die andere zum Wohnzimmer, das ich betrat. Hier mussten ältere Menschen gelebt haben, mit jungenhaften Geschmack für Einrichtung. Ich sah einen großen Flachbildschirm auf einem roten TV-Schrank, begleitet von gewachsten Schränken beiderseits. Vor dem roten Ledersofa stand der passende Holztisch. Verwelkte Blumen darauf. Ebenso auf Schrank und Fensterbank. Darüber ein sechsarmiger Kronleuchter, das Gegenstück stand auf einen rotem Beistelltischen. Es gab, eine weitere, Strukturellen verglaste Tür.
Dort im Zimmer war die andere Seite von den Glasbausteinen. Des Weiteren ein brauner Kleiderschrank links und rechts, wo die vordere Terrasse lag. Alles Staubige und voll Spinnennetze. Wieder auf dem Flur bewegte ich mich zur Treppe, und schon wieder eine Tür. Das war wohl das Haus der tausend Türen. Ich öffnete sie und sah hinein. Schlafzimmer, das hab ich hier unter nicht erwartet. Die Stufen knarrten. Oben angekommen. Türen, was sonst? Vier an der Zahl. Ich öffnete die direkt vor mir, Kartons Gerümpel. Die Zweite führte zum Raum mit der Gaube. Hier war Renovierung nötig. Hinter der Dritten fand ich ein teilsrenoviertes Zimmer vor. Ich wendete mich der letzten Tür zu. Ein vollgestopftes Arbeitszimmer empfang mich. Bücher in Regalen an jeder Wand. Ein mächtiger Schreibtisch mit Computer und Zeitschriften, Hefte und Bücher. Was für Leute haben hier gelebt?
Ich folgte mit dem Finger die Bucheinbände: Clive Baker „Bücher des Blutes“, H.P. Lovecraft, Steven King, Anne Rice usw. Literatur von Hexen, Dämonen und Teufeln. Das hatte ich nicht erwartet. Nirgends sah ich etwas Satanisches. Keine Pentagramme oder schwarze Kerzen. Ketzerisch Zeichen. Derjenige, der in dem Raum sich beschäftigt haben mag, hatte ein großes Interesse an dunkler Literatur.
Als ich wieder unten angekommen bin, hörte ich ein leises Rauschen. Lief irgendwo Wasser? Eine kaputte Leitung? Ich ging darauf zu. Die Tür zum Keller stand auf. Mir wurde mulmig. „Wer da?“, sagte ich, und erschrak vor meiner eigenen Stimme. Keine Antwort.
Ich blieb stehen und hörte mein Herz laut Pochen. Ich leuchtete um die Ecke hinein in den Keller. Nur eine alte Treppe nach unten, und schmutzige weißgetünchte Wände. Der Boden festgestampfter Lehm. Spinnenweben. Ich schloss die Tür und sah eine Bewegung. Ja, der Spiegel. Doch es war irgendwie anders. Ich näherte mich der Spiegelfläche, betrachtete mich darin. Da sah ich den Schatten, der aus mir heraus zu dampfen schien. Ungeschickt trat ich vorwärts und fiel in das Glas. Das Letzte was ich merkte - da war kein Widerstand.
Ich stellte den Motor meiner Shovelhead aus. Stieg von der Harley und blickte in den bedeckten Himmel. Es wird Regen geben. Trat in die verwilderte Einfahrt, um einmal um das Gebäude zu laufen …