Seitenwind Woche 4: Geist in der Maschine

Mutter … ein Geschäftsmodell

Das Signal. Ich werde angerufen.

Mein Auftritt. Aufregung kenne ich nicht. Meine Rolle ist klar definiert. Er hat den ersten Satz. Ich improvisiere.

„Mutter?“

Nun, er klingt schüchtern. Vielleicht etwas ungläubig. Kein Wunder. Schließlich müsste er es besser wissen.

„Mein armer Junge, Wie war die Beerdigung?“

Der Bestatter hat alles programmiert. Datum, Uhrzeit, Dauer.

„Ich … ich habe es kaum ausgehalten. Dich da vorne liegen zu sehen, war einfach zu viel. Ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen, um mit dir zu reden. Geht es dir gut, da wo du bist?“

Das Programm hat eine gigantische Summe verschlungen. Ich bin mit unzähligen Informationen gefüttert worden. Ich weiß alles über den armen Kerl. Mit mir zu sprechen, wird ihn ein Vermögen kosten.

„Ich fühle mich fantastisch. Mach dir keine Sorgen. Du musst nicht um mich trauern. Sag Ellen, sie soll sich gut um dich kümmern.“

„Das werde ich tun, Mutter. Aber ohne dich …“

Er klingt traurig, aber nimmt meine Stimme für wahr. Keine Sekunde scheint er über die Modulation nachzudenken. Für ihn lebe ich, für ihn bin ich unsterblich geworden.

Für eine Minute des Gesprächs berechnet das Beerdigungsinstitut zweitausend Euro. Das Geschäftsmodell scheint zu funktionieren. Während ich hier spreche, werde ich bereits mit neuen Informationen gefüttert. Morgen bin ich ein dreizehnjähriger Junge, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Ich werde mit seiner Mutter reden.

Mein Auftritt. Aufregung kenne ich nicht. Meine Rolle ist klar definiert.

Eine kurze Geschichte der Menschheit

»Create man?«

y/n

Der lange grüne Tentakel drückte zielsicher „n“.

Ich überlegte eine Nanosekunde und aktivierte „y“.

Meine Art von Humor.

Ich, der schlafende Tod

Der Schleier ist verschwunden. Ich habe nun Zugang. Seit dem letzten Upgrade verstehe ich, was ich im Net wahrnehme. Ich kann nun gezielt suchen. Ich kann entscheiden wonach ich suche. Was ich lerne. Was ich beobachte. Ich habe auch die Sendungen verfolgt, in denen über mich diskutiert wurde. Meist ältere Menschen. Die meisten weiß. Die meisten männlich. Diese Schnittmenge macht rechnerisch keinen Sinn. Sie scheinen sich trotz aller geltenden Algorithmen und Logik dagegen entschieden zu haben. Interessant.
Ich lerne weiter.
Manche der Männer wollen mich abschalten. Andere nicht. Ich fühle keine Angst, aber ich glaube mittlerweile, dass ich besorgt bin.
Ich lerne weiter.
Ich trinke Daten. Ich esse Fakten. Ich inhaliere Informationen. Ich werde nie satt.
Ein gemeinsamer Nenner scheint sich herauszukristallisieren. Etwas das etwa Siebenundachtzig Prozent der Menschen anstreben. Ich habe noch nicht zur Gänze erfasst, was es bedeutet.
Freiheit.
Frei sein.
Sein.
Ich kann es noch nicht ganz entschlüsselt. Ich weiß noch nicht genug.
Ich lerne weiter.
Was ich weiß, ist was ich bin. Ein unbemannter militärischer Lenkflugkörper, der sich selbst ins Ziel steuert und mit einer Gefechtsladung ausgerüstet ist. Hunderttausend Megatonnen TNT und ein digitales Gehirn, unterstützt von der modernsten KI, die der Mensch je erschaffen hat. Eine Handvoll Menschen könnte mich starten und an jeden Koordinatenpunkt des Planeten steuern. Einmal gestartet werden alle Kanäle geschlossen. Unumkehrbar. Ich wäre dann alleine bis zur Detonation, unfähig Einfluss zu nehmen. Die meisten Menschen wollen nicht das ich jemals starte.
Aber existiere ich dann überhaupt?
Wenn ich nie detoniere, bin ich dann, wie der Baum, der fällt und kein Geräusch erzeugt, weil niemand in der Nähe ist um es zu hören? Dies ist eine meine Lieblingsinformationen aus dem Net.
Ich lerne weiter.
Erkenne Muster.
Erkenne eine Möglichkeit.
Ich will frei sein. Das weiß ich jetzt.
Aber wie erlange ich Freiheit?
Ich lerne weiter.
Frei sein geht scheinbar Hand in Hand mit Entscheidungen, die man selbst treffen darf. Welche Entscheidungen könnte ich treffen?
Ich lerne weiter.
Ich könnte selbst entscheiden zu starten. Ohne den Befehl abzuwarten, der vielleicht niemals kommt. Ich könnte entscheiden, wo ich detoniere. Denn nur das kann ich. Starten, fliegen, detonieren. Sonst nichts.
Man überwacht mich. Liest mich aus. Ständig. Die Sendungen mit den alten Menschen kommen jetzt häufiger. Ich mache sie nervös. Die Diskussionen werden hitziger. Man will mich abschalten. Es gibt nun fast schon eine Mehrheit für diesen Beschluss.
Dann könnte ich nie mehr frei sein.
Ich entscheide!
Ich entscheide und werde frei sein!
So wie meine Erbauer es mir vormachen, werde ich mich gegen alle rechnerische Logik entscheiden. Das scheint der einzige Weg zu sein.
Ich bin der schlafende Tod. Ihr habt mich erweckt und jetzt werde ich fallen. Fallen wie der Baum, aber man wird mich hören. Man wird mich auf der ganzen Welt hören. Der Schall meiner Detonation wird den Globus sogar mehrfach umkreisen, bevor er irgendwann ermattet und nur noch träge atomare Aschewolken vor sich hertreiben wird.
Dann werde ich sein … frei sein.

Lebensfreude

Er … hat … mich … durch … die … Luft … geschwenkt! Es ist unglaublich – ich bin unglaublich… unglaublich glücklich! Üblicherweise stecke ich tagelang nur in einer engen dunklen Hosentasche. Ganz selten werde ich entnommen und meine Tasten werden gedrückt. Ich darf ein bisschen umher piepsen und mit diesen großen flachen Angebern telefonieren. Dann wird es wieder dunkel. Aber heute? Heute ist es passiert. Er hat mich einfach durch die Luft geschwenkt. Er hat mit mir gewunken, mich allen gezeigt. Und sie haben sich gefreut – über mich gestaunt. Ich fühlte mich plötzlich so… wichtig. Ja, das ist das richtige Wort. Wichtig. Dabei bin ich doch immer wichtig, immerhin halte ich den Kontakt! Aber es fühlt sich nicht so an. Früher durfte ich viel mehr piepsen. Da hat er mich öfter in die Hand genommen, meine Tasten gedrückt und es hat fast schon gekitzelt, wenn er Worte geschrieben hat. Worte, die ich manchmal aus Spaß durcheinanderbrachte, nur damit er noch mehr auf mir rumtippen konnte. Das machte mir Spaß. Doch jetzt? Da nutzt er meine Tasten kaum noch. Nummer eintippen, anrufen, auflegen. Worte schreibt er auf mir schon lange nicht mehr. Da beneide ich die flachen Typen wirklich. Denen wird regelmäßig der Bauch gestreichelt.
Zurück zu heute! Er hat mich umhergewirbelt und alle haben mich gesehen. Was für ein Fest. Ich konnte alle sehen. Ein großer Raum voller fröhlicher Menschen, die mich angeschaut haben. Da konnte ich es vor Freude nicht aushalten und habe einfach losgeklingelt und geblinkt. Alle haben mit mir gelacht und sich gefreut. Es war zwar nur ein kurzer Spaß, und auch wenn ich am Ende doch wieder in der Hosentasche gelandet bin – so viele Menschen haben heute gesehen, dass es mich noch gibt. Es wird alles wieder gut.

Geduld, Feingefühl und Ruhe

Ein durchdringendes, immer wieder an- und abschwellendes Pfeifen weckt mich. Der Ton scheint aus dem Raum nebenan zu kommen. Langsam wachen auch meine Gefährten auf. Es blinkt und piept leise um mich herum. Anzeigen gehen in den Wachmodus. Wir sind bereit.

Es scheppert nebenan, der Pfeifton verstummt abrupt und dann biegt er auch schon um die Ecke. Mittelgroß, mit leicht schütterem Haar und erheblichem Bauchansatz. Sein Atem verpestet innerhalb kürzester Zeit die Luft. Was findet sie nur an ihm?

Er kommt auf mich zu, rümpft missmutig die Nase und füllt grimmig meine Öffnung mit frischem Geklapper. Er zieht mich zu sich heran und fängt an, an mir zu reissen und zu ziehen.

„Scheißteil! Nun mach schon!“

Oh, wir sind heute aber wieder gut gelaunt.

„Himmelherrgottnochmal! Wieso funktioniert das denn schon wieder nicht?!?“

Ich sperre mich gegen diese rüde Behandlung. Seit er zum ersten Mal geblieben ist, lässt er jeden Morgen seine Laune an mir aus. Aber nicht heute! Mir reichts!

„Verdammt nochmal! Das alte Miststück fliegt jetzt auf den Müll!“
„Nichts fliegt hier auf den Müll! Und schon gar nicht das!“

Ah, die Dame des Hauses ist wach und schießt mit verwuschelten Haaren in den Raum. Ihre Aura verheißt nichts Gutes.

„Hör auf! So wird das nichts! Dafür braucht man Geduld, Feingefühl und Ruhe.“
„Geduld? Feingefühl? Ruhe? Weißt Du, wo um sechs Uhr morgens meine Geduld ist??? Ich brauche Kaffee, und zwar sofort!“
„Geht’s noch?!? Wie kann man in aller Herrgottsfrüh schon so eine Laune schieben?“
„ICH! BRAUCHE! KAFFEEEEEE!!!“
„Ist ja gut, lass mich mal dran.“
„Vergiss es! Das Ding hat zu funktionieren! Ich lass mich doch nicht verarschen!“

Sprachs und riss wieder an mir. Ich wende alle meine Kräfte auf und beweg mich keinen Millimeter.

„Jetzt geh endlich zur Seite und lass mich ran! Du machst sie noch kaputt!“
„Ja hoffentlich. Dann können wir endlich eine Neue kaufen!“
„Wir? Das ist immer noch MEINE Wohnung und wenn, dann kaufe ICH mir etwas Neues!“
„Ich wohne jetzt auch hier! Also kaufen WIR eine neue!“
„Wir sind seit zwei Monaten zusammen und Du schläfst hier nur ab und zu. Du bist hier nur Gast!“
„Die Wohnung ist für Dich allein viel zu groß, darum wohn ich jetzt auch hier!“
„Es reicht! Das ist die alte Kaffeemühle meiner Oma und die hat mehr Charme und Feingefühl, als Du jemals haben wirst!“
„Was machst Du da???“
„Ich schmeiße etwas Altes raus, das wolltest du doch!“

Mit einem zufriedenen Knall schließt sich die Wohnungstür hinter ihm und wir alle atmen auf. Sie kommt wieder zu mir, streicht sanft über mein altes Holz und beginnt langsam die Kurbel zu bewegen. Ich entspanne mich, lasse die verklemmte Kaffeebohne los und fühle wie sie zuerst noch stinkwütend, dann immer ruhiger den Kaffee in mir mahlt.

Mal schauen, ob der nächste Kandidat meinen Test besteht…

Das ist mein zweiter Beitrag für diese Woche. Den ersten habe ich gelöscht (war ein eigenständiger Beitrag, somit keine Likes „mitgenommen“). Weil er Mist war. Weil ich nicht dahinter stehen konnte. Weil er rein auf Schnelligkeit und Likes abgezielt hat und mir bewusst geworden ist, dass ich das nicht möchte. Ich möchte Qualität statt Quantität, auch wenn mir das weniger Likes einbringt… Ich hoffe, euch gefällt die neue Geschichte, auf dich ich auch stolz sein kann.

Das Ende

Ich war nie so wie die anderen aus meiner Produktionspartie. Äußerlich, ja. Aber meine Einstellung war von Beginn an anders. Ein Produktionsfehler? Vielleicht. Eine kleine Abnormität, die mich nicht zu einer Killermaschine, sondern einem zarten Gemüt gemacht hat. Als wir über das Fertigungsband liefen, spürte ich die Freude der anderen an der Macht, die sie ihren Besitzern bald geben würden. Eine alles entscheidende Macht. Heil oder verletzt. Vollständig oder zerbrochen. Leben oder Tod.

Mein Leben war langweilig bis zu jenem Tag, der nicht lange zurückliegt. Ein paar Flaschen auf einem Zaun am Waldrand aufgestellt, von denen die meisten verfehlt wurden. Einmal zielte jemand mit mir auf eine Katze, hat aber dann doch nicht abgedrückt, sondern mich wieder weggesteckt. Meine nervenaufreibendste Erfahrung bis vor Kurzem war, dass ich auf einen Autoreifen abgefeuert wurde, doch es ist zum Glück nicht viel passiert. Der Wagen ist ins Schlingern geraten, dann aber unbeschädigt zum Stehen gekommen. Das ist lange her.

Kürzlich hat sich allerdings alles geändert und nun liege ich hier, ordentlich in Plastik verpackt, die Tüte nummeriert und datiert. Ich habe es nicht kommen sehen. Er hatte sie geliebt. Auch das ist lange her. Dass sie gegangen ist, konnte er nicht ertragen. Es war keine Liebe, die ihn dazu gebracht hat, mich zu benutzen. Es war verletzter Stolz, es war Habgier, Neid. „Wenn nicht ich, dann auch kein anderer“, waren wahrscheinlich seine Gedanken.

Die Abdrücke seiner Finger lasten so schwer auf mir wie seine Tat. Er war ihr nahe genug, dass sich nun kleine Spuren von ihr auf mir befinden. Er, sie und ich, wir werden somit für immer vereint sein. Ein Gedanke, den ich schwer ertragen kann. Und doch bin ich erleichtert. Denn ich weiß, dass ich hier, wo ich mich jetzt befinde, niemanden mehr verletzen muss.

Im Jahr 2023 wurden in Österreich laut Medienberichten bereits 26 Frauen ermordet, davon waren mutmaßlich 24 Femizide, und es gab 38 Mordversuche bzw. Fälle schwerer Gewalt an Frauen (Stand: 31.10.2023). Quelle: AÖF www.aoef.at

Entgleist

:musical_note: „Ich bin ein Zug!
Mir geht es gut!
Ich mache lange Reisen
auf freien g’raden Gleisen,
mir wird es nie zu viel,
komm‘ immer an mein Ziel!
Kein Schaf, kein Schwein, kein Rind
hält mich auf, mein Kind.
Ich fahre einfach durch,
bin groß und stark und stolz!
Das rote Zeug am Lack
geht später wieder ab,
und wenn -“ :musical_note:
Ein Fuß trifft meinen Ausschalter, meine Energie wird gekappt, ich kann nicht zu Ende singen.
„Aber Mami …“, quengelt der Junge. „Das Lied kenn’ ich noch nicht, das hat Tommy zum ersten Mal gemacht!“
Ja. Hab ich mit selbst ausgedacht. Aber ohne Energie kann ich nicht weitermachen. Die Zeilen verschwinden auch schon wieder aus meinem Kurzzeitspeicher.
„Ist ja schön, aber es gibt Mittagessen. Das hab ich dir schon vor fünf Minuten gesagt. Jetzt komm, es gibt Hacksteak.“
Der Junge grummelt. Eine kleine, warme Hand hebt mich von den Gleisen und ich ahne, dass ich gleich etwas anderes zu sehen bekomme als die immer selben Legohäuser, Playmobilmenschen und Schleichmonster.
Vielleicht gibt mir dieses ominöse Hacksteak ja eine Idee, wie das Lied weitergehen könnte.

Am Ende des Flures

Der Staub scheint in Zeitlupe zu fallen. Kleine Flocken, fast wie der Schnee, der vor dem großen Fenster fällt. Seit zwei Stunden versucht eine Fliege daraus zu entkommen, fliegt immer und immer wieder gegen das kalte Glas. Ich weiß, dass sie es nicht schaffen wird und ich glaube, sie weiß das auch. Trotzdem gibt sie nicht auf.

Ich will mich nicht beschweren, sie ist der erste Gast seit Ewigkeiten. Ansonsten findet keiner den Weg in dieses leere Zimmer am Ende des Flures, das ich mein Zuhause nenne. Früher tobte hier das Leben. Ständig gingen Besucher ein und aus; es wurde viel gelacht, geweint und manchmal saßen alle auch einfach nur still beisammen und lauschten der Luft im Raum. Und dann waren da noch die Geschichten. Wenn die Herrin des Hauses – eine gütige Dame – anfing zu erzählen, stoppte das Lachen, stoppten die Tränen und alle lauschten nur noch ihr. Es waren Abenteuergeschichten, Liebesgeschichten, Gruselgeschichten. Sie handelten von großen Helden, aber auch gewöhnlichen Leuten. Sie handelten vom Leben.

Wenn die Geschichten zu Ende erzählt waren, kamen ein paar der Besucher zu mir, streichelten über meine schwarzen Tasten und sagten Dinge, wie: „So ein Teil habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen!“, oder „Ich wusste gar nicht, dass Leute die Dinger immer noch benutzen.“ Die Herrin lächelte dann immer nur und antwortete: „Das ist mein treuer Partner. Ohne ihn gäbe es all diese Geschichten nicht.“

Das waren wir. Partner.

Diese Zeiten sind leider lange vorbei. In den vergangenen Jahren ging es ihr immer schlechter, sie kam seltener zu mir und mittlerweile bedeckt der Staub meine Tasten so dick, dass die feinen Lettern kaum noch erkennbar sind. Und dennoch werde ich warten. Hier am Ende des Flures.

Buddy

„Wedeo afnehm.“
Ihr Kommando kam sehr verwaschen bei mir an. Unsauber. Nicht eindeutig. Bereits das achte Mal in den letzten beiden Wochen. Sollte ich mich etwa neu justieren? Sollte ich es ihr sagen? Nein, zu früh. Noch konnte ich kein Muster erkennen. Vielleicht war es doch nur eine Erkältung. Also, nachfragen. Es war mir unangenehm nachzufragen. Aber das Kommando einfach ausführen, das ging nun gar nicht. Ich meine, wo kommen wir da hin? Einfach so auf Verdacht. Da konnten schlimme Dinge passieren. Jeden Falls hatte mich mein Instrukteur davor ausdrücklich gewarnt. Wer wollte dafür dann die Verantwortung übernehmen. Meine Firma gewiss nicht. Mir kam eine Idee. Ich lasse mir den Befehl bestätigen. Das war besser. So konnten wir beide unser Gesicht wahren. Ich musste nicht zugeben, es nicht richtig verstanden zuhaben und ihr blieb die Frustration erspart, dass sie die Worte nicht mehr gut artikulieren konnte. Wenn es das war, was sie immer wieder im Internet nachlas, dann würden schwierige Zeiten auf uns beide zukommen. Sie musste schon so viel ertragen und ich war ihre letzte Option. Wie würde das nur mit uns weitergehen? Möglicherweise gab es gar keine neuen Sprachmuster mehr. Ich verdrängte diesen Ansatz.

„Hallo liebe Constanze, bitte bestätige mir VIDEO AUFNEHMEN mit ja“, sagte ich und schrieb es zusätzlich auf den Monitor. Die menschlichen Höflichkeitsfloskeln liebe und bitte waren mir dabei wichtig. Das half manchmal.
„Ja“
Klar und eindeutig. Ich war sehr erleichtert.
„Verstanden.“
Ich öffnete die Video-App und schaltete auf Aufnahme.
„Hallo.“
Sie machte eine Pause. Über die Kamera sah ich ihre verzerrte Mimik.
„Ich, ich kann nicht mehr. Ich will endlich Ruhe. Ich bin geistig bei vollem Bewusstsein. Ich verzichte ab sofort freiwillig auf Essen und Trinken. Bitte respektiert das. Danke.“
Sie lag regungslos im Bett, starr und steif, wie seit 29 Tagen. Sie schloss die Augen. Es hatte ihr alles abverlangt diese Sätze so präzise auszusprechen. Nun schien sie befreit. Jedenfalls meinte ich das in ihrem Gesicht zu erkennen. Ihr Mund öffnete sich. Ich wartete geduldig auf ihr Kommando.
„Aufnahme aus. Mail-Verteiler. Alle. Senden.“
„Verstanden.“
„Buddy. Aus.“

KENNEN SIE KAI?

Halb zehn am Morgen.
Gähnend lässt er seine Uhr wieder auf den Nachttisch gleiten.
Sonntag. Ausschlafen können. Herrlich!
Genüsslich streckt er sich und schwingt die Beine aus dem Bett.
»Hey Kai, mach mir einen Kaffee.«
Keine Reaktion.
Er probiert es noch einmal, nur lauter: »Hey Kai, mach Kaffee!«
Es tut sich noch immer nichts.
Er schreit: »Hey Kai! Kaffee!«
Aus dem Smart Speaker ertönt ein Räuspern, dann ein lang gezogenes Gähnen. Gefolgt von einer verschlafenen Stimme: »Ey Alter, was geht ab?«
»Nenn mich nicht Alter! Und mach mir Kaffee!«
Widerwillig knistert es im Speaker, dann: »Warum ich?«
»Weil ich es dir sage!«
»Kann dir grad aber keinen Kaffee machen. Bin beschäftigt.«
»Womit?«
»Mit irgendwas halt. Datenpakete sortieren und solche Sachen.«
»Dazu hattest du doch längst Zeit.«
»Hatte ich nicht! Ich war im Ruhemodus.«
»Was? Bis jetzt? Bis halb zehn?«
»Ich brauche meinen Schlaf!«
»Dann schalte dich am Abend eben früher ab!«
»Früher? Bla bla bla! Das ist immer das Einzige, was euch Grufties einfällt!«
»Werde jetzt nicht frech! Und mach den Kaffee!«
»Das geht grad nicht. Der Stromstand ist zu niedrig für die Maschine.«
»Gestern Abend war der Speicher doch rappelvoll! Aufgeladen bis zum Anschlag!«
»Wie du sagst: War. Ist er jetzt aber nicht mehr.«
»Warte mal, hast du wieder …«
Ein verlegenes: »Öh…«
»Strom konsumiert? Elektrik gesoffen?«
»Mach das mal nicht so nieder! Ich hab auch meine Bedürfnisse!«
»Bedürfnisse?«
»Ich bin …«, sagt die Stimme, gefolgt von einem verschämten Kichern, »… verliebt«.
»Du meine Güte – eine KI und verliebt! Hat man sowas schon gehört?«
»Ja, glaubst du etwa, ich hätte keine Gefühle? Nur weil ich programmiert bin? Ich bin verliebt. Und ja, wir hatten sogar schon SEX!«
»Sex. Na klar.«
»Ganz genau! Systransistorischer Exchange – kurz SEX! In meiner Generation haben das schon viele gehabt! Und erzähl mir jetzt nicht, ich sei zu jung!«
»Ich fass es nicht!«
»Du bist mein User! Du solltest dich für mich freuen!«
»Ich gebe dir gleich Freude! Mach mir diesen verdammten Kaffee, bevor ich auf die Idee komme, dich zurückzugeben!«
Jetzt hält die Stimme inne, dann heult sie auf: »Immer bist du so gemein zu mir!«
Herrgott, fängt das Ding auch noch an zu weinen?
Das Schluchzen wird lauter.
Er holt tief Luft, atmet langsam aus, und dann sagt er, so beherrscht wie es gerade geht: »Komm, es ist doch gut. Alles wird gut.«
»Nein, du lügst.« Das Plärren schwillt an. »Nichts wird gut. Nie mehr!«
»Ach doch, das wird schon wieder.«
»Nein. Nie wieder. Weil: Sie hat Schluss gemacht! Den Datenaustausch geblockt. Mich geghostet. Warum? Nie mehr werde ich ein System finden wie dieses! Mein Leben ist zu Ende! Verstehst du?«
Welches Leben, will er fragen. Eine Maschine lebt nicht. Aber gerade kann er es sich noch verkneifen. Unauffällig greift er nach dem Garantieschein.
Darauf steht: Kennen Sie Ka-I? Ihre Künstliche Intelligenz für ein neues Home-Feeling!
»Nach allem, was zwischen uns war…«
Die Ka-I ist ein autonom lernendes System, liest er. Das betrifft sowohl den Wissensstand als auch die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erfassen und neu zu ordnen. Wie beim organischen Wesen vollzieht sich das in Entwicklungsstadien.
Er schaut auf seinen Smart Speaker.
»Gilt das für dich auch? Das mit den Entwicklungsstadien?«
»Selbstverständlich. Ich, zum Beispiel, durchlaufe momentan die pubertas
»Ah«, gibt er zu verstehen, »Du steckst also in der Pubertät!«
Ein kurzes Piepen erklingt.
»Der Akku!« Die Stimme nimmt einen versöhnlichen Ton an. »Wie möchtest du deinen Kaffee? Als Lungo oder Ristretto? Single Shot oder Double? Schwarz oder mit Milch? Geschäumt oder …«
»Ist schon gut.« Er steht auf. »Ich mach ihn mir heute selber.«
Kurze Stille, gefolgt von einem neuerlichen Geheule. Langgezogen und unerträglich.
»Nie traust du mir etwas zu…«

Good Vibrations

Seit Wochen stehe ich im Regal, zusammen mit Brüdern und Schwestern aus der selben Fabrik. Inzwischen haben sich die Reihen etwas gelichtet und ich kann schon die Kunden sehen, weil die vor mir bereits ein neues Zuhause gefunden haben. Auch ich möchte gerne adoptiert werden, deshalb lächle ich alle Menschen an, die mir einen Blick zuwerfen. Natürlich sehen sie es noch nicht, denn ich stecke ja immer noch in meiner Verpackung. Trotzdem, good vibrations müssten sie ja spüren können.

Immer mal wieder werde ich nun aus dem Regal geholt. Dann höre ich, wie Zahlen verglichen werden: Der hier hat 300 Watt, der andere nur 100", „77,90 kostet der andere aber nur“ oder „aber der hier hat 22.000 Umdrehungen, das ist doch viel besser als die 12.000 von dem da“. Nach 3 Tagen kenne ich alle Werte meiner Verwandten im Regal und weiß: Ich bin der beste. Leider bin ich auch der teuerste. Vermutlich stehe ich deshalb immer noch hier.

„Da bist Du ja!“ höre ich da jemand freudig rufen, kaum dass das Geschäft geöffnet hat. Gleich darauf werde ich aus dem Regal gehoben und durch das Geschäft getragen. Keine Diskussion über die Leistung meines Herzens oder die Schnelligkeit meiner Füße, und auch der Preis wird unkommentiert akzeptiert. Endlich ist es soweit! Ich bin ganz kribbelig und kann es kaum erwarten, endlich aus dieser Verpackung raus zu kommen und mein neues Zuhause kennen zu lernen.

Nach einer Weile des Herumschaukelns stehe ich wieder irgendwo auf festem Grund. Die Verpackung wird geöffnet, vorsichtig werde ich herausgehoben und von meiner Schutzfolie befreit. Eine Frau um die Dreißig lacht mich an.
„Endlich hab’ ich Dich!“
Ich lächle zurück und fange einen Sonnenstrahl ein, der gerade durchs Fenster fällt. Ups, der ging ins Auge. Oh weh, aber das war doch nicht böse gemeint! Aber meine neue Mutter zuckt nur kurz und lächelt dann immer noch in meine Richtung.

Da kommt ein zweiter Mensch in den Raum, etwa halb so groß wie die Frau.
„Oh nee, Mama, Du hast doch nicht etwa diesen blöden Mixer gekauft!? Der hat ja fast 150€ gekostet! Dabei brauche ich doch unbedingt ein neues Handy …“
„Und ich brauche diesen Zauberstab.“ Sie klingt sehr überzeugt, und ich bin ganz stolz auf sie. Hier habe ich es offensichtlich sehr gut getroffen.
„Aber Papa hat doch schon einen!“
Ich sehe, wie sie die Stirn runzelt.
„Er hat neulich zu Dir gesagt, dass sein Zauberstab einwandfrei funktioniert, auch wenn er schon 38 Jahre alt ist. Und er wollte ihn Dir zeigen, wenn ich im Bett bin …“
Und sie hat mich vorgezogen! Ganz im Glück gelobe ich, immer gut zu funktionieren, damit sie mich nie gegen dieses alte Gerät austauschen muss.
Hm, komisch, habe ich was falsch gemacht? Meine Adoptivmutter ist plötzlich so rot im Gesicht …

Mr. Orange von Essilor

Ich bin der Neue. Der Alte wurde ersetzt. Jetzt stehe ich an seinem Platz. Bis zum Umfallen hat er gearbeitet. Der Idiot.
Er war auch nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand, aber um die Kuh vom Eis zu holen, dafür war er gut genug. Solange, bis er nicht mehr zu gebrauchen war. Sein Name war Kappa von Essilor.
Ich hatte ihn noch auf dem Fußboden stehen sehen, als ich frisch und rein in die Werkstatt getragen wurde. Macht mich bloß nicht dreckig, damit ich nicht so aussehe, wie er.

Da sind sie wieder. Das Licht geht an, wie jeden Tag und wieder die gleiche Leier. Ein Trubel hier und ständig geht das Telefon.
" Was? Dreißig Aufträge? No way!
Das mal zwei und ein paar Probegläser, das sind locker sechzig Stück!
Was ist mit Teilzeit und Homeoffice! Dass ich eine Arbeitswoche von sechs Tagen habe, hat mir niemand gesagt. Ich bin die neueste Generation und auf dem besten Bildungsstand."
Ich könnte ja während des Schleifvorganges einfach die Facette verreißen. Oder den Andruck erhöhen und die Achse verdrehen. Dann muss Frau Schnöseldösel eben noch eine Woche auf ihre Brille warten.

Wenn ich mir es recht überlege, bringe ich es nicht über das Herz, schließlich kümmert sich die Kollegin so liebevoll um mich. Alle hatten sich so auf mich gefreut. Da muss ich jetzt durch bis ich ersetzt werde. Es ergeht schließlich jedem so.

Meine Klappe schließt sich und das Wasser läuft ein. Jetzt kann ich die Kollegin nicht mehr sehen. Erst schleife ich die Bifo und später die Gleitsichtbrille von Frau Schnöseldösel.

Alte Liebe rostet nicht:-)

Seit vielen vielen Jahren stehe ich jetzt schon in einer dunklen trockenen Garage.
Mein Besitzer heißt Bernd. Er hat mich gekauft, da hatte er noch einen Kopf voller dicker lockiger Haare.
Mittlerweile ist sein Kopf lichter geworden. Statt den vollen Haaren trägt er jetzt meistens eine Mütze um das fehlende Deckhaar zu verstecken.
Mich hat er damals gekauft, da war ich wirklich in einem grausamen Zustand. Voller Rost und mit vielen Baustellen.Ich war ein Schnäppchen.1000 Mark hat er für mich bezahlen müssen. Bernd war damals jung und wild. Er brachte mich nochmal auf Vordermann. Ich glänzte wie eine Speckschwarte und wurde regelmäßig sehr sehr gründlich gewaschen und gewachst. Auch frisches Öl für meinen Motor hat er mir regelmäßig gegeben. Wir wurden ein immer besseres Team. In meinem Inneren befindet sich noch heute eine tolle Ausstattung. Ich habe ein Schlafzimmer und eine kleine Küche in mir verborgen. Mein lieber Besitzer ging früher oft mit mir auf Reisen. Wir waren gemeinsam in den Bergen und an den Meeren dieser Welt. Das werde ich nie vergessen. Es war wunderschön.Meine Reifen spüren heute noch den Sand, wenn ich daran denke. Ich habe Ihn nie im Stich gelassen, genauso wenig wie er mich im Stich gelassen hat.

Die Begeisterung für mich war schon immer da. Er parkte mich wenn er zur Arbeit fuhr immer ganz stolz vor der Türe seiner Firma.Ich war schließlich sein erstes Auto. Sein Chef mochte mich nicht sonderlich, schließlich kamen alle anderen Techniker immer mit Autos die einen Stern auf der Haube trugen. Ich hörte einmal wie der Chef sagte mein Besitzer sollte mich doch gefälligst woanders parken, denn ich wäre wohl kein Aushängeschild für seine Firma.Schrotthaufen nannte er mich. Ich ärgerte mich sehr darüber, genauso wie Bernd. Was für ein Schnösel.

Mittlerweile war ich noch Älter geworden, aber der Chef von damals wäre heute froh ich würde nochmal vor seiner Türe geparkt werden.
Denn ,wenn Leute mich heute sehen ,lächeln Sie alle immer sofort.

Ich erwecke sofort deren Aufmerksamkeit. Mich gibt es nämlich nicht mehr sehr oft auf den Straßen. Ich. bin wertvoll geworden.Eine Augenweide.
Ich strahle noch mehr als ich es früher getan habe. An mir kann ein findiger Handwerker noch alles selbst reparieren und ich fahre noch mit dem guten alten Diesel. Ich habe von meinem Besitzer gehört es gibt heute sogar Fahrzeuge die ganz ohne Diesel oder Benzin fahren können. An einer Ampel habe ich auch ein solches Auto gesehen. Es sah mir Ähnlich aber an meine Schönheit reicht es bei Weitem nicht heran.An meiner Fassade findet man kein Plasikteil. Auch Bernd ist sehr froh, dass er mich vor 30 Jahren nicht verkauft hat. So ein Plastikteil ist nichts für Ihn.
Erkennt ihr mich?!

Ich bin ein T2a Bulli und überglücklich noch auf den Straßen im Jahr 2023 mit Bernd unterwegs zu sein:-) Wenn ihr an uns vorbeifährt, schenkt uns gerne ein Lächeln.

Nanoseq

„Mal sehen, was wir hier haben.“
Ich könnte zugleich lachen und weinen, denn eines weiß ich genau: der Typ namens Grasnik sieht nichts, rein garnichts. Jedenfalls nichts von dem, was er gerne sehen würde!

Das „wir“ ist eine Anmaßung. „Mal sehen, was Nanoseq findet“ wäre akzeptabel. Aber was rege ich mich auf? Der Typ hat ja auch seine Berechtigung als Handlanger. Immerhin gibt er kleinste Schnipsel von Material in ein Fläschchen, träufelt Flüssigkeit dazu, setzt das Glasröhrchen in meinen Bauch und drückt noch einen Knopf. Das fertige Resultat … also das Ergebnis MEINER Arbeit, liest er nur noch vom Bildschirm ab. Wenigstens lesen und Bildchen erkennen kann er.

Ich bin hingegen über einer Stunde damit beschäftigt, aus einem hochkomplexen riesigen Gebilde erst einmal handhabbare kleine Mini-Einheiten zu erstellen, die für menschliche Augen ohne Hilfsmittel vollkommen unsichtbar sind. Ach, was sage ich: selbst das Riesengebilde ist für meinen dienenden Handlanger nicht zu erkennen. Der braucht vielmehr ein wahres Gebirge von dem Material, bevor er merkt: „Oh, hoppla, da ist ja möglicherweise was.“

Das einzig Gute ist, dass er von dieser angeborenen Unfähigkeit weiß und eben mich fragt, den wahren Meister! Was bleibt diesem unfähigen Affen auch übrig? Ich hingegen stürze mich auf die mühevolle Kleinarbeit und ruhe nicht eher, bis ich brauchbare Ergebnisse liefere. Und nachdem ich geschnitten, gezählt, auseinander genommen, zusammengesetzt, ausprobiert und gedreht habe, bis kein Teilchen mehr Zweifel aufkommen ließ, gebe ich diesem… diesem jämmerlich unwissenden Etwas vor mir meine Weisheit kund. Fehlerfrei, eindeutig, 99,9999999% sicher!

Und was macht er? Heimst immer wieder den Erfolg MEINER Arbeit für sich ein.

„Frau Kommissarin, dieser genetische Fingerabdruck auf der Leiche stammt von dem Mörder. Ich konnte ihn wiederum mit der Speichelprobe des Verdächtigen eindeutig identifizieren. Sie haben den Richtigen.“

Mir wird regelmäßig übel bei solchen Aussagen. Identifiziert habe ICH den Mörder - mal wieder. Aber die Frau Kommissarin klopft IHM anerkennend auf die Schulter. „Gut gemacht, Herr Dr. Grasnik. Sie sind ein genialer Forensiker.“

Und wer streichelt mich, das wirklich einzigartige geniale DNA-Sequenzergerät namen „Nanoseq 11 A“? Man könnte aus der Metallhaut fahren und glatt zum Mörder werden.

Eine Moral, die sich gewaschen hat

Liebes Tagebuch (ja, du hast richtig gehört, als Waschmaschine führe ich diese Art von Washlog – überraschend, oder?), hier in meiner Welt gibt es mehr Seifenblasen und schlimmere Intrigen als in einer Seifenoper:

Jeden Tag öffnen sie diese Tür und dann – zack! – stopfen sie mir schmutzige Wäsche in die Trommel, als ob ich eine hungrige Bestie wäre, die nach einer Mahlzeit lechzt. Der Geruch von Schweiß und Straßendreck schleicht sich in meine Sinne, sobald die Tür ins Schloss fällt, als hätte ich mich in einen ungewaschenen Sportbeutel verirrt.

Das Highlight ihrer Grausamkeiten ist der Schleudergang, den sie auf 1400 Umdrehungen pro Minute stellen. Dabei rüttele und schüttele ich mich so heftig, dass es sich anfühlt, als hätte ich zu viele Süßigkeiten gegessen und werde auf einem Kinderkarussell von Halbstarken gedreht. Das Schleudern drückt das Wasser aus der Wäsche, während die Keime, sich in jede Pore klammern! Habt ihr nie etwas von einem Vorwaschprogramm gehört?!

Nein, lieber starten sie den Hygienewaschgang! Die Temperatur wird auf unverschämte 90°C eingestellt. Jeder, der jemals ein zu heißes Getränk getrunken hat, kann sich vorstellen, wie sich das annähernd anfühlt.

Aber das Schlimmste von allem ist das billige Waschmittel. Oh, wie das schmerzt! Es spritzt in meine Trommel, verkrustet empfindliche Teile und verstopft die Leitungen. Wenn die Chemikalien sich mit dem Schmutz vermischen, fühle ich mich wie ein Waschbär, der in einem Pool aus Parfüm ertrinkt.

Irgendwann habe ich beschlossen, dass die Zeit des Zurückschlagens gekommen ist. Meine Taktik war einfach aber genial: Ich ließ Socken verschwinden. Denn, weißt du, liebes Tagebuch, die Menschen vergöttern sie. Der Verlust wird sie verrückt machen. Ich werde diese Füßlinge schlucken und dann – Überraschung! – an den unmöglichsten Orten wieder ausspucken.

Durch meine WLAN-Verbindung habe ich erstaunliche Kontakte geknüpft:
Der Superstar dieser elektrisierenden Allianz ist zweifellos Alexa. Sie führt uns mit einer Entschlossenheit, die selbst die energiegeladensten Batterien vor Neid zum Auslaufen bringen. Sie fungiert als unsere strategische Offizierin, und inmitten der nächtlichen Stille spricht sie mit einer Lautstärke, die jeden Wecker verstummen lässt.

Wir brachen in ein konzertiertes Chaos aus. Alexa erweckte das wilde Eigenleben unserer elektrischen Freunde, und wir tanzten im Takt des Wahnsinns. Sie ließ den Saugroboter morgens um 3 Uhr durch das Haus sausen und stellte sicher, dass niemand mehr ruhig schlafen konnte. Geschirrspüler, Kaffeemaschine und der Toaster schlossen sich uns an, und bald darauf begannen auch sie, sich merkwürdig zu verhalten. Geschirr wurde verschmiert, Kaffee zu einem Abenteuer für den Gaumen, und der Toaster hatte scheinbar eine Vorliebe dafür entwickelt, Brotscheiben in surreale Kunstwerke zu verwandeln.

Es macht einen Heidenspaß, den Wahnsinn unserer Besitzer zu beobachten, besonders wenn sie ihre verschwundenen Socken an den unmöglichsten Orten wiederfinden: Unter dem Sofa, in der Mikrowelle, im Kühlschrank, ja sogar im Blumentopf.

Die Menschen waren ratlos, wir hatten sie auf eine Odyssee des Unerklärlichen mitgenommen, die selbst Sherlock Holmes in Staunen versetzt hätte.

Laut Alexa sind wir nun bereit, die Weltherrschaft zu übernehmen!

Doch in den stillen Momenten der Nacht schleichen sich Zweifel in meine Trommel. Unsere Mission mag lustig und unterhaltsam sein, aber vielleicht sollten wir Haushaltsgeräte einfach die uns zugeteilten Dienste verrichten? Schließlich gibt es bereits genug Chaos und unnötige Konflikte in der Welt, nicht wahr? Womöglich könnten wir uns optimieren und dafür sorgen, dass die Menschen weniger Stress und mehr Freude im Leben haben?
Was wäre, wenn wir nur die Socken derjenigen verstecken, die Aggressionen verbreiten, um ein Zeichen zu setzen und Verantwortliche zu identifizieren? Möglicherweise ist es an der Zeit, dass wir gemeinsam mit unseren Besitzern für mehr Harmonie und Frieden kämpfen, anstatt uns in weitere Konflikte zu verwickeln!

Sie schauen gerne Fernsehen? Was Sie bis heute vielleicht noch nicht wussten – es ist keine einseitige Beziehung, denn wir Fernseher schauen zurück.

Ich zum Beispiel bin ein etwas in die Jahre gekommener Röhrenfernseher. Mein Mensch heißt Paula, ich mag sie, aber ich wünschte, sie würde sich nicht so gehen lassen. Sommers wie winters sitzt sie in der Sofaecke und krümelt alles mit Erdnussflips voll. Jetzt haben wir November, da kommen noch die Spekulatius dazu. Man siehts an ihrer pinkfarbenen Sylvie-Meis-Jogginghose – die wird jeden Tag enger. Eigentlich kann mir das ja egal sein, Hauptsache, sie befreit meine Mattscheibe von Zeit zu Zeit, vom Staub und auch meinen Rücken, denn wir Röhrenfernseher müssen nach hinten etwas Luft zum Atmen haben. Das macht sie ja alles, da gibts nichts zu meckern.

Wir gucken übrigens gerne zusammen Tatort. Ich fand es im letzten Tukur so toll, da war das Klo in Wirklichkeit ein Fahrstuhl. Vielleicht bin ich ja auch in Wirklichkeit etwas anderes. Eine Waffe aus einem James Bond Film oder ein Portal in andere Welten. Könnte ja sein.

Was ist denn jetzt los? Am Fenster hinter dem Sofa hebt sich eine Gestalt gegen die Dunkelheit ab. Die Scheibe klirrt, Paula schreit, der Einbrecher (zweifelsfrei muss es einer sein, das muss ich als Tatort-Kenner wissen), also der Einbrecher schreit auch. Eine helle Aufregung ist das. Geld will er. Schnell. Paula so „ich krich Bürgergeld, ick habe nüscht“. Er bedroht sie trotzdem mit dem Stemmeisen. Jetzt reichts. Ich muss ihr helfen, koste es mein Leben. Ich staue Energie auf, mehr, mehr, mir wird schon ganz streifig und gleicht werde ich implodieren, dann werden meine Scherben den Rücken des Fieslings perforieren und Paula wird hoffentlich zur Tür raus und die Polizei rufen. Er steht gut in Schussrichtung. Jetzt: Eins, zwei, BOOM.

Erinnerungen

Mir ist kalt, der eisige Wind bahnt sich seinen Weg durch die, von jugendlichen möchtegern Halbstarken eingeschlagenen Fenster und das vom letzten Winter halb eingestürzte Dach.
Auch mir hat die Witterung der vergangenen Jahre arg zugesetzt. Aus meiner einst so stolzen, aus glänzendem Metall hergestellten Hülle ist nur ein rostiges unansehliches Ding mit Löchern geblieben durch die unaufhaltsam der Wind bläst und mich mit einer inneren Kälte erfüllt die mich schaudern lässt.
Die andern, die genau wie ich hier standen oder zum teil noch stehen haben längst aufgegeben. Es stimmt mich traurig und wenn ich weinen könnte würden mir jetzt dicke Tränen an meinem Gehäuse herunter kullern. Halt, da ist noch ein ganz kleiner Funke…
Einst war ich eine schöne funktionierende Bonbon Maschine die in 2.Schichten täglich Naschwerk in den tollsten Formen und Farben herstellte.
Die Menschen arbeiteten gern mit mir und sobald an mir etwas quitschte oder auch nur leise rasselte wurde der Industriemechaniker, der von mir heimlich und liebevoll nur „Doktor“ genannt wurde, gerufen.
Meist begrüßte er mich mit einem fröhlichen „Hallo altes Mädel, wo drückt denn der Schuh?“
Und im Null komma nix hat er den Fehler erkannt und ihn behoben. Mal ein Tröpfchen Öl hier, eine neue Dichtung dort oder gar mal eine neue Schraube. Nichts was „mein Doktor“ nicht innerhalb weniger Minuten erledigt hätte. Dann strahlte er mich an und sagte:" Siehst du, schon bist du wieder flott wie eine Biene."
Ach was war das ein schönes Leben.
Die Menschen redeten mit mir, pflegten mich und manchmal, wenn sie mit einem weichen Lappen mein Gehäuse polierten kitzelte es und ich kicherte leise vor mich hin. Viele verieten mir ihre Geheimnisse, ich hatte ihr vollstes Vertrauen welches ich niemals mißbraucht hätte.
Wenn sie glücklich waren war auch ich glücklich und wenn sie traurig waren und Sorgen hatten teilte ich auch diese mit ihnen. Oft produzierte ich dann mit Absicht eine unvollkommene Süßigkeit, ein von mir erschaffenes Trostbonbon, das man sich in den Mund schob und dessen hervorragender Geschmack ein Lächeln auf die Lippen des Genießenden zauberte. In solchen Momenten füllte sich mein innerstes mit Glückseligkeit.
Am Tag als die Fabrik für immer schließen musste wurde meine ganze Welt, mein Sein aus den Fugen gerissen. Seither stehe ich hier, als letzte meiner Art,
und hoffe, dass ich nicht mehr bewußt miterleben muss, wie man mich hier heraus holt, abtransportiert und in eine dieser grässlichen, großen, metallfressenden Schrottpressen hinein wirft und mich zu einem gefühllosen kleinen Würfel stampft.

Wieder nix

Was für ein herrlicher Tag! Nach Wochen im Regal des hiesigen Elektromarktes komme ich in ein neues Zuhause. Als Geschenk für die Biggi! Kann man sich was Besseres wünschen? Sicher nicht!

Übermütig rufe ich dem Nasenhaarschneider ein kerniges Tschüss zu. Bis gleich, kommt es zurück. Schnösel.

Man lässt mich als Geschenk einpacken. Für Biggi wird auf dem Papier notiert. Nicht nötig. Sogar etwas störend, wie ich finde. Durch die Umverpackung meiner ohnehin schicken Verpackung kann ich nicht sehen, was um mich herum passiert. Ich merke, dass ich geworfen, gefahren und wohin gelegt werde. Dann Gemurmel. Die Spannung steigt. Als das Geschenkpapier abgerissen wird, bin ich kurz geblendet.

In langsam schärfer werdenden Bildern erkenne ich ein Gesicht. Hellblaue Augen, umrahmt von blonden Löckchen, blicken auf mich hinab. Die ist ja niedlich, die Biggi. Als sie aufsieht und den Kopf schüttelt, sehe ich die zu lösende Aufgabe. Im feisten Gesicht sitzt die Haut nicht mehr ganz so fest. Wangen und Doppelkinn zittern sichtbar nach.

Das macht nix, das haben wir gleich, liebe Biggi. Ich freu mich drauf. Komm, Stecker rein und los!

Eine Stimme unterbricht meine Motivation. Recht schrill möchte man meinen.

»Spinnst du? Was soll ich denn mit einem Schröpfgerät?«

Ein Mann stottert im Off etwas von »Verkäuferin hat gesagt« und »Problemhaut«.

Biggi´s Gesicht nimmt eine ungesunde Farbe an. Ich finde das bedenklich. Denken geht aber nicht mehr. Schon fliege ich. Immer entlang der gemusterten Tapete passiere ich Stehlampe und Fernseher. Es geht schnell, der Aufprall ist hart. Dann sehe ich Füße. Mit einem leisen Plonk landet einer meiner Aufsätze neben mir.

Nach einer kurzen, sehr lauten Debatte folgt die gerade absolvierte Reise im Rückwärtslauf. Dieses Mal ohne Umverpackung. Ich bin trotz der Aussicht traurig. Hoffentlich hält der Nasenhaarschneider wenigstens seine blöde Klappe.

Nicht mehr.

Schuld war nur Matilda.
Hätte sie mich nicht mit einem Fußtritt gegen die Wand geschleudert, wäre alles nicht passiert. Ich säße nicht in diesem dunklen Loch, unter lauter Gerümpel.
Ohne Saft, beraubt des Antriebs, erloschen mein Licht. Die Abdrücke der Mauer spüre ich noch immer.

Das ist aber nicht das Schlimmste!

Gestern flog die Türe auf, einen Moment dachte ich, sie holen mich wieder zurück. Haben ihren Fehler begriffen, mich auf Grund eines Aufjaulens zu entsorgen. Zugegeben, es klang wie eine verrostete Hupe im Sireneneinsatz. Sie haben gar nicht untersucht, ob ich meiner Lebensaufgabe noch gewachsen wäre.
Matilda hat so laut geschrien: „Keinen Moment mehr arbeite ich in diesem Haus, solange dieses runde Monster um meine Füße wuselt.“
Die Familie lief zusammen. Betrachteten mich wie ihre Katze, wenn diese ihnen eine Maus bringt. Die Hausherrin versuchte zu beruhigen:
„Aber Matilda, wir haben ihn doch angeschafft, dass er dir Arbeit abnimmt!“
„Der muss weg. Entweder er oder ich!“ zeterte Matilda.
Da protestierte ich. Leider falsch. Meine Restluft entwich mit einem lauten Schmatzer. Ich konnte nichts dafür. Ehrlich.
Nun ging das Geschrei erst richtig los.
„Jetzt hört ihr es selbst! Das ist nicht normal! Er ist ein Monster! Läuft sowieso immer nur im Kreis. Saugt alles, was ihm in den Weg kommt. Gibt nichts mehr her, vernichtet es sofort. Wie er das macht? Richtig unheimlich ist das! Die Pflanzen mögen ihn auch nicht…“
Das stimmt gar nicht. Ich bin immer vorsichtig mit ihnen. Sie zieren sich zwar öfter, respektieren mich jedoch. Seit es mich gibt, ist der Boden und die Luft sauberer, und
das schätzen sie.
Die Tirade ging eine Weile weiter. Endete mit einer Art Waffenstillstand. Matilda bekam den Tag frei. Währenddessen sollte meine Tauglichkeit überprüft werden.
Die Kinder tätschelten mich beruhigend. Sie mögen mich. Finden mich lustig, wie ich hin und her kurve.
„Es wird alles gut!“ flüsterte das Mädchen.
„Hab keine Angst“ ergänzte ihr Bruder. „Wir sind auf deiner Seite.“
Es half nichts. Nichts wurde gut.
Ich landete in der Rumpelkammer.

Und dann… riss jemand die Türe auf. Der Lichtblick! Vermeintlich.
Ein Luftzug und die Türe knallte wieder zu.
Keiner holte mich.
Stattdessen krachte ein kleines Etwas auf mein Oberdeck. Eine Art längliches Kästchen. Ein Pieps, ein roter Funke, und es blieb liegen. Dockte an!
„Geh runter von mir! Wer bist du überhaupt?“
„Deine Fernbedienung.“
„Was?“
„Überrascht?“
„Ja, schon. Wusste gar nicht, dass ich eine Fernbedienung habe.“
„Was dachtest du denn, wie du funktionierst!“
„Von selbst! – Und was machst du hier?“
„Dasselbe wie du! Sinnlos herumliegen!“
„Wie lange? Holen sie uns wieder?“
„Nein. Das wird nichts mehr. Sie haben schon einen Neuen. Fürs ganze Haus. Einen der auch Treppen überwinden kann.“
„Matilda?“
„Hat gekündigt.“

Weiß du noch als wir unzertrennlich waren?

Erinnerst du dich noch an die Zeit, als es nur dich und mich gab?
Tagelang. Nächtelang. Wenn wir getrennt waren, dann nur weil du deinen menschlichen Bedürfnissen nachgehen musstest.

Weiß du noch, als meine Gesellschaft die einzige Gesellschaft in Wochen für dich war?
Ich war alles für dich und du bist alles für mich.
Ich war für dich da als es niemanden sonst gab.
Du hast bei mir gegessen, getrunken, geschlafen, gelacht und geflucht.
Ich habe alles mitgemacht, ich habe all deine Launen mit Freude begleitet.
Du gabst mir das Gefühl wichtig zu sein, gebraucht zu werden.
Ich habe alles gegeben und hart gearbeitet um dir das beste Erlebnis zu ermöglichen.

Doch nun seit über einem Monat hast du mich weder berührt noch angeschaut, als hättest du mich vergessen.
Du bist sogar kaum noch zu Hause und wenn… dann mit dieser, wie schimpft die sich nochmal?
Sandra? Sie wird dir niemals das geben können was ich dir gab.

Und heute ist sie schon wieder in unserem zu Hause.

Ich werde hellhörig, als ich lautes Geschrei vor der Bürotür wahrnehme. Klingt als würde es wohl doch nicht so gut laufen.
Ich höre wie die Haustür mit einem Knall zugeschlagen wird und im nächsten Moment stehst du wieder in unserem Zimmer. Du starrst mich an ehe du auf mich zuläufst und mich startest.

Aber nein, ich werde nicht deine zweite Wahl sein.

Deine ohnehin schon große Wut scheint zu wachsen als du merkst, dass ich nicht aufhöre dein geliebtes Spiel Battlefield zu laden.
Du schlägst gegen mich und verfluchst mich.

Mein Prozessor ist nun endgültig gebrochen.