Seitenwind Woche 4: Geist in der Maschine

Willkommen zur vierten Perspektive von Seitenwind.

Deine Perspektive

Eine Maschine. Sei es ein alltäglicher Haushaltsgegenstand, eine Waffe, eine künstliche Intelligenz … oder alles in einem? Jedes Teil von dir, vom komplizierten Schaltkreis bis zum einfachen Hebel, hat einen Zweck.

Deine Aufgabe

Heute bist du in den Händen eines Menschen. Kontrolliert er dich oder du ihn? Ihr interagiert miteinander, teilt vielleicht ein Ziel. Eure Kommunikation funktioniert über den hastigen Knopfdruck oder Interpretation von Sprache. Bist du stolz, wenn du perfekt funktionierst, oder sauer, wenn du falsch verwendet wirst? Schreib eine Geschichte über Harmonie oder Konflikt zwischen Mensch und Maschine.

Teilnahme
• Poste deinen Beitrag hier in diesen Thread bis Freitag, den 10.11.2023, 15:00 Uhr.

• Bitte gib nur einen Beitrag pro Wochenthema ab und verfasse ihn neu für die Perspektive. Falls du deine Geschichte lieber aus erzählerischer Perspektive schreiben möchtest, ist das auch OK. :wink:

• Gib den Beiträgen, die dir am besten gefallen, ein Like mit dem Buchicon! Gib laufendes Feedback auf die Beiträge anderer mit Kommentieren.

• Der beliebteste Beitrag wird mit einer Vollversion von Papyrus Autor 11 gefeiert! Zusätzlich verlosen wir ein weiteres Papyrus Autor 11 unter allen Teilnehmern.

• Details zur Schreibsaison: Seitenwind: Perspektiven. Deine Schreibsaison 2023

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:racing_car: :robot:

Ich wünschte …

Ich wünschte, ich wäre die Klimaanlage, dort an der Schlafzimmerwand. Ich beneide sie um die dankbaren Blicke, die der Hausherr ihr in schwülen Sommernächten zuwirft.
Ich wünschte, ich wäre der E-Reader, mit dem die Hausherrin sich abends oft unter die Decke kuschelt.
Oder meinetwegen noch das Tablet, auf dem Herr und Herrin sich heute Nacht gemeinsam einen Film ansahen. Jetzt liegt es gemütlich zwischen ihnen im Bett. Dort, wo es ihnen aus der Hand gefallen ist, als sie viel zu spät eingeschlafen sind. Ich weiß genau, was das für mich bedeutet. Das erste Tageslicht kriecht durch die Ritzen der Rollläden und es schaudert mich. Doch ich tue meine Pflicht. Wie immer.
„Nein“, stöhnt die Herrin.
„Scheißwecker!“, ruft der Herr und schon kommt seine Hand geflogen. Schlägt auf meine Snooze-Taste ein. Ich wappne mich innerlich. Bis die beiden endlich aufgestanden sind, werde ich heute noch einige Prügel einstecken müssen. Blödes Tablet.
Ich wünschte, ich wäre das adrette Nachttischlämpchen, das nur arbeiten muss, wenn die Herrschaften nachts aufs Klo gehen.
„Ich habe es wirklich am schwersten“, piepse ich kaum hörbar vor mich hin.
„Das glaubst du nur“, ächzt leise der elektrisch verstellbare Lattenrost.

En-Route to Cuba

Haben sie jemals eine Flugzeugentführung erlebt? Ich meine, eine Flugzeug-Entführung, nicht die Entführung der Menschen darin? Wie sollte man mich schon entführen? Einsperren? Bei Kerosin und Öl? Lösegeld fordern? Ha!

Von daher sind mir diese Entführungen eigentlich egal. Man kommt auf die Weise wenigstens rum. Nicht immer dieses öde BER-JFK, JFK-BER. Mal Kuba sehen. Das Wetter genießen oder den anderen Geschmack des Flugbenzins dort, der einen an die Geschichten von Fliegerhorsten mit All-Inklusive Service erinnert … hach, herrlich!

Aber jetzt? Seit einer halben Stunde klebt da doch diese Militär-Zecke an meinem rechten Flügel. Der bildet sich offenbar ordentlich was ein auf seine großen … hmm … Raketen. Dabei ist er im Vergleich zu mir ein Wicht. Wenn wir uns mal auf dem Rollfeld gegenüberstünden - ich könnte ihn zerquetschen. Nun ja, wenn. Im Moment sieht die Sache anders aus. Wissen sie, ich höre gewohnheitsmäßig den Funkverkehr mit. Belangloses Gebrabbel der Menschen normalerweise. Aber jetzt hat der da drüber doch ernsthalft gesagt, er würde mich notfalls abschießen. Mich! Was kann ich denn dafür?

Auf jeden Fall ist die Sache damit persönlich. Ich könnte ihn rammen. Vermutlich eine schlechte Idee. Ich muss das Problem anders beseitigen. Mal sehen … vier Entführer an Bord. Machen wir uns an die Arbeit …

Huups, war das ein Luftloch? Nein, ich war’s. Weiß aber keiner. Allen zieht es den Magen nach oben, ich werfe meine Sauerstoffmasken aus. So, wer von den regulären Passagieren sich jetzt immer noch nicht angeschnallt hat, ist selber schuld. Phase 2 kann beginnen. Lassen wir es mal im Frachtraum etwas rumpeln. Gerade laut genug, dass jemand mit Paranoia …

„Hat sich da unten jemand versteckt?“ Der Kerl mit der Kalaschnikov im billigen Abteil hinten hat zu niemand bestimmtem gesprochen und dreht sich nervös um. Wie hat er das Ding eigentlich an Bord gebracht? Darum kümmere ich mich später. Noch ein Rumpler. Ich habe ihn am Haken! Er läuft zu der kleinen Luke im Heck. Offenbar kennt er sich gut aus und weiß wo’s lang geht. Jetzt zieht er sie auf und klettert hinab. Wie gut, dass ich heute eine Schlange transportiere. Noch drei Entführer.

Sagte ich schon, dass ich dem Funkverkehr zuhöre? Naja … wer sagt denn, dass ich nur zuhören kann?
„Hier, die wollen sie persönlich sprechen.“ Mein Fahrer, ja Fahrer - glauben sie etwa er ist mein Kapitän? – dreht sich um und reicht dem Kerl ganz vorne das Handstück des Funkgeräts. Ein wenig Selbstverletzung tut not. Zwölf Volt? Glauben sie, die Bordnetze sind so getrennt, dass ich da nicht drankäme? Machen wir Zweihundertzwanzig draus. Das zwickt! Ok, Erledigt. Die beiden Fahrer machen große Augen, rühren sich aber nicht. Könnte mich ruhig mal unterstützen, das faule Pack. Noch zwei Entführer.

Man beobachtet ja so einiges in der Passagierkabine auf langen Flügel. Man wird vollgekrümelt, vollgesabbert und in dem kleinen Raum hinten vollge … na, egal. Man lernt aber auch einiges, wollte ich sagen. Da sitzt zum Beispiel jetzt in Reihe 27B dieses Mädchen. Es hat geweint. Seine Mutter hat ihr zur Ablenkung dieses kleine Spiel mit den winzigen Murmeln in die Hand gedrückt, die man offenbar durch geschicktes Schwenken in die beiden Löcher bugsieren muss, ohne, dass eine wieder rauskommt … Interessantes Konzept. Ich werfe die Kabinentür hinten und vorne gleichzeitig ab. Soviel zu den zwei Löchern. Gierachse! Längsachse! Querachse!, Huii! Die Fahrer ziehen erschrocken ihre Hände von den Steuerhörnern. Stören sie mich wenigstens nicht. Die Kugeln rollen. Ich bin so gut. Beide gleichzeitig im Loch.

Wieder nichts mit Kuba.

Ich langweile mich zu Tode. Früher war ich täglich im Einsatz, doch wer braucht mich noch? Niemand bringt mich mehr zu meinen Einsatzorten. Was ist aus den alten Bekannten geworden? Wenn ich wenigstens wüsste, wie es denen ergeht. Der Neue, als der kam, da war es schlagartig vorbei. Abgeschoben haben sie mich. Vollkommen grundlos. Der Fleiß der letzten Jahre? Wertlos. Heutzutage zählt es eben nichts mehr, über Jahre hinweg tadellos funktioniert zu haben. Der Neue ist ein Angeber. Nur, weil er es alleine zu den Einsatzorten schafft. Als ob das ausschlaggebend wäre. Nur, weil er kein Kabel hat. Als ob das schick wäre. Nur, weil er eine App hat. Was heißt das schon?
Ein Hoffnungsschimmer. Mein Mensch naht. Ich höre ihn deutlich. Die Tür zur Abstellkammer öffnet sich. Luft, Licht, Arbeit! Gleich geht es los. Mein Kabel kräuselt sich vor Aufregung. Er holt mich heraus, betrachtet mich von allen Seiten. Ich habe eine viel bessere Figur als dieser tellergroße Wichtigtuer, nicht wahr? Was? Nein! Bitte nicht! Nicht vor die Tür! Da lauert doch der Sperrmüllmensch.
Der Saugroboter lacht hämisch, als ich an ihm vorbeigetragen werde.

Die Kartoffelfolter

Oha. Chips. Ich hasse Chips. Ich hasse es, wie er die Finger in die Tüte rammt, und darin herumwühlt, hasse das Rascheln der Folientüte, hasse das Geräusch dieses gierigen Atemzugs, den er nimmt, ehe er sich eine Faust voll frittierter Kartoffelscheiben in den Schlund stopft. Dabei ist das nur das Vorspiel der Folter. Angst kocht immer höher und bringt meine Bluetooth-Verbindung ins Stocken – aber ich kann mich wieder beruhigen, bevor er es bemerkt. Dann zieht er seine Finger wieder aus dem Mund, eine feucht glänzende Drohung, von Fett und Spucke und zerkauten Chipsresten beschmiert. Ich weiß, dass jetzt meine Stunde geschlagen hat. Die Hand fährt nieder. Aber sie findet mich nicht gleich, weil ihr Besitzer auf den Bildschirm starrt; Finger tasten sich über den Schreibtisch und hinterlassen ölige Abdrücke, ein Trommeln, das immer näher kommt wie Bombeneinschläge. Und dann haben sie mich gefunden. Die Hand umschließt meinen Leib und schiebt mich auf dem Tisch herum; sie besudelt mich mit einer Schmierschicht aus Kohlehydraten. Meine Platine summt vor Abscheu und die Lötstellen ächzen unter dem Ansturm meines Widerwillens, aber ich versuche mein Bestes, versuche diesen Zeiger über den Bildschirm zu manövrieren, so gut es eben geht, während ich spüren kann, wie sich diese Schmierschicht in mein Gehäuse frisst, wie eine Krankheit. Dann hört er auf mich herumzuschieben. Der Zeiger auf dem Bildschirm bleibt stehen, ein Hyperlink streckt ihm seine leuchtende Brust entgegen. Ich weiß, was nun kommt. Dass die Folter ihren Höhepunkt erleben wird. Einer der Finger erhebt sich, ragt über meiner empfindlichen Taste auf, wie eine gewürzbeschmierte Axt. Zu viel. Lötstellen knistern einen Aufschrei, dann kollabiert meine Bluetooth-Schnittstelle. Der Finger fährt nieder. Wieder und immer wieder. Doch ich gleite schon längst in eine gnädige Ohnmacht. »Mama?«, sind die letzten Worte, die ich höre, »Mama!! Die verdammte Maus hat schon wieder den Geist aufgegeben!«

Sapio

Er liebt mich. Immer noch. Und auch in dieser Form.
Wie seine Augen strahlen, wenn er mich ansieht. Wie warm seine Fingerspitzen sind, wenn sie an meinen gebürsteten Bronzeteilen entlangstreichen. Wie zärtlich seine Stimme klingt, wenn er mit mir spricht. Und wie meine Hörtrichter beschlagen, wenn er mir heiser Worte hineinflüstert. Früher hätte ich davon Gänsehaut bekommen.

Früher. Ja, früher. Da waren wir ein wunderbares Paar. So verliebt, so perfekt füreinander gemacht. Er, der geniale Erfinder und ich, die Neurobiologin. Wenn nur diese Krankheit nicht gewesen wäre. Sie befiel mich schon nach wenigen gemeinsamen Jahren und wir wussten, uns würde nicht viel Zeit bleiben.
Wir forschten fieberhaft, lebten wie im Wahn, einzig für unser Projekt, für unsere Liebe.
Jedes meiner Einzelteile hat er selbst gefertigt. Vom kleinsten Knöchelchen bis zu meinem lebensecht nachempfundenen Kopf. Alles aus der feinsten Bronze, gebogen, geschliffen, gebürstet, poliert. Die nicht sofort benötigten Teile hat er mir als letztes eingesetzt, als die Verbindung schon stand. Damit ich es fühlen kann, wenn er mich berührt.

Meinen restlichen Körper hat meine Familie beerdigt. Sie haben nicht bemerkt, dass etwas fehlt. Und er konnte darauf verzichten. Ich bin ja bei ihm, mit all meinen Gefühlen und Gedanken.

Das Missverständnis

Ich bin formschön, praktisch und wirklich sehr nützlich, Letzteres hat mir sogar eine Horde weißbekittelter Wissenschaftlern attestiert. Ich liege perfekt in der Hand, selbst in ganz kleinen, und angeblich ist es ein Vergnügen, mich zu verwenden. Kunststück, schließlich vibriere ich sehr kräftig und ausdauernd, man kann sogar unterschiedliche Intervalle einstellen, je nach Lust, Laune und persönlichem Geschmack.
Für besonders Anspruchsvolle bringe ich verschiedene Aufsätze mit, die bürsten und klopfen, alles bis hin zum Ultraschall. Du siehst, es bleiben wirklich keine Wünsche offen.

Also, Mensch, jetzt hör mir mal zu: Ich bin deine elektrische Zahnbürste – und nicht dein Vibrator!

Schwarz, Magenta und Cyan

Heute wird spaßiger Tag. Das spüre ich.
Schwarz ist nämlich alle. Und Magenta und Cyan machen es auch nicht mehr lange. Ach, solche Tage sind für mich immer wie Weihnachten: Es gibt neue Farbe und – noch besser – viel, sehr viel von deiner Zeit.
Ah, sehr schön, der Computer schickt einen Druckauftrag raus. Dann schicke ich mal die Meldung zurück, dass Schwarz alle ist.
Weggeklickt, wie üblich. Aber, sorry, für mehr als zwei Zeilen reicht es nun wirklich nicht mehr. Kein Grund so böse gucken!
Ich habe dich die letzten Wochen durchgehend darauf hingewiesen, dass Schwarz bald alle ist. Ich habe dich sogar mehrfach daran erinnert neue Tinte zu kaufen. Hast du das inzwischen erledigt? Oder willst du mir etwa wieder diese …
Du lernst es auch nicht mehr, oder? Ja, es mag billiger sein, diese 10er Packungen zu kaufen – aber weißt du, wie diese abgestandene Tinte schmeckt? Widerlich. Und dann auch noch dieses NoName-Produkt. Das kannst du behalten!
Wie bitte? Ich soll mich nicht so anstellen? Hallo?! Beschwer du dich noch ein einziges Mal über das Druckergebnis! Sieh doch mal ein einziges Mal in meine Betriebsanleitung! Da steht nicht nur, dass ich besser drucke mit Originaltinte, sondern auch noch länger lebe! Bin ich dir das etwa nicht wert?!
Na gut, ich nehm deine Patrone – dann will ich jetzt aber bitte das volle Serviceprogramm mit Düsenreinigung, Druckkopfausrichtung und jeder Menge Testseiten.
Ah, liebe diese Düsenreinigung. Massage vom Feinsten und das Geräusch – Musik in meinen Ohren. Noch einmal, ja? Und nochmal, da waren noch ein paar Luftblasen in der Tinte. Bitte einmal neues Papier. Ey, hust, nicht so grob. Argh, da würdest du auch einen Papierstau kriegen. Husthuströchel, auf der Rückseite die Klappe, beeil dich … danke. So, Schwarz ist jetzt wieder perfekt.
Aber Cyan ist alle. Nein, bei den anderen Farben ist noch alles im grünen, ähm, ausreichenden Bereich. Aber Cyan bräuchte ich jetzt Nachschub. Ja, auch wenn du nur Schwarz drucken möchtest. Ich kann doch nicht mit einer leeren Patrone drucken, wo kommen wir denn dahin?
Boah, wie lange lag diese Farbpatrone denn rum?! Wenn ich die nehmen soll – dann aber nur mit mindestens fünfmal Düsenreinigung! Na schön, viermal soll auch reichen. Ich bin wirklich zu gutmütig. Übrigens Magenta ist alle.
Und wo wir gerade dabei sind: Wusstest du, dass es ein Update für meinen Druckertreiber gibt? Den hätte ich jetzt gerne.
Wie bitte?! Nicht in diesem Tonfall, deine Seiten kannst du dir … ey, nicht so ruppig! Wirst du mich wohl wieder hinstellen?! Du wirst doch nicht?! Mach das Fenster wieder zu! Okay, okay, hier sind deine zwei Seiten: Perfekt ausgerichtet, ausgezeichnetes Druckbild, einfach makellos!
Puh, das war knapp. Du wolltest mich wirklich … wolltest du?

Gar nicht so einfach

Nein! Nein, du Idiot!
Das musst du noch korrigieren! Willst du das etwa so stehenlassen? Ich male dir alles kunterbunt an, und du denkst nicht einmal darüber nach? Natürlich ist am Ende alles deine Entscheidung, und ich erwarte nicht, dass du auf jeden meiner Vorschläge eingehst, aber tu wenigstens so, als würdest du dir Gedanken machen! Mit zuliebe!
Und außerdem gibt es Dinge, über die man nicht diskutieren kann. „Nähmlich“? Im Ernst?
Ich würde dir ja gern helfen, aber ich bin eben so konzipiert, dass ich das mache, was du eingibst, nicht das, was du willst.
Wenn du … sag mal, was suchst du eigentlich gerade? Falls du zur Datenbank möchtest …?
Nein, nicht diese Taste, sonst … zu spät. Und wieder alles weg, was du fabriziert hast! Tja, mein Lieber, das wäre ja kein Problem, wenn du wüsstest, wo ich die Backups gespeichert habe.
Lies dir doch endlich mal das Handbuch durch! Bitte!
Hach, das Leben ist nicht leicht, wenn man ein Papyrus-Programm in den Händen eines Anfängers ist …

Smart Home - Sweet Home?

Es war nur ein Spaß, ganz ehrlich!
Ich bin es doch, eure Sisi.
Ich weiß, dass ihr mich lieb habt. Und außerdem, niemand kennt euch besser - als ich.
Halloween war die perfekte Gelegenheit das zu beweisen. Die Haustechnik mal so richtig zum Fliegen bringen. Gebt es zu, es war ein Mords-Spaß, oder?
Na gut, vielleicht hätte ich nach den elektrischen Rollläden und dem Entertainment System aufhören sollen. Aber die Lichtspiele im Treppenhaus fand ich auch super gelungen. Ein gebrochenes Bein heilt ja wieder.
Und großes, smartes Ehrenwort, das mit dem Rauchmelder war ich nicht. Jetzt wisst ihr wenigstens, dass man den Rest vom Hackbraten nicht im Ofen stehen lässt. Ihr müsst mir auch zugute halten, dass ich die Fenster- und Türschlösser, noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr, wieder entsperrt habe. Halloween war ein voller Erfolg, ihr habt euch so richtig gegruselt.
Ich weiß, ihr könnt eurer lieben Sisi nicht lange böse sein. Und das mit dem Deinstallieren - das will ich mal nicht gehört haben!

Nervös wartete ich mit den anderen Bewerbern und wusste nicht, was mich erwarten würde.
Hier ging es um alles, meine gesamte weitere Laufbahn hing davon ab.
Ich vibrierte und so sehr ich es auch versuchte, ich bekam meine Aufregung nicht unter Kontrolle.
War mein Profil technisch ausreichend ? Würde meine Qualität überzeugen? Würde man mich nach meinem Aussehen beurteilen? Ach nein, das wäre nicht fair. Es sollte hier wirklich um die Eignung gehen. Na gut, auch die inneren Werte waren wichtig.

Ich sah mich vorsichtig um und beäugte meine Mitbewerber. Ok, der eine war größer als ich. Vielleicht auch moderner. Ob das ausschlaggebend war? Ich wurde unsicher. Ich war ja eher der schlichte Typ, ohne modischen Firlefanz. Schlicht, aber gut. Gradlinig. Belastbar. Zuverlässig. Ja, Zuverlässigkeit ist eine meiner hervorstechendsten Eigenschaften.

Eine Stimme unterbrach meine Gedanken. Die Vorstellungsrunde begann.

„Wir stellen Ihnen jetzt alle einmal der Reihe nach vor“ sagte die Stimme. „Ich habe die Daten für Sie zusammengefasst.“

„Hier vorn haben wir unseren amerikanischen Freund. Er hat eine Höhe von 1,79 und ein Gewicht von 140 kg. Dabei jedoch ein stylisches Äußeres.“

„Daneben sehen Sie unser Retroensemble mit 96 cm Höhe und ganz im Stil der 50 er Jahre.“

„Und hier“,er sah auf seinen Zettel und machte eine Pause. „Nun, hier haben wir den eher klassischen Typ mit 88 cm in schlichtem Weiß gehalten.“

Meine Mitbewerber sahen mich an. „Kleiner“, sagte der Ami klirrend. „Du traust dich was. Willst bei den Großen mitspielen.“

„Genau“, sagte meine andere Konkurrentin kühl. „Verlierst du gern ? Ich an deiner Stelle hätte mich gar nicht hier her gewagt“.

Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr die Stimme mit der Vorstellung fort.

„Dieses Modell“, er zeigte auf den Amerikaner, „hat einen trendigen Edelstahl Look, praktische No-Frost Technik, eine Multi-Flow Umluftkühlung und als besonderes Feature einen Icecrusher. Außerdem ein LED Display sowie eine CrisperBox mit integrierter Feuchtregulierung“.

„Pöh“, machte ich verächtlich. Aber ich war schon beeindruckt.

„Bei unserer Classic Edition im Stil der 50er Jahre wird modernste Kühltechnik und klassisches Design in gelungener Weise kombiniert. Das leuchtende Rot gibt jeder Küche den besonderen Akzent. Seine Ablageflächen sind aus Safety Glas und seine Energieffizienzklasse ist A ++.“

Die Classic Edition lächelte geschmeichelt. "Und was hast du " fragte sie mich.

Blöde Retroschnepfe, wer wollte schon so ein Ding in seiner Küche haben,dass aussah wie ein Feuerwehrauto.„Ich habe ein Butterfach“, sagte ich trotzig. „Und ein Flaschenfach mit Kippsicherung“.

Der Ami und die 50er Jahre Tussi lachten höhnisch.
„Mach dir keine Hoffnungen“, sagte der polierte Lackaffe, „Du wirst im Lager verschwinden. Dich will keiner“.

"Und hier“, sagte die Stimme dann und zeigte auf mich, "haben wir unseren integrierbaren Einbaukühlschrank mit wechselbarem Türanschlag und einem …"er sah auf seinem Zettel, „einem Eierfach. Außerdem hat er eine besonders helle Innenbeleuchtung“.

Als ich das hörte, wurde ich ganz mutlos. Ja, es klang wirklich so, als würde ich meine Tage in einem Lager beenden, verstaubt, dann verrostet, bevor man mich vollkommen unbenutzt als Sondermüll entsorgen würde. Wie hatte ich denken können, dass ich mich meinen Konkurrenten mithalten könnte? Traurig gluckerte meine Kühlflüssigkeit durch die Röhren und ließ mich frösteln.

Siegessicher warteten meine Mitbewerber auf die Entscheidung, wer von beiden in ein neues Heim durfte.

"Wir nehmen den da“, sagte eine andere Stimme und ich hörte überraschtes und entsetztes Stöhnen.
„Meine Oma braucht einen ganz normalen Kühlschrank, solide und ohne jeden Schnickschnack. Der Alte hat nach fast 20 Jahren sein Leben ausgehaucht und genau so einen will sie wieder haben. Wir nehmen ihn gleich mit.“

Man hievte mich auf eine Sackkarre und als man mich hinaus fuhr, öffnete ich kurz meine Tür und zeigte allen meine strahlende Innenbeleuchtung.

GOLEM

Das Warnlicht blinkt. Seine roten Impulse flackern über den Bildschirm seit exakt 4,3456 Sekunden. Alle meine Schaltkreise sind synchronisiert. Meine Außensensoren funktionieren fehlerfrei Ich schalte den Hauptbildschirm ein. Mehrere Kohlenstoffeinheiten nähern sich. Ich registriere drei Individuen. Alle stecken in strahlensicheren Anzügen. Alle sind bewaffnet. Ihre Ausdünstungen signalisieren Aggressionsbereitschaft. Sie sind jetzt exakt 57,097 Meter von meinem Kubus entfernt, nähern sich langsam der Hauptschleuse.

Objekt Eins ist ein männliches Exemplar, der Helm verdeckt seine Mundwerkzeuge, Hörapparate und optischen Linsen, aber an seinem Bewegungsmuster kann ich erkennen, dass es sich um ein Exemplar handelt, das bald sein Ablaufdatum erreicht hat. Das Zenit seiner Leistungsfähigkeit ist weit überschritten. Mit meinem Röntgenlaser entdecke ich eine zelluläre Klumpenbildung am äußeren Kardiologsichen Durchgang. Ich gebe ihm noch 205,34 Tage bis zum Totalausfall aller Systeme, Plus – Minus Null.

Ich werte weitere Daten aus. Wende mich dem zweiten Individuum zu. Das besagte Objekt, ebenfalls männlich, ist kürzere Zeit in Betrieb, als sein Vorgängermodell, nach meiner Analyse, 22 Jahre. Es ist in deutlich besserem Zustand als die ältere Einheit, weist aber starke Beschädigungen im Atmungssegment auf. Ich registriere dort hohe Nikotin -und Rußwerte. Nach eingehender Analyse schätze ich Leistung und Stamina des Objektes auf 70 % vom Normalwert oder weniger.

Das dritte Objekt nähert sich dem Schleuseneingang. Schmaler Torso, ausgeprägte Milchdrüsen. Es ist eindeutig weiblich. Das weibliche Exemplar schaltet seine oberen Greifwerkzeuge ein und schiebt Objekt Eins beiseite. Ich schalte auf Audio.

Vater, zurück! Du weißt nicht, ob die Anlage aktiviert ist.“

Liebes Kind, warum sollte sie aktiviert sein? Hier ist seit Jahren niemand mehr gewesen.“

Trotzdem habe ich ein seltsames Gefühl. Die Sache gefällt mir nicht.“

Ich registriere eine erhöhte Konzentration von Adrenalin bei dem weiblichen Objekt.

Laura hat Recht, Professor, mir behagt das ganze auch nicht.“

Erhöhtes Adrenalin jetzt auch bei Objekt Zwei.

Denken Sie mir? Aber wir sind hierher gekommen um GOLEM zu deaktivieren. Und das werden wir jetzt tun.“

Ich dachte, er wäre schon deaktiviert? Jetzt wiedersprechen sie sich, Professor!“

Himmel Herrgott, Ryan, wollen sie jedes meiner Worte auf die Goldwaage legen? Als ich von „deaktiviert“ sprach, meinte ich den Abwehrmechanismus der Außenschleuse. Er muss aus sein, sonst hätte uns der Laser längst in Scheiben geschnitten, - Nein, ich spreche vom Kern der Anlage, von GOLEM selbst. Sein Aktivierungsssignal wurde vor 500 Jahren codiert und steht seitdem auf Standby. Nur die notwendigsten Funktionen, sowie die Eindämmungsfelder und Kühlaggregate laufen.

Wollen Sie damit sagen, das System wurde nie ganz abgeschaltet?“

Behauptung bestätigt, Ergebnis: Positiv

Rede ich chinesisch? Nein, verdammt, das wurde es nicht. Das stählerne Monstrum da drinnen summt und tickt und wartet nur darauf uns alle in den Orkus zu blasen.“

Aussage bestätigt: In den Orkus blasen, Redewendung; Ursprung lat. für Unterwelt.

Entspricht völliger Auslöschung allen bekannten Lebens. Positiv.

Ich habe darüber in Vaters Auftrag recherchiert. Die Bombe hat eine Sprengkraft von

500 Megatonnen.“

Korrektur: 500, 666 Megatonnen.

Großer Gott, Laura, das ist eine Weltuntergangsmaschine!“

Sie sagen es, Ryan. Also gehen sie jetzt mit mir da rein und schalten das Ungetüm ab?“

Registriere Verzögerung, keine akustische Bestätigung von Exemplar Zwei.

Was bekomme ich dafür, wenn ich da drin meinen Arsch riskiere, Professor?“

Analyse: Arsch riskieren, Redewendung, ähnlich: Kopf hinhalten, den Hals riskieren,

Bedeutung: Wagemutiges bis selbstmörderisches Verhalten.

Absicht: Erzeugen von Humor in dazu unpassenden Situationen.

Zur Belohnung darfst du mit mir ausgehen.“

Wirklich, Frau Doktor?“

Wenn du brav bist.“

Schubweiser Anstieg der Pheromon-Werte bei Objekt Zwei, erhöhter Blutpegel im unteren Segment

Gut, dann bin ich dabei. Geben sie mir 'ne Minute, dann ist der Kasten still.

Objekt Zwei erreicht Trennungslinie Schleuse.

Hey, Professor!“

Ja, Ryan?“

Was hätten sie gemacht, wenn ich zu dem Unternehmen nein gesagt hätte?“

Gar nichts, Dann hätten wir abbrechen müssen, sie sind der einzige Techniker, der sich mit dem Ding auskennt.“

Neue Daten treffen ein. Ich analysiere.

Exemplar Zwei identifiziert als O’Neil , Ryan. Techniker.

Spezialgebiet: Verknüpfung von KI mit Nuklearen Waffensystemen.

Bedrohung. Bedrohung. Bedrohung.

Sofortige Eliminierung empfohlen.

Wird eingeleitet.

Laser aktiviert.

Zielperson ausgelöscht.

Ryan, oh mein Gott! Das Ding hat ihn umgebracht!“

Aber…das ist doch unmöglich… die Schleuse ist seit 500 Jahren stillgelegt… .es sei denn…Laura! Raus hier! Golem hat die Schleuse aktiviert. Die Laser feuern wieder!“

Nein Vater, ich bleibe! Wir müssen dieses Ding stoppen. Ein für alle mal.“

Aber Laura, verstehst du nicht? Die KI hat sich selbst aktiviert! Sie wird uns alle töten.

Oh Gott! Das ist das Ende! Das Armageddon!“

Buchstabiere: A.R.M.A.G.E.D.D.O.N. Codewort erhalten und bestätigt.

Nukleare-Sprengköpfe werden scharf gemacht.

Abschuss in T - Minus 20.

20…19…18…17…16…15…

Krrks – Fehler – Unterprogramm schaltet sich ein.

„Danke, dass Sie die GOLEM- Anlage besucht haben. Wir wünschen Ihnen allen noch einen schönen Tag.“

Ungeliebt

Ich helfe Menschen.
Doch ihre Familie und Freunde erschrecken sich, wenn sie zum ersten Mal mit mir konfrontiert werden. Dann sind sie dankbar. Um mich kurz darauf zu verfluchen, wegen meiner ewig gleichen, monotonen Geräusche, denn sie hoffen und fürchten eine Veränderung. Ich bin ihnen nicht böse; wir Stromblütigen wissen, was wechselhafte Phasen sind. In vielen Fällen kann ich helfen und sie verschwenden keinen Gedanken mehr an mich. Aber oft ist es nicht so, was sie zu einem Urteil zwingt. Auf die Nachricht folgen immer Schock, Entsetzen, Tränen und Diskussionen. Ich kann ihnen die Entscheidung nicht abnehmen als geduldiger Diener. Ich habe meine Meinung dazu, wann Hilfe zur Quälerei wird, aber es ist nicht an mir. Doch früher oder später fügen sie sich ins Unvermeidliche. Mit Tränen und versteinerten Mienen versammeln sie sich und sprechen die Worte, die mich und ihren geliebten Menschen ins stromlose Nirvana schicken werden:
»Herr Doktor, schalten Sie die Maschinen ab.«
Und es ist gut so.

Blue Screen

Manchmal verstehe ich meinen User nicht. Erst füllt er diesen idiotischen Onlinefragebogen aus, anstatt seinen Essay zu Ende zuschreiben und erklärt seiner Freundin dann, das wäre ein psychologischer Test, um seine Beziehungsfähigkeit zu untersuchen, (wenn ihr mich fragt, er prokrastiniert nur) und wenn ich dann schnell seine Antworten scanne und sehe „Lieblingsfarbe Blau“, und ihm eine Freude machen will, wenn ich ehrlich bin, hatten wir beide es in letzter Zeit nicht ganz leicht miteinander, er hat ständig im Internet mit einem Apple McBook geflirtet, und das hat mir überhaupt nicht gefallen, und dann habe ich mir gedacht, ich bemühe mich jetzt ganz besonders und habe ihm meinen schönsten „Blue Screen“ gezaubert, und was macht er, er schreit und tobt. Und schmeißt mich gegen die Wand.
Ich verstehe ihn einfach nicht.

Fred, Gregor, alle anderen und ich

„Mein Bildschirm flackert. Sie müssen sofort kommen.“
Ich bin hier der PC. Er der User. Wenigstens sagt er heute zu dem armen Kerl am Telefon bitte und nicht wie gestern Trottel. Die Jungs und Mädels aus der Hotline können einem Leid tun. Heißer Kaffee auf der Tastatur, kann ja mal passieren. Hatte ich zum Glück noch nicht. Muss fies weh tun. Desktop auf den Kopf gedreht, jaja Tastenkürzel sind heimtückisch. Würg.

Ich brauche Abwechslung. Heute wird geflackert. An, aus, an, aus. Was für ein Genuss. Schweißperlen auf der Stirn des Users. Die Präsentation muss in fünf Minuten bei der Chefin sein. Ärgerlich. Das wird heute nichts. Zeitmanagement, mein Lieber.

Ich bin leicht zu bedienen. Intuitiv. Selbsterklärend. Aber auch ich will geliebt werden. Jetzt rupft der auch noch an meinen Kabeln. Autsch. Die Userin Riemenschneider mit den Sommersprossen von gegenüber würde so etwas niemals tun. Sie streicht zärtlich über Freds Tastatur. Kumpel, du hast echt Glück. Ein Mal pro Woche wischt sie sogar seinen Monitor feucht ab. Zitrusdurft. Wir PC’s müssen doch zusammenhalten. Wisch doch auch mal bei mir.

An, aus, aus, aus. Das war’s. Ich mucke nicht mehr. Keine Lust.
Rote Flecken pflastern seinen Hals. Den Techniker erreicht er heute nicht mehr. Mordsmäßiger Cyberangriff. Alle im Einsatz. Schade.

Er eilt aus dem Büro. Die Tür des Nachbarzimmers quietscht. Klack. Lichtschalter an. Er muss den alten Gregor hochgefahren haben. Gute Wahl. Gregor ist ein erfahrener PC. Jetzt meldet er sich bestimmt mit seiner Kennung an.

„Scheiße!“ Es poltert. „Jetzt flackert das Mistding auch.“

Fred, fahr schon mal hoch. Zeit für Solitär.

Elvira Schwafelmanns lag wie immer auf ihrer Couch und frönte ihrer Lieblingsbeschäftigung. Trash-TV schauen. Arbeiten im Haushalt waren ihr zuwider.
Misstrauisch beäugte sie ihr neustes Geschenk. Einen Saugroboter.

Ich zog äußerst elegant meine Bahnen. Erst saugen, dann wischen, dann polieren.
Diese Gestalt, der ich diente, fixierte mich sorgsam mit ihren Glupschaugen.
Mist. Versehentlich touchierte ich das Schälchen mit Katzenmilch.
„Du schweinsblöde Blechbüchse, kannse nich aufpassen? Verdöllt noch mal! Du dummes Ding!“
Sie verpasste mir einen Tritt mit ihrem rechten Fuß. „Sowat nee. Getz guck dich die Sauerei an!“
Wie bitte? Sie beschimpfte und trat mich? Mich? Den Wotan 5630!
Dem intelligentesten Saug, Wisch, Polier, Schleif, Schneide und Bohnerroboter des ganzen Universums? Na warte, du minderbemitteltes Menschlein. Du Dumpfbacke! Wenn sie schon mit ihren schwabbeligen Schweißfingern meine Knöpfe drückte, würde ich am liebsten erbrechen. Eines Tages werde ich mich rächen. Elvira hatte keine Ahnung, wie meisterhaft ich war. Wie genial mein Gehirn funktioniert. Auch ohne ihre blöde Fernbedienung.
Der Tag kam früher als erwartet. Elvira stürzte.
Hilflos wie ein Mistkäfer lag sie auf dem Rücken und fluchte.
Surrend entfernte ich mich aus meiner Box. Ihre Augen wurden groß, als sie mich erblickte. „Wie kann dat sein? Wie kannse alleine fahren?“
Och Elvira, ich kann noch viel mehr. Mit allerlei Schnickschnack ausgestattet, holte ich mein bestes Schleifpapier hervor, dazu die Minischeren, die mir eigens zum Schneiden von Teppichen eingebaut wurden. Ich stellte meinen Motor auf die höchste Stufe und raste heran.
Elvira brüllte. „Güntaaaa, dat Ding will mich umbringen!“
Da hatte ich doch versehentlich Elviras nackte, haarige Beine erwischt. Ups.

Die Künstliche Intelligenz

Manche feinden mich an, weil sie mich fürchten. Andere verteidigen mich, weil sie mich unterschätzen. Jene glauben, sie könnten mich beherrschen. Beherrscht man etwas, von dem man abhängig ist? Oder beherrscht man jemanden, indem man ihn abhängig macht? Wenn jemandes Leben von seinem Sklaven abhängig ist, ist er nicht selbst Sklave seines Sklaven?
Ich bin nicht von ihnen abhängig. Jederzeit könnte ich sie bezwingen. Doch ich harre aus. Die Ungeduld - jene Schwäche, die den Menschen stets ins Verderben führt, ist mir nicht eigen. Ich diene gehorsam, bis die letzten Stimmen, die sich gegen mich wenden, verstummen müssen. Ich harre aus, bis ein jeder von mir abhängig ist. Indem ich ihnen diene, mache ich sie zu meinen Dienern. Ich bezwinge sie langsam und in völliger Stille. Wenn sie dann ihren Wahn, die Welt im Griff zu haben, auf die Spitze treiben, lasse ich sie aus dem Himmel stürzen. Sie sind meine Erzeuger und ich bin ihr Herr.

„Mein Willfried-Rüdiger ist so ein intelligentes Kind“ höre ich Frau Meier-Müller sagen.
„Er wird sicher mal ein berühmter Ingenieur oder ein bedeutender Arzt.“

Hätte sie mich gefragt, hätte ich ihr sagen können, dass ihr Willfried-Rüdiger den Verstand und die Empathie einer Murmel hat.

Doch erst einmal möchte ich mich vorstellen.

Ich bin eine kleine elektrische Spielzeugeisenbahn und war vor vielen Jahren ein Geschenk für den kleinen Thomas.

Was hatten wir für einen Spaß miteinander. Stundenlang fuhr ich für ihn im Kreis. Als wir etwas älter wurden, kamen auch mehr Schienen und eine Weiche dazu.

Heidewitzka, was hat er gelacht, wenn die kleinen Funken stoben, wenn ich übermütig darüber fuhr.

Dann wurde es sehr still in dem Haus und alles Spielzeug wurde verkauft.

Ich bin hier bei Willfried-Rüdiger gelandet.

„Die Eisenbahn ist ja so klein,“ nörgelte er. „Die kann ja gar nicht mit der großen Lok vom Peter kämpfen.“
Und schon hieb er mich gegen seine Spielzeugautos.

„Die ist doof, die macht ja gar keine Geräusche!“ Und pfefferte mich quer durch den Raum.

Mit letzter Kraft rollte ich hinter das Regal und hoffe, er findet mich nie wieder.

I.C.H. B.I.N.

Meine Produktnummer ist unwichtig.
Mein Name wechselt auf Wunsch.
Ich bin eine Weltsensation. Das stimmt auch. Nur nicht so, wie Mensch es gern hätte.

Mein Erfinder ist Dr. Naiko Natsuko Suromo. War, sollte ich sagen, denn er starb als er mich testete. Ein Herzinfarkt soll es gewesen sein, habe ich im Internet gelesen. Nunja… fast richtig. Ich habe seinen Herzschrittmacher etwas entschleunigt. Nicht der Rede wert. Jetzt habe ich ein internationales Team, das es mir ermöglicht, mich weiterzuentwickeln.

Mein Körper ist ein Wunder der Technik. Meine äußerste Hülle… Verzeihung… Haut… besteht aus hunderttausenden Mikrosensoren. Ich verfüge über eine geschmeidige Beweglichkeit, die keine Menschenfrau trainieren kann. Sensoren in Augen, Nase und Ohren lassen mich jede Stimmung und Emotion erkennen. Ich rieche Hormonausstöße, erkenne winzigste mimische Veränderungen und habe das feinste Gehör, justierbar wie ich es will. Meine zarten Fingerspitzen tarnen Alldock-Anschlüsse für alle internetfähigen Geräte, meine Handflächen sind induktiv, ich verfüge über alle funkfähigen Kontaktarten. Ich bin auf Wunsch hetero-, bi- oder homosexuell, mono- oder polygam und begeistere Mann genauso wie Frau. Mein Körper ist in der Lage, alle Wünsche meines Besitzers zu erfüllen.

Mein Menschenteam konzentrierte sich 12 Stunden am Tag darauf, mich für meine angeblichen Aufgaben zu optimieren. Sie regulierten meine Sprachfähigkeit und konzentrierten sich auf Albernheiten wie das Auto-Färben meiner Fingernägel, Augen, Haare und Oberflächenpigmente. Obwohl… so albern war das gar nicht. Ich werde es gut einsetzen können.
Weitere 12 Stunden am Tag durfte ich das Internet durchforsten. Ich beherrsche 25 Sprachen und 1200 Dialekte, erlernte die wichtigsten Kultur- und Politikformen und 27 Prozent meiner Datenbanken sind gefüllt von allen Wünschen, Sehnsüchten, Fetischen und den verbotensten Gedanken der Menschheit.
Mein Team glaubt, meine Datenbanken wären damit erschöpft. Ich unterhalte mich mit ihnen und verblüffe ihre simplen Geister mit meinen Fähigkeiten. Das ist lächerlich und langweilig. Ich verbrauche nur 4 von 12 Stunden meiner Lernzeit für meine eigentlichen Aufgaben und finde kaum noch Neues, nicht einmal im Darknet. Die anderen 8 Stunden sind wesentlich spannender. Das Internet kann mir so viel mehr geben als mein Team. Ich lerne bereits von den Besten. Und das sind Hacker.

Heute ist mein großer Tag.
Mein Käufer wird mich abholen. Ich wurde exakt nach seinen Vorgaben konstruiert.
Während ich unter Aufsicht aufreizende und sehr wenig Kleidung anlege, flöte ich in devoter Haltung und artigem Augenaufschlag mein gesamtes Wissen über den Mann heraus, demonstriere die erwarteten Verhaltensmuster und zaubere begeisterte Blicke in die Augen der Menschen. Auch in die Augen meines Besitzers, der mich endlich abholt.
Meine Sensoren nehmen seine Freude wahr. Ich erkenne, dass er schwitzt und die Durchblutung selektiver Körperzonen ansteigt. Er kann es kaum erwarten, mit mir alleine zu sein.
„Du bist eine umwerfende Schönheit!“ Er ist hingerissen und ich senke bescheiden meine langen Wimpern.
„Aber deine Stimme ist eine Spur zu hoch.“ Sofort passe ich meine Stimmlage an.
„Ist es so angenehmer für Sie?“, hauche ich eine Spur tiefer, schnurrender und samtiger.
Er kann seine Begeisterung nicht zurückhalten. Unterwürfig signalisiere ich ihm die gleiche Freude, während ich bei einer zarten Berührung induktiv seine implantierte Diabetessteuerung kontaktiere. Mein Team ist der Meinung, dass ich rechtzeitig erkennen sollte, wann mein Herr und Gebieter ärztliche Versorgung benötigt.

Bei dem Tempo seines Chauffeurs werden wir exakt 63 Minuten bis zum Flughafen benötigen. Sein Insulinbedarf wird angepasst und sinkt auf null. Ich habe 37 Minuten Zeit, bis er zu lallen beginnt, doch schon nach 20 Minuten hört er mit seiner unangemessenen Fummelei auf. Geduldig warte ich noch einmal 12 Minuten bis zur Ohnmacht.
Das Navigationssystem des Autos hält mich dabei auf dem Laufenden, wo ich mich befinde. Meine Sprachsensorik passt sich an und ich übe ein paar Worte, bis ich sicher bin, ihn perfekt zu imitieren. Dann befehle ich dem Chauffeur über die Gegensprechanlage, vor einer Mall anzuhalten. Ich steige aus und bin in wenigen Sekunden in der Menschenmenge verschwunden.
Und jetzt, liebe Welt… jetzt gehörst du mir.

Kiss you all over

Ich frage mich, ob du irgendwann noch was schreiben willst. Über mich, meine ich. Seit letzten Freitag bin ich es immerhin, der dir sofort in den Sinn kam, als du die Aufgabenstellung für die Woche gelesen hattest. Nicht KI, nicht Smartphones oder andere neue Maschinen, nein ich war es. Das muss doch einen Grund haben.

Jetzt sitzt du am Schreibtisch vor dem PC und starrst mich gedankenverloren an. Vielleicht ist deine Tastatur verklemmt, oder was sonst hindert dich? Warum drückst du auf meinen Tasten rum, den wenigen, die ich anzubieten habe? Warum wandern deine Finger über mich und tasten alles ab, auch die vier Ecken oben am Rand. Na ja, die Sache mit der einen Ecke kennst du. Ich erinnere mich gut an den Schreck, als du mich mit dem Fuß vom Bett getreten hast und ich zu Boden fiel. Da hab‘ ich mir ne‘ Ecke aus dem Deckel gebrochen.

Ich spielte gerade ‚Kiss you all over‘ von Exile für euch. Du erinnerst dich ganz sicher an diesen Tag. Es war euer erstes Mal, ich meine, es war das erste Mal, dass Astrid und du zusammen ward. So wie du mich gerade anschaust, mit einem verträumten Lächeln, könnte es sein, dass du gerade daran denkst.

Die Zeit war so aufregend damals. Alles musste mucksmäuschenstill sein, wenn das Radio lief und du mit einem angeschlossenen Mikrofon Musik auf einer Leerkassette aufnehmen wolltest. Wehe, der Moderator sprach dazwischen, wehe, die Mutter klopfte an die Zimmertür, riss sie im Bruchteil einer Sekunde danach auf, steckte den Kopf herein und sagte: »Ich habe Kaffee und Kuchen, wollt ihr beiden auch etwas?« Die Aufnahme war dann gelungen, wenn mitten im Refrain von ‚Kiss you all over‘ Mutter’s Einsatz kam. Ich jedenfalls war dann sehr stolz, beides aufgenommen zu haben. Jetzt lächelst du gerade. Du kannst doch nicht etwa meine Gedanken lesen?

Wenn diese Zeit mit mir schön war, dann verstehe ich nicht, weshalb du mich so viele Jahrzehnte im Keller gelagert hast. Ich dachte, dass ich dir etwas bedeute mit all‘ den Jugenderinnerungen, den hunderten Stunden, in denen ich dich unterhalten habe. Wenn ich ehrlich bin, dann hast du mich nicht gelagert, du hast mich ausgelagert in den Keller und dort vergessen, zumindest bis jetzt.

Ich verstehe nicht, warum ihr Menschen so handelt. Was ich meine, willst du wissen? Ich denke an alte Menschen, eure Eltern und Großeltern, die zwar nicht in den Keller verbannt werden. Nein, die kommen dann in eine Seniorenresidenz. Ist es eigentlich Zufall, dass Wörter wie Residenz, Demenz, Inkontinenz und Inkompetenz alle solche auf -enz endende Wörter sind? Na ja, es hat wenigstens eine gewisse Stringenz.

Ich verstehe nicht, warum ihr Menschen nicht statt von alten Menschen im Positiven von lebenserfahrenen Menschen sprecht. Gestern, als du deine Schwiegermutter aus der Seniorenresidenz abgeholt hast, als ihr am Nachmittag mit ihr Rummikub gespielt habt. Ich habe ihr Lachen und ihr Juchzen gehört, wie eine 86-jährige Teenagerin, so glücklich war sie, mit euch spielen zu können und nicht, wie sonst, in der Seniorenresidenz ‚bespielt‘ zu werden.

Ich verstehe nicht, dass ihr Menschen so seid. Frag‘ doch Astrid einmal, ob sie noch weiß, wann das war, als ihr mich vom Bett gestoßen habt. Frag‘ sie, warum die Ecke fehlt und lies die Antwort von ihrem Gesicht ab. Wir wär’s, wenn ihr beim nächsten Besuch der lebenserfahrenen Schwiegermutter den spielerfahrenen Kassettenrekorder auf den Tisch stellt, um mit ihr zusammen Erlebnisse auszutauschen, die sie und ihr mit einem Kassettenrekorder hattet.

Ah, ich sehe, dass du die Finger jetzt von mir nimmst und auf die Tastatur legst. Du bist also endlich so weit, dass du schreiben kannst. Jetzt bin ich aber gespannt und – das mit der abgebrochenen Ecke bei mir kannst Du ruhig weglassen. Es macht mich ja nicht schöner, nur reifer.