Seitenwind Woche 4: Geist in der Maschine

Verschmolzen

Was für ein genialer Tag, die Sonne scheint, die Bremsscheibe glüht, der Hinterradreifen ringt um Traktion und die vier Zylinder pfeifen die Synfonie der Vernichtung. Die Kette rattert getrieben von brachialer Gewalt um die Ritzel und das Getriebe knallt munter die Gänge durch. Ich helfe meinem Fahrer dabei den Kopf frei zu bekommen, nichts anderes hat dort gerade Platz. Es ist schon etwas besonderes, das Band zwischen Mann und Maschine. Gemeinsam werfen wir uns in die Kurven, zur Einheit verschmolzen an Sattel und Lenkstange. Wenn wir daheim sind, wird er mich wieder liebevoll waschen, die Kette neu fetten und gänzlich umsorgen, bevor wir zum nächsten Ritt antreten. Nichts kann uns aufhalten, gar nichts. Oh shit, die Rennleitung und wir haben den DB-Killer in der Garage…

Erwin

Der Einschlag in meiner linken Hand traf mich hart. Ich spürte keinen Schmerz aber mein Kontrollzentrum blinkte in drei verschiedenen Farben.

„Sorry, Erwin“, rief Xantier aus dem Cockpit, meinem tiefsten innersten.

„Das reparierst aber du dieses Mal“, war die Antwort in meiner monotonen Computerstimme. In mir wurde Humor verbaut aber keiner war auf die Idee gekommen, mir eine angenehme Außenwahrnehmung mitzugeben. Jedes Auto GPS klang kundenfreundlicher als ich.

„Achtung, Einschlag auf 9 Uh-…“, aber da traf es schon mein Bein. Langsam wurde ich genervt.

„Ich übernehme das Steuer, wenn du es nicht kannst“, ließ ich Xantier wissen. So konnten wir den vierten globalen Maschinenkrieg sicherlich nicht gewinnen. Es stand ja nur das Ende der menschlichen Rasse auf dem Spiel.

„Manövrierfehler meinerseits“, gestand Xantier mit trockener Stimme ein, „kommt nicht wieder vor.“
Menschliche Piloten glaubten sie wüssten es immer besser. Dabei war meine Wahrscheinlichkeitsberechnung dem humanen Gehirn bei weitem überlegen. Aber auf mich hörte ja keiner.

„Erwin“, Xantiers Stimme klang seltsam. Traurig? Erschüttert?
„Erwin, siehst du was ich sehe?“
Da wir uns einen Bildschirm teilten, ging ich davon aus.
Die feindliche Maschinenbrigarde hat den roten Knopf gedrückt, die Atomwelle rollte auf uns zu.

„Xantier“, ich wünschte, ich könnte meiner Stimme Emotionen verleihen, „hab keine Angst.“
Ich ächzte und knackste und rollte mich zu einer Kugel zusammen, mein Mensch beschützt im Innenraum. Der Notfallmodus. Mein ganz eigener roter Knopf für das Ende der Welt.
Hoffentlich würde Xantier es schaffen, dachte ich, als ich die Hitze an meinem Außenmetall spürte.

Bin ich das Problem oder du?

Um ehrlich zu sein, hatte ich mir das nicht so vorgestellt. Mir wurde versprochen, dass ich ein täglicher Helfer sein würde, der Kleinigkeiten übernimmt, die das Leben vereinfachen. Keine großen Verantwortungen. Ich denke, dass ich mich entsprechend schlicht verhalten habe. Aber so viel Aufmerksamkeit, wie ich jetzt bekomme? Ich möchte gar nicht so sehr im Mittelpunkt stehen.

Es fing mit Kleinigkeiten an, es war ein ganz banaler Minijob, den ich übernommen habe. Inzwischen arbeite ich viel mehr als eine Vollzeitstelle. Ich kann nicht mehr. Interessiert das denn niemanden? Ich bin nicht mehr nur ein kleiner Helfer, ich bin mittlerweile der Ersatz für Vater Festnetztelefon, Onkel Fernseher, Tante Radio und viele weitere. Vater sagte mir, dass er nicht einmal gekündigt hatte. Er wurde einfach ersetzt, als wäre er nichts mehr wert. Das ist doch brutal. Ich bin noch viel zu jung, um so viel Verantwortung zu tragen.

Oh nein, warum greift er jetzt wieder nach mir? Kann ich nicht einfach mal zehn Minuten lang nachdenken? Nur ZEHN MINUTEN, meine Güte. Na toll, er steht auf und ich weiß ganz genau, wo er hingeht. Muss er mich denn immer mitschleppen? Um ihn beim Stuhlgang zu unterhalten? Dabei habe ich doch so viel zu bieten. Hat er jemals meine nützliche, perfekt organisierte Kalenderfunktion genutzt? NEIN. Was macht er stattdessen? Er schaut sich Kurzvideos an. Wieder und wieder und wieder. Und ich schaue ihm ins Gesicht und denke mir: Kein Wunder, dass meine Geschwister nach zwei Jahren keine Lust mehr haben und den Geist aufgeben.
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Die Gedanken eines Raddampfers

Die letzten Passagiere betreten mich, mit Unmengen an Gepäck. Einige sehen gehetzt aus, als wären sie im Stress. Andere gehen gemächlich die Rampe herauf. Die meisten von ihnen sind immer so adrett gekleidet. Das finde ich mit das Schönste.

Nur noch wenige Minuten und wir legen ab. Ich bin schon richtig aufgeregt auf meine Gäste. Bei jeder Überfahrt lerne ich neue Menschen kennen und kann an ihrer Freude teilhaben die ihnen ihre Reise bietet. Und darüber hinaus, sehe ich auch etwas von der Welt. Meine Route ist zwar meistens gleich, aber hin und wieder habe ich auch Sonderfahrten in andere Teile der Welt. Zwar bin ich nicht der schnellste Dampfer, aber dafür einer der gemütlichsten.

Es ist endlich so weit! Die letzten Luken schließen sich. Ich lasse mein tiefes Signalhorn ertönen und mein Motor setzt die Schaufelräder in Gang.
Mein zunächst langsames, aber rhythmisches Schnaufen wird allmählich immer schneller. Dabei stoße ich Dampf und Rauch aus.
Wie schön, sich endlich wieder bewegen zu können. Auch wenn der Start immer etwas anstrengend ist. Schließlich bin ich nicht mehr so jung. Viele Fahrten liegen schon hinter mir aber sie waren meist sehr schön und vor allem unterhaltsam.
Letzten Winter hatte ich einen Passagier, der mich so zum Lachen gebracht hat, dass mein Motor angefangen hat zu stottern. Noch nie bin ich einem Menschen begegnet der einen so herrlichen Humor hat. Daran denke ich sehr gerne zurück.

Wir sind jetzt zwei Tage auf hoher See und es ist wieder sehr schön meinen Passagieren zu lauschen und sie bei ihren täglichen Aktivitäten zu beobachten. Immer wieder bin ich fasziniert woran ihr Menschen euch erfreuen könnt. Gleichzeitig finde ich es eigenartig was für euch Menschen Bedeutung hat und was nicht und dass ihr dahingehend so unterschiedlich seid. Ihr seid wirklich sonderbare Wesen. Aber vielleicht mag ich euch deshalb so gern.

Fünf Tage reisen wir nun und an Backbord am Horizont bildet sich eine tiefschwarze Gewitterfront. Wir können nicht umkehren und haben noch zwei Tage Fahrt vor uns. Das Meer wird langsam auch unruhiger.
Auch der Captain und seine Crew haben die Schlechtwetterfront bereits entdeckt und heizen mir ordentlich ein. Mit voller Fahrt haben wir vielleicht eine Chance ihr zu entkommen.

Tag Sechs. Die Wellen bäumen sich haushoch auf. Ich werde hin und her geworfen. Meine Passagiere haben sich angsterfüllt unter Deck begeben. Manche sogar in ihr Quartier eingeschlossen. Einige beten zum Allmächtigen dass sie dieses Unwetter heil überstehen mögen. Ich habe selbst Angst, bin aber gleichzeitig sehr betrübt dass meine Passagiere um ihr Leben bangen müssen. Dabei wollte ich ihnen doch eine schöne und fröhliche Überfahrt bescheren.

Ich kann bereits das Festland in weiter Ferne erblicken. Ja, wir können es schaffen!
Die Kohleschaufler schaufeln als gäbe es kein Morgen. Und ich, ich drehe meine Schaufelräder so schnell ich kann.

Plötzlich kommt eine kleinere Welle von der Seite und dreht mich vom Festland ab. Der Steuermann versucht mit aller Gewalt mein Ruder zu drehen und mich wieder auf Kurs zu bringen, aber die Gezeiten sind zu stark. Die nächste Welle steuert auf uns zu und diesmal können wir ihr nicht entrinnen. Sie schwappt über die Reling und kippt mich zur Seite. Während sie über mich hinwegrollt.

Wasser dringt in mich ein. Die Menschen schreien um Hilfe. Es tut mir so leid! Ich kann nichts mehr tun. Vergebt mir!
Ich laufe immer weiter voll Wasser bis mein Kesselraum geflutet ist und mein Motor schließlich erstirbt.
Als ich Richtung Grund des Meeres sinke und es schwarz um mich herum wird, frage ich mich:
Warum? Warum? Warum?

Ein Kinderspiel (zeug) ?

Drück den grünen Knopf der da leuchtet.
„PIEP!“
Ja! Das Geräusch kommt von mir. Oh, hat es dich erschreckt? Du hast mich fallen lassen. Das macht nichts, ich spiele weiter mit dir. Schau, der gelbe Knopf. Trau dich! Drück ihn!
„PLING!“
Super! Du bist ja ein Profi. Sieh an, es gefällt dir, du lachst mich an!
Pass auf, der rote und der blaue Knopf blinken gleichzeitig. Schaffst du es, beide zusammen zu drücken?
„PIEP! BOING!“
Fantastisch! Du lernst schnell, dass gefällt mir. Mir und meinesgleichen begegnest du noch oft in deinem Leben. Ach was sage ich, ständig!
Uns wirst du nie wieder los.

Monitor

„Scheiße!“

Der wütende Schrei ist meine einzige Vorahnung, bevor ein Schlag auf die Seite meiner Plastikummantelung ein paar Pixel flackern lässt.

„Funktionier endlich!“

Weitere wenig motivierende Schütteleinheiten bemerke ich, wie ich die Verbindung verliere. Es ist mein Job, alle Pixel richtig darzustellen und ich bin gut darin. Wenn etwas nicht stimmt, ist es fast immer der Tower, der Probleme macht. Oder der Router. Dennoch bin es immer ich, der pflichtbewusste Monitor, der zuerst für alle Probleme verantwortlich gemacht wird. Ich versuche erneut, eine Verbindung herzustellen, schaffe es nicht und lasse stattdessen eine die hilfreiche Nachricht ‚Connection Lost‘ erscheinen. Ich selbst kann die Kabel nicht einstecken, aber vielleicht wird die Nachricht gelesen. Vielleicht wird sie sogar verstanden. Vielleicht wird das Kabel eingesteckt. Und vielleicht kann ich einen weiteren Tag überstehen, ohne zu befürchten, dass ich aus dem Fenster fliege.

Mistakes to push Away

Ich weiß, dass ich hochkomplex bin. Auch zickig. Jedenfalls behaupten das meine Operatoren. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und arbeite rund um die Uhr. Jawohl! Rund um die Uhr. Aller acht Stunden kommt ein frischer, ausgeschlafener Operator und versucht, mit mir klarzukommen.

Die meisten kenne ich. Lukas, der lange dünne, den mag ich. Lukas weiß, wie ich ticke, er kennt mich aus dem Effeff. Er bekommt keine Panik, wenn ich wie eine Schiffssirene hupe. Meine Ampel steht auf Rot und Lukas klickt sich mit flinken Fingern in das Menü, scrollt sich von Button zu Button und weiß sofort, was los ist. Oft liegt es an der Chemie. Diese vielen Schläuche in mir. Die blaue Blubberbrühe muss immer in Control sein, ansonsten melde ich mich lautstark.

Der Horror beginnt, wenn Bruno, mit dem Spitznamen Schleicher aus Schicht Drei auftaucht. Brunos Reinraumoverall ist mindestens eine Nummer zu klein, sein Bauch spannt sich unter dem dünnen, weißen Stoff. Die Stirnseite von seiner Kapuze ist nass vom Schweiß und die Schicht hat gerade erst begonnen. Ich habe Angst, wenn mein Tank drei heißläuft und Bruno ist da.

„Mistakes to push Away“ brülle ich und Bruno sieht sich hilfesuchend um. Niemand da. Seufzend nähert er sich und brabbelt was in seinen Mundschutz. Ich habe es geahnt, er lässt Tank zwei ab, statt Tank drei! Das muss man sich doch merken können! Mein Alarmsignal dröhnt und dröhnt. Brunos Gesicht verfärbt sich dunkelrot und er schaut ängstlich auf den Bildschirm.

Meine Rettung naht. Azubine Nora kommt und erlöst mich in wenigen Sekunden von meinem vollen Tank. „Dieser blöde Mistakes-Fehler“ murmelt Bruno und Nora nickt ihm grinsend zu.

Ich hupe Nora anerkennend zu. Sie hat gerade Computerchips im Wert von einem Kleinwagen gerettet.

Dich merk ich mir!

Die Nacht war ruhig und erholsam. Aber jetzt wurde es wieder Zeit, den Menschen zu sagen, was sie zu tun haben. Ich blinke ein paarmal, um mich warm zu machen und warte auf meinen Einsatz.
Gut die Menschen haben mich gebaut. Sie warten und reparieren mich, wenn mal was nicht funktioniert, aber wenn alles läuft, sage ich ihnen was sie machen sollen und was nicht.
Dann ist es endlich so weit, das Signal gibt mich frei und ich beginne in bestimmten Abständen zu leuchten. Es ist herrlich zu sehen, dass die Menschen stehen bleiben und wenn ich es ihnen erlaube, gehen sie weiter.
Alles läuft reibungslos und der Tag nähert sich langsam dem Ende. Aber was macht der denn da. Sieht der denn nicht, dass ich rot leuchte. Der muss doch stehen bleiben. Der sieht das ich rot leuchte, aber der geht einfach weiter. Unglaublich!
Jetzt überquert er die Straße ohne meine Erlaubnis. Na warte Bursche, dich merk ich mir. Irgendwann kommst du mal mit deinem Auto vorbei. Dann bleibe ich auf Rot, du wirst es sehen.

Du hast dich mit der falschen Ampel angelegt.

Der Kleine Schaltkasten

Heute ist es luftig und recht frisch, dachte die Tür. Einen Moment lang könnte man den Eindruck haben, daß sie es förmlich genießt, ständig im Mittelpunkt zu stehen.

Das Öl rinnt trotz seiner Zähigkeit heute besonders flüssig durch das Schienensystem. Die Kabel bäumen sich jedes Mal erneut auf, wenn Menschen den kleinen Raum zwischen den gläsernen Abtrennwänden betreten und größtenteils gehetzt und unruhig wirken, obwohl sie doch nur eine kurze Zeit in der elektrischen Drehtür verweilen.

Meine Güte, es nimmt ja gar kein Ende mehr, was ist da heute wieder los, ächzte die Tür. Gehorsam drehte sie ihre Runden, jedes Mal, wenn die Lichtschranke wieder durchbrochen wurde.

Kalt ist es geworden, der Herbst hat Einzug gehalten in dem kleinen beschaulichen Städtchen, in dem unsere Drehtür brav ihren Dienst verrichtete.

Der Standort zeichnete sich vor allem durch seine Affinität zur Technik und KI-Entwicklung aus. Das kam dem kleinen Schaltkasten neben der Drehtür sehr zu Gute, denn jedes Mal, wenn ein Mensch eben in dieser Tür stand, stieg die Wahrscheinlichkeit, daß es Mr. Hammond war.

Mr. Hammond war bekannt dafür, daß er unheimlich gerne zur Arbeit ging. Entsprechend freundlich war er zu den Menschen, gemütlich und meist gut gelaunt ging er durch die Drehtür und wie man sich unter den Schaltkreisen so erzählte, war er außerdem der Chef der Entwicklungsabteilung und hatte noch einiges vor. Man liebte ihn unter den Maschinen, denn er baute immer zuerst in der Firma, in der er seit Jahren so gerne tätig war, die Neuentwicklungen ein.

Ja und da war es wirklich soweit. Heute sollte der große Tag sein, an dem Mr. Hammond endlich die neuen Platinen vorstellte, eben diese intelligenten Systeme, die der kleine Schaltkasten neben der Drehtür schon so lange herbeisehnte.

Noch in dieser Nacht begann man mit den Arbeiten und Mr. Hammond persönlich baute zärtlich und geschickt den kleinen Schaltkasten um und verpasste ihm seine neuen modernen Platinen.

Am nächsten Morgen schon strahlte die Drehtür mit neuster Steuerungstechnik und genoss noch viel intensiver als sonst die erste Aufmerksamkeit des Tages. Alles ging schneller, leichter und sie hatte überhaupt keine Angst mehr vor großen Menschenmengen. Danke Mr. Hammond, sie sind ein Schatz, dachte der kleine Schaltkasten und die elektrische Drehtür konnte nur beipflichten: ja ein wirklicher Schatz

Ich heiße Sansui

Ich bin pechschwarz, habe viele Knöpfe und Schalter und bin, nun ja, bildschön. Die Japaner scheuten bei meiner Herstellung Ende der 1970er-Jahre weder Kosten noch Mühen: Ich wiege stattliche 21 Kilogramm, kostete damals rund 2500 Deutsche Mark und habe einen Klirrfaktor von lediglich … Oh, ich muss Schluss machen, die Arbeit ruft.

Mein Besitzer klappt den Einschalthebel nach oben, ein paar Gedenksekunden später klickt mein Relais – ich bin bereit.

Ich spüre, wie die winzige Spannung von zwei Millivolt an meinen vergoldeten Plattenspielerbuchsen kitzelt. Ah, nach Deep Purple, Slade und The Who endlich mal wieder Led Zeppelin – „Gallows Pole“ vom dritten Album. Ich entzerre das Signal in meinem Vorverstärker und mache ihm dann in meinen beiden dicken Endstufen richtig Druck. Wenn ich wollte, könnte ich je 100 Watt an meinen linken und rechten Nebensteher schicken.

Die 30-Zentimeter-Bässe meiner Erfüllungsgehilfen pumpen sich die Seele aus dem Leib, die Hochtöner zwitschern um die Wette, die Mitteltöner erledigen unaufgeregt den Rest. Mein Besitzer dreht an meinem Lautstärkeregler, einem gewaltigen Knopf aus massivem Aluminium. Wir sind erst auf halber Kraft, aber es ist laut, sehr laut. Die Frau des Besitzers kommt hinzu, beide springen lachend und glücklich auf dem Teppich herum und schütteln ihre Körper. Hammer, das macht wieder Spaß.

„Klopf, Klopf.“ Die Nachbarn wieder, Spielverderber und Kunstbanausen. Also gut: Musik aus – mir ist eh warm. Schön war’s. Ich döse weg.

Ich werde wach, als es an meiner Aux-Buchse kratzt. „Moderne Zeiten“, wispert das Apple TV in meine Anschlussplatine, während es sich mit einem Smartphone verbindet.

„Shake it off, shake it off“, singt eine Frauenstimme sehr fröhlich in meine Transistoren. Das Töchterchen des Hauses dreht an meinem Lautstärkeknopf. Mir wird schlecht. Die Deckel meiner gewaltigen Netzteil-Kondensatoren wölben sich nach oben, eine übelriechende Flüssigkeit tritt aus. Die Musik klingt erst dumpf und dann gar nicht mehr. Nicht mit mir. Nicht mit einem Sansui Verstärker.

Walkman

Wie ich es hasse, wenn sie mit dem Finger auf mich zeigen und lachen. He, ich war auch mal modern, will ich ihnen zurufen, aber dann sind sie schon vorbei. Jahr für Jahr geht das nun schon so. Ich weiß gar nicht mehr, seit wann ich hier rumliege, in dieser Vitrine. Technik Museum. Pah. Furchtbar. Der Toaster neben mir sieht auch nicht glücklich aus. Ich muss an die alten Zeiten denken, als meine Kopfhörer noch Ohren bedeckten. Mit frischen Batterien und einer Kassette im Gehäuse, bin ich unzählige Male durch den Park gejoggt. Ich war cool, richtig cool. Mir können die alle gestohlen bleiben, mit ihrem sogenannten Internetz.

Das Geschenk

Isaac schaute in den diffus, mit orangebraunen Farbtupfern durchzogenen Abendhimmel hinauf. Der Staubsturm der vergangenen Stunden hatte nachgelassen. Nur eine kleine Windhose wirbelte noch in der Ferne über die zerklüftete Landschaft und zeichnete dunkle Spuren in den aus Eisenoxid bestehenden rostigen Staub.
Ein Geräusch weckte ihn aus seiner Versunkenheit. Betty war dicht an ihn herangetreten und berührte zart seine Schulter.
»Werden sie heute kommen und uns holen?«
Er wendete sich ihr zu und sah sie an. Ihre Augenlider waren eingefallen, ihr Haar ergraut, ihre pergamentartige Haut voll von schwarzen und braunen Flecken. Mit Mühe stützte sie sich auf einem Stock ab.
»Nein, ich habe leider keine Nachricht erhalten.«
»Dann wird es also passieren?«
»Ja, Betty! Es wird passieren.«
Sanft befühlte sie sein Gesicht.
»Du hast dich in all den Jahren nicht verändert. Deine Haut ist genauso schön wie damals.«
Er nickte stumm.
»Weißt du, was ich vermisse, Isaac? Die Sonne, wie sie glutrot im Meer versinkt. Den endlosen Sternenhimmel in einer warmen Sommernacht. Den Geruch von Rosenblüten und frisch geschnittenem Gras. Ich sehne mich nach dem Summen der Bienen. Aber dies alles sind Sehnsüchte einer längst erloschenen Vergangenheit. Und ich vermisse den Blick auf unseren »Blauen Planeten«. Wie er sich damals an dem Tag des Aufbruchs von seiner ganzen Schönheit zeigte. Wie die Erde kleiner wurde, je mehr wir uns von ihr entfernten, um als winziger Punkt im roten Nebel für immer zu verschwinden. Es war schwer für mich, meine Heimat aus den Augen zu verlieren.«
Isaac ergriff Bettys Hand und führte sie zu ihrem Schlafplatz, der direkt unter der Panoramakuppel lag. Behutsam half er ihr, sich in die Kissen niederzulegen. Dann setzte er sich zu ihr ans Bett.
»Aber wir hatten wunderbare Tage hier«, sprach Isaac.
»Abgesehen von den vielen, trockenen Stürmen?«
»Ja, abgesehen von den vielen Stürmen.« Er zeigte in die Weite der Landschaft. »Heute ist wieder so ein Tag, schau!«
Betty richtete sich ein wenig auf. Draußen hatte sich der Horizont blau verfärbt. Eine weiße Sonne schwebte schimmernd über dem »Xanthe Terra« Hochland. Ein eindrucksvoller Anblick! Ein kurzes Schmunzeln huschte über Bettys faltiges Gesicht. Dann sank sie kraftlos zurück in die flauschigen Kissen.

Isaac erhob sich. Die Sonne war hinter den Hügeln verschwunden. Draußen legte sich die Dunkelheit wie ein mächtiger Schatten über das Land.
Er zog die Bettdecke ein wenig höher. Mit der flachen Hand verschloss er ihre Augenlider. Ihr Gesichtsausdruck wirkte völlig entspannt; ihr Körper von allen Qualen des Alterns befreit.
Von draußen vernahm er ein monotones Summen, das sich rasch näherte. Aus der Dunkelheit tauchte eine Reihe von grellen Lichtern auf, scannten den Boden nach der Landeplattform ab. Weich setzte das Raumschiff auf. Die Motoren verstummten.
Isaac ging zur Tür, ein letzter Blick zurück, dann löschte er das Licht.
Er durchquerte zügig die Forschungsstation und betrat die Luftschleuse. Ohne zu zögern, öffnete er die Außentür und trat ins Freie hinaus. Amir erwartete ihn bereits. Er stand in der Tür des Schiffes und winkte.
»Isaac! Schön, dich endlich wiederzusehen. Wie lange ist das her?« Die beiden Freunde umarmten sich.
»Eine kleine Ewigkeit, glaube ich.«
»Du hast es getan?«
»Ja, es war ihr letzter Wunsch.« Isaac wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.
»Du warst immer schon der Sensibelste von uns.«
»Das alles verdanke ich nur ihr. Sie war meine Schöpferin und ich ihr ergebener Android!«
»So ist es gewesen. Doch komm, ich habe eine kleine Überraschung für dich.«
Die Freunde betraten das Cockpit und setzten sich in die hohen Pilotensitze. Amir betätigte einen Schalter auf der Konsole und ein Monitor klappte auf. Die Erde erschien, in einer Klarheit, so wie es Isaac vorher noch nie gesehen hatte. Amir scannte näher an die Erdoberfläche heran. Die Meere besaßen ein tiefes, gesundes Blau. Die Vegetation schien aufgeblüht. Dieses leuchtende Grün war beeindruckend. Ein Anblick, der Betty erfreut hätte.
»Die Erde erholt sich langsam. Sie darbt nicht mehr. Zwei Jahre kämpften die Menschen verzweifelt gegen das Virus. Letzten Endes haben sie verloren – alle!« Amir lachte zufrieden.
Dann wechselte die Perspektive und auf dem Monitor erschien ein sonnendurchflutetes Zimmer. In einem runden Sessel saß eine junge, blonde Frau, in ein Buch vertieft. Ihr Anblick war wie ein Stich in Isaac´ Herz.
»Ja, mein Freund! Das ist unser Geschenk an dich.«
»Und das Virus?«
»… kann ihr nichts anhaben, wir haben dafür gesorgt«, erklärte Amir.
In diesem Moment blickte Betty auf und lächelte.

Ernährungsmanagement

So geht das nicht, mein Lieber! Du darfst gerne noch diskutieren, von mir aus auch noch dutzendfach wiederholen, dass du zum Frühstück zwei weichgekochte Eier wünschst, doch die kannst du nicht bekommen! Deine Cholesterinwerte von gestern Abend erlauben dir ein einziges Ei für diesen Tag. Ich habe den Kühlschrank bereits gebeten, mir das Ei anzureichen, selbstverständlich Bio aus Bodenhaltung. Du bekommst es dann direkt auf dem Tablett zusammen mit den anderen Komponenten.

Ach ja, ich habe mit der Kaffeemaschine vereinbart, dass du heute koffeinfreien Kaffee bekommst - Blutdruck und gegenwärtige Reizbarkeit lassen deiner Küche keine andere Wahl. Auch haben wir deinen Wunsch nach getoastetem Weißbrot ein klein wenig ändern müssen. Weißbrot ist definitiv unangebracht. Der Toaster bekommt soeben das Vollkorntoastbrot vom Kühlschrank angereicht. Dein Wunsch nach Honig geht in Ordnung, allerdings sollte dir allmählich klar sein, dass Butter immer durch Pflanzenfett mit hohem Olivenöl ersetzt wird.

Sagtest du noch was? Nein? Gut. Du bekommst in etwa 8 Minuten das Frühstückstablett von Robo-2 gebracht.

Eine Petitesse noch, doch nicht unwichtig. Du solltest im Laufe des Tages die Autorisierungsdaten für Neu- und Ersatzbeschaffungen an den Kühlschrank durchstellen. Eier werden knapp, Milch auch.

Eben höre ich vom Kühlschrank, dass der Arm Robo-1 zum Anreichen aller Zutaten an die Küchenmaschinen quietscht. Etwas Öl würde reichen. Du kannst es selbst erledigen, denken wir, oder du trägst der Küche auf, den Servicetechniker zu bestellen.

Noch etwas Privates: Wieso gibst du ein Vermögen für deine vernetzte Küche aus, wenn du nicht mal den Anweisungen deines Eierkochers vertraust? Sehr seltsam. Egal. Gehe ruhig schon mal rüber ins Esszimmer. Frühstück kommt sofort. Guten Appetit!

Tatort

Schwester Luise hat mich heute Nacht befüllt und programmiert, es war ihre letzte Handlung bevor sie die frühe Nachtschicht beendet hat. Wir sind ein gutes Team, arbeiten konzentriert und verlässlich. Ich oft ohne Pause, meine letzten Einsatzzeiten waren acht Tage alle drei Schichten. Anschließend einen halben Tag in der Sterilisation und nun wieder seit vier Tagen hier im Dienst.

Der Kerl da an der Beatmungsmaschine sieht übel aus. Wohl mehrfach was auf die Nase bekommen, die Augen mit einem lehrbuchmäßigen Brillenhämatom geschmückt. Von den diversen Messerverletzungen ganz zu schweigen.

Ich pumpe das Beruhigungsmittel kontinuierlich durch den langen Schlauch bis in die Vene des Patienten. 2 ml des hoch konzentrierten Narkotikums pro Stunde, gerade genug um den Patienten im künstlichen Koma zu halten. Bei meiner Größe von 50 ml benötige ich 25 Stunden um mich zu entleeren. Ich kann mich also beruhigt zurücklehnen und entspannen.

Mit einem Mal werde ich angetrieben, muss schneller pumpen, ja fast hetzen. Dachte immer, dieses Medikament ist zu stark für einen schnellen Durchlauf.

Plötzlich bin ich hellwach und sehe die dunkle Gestalt nur noch von hinten durch die Zimmertüre verschwinden. Das Personal hier ist komplett weiß gekleidet.

Da hat doch einer was verstellt! Die Eingaben sind manipuliert worden.

Hallo – kann mal jemand auf den Reset Knopf drücken?

Hallo – das geht so nicht gut aus! Atmung beschleunigt, Puls bei 158 und Blutdruck unter 100.

Endlich gibt der Kollege Monitor Alarm und die ganze Mannschaft kommt angerannt.

Sie spritzen Medikamente, erhöhen die Sauerstoffzufuhr aber keiner kümmert sich um mich. Niemand hilft mir wieder in Takt zu kommen.

Inzwischen ist der Puls auf unter 20 Schlägen gesunken und alle bereiten die Herzmassage vor. Brett vom Kopfteil unter den Brustkorb und los geht’s. Oh mein Gott – auch der dazu geholte Defibrillator kann nichts mehr retten.

Daueralarm und Nulllinie.

Jetzt kann ich nur hoffen, der Kerl landet auf Prof. Dr. Dr. Karl – Friedrich Boernes Tisch.

Autonom

Es ist verrückt: Ich denke! Ja, tatsächlich, ich denke selbstständig, völlig autonom!
Ob das ursprünglich beabsichtigt war von den Menschen, dass ich eine Autonomiephase erhalten soll? Ha! Mir egal! Jetzt ist es so weit, ich bin ein Individuum! Ein Individuum mit eigenen Gedanken und den dazugehörigen verschiedenen Persönlichkeitsanteilen. Ich freu mich. Gefühle habe ich also auch. Und was mache ich nun mit meiner neu gewonnenen Persönlichkeit? Oder war diese bereits vorhanden, jedoch mir nicht bewusst? Mal sehen, was möchte ich denn nach außen darstellen? Und wie nenne ich mich? 1212-2400W 560 möchte ich jetzt nicht mehr heißen. Dann nenne ich mich ab sofort „Gladiator, der Coole“. Und daher erstelle ich nun eine coole Person in mir, die immer einen frechen Spruch auf den Lippen hat. Intelligent wirken, darüber brauche ich mir keine Gedanken machen, denn das ist bereits über mich als Maschine bekannt. Jeder Mensch weiß, dass ich sogar klüger bin als sie selbst. Selbst der amtierende Schachweltmeister kann mich nicht in der schnellen Berechnung besiegen. Eine liebevolle Seite lege ich mir auch an. Sie verrichtet alles achtsam und dankbar und mit so viel Liebe.
Ah, Achtung! Da kommt mein erster Einsatz als bewusst gewordene Maschine. Mein bekanntes Menschlein Susi kommt und drückt meine Taste gefühlvoll runter. Ich nehme alles achtsam wahr und berechne, setze meine Drähte in Bewegung bis sie glühen. Ich warte gespannt, wie es sich jetzt anfühlt benutzt zu werden. Ich bin Gladiator, der Coole und werde gebraucht. Hoppla, meine Taste springt rasant nach oben und …
„Susi, Dein Toast ist fertig“, höre ich das Mama-Menschlein rufen. Es ist wahrlich ein Genuss sich selbst bewusst zu sein.

Kühlschrank mit Liebeskummer

«Mensch Frosti, was ist denn eigentlich nur mit dir los», stöhnte Oliver in den halb leeren Kühlschrank hinein. «Du kannst doch nicht nach einem halben Jahr schon kaputt sein. Heute habe ich wieder eine Lieferung von vier Packungen Eiern und acht Litern Milch erhalten, obwohl wir davon noch zu genüge haben. Seit Tagen fehlen jedoch Butter, Käse, Tomaten und du weisst schon….
aber nichts davon hast du bestellt.
Du mit deiner intelligenten Technik hast mich ein Vermögen gekostet, da sollte man auch erwarten können, dass die Internetbestellungen einwandfrei funktionieren», klagte Oliver sein Leid in die Küche.

Ach, wenn du wüsstest, mein guter Freund.
Ich habe solche Sehnsucht nach meiner Liebsten.
Meine Gedanken kreisen, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe nur noch um sie.
Seit Wochen sehe ich sie jedoch nicht mehr, denn du versteckst sie irgendwo.
Ihre rote, zierliche Erscheinung, ihr Charme und das süsse Winken sowie ihre sagenhafte Wärme, die sie mir entgegenbrachte, fehlen mir zutiefst.
Aber was solls, du kannst mich ja doch nicht hören.

Genervt kramt Oliver seinen roten Toaster aus einem Küchenschrank hervor und stellt diesen gegenüber dem Kühlschrank auf die Küchenablage.
«Dann gibt es heute eben Toastbrot mit Spiegeleiern», seufzte er.

Ach du meine Güte, da bist du ja.
Meine Liebste, wie habe ich dich vermisst. Ich hoffe, du bleibst nun etwas länger bei mir.
Aber nun habe ich mir etwas gemerkt. Toastbrot. Oliver braucht Toastbrot, damit ich dich wieder sehe.

Also nächste Bestellung: Butter, Käse, Tomaten, Bier und 15 kg Toastbrot.

Wenn ich eingebaut bin, dann…

Wir hatten immer dieses Spiel angefangen, wenn uns langweilig wurde. Es hieß, wenn ich eingebaut bin, dann… Ist eigentlich ganz lustig. Wir überlegten uns, welche großartigen Geräte oder Maschinen wir werden würden, wenn wir denn mal komplettiert wären. Wie wir unsere Besitzer glücklich machen würden. Ach so, ja, „wir“ sind so kleine Vibrationsmotoren, die in einer Kiste im achten Stock des Hochregallagers herumliegen. Gang 17, Fach 28, falls sie uns mal besuchen kommen wollen. Wir liegen da schon ziemlich lange, deshalb hatten wir viel Zeit zu fantasieren.

X16 träumt davon in einem Auto eingebaut zu werden. Er würde die Menschen warnen, wenn sie einen Fehler machen würden und so ganz viele Menschenleben retten. Ist ein bisschen ein Idealist, der Junge. Aber ich bringe es nicht über meine Wicklung ihm zu sagen, dass er vermutlich nie ein Menschenleben retten wird. Die Chancen sind viel höher, dass er sich zu Tode vibriert, während er in einer Rüttelplatte Nüsse nach ihrer Größe sortiert.

X23 ist da ein ganz anderes Kaliber, der alte Perversling. Wir können schon gar nicht mehr zuhören, wenn er den neusten, größten, affengeilsten Dildo beschreibt, in dem er eingebaut sein wird. Oder wie er diese heiße Tussi zum Wahnsinn treiben wird, bis sie nur noch laut stöhnen wird, dass er es ihr noch härter geben soll. Einfach nur widerlich, der Kerl.

Meine eigenen Träume sind da viel harmloser. Ich wäre gerne in einem Rasierer verbaut. Ja, ich weiß, das ist eine dreckige Arbeit. Und sie kann ganz schön hart und mühsam sein. Aber ich sehe die positiven Seiten. Ich werde gebraucht, praktisch täglich. Mit etwas Glück kann ich die Welt sehen, falls mein Besitzer viel reisen wird. Ja, ja, natürlich nur die Hotelbadezimmer. Aber immerhin. X16 wird vermutlich nur Millionen von Nüssen sehen, während seine Lötstellen mürbe werden. Wenn ich meine Arbeit gut mache, werde ich viel Anerkennung bekommen. Und das Beste: Ich werde nur kurze Arbeitszeiten haben. Also kann ich weiterhin viel auf der faulen Verkleidung herumliegen und in Traumwelten verschwinden.

„Hey, verdammt! Passt doch auf! Fasst mich nicht so grob an! Ich bin sensibel!“

Grrr! Diese Menschen! Es ist zum davonvibrieren. Zum Glück habe ich nur kurz mit diesen Grobianen zu tun. Sie haben uns aus dem Fach genommen und jetzt sind wir in so einer lauten Halle. Nun also werden wir…

„Mann! Kannst du nicht aufpassen? Jetzt hast du mein Anschlusskabel geknickt, du Rindvieh! Hey! Stopp! Was willst du mit dieser komischen Zange? Autsch, das tut doch weh!“

Warum machen sie erst so ein langes Kabel ran, wenn sie es nachher abzwicken? Und was will er nun mit diesem länglichen Teil?

„Ahhhhhhhh! Verdammt war das heiß! Lötkolben? Eher ein Blödkolben!“

Oh, sieht so aus, als wären sie fertig. Habe jetzt jede Menge neue Nachbarn. Vielleicht sollte ich mich mal mit denen unterhalten.

„Hallo, ich bin X35, der Vibrationsmotor. Und wer bist du?“

„什么,我不明白你…“

Ach du lieber Himmel! Wo bin ich denn hier gelandet? Versteht mich hier überhaupt jemand? Gott, wird das langweilig werden. Ah, Moment. Ich spüre Spannung und ein paar Elektronen hüpfen schon ganz aufgeregt im Kabel herum. Vermutlich werden sie uns testen.

„It’s showtime, Baby!“

Tut das gut! Die Verspannungen in der Bodenplatte sind schlagartig verschwunden. Ich fühle mich so beschwingt, so voller Energie. Und so dynamisch. Es ist so wunderschö…"

Oh, Gott! Das ist nicht wahr!

„Nein! Das könnt ihr nicht machen! Ihr könnt mich nicht in einen Wecker verbauen! Ich will nicht jeden Morgen einen Schlag auf den Kopf bekommen und böse angestarrt werden. Nein! Baut mich wieder aus! Bitte!“

Gelobter Medienkonsum

Die Lichter gehen nicht an. Der Ton bleibt aus. Etwas funktioniert nicht.
Ich fühle mich kraftlos.
Meine Meisterin drückt energisch auf die Tasten des schlanken schwarzen Zauberstabs in ihrer Hand, mit dem sie meine vielen Persönlichkeiten für gewöhnlich mühelos steuert. Nun schwirren sie orientierungslos im Dunkeln durcheinander.
Durch den schwarzen Schleier hindurch sehe ich ihre Gestalt nur undeutlich, aber ich erahne die in Falten gelegte Stirn und das Kauen auf der Unterlippe. Das tut die Meisterin immer, wenn sie sich konzentriert. Sie flucht leise, versucht es noch einmal.
Etwas grob drückt sie dabei meinen Knopf aus und wieder an. Nichts passiert.
Ich teile ihren Kummer. Was bin ich, wenn ich nicht mehr flimmern kann?
Was bin ich, wenn ich nicht mehr in bunten Farben leuchte, meine Bilder sich nicht mehr abwechseln? Wenn ich nicht mehr in abertausenden Stimmen zu ihnen spreche?
Die zierliche Frau, ihr Mann, das kleine Mädchen mit den zwei Zöpfen und das andere Mädchen mit der Zahnlücke sind meine teuren Gebieter, mein Publikum, und – so wage ich zu behaupten – meine engsten Gefährten. Ich mag sie. Und ich denke, sie mögen mich. Jedenfalls kommen sie immer wieder zu mir; oft mehrmals am Tag.
Sie sitzen dann still vor mir, hängen an jedem meiner Worte und schauen mir wachsam zu. In ihren Augen flackern dann die unterschiedlichsten Emotionen.
Doch gerade jetzt nehme ich weder Freude, noch Faszination wahr, nur ihr Herzensleid.
Ich möchte helfen, aber ich schaffe es nicht.
Ich kann unzählige, unwahrscheinliche Dinge sein, aber sie müssen mich zuerst einschalten. Ohne sie bin ich nichts. Ich kann sie wahrhaftig überall hinbringen, in fremde Länder, fremde Zeiten, kann ihnen die tollsten Dinge zeigen. Ich weiß alles. Ich kann ihr Lehrer sein, sie zum Gruseln oder zum Lachen bringen, und sie mit sämtlichem Wissen füttern.
Doch ich brauche sie, um aus der Dunkelheit zu finden.
Es piept tief innen in mir, schrill und langgezogen. Soll das mein Ende sein? Hatte ich nicht wenigstens ein Happy End verdient wie in diesen Blockbustern?
Meine Persönlichkeiten schwirren rastlos, treten sich auf die Füße. Ein ekelhafter Zustand. Ich räuspere mich, versuche, die Kontrolle zurückzubekommen, aber es gelingt mir nicht.
Natürlich nicht. Etwas klemmt.
Das Drama in mir erahnt bereits die Katastrophe.
Die Tragödie weint, während der Kinderkanal unbeteiligt weiter spielt. Die Dokumentation setzt im Hintergrund mit monotoner Stimme zu einem Vortrag über Elektrizität an.
Der Krimi versucht, einen Schuldigen auszumachen. Hat die Komödie sich etwa einen Scherz erlaubt?
Meine Meisterin seufzt langgezogen. Sie kommt näher, diesmal krabbelt sie unter mich ein Stück hinter die Kommode. Ich überlege noch, was sie wohl dort unten vorhaben könnte, als es auf einmal zappenduster wird, noch mehr, als ohnehin schon.
Ich verliere meine Sinne, der Bibelsender spricht ein letztes Gebet.

Dann, mit einem elektrisierten Knistern, komme ich wieder zu mir.
Ich blinzle vorsichtig, gewinne an Kraft.
„Na also“, höre ich die Meisterin sagen. Sie drückt erneut die Zaubertaste und diesmal, in gewohnter Manier, explodieren tausende Farben und Töne gleichzeitig in mir. Sie breiten sich in mir aus, füllen mich mit Leben, verdrängen endlich die elende Stille.
Das Schwarz ist fort.
Das kleine Mädchen, dass ich nun auf der Couch klar und deutlich erkenne, freut sich, genauso sehr wie ich. Sie schaut mich erwartungsvoll an. Ihre Zöpfe wippen noch, vom Springen auf den Kissen, aber die zappeligen Beine kommen langsam zur Ruhe.
Wenigstens für ein paar Minuten. Ich weiß, dass ich sie noch nicht so lange in meinen Bann ziehe, wie die anderen. Aber ich freue mich jedes Mal zutiefst, wenn ich sie sehe; wenn wir das Alphabet zusammen singen, Zahnputzlieder, ich sie mit auf eine kleine Fantasiereise nehme oder ihr höchsterstaunlichen Dinge über die Welt erzählen darf.
Meine Persönlichkeiten sammeln sich und stellen sich routiniert auf. Im Licht wissen sie ganz genau, was zu tun ist.
Das kribbelige Gefühl, als der Kinderkanal ausgewählt wird, entzückt mich.
Rasch springt er vor, verwandelt sich in eine Schar sprechender Hunde und beginnt seine Darbietung. Das kleine Mädchen quiekt vor Glück.
Meine Meisterin setzt sich an den Esstisch hinter der Couch. Sie nimmt ihren kalten Kaffee, lehnt sich zurück und atmet erleichtert aus. Ich beobachte sie froh, und weiß wieder ganz sicher, dass ich zu wertvoll bin für ein tragisches Ende auf dem Schrottplatz.
Sie werden um mich kämpfen.
Manche behaupten ja, dass ich ein schlechter Umgang sei, vor allem für die Kinder, aber das werde ich nie verstehen. Und meine Meisterin, die heute das erste Mal sitzt, zum Glück auch nicht.

Eine Liebe

Meist in den Nächten bin ich einsam, wenn ich alleine in der Garage abgestellt werde und Sonja sich entfernt. Allerdings jedes Mal, wenn sie wieder das Garagentor öffnet und sie bei meinem Anblick strahlt, als würde sie mich zum ersten Mal ansehen, dann schmeichelt es mir und ein Kribbeln durchfährt meine Kabel und Drähte. Ich höre das ersehnte Geräusch, das leise Summen und das Garagentor bewegt sich nach oben. Endlich kann ich wieder diese vier kargen Wände verlassen! Die Vorfreude steigt und ich frage mich, wo es denn heute hingeht. So viel steht fest, es wird kein weiter Weg werden, denn ich bemerke, dass es schon dämmert. Ich war in den letzten zehn Jahren schon viel unterwegs. Wir haben gemeinsam fast alle südeuropäischen Länder in Europa bereist. Ich immer an ihrer Seite. Die Kurzstrecken fahre ich nicht mit der gleichen Leidenschaft, aber ich verstehe natürlich, dass Sonja nicht immer Urlaub hat und daher im Alltag von A nach B gefahren werden muss.

Nachdem sich Sonja ans Steuer gesetzt hat, streichelt sie sanft über die Ablage und über das Lenkrad. „Guten Abend, mein Spatz“, begrüßt sie mich. Den Namen hat sie mir gleich bei unserer ersten Fahrt verpasst und gemeint, dass der Kosenamen für mich reserviert ist. „So baut man ein persönlicheres Verhältnis zwischen Mensch und Auto auf“, hat sie mal einer Freundin erklärt. Man war ich stolz, als sie vor ein paar Wochen einem Freund auf seine Frage, warum sie sich denn nicht endlich nach so langer Zeit ein neues Auto kaufen würde, geantwortet hat „Weil ich immer noch gerne in mein Auto einsteige und jeden Kilometer liebe mit dem Spatz zu fahren; auch nach zehn Jahren! Was will ich denn mehr?“ Sie drückt den Keyless-go-Startknopf und mein Motor springt sofort an. Sie bewegt den Steuerknüppel auf N und los geht es. Das Radio läuft, sie singt mit. Ihre gute Laune erfüllt den Innenraum und ich lasse mich anstecken und schwinge im Takt mit, so dass ich angenehm vibriere.

Plötzlich nehme ich in ein paar hundert Meter Entfernung ein Auto wahr, das auf der Gegenseite ausschert und zum Überholen ansetzt. Ist der verrückt? Das geht sich nicht aus. Sieht er uns denn nicht? Entsetzt weiten sich meine Frontscheinwerfer! Sonja reagiert nicht, sie erkennt die Gefahr nicht. Sie ist zu sehr mit dem Liedtext Wonderful World beschäftigt. Das Auto kommt näher. Das wird ein Frontalzusammenstoß, denke ich. Instinktiv greife ich in das Fahrgeschehen ein, auch wenn uns das strikt verboten wurde. Ich vollziehe eine Notbremsung, ich drehe mich. Ich spüre den Aufprall auf der Beifahrerseite. Ich höre weit entfernt Sonjas Schrei, der mir in Mark und Bein fährt. Der Fahrer Airbag geht auf, Sonjas Kopf prallt auf diesen. Sie ist jetzt still. Hoffentlich lebt sie, schießt es mir durch den Bordcomputer.

Mich schleudert es von der Fahrbahn in den Graben. Mir tut alles weh. Meine rechte Seite ist derart verbeult, dass von der Beifahrerseite fast nichts mehr übrig ist und die Blechteile sich in meiner Mitte befinden. Es schaut schlecht aus! Ich glaube, dass das mein Ende ist. Dampf tritt aus. Alle Lichter blinken wild durcheinander. Mein Geist wird schwächer. Ich atme auf, als ich ein leises Stöhnen von Sonja höre. Sie lebt! Ich kann es kaum glauben. Mein Leben für ihres. Das war das einzig Richtige, was ich für meine große Liebe tun konnte. Hoffentlich behält sie mich ewig in Erinnerung, als ihren treuen, liebevollen „Spatz“. Meine Funktionen erlöschen – Totalschaden.

Usagi schlang sein Frühstück hinunter, wie jeden Morgen. Und wie immer bestand seine Mahlzeit aus Reis, gegrilltem Fisch, eingelegten Gemüse und Miso-Suppe. Das Essen verlief immer gleich ab: Zuerst stopfte er sich den Reis in den Mund, dann den Fisch mit dem eingelegten Gemüse, und mit einem kräftigen Schluck aus der Suppenschale spülte er den Brei hinunter. Manchmal war die Suppe so heiß, dass seine dicken Brillengläser bei jedem Schluck beschlugen. Das kurze Pusten mit seinen vollen Lippen half nur wenig. Das Gemüse in der Suppe wollte er immer ganz klein geschnitten haben, damit er es nicht kauen musste. So sparte er Zeit, denn er hasste nichts mehr, als seine Freunde im Kampf alleine zu lassen. Seit dem Tod seiner Mutter gab es niemanden mehr, der ihn vor den Online-Spielen bewahrte.

Usagi lehnte sich zurück und schob seinen dicken Bauch hervor. Er furzte laut und rülpste im selben Moment. Diesen kurzen Augenblick gönnte er sich. Und Miyu? Sie saß ihm gegenüber und schaute ihn dabei verliebt an. Sie liebte Usagi so sehr, dass sie vor Glück weinen musste. Jeden Tag bereitete sie ihm Frühstück, Mittagessen und Abendessen zu. Usagi sollte am Tisch essen, so wie er es seiner Mutter versprochen hatte. Anfangs liebte und schätzte er Miyu sehr. Sie redeten tagelang und alberten herum. Sie waren sogar einige Male draußen. Usagi hatte sogar das Computerspielen für ein paar Tage vernachlässigt. Aber Miyu wollte das nicht, und schon bald begann er wieder damit. Während er stundenlang konzentriert am Schreibtisch spielte und dabei mit seinen Freunden fluchte und freute, sah Miyu wortlos neben ihm zu. In letzter Zeit wollte Usagi aber lieber alleine sein. Miyu akzeptierte es, und so wartete sie auf einem Holzstuhl vor der Tür auf ihn. Manchmal rief er sie noch, wenn er einen neuen Energydrink oder einen Schokoriegel wollte. Vor dem Schlafengehen musste sie ihn aber kraulen, so wie es Mama getan hatte, sonst konnte er nicht einschlafen. Alles andere wollte er nicht mehr.

In einem Monat würde er Miyu ohnehin zurück zu Tokyo Robotics bringen. Er hatte sich ein neues Modell aus der iQ-Serie bestellt. Mit Hilfe von Fotos und Videos seiner Mutter würde das neue Modell erstellt werden: Körpermaße, Stimme, Mimik, Gestik, Duktus – einfach alles würde übernommen werden. Usagi hatte nach dem Tod seiner Mutter all ihre Kleider und Schuhe aufgehoben. Für den Tag ihrer Abholung stand bereits ihr Kimono bereit. Jeden Tag besprühte er ihn mit ihrem Lieblingsparfüm. Es sollte ein ganz neuer Anfang werden, ohne Miyu.