„Hey Tom!“
Erschrocken ächze ich, als mich einer der zwei Lieferheinis nach hinten auf eine Sackkarre kippt. „Mensch, pass doch auf! Sonst ist das Ding kaputt, bis es im Haus ist“, schimpft sein Kollege. So schnell gehe ich zwar nicht kaputt, aber ein bisschen sanfter wäre mir schon lieb. Die zwei Grobiane schleppen mich eine Steintreppe hoch in ein alt aussehendes Haus. „Meine Fresse ist das Ding schwer. Die verbauen da aber auch immer mehr Technik drin!“, schimpft der eine. Pass nur auf, was du sagst, sonst kriegst du gleich eine Tür ins Gesicht, du Wicht!
Bald stellen sie mich in einer alten Küche ab. Ein alter Mann beobachtet das Geschehen misstrauisch. Verständlich, ich wäre bei den zwei Halunken hier auch unsicher, so respektlos, wie die über mich reden. Nein Moment – der Blick gilt mir! Was habe ich denn nun getan? Aus einem anderen Raum tritt ein junger Mann in einem Anzug und mit Telefon am Ohr. „Ah da ist das gute Stück ja“, erkennt er begeistert und murmelt dann in sein neumodisches Handy, „Ich ruf dich gleich zurück!“ Er stellt sich neben den Alten und mustert mich genau. „Na Opa, was hältst du von deinem neuen Kühlschrank? Ist er nicht schick?“, fragt er selbstzufrieden. Aha, das Familienverhältnis ist nun also klar. War ich ein Geschenk? Dem Gesicht des Opas nach auf jeden Fall kein gewolltes. „Was soll ich denn mit so einem modernen Teil? Ich brauch doch gar keinen neuen Kühlschrank!“ Der Anzugträger stellt sich nun mit dem Rücken zu mir und deutet auf mich, als wäre er mein Verkäufer. „Dein alter Kühlschrank war schon zehn Jahre alt und hat die Sachen gar nicht mehr ordentlich gekühlt. Das Ding hier“, er deutet auf mich, „ist die modernste Technik. Der hat ein Touchpad, an dem du eine Einkaufsliste erstellen kannst und dann werden dir deine Einkäufe an die Tür geliefert. Wenn du „Hey Tom“ sagst, kannst du die Liste sogar mündlich ergänzen. Ich weiß doch, wie schwer einkaufen mittlerweile für dich ist und ich dachte, damit tue ich dir einen Gefallen!“ „Ich werde bestimmt noch lernen, wie das funktioniert. Danke für deine Großzügigkeit.“, lenkt der Opa nun doch ein, doch ich erkenne an seiner Stimme, dass er nicht wirklich überzeugt ist. Doch seinem Enkel scheint es zu reichen, denn er dreht sich zu den zwei Grobianen, die gerade die Kabel an meiner Rückseite untersuchen. „Sie beide werden noch alles installieren, richtig? Ich muss jetzt los, hier haben sie Trinkgeld.“ Er drückt den Kerlen einen Schein in die Hand, winkt seinem Opa kurz und ist verschwunden. Natürlich mit Handy am Ohr – komischer Kauz!
Nach über einer Stunde bin ich endlich verkabelt und ich spüre, wie sich mein Inneres langsam auf eine angenehmere Temperatur runterkühlt. Eine Internetverbindung habe ich nun auch endlich, also suche ich sofort nach ein paar guten Angeboten, denn bisher bin ich ja leer. Um ehrlich zu sein hätte diese ganze Kabelarbeit vermutlich nicht mehr als zwanzig Minuten gedauert, aber scheinbar haben die Typen keine große Lust zu arbeiten und lassen sich alle Zeit der Welt. Sobald die Grobiane verschwunden sind, um vermutlich ihr nächstes Opfer zu finden und zu foltern, tritt der alte Herr wieder aus dem Nebenzimmer. Er mustert meine glänzenden Türen erneut kritisch, dann öffnet er sie. Auf der linken Seite ist das riesige Eisfach und rechts der Kühlschrankbereich mit einer Doppeltür für die Getränke. Außen findet man den Eiswürfelspender und die glänzende Benutzeroberfläche. Murrend räumt der Alte nun ein paar Dinge in mein Inneres. Eine Ketchupflasche, Tiefkühlgemüse, Bier, selbstgemachte Marmelade und eine Packung Aufschnitt. Wir werden definitiv gleich noch was bestellen müssen!
Es vergehen Wochen. Der Opa räumt Sachen ein und wieder aus, doch er wechselt kein Wort mit mir. Ich langweile mich. Dann plötzlich verschwindet er auf seiner typisch wöchentlichen Einkaufstour. Ich beginne mir Sorgen, um ihn zu machen, ich habe ihn seit Tagen nicht gesehen. Hoffentlich ist ihm nichts passiert! Der Käse bildet langsam einen blauweißen Flaum und noch immer war niemand hier. Was ist nur los? Panik steigt in mir auf und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin doch nur ein intelligenter Kühlschrank.
Nach einer weiteren einsamen Woche, in der nun auch die verschlossene Milch sauer geworden ist, höre ich einen Schlüssel in der Tür. Ist er das? Kommt mein Mensch wieder nach Hause? Erst sehe ich nur den Anzugmann, aber dann folgt der Opa. Er sitzt im Rollstuhl und hat ein Gipsbein. Was ist ihm denn passiert? Sie bleiben zwar im Flur stehen, aber ich kann sie trotzdem verstehen. „Mensch Opa, jetzt sei doch nicht so stur! Im Rollstuhl wirst du ganz sicher nicht einkaufen gehen. Der Arzt hat gesagt, du darfst erst einmal acht Wochen da drinbleiben.“ „Und wer geht dann für mich einkaufen? Wie versorg ich mich? Das wirst doch nicht etwa du machen?“, schimpft der Alte zurück. Er scheint kein Freund davon zu sein, sitzen zu müssen. Genervt antwortet der Junge: „Du weißt doch, wie viel ich arbeiten muss. Einmal am Tag kommt ein Pflegedienst, der hier aufräumt, sich um dich kümmert und dir vielleicht auch etwas kocht. Einkaufen kannst du doch mit deinem Kühlschrank! Hey Tom!“ Das ist mein Einsatz! Ich schalte den Bildschirm ein und mache das Geräusch, mit dem ich vermittle, dass ich zuhöre. „Salami auf die Liste“, ruft der Kerl aus dem Flur rüber. In einer Sekunde scanne ich die Kataloge. „Wie viel ‚Salami‘?“, frage ich und erschrecke vor meiner metallischen Stimme. Das ist das erste Mal, dass ich sie benutze und sie klingt anders als in meinem Kopf. „Eine Packung“, ist die Antwort und ich setze eine Packung Salami auf die Einkaufsliste. Ich mag es nicht, das Werkzeug dieses Schnösels zu sein, der nicht einmal danke sagen kann, aber ich will auch, dass der Alte weiß, dass ich ihm helfe. All die Wochen, die ich nun hier stehe, war sein Enkel nicht einmal zu Besuch gewesen, also will wenigstens ich für ihn da sein – so gut ich das als Kühlschrank kann.
Der Opa schweigt weiter störrisch und sein Enkel seufzt. „Also dann, ich muss los. Ich melde mich die Tage bei dir. Tschüss Opa und pass auf dich auf.“ Dann knallt die Haustür auch schon wieder los.
Nach zwei Minuten rollt der Opa in die Küche und wieder mustert er mich kritisch. „Also, wie bring ich das blöde Teil zum Laufen?“, murmelt er und tippt ratlos auf meinem dunklen Touchpad. Als er zweimal schnell drauf tippt, erleuchte ich die Benutzeroberfläche für ihn. Das Menü scheint ihn zu überfordern und ich wünschte einfach, er würde „Hey Tom!“ sagen, aber bisher tut er gar nichts. Er starrt mich so lange an, bis die Oberfläche wieder dunkel wird. Frustriert schüttelt er den Kopf und er will sich abwenden, also ergreife ich entgegen meiner Programmierung die Maßnahme. „Wenn Sie Hilfe bei der Bedienung brauchen, sagen Sie „Hey Tom! Hilfe.“. Möchten Sie etwas auf die Einkaufsliste setzen, sagen Sie „Hey Tom!“ und nennen das Produkt Ihrer Wahl. Möchten Sie bestellen, sagen Sie-“ „Hey Tom! Stopp!“, unterbricht er mich. Das war zwar grob, aber vielleicht hat es sein Ziel erreicht. Doch so schnell werde ich das nicht erfahren, denn der Alte rollt aus meinem Sichtfeld in ein anderes Zimmer.
Am Abend holt der Alte etwas Tiefgefrorenes aus der linken Hälfte, nachdem er fünf Minuten lang in die leeren Kühlschrankregale gestarrt hat. „Hey Tom! Wie lange ist die Lieferzeit?“, fragt der alte Herr gedankenverloren, während er die Pizza in den Ofen schiebt. „Während der Öffnungszeiten ist eine tagesaktuelle Lieferung bei Geschäften in einem 25 Kilometerradius garantiert. Außerhalb der Öffnungszeit wird die Bestellung erst bei Öffnung des Geschäfts aufgegeben“, antworte ich wahrheitsgemäß und freue mich riesig, dass der Alte mit mir spricht. „Hey Tom! Ich möchte bitte: …“ Es folgt eine lange Auflistung und ich suche so schnell ich kann die günstigsten Angebote heraus. „Der Gesamtpreis liegt bei 64,23€. Möchten Sie bestellen?“, gebe ich den Preis raus. Ich bin ziemlich stolz auf mich. Wäre er einkaufen gegangen, hätte er bestimmt über 80€ dafür bezahlt. „Hey Tom! Bestellen bitte.“ „Einen Moment, bitte. Ihre Bestellung wird aufgegeben… Ihre Bestellung ist aufgegeben und wird Ihnen morgen zwischen 12 und 13 Uhr geliefert. Vielen Dank!“
So geht es die nächsten Tage häufig. Der Alte bestellt über mich und ignoriert mich die restliche Zeit. Sein Enkel ignoriert dafür ihn. Er hat sich nicht einmal nach ihm erkundet, dafür aber brav den Pflegedienst bezahlt, der jeden Tag jemanden vorbeikommen lässt und für die der Alte stets Schokoladenriegel und Getränke im Kühlschrank hat. Er mag es nicht auf andere angewiesen zu sein.
„Hey Tom! Wieso spricht mein Enkel nicht mit mir? Wieso ist ihm seine Karriere so wichtig? Sein Vater war doch so ein Familienmensch“, höre ich aus dem Wohnzimmer auf einmal eine schluchzende Stimme. Ist das der Alte? Weint er? Fragt er mich nach meiner Meinung? Quatsch, er erwartet keine Antwort von mir. Vermutlich sagt er meinen Namen, weil ich ein Geschenk von seinem Enkel war. Soll ich antworten? Meine Gedanken überschlagen sich und ich stehe kurz vor einem Kurzschluss. Schnell treffe ich eine Entscheidung. „Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden.“ Das wäre die richtige Antwort. Die auf die ich programmiert wurde. Aber sie fühlt sich falsch an. Der Alte ist wirklich verzweifelt und obwohl wir bisher wenig Kontakt hatten, fühle ich mich zu ihm verbunden. „Er meint es nicht böse. Er scheint seine Zuneigung durch Geschenke zu machen. Er sorgt sich um Sie.“, antworte ich und bete, dass er mich nicht aus Panik in Brand steckt. Zu wem ich bete? Das weiß ich auch nicht, das wurde mir nicht programmiert. Es kommt kein Ton aus dem angrenzenden Raum und für einen Moment fürchte ich, der Alte hat einen Herzinfarkt erlitten, doch dann höre ich eine Stimme. „Hallo Ben, kannst du bitte vorbeikommen? Der Kühlschrank hat einen Fehler und ich bin zu blöd dafür. Ich brauche dich hier! Danke.“ Es folgt weiteres Schweigen, dann ein erleichtertes Lachen. „Er kommt her, ohne zu diskutieren. Ich bin ihm nicht egal. Hey Tom! Danke!“
Der Enkel steht nicht einmal eine halbe Stunde später vor der Tür und macht sich sofort auf die Suche nach dem ‚Problem‘ – meiner Persönlichkeit. Da ich fürchte, dass er mich oder meine Sprachfunktion abschaltet, zeige ich ihm in den Einstellungen einfach nur ein Installationsproblem an, das er leicht beheben kann. Dann kann er sich stolz fühlen, sein Opa sich sicher und ich werde nicht neu aufgesetzt. „So Opa, jetzt sollte alles wieder normal laufen. Aber wenn du willst, kann ich auch einmal in der Woche für dich einkaufen gehen. Ich muss ja selbst einkaufen und dann kann ich das für dich miterledigen, dann bist du nicht auf das Ding angewiesen.“, murmelt der Enkel etwas unsicher. „Das wäre lieb von dir, danke Ben!“, antwortet der Alte und ich darf beobachten, wie Ben seinem Opa eine Hand auf die Schulter legt und sie sich einen Moment anlächeln.
Wenn ich könnte, wenn ich ein Mensch wäre, würde ich jetzt weinen. Vor Freude und vor Trauer. Es ist schön, dass die beiden von nun an mehr Kontakt haben werden, aber dass ich dadurch einsam werde, stimmt mich traurig. Aber vielleicht bekommt der Alte in Zukunft noch einen intelligenten Toaster geschenkt…
Es vergehen Wochen und der Alte spricht kein Wort mit mir. Mein Innerstes ist von einer Kälte ergriffen, die nicht Teil des Kühlschranks ist. Ich will keine Energie mehr verschwenden. Ich werde mich herunterfahren. Ob der Alte reagieren wird? Ein letztes Mal nutze ich meine Stimme, die noch immer befremdlich für mich klingt, da ich sie so selten nutze und sage:
„Das Programm „Hey Tom!“ schaltet sich in zehn Sekunden ab. Bitte berühren Sie das Touchpad, wenn Sie das Programm nicht herunterfahren möchten. Auf Wiedersehen!“