Seitenwind Woche 3: Dufte

Bittersüß

Aus der Stille der Nacht und dem Tau des Morgens geboren, tanze ich leise im Wind. Ich bin ein Duft, ein subtiles Aroma, ohne physische Form, Stimme oder Bewusstsein. Der blumige Atem der sich langsam öffnenden weißen Kelche des Jasmins, bereit, den Morgen eines einsamen alten Mannes zu versüßen. Die Sonne kriecht langsam über den Horizont und wirft ihre wärmenden Strahlen in sein Schlafzimmer.

Er liegt allein in seinem Bett, den Blick ins Leere gerichtet, während er durch das offene Fenster auf seinen Garten schaut. Mein Duft, den seine Frau einst so sehr liebte, erfüllt den Raum. Seine zittrige Hand streicht sanft über das leere Laken an ihrer Seite des Bettes. Tränen sammeln sich in seinen Augen und seine Gedanken tauchen in eine längst vergangene Zeit ein, als sie noch gemeinsam in diesem Bett lagen und die stillen Morgenstunden miteinander teilten. Die Erinnerungen, die ich in ihm geweckt habe, sind bittersüß. Ich bin wie ein Geist aus der Vergangenheit, der ihn heimsucht und ihn gleichzeitig tröstet.

Die Erinnerungen an die glücklichen Momente und die Liebe, die sie einst teilten, sind jetzt stärker als die Realität seines einsamen Lebens. Er lächelt, während ihm Tränen über die Wangen rollen. Seine Hand, die eben noch das leere Bett streichelte, sinkt langsam herab. Mit einem Seufzen schließt er die Augen. Die Welt draußen erwacht zu einem neuen Tag voller Leben und Bewegung, während der alte Mann in seinem Bett in einem tiefen, friedlichen Schlaf versinkt. Und wie ein Seidenfaden, der vom Webstuhl der Zeit gelöst wird, gleitet sein Geist in die Ewigkeit. In der Stille seines Schlafzimmers verlässt seine Seele diese Welt, getragen von Erinnerungen.

Ich ziehe mich zurück, verschwinde in der Morgenluft und lasse seine leere Hülle im zarten Licht der aufgehenden Sonne allein zurück. Ein Duft, unsichtbar und flüchtig wie ein Traum.

Die Windfee

Oh, Ihr Menschen! Früher habt ihr noch an allerlei geglaubt. An Kobolde und Hexen. Daran das jedem Element ein Geist inne wohnt und euch wohlgesonnen sein kann… Jemanden den man nicht verärgern sollte. Heute glaubt ihr dergleichen nicht mehr. Stattdessen vergiftet ihr die Luft, die ihr atmet. MEINE LUFT.

Ich habe kaum ein Auge zugemacht. Keine 200 Jahre. Und schon lasst ihr alles vor die Hunde gehen. Es wird Zeit es euch heimzuzahlen.

Ich suche mir mein erstes Opfer. Da! Ein Bauarbeiter. Er fällt gerade einen der letzten Bäume in dieser Betonwüste, die ihr Städte nennt. Ich werde es ihm gehörig geben.

ORKAN!

Ehem… Ich sagte: ORKAN!

Warum tut sich nichts? Bin ich so eingerostet?

Viel…Vielleicht sollte ich kleiner anfangen. Ein starker Windstoß vielleicht? Nichts. Ein Lufthauch? Doch da! Seine Haare bewegen sich.

Das geht so nicht! Wie soll ich die Menschheit strafen, wenn ich kaum einen Luftzug zustande bringe?

Der Bauarbeiter niest wegen all der herumfliegenden Späne des malträtierten Baumes. Das ist es! Seine Nase ist empfindlich genug… und mir Schutzlos ausgeliefert. HINEIN!

„Igitt, was stinkt hier den so? Hans, riechst du das auch?“

„Äh?“

„Es stinkt, wie in der Kloake.“

„Wir sind in der Hauptstadt. Hier riecht’s immer so.“

„Ja, aber… stimmt wahrscheinlich. Na, ist ja nicht mehr lang, dann sind wir hier fertig. Nur noch die Straße dahinten.“

Ich habe ihm die schlimmsten Pestilenzen gezeigt, die es nur gibt. Und sie tun so, als wäre es Alltag. Die Menschen haben sich von allem abgewandt, was gut ist und schön. Ich hätte direkt Mitleid mit ihnen… wären sie gerade nicht im Begriff die letzte Natur auch noch zu zerstören!

Vielleicht brauche ich eine andere Taktik. Wenn ich sie nicht mit Gewalt aufhalten kann, dann vielleicht indem ich ihnen zeige, was sie verloren haben.

Der liebliche Duft von Rosen. Warme Erde die an einem Sommertag vom Regen benetzt wird. Frisch gebackenes Brot, dass im Fenster steht und die gesamte Nachbarschaft anlockt. Ein harziger Baum im Wald, der auch im Winter nicht aufgibt. Ein Duft frei von gift, von Schmutz, von der grauen Monotonie von Hochhäusern, verunreinigten Parkhäusern und betrunkener Menschen im Rinnstein. Der Duft von Freiheit.

„Ey! Warum heulst du denn.“

„Ich weiß auch nicht. Ich… auf einmal sind da so Erinnerungen. Früher als ich mit meiner Nana noch draußen auf dem Land gelebt hab. Ich hab sie am Ende ins Heim abgeschoben. Sie ist gestorben und ich hab’s erst eine Woche später erfahren. Ich bin nicht mal zur Beerdigung gegangen.“

„Mann, Ich will Feierabend. Ich hab keine Lust… sag mal, riecht’s du das auch?“

Mein Duft breitet sich aus. Und bald schon habe ich die ganze Stadt in meiner Gewalt. Die schlimmste Strafe, stellt sich heraus, war es den Menschen bewusst zu machen, was sie getan hatten.

Gloria Canis

Hunde schnüffeln gerne an mir herum. De facto an mir als Duft der Drüsen und nicht am Anus selbst, gleichwohl die Kombination mit olfaktorischen Kollegen die individuelle Visitenkarte eines jeden Wesens ausmacht.

Ach, die Extase!

All die stillen Worte – einem duftenden Blumenstrauß analer Farben gleich – ein Kompliment an die canine Schnüffelfertigkeit; unvergleichlich in dieser Welt und doch so oft unberochen beiseite geschoben.

Welch Ignoranz!

Was wäre es wohl für eine Welt, wenn alle glorios hundegleich schnuppern könnten?

Oh, ihr Kurznasen der Welt, ihr seid zu bedauern, denn der Friede auf Erden liegt am Arsch und nicht vorbei.

Duft und Verhängnis

Ein Büro: Ein Chefsessel, ein Schreibtisch, ein Ficus. Vor dem Schreibtisch ein unbequemer Stuhl für Bewerberinnen, auf dem Chefsessel der strenge Personaler. Auf dem Stuhl eine Frau mit Zukunftsangst, die dringend eine Stelle braucht. Ihr Lebenslauf auf dem Tisch: gefälscht von hinten bis vorne, komplett erlogen, aber in sich stimmig.
Herr König, der Personalchef lächelte breit. Er fuhr mit einer beinahe liebevollen Geste über das Papier. Die Bewerberin knetete nervös ihre Ledertasche.
„Ich weiß, dass ich lange nicht gearbeitet habe. Seit mein Mann verstorben ist …“ Er unterbrach sie mit einer ruckartigen Bewegung des Kinns. „Keine Sorge. Sie sind zwar nicht qualifiziert und auch nicht jung, aber Sie haben, äh, Erfahrung … und so.“
Sogar der Ficus verstand, dass er es nicht ehrlich meinte. Die Tür ging auf und ein junger Mann brachte zwei Tassen Kaffee. Der Personalchef nahm ihm eine ab, drehte sich kurz mit dem Rücken zu ihnen, wie um aus dem Fenster zu sehen, und reichte die Tasse dann der Bewerberin.

Hier komme ich ins Spiel. Ich bin ein Geruch, der nicht jedem geläufig ist. Die meisten würden mich nicht wahrnehmen, dazu muss man geschult sein. Außerdem sprechen menschliche Nasen nur bedingt auf mich an. Als die Flüssigkeit aus ihrer kleinen Ampulle in den Kaffee gegossen wird, trifft körperwarme Essenz auf brühendheißes Gebräu. Ich erhebe mich in einem dünnen Schwaden, durchziehe den erdigen Kaffeedunst um mich, ringle mich nach oben und schraube mich direkt in die Nasenlöcher der Frau, die die Tasse hält. In dem borstigen Wald aus Nasenhaaren liebkose ich Duftrezeptoren und löse ein Feuerwerk der Erinnerung in ihr aus. In meiner Vorstellung erfreut sie sich an meinem Schmelz und schwelgt in einem Rausch der Erinnerung.

Sie stellte die Tasse ab, ohne daran genippt zu haben.
Die Mundwinkel des Personalchefs fielen aus ihrer Rolle im Angesicht ihres humorlosen Starrens. Der junge Mann hatte das Büro wieder verlassen. Einzig der Ficus war Zeuge dessen, was nun geschah:
„Wollen Sie allen Ernstes, dass ich mir in die Hose mache?“ Als hätte sie ihm selbige runtergezogen, starrte Herr König sie aus hervorquellenden Augen an. „Denken Sie, ich merke nicht, was Sie mir hier reingepanscht haben?“
Er grinste, wie man den Fahrer eines nahenden Zuges angrinst, wenn einem das Auto auf den Schienen verreckt ist. „Das können Sie mit einer anderen machen, aber mit mir nicht.“ Sie stand auf. Als sie ihre Hexenkraft darauf konzentrierte, es ihm heimzuzahlen, entkräftete sie für einen Moment den Glanz, mit dem sie ihr Äußeres geschönt hatte. Das Visual bügelte ihn in seinen Sessel. Mit einer Drehung ihres Handgelenks führte sie einen simplen Karma-Ausgleich durch. Nichts Kompliziertes. Das Ergebnis jedoch überraschte sie durch seine Unverhältnismäßigkeit. Sie ging dann lieber.
Das Büro: Ein Chefsessel, ein Schreibtisch, ein Ficus. Vor dem Schreibtisch ein noch warmer Stuhl für Bewerberinnen, auf dem Chefsessel ein zukunftsbanger Frosch.

Einfach mal treiben lassen…

Mal ist es sanft, mal ist es wild - mein Spiel mit den Lüften. Ganz gebe ich mich hin, lasse mich treiben, verwirbeln, mich tragen, mich fein verteilen – bis zu ihr.

Ihr gilt mein Interesse, für sie bin ich geboren, einzig ihr Sinn macht mich froh.

Wird sie mich mögen und meinem Weg folgen? Erkennen, woher es mich weht?

Sie beginnt, mich wahrzunehmen, mir zu folgen, meinen Ursprung zu suchen.

Ich bin so glücklich. Wir haben uns gefunden, gleich ist sie da, erreicht meinen Ursprung – sieht und berührt ihn.

Vorsichtig, fast zärtlich, bewegen sich die Blätter – umschließen sie sanft und pressen sie an sich.
Für immer.

Die Fliege.

Heute

Ganz sanft, ganz zart, wie ein sanfter Hauch der Vergänglichkeit schmiege ich mich an dich.

Warm pulsierende ich, während ich auf dir liege. Du steckst deine Nase in meine flauschigen Haare, atmest ganz tief ein, den Duft, den ich verströme. So leicht, dass er kaum wahrnehmbar ist. Du hältst meine kleinen Hände, während ich mich an dich kuschel, genüsslich trinke. Ich sehe dich an, mit großen Augen, staunend.
Du versuchst, alles in dir aufzusaugen. Den Moment für immer festzuhalten. Doch schon morgen bin ich einen Schritt weiter von dir entfernt.

Warme Milch, reine Baumwolle, gemischt mit einem klitzekleinen bisschen Puder. Und ein Duft, der schöner nicht sein könnte. Das bin ich. Dein Baby.

Ich Mag Nicht Mehr!

Viel zu lang hab ich mich abgemüht, viel zu lang schon bin ich mal hier, dann wieder drüben am Meer.

Das Feuer macht mir Angst. Kinderaugen starren mich an und doch schauen sie durch mich hindurch. Das Paar, wahrscheinlich die Eltern, sie haben keine Worte für mich, nur Tränen. Die Alten, sie schaffen es nicht oder nehmen ihre Enkel in den Arm, wenn sie alles sehen, sobald ich ein paar Stunden, manchmal Tage weg bin.

Warum darf ich eigentlich nicht selbst entscheiden, ob ich das alles überhaupt noch will? Zu viele Gedanken, zu viele Bilder, zu viele Eindrücke, die mich belasten und mein Gemüt in einer dunklen Schwere allein zurücklassen.

Ich hab mich gewehrt. Einmal, zweimal, ja unzählbar sind diese Momente geworden. Und doch werde ich ständig manipuliert und gezwungen, diesen blutigen hasserfüllten Weg mitzugehen, der niemandem etwas nützt.

Das Leid kann ich nicht mehr ertragen, den fahlen Geruch nicht mehr riechen, das Blut nicht mehr schmecken. Ich kann nicht mehr, habt doch Erbarmen mit mir und all den Menschen, die mich ertragen müssen.

Es sind wohl die Macht, der Egoismus, der Hass, Durst nach Tod, Gewalt und Schrecken und vor allem die Angst vor dem wie es ist und was nicht bleiben soll oder warum muß die Menschheit mich überall wiedersehen?

So machte sich der Duft des Krieges wieder einmal daran, trotz seiner Gedanken und Wehmut, erst auf der einen Seite seine Todesangst zu versprühen und dann ging er wieder drüben ans Meer

Ein Atemzug reicht

Lass mich dich testen
Ich weiß, wer ich bin.
Doch wer bin ich für dich?

Ich ströme durch Städte, Straßen und Häuser auf der Suche nach Emotionen.
Ich rufe sie hervor.
Ein Atemzug reicht.

Dort! Eine Frau.
Sanft schleiche ich mich an ihre Nase heran.
Sie schließt die Augen, atmet ein.
Ich dringe in ihren Kopf.
Bilder ihrer vergangenen Tage rauschen an mir vorbei.
Ein kleines Mädchen, einsam und allein vor dem leuchtenden Baum.
„Mein einziger Wunsch“, flüstert sie, „eine Pflegefamilie.“
Auf jedem Bild erscheint das Mädchen vor dem Baum. Sie verändert sich, wird älter, doch die Worte bleiben gleich.
Gemeinsam mit einer Träne verlasse ich ihren Körper.

Ich ziehe weiter, die Straße entlang.
Ein Windstoß erfasst mich. Er wirbelt mich direkt auf einen Mann zu.
Ein Atemzug reicht. Er zieht mich durch seine grauen Nasenhaare.
In seinem Kopf setze ich mich fest und beobachte die Bilder, die ich hervorrufe.
Drei singende Kinder neben einem Klavier, eine Frau an der Tastatur.
Das Lied endet mit strahlenden Gesichtern.
Im Hintergrund tanzende Flammen auf dunkelgrünen Nadeln.
Ich quetsche mich an den Nasenhaaren vorbei, zurück auf die Straße.
Lächelnd schüttelt der Mann seinen Kopf.

Unter einer Tür schlüpfe ich hindurch, waber die Stufen nach oben bis zur nächsten Tür.
Durch das Schlüsselloch betrete ich die kleine Wohnung.
Ich wehe von Raum zu Raum. In der Wanne entdecke ich eine Frau. Schaum umhüllt ihren Körper.
Ein Atemzug reicht - durch die Nase in den Kopf.
Tannen, unzählige Tannen, dazwischen ein Zelt. Ein Feuer erhellt die Dunkelheit. Vier Leute sitzen darum und erzählen sich Geschichten. Ein Knacken ertönt, dann kreischen. Sie blicken sich um. Ein Mann schlendert mit breiten Grinsen auf sie zu: „Ihr Angsthasen!“
Lachend stößt mich die Frau in der Wanne aus.

Ich trete den Rückweg an.
Für heute weiß ich genug.
Ich bin nur ein Duft nach dunkelgrünen Nadeln an einem Zweig.
Doch für euch bin ich die vergangene Zeit.
Bin Trauer und Freude.
Doch bin ich noch mehr?

Odor?

„Hättest Du wohl besser den Teufel gefragt, kleines Menschlein."
Eine hämische Stimme hallt in meinem Kopf.
„Weißt wohl keine Antwort, kleines Menschlein?“
Da ist niemand, nur diese Stimme in mir.

„Lass mich Dir helfen: Ich backe nicht und braue nicht, will auch nicht der Königin ihr erstes Kind!“ Die Stimme überschlägt sich, schäumt voller Boshaftigkeit.
Ich weigere mich, mit der Stimme zu reden.
„Wäre zu einfach.“ Die Worte verlieren sich im gellenden Gelächter. „Wäre auch zu einfach, zu leicht für Dich, kleines Menschlein.“
Obwohl ich mit beiden Händen meine Ohren fest verschlossen halte, höre ich immer noch diese widerliche Stimme.

„Noch einmal, kleines Menschlein?“
Noch einmal wundere ich mich und bereue den Gedanken sofort; schaurig läuft es mir den Rücken herunter, es kriecht in jede Faser meines Körpers, dringt tief ins Mark.
„Jetzt habe ich Dich, kleines Menschlein,“ entgegnet mir die hässliche Stimme. „Erfreut Deine Bekanntschaft zu machen, kleines Menschlein.“
Konzentration. Ich muss mich nur konzentrieren, die Stimme zu ignorieren. Was ich nicht höre, kann nicht sein.

Die Stimme ist jetzt sehr leise, flüstert eher verführend: „Wie heiße ich wohl, wie ist mein Name?“ Meine Gedanken werden von der feinen Stimme angezogen, wie kleine Fliegen von der betörenden Süße einer überreifen Frucht.

„Geboren bin ich in Hitze und kühle alle Wärme,
gleiche nicht einem Strom, sondern vielen Flüssen.
Ich hafte am Menschen, an einem und an allen,
klebe zwischen zweien, schweiße sie zusammen.
Mich kann niemand verlieren, ich kehre immer wieder.
Ich kenne keinen Willen, forme aber viele Taten.“

Jedem Wort lausche ich jetzt gierig, meine Gedanken werden förmlich angezogen, aufgesogen von der Stimme; im Klang so lieblich, so sirenengleich.
„Also Menschlein,“ säuselt die feine Stimme, „wie lautet mein Name?“

Ich versuche angestrengt zu denken, aber meine Gedanken sind wie verklebt, von der zärtlichen Stimme verführt; fühle mich wie im Rausch gefangen.
„Lass Dir ruhig Zeit, kleines Menschlein,“ höre ich die goldene Stimme fröhlich sagen, „Und wähle weise. Ein Versuch für Dich, Deine süße Seele für mich.“

Verzweifelt versuche ich meine rasenden Gedanken festzuhalten, das Donnern meines Herzens in der Brust zu überhören, das tosende Rauschen im Kopf zu ignorieren, meinen peitschenden Atem einzufangen. Ich will der herrlichen Stimme gefallen, richtig antworten, sie nicht enttäuschen und verjagen, ihr alles richtig machen, ihr gefallen, für immer, wieder und wieder.

Kein Wort kann ich aber sagen, meine Kehle ist trocken, von Erregung verschnürt, muss die Antwort denken, klar denken, das feine Netz von Lug und Trug abschütteln, halte meinen Kopf jetzt zwischen den Händen, rucke ihn hin und her, ziehe an meinen Haaren, suche die Schärfe des Schmerzes, bin in Not eines reinen Gedankens.

„So höre, Du feine Nebelstimme,“ denke ich mit fester Stimme, „Dein Name lautet weder Erlenkönig noch Odor.“ Mit jedem Wort gewinne ich an Sicherheit, an Kraft zurück, bin jetzt ruhig und entschlossen. „Ich kenne Dich zu gut,“ fahre ich fort, „bist mir vertraut, alter Feind, alter Freund.“
Ich warte, setze eine Pause; kann die Anspannung der Stimme spüren, will ihr etwas Qual in der Neugier bereiten. „Dein Name lautet Angst, `bist von üblem Geruch. Mein Wille ist Dein Bangen, Deine Angst, ist… Süßes, ist Saures.“

„SÜSSES oder SAURES!!“ Das laute Geschrei der verkleideten Kinderschar an der Tür reißt mich in die Wirklichkeit zurück. „SÜSSES oder SAURES!!!“ ertönt es wieder von den kleinen Geistern.
„Ich glaube, der alte Mann ist eingeschlafen,“ sagt das vorderste Kind zu den anderen. „Aber er steht doch in der Tür,“ höre ich ein anderes Kind fragend sagen. „Aus dem Haus des Mannes riecht es auch so komisch.“

Bevor die kleinen Teufel weiter ins Reden geraten, verteile ich mechanisch saure Süßigkeiten. „Euch Kinderlein ein frohes Gruselfest, voller Bangen und Schauer. Es fürchtet sich ja so schön.“

P.S.: Danke fürs Lesen. Allen ein schaurig-schönes Kürbisfest. :wink:

Ich brauche einen Wirt.

Einen, der mich aufnimmt und mit sich trägt, bevor sich keiner mehr an mich erinnert.

Ich bin so individuell, dass es mich nur ein Mal gibt. Nicht so wie bei den Blumen, die in Hülle und Fülle, Jahr um Jahr, immer den gleichen Duft verströmen.

Ich dufte ein wenig nach dem Seetang, mit dem die Matratzen gefüllt sind. Ein wenig nach den Daunenfedern in der Bettdecke.

Der Duft der Lupinen, die vor dem offenen Fenster wachsen ist so schwach, dass mein zukünftiger Wirt diesen wohl nicht wahrnimmt.

Die salzige Seeluft, die darf sich mir anschließen. Auch das Kaffeearoma aus der Stube möchte dabei sein. Selbst die alten Holzdielen tragen dazu bei.

Ich bin so gespannt, wer mein Wirt sein wird.

Ein kleines Mädchen ist es! Müde vom Spielen wird es ins Bett gebracht. In dem Augenblick, in dem es einschläft umhülle ich es.

Es wird sich sein ganzes Leben lang an diesen wundervollen Moment, im Urlaub bei ihrer Oma, erinnern.

Wer bin ich?

Ich bin es. Alle besitzen mich. Doch keiner liebt mich so recht. Es ist zum Verzweifeln. Gestern erst im Fahrstuhl, der nur bis ganz nach oben fährt, geschah es. War’s die Geschwindigkeit, die mich hinauszog. Sehr leise und ausgesprochen lange. In den Gesichtern konnte ich die verschiedenen Auffassungen ablesen. Ein Gesicht war besonders rot. Es schaute jedoch unbeteiligt an die Decke. Mit dem Öffnen der Tür setzte ein Drängeln ein. Ein jeder konnte nicht schnell genug aus der Kabine entweichen.
Manchmal ist es nicht einfach, über all die Hindernisse hinwegzukommen, die einem in den Weg gelegt werden. Ich muss mich dann gegen Wände stemmen. Mein Wirt hält sich dann gekrümmt den Bauch und möchte fast die Decke hochlaufen. Wellenartig strenge ich mich an, um endlich in die Freiheit zu gelangen. Bin ich erst einmal draußen, sehe ich demjenigen die Freude an, dass ich ihn verlassen habe.
Was soll’s. Es gibt auch andere, die sich ein Vergnügen daraus machen, mich laut und deutlich zu vernehmen. Vorher nehmen sie ein Blähmittel ein und wetteifern um die Wette. Einer kam sogar auf die Idee, mich anzuzünden. Es sollte im nicht recht bekommen sein. Schließlich bin ich ein Gas.

Wer bin ich?

Ich bin da. Angst und Unsicherheit lassen mich erstarren. Ich wirbele umher und suche, nur weiß ich nicht wonach. Plötzlich ist sie da, die Wärme, die Vertrautheit, die Geborgenheit. Ich strecke mich ihr entgegen und suche Schutz. Sanft umschließt sie mich. Das Zentrum meines Daseins. Ich spüre das Glück des Menschen, der seine Arme um mich legt, während der Klang seines Herzens mich umhüllt.

Ich wachse und lerne, dass es andere wie mich gibt. Sie sind anders. Manchmal stärker und mutiger, manchmal ängstlicher und zaghafter. Manchmal übertünchen sie mich, sodass man mich kaum wahrnimmt. Ob süß oder herb, sie alle sind aufregend und neu, jedoch nur flüchtig. Dann ist er da. Unerwartet und fremd, so gar nicht wie ich und doch berauschend. Erst vorsichtig, dann mit Inbrunst greife ich nach dem unbekannten und lasse mich von ihm mitziehen. Wir tanzen eng umschlungen im Wind und lassen uns träge in weicher Baumwolle nieder und schlafen engumschlungen ein. Irgendwann verblassen wir, doch was bleibt ist die Geborgenheit. Die Erinnerungen lassen nach, verschwinden aber niemals vollständig, denn ich hege sie.

Ich bin wieder allein, habe viel gesehen und erlebt, vermisse und trauere und bin dennoch von Glück erfüllt. Ich bin schwach, kaum noch da, auch wenn sich irgendwann niemand mehr an mich erinnert. Ich habe gelebt und geliebt.

Wer bin ich? Ich bin DU!

Der Duft in der Küche

Als ich den Mann sah, der sich vorsichtig und unsicher dem Haus näherte, überschlugen sich meine Empfindungen. Ich war mir sofort sicher, jetzt kommt der Richtige.

Trotz der vielen Jahre, in denen sich niemand um das Haus kümmerte, waren die Scheiben in den Fenstern nicht blind. Meine Sicht war gut genug, dass ich nicht fürchten musste, mich zu täuschen. Aber ich wollte mich auch nicht täuschen. Ich wollte vom ersten Augenblick, in dem ich ihn sah, dass es wahr ist.

Sein Gesicht, die Form seines Kopfes und die Art, wie er sich bewegte, genau wie er. Da gab es keinen Zweifel.

Mehr als siebzig Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet. So viele Jahre, in denen ich hoffte, dass sie doch noch zurückkommen würden. Aber sie kamen nicht.

Es kamen lediglich hin und wieder ein paar Leute, die ich nicht kannte. Meistens kamen sie nur einmal. Sie stahlen sich ein paar Gegenstände aus den vielen Zimmern, die das Haus hat, und verschwanden wieder. Zu mir in die Küche war aber nie jemand gekommen. Hoffentlich wird sich das gleich ändern.

Die Scheune gegenüber wird seit vielen Jahren von einem Bauern genutzt, der seinen Hof wohl in der Nähe hat. So gibt es ab und zu etwas Abwechslung für mich und den Rußgeruch, wenn das Heu eingefahren oder etwas davon abgeholt wird. Zum Glück war wenigstens er mir immer treu geblieben, der Rußgeruch. Er drang aus dem alten Herd und war mir über all die Jahre ein vertrauter und angenehmer Freund.

Die Gerüche der Kräuter waren anfangs so intensiv, dass nur der Ruß mit ihnen gleichziehen konnte. Mich nahm man dagegen kaum wahr. Doch schon bald nahm die Kraft der Kräuter ab und ihr Duft wurde weniger, bis er ganz verschwand. Dabei hätten der Ruß und ich sie doch so gerne behalten. Wenn man in einem Raum eingeschlossen ist, wenn niemand kommt, niemand den Raum mit Leben füllt, dann wird die Einsamkeit, für die, die bleiben, größer, mit jemand der geht.

Lange Zeit hegte ich die Befürchtung, dass mich auch der Geruch des Rußes verlassen könnte, weil er ebenfalls viel an Kraft verlor, aber dann stellte sich ein Zustand ein, in dem er verharrte. Zum Glück, denn ganz allein, hätte ich die Hoffnung auf einen Tag wie heute vielleicht längst verloren.

Ich schüttelte mich und versuchte, meine Gedanken in den Griff zu bekommen. Ich wollte nicht abschweifen, mich nicht verzetteln in Dingen, die jetzt nicht wichtig waren. Ich wollte ihn ansehen, seinen Anblick genießen. Doch seine Ähnlichkeit mit Reinhold führten meine Gedanken zurück in die Vergangenheit.

Ich sehe sie noch, wie sie am Tisch in meiner Küche standen und das Essen in die schon prallen Rucksäcke stopften. Die Mädchen hatten sich ihre wärmsten Sachen angezogen, in mehreren Lagen, sodass sie mollig aussahen, obwohl sie alle gertenschlank waren.

Reinhold war der Letzte, der die Küche verließ und draußen auf den Pferdewagen stieg. Vorher hatte er noch im Herd nachgeschaut, ob die Glut wirklich erloschen war, hatte die Fenster geschlossen und die Klappe des Brotfachs im Schrank zugedrückt. Als er die schwere Küchentür von außen zuzog, schloss er sie ordentlich ab. Als wolle er den Raum, in dem sich über Jahrzehnte das Leben der Familie abspielte, vor dem bewahren, was kommen würde.

Dann sah ich sie nur noch von hinten, wie sie, auf dem Fuhrwerk sitzend den Hof verließen. Alle sechs. Ihre Rucksäcke hielten sie fest umklammert. Das war jetzt alles, was sie noch hatten. Reinhold hatte schützend einen Arm um die Kleinste gelegt, während er mit dem anderen das Gefährt lenkte. Dann verschwanden sie aus meinem Blick.

Wenn ich es könnte, ich würde die Fenster aufreißen, nur, um ihn noch besser sehen zu können. Er ist jetzt schon nahe am Haus und wie es aussieht, hat er die Haustür ausgespäht, die irgendwann einmal aufgebrochen wurde. Ich sehe, wie er sie aufzieht, abwartet und sich dann doch hineintraut.

Ich warte und hoffe. Wird er den Weg zu mir finden? Wenn ich richtig damit liege, wer er ist, und ich bin mir sicher, dann wird er wissen, wie er die Tür zur Küche aufbekommt. Schließlich ist er ein Teil von Reinhold, meinem geliebten Reinhold.

Dann höre ich Geräusche vor der Tür, ein Schlüssel, der ins Schloss gesteckt und umgedreht wird. Er hat das Versteck des Schlüssels also tatsächlich gefunden. Und so schnell. Wahrscheinlich ist die Diele über die Jahre morsch geworden, sodass er es leicht hatte ihn zu finden.

Ich zittere vor Aufregung.

Dann schwingt die Tür langsam auf und er steht im Türrahmen. Direkt vor mir. Spätestens ist jeder Zweifel ausgeschlossen. Ich sehe ihn an. Und ich rieche ihn.

„Reinhold “, denke ich, „Du hast mich nicht vergessen.“

Ich bin glücklich.

Er betritt jetzt die Küche, schaut sich um, orientiert sich. Sein Blick bleibt auf dem alten verrosteten Herd hängen. Er geht zu ihm hinüber, berührt ihn mit den Fingerspitzen, vorsichtig, als fürchte er, ihm wehtun zu können. Genauso macht er es bei dem Schrank aus grobem Holz, der sich in den vielen Jahren eine ansehnliche Staubschicht zugelegt hat. Er zieht die Klappe des Brotfachs auf, schaut kurz hinein und drückt sie dann wieder zu.

Dann geht er zu dem großen Esstisch, wisch in einem kleinen Bereich die Platte frei und zieht den massiven Stuhl davor etwas in den Raum hinein. Die Sitzfläche säubert er gründlicher, bevor er sich darauf niederlässt. Der Staub oben auf der Rückenlehne scheint ihn nicht zu stören.
Er sitzt mit geradem Rücken da und hat seine Hände auf die Tischplatte gelegt. So, wie Reinhold immer dort gesessen hat. Auf demselben Stuhl.

Er schließt die Augen, atmet flach, so, als wolle er die Luft nicht verwirbeln. Vielleicht lauscht er, aber es ist still im Raum. Selbst die Fenster, die sonst bei jedem Windhauch klappern, verhalten sich ruhig.

Und dann passiert, was ich niemals für möglich gehalten hätte. Er saugt die Luft in der Küche mit einem tiefen Atemzug ein und – stutzt. Wie von der Tarantel gestochen springt er auf, schaut sich um, geht in jeden Winkel des Raumes und schnuppert. Er riecht etwas, das ihm vertraut ist.

Er hat mich entdeckt.

„Oma“, sagt er mit zittriger Stimme „ich rieche deinen Geruch. Das ist ja Wahnsinn. Ich bin hier in deiner alten Küche und kann dich riechen.“

Er muss schluchzen, setzt sich zurück auf den Stuhl und hat Tränen in den Augen. Dann weint er wie ein kleiner Junge.

Es sind die Erinnerungen, die ihn überwältigt haben. Dann sagt er endlich wieder etwas. Ich höre ihm zu und sauge jedes Wort auf.

„Ich hätte nie gedacht, Oma, dass ich den Duft deiner Haut noch einmal riechen würde.“

Er schweigt für einen Augenblick, zieht wieder prüfend die Luft durch seine Nase, während seine Gedanken in eine längst vergangene Zeit reisen.

„Ich war sechs Jahre alt, als du gestorben bist. In der Nacht, bevor ich eingeschult wurde. Bis kurz davor warst du es, die immer für mich da war. Ich erinnere mich noch gut, dass mich der Duft deiner Haut noch lange begleitet hat. In Träumen, aber auch, wenn ich wach war. Er war für mich ein Wohlgeruch, ein Aroma, auf das meine Schleimhäute reagierten. Doch als ich erwachsen wurde, verlor sich dieses Empfinden. Ich habe oft nach ihm gesucht, hätte es gerne noch einmal erlebt, ihn aber nicht mehr gefunden. Dass ich ihn jetzt, so unerwartet doch noch fand, ist für mich wie ein Wunder, das mich mehr als glücklich macht.“

Er hält inne, sitzt mit feuchten Augen da und genießt die Erinnerungen an seine geliebte Oma.

An Selma.

Und an mich.

Denn ich bin der Duft ihrer Haut, eine unaufdringliche Mischung aus Schweiß, Seife und ein wenig Parfüm.

Reinhold hat mich geliebt, wie sein Enkel auch, dessen Namen ich noch nicht einmal kenne, aber der mir so vertraut ist.

< >

Ich bin der Duft

Ich bin immer da

Ich provoziere

Ich errege

Ich beruhige

Und manchmal töte ich

Ich bin der Duft

Ich bin immer da

Zwischen wenig und nichts, so viel

Riechst Du mich? Ein Hauch von mir, gerade so viel, dass Du meinst etwas zu erkennen, aber zu wenig, um mich zu bestimmen erreiche ich Dich wie einen Traum an den Du Dich erinnern willst, es aber nicht kannst weil die jeder Gedanke zerfällt, bevor er sich vollends zeigt.

Meine Artgenossen sind da nicht so sensibel, der Schweiß, die Säure, das Feuer. Sie dringen ungefragt in Dich ein, wollen Dich vertreiben, in die Flucht schlagen, an einen Ort wo sie selbst nicht sind.

Ich bin die Sonne, der Regen, die Nacht. Bei mir kannst Du verharren. Du musst nicht vor mir fliehen, da wo ich bin, kannst auch Du sein.

Suche einen Ort, an dem es leise ist, schließe Deine Augen, tanze und atme. Dann riechst Du mich!

Die Besucherin

Da ist er wieder.
Endlich.
Wie lange habe ich auf ihn warten müssen.

Ich rappelte mich hoch, noch halb zwischen Traum und Wirklichkeit. Dann setzte ich mich auf seine Spur. Es war nicht weit. Die dritte Türe auf der linken Seite musste es sein. Als ich durch den Türspalt schlüpfte, hüpfte mein Herz. Hier war ich richtig, ohne Zweifel! Voller Vorfreude sog ich den köstlichen Duft, der mir entgegen waberte, in meine Nase. Den Duft des Lebens.

Der alte Mann auf dem Bett hatte die Augen nur halb geöffnet. Ich bin nicht sicher, ob er mich sah. Und ob er etwas dagegen hatte, dass ich ihn besuchte. Aber das war mir auch egal.

Mit einem Satz war ich auf dem Bett und kletterte auf seine Brust. Der Duft war nun so stark und erregend, dass ich es kaum erwarten konnte, ihn restlos in mich aufzunehmen.
Plötzlich spürte ich, wie eine matte, kalte Hand nach mir griff. Versuchte, mich wegzuschieben. Doch jeder Atemzug ließ mich stärker werden. Mühelos widerstand ich den schwachen Abwehrversuchen.

Nach ein oder zwei Minuten der Herrlichkeit ließ der Duft nach. Es machte aber nichts, denn ich war vollkommen gesättigt. Fühlte mich energiegeladen wie in jungen Jahren.
Ohnehin würden sie gleich hereinkommen und mich vertreiben.
Ich täuschte mich nicht. Als ich vom Flur her Schritte und Stimmen hörte, sprang ich vom Bett und kauerte mich zusammen. Die Türe ging auf und zwei Frauen in hellblauen Kitteln kamen herein.

Die Ältere, die anderen nannten sie Schwester Lisa, fühlte den Puls des alten Mannes auf dem Bett.
„Er ist tot“, sagte sie nachdenklich.
„Habe ich es Dir nicht gesagt?“ sagte die andere Frau und zeigte auf mich.
"Immer kurz bevor einer unserer Sterbekandidaten uns verlässt, treibt diese Katze sich in seinem Zimmer herum.“

„Vermutlich spürt sie einfach, wenn es mit einem Patienten zu Ende geht“, sagte Schwester Lisa.
„Sie will nicht, dass jemand einsam stirbt! Tiere sind doch so einfühlsam!“
Jetzt richteten beide ihren Blick auf mich und musterten mich nachdenklich, aber nicht ohne Wohlwollen. Doch ihre Aufmerksamkeit interessierte mich nicht. Ich war völlig entspannt. Fühlte mich wie das junge Leben, obwohl ich für eine Katze schon ein beachtliches Alter erreicht habe.

Nun werde ich mich wieder in meine warme Ecke neben der Heizung im Schwesternstützpunkt zurückziehen. Und warten. Warten, bis mir erneut der Duft des Lebens in die Nase zieht und mich zu einer stärkenden Mahlzeit einlädt.

Es duftet

Es riecht. Es betört. Ganz bezaubernd. Tief einatmen. Die Vorfreude steigt. Süßer Apfel, brauner Zucker, Zimt, Karamell. Wie fantastisch es doch riecht. Der Geruch aus der Küche. Nicht Zitronenfrische, nicht Antikalk oder Spülmittel. Es ist etwas Essbares, dass sich ankündigt und frohlockt. Noch eine Nase nehmen. Ich stehe in der Küchentür. Der Geruch wird stärker. Die Augen sind geschlossen. Ich sehe sie vor mir. Groß und rund, rotbäckig und saftig. Bratäpfel. Sie schworen in ihrem eigenen Saft. Wie lange es wohl noch dauert. Das Wasser läuft mir im Munde zusammen. Tief einatmen. Doch ich merke, ich bin nicht allein. Der Geruch hat meine Kinder herbeigelockt. Ich bremse sie an der Tür. „Was riecht hier so gut?“ Ein Fingerzeig auf den Ofen. Ein Grinsen in ihren Gesichtern ist die Antwort. „Wie lange noch?“ Ich weiß es nicht. Der Blick zu meiner Frau, die am Küchentisch sieht und uns mit einem Schmunzeln beobachtet. „15 Minuten.“ So lange. Denke ich die Kinder sprechen aus. „Och, Mann.“ Ich streiche ihnen über den Kopf. „Ich rufe euch, wenn es so weit ist.“ Damit sind sie auch schon wieder verschwunden. Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als ich meine Frau ansehe. Ich atme den Duft immer noch tief ein. „Willst du in der Tür stehen bleiben.“ Scherzt sie. „Nur noch einen Moment.“ Die Süße, die Wärme, ihr Lächeln. Ich bin in meiner Kindheit. Nur einen Augenblick. Meine Großmutter bäckt ihre leckeren Bratäpfel. Es ist das gleich Rezept. Ich muss lächeln. Grinsen. Und es ist ansteckend. Ein kleines Stückchen Glück in Form eines Apfels.

Om Shrim Namah

Ich bin unsichtbare Schönheit. Ihr alle kennt mich. Die älteren unter Euch haben mich anders erlebt, als junge Menschen heutzutage.
Verlangen bestimmt das Leben. Es muss sinnlich und schön sein. Die Natur hat euch wundervolle Wesen deshalb mit den fünf Sinnen beschenkt und bietet damit eurem Körper Nahrung in Hülle und Fülle für ein freudvolles Leben. Nur wenn Körper, Geist und Seele im Einklang sind, stellt sich Glückseligkeit als innere Wahrheit ein.
Denkt an die Freude, die ihr empfindet, wenn ihr einen seidenen Stoff berührt, die Blütenblätter einer Rose betrachtet, eure Lieblingsmusik hört, oder den Geschmack eurer Lieblingsspeise wahrnehmt. Jeden einzelnen Tag sucht ihr doch nach Momenten der Erfüllung. Euer Leben wäre ohne Wünsche und Sehnsüchte grau in grau.
Die Gesellschaft versucht, mich mit Schuldgefühlen zu behaften, dabei bin ich doch ein großes Geschenk der Natur. Die einen sagen: „Hier riecht es himmlisch“, die anderen, „hier riecht es ekelig.“ Man erlebt mich also über den Geruchsinn. Kommen wir zur Sache: Früher, als es in Autos noch keine Gurtenpflicht gab und auch keine Hochsitze, haben neugierige Kinder ihre Nase überall hineingesteckt. Sie haben an der Tankstelle das Fenster runtergekurbelt, um genau zusehen zu können, was die Erwachsenen da treiben. In dem Moment habe ich sie erwischt! Ich war eine Quelle der Freude für kleine Kinder, die sich nach dem Genuss meines Aromas nichts Schöneres hätten vorstellen können, als Tankwart zu werden. Damals hat es aber noch nicht so viele Autos gegeben. Inzwischen ist der Besuch einer Tankstelle etwas, das Scham hervorruft. Die meisten Kinder wissen nicht einmal, dass es mich gibt. Habt Ihr es erraten? Ich bin das Aroma von sich verflüchtigendem Benzin. Und ich bin ein Geschenk der Natur. Dufte ich himmlisch, oder findet ihr mich ekelig?.

Duftend

Sag mal ,Mensch, warum magst du mich nicht ?

Wenn deine Freunde mich nicht mögen, okay.

Aber du?

Denkst du, ich merke es nicht, wie unangenehm es dir ist, wenn sich ihre feinen Nasen rümpfen?

Nasen, die permanent in chemischen Wolken stecken, olfaktorisch reizüberflutet mit künstlichem Odeur.

Ich bin das einzig Natürliche, das dir geblieben ist, nachdem du dem Alkohol und den Zigaretten abgeschworen hast.

Nichts und niemand wird uns trennen.

Wir sind eins.

Ich bin du, bin deine reine Biologie.

Stolz solltest du auf mich sein und nicht versuchen, mich zu verdrängen.

Ich bin der Lohn deiner Mühen und Anstrengungen.

Nicht umsonst heißt es : Ohne Fleiß kein Schweiß!

Ursache und Wirkung

Als menschlicher Schweiß bin ich vollkommen geruchlos. Erst die individuelle Bakterienmischung meines Menschen gibt mir die unverwechselbare Note und trägt dazu bei, dass sich jemand in meinen Tollpatsch verliebt. Das zu bewerkstelligen ist nicht leicht. Mein Mensch scheut körperliche Arbeit, zum Sport motiviert er sich eher widerwillig, aber wehe er riecht sich selbst, da bekämpft er mich unter der Dusche mit Wasser und Shampoo oder an der trockenen Luft mit Deo. Kurz gesagt: Er bemüht sich ständig, mir ins Handwerk zu fuschen, doch es ist vergebliche Liebesmüh, er kann mich nicht übertünchen. Ob vom Discounter oder Edelmarke, da hilft auch kein Parfüm.

Die Näschen der Weibchen sind feiner. Männer lassen sich öfter täuschen und verwirren, aber das weibliche Geschlecht folgt unbeirrt dem Riechorgan. Sie nehmen das Aroma meines Menschen unterschwellig wahr (also mich) und je exotischer ich im Vergleich zu ihrem Körperduft bin, desto eher sind sie bereit, sich mit meinem Menschen zu paaren. Deshalb wurde ich auch erst nach seinem Eintritt in die Pubertät entwickelt und nicht bereits zu seiner Geburt. Den meisten Menschen ist all das nicht bewusst, aber ich liebe die Wirkung, die ich auf Frauen habe: Ich mache sie rollig. Mein Mensch sollte mir daher dankbar sein und mich nicht verteufeln.

Obacht, er hat gerade eine fruchtbare Schönheit gewittert. So ganz nutzlos ist sein Zinken also nicht.

Wie bitte?! Ich bin ein Verlieb-dich-in-mich-Faktor, ein Geschenk der Biologie, also sag meinem Menschen nicht, er stinkt, du blöde Bitch!