Rose
Vor drei mal hundert Tagen war der Rote Tod in die Halle des Fürsten gekommen. Die Bewohner des Schlosses hatten geglaubt, ihn ausperren zu können Sie hatten sich sicher gefühlt, hinter den dicken Mauern, dem steinernen Bollwerk, den hohen, unbezwingbaren Türmen und lachten der Gefahr. Doch der Rote Tod war mitten unter sie getreten, die Lachenden, die Tanzenden, die sich dem Trunk und dem Spiel hingaben, in nimmer endender Verzückung und Ekstase. Und wie er unter ihnen wandelte, da rochen sie die Fäulnis, die seinen Kleidern anhaftete, und wie sie ihn im Tanze streiften, stach ihnen der Moder der Gruft in die weit geöffnete Nase. Er berührte sie alle, hüllte sie ein in seinen fleckigen, roten Mantel, dem der süßliche Duft der Verwesung entstieg und einer nach dem anderen sanken die Tanzenden in den Staub und der Saal wurde still wie das Grab.
Drei mal hundert Tage waren seitdem vergangen. Nun war der junge Fortunato Schlossherr, der Neffe des verblichenen Fürsten. „Ich will“, dachte jener bei sich, „diese elende Gruft verschließen. Mit Sand will ich sie auffüllen lassen und das Tor der Halle mit schweren Ketten sichern, auf dass niemals mehr der Rote Tod hier sein Gift ausatmet.“
Gesagt, getan. Die vom Todeshauch durchströmte Halle wurde mit Ketten gesichert und auf immer verschlossen. Niemand sollte sie jemals wieder betreten.
Wie sollte der Rote Tod von dort entweichen? Er war besiegt.
So vergingen die Tage und niemand im Schlosse dachte noch an das Grauen von damals oder an den Roten Tod. Der aber dachte gar nicht daran, sich geschlagen zu geben und als er das ganze Land durchstreift hatte und die Pestilenz auf Lungen und Leiber jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes gelegt hatte, fand er sich abermals vor den Toren des Schlosses ein. Dort stand er mit von Fäulnis umwehtem Mantel und begehrte Einlass. Sein Pesthauch umstreifte die Mauer doch fand er nirgends ein Schlupfloch um einzudringen. Mit fieberglitzerndem Gesicht schleuderte er seine Stimme zu den Wällen hinauf und wer sie vernahm, verging schier vor Furcht, denn jedermann wusste, der Tod selbst klopfte dort unten an.
Fortunato aber lachte nur, wie schon sein Oheim vor ihm gelacht hatte, als der Rote Tod einst an seine Pforte klopfte. Und lachend wandte er sein junges Haupt die Brüstung hinab dem Tore zu. Doch wie er hinabsah, war die Gestalt im blutroten Mantel verschwunden. Allein ihr Verwesungsgeruch kroch noch um die Zinnen.
Die Nacht war düster und kalt und der Schlossherr war froh, am nächsten Morgen das güldene Licht der Sonne zu sehen. Er stieg die Brüstung hinauf und blickte hinunter. Von der Schreckensgestalt der letzten Nacht war nichts mehr zu sehen. „Er ist fortgegangen“, dachte er, „er hat eingesehen, dass es für ihn hier kein Durchkommen gibt. Ich bin nicht so töricht mir Besucher einzuladen, wie es mein unglückseliger Oheim vor mir getan hat. Mag die Welt draußen zu Grunde gehen, ich lade niemanden ein ins Schloss zu kommen; keinen Gaukler, denn der Rote Tod könnte auf dem Metall seiner Schellen sitzen und auch keine Tänzerin, in deren faltenreichen Gewändern der Rote Tod leicht Unterschlupf findet. Fortan“, sprach der junge Fortunato“, geht hier niemand mehr ein und aus. Die Tore bleiben fest verschlossen.“ Guter Dinge begab er sich in den Festsaal, denn heute sollte sein Geburtstag sein. Den wollte er festlich und feierlich mit seiner ganzen Familie begehen, dem Roten Tod zum Trotze, der dort draußen wütete.
ZU der Feier waren viele Gäste aus dem Schlosse geladen, niemand von außerhalb. Fortunato begrüßte sie alle und nahm ihre Geschenke entgegen. Bald hatten alle ihre Gaben überreicht, wobei er die Geschenke seiner Kinder besonders pries, nur seine jüngste Tochter, ein zartes Küken im Alter von sechs Sommern, blieb noch übrig. Schüchtern presste sie sich an den Leib ihrer Mutter.
Fortunato bedachte sie mit einem Lächeln. „Komm, zu mir mein Lämmchen“. rief er und breitete die Arme. Das Kind, das Rose hieß und zart und zerbrechlich wie die Blume war, dem es seinen Namen verdankte, eilte auch flugs auf den Papa zu und flog in Fortunatos Arme. Das süße Geschöpf spielte mit des Vaters Bart und strahlte ihn aus himmelblauen, glänzenden Augen an, die Wangen gerötet vor Glück. Ihre kleinen Hände bargen etwas. „Ei, mein Lieb, mein Herzblatt“, rief Fortunato voller Freude und strich dem kleinen Mädchen liebevoll über den rotblonden Schopf , „was bringst du mir denn da?“ Ein Lächeln spielte um die Lippen des Kindes und es streckte die Hände vor. Die kleinen Finger hielten eine Rose. Und was für eine schöne Rose das war! Tiefrot, wie der Purpur von Fortunatos Mantel mit dunkleren Flecken, wie vergossenes Blut. Da ging sein Herz über vor Freude ob des wunderbaren Geschenkes und tief sog er den Duft der Rose ein. „Hmm, was für ein Duft, süß und schwer zugleich. Sag mein Lämmchen, wo hast du diese Rose gefunden? Hast du sie in unserem Garten gepflückt?“
„Nein, Vater“, sagte das Kind voll reiner Unschuld, „da war ein Mann, der hat sie mir gegeben.“
„Ein Mann sagst du?“ fragte Fortunato, „wie sah er aus?“
„Ei“, rief da das Kind, „er trug einen Mantel, der war so rot wie diese Blume hier. Er stand vor unserem Tor und sah sehr traurig aus. Er sagte, er dürfe nicht hinein, du erlaubst es nicht. Aber da doch dein Geburtstag ist und ich auch Rose heiße, schenkt er dir diese Rose hier, durch mich.“
Und wie das Kind dies sagte, veränderte sich der Duft der Blume, die Fortunato zitternd in den Händen hielt, und was zuvor so süß wie Honig geduftet hatte wurde nun überlagert von einer anderen, schwereren Süße, die aus dem Kelche kroch, die Süße der modrigen Fäulnis des Grabes. Und als der junge Schlossherr, erbleichend schon, die roten Pusteln auf der Hand seines jüngsten Kindes sah, da erkannte er mit Schrecken, was sie ihm als Geschenk gebracht hatte. Und der Rote Tod, der sich im Blütenzelt der Rose verborgen hatte, stieg empor.