Seitenwind Woche 3: Dufte

Zeit-Wanderer

„Mhm“, ich mag diese Wärme, die sich aus Hitze wandelt. Sicher eingeschlossen und umhüllt, warte ich auf meinen Moment. Ich weiß, mein großer Aufritt wird kommen, so ist es immer schon gewesen. Jahrhunderte vor diesem heutigen Tag war ich schon vieles, Ruhe und Sturm, hart und weich, meine Nuancen sind unzählbar. Ich bin einer von Billionen in ebenso vielen Variationen. Ich bin ein Wanderer durch Zeit und Raum, auf der Suche nach Sinnen zum Beflügeln. Ich erwecke Erinnerung im gleichen Maße wie deine Träume.
Was, das glaubst du nicht?
Vielleicht findest du dich an einer Kuchentafel wieder, zwischen duftenden Apfelkuchen und sonnenverwöhnten Erdbeerboden.
Oma lacht, als sie dir ein kleines Sahnehäubchen von der Nasenspitze wischt.
Ich könnte dich aber auch auf eine Picknick Decke bringen. Weißt du noch, wie entspannt du die Wildblumen und Gräser bei ihrem Tanz beobachtest hast, während ich um dich wehte? Oder damals, als du mit deiner große Liebe und mir nach einer sehr kurzen Nacht völlig übermüdet, aber glückselig aufgewacht bist. Das war ein wundervoller Morgen. Ich konnte mich so schön verbinden, mit all den anderen Düften um uns herum, wie dem der ersten Sonnenstrahlen auf warmer Haut.
Wir können auch noch etwas weiter zurück in der Zeit gehen. An diesen einen Tag, an dem du das erste Mal ganz alleine zum Bäcker durftest. Wie stolz du die frischen Brötchen auf alle Teller verteilt hast. Papa half dir dann beim aufschneiden und beim verteilen der samtigen Marmelade, denn bei warmen Brötchen geht das nicht ganz so einfach. Mama lächelte zufrieden, als sie euch dabei beobachtete. Auch ich genoss diesen Morgen sehr und ich könnte ewig in diesem Moment durch die Luft segeln. Ich liebe es einfach viel zu sehr, mich mit all den anderen Aromen in perfekter Harmonie zu finden.

Oh, oh, aber genug von mir, gleich ist es so weit! Ich muss mich konzentrieren, meine ganze Energie sammeln. Es geht los, es kracht und knackt, raucht, blubbert und zischt. Die letzte Barriere fließt dahin und Dampf katapultiert mich in die Luft - ich bin frei! Ich fliege und gleite, steige auf und lausche deinem ruhigen Atem, umspiele deine Sinne. Sagte ich dir nicht, auch du wirst zum Zeitreisenden werden, warum sonst steckte deine Hand gerade in der Keksdose wie damals. Nun ist es für mich jedoch an der Zeit zu gehen. Ich lasse mich davon tragen von der frischen Morgenluft. Leicht gehalten vom Nebel der die Wasseroberfläche küsst. So winke ich dir zum Abschied und beobachte, wie du verträumt mit deiner Kaffeetasse in der Hand am Ufer stehst. Deine Silhouette wird kleiner und immer kleiner. Ich sage dir nun Adieu, bis zur nächsten Erinnerung! Dein Kaffee Duft.

DIE ENTMIEFUNG

Mieter!
Wie sie sich mit ihren gichtigen, alten Fingern an ihre billigen Wohnungen krallen!
Wohnungen in seinem Haus!
Alles hatte er probiert. Mieterhöhungen. Reparaturen verzögert. Dunkle Gestalten in das Haus geladen. Doch gebracht hatte das alles nichts.
Aber diesmal zeigte er es ihnen. So richtig.
Weil: Gestank, den hielt keiner aus.
Selber schuld. Sie hätten ja auch den Anstand haben können, zu kündigen. Oder rauszusterben. So wie so viele vor ihnen.
Mit einem schwungvollen Tritt beförderte er den dritten Schweinekopf in den Luftschacht.
Unerträglich, der Gestank.
Und doch genoss er ihn.

Fünf Wochen später.
Er stemmte die knarrende Eingangstür, die nur noch an einer Angel hing, auf.
Der Verwesungsgestank war erbärmlich. Aber darum würde er sich später kümmern.
Jetzt galt es erstmal, den Triumph zu genießen. Ihn gehörig auszukosten. Dass seine letzten Mieter aufgegeben haben. Dass er sie los war. Diese zähen alten Luder hatten ihn lang genug geärgert. Länger, als erhofft.
Doch jetzt waren sie verduftet.
Acht Millionen. Zum Greifen nahe! Endlich!

Das Hallen seiner Schritte im leeren Flur. Die dunklen Gänge. Der Luftzug aus den leicht geöffneten Türen der verwaisten Wohnungen. Das Tropfen aus undichten Leitungen. Musik in seinen Ohren.

Selbst im Keller regierte der Gestank. Auch hierhin war er gekrochen. Er, der letztlich die alten Bewohner vertrieben hatte. Neue aber hatte er angezogen.
Dieses Trippeln und Trappeln unzähliger kleiner Füße. Das Haus war zu neuem Leben erwacht.
Mit blankem Entsetzen starrte er in die Dunkelheit, und mit einem Mal wusste er, wen der Geruch vergammelnder Schlachtabfälle angelockt hatte.
Seine Hilfeschreie verhallten ungehört.
Er war allein.
Mit tausenden hungriger Ratten…

Duft der Kiefern

Hinkend betritt sie das Grundstück. Hält inne und atmet seufzend ein. Diese hohen Kiefern. Dieser feuche Boden. Es duftet überall nach Waldboden. Sie mag Wälder doch es fröstelt sie hier. Was war das nur?
Ihre einseitige Lähmung scheint in die andere Hälfte ihres Körpers zu kippen. Dieser Schwindel. Er macht sich noch mehr in ihr breit als sonst. Unbeholfen hält sie sich am Gartentor fest. Eine Nacktschnecke kriecht behäbig in ihr Blickfeld. Zu allem Übel drückt sich Ekel in ihre Kehle.

Eine leichte Brise weht meinen Duft zu ihr herüber. Ich spüre wie sie in sich zusammenfällt. Ihre Wangen hängen tiefer als sonst. Die Furchen auf ihrer Stirn bilden tiefe Gräben in ihrer Haut. Eine verschwitzte Strähne fällt ihr in die Stirn. Sie ist …ein Häufchen Elend. Es betrübt mich. Mein Duft erfreut die meisten Menschen. Doch dieses alte Mütterchen scheint zusammenzubrechen. Immer wieder.

Die Frau an ihrer Seite schliesst das Tor. Sie wohnt hier. Atmet ebenfalls tief ein. Hmmm. Dieser Duft nach Kiefern und moosigem Waldboden. Ihre Schultern richten sich auf. Sauerstoff durchströmt ihre Lunge. Hmmm es ist mein Duft. Ich liebe ihn!
Seit vier Jahren beobachte ich das jedes Mal wenn sie ihr Grundstück betritt. Ich scheine sie zu betören.
„Ach, ist dieser Waldduft nicht herrlich? Ich schöpfe soviel Kraft aus diesem Ort. Er ist einfach magisch!“
Beschwingt hakt sie sich bei ihrer schwerkranken Mutter unter. Sie weiss, dass der erste Schritt hierher für sie immer schwer ist. Dass ihre Kindheit an diesem Ort sehr einsam war. Und dass der Duft der Kiefern sie jedes Mal an diese Not erinnerte.
Doch das legt sich meist wieder. Gelächter ist im Haus zu hören und irgendwo ganz hinten klappt laut eine Tür. Der Schein der Lichterkette lässt erwartungsfroh ans Weihnachtsfest mit der Familie denken. " Oma!" piepsen zwei Kinderstimmen im Chor und ihre näherkommenden Schritte gleichen eher Hufgetrappel. Sie geben ihr soviel Halt. Ein dankbares Lächeln huscht über ihre Lippen und lässt ihr Gesicht durch die Lähmung unbeholfen wirken. Doch ihre Augen leuchten…

Das Zeichen

Das Feuer wärmte sie von vorne, während ihr Rücken von einer sanften Kühle berührt wurde. Seit Stunden saß Sabrina hier, das Gesicht in die Hände geschmiegt, die angewinkelten Arme auf die Knie gestützt. Die feuchten Tränenspuren trockneten durch die Wärme des Feuers so schnell, dass sie sie hätte vergessen können, wäre da nicht der Schmerz gewesen.

Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr, und mit zitternden Lippen rang sie nach Luft. „Ich sehe dich“, flüsterte sie. Hier am Feuer waren die Erinnerungen so lebendig, als wäre er immer noch bei ihr. Wenn sie lange nicht blinzelte und die Tränen ihre Sicht trübten, konnte sie Leons Gesicht im Feuer sehen.

Wie viele Stunden hatte sie so verbracht? So viele! Es war ihr Trost und Fluch zugleich. Sie wusste, sie musste loslassen. „Nur noch dieses eine Mal“, flüsterte sie, „versprochen.“ Doch allein der Gedanke ließ sie erschauern.

Noch einmal riss Sabrina die Augen weit auf. Sofort flossen die Tränen, aber irgendetwas war anders, etwas irritierte sie. Verwirrt hielt sie inne. Es war ein kühler Hauch, der ihr Gesicht berührte. Kühl, sogar von vorne, das konnte nicht sein. Da! Wieder spürte sie die sanfte, fast zärtliche Berührung und diesmal mischte sich die Nuance eines Duftes darunter, die ihr ohne Vorwarnung in die Nase stieg.

Erschüttert schloss sie die Augen. „Lenny!“ Es war nur ein Gedanke, kein Laut kam über ihre Lippen, es wäre ohnehin nur ein Krächzen gewesen. Ohne etwas dagegen tun zu können, sog sie tief den Atem ein und nahm den vertrauten Geruch in sich auf. Wider Erwarten entspannte er sie, füllte sie volkommen aus und linderte den Schmerz. Tief in ihrem Inneren berührte dieser Duft sie auf eine Weise, die etwas in ihr zum Einrasten brachte, als würde in einem einzigen, berührenden Augenblick alles wieder an seinen Platz zurückkehren und heilen.

Sabrina wischte sich über das Gesicht und schaute noch einmal ins Feuer. Dann stand sie auf und kehrte ihm den Rücken zu.

„Danke“, rief sie laut in die Dunkelheit. Sie hatte dieses Zeichen gebraucht. Dieses eine Zeichen, das ihr die Gewissheit gab, dass er bei ihr war. Es gab ihr die Kraft, die sie brauchte, um im Gedenken an ihn und doch allein in die Zukunft zu gehen.

L’odeur de möff

Es ist eng und dunkel hier. Mühsam arbeite ich mich durch die engen Gänge. Ich muss an den unterschiedlichsten Massen vorbei. Zum Teil sind sie sehr bröckelig, fast schon hart. Andere wiederum sind eher weich. An sie möchte ich mich anschmiegen und verweilen. Sie haben ein herrliches Aroma. Egal, welche Konsistenz die Massen, an denen ich mich vorbeischlengele auch haben, ihr Aroma sauge ich gierig in mich auf. So werde ich jeden Zentimeter, den es mich vorwärts schiebt, immer schwerer und satter. Wo es mich hinschiebt, weiß ich nicht. Es ist mir auch egal. Hauptsache es geht vorwärts und ich kann mich immer mehr mit diesen herrlichen Aromen vollsaugen.
Ich bin hier nicht alleine. Es gibt andere wie mich. Manche noch ganz klein. Sie sind plötzlich da, wie aus dem Nichts tauchen sie auf. Andere sind so groß und schwer wie ich oder sogar größer. Manchmal ist es so eng, dass wir zusammengedrückt werden. Dann werden wir eins. Das ist schön, denn so werde ich schnell größer und ich bin nicht mehr alleine. Ab und an halten wir an. Das finde ich nicht so gut. Es ist eng hier und mitlerweile bin ich so groß, dass die Enge hier fast schon weh tut. Ich muss weiter!
Und dann, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung werde ich rasant nach vorne geschoben. Ich schreie auf vor Vergnügen. Der Weg ist frei und mit einem lauten Knattern stürze ich ins Freie. Es ist gleißend hell und die Aromen hier draußen sind so anders als in den dunklen Gängen. Ich breite mich aus, verbinde mich glücklich mit den Aromen um mich, werde von ihnen getragen und kann mich so ungehemmt entfalten. Ich bin glücklich.
„Igitt, was stinkt das hier?“, höre ich eine empörte Stimme. „Hast du einen fahren lassen?“
Ja, schön oder…

Ein besonderer Duft

Dieses Jahr ist schnell vergangen und schon wieder beginnt die Weihnachtszeit.

Endlich werde ich aus einer Kiste herausgeholt ,lag da schon zu lange in diesen miefigen Keller, eingepfercht in eine winzige Flasche nur darauf wartend dass ich befreit werde.
Wie ich mich darauf freue meinen wohltuenden Duft mein beruhigendes Aroma in die Welt zu setzen.
Es ist wieder diese besondere Zeit im Jahr gekommen und wie jedes Jahr wird eines meiner Fläschchen an eine glückliche Familie weitergegeben.
Da war ich nun auf einem großen Weihnachtsmarkt mit vielen Ständen und noch mehr Menschen, die noch ihre letzten Weihnachtseinkäufe erledigten.
Dieses Jahr sollte ich wieder verschenkt werden, wie die letzten Jahre davor auch, immer ein kleines Fläschchen mit einem schön Weihnachtlich bedruckten Etikett.
Es duftet herrlich nach frischen Lebkuchen, süßen Plätzchen, Zuckerstangen, Punsch und Maronen, aber mein Duft ist was besonderes mein Duft lässt die Menschen all ihre Sorgen vergessen.
Und weil ich so besonders bin, werde ich nur einmal im Jahr verschenkt, und dabei nicht an irgendjemanden, nein die Familie die mich bekommt wird immer sorgfältig ausgesucht.
Endlich ist es soweit, eine Mutter mit ihren zwei Kindern und ihren Mann der sich vollgepackt mit Weihnachtseinkäufen abschleppt, kommen zu unserem Stand und sehen sich die vielen verschiedenen Duftöle und Kerzen an. Sie kaufen eine Aromalampe, in solch einer kann ich mich besonders gut Präsentieren.
Dann schauen sie noch nach bestimmten Duftölen aber können sich nicht entscheiden, daraufhin reicht der Mann vom Stand mich in meiner winzigen Flasche zu ihnen rüber

,Hier die ist ein Geschenk, aber erst zu Weihnachten aufmachen."

Die Mutter bedankt sich und lässt mich in ihrer Handtasche verschwinden.
Am Weihnachtsabend stehe ich nun da im Vorzimmer, neben der vom Stand gekauften Aromalampe und warte auf meinen Einsatz.
Es wird gegessen, getrunken und Weihnachtslieder spielt es im Radio auf und ab. Die Kinder warteten schon voller Vorfreude darauf das dass Glöckchen läutet und sie ihre Geschenke bekommen. Als es dann so weit war sind die Kinder gleich losgestürmt zu einen sehr farbenfroh geschmückten Weihnachtsbaum unter dem die Geschenke lagen.
Alle Geschenke wurden ausgepackt und auch gleich damit gespielt.
Ein schöner Weihnachtsabend.
Endlich ist es soweit, die Mutter greift nach meinem Fläschchen und träufelt eine schöne Menge von mir in die Aromalampe, dann zündet sie die Kerze unter mir an und geht ins Bett.
Alle sind eingeschlafen und ich kann jetzt endlich mein ganzes Aroma in der Wohnung freisetzen.
Mein Duft schlich unter den Türspalten hindurch in die Schlafräume und sorgte für schöne
Träume, atmet mich ein durch eure Nasen, räuspert euch im Schlaf, spürt ihr es ?
Dieses immer und immer enger werdende Gefühl in eurer Brust wenn ihr es riecht wenn ihr es schmeckt, ist es schon zu spät.
Mein bitterer Geruch von Mandeln in euren Nasen und mein süßer Geschmack von Marzipan auf euren Zungen, lassen euch all eure Sorgen vergessen, schlaft und träumt meine lieben, eure Sorgen sind Geschichte.

Frohe Weihnachten.

Leben

Was für eine Freude, wieder einmal hier sein zu dürfen! Fast immer waren meine Bestandteile da. Jeder Geruch allein zu schwach, sich ein Aroma zu nennen. Sie haben gedöst, gebockt, geschlafen. Aber vor allem haben sie … gewartet.

Nun ist es so weit. Sie dürfen sich zu mir vereinen. Ich bin der Duft dieses einen Menschen. Das große Aroma. In der Lage, eine wunderbare Aufgabe zu erfüllen.

Es war klar, als sie vorhin durch die Tür kam. Weinend. Frierend. Verzweifelt. Verloren setzte sie sich auf einen Küchenstuhl. Schiefte leise.

Ich musste helfen. Checkte die Möglichkeiten, rief meine Gerüche zusammen. Wir schmiedeten unseren Plan. Meisterhaft für ein paar Lebensmittel.

Die Vanille ist mein aromatischster Bestandteil. Sie startete. Zwängte sich mit aller Macht durch einen schmalen Spalt der Küchenschublade, sprang auf einen Luftzug und strömte Richtung Schniefnase. Es dauerte nicht lange, bis die wohlbekannte Kettenreaktion startete.

Schniefi suchte meine Komplizen zusammen. Sie mischte mit flinken Bewegungen Mehl, Ei und Salz. Rührte gedankenverloren in einem Topf mit heißer Milch, Zucker und Vanille. Beruhigte sich.

Während sie nun Mehlklöße in die heiße Süßigkeit gleiten lässt, entstehe ich. Ihr liebstes Aroma. Ihr Tröster, ihr Retter. Ich bin einfach und schon immer da.

Ihre Oma hat mich erfunden. Bei den kleinen und großen Tragödien war ich dabei. Aufgeschlagene Knie, gemeine Freundinnen, der erste verlorene Job – ich habe alles von dieser Frau gesehen.

Ich bin ein Lebensaroma. Mein Name? Tröste-Essen. Freut mich, dich kennenzulernen.

Die Dunkelheit

Ich ziehe durch die Straßen von London. Es ist dunkel und kalt. So wie ich es liebe. Einige Menschen laufen durch die engen Gassen, unwissentlich, dass dies ihre letzten Momente auf Erden sein könnten. Es gibt Legenden über mich. Alle paar tausend Jahre erinnere ich die Menschen daran, dass diese wahr sind. Nicht zu oft, damit die Menschen anfangen mich als Mythos zu betrachten. Um so schöner ist der Schrecken, wenn ihnen klar wird, das ihre Gruselgeschichten wahr sind.

Das letzte Mal war vor zweitausend Jahren. Es war eine Nacht wie diese. Damals verschlug es mich nach Rom. So viele Menschen waren in der Nacht unterwegs. Nur vereinzelte ließ ich am Leben, damit sie meine Geschichte weitergeben konnten.

Zurück zur Gegenwart… Habt ihr euch je gefragt, wie die Dunkelheit riecht und was die Dunkelheit überhaupt ist? Ich werde es euch zeigen. Da vorne steht eine Gruppe junger Männer. Fünf um genau zu sein. Ich nähere mich. Ein komischer Gesichtsausdruck ist auf ihren Gesichtern zu erkennen. Jetzt fangen sie an es zu riechen. Den modrigen Gestank von Tod und unendlicher leere. Panik steigt in ihnen auf, während ich überlege wie viele von Ihnen ich mit mir reißen soll. Ich entscheide mich dafür, dass drei eine gute Zahl ist. Die anderen beiden bekommen so die Gelegenheit die anderen zu warnen. Mir macht es mehr Spaß, wenn sie Angst haben. Ich umhülle die Männer, genieße den Ausdruck purer Angst in ihren Augen. Sie versuchen zu fliehen, doch ich lasse sie nicht. Meine auserkorenen Opfer ziehe ich in die Dunkelheit. Es ist die gleiche Zeit, der gleiche Ort, nur ist jeder einzelne von Ihnen von mir umhüllt, sieht nichts mehr und fühlt sich allein. Mein Geruch ist ihr einziger begleiter. Niemand kann sie sehen. Keiner kann ihnen helfen. Sie gehören für den Rest ihres erbärmlichen Lebens mir.

Ich ziehe weiter. Schon auf der Suche nach den nächsten ahnungslosen Menschen.

  • Mein Name ist Sara.

  • Unsinn, Düfte haben keine Namen. Es sei denn, sie werden von der Industrie benutzt, um die Menschen in die Irre zu führen. Düfte sind nichts weiter als subjektiv angenehm empfundene Gerüche.

  • Sei nicht so streng.

  • Bin ich nicht. Ich halte mich nur an die Fakten. Gerüche sind olfaktorische Wahrnehmungen. Sie sind Interpretationen von Sinneserregungen, die von Chemorezeptoren der Nase an das Gehirn übermittelt werden.

  • Du Armer. Du rezitierst nur lexikalisches Wissen. Es ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Glaube mir, ich bin Sara. Im Übrigen, du riechst nach gar nichts. Bist du darum so verbittert?

  • Ich und verbittert? Du weißt wohl nicht, mit wem du es zu tun hast. Ich bin der Wind, die Bö, der Luftzug. Ohne mich wärt Ihr nichts. Ich aber komme herum. Ich sage dir, was hier Entzücken auslöst, stinkt am anderen Ende Welt zum Himmel.

  • Lass uns nicht streiten. Komm, ich beweise dir, wer ich bin. Sei so lieb und trage mich in das Zimmer dort. Dann werden wir sehen.

Die Tür zum Zimmer 101 im „Hospiz der Barmherzigen Schwestern“ steht einen Spalt weit offen. In einem Bett am Fenster liegt ein Mann. Er hält die Augen geschlossen und atmet unregelmäßig. Er stirbt. Neben dem Bett, auf einem Stuhl sitzt sein Sohn, hält seine Hand und weint still vor sich hin. Er weiß, dass sein Vater sterben wird. Weiß auch, dass es den Vater erlösen wird. Was den Sohn aber traurig macht, ist, dass der Vater den letzten Weg im Dahindämmern allein gehen muss.

In diesem Augenblick, hebt der Vater ein wenig den Kopf, öffnet die Augen und blickt in Richtung der Tür. Der Sohn springt erschrocken auf, stützt dem Vater den Kopf.

  • Paps, was ist los? Beruhige dich.

Der Vater sieht den Sohn an und lächelt dankbar.

  • Sie ist gekommen. Siehst du, ich habe Recht behalten. Meine Schwester Sara ist gekommen, um sich von mir verabschieden. Ich danke dir, mein Sohn, dass du sie geholt hast. Jetzt kann ich beruhigt gehen.

Der Luftzug zieht sich beschämt zurück und lässt Sara noch einen Augenblick im Raum stehen, bis Stille einkehrt und der Geruch des Todes sie sanft aus dem Raum schiebt.

Der Duft Thailands

Ich sah die vier Fremde aus dem Hotel kommen, Langnasen oder Frangs wie die Thai‘s weiße Europäer und Amerikaner nennen. Die unsicheren und erstaunten Blicke lassen erahnen das es der erste Besuch in Thailand ist. Die Fremden tauchten mit langsamen und vorsichtigen Schritten in eine neue Welt, eine Welt die sie zunächst mit Augen und Ohren wahrnehmen.

Ihre ersten unsicheren Schritte entlang der Straße begleitet ich mit den eher unangenehmeren Gerüchen der unzähligen Motorräder, der sich jedoch bereist an der nächsten Straßenecke, die in eine belebte Seitenstraße führt, mit dem Duft vom Jasmin und Sandelholz vermischt. Geisterhäuschen und kleine Altäre sollen die Hausgeister mit ihren Opfergaben aus duftenden Blütenketten, Räucherstäbchen, Speisen und Getränken milde stimmen und vor dem Haus halten.

Der Duft nach Jasmin verstärkt sich mit jedem Schritt vorbei an den Verkaufsständen mit den allgegenwärtigen Blumengirlanden. Ich forme mich mehr und mehr zu einem unsichtbaren Schleier der sich durch die Straße windet und in die Nasen der Fremden dringt.

Der Geruch der Garküchen am Straßenrand, die exotischen Aromen der Gewürze, der Geruch von frischer Ananas die kunstvoll ihrer Schale beraubt und als frischer Snack von Handkarren angeboten wird, fügt dem unverkennbaren Duft Thailand eine weitere Komponente hinzu.

Mit jedem Schritt tiefer in das Gewirr von Menschen, Geschäften, Verkaufsständen und Restaurants werde ich komplexer. Ich füge meinen Geruch den Duft von Gewürzen und Kräutern, von Meeresfrüchten und exotischen Fischsoßen, von auf Holzkohle gegrilltem Lobster und Tiger Prawns mit glasierten Knoblauchscheiben in zerlassener Butter hinzu.

Ich ziehe durch die Straße in Richtung Meer, der Duft einer Meeresbriese vervollständigt meinen Duft und veranlasst die Fremden in einem der Restaurants mit Blick auf die Andamanensee Platz zu nehmen.

Ein freundlicher junger Mann fragt in gebrochenem Englisch „do you want to eat something?
Eine der der beiden Frauen antwortet auf einem ebenso gebrochen Englisch „Am liebsten alles was man hier riechen kann, der junge Mann lacht und antwortet, that’s impossible, that is the smell of Thailand.

Nasenweis

Bin der Duft

der Pappel entrissen

vom Wind verwirbelt

auf den Weg geleitet.

Auf gelben Teppich schreiten

Gedächtnisnotizen erwecken

vom Ufergang

mit der Mutter.

Schritt um Schritt

im Herbst des Lebens

dem Kolumbarium zu

süßlich säuerlich atmen.

Knospet wieder

nasenspitz

zurückversetzt

zu duftender Wiederkehr.

© Willi Volka

Himmlisches Aftershave

Frischer Zitrusduft steigt mir auf dem Weg zur Arbeit in die Nase. Ich halte inne. Es kommt mir so vertraut vor, dass ich schlucken muss. Dieser Fremde vor mir riecht nach seinem Aftershave. Der Wind, der diese spezielle Kombination aus Zitrus- und Lavendel zu mir trägt, regt mein Herz an, fester zu schlagen. Unweigerlich versetzt mein Hirn mich an einen anderen Ort, in eine andere Zeit.

Mit der Kraft eines Bären überfällt er mich mit seiner Umarmung. Keine Möglichkeit mehr zu atmen. Meine Füße heben vom Boden ab. Der Brustkorb so gequetscht, dass es eigentlich nicht mehr möglich sein sollte zu reden. Trotzdem gelingt mir ein Lachen. Ich stemme meine Hände gegen seine Brust. »Du zerdrückst mich!«, presse ich mehr schlecht als recht hervor.
Die Umarmung wird noch einen ticken fester. Seine Wange, die trotz frischer Rasur rau ist, kratzt an meiner Schläfe. Endlich lässt er locker und stellt meine Füße zurück auf den Boden. Nach Luft schnappend sehe ich auf. Sein breiter Schnurrbart wippt bei der Bewegung seiner zuckenden Mundwinkel. Die Augen hinter der Brille schauen mich voller Schalk im Nacken funkelnd an.

Meine Kollegin tätschelt mir den Arm. »Alles okay bei dir?«
Ich räuspere mich. »Klar.«
Ihr folgend atme ich noch einmal den zitronigen Duft tief durch die Nase ein.
Meine frühere Angst, diesen Geruch zu vergessen, war berechtigt. Ich kann ihn nicht künstlich in meinen Gedanken hervorrufen, wenn ich an meinen Vater denke. Doch andersherum scheint es zu funktionieren. Als würde er mir aus dem Jenseits eine wahrhaft fühlbare Umarmung schenken, wenn ich am wenigsten damit rechne.

Rette den Aromabaum

Aurelia stand mit sorgenvoller Miene vor Etwas, das aussah wie ein riesiger Baum.
Er erstreckte sich fast bis in den Himmel hinauf, doch dies war kein normaler Baum. An jedem Ast hing eine bunte Kugel aus Glas, die verschiedene Arten von Blüten enthielt. Jede verströmte einen anderen Duft.

Aurelia war die Wächterin über den Aromabaum.

Moonshadow, das Einhorn trat schnaubend an Aurelia heran.

„Was hast du denn?“ fragte er sie, dabei schüttelte er seine glänzende, regenbogenfarbene Mähne.

Seraphina, Aurelias Assistentenfee kam herangeflogen.

„Der Aromabaum verliert immer mehr Blüten“ antwortete Seraphina.

Aurelia seufzte.

„In der letzten Zeit ist es mehr geworden, die Menschen interessieren sich überhaupt nicht mehr für Düfte, sie nehmen sie kaum noch richtig wahr“ erklärte sie.

Seraphine nickte zustimmend.

„Mit jedem Duft, der verloren geht, verliert der Baum weiter Blüten, bis er irgendwann ganz kahl ist“ fuhr Aurelia fort.

Moonshadow blickte erschrocken auf.

„So ernst?“ fragte das Einhorn.

„Ich fürchte, ja“ sagte Aurelia seufzend.

Plötzlich hörten sie hinter sich ein Ächzen und Stöhnen, gefolgt von einem dumpfen „klonk, klonk“

„Aurelia, da bist du ja“ sagte eine rauhe, tiefe Stimme hinter ihnen.

Es war Eulalia, die Vorsitzende des Ältestenrates der Lichtwesen.

Sie kam auf ihrem hölzernen Stock gestützt herbei gehumpelt. Ihr silbergraues Haar fiel ihr dabei immer wieder ins Gesicht.

Aurelia drehte sich zu ihr um.

„Eulalia, du hast mich gesucht?“

„Ja, mein Kind, der Rat und ich wir haben eine Möglichkeit gefunden, den Aromabaum zu retten. Doch das wird keine einfach Aufgabe werden. Du wirst die Hilfe von Seraphina und Moonshadow brauchen“, erklärte sie.

„Ich bin ganz Ohr“ piepste Seraphina aufgeregt.

„Ihr habt nicht viel Zeit, ihr müsst ein spezielles Kraut im Mondschein pflücken, das gibt es nur ein einziges Mal in 100 Jahren. Heute um Mitternacht ist es wieder soweit. Außerdem muss dieses Kraut mit der Kraft eines Einhorns gepflückt werden. Bringt mir dieses Kraut, ich werde daraus einen speziellen Duft kreieren. Seraphina wird dann diesen Duft überall verteilen. Aurelia, du wirst ihr dabei helfen.“

„Das ist ja genial“ sagte Aurelia beeindruckt.

Moonshadow schnaubte zustimmend.

„Das schaffen wir!“ sagte er.

„Moonshadow, du musst aber bis Mitternacht wachbleiben“ sagte Seraphina besorgt.

„Na und, das wird schon gehen“ sagte Moonshadow gespielt beleidigt, warf seine Mähne theatralisch nach hinten und reckte sein Horn in die Höhe.

Gesagt. Getan.

Die drei machten sich um kurz vor Mitternacht auf, um an die Stelle zu gelangen, die Eulalia ihnen auf eine Karte gezeichnet hatte.

Sie erklommen einen steilen Hügel, bis sie an einem murmelnden Bächlein Halt machten, das im Mondschein glitzerte.

„Ab hier musst du alleine weiter, Moonshadow“ sagte Aurelia.

„Aber es ist nicht mehr weit, halte dich einfach an diesen Pfad hier“ sie zeigte auf die Karte und Moonshadow verstand.

Dann machte sich das Einhorn auf den Weg.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er zurück.

„Und hat es geklappt?“ fragte Aurelia erwartungsvoll.

Moonshadow wieherte zustimmend und zeigte ihnen den Korb, in dem er das Kraut deponiert hatte.

„Dann schnell zurück zu Eulalia“ sagte Aurelia und die drei machten sich auf den Rückweg.

Sie klopften an die Tür des Holzhauses, in dem Eulalia wohnte.

Sie hatte bereits ein Feuer entfacht, auf dem ein großer gusseiserner Kessel stand, in dem eine angenehm riechende Flüssigkeit blubberte.

In der Welt der Blüten und Düfte, höre meinen Zauber, der Liebe und Schutz verpflichtet. Mit der Kraft der Wurzeln so tief, erwecke die Lebenskraft, die im Baumessenzwunder schlief. Lass die Blüten erstrahlen im Glanz des Lichts, die Blumen erblühen im Duft des Verheißungsvollsten. So sei es!“ rief Eulalia aus, nachdem sie das Kraut entgegen genommen und in den Kessel geworfen hatte.

Eine immer weiter wachsende Blume stieg aus dem Kessel empor.

„Seraphina nimm die Blume und verteile den Duft überall“ befahl Eulalia und Seraphina tat, wie ihr geheißen.

„Aurelia, öffne das Lichttor, damit Seraphina den Duft verteilen kann“ rief sie Aurelia zu.

Aurelia schloss die Augen. Dann entfachte sie einen gleißend hellen Lichtstrahl, Seraphina flog hindurch auf die andere Seite. Währenddessen holte Eulalia eine Glaskugel und sie konnten beobachten, wie die Welt sich mit einem glitzernden und rosafarbenen Dunst füllte.
Sie konnten sehen, wie die Menschen ihre Nasen nach oben reckten und den Duft einsogen.

Seraphina leistete ganze Arbeit.

Schließlich standen sie alle wieder vor dem Aromabaum, der in voller Pracht vor ihnen erstrahlte. Die Glaskugeln füllten sich mit bunten Blumen und Blüten, es roch wunderbar.

„Es hat geklappt!“ freute sich Aurelia, Moonshadow wieherte zufrieden und schüttelte seine bunte Mähne.

Seraphina erschien und Aurelia schloss wieder die Augen, um das Lichttor zu schließen.

Die Fee atmete schwer.

„Das wird keine leichte Aufgabe“, japste sie völlig außer Atem.

„Ich bin stolz auf euch alle drei“, sagte Eulalia anerkennend.

„Der Aromabaum blüht wieder“ freute sich Seraphina.

„Wir müssen die Menschen nur regelmäßig daran erinnern, ihre Sinne einzusetzen“, sagte Eulalia und da waren sich alle einig.

Der kleine Laden

Die verwinkelte Marktpassage in der östlichen Innenstadt war bereits seit vielen Jahren mein Zuhause. Ich konnte mich nicht mehr an den Moment erinnern, an dem ich in den wohl kleinsten Laden im ganzen Viertel eingezogen war. Eines Tages war ich einfach hier. Woher ich kam und ob ich für immer hierbleiben würde, wusste ich nicht.
Früher hatte ich oft versucht, meinen Körper zu strecken. Mich so weit auszudehnen, dass ich die vornehmen Boutiquen und glitzernden Kaufhäuser im Zentrum der Passage aus der Nähe hätte betrachten können. Aber meine Kraft hatte nie bis dahin gereicht. Auf der linken Seite schaffte ich es lediglich bis vor die Tür der Filiale einer billigen Drogeriekette. Die penetranten Gerüche nach Shampoos und Duftkerzen, die dort in regelmäßigen Abständen aus der automatischen Schiebetür strömten, waren allerdings schwer zu ertragen. Wenn mir heutzutage nach ein wenig Abwechslung zumute war, zog ich das kleine Antiquariat rechts neben unserem Laden vor. Dort duftete es höchstens dezent nach ein bisschen Staub und Papier. So gut wie keine Konkurrenz und daher ein guter Ort, um ein wenig herumzulungern und dem ein oder anderen potenziellen Kunden verlockend in die Nase zu steigen.
Ich warf gerade einen neugierigen Blick durch das Schaufenster mit den ausgelegten alten Büchern, als mich das leise Piepen einer abgelaufenen Küchenuhr aufhorchen ließ. Voller Vorfreude huschte ich zurück nach Hause, über die schmale Theke und durch das gekippte blinde Fenster in die kleine Backstube hinein. Der alte Mann war gerade dabei, sich die dicken Ofenhandschuhe überzuziehen. Ich kam also genau zur rechten Zeit. Verzückt sah ich zu, wie er die Backofentür öffnete und ein großes Blech Käsegebäck aus dem Ofen zog. Ich atmete tief ein und nahm den wunderbaren Duft in mich auf. Käsebrötchen mit Paprika, Schinken und Champignons – eine meiner Lieblingssorten. Ein paar Minuten später kribbelte ich voll neuer Energie und begann, mit meinen frisch aufgesogenen Düften herumzuspielen. Eine Prise Röstaroma hier, eine würzige Note da – schon hatte ich einen unwiderstehlichen Hauch beisammen.
Meine Freude über die herrlichen Kompositionen sollte jedoch nicht lange andauern. Die Luft draußen vor dem Laden fühlte sich kühl und klamm an. Immer wieder sausten listige Windböen durch die Gasse, zogen an meinen geliebten Düften und schleiften sie mit sich fort. Bei dem schlechten Wetter kamen kaum Passanten vorbei. In den vergangenen Stunden hatte ich nur zwei Personen anlocken können. Beide hatte der alte Mann freundlich angelächelt, als er die Brötchen in Papiertüten verpackte und über die Theke reichte. Aber kaum waren sie außer Sicht, schlichen sich die Sorgenfalten zurück auf seine Stirn.
Entschlossen, dem Wind nicht auch noch meine restlichen Aromen zu überlassen, kauerte ich mich hinter der Glasscheibe direkt über der ausgelegten Backware zusammen und beobachtete die Handvoll Menschen, die in der Ferne vor den Ein- und Ausgängen der beliebten Geschäfte zu sehen waren. Hier entlang, wollte ich ihnen zurufen, kommt herüber! Doch Stunde um Stunde verging und niemand kam.

Der Mond stand mittlerweile am Himmel und die Laternen warfen ihr Licht auf das graue Kopfsteinpflaster, als sich schließlich ein junger Mann mit schwarzem Anzug und einer Aktentasche dem Laden näherte. Ich merkte auf – das war für heute womöglich meine letzte Gelegenheit. Hoffnungsvoll schickte ich ihm einen verführerischen Duft entgegen, der ihn an der Nase kitzeln sollte. Der Mann nahm einen tiefen Atemzug und seine müden Augen begannen zu glänzen. Er trat näher heran und betätigte die kleine Klingel, die auf der Ladentheke stand.
Der alte Mann eilte aus der Backstube und fragte: „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ich hätte gerne ein Käsebrötchen.“
„Kommt sofort.“
Der junge Mann kramte in seiner Aktentasche und zog eine Geldbörse hervor. Er legte die passenden Geldstücke auf die Theke und schien einen Moment in seinen Gedanken zu versinken.
„Hier bitte.“ Der alte Mann streckte ihm die Tüte mit dem Brötchen entgegen.
„Danke“, der junge Mann räusperte sich, „darf ich Ihnen eine Frage stellen?“
Der alte Mann nickte.
„Ich bin als Kind einmal von zu Hause weggelaufen. Nachdem ich den halben Tag ziellos durch die Stadt geirrt bin, habe ich mich dort vorne auf die Bank gesetzt und geweint. Nach einiger Zeit hat mich eine ältere Frau angesprochen und mir ein Käsebrötchen geschenkt. Das roch genauso wie Ihre hier. Ist das möglich?“
Der alte Mann dachte nicht lange nach. „Ja, das klingt nach meiner Frau. Wir haben den Laden früher gemeinsam geführt.“
„Ich bin ihr sehr dankbar. Sie hat mich mit Worten getröstet, an die ich mich auch heute noch in schlechten Zeiten erinnere. Als ich zurück nach Hause kam, war dann auch alles nur halb so schlimm.“
„Das hätte sie sicher gefreut.“
„Wie dem auch sei“, der junge Mann lächelte verlegen, „meine neue Arbeit liegt gleich um die Ecke. Wenn Sie morgen Abend geöffnet haben, komme ich wieder vorbei.“ Er hob die Tüte zum Abschied und wandte sich zum Gehen.
„Dann bis morgen!“ Der alte Mann lächelte.
Ein warmes Gefühl von Zufriedenheit und Stolz machte sich in mir breit.

Was riechst du eigentlich?

Die Luft ist heute besonders beladen. Die Feuchtigkeit nimmt mir den Platz weg, weshalb es mir schwerer fällt, mich auszubreiten. Da mir schon der Platz fehlt, muss ich mich eben intensivieren und stärkere Aromen aussondern.

Ich spüre eine Anwesenheit von drei Männern, sie scheinen sich mir zu nähern. Vielleicht erlaube ich mir heute mal wieder einen Spass. Zuerst schwebe ich um den einen der Männern herum und lasse ihn den Duft eines verfaulten Eis riechen.

„Wer von euch hat gerade geschissen?“ fragte er mit gerümpfter Nase.

Während die Drei sich nun darüber streiten, krieche ich ihm noch tiefer in Nase hoch und lasse mich mit der Luftfeuchtigkeit auf seiner Schleimhaut nieder. Schliesslich kann man die Wassermoleküle in der Luft ja für etwas nutzen. Jetzt hält er sich die Nase zu und zerdrückt mich komplett.

Um sie noch etwas mehr zu verwirren, lass ich meinen flüchtigsten Duft in Richtung der anderen beiden Typen los. Viele meinten es rieche nach Zwiebeln, doch eigentlich sollte das den Duft von Schweiss nachahmen. Habe ich die Nuancen falsch getroffen, oder liegt es an den Riechorganen der Menschen?

Ich bin da!

Ihr amüsiert mich. Denkt,
ihr könnt mich kontrollieren.
Dabei bin ich da. Immer.
Und ich bin mächtig …

So mächtig, dass Pisse, Kotze, vollgeschissene Windeln
euch sofort die Nasen kräuseln lassen.
Ihr wollt wegrennen.
Doch ich bin geduldig und vielfältig …

Im Urlaub überrasche ich euch mit dem
verführerischen Geruch von frisch gebackenen Brötchen.
Ihr lächelt, leckt euch die Lippen,
schlingt im Büroalltag das Brötchen dennoch nur hinunter.

Weil ihr selbst bestimmt:
Deo, Lotion, Parfüm, dazu
Shampoo, Duschcreme und Zahnpasta.
Kein Wunder, dass ihr euch nicht riechen könnt.

Dem Flakon entkommen

Geboren irgendwo in einer exquisiten Privatdestille in Grasse aus Jasmin, Orangen und Lavendel, verlebte ich meine Jugend in einem mundgeblasenen azurblauen Flakon, welches - für sich allein schon ein Kunstwerk -, mit mir im Herzen, oft hart an sich zu arbeiten hatte, um nicht zu überheblich und abgehoben auf Kundschaft zu wirken.
Viele nahmen mich in ihre behutsamen, erwartungsschwangeren Hände und tupften feine Kostproben meiner selbst auf edle Papierstreifchen und - in besonders schönen Momenten - direkt auf gepflegte, samtene Haut, um von dort ein seliges Lächeln in shoppingmüde Gesichter zu zaubern. Ich genoss dieses unbeschwert erotische Probieren meiner Essenz im Spiel mit verschiedenen Charakteren, Gefühlsmomenten und Spielarten der menschlichen Natur - hoffend und wissend - dass das Schicksal mich zu der Person führen wird, die passt und mich - oder besser gesagt, uns - Flakon inklusive - auch verdient für den gemeinsamen Tanz getragener Sinnlichkeit durch den Tag und Verheissung für die Nacht.
Dann endlich - so ersehnt, wie im Abschied vom unbeschwerten Gesellenleben der 1000 Frauen weh - fanden wir uns - Das Flakon und ich - in Angéliques Boudoir schön aufgestellt in Gesellschaft andere Fläschchen/Duft-Pärchen aufgereiht. Bestärkt durch ihr eigenes Spiegelbild hinter uns übernahmen die Flakons, ihrer Verantwortung zu gefallen voll bewusst, das Sagen, derweil wir Düfte demütig zusammengekauert ohne Mucks unserer eigenen verheissungsvollen EntfaltungsShow und sinnlicher Entfesselungs-Kunst entgegenfieberten…

Das Trio

Gebunden an eine Flüssigkeit, waren Sie zur Ruhe gekommen. Gelöst und entspannt schwappten sie nur wenig gegen den verzierten Flakon, während gleichzeitig alles still war um sie herum. Seit der Deckel die winzige Öffnung verschlossen und jene von ihnen eingesperrt hatte, die nicht rechtzeitig hatten entkommen können, war es leise. Sie störten sich nicht gegenseitig. Sie harmonierten.
Mandel hatte sich gefragt, wie mensch auf solch eine Idee hatte kommen können, als ihr das lachende Maiglöckchen hinzugefügt worden war. Nur um sie beide dann zu überraschen, als sich als Dritte, fliehend und frisch, Bergamotte zu ihnen gesellte. Bevor sie jedoch flüchten konnte, war der Deckel verschlossen worden und sie waren allein.
Und so harrte dieses unerwartete Trio nun aus, wartend, bis sich endlich wieder etwas in Bewegung setzen würde. Nur Bergamotte war nicht so geduldig, schlich an den Innenseiten des Verschlusses entlang und wollte sich nach draußen drängen, was Mandel gutmütig lächeln ließ. Sie war bodenständig – der Fond. Sie war geduldig und ruhig. Nicht wie flatterhafte Bergamotte, welche Maiglöckchen mit anstiften wollte, vor ihrer Zeit zu entkommen. Doch auch dieses wurde ihrer Position gerecht, vermittelnd und beruhigte Bergamotte, dass ihre Zeit kommen würde.
Der Flakon wackelte, brachte sie zum Schwanken und mischte sie untereinander, auch wenn Bergamotte bereits wieder hinauf drängte. Sie musste die Erste sein. Sie war der Auftakt – der Kopf von ihnen allen.
Kaum löste sich der zierliche Verschluss, als Bergamotte bereits nach draußen strömte, frisch und zitrisch, das grüne Gold versprühend, für welches sie so bekannt und verehrt wurde. Zielsicher löste sie sich bereits aus der Flüssigkeit, welche sie gebunden hatte, und strebte zu Nasen und Lippen, noch während der Flakon gekippt und wenige Tropfen glitzernd auf einen Finger perlten.
Maiglöckchen hob den Kopf und sah Bergamotte nach, welche sich bereits ihren Raum suchte, noch bevor elegante Finger sie mit den Tropfen anhoben und entlang des Halses auftrugen.
Wohlig schauernd streckten sich Maiglöckchen und Mandel in der zunehmenden Wärme, überließen aber erst einmal ihrer Gefährtin, der Kopfnote den Raum. Sie brachte Augen zum Leuchten und zustimmende, wohlwollende Laute kamen aus menschlichen Kehlen.
„Wunderbar!“
Bergamotte hatte ihre Aufgabe erfüllt. Sie hatte den Weg für sie drei geebnet und Zufriedenheit gestiftet. Aber so frisch und energisch ihr Aufstieg auch gewesen war, genauso rasch verlor sie sich. Zerstob und verebbte im Raum. Sie war wie eine Sternschnuppe gewesen, kurz und strahlend, um dann zu verglühen. Ohne Bedauern. Sie hatte ihren Auftritt gehabt.
Nun regte sich Maiglöckchen. Sie war die Blume unter ihnen. Sie war ihr Herz und sie bestimmte ihren Charakter, wurde dominanter und mit leichter Unterstützung der ruhigen Mandel breiteten sie sich auf warmer Haut aus. Ihre Trägerin nahm sie jetzt bereits nicht mehr bewusst wahr, aber das war nicht von Belang, denn sie wirkten. Und bewirkten, dass Lippen, welche gerade noch ihre Wange berührt hatten, tiefer glitten und für einen Moment dort verharrten, wo sie sich festgesetzt hatten.
„Hm, ich liebe deinen Duft.“
Diese wohligen Laute waren andere, als zuvor, kamen sie doch nicht von ihrer Trägerin und waren dennoch auf sie bezogen. Da waren sich Maiglöckchen und Mandel ganz sicher. Die beiden hielten den Kontakt zu der zweiten Person, banden sie an ihre Trägerin und verbrachten zwei, vielleicht auch drei Stunden zusammen.
Bis schließlich aber auch Maiglöckchen erschöpft war. Sie hatte ihr Bestes gegeben und verabschiedete sich mit letzten, zarten Noten, den Platz nun alleine für Mandel räumend.
Mandel war die Ruhe nach dem langen Abend. Nach der Frische von Bergamotte und der Blüte des Maiglöckchens versprach Mandel nun, nicht nur an der Haut, sondern auch in den Fasern der abgelegten Kleidung haftend, Ruhe und vertraute Nähe. Kleinere Hände griffen den Stoff und schnupperten hörbar, sodass Mandel sich Mühe gab, auch nach all den Stunden noch zu wirken.
„Das riecht nach Mama!“
Mandel war zufrieden. Sie gedachte ihrer Schwestern, während sie ihre letzten Nuancen an die Erinnerung der Kinder verteilte.

DER DUFT DES WESTENS

Ich bin einzigartig! Etwas ganz besonderes!

Wer von euch durfte mich kennenlernen?

Für wen war es Liebe auf den ersten Duft?

Keine Beschreibung wird mir jemals gerecht werden.

Ich bin eine ganz besondere Komposition aus vergangenen Zeiten.

Sobald die Tür meines Hauses,Intershop stand auf dem Schild,sich öffnete,kam ich geflogen.

Im Nu verströmte ich meinen Zauber in eure Nasen und entführte euch in eine andere Welt.

Eine Welt,die ihr niemals vergessen werdet. Dank mir.

Viele Düfte werden in eure Leben treten. Einige werden bleiben, andere werden für immer gehen.

Ich jedoch werde in euren Erinnerungen weiterleben…auf ewig

Nostalgie-Odeur

Die Tür öffnete sich, schwer und mit einem lauten Murren. Endlich kam jemand, um nach mir zu sehen. Das wurde auch Zeit. Ich ließ etwas von mir die Treppen hoch schleichen und in den Flur hinter der Tür weichen, damit vielleicht noch mehr Menschen daran teilhaben konnten. Ich wusste, dass nicht jeder Freude daran empfand, mich zu riechen, aber ich fühle mich dennoch in jeder Nase wohl, in jeder Lunge umso mehr. Jemand tapste die Stufen hinunter, gleich in dem großen Raum angekommen. Umso tiefer der Mensch hinein stieg, umso penetranter wurde ich und ich liebte es. Ich spürte, wie ich tief eingezogen wurde. Vermutlich war es das Kind. Sie war die Einzige, die so genüsslich tief atmete, wenn sie zu mir herunter kam. Alle anderen hielten fast die Luft an. Ich gab mir extra Mühe, mich noch stärker im Inneren ihrer Nase durchzusetzen und dann in ihrem warmen Körper. Ich wollte, dass sie sich für immer an mich erinnerte. So machte ich es immer, wenn sie mich besuchen kam und ich konnte fühlen, dass sie das genoss. Wenn ich mich richtig anstrengte, blieb sie immer noch einige Sekunden länger, bis sie dann nach oben gerufen wurde.

Sie ging die Treppe hinter Johann nach unten. „Hier riecht es aber stark nach Keller“, stellte sie fest, als die beiden im Untergeschoss ankamen.
„Ja, ‘tschuldige“, sagte Johann schnell. „Der Keller ist eben schon alt und daher ein bisschen modrig. Ich denke, das geht weg, wenn wir ihn mehr nutzen und mal angefangen haben zu renovieren“
„Nein nein!“ Sie schaute auf den Boden. „Ich mag das sehr.“ Sie spürte plötzlich eine tiefe Nostalgie in ihrer Brust aufkeimen, die sich schnell durch den ganzen Körper zog. „Meine Eltern hatten früher auch so einen alten Keller, dort roch es immer ganz besonders feucht. Ich habe gerne Zeit unten verbracht, irgendwie mochte ich den Geruch schon immer. Ist komisch, ich weiß.“
Die Nostalgie wandelte sich in Traurigkeit um. Sie vermisste das alte Haus ihrer Eltern, das mit dem Keller. Irgendwie hing sie schon immer speziell an dieser Etage, verbrachte später ihre halbe Jugend dort unten. Dieser Geruch gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Plötzlich fühlte sich Erwachsensein so schwer auf ihren Schultern an, all diese Emotionen überschwemmten sie, rissen sie mit wie ein nicht aufhaltbarer Tsunami. Natürlich wollte sie nicht vor Johann weinen, oder schreien, oder sich auf den Boden legen. Das wäre albern. Sie atmete also einmal tief durch, sog so viel des Keller-Aromas in ihre Lunge wie sie konnte, und fasste sich wieder. Sie wollte diesen Keller um alles in der Welt genau so behalten, wie er war.