Zeit-Wanderer
„Mhm“, ich mag diese Wärme, die sich aus Hitze wandelt. Sicher eingeschlossen und umhüllt, warte ich auf meinen Moment. Ich weiß, mein großer Aufritt wird kommen, so ist es immer schon gewesen. Jahrhunderte vor diesem heutigen Tag war ich schon vieles, Ruhe und Sturm, hart und weich, meine Nuancen sind unzählbar. Ich bin einer von Billionen in ebenso vielen Variationen. Ich bin ein Wanderer durch Zeit und Raum, auf der Suche nach Sinnen zum Beflügeln. Ich erwecke Erinnerung im gleichen Maße wie deine Träume.
Was, das glaubst du nicht?
Vielleicht findest du dich an einer Kuchentafel wieder, zwischen duftenden Apfelkuchen und sonnenverwöhnten Erdbeerboden.
Oma lacht, als sie dir ein kleines Sahnehäubchen von der Nasenspitze wischt.
Ich könnte dich aber auch auf eine Picknick Decke bringen. Weißt du noch, wie entspannt du die Wildblumen und Gräser bei ihrem Tanz beobachtest hast, während ich um dich wehte? Oder damals, als du mit deiner große Liebe und mir nach einer sehr kurzen Nacht völlig übermüdet, aber glückselig aufgewacht bist. Das war ein wundervoller Morgen. Ich konnte mich so schön verbinden, mit all den anderen Düften um uns herum, wie dem der ersten Sonnenstrahlen auf warmer Haut.
Wir können auch noch etwas weiter zurück in der Zeit gehen. An diesen einen Tag, an dem du das erste Mal ganz alleine zum Bäcker durftest. Wie stolz du die frischen Brötchen auf alle Teller verteilt hast. Papa half dir dann beim aufschneiden und beim verteilen der samtigen Marmelade, denn bei warmen Brötchen geht das nicht ganz so einfach. Mama lächelte zufrieden, als sie euch dabei beobachtete. Auch ich genoss diesen Morgen sehr und ich könnte ewig in diesem Moment durch die Luft segeln. Ich liebe es einfach viel zu sehr, mich mit all den anderen Aromen in perfekter Harmonie zu finden.
Oh, oh, aber genug von mir, gleich ist es so weit! Ich muss mich konzentrieren, meine ganze Energie sammeln. Es geht los, es kracht und knackt, raucht, blubbert und zischt. Die letzte Barriere fließt dahin und Dampf katapultiert mich in die Luft - ich bin frei! Ich fliege und gleite, steige auf und lausche deinem ruhigen Atem, umspiele deine Sinne. Sagte ich dir nicht, auch du wirst zum Zeitreisenden werden, warum sonst steckte deine Hand gerade in der Keksdose wie damals. Nun ist es für mich jedoch an der Zeit zu gehen. Ich lasse mich davon tragen von der frischen Morgenluft. Leicht gehalten vom Nebel der die Wasseroberfläche küsst. So winke ich dir zum Abschied und beobachte, wie du verträumt mit deiner Kaffeetasse in der Hand am Ufer stehst. Deine Silhouette wird kleiner und immer kleiner. Ich sage dir nun Adieu, bis zur nächsten Erinnerung! Dein Kaffee Duft.