Seitenwind Woche 3: Dufte

Willkommen zur dritten Perspektive von Seitenwind.

Deine Perspektive

Du bist ein Duft, ein Aroma, das durch die Luft schwebt. Wo immer du hinziehst, weckst du Emotionen und vielleicht sogar Erinnerungen.

Deine Aufgabe

Dringe in den Tag eines oder mehrerer Menschen ein. Du hast die Macht, intensive Gefühle auszulösen. Transportierst du jemanden in eine vergangene Zeit? Waberst du unappetitlich unter einem Türschlitz hervor? Entfessele eine heftige Reaktion mit deinem Kontakt.

Teilnahme
• Poste deinen Beitrag hier in diesen Thread bis Freitag, den 03.11.2023, 15:00 Uhr.

• Bitte gib nur einen Beitrag pro Wochenthema ab und verfasse ihn neu für die Perspektive. Falls du deine Geschichte lieber aus erzählerischer Perspektive schreiben möchtest, ist das auch OK. :wink:

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• Der beliebteste Beitrag wird mit einer Vollversion von Papyrus Autor 11 gefeiert! Zusätzlich verlosen wir ein weiteres Papyrus Autor 11 unter allen Teilnehmern.

• Details zur Schreibsaison: Seitenwind: Perspektiven. Deine Schreibsaison 2023

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:cloud: :nose:

Die Essenz vergangener Zeiten

Die Welt kennt meine Herkunft als raues, bernsteinfarbenes Getränk, aber ich bin weit mehr als das. Ich bin eine Symphonie aus gemälzter Gerste, Eiche und Zeit. Ich bin Schottland, Torf, und Rauch. Ich bin der Duft von Whisky.

Lange, zu lange, stand ich in einer vergessenen Flasche ich auf einem alten Eichenregal in einem abgedunkelten Raum. Von meinem Platz aus konnte ich das gedämpfte Licht des Kaminfeuers sehen, das durch mein Glas schimmerte und mich in seinen warmen Farbtönen tanzend widerspiegelte. Ich wartete. Ich reifte.

Gestern Abend kam mein Moment. Während draußen ein Gewitter tobte, betrat ein alter Mann den Raum. Seine Schritte waren bedächtig, sein Gesicht von Falten durchzogen, Zeugnisse der vielen Jahre und Geschichten, die er erlebt hatte. Er sah sich um, bemerkte die Flasche, stutze. Dann seufzte er und griff zu. Kühl lag mein Glas in seiner Hand, als er mich mit in den Ledersessel nahm, ein wenig von meiner Flüssigkeit in ein Glas goss und es an seine Nase hob. Mein Moment!

Ich hüllte ihn sanft ein und entführte ihn in die Vergangenheit. Er sah sich selbst als jungen Mann, lachend mit Freunden in einer Bar, die gleiche goldene Flüssigkeit in der Hand. Er erinnerte sich an die Nächte voller Musik, Tanz und unbeschwerter Freude. Dann wechselte die Szene, und er war an einem kühlen Abend an einem Lagerfeuer, teilte eine Flasche Scotch mit einem Kameraden im Krieg, suchte nach Trost inmitten des Chaos. Mehr Erinnerungen überfluteten ihn: Das Lächeln seiner verstorbenen Frau, als sie an ihrem Hochzeitstag auf ihn zukam, ein Glas Whisky in der Hand. Die stolzen Augen seines Vaters, als er ihm seine erste Flasche schenkte, sie mit ihm zusammen verkostete und ihm beibrachte, den Wert eines guten Tropfens zu schätzen.

Tränen bildeten sich in den Augen des alten Mannes. Nicht aus Traurigkeit, sondern aus einer tiefen Melancholie, einem süßen Schmerz, der Erinnerungen und Dankbarkeit vermischte.

Es war ein Geschenk, das nur ich ihm geben konnte.

Er legte das Glas nieder, schloss die Augen und ließ das Feuer ihn wärmen. Ich war wie ein alter Freund, der ihm zeigte, was für ein wunderbares Geschenk das Leben war. Mit all seinen Höhen und Tiefen.

Wie früher

Ich kenne meine Wirkung. Nie verfehle ich sie. Nur wahrnehmbar für jene, die mich kennen. Ich liege in der Luft, ohne Herkunft. Keiner weiß woher ich komme, stecke ich in dem grauen Linoleumboden? In den von Kinderhänden abgegriffenen Tapeten? Hinter der Tafel? Komme ich aus der Küche des Pausenverkaufs oder aus den offen stehenden Kindertoiletten? Vielleicht wehe ich vom Hof hinein oder krieche die Stufen vom Keller hinauf, in den sich nur die Mutigsten hinuntertrauten? Woher ich komme weiß niemand.

Aber wenn sie nach 10 Jahren, nach 20 Jahren, nach 30 Jahren, das Schulhaus betreten, in Gruppen, schick gemacht, denn die anderen sollen ja denken, dass etwas aus ihnen geworden ist, dann sagen sie: „Es riecht hier noch genau wie früher! Riechst du das? Wie damals!“ Und alle nicken und schwelgen in Erinnerungen an den Wasserkessel des Hausmeisters, aus dem er die Wiener Würstchen fischte. An heimliche Zusammenkünfte hinter der großen Linde, die da immer noch steht. An Angstschweiß, wenn die Jahreszeugnisse verteilt wurden. An gehäkelte Topflappen und mit Ölfarbe gemalte Zukunftsträume. Die Zukunftsträume, die sie immer noch haben, nur das die Zukunft nun schon da ist und ihr Leben ganz anders aussieht. Sie schleichen durch die Gänge. Flüstern, als müssten sie noch immer leise sein. Schielen verstohlen ins Lehrerzimmer, den Ort, der auch jetzt noch wie ein unergründliches Geheimnis auf sie wirkt. Ob der Gong noch genauso klingt wie früher?, fragen sie. Und ich begleite sie, begleite sie die Stufen hinauf und hinunter, helfe ihren Erinnerungen auf die Sprünge. Und wenn sie sagen: Jetzt gehen wir aber noch was trinken, nach all den Jahren!, dann begleite ich sie noch bis zu der doppelten Schwingtür. Und wie diese hinter ihnen zufällt, bin ich verschwunden.

Und niemand kann mich mehr ins Gedächtnis rufen, keiner könnte mich beschreiben, so besonders bin ich, so einzigartig.

Doch ich bleibe, keine Sorge, kommt nur wieder. Ich geh nicht fort.

Lavendel

„Schwester Inge?“
„Ja, Frau Winkelberg?“
„Ich habe Schweine in meinem Zimmer! Die müssen hier raus!“
„Schweine? Gestern war es noch ein Mann.“
„Den habe ich hinausgeschmissen. Er war Holländer. Ich habe kein Wort verstanden, von dem, was er gesagt hat.“
„Frau Winkelberg, Dr. Ludwig hat ihnen doch erklärt, dass sie Dinge sehen, die nicht da sind. Sie haben ein neues Medikament bekommen. Das muss erst wirken.“
„Wer ist Dr. Ludwig?“
„Ihr Psychiater.“
„Was soll ich mit einem Psychiater? Ich habe Schweine im Zimmer. Kommen sie endlich!“ Seufzend gab Schwester Inge nach. Frau Winkelberg würde keine Ruhe geben, ehe sie nicht die Schweinehalluzination zu ihrer Zufriedenheit gelöst hatte. Inge griff nach einem Besen. „Wo sind die Schweine denn?“
„Na, sind sie blind? Direkt vor ihrer Nase“, erwiderte Frau Winkelberg empört.
„Jetzt sehe ich sie“, gab Schwester Inge zurück, um Frau Winkelberg nicht weiter aufzuregen. Diese Biester wurden einfach aus dem Zimmer gekehrt.
Eine Viertelstunde später, Inge kochte gerade Milchsuppe für die Bewohner der Pflegestation, erschien Frau Winkelberg erneut. Ihre großen ödematösen Tränensäcke klebten an ihrer Brille.
„Inge, haben sie ein flaches Schälchen für mich?“
„Wofür? Haben die Schweine Durst?“
„Nein! Aber der Hund kann doch nicht aus der Flasche trinken!“
Schwester Inge nickte bedrückt. Demenz, wahnhafte Schizophrenie. Furchtbare Diagnosen. Eines jedoch brachte Frau Winkelberg meist in die Realität zurück. Der Duft von Flieder und Lavendel.
Sie führte die ältere Dame in ihr Zimmer zurück. Entzündete eine Duftlampe, träufelte Lavendelöl ein und setze sich zusammen mit ihr an den Tisch.
Kurze Zeit später legte sich ein zartes Lächeln auf Frau Winkelbergs runzelige Züge.
„Danke Inge. Genau das hat mir gefehlt. Manchmal ist mein Gehirn ganz vernebelt, aber wenn ich Lavendel rieche, weiß ich wieder, wer ich bin. Gerlinde Winkelberg, 91 Jahre alt, ehemalige Parfümeurin aus Regensburg.“
„Das ist schön, Frau Winkelberg“, erwiderte Inge erfreut.
„Schwester Inge! Sie müssen das Kind aus der Wand holen! Es schreit!“

Wahre Geschichte. Passiert 1992

Lautlose Gefahr & Rettung in letzter Sekunde

Ihre Nase zuckt im Schlaf, als ich sie erst nur vorsichtig kitzle. Sie zieht die Bettdecke näher an ihr Gesicht – fast, als wolle sie sich unbewusst vor mir verstecken. Dabei will ich ihr gar nichts Böses! Im Gegenteil: Ich will sie warnen! Denn es lauert Gefahr. Es wird Zeit, dass sie aufwacht.

Erneut kitzle ich sie an der Nasenspitze und ein leises, fast lautloses Husten entfleucht ihrem Mund. Nun werde doch endlich wach! Wieso gibt es hier denn keine Geräusche, die mich unterstützen könnten? Ich sehe, wie sich ihre Stirn kräuselt, dennoch schläft sie einfach weiter.

Frustriert, aber mit einem kraftvollen Schwung dringe ich in ihre Nase ein. Es kommt mir fast vor wie eine Achterbahnfahrt: An den kleinen Härchen am Eingang vorbei, da ist auch schon der Kehlkopf, die Luftröhre hinab und durch die Bronchien mitten in ihre Lungenflügel. Jetzt hustet sie richtig und bevor ich einen weiteren Gedanken fassen kann, hat sie mich in hohem Bogen aus ihren Bronchiolen und Lungenbläschen hinausbefördert. Endlich! Sie ist wach!

„Fuck!“, entfährt es ihr in lauter Panik, als sie mich schließlich bewusst wahrnimmt. Dann springt sie auf, rennt quer durch das Zimmer und greift zum Feuerlöscher.

Brainhacked?

Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Die Doku hat mich nachdenklich gemacht.

Düfte. Wie sehr sie uns beeinflussen. Dass man uns damit sogar manipulieren kann.

Ja, grundsätzlich war mir das schon irgendwie bekannt, davon hatte ich hier und da schon mal gehört. Aber dass sie so vielfältig und in unterschiedlichen Sektoren so bewußt eingesetzt werden, das hatte ich bisher nicht auf dem Schirm.

Grob gesagt, mit einem Duft ist es möglich, uns direkt ins Hirn zu kriechen. Uns quasi zu hacken. Das Wort passt tatsächlich wie die Faust aufs Auge. Und das fühlt sich garnicht gut an.

Von der Nase übers Schläfenhirn direkt zum Hypothalamus und ins limbische System? Alter! Ich bin weißgott kein Biologe, da hab ich es gerade mal auf eine beständige drei+ geschafft. Aber das hier hört sich garnicht gut an. Das riecht nach Gehirnwäsche, nach willenloser Marionette, nach hilflos nach der Pfeife eines anderen tanzen. Sozusagen an der Nase herumgeführt werden.

Uff. Das muss ich mir jetzt echt erstmal durch den Kopf gehen lassen. Ok. Ruhig atmen. Reiz-Reaktionszeit verlängern. Nichts wird so heiß gegessen wie gekocht.

Googeln wir doch erstmal. Geruch, Erinnerung, Manipulation. Da kommt doch sicher was.

Video-Duftspray. Duft als Sympatieträger. Neuwagenduft als Verkaufshilfe. Kriegsführung mit Stinkbombe. Bombenschnüffelnde Bienen. Geruch der Schlacht bei Waterloo.

Es wird immer absurder und ich verliere mehr und mehr die Orientierung.

Nanu? Was ist das? Ich hebe den Kopf und ziehe genüsslich den Duft durch die Nase ein. Hmmmmm, Kaffee! Und wie an der Schnur gezogen mache ich mich auf in die Küche.

Rose

Vor drei mal hundert Tagen war der Rote Tod in die Halle des Fürsten gekommen. Die Bewohner des Schlosses hatten geglaubt, ihn ausperren zu können Sie hatten sich sicher gefühlt, hinter den dicken Mauern, dem steinernen Bollwerk, den hohen, unbezwingbaren Türmen und lachten der Gefahr. Doch der Rote Tod war mitten unter sie getreten, die Lachenden, die Tanzenden, die sich dem Trunk und dem Spiel hingaben, in nimmer endender Verzückung und Ekstase. Und wie er unter ihnen wandelte, da rochen sie die Fäulnis, die seinen Kleidern anhaftete, und wie sie ihn im Tanze streiften, stach ihnen der Moder der Gruft in die weit geöffnete Nase. Er berührte sie alle, hüllte sie ein in seinen fleckigen, roten Mantel, dem der süßliche Duft der Verwesung entstieg und einer nach dem anderen sanken die Tanzenden in den Staub und der Saal wurde still wie das Grab.

Drei mal hundert Tage waren seitdem vergangen. Nun war der junge Fortunato Schlossherr, der Neffe des verblichenen Fürsten. „Ich will“, dachte jener bei sich, „diese elende Gruft verschließen. Mit Sand will ich sie auffüllen lassen und das Tor der Halle mit schweren Ketten sichern, auf dass niemals mehr der Rote Tod hier sein Gift ausatmet.“

Gesagt, getan. Die vom Todeshauch durchströmte Halle wurde mit Ketten gesichert und auf immer verschlossen. Niemand sollte sie jemals wieder betreten.

Wie sollte der Rote Tod von dort entweichen? Er war besiegt.

So vergingen die Tage und niemand im Schlosse dachte noch an das Grauen von damals oder an den Roten Tod. Der aber dachte gar nicht daran, sich geschlagen zu geben und als er das ganze Land durchstreift hatte und die Pestilenz auf Lungen und Leiber jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes gelegt hatte, fand er sich abermals vor den Toren des Schlosses ein. Dort stand er mit von Fäulnis umwehtem Mantel und begehrte Einlass. Sein Pesthauch umstreifte die Mauer doch fand er nirgends ein Schlupfloch um einzudringen. Mit fieberglitzerndem Gesicht schleuderte er seine Stimme zu den Wällen hinauf und wer sie vernahm, verging schier vor Furcht, denn jedermann wusste, der Tod selbst klopfte dort unten an.

Fortunato aber lachte nur, wie schon sein Oheim vor ihm gelacht hatte, als der Rote Tod einst an seine Pforte klopfte. Und lachend wandte er sein junges Haupt die Brüstung hinab dem Tore zu. Doch wie er hinabsah, war die Gestalt im blutroten Mantel verschwunden. Allein ihr Verwesungsgeruch kroch noch um die Zinnen.

Die Nacht war düster und kalt und der Schlossherr war froh, am nächsten Morgen das güldene Licht der Sonne zu sehen. Er stieg die Brüstung hinauf und blickte hinunter. Von der Schreckensgestalt der letzten Nacht war nichts mehr zu sehen. „Er ist fortgegangen“, dachte er, „er hat eingesehen, dass es für ihn hier kein Durchkommen gibt. Ich bin nicht so töricht mir Besucher einzuladen, wie es mein unglückseliger Oheim vor mir getan hat. Mag die Welt draußen zu Grunde gehen, ich lade niemanden ein ins Schloss zu kommen; keinen Gaukler, denn der Rote Tod könnte auf dem Metall seiner Schellen sitzen und auch keine Tänzerin, in deren faltenreichen Gewändern der Rote Tod leicht Unterschlupf findet. Fortan“, sprach der junge Fortunato“, geht hier niemand mehr ein und aus. Die Tore bleiben fest verschlossen.“ Guter Dinge begab er sich in den Festsaal, denn heute sollte sein Geburtstag sein. Den wollte er festlich und feierlich mit seiner ganzen Familie begehen, dem Roten Tod zum Trotze, der dort draußen wütete.

ZU der Feier waren viele Gäste aus dem Schlosse geladen, niemand von außerhalb. Fortunato begrüßte sie alle und nahm ihre Geschenke entgegen. Bald hatten alle ihre Gaben überreicht, wobei er die Geschenke seiner Kinder besonders pries, nur seine jüngste Tochter, ein zartes Küken im Alter von sechs Sommern, blieb noch übrig. Schüchtern presste sie sich an den Leib ihrer Mutter.

Fortunato bedachte sie mit einem Lächeln. „Komm, zu mir mein Lämmchen“. rief er und breitete die Arme. Das Kind, das Rose hieß und zart und zerbrechlich wie die Blume war, dem es seinen Namen verdankte, eilte auch flugs auf den Papa zu und flog in Fortunatos Arme. Das süße Geschöpf spielte mit des Vaters Bart und strahlte ihn aus himmelblauen, glänzenden Augen an, die Wangen gerötet vor Glück. Ihre kleinen Hände bargen etwas. „Ei, mein Lieb, mein Herzblatt“, rief Fortunato voller Freude und strich dem kleinen Mädchen liebevoll über den rotblonden Schopf , „was bringst du mir denn da?“ Ein Lächeln spielte um die Lippen des Kindes und es streckte die Hände vor. Die kleinen Finger hielten eine Rose. Und was für eine schöne Rose das war! Tiefrot, wie der Purpur von Fortunatos Mantel mit dunkleren Flecken, wie vergossenes Blut. Da ging sein Herz über vor Freude ob des wunderbaren Geschenkes und tief sog er den Duft der Rose ein. „Hmm, was für ein Duft, süß und schwer zugleich. Sag mein Lämmchen, wo hast du diese Rose gefunden? Hast du sie in unserem Garten gepflückt?“

„Nein, Vater“, sagte das Kind voll reiner Unschuld, „da war ein Mann, der hat sie mir gegeben.“

„Ein Mann sagst du?“ fragte Fortunato, „wie sah er aus?“

„Ei“, rief da das Kind, „er trug einen Mantel, der war so rot wie diese Blume hier. Er stand vor unserem Tor und sah sehr traurig aus. Er sagte, er dürfe nicht hinein, du erlaubst es nicht. Aber da doch dein Geburtstag ist und ich auch Rose heiße, schenkt er dir diese Rose hier, durch mich.“

Und wie das Kind dies sagte, veränderte sich der Duft der Blume, die Fortunato zitternd in den Händen hielt, und was zuvor so süß wie Honig geduftet hatte wurde nun überlagert von einer anderen, schwereren Süße, die aus dem Kelche kroch, die Süße der modrigen Fäulnis des Grabes. Und als der junge Schlossherr, erbleichend schon, die roten Pusteln auf der Hand seines jüngsten Kindes sah, da erkannte er mit Schrecken, was sie ihm als Geschenk gebracht hatte. Und der Rote Tod, der sich im Blütenzelt der Rose verborgen hatte, stieg empor.

Können Düfte glücklich sein?

Geben Sie es doch zu.
Sie denken, dass ich als Duft unendlich glücklich sein muss, nur weil ich so gut rieche, nicht wahr? Und sie glauben auch, dass ich tatsächlich Menschen gerne durch ihre verschleimte Nase ins Hirn krieche, um sie dann im Spiegel die Augen schließen und dann lächeln zu sehen? Was glauben sie wohl, warum ich einst erfunden wurde? Aus Spaß? Freude vielleicht? Um schöne Momente und hübsche Menschen noch großartiger zu machen?

Papperlapapp. Ich rieche schon, sie haben nicht die geringste Ahnung.
Ich wurde kreiert, um missbraucht zu werden. Um die schlimmsten menschlichen Gerüche halbwegs erträglich zu machen. Um vor allem überall dort eingesetzt zu werden, wo sich die feine Gesellschaft nicht waschen wollte, und genau da wurde ich auch schamlos und in Massen über die verschmierten Regionen gesprüht. Hatte die unappetitliche Aufgabe, die fäkalen Gerüche der Herrschaften irgendwie zu übertünchen. Oder in Bordellen, wo ich zur gleichen Zeit zahlungskräftige Liebhaber halb bild betäubt habe, die sonst den alten Schweiß gerochen hätten, auf den sie sich gerade eingelassen haben. Was meinen sie, wie glücklich sich ein jungfräulicher Duft fühlt, wenn er gerade frisch geöffnet ins Leben möchte, um dann doch auf eine modrige Leiche aufgetragen und eingerieben zu werden?

Sie werden jetzt einwenden, dass sich inzwischen doch alles geändert hat. Dass heute ein Duft etwas ganz Gewöhnliches ist. Geradezu alltäglich und selbstverständlich. Das täuscht aber.
Die Unmengen an entsetzlichen Düften in den Supermärkten und Drogerien beleidigen nicht nur meinen Stand, sie bringen mich auch persönlich um mein Riechorgan, denn viele von ihnen übertünchen Derbes nicht mehr, sondern sie verschmelzen mit den Körpergerüchen zu einem besonders perfiden Geruchsgemisch. Und nicht genug damit, dass sich Menschen damit zuschütten. Auch Räume und Autos bekommen jetzt statt eines Luftwechsels ihren eigenen billigen Geruch.
Also ganz ehrlich: Ich finde das nicht dufte. Ich bin stinksauer.

Ambra

Mike ist so krass, weißt du. Der sprüht mich an seinen Hals und dann hält der den Flakon hoch- seine Finger umschlingen das sanft geschwungene Sixpack des gläsernen Männer-Oberkörpers - und mit dem Daumen drückt er ab - einen kräftigen Hub an den Autohimmel.

Da breite ich mich blitzschnell aus und hocke fett vor dem Rückspiegel. Ein Molekülteppich aus Substanzen, angereichert mit synthetischen Kräutern. Ein betörend schwül-schwerer Duft, das bin ich und mein Geheimnis heißt Ambra. Gewonnen aus dem Verdauungstrakt eines Pottwals, wer hätte gedacht, dass so etwas Ekliges der Garant für Langlebigkeit sein könnte. Sillage nennt es der Fachmann, aber Mike verwechselt das mit Behältern aus der Landwirtschaft.
Ich krieche in seine Nase und verneble ihm das Gehirn und er sieht sich schon erfolgreich durch die Nacht rasen. »Echt geil«, seufzt er und ich schicke ihm Bilder von schwarzem Leder, großen Busen und blonden Mähnen aufs innere Display, regennassen Asphalt, fliegende Häuserschluchten und die verzerrten bunten Lichter der Ampeln, die auf der Windschutzscheibe ineinander verlaufen.

Schon heult der Motor auf und Mike drückt das Gaspedal durch. Der Ferrari neben ihm startet zur gleichen Zeit und als beide Fahrer an der nächsten Ampel in die Eisen gehen und zum Stehen kommen, nicken sie sich wissend an. Unter den Motorhauben stampfen unruhig die Pferdehufe, so kommt es Mike vor, los, los, los, wann endlich wird die Ampel grün. Ich komme jetzt von unten und oben, steige aus seinem Pulli hoch und lasse mich vom Himmel gleiten, wabere um ihn herum und hülle seinen Kopf in eine zähe Duftwolke.
Komm schon, flüstere ich, ich bin deine Männlichkeit, deine Power, bin Testosteron pur, der Duft nach Tabak, Schweiß und Moos. Mike spielt mit dem Gas. Eine Runde um den Wall, die nächsten Ampeln, scheiß drauf, du ziehst das durch, du machst das. Ready and Go!

Schade.
Kaum ist die Tür aufgeflext, verziehe ich mich nach draußen. Die beiden Feuerwehr-Männer verziehen das Gesicht. »Boah, was ist das denn,« raunt der eine und rümpft die Nase. Der andere stellt die zerbeulte Autotür ab und kämpft ganz kurz mit einem Würgereiz. So ist das halt mit dominanten Parfums: Die einen turnt es an, die anderen schreckt es ab.
Mike, sag doch auch mal was. Mike?

Überraschung

Ich erblickte die Dunkelheit meiner Welt wieder an einem Dienstag, 09:27 Uhr. Diesmal in einem Federbett. Die sind selten geworden heutzutage. Als höflicher Duft stellte ich mich meinen neuen Mitbewohnern vor: Angstschweiß, geboren aus Sorgen und Alpträumen, Lustschweiß, von, ähm, anderen Anlässen und einem miesepetrigen Muff.
»Du schon wieder? Hat dir der Teppich nicht gereicht?«, maulte er mich gleich an.
»Man muss immer Neues wagen und seine Grenzen erweitern.«
»Aber hast du keine Angst vor den Reaktionen? Ich würde mich das nicht trauen«, sagte der Angstschweiß.
»Mein Papa meint, ich sei ein starker, männlicher Duft. Eine Warnung an die Einen, eine Einladung an Andere. Ich will gar nicht everybody’s darling sein!«
»›Starker männlicher Duft‹ – pffft, du bist ein Gestank mit Größenwahn«, mischte sich der Muff ein, dieser unhöfliche Prolet. Ich ignorierte ihn.

Der Lustschweiß kam unangenehm nahe.
»Weil du gerade von Einladung sprachst … willst du mich näher kennenlernen? Deine Moleküle mit meinen vereinen? So ein kleiner One-Night-Stench? Na?«
In was für eine Gesellschaft war ich diesmal geraten? Da hatten ja die Gerüche bei den Mülleimern in der Küche mehr Niveau gehabt! Leider hatte ich dort nicht lang überlebt, die Frau war mit einer chemischen Keule angerückt. Papa war auch ganz enttäuscht gewesen.
Allmählich wurde ich stinkig.

Ich machte dem Lustschweiß deutlich klar, dass er sich verziehen sollte, unterband eine sarkastische Bemerkung des Muffs und ignorierte das ewige Lamento des Angstschweißes, was alles passieren könnte. Auf diese Weise hatte ich dann doch noch einen entspannten Nachmittag, wo ich mich ausbreiten und mir vorstellen konnte, was die Menschen des Hauses dieses Mal gegen mich unternehmen wollten. Das mit dem Federbett war ein Geniestreich von Papa gewesen. Nichts mehr mit einfach wegwischen!

Es war schon dunkel, als ich Schritte hörte. Der Mann öffnete die Tür, schaltete das Licht ein und verzog sofort das Gesicht.
»Hannelore!«, bölkte er nach hinten, »Der Kater hat wieder reingepisst!«

Heimat

Den Geruch von Lavendel würde Anneliese nie vergessen.
Er haftete noch in dem Halstuch ihrer Mutter, das letzte Erinnerungsstück, welches ihr nach dem Verkauf des Hauses geblieben war.
Kurz hatte sie überlegt es selbst zu nutzen, das zu Hause ihrer Kindheit. Aber zu viel hatte sich verändert, sie war nicht mehr die Anneliese von früher.
Schweren Herzens schloss sie den Kofferraum und ließ sich energisch in den Fahrersitz fallen. Sie schaute nicht in den Rückspiegel als sie vom Grundstück fuhr.
Ihr neue Heimat war mehrere Stunden entfernt, sie hatte das Haus von Freunden gekauft. Ein neuer Anfang, ein neues Leben.
Es war Sonnenuntergang als sie ankam. Sie hatte die Autotür kaum geöffnet, da kam ihr der Geruch von Lavelendel entgegen. Sie erstarrte.
Ungläubig stieg sie aus, umrundete das Anwesen, dass sie bisher nur auf Fotos gesehen hatte und starrte auf die Landfläche dahinter.
Ein Lavendelfeld.
Anneliese brach in Lachen aus. Dann in Tränen.
„Danke, Mama“, flüsterte sie.

Für Oma

Öffne deine Augen, Kind. Bist du wach? Ich will dich begrüßen. Ich bin der Duft der Bettlaken, unter denen du die Glieder streckst. Von Omas Morgenkaffee, gekochten Eiern, frischem Brot. Von Opas Anzündern aus Paraffin und wärmenden Flammen im Kamin. Ich bin Geborgenheit.

Schließe deine Augen, Frau. Hast du es schwer? Lass mich dich begrüßen. In deiner Erinnerung, wo der Duft von früher nie verfliegt. Dir immer wieder leise sagt: Du wurdest einmal sehr geliebt.

Widerstand ist zwecklos

Wenn ich deine Sinne streichle,
deinen Emotionen schmeichle
Weißt du nicht mal was dich treibt.
Deine Haut und deine Knospen
wollen mehr von mir erkosten,
Göttliche Versuchung bleibt.

Wenn du mir mit Haut und Haaren
dann verfällst, willst du bewahren
meinen Duft, deine Extase
Suchst ein Bild eine Ikone
Nennst sie vielleicht Pheromone
Magisch, meine Liebesgase

Die ich atme die verlocken,
die in allen Ritzen hocken
Und dich in den Abgrund ziehn
Dabei willst du in sie kriechen,
willst nichts anderes mehr riechen
nur noch ihn, nur noch ihn.

Mauerblümchen

Es gibt nichts, was ich mehr fürchte, als gerochen zu werden. Ehrlich. Mein Nachbar ist einmal eingeschnüffelt worden von riesigen Nüstern und es hat ihn förmlich zerrissen. Es hat ewig gedauert, bis er wieder ganz der Alte gewesen ist.
Ich klammere mich an das Blümchen, aus dem ich jeden Morgen aufsteige, wenn der Kelch sich öffnet, und achte darauf, mich nicht zu weit von der Insel des Friedens zu entfernen. Es steht günstig am Fuße einer Mauer, tief genug, dass es von den meisten übersehen wird.
Und ich nicht gerochen. Mir egal, dass der Fliederduft von gegenüber behauptet, es wäre der Sinn des Lebens, eingeatmet zu werden, genossen zu werden und dabei die schönsten Erinnerungen wachzurufen. Meine Devise heißt: Lass dich nicht entdecken und überleb, so lange du kannst!
Ich schwebe um mein Blümchen herum und bin nur so nett, einer Biene mal an ihren Antennen zu zupfen, damit sie mein Heim besuchen kommt. Bienen sind okay, die mag ich. Die atmen mich wenigstens nicht weg.
Der Duft einer Rose zieht vorbei. Erzählt jedem, der es hören will, dass er auf Weltreise gehen will. Um die Welt ziehen und alle Menschen glücklich machen. Ha! Ich sage, er kommt keine zwanzig Meter weit, bevor er sich anders überlegt und sich verdünnisiert.
Ich jedenfalls bleibe nah an meinem Blümchen in Sicherheit. Abenteuer sind nichts für mich. Ich würde ja nicht einmal auf so einem riesigen Fleckentier reiten wie der Duft, der nun vorbeikommt. Der dünstete da ganz bequem aus dem Fell heraus und winkt mir kess zu, als wäre es normal, dass Düfte einander zuwinken.
Soll er doch. Ich verstecke mich an meinem Blümchen und -
Irgs, was kommt da? Maulgeruch!
Mampf.
Kau.
Schluck.

Ich habe nie eine Speiseröhre von innen sehen wollen.

Der Tag als Hiltrud Halloween starb

(Spoiler: Der Gärtner wars nicht)

Es war ein Sonntag. Oder ein Montag. Oder doch ein Freitag. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Schließlich bin ich ein miefiger Hauch verwesender Organismen, kein langweiliger Jahreskalender.

Und ich muss sagen, mir stinkt es langsam. Aber gewaltig!
Kann nicht mal jemand die Hiltrud wegräumen? An einen Platz, wo man meine dufte Präsenz auch wahrnimmt? Es ist wirklich langweilig, hier in diesem eingestaubten Zimmer. Keiner da, dem ich in den wohlgeformten Zinken ziehen kann, keiner da, der sein Gesicht angesichts meiner Anwesenheit verzieht oder gar einen netten kleinen Auswurf produziert.

Ich sage euch… mein Leben wollt ihr wirklich nicht haben… Jemand muss doch endlich mal etwas unternehmen!

Ah, da kommt jemand. Und ooooohh was er für eine Grimasse schneidet – einfach herrlich! Komm nur näher! Viiiiel näher!

Aber halt…
Was hat er denn da in der Hand? Einen Sack?
Moment! So geht das nicht! Der kann doch nicht… Oh nein… Der wird doch meine geliebte Hiltrud nicht einfach in diese Ausgeburt geruchsbindender Impertinenz stecken wollen? Haaaalt!!!

Und so kam es, lieber Leser, liebe Leserin, dass unser zutiefst beleidigter Geruch organischen Zerfalls mitsamt seiner Verursacherin, der einst heiß und innig geliebten Kürbisfratze Hiltrud Halloween in einem Müllbeutel entsorgt und seine letzte Ruhestätte auf der örtlichen Mülldeponie fand.

Selbsthilfegruppe

„Willkommen zum monatlichen Treffen der einsamen Düfte. Schön dass ihr alle da seit. Wer möchte heute beginnen?“

Stille.

„Rubs, möchtest du?“, fragt der Wortführer den Duft neben mir. Rubs hat bisher nie was erzählt und da wir uns gegenseitig ohne Nasen nicht wahrnehmen können, hab ich keine Ahnung, was seine Geschichte ist.

„Nein, ich trau mich noch nicht. Vielleicht nächstes Mal“, sagt er leise. Schade.

Stille.

„Meo, du?“

„I-i-ich?“, frage ich. „W-was soll ich denn erzählen?“

„Was du möchtest, wir hören zu.“

„A-also g-gut.“ Ich schlucke, das Gestotter muss aufhören. „Ich bin Meo und ich bin einsam.“

„Hallo Meo“, sagt die Gruppe.

„H-hallo. - I-ich bin der Duft von Marc. Er ist 23 Jahre alt und lebt allein. Ich rieche nach Sandelholz, Wald und schwarzen Tee. U-und mal mehr oder weniger nach Schweiss und Traurigkeit. Marc ist sehr einsam, er arbeitet von zu Hause und rennt durch den Wald, wenn er eine Pause braucht. Für Menschendüfte ist es nicht gesund, so lange allein zu sein. Wir sollten uns mit den Dürften anderer Menschen vermischen und ergänzen. Doch Marc umarmt nur zweimal im Jahr seine Schwester. Und das - das“, mir schnürt die Traurigkeit den Hals zu, „das i-ist ei-ei-einfach zu wenig.“
Ich schlucke nochmals, darüber sprechen macht es nicht einfacher. Ich spüre, dass Rubs näher kommt, das tröstet mich etwas.

„Danke Meo, für deine Geschichte. Wir hören dich“, sagt der Wortführer.

„Ähm … darf ich etwas sagen?“, fragt Rubs.

„Klar, nur zu.“

„Danke. - Ich bin Rubs und ich bin einsam, aber das ist jetzt grad egal. Ich bin der Duft der Sehnsucht. Wenn du möchtest Meo, dann kann ich nachher mit zu dir kommen. Vielleicht ändert das ja was.“

Ich bin ganz still.

„Meo?“, fragt der Wortführer.

„Du … du kannst doch nicht einfach zu mir kommen.“

„Doch“, sagt Rubs, dabei strahlt er eine tiefe Traurigkeit aus, „ich hab nämlich kein Zuhause.“

Love Scent Number 1

Heute ist es endlich soweit. Ich darf heraus aus meinem Reagenzglas, in dem mich ein Parfümeur zusammen gemischt hat. Das wurde auch Zeit, denn hier ist es eng und ich kann mich nicht entfalten.

Der Parfümeur will meine Wirkung erst einmal bei sich selbst testen.

Ein Tropfen von mir fällt auf seine Haut, dort wo sein Herzschlag pulsiert. Das ist so schön. Ich verbinde mich mit den Zellen, mit dem Schweiß und durch die Wärme entfalte ich mich. Ich dehne mich aus, schicke meinen ganz speziellen Duft durch den Raum. Meine Moleküle verbinden sich mit der Luft, ich breite mich immer weiter aus.

„Oh, was duftet hier so herrlich?“

Viele Stimmen, weibliche Stimmen. Sie kommen näher, rufen, kreischen.

Eintrag ins Laborprotokoll: Love Scent Nr. 1 war in seiner Wirkung zu stark, hat die Sinne der weiblichen Laborbelegschaft vernebelt und die Mitarbeiterinnen zu unakzeptablen Handlungen verleitet. Die erneute Versuchsreihe von Love Scent Number 2 beginnt, sobald meine Wunden verheilt sind.

Duftmagie

Ich streife durch endlose Reihen von Beton und Glas, auf der Suche nach denjenigen, die nicht wissen, dass sie auf mich warten. In den Wirren der Großstadt vermischt sich mein blumiger Duft mit den Gerüchen des Straßenverkehrs und unzähliger Essensstände. In einer kleinen, versteckten Ecke des Parks, da, wo die Hektik der City für einen Moment zur Ruhe kommt, schwebe ich sanft über Bäume und Blumenbeete.
Sie sitzt auf einer Bank, allein und ich spüre ihre Einsamkeit. Letzte Sonnenstrahlen verfangen sich in ihrem Haar und verleihen ihm einen kastanienbraunen Schimmer.
Er steht einige Schritte entfernt unter einem blühenden Kirschbaum. Sein Blick streift sie kurz, schweift dann in die Ferne, als ob er nach etwas sucht, das er längst verloren hat.
Ich lächele und lege mich behutsam zwischen sie. Ich suche nach meinen besten Aromen … blumige Noten von Rosen und Lilien mit einem Hauch von Zitrus und Schokolade … und umhülle sie. Sie atmet tief ein und schließt für einen Moment die Augen. Er wendet den Kopf in ihre Richtung und findet ihren Blick.
»Entschuldigen Sie«, sagt er leise, als er sich neben sie setzt.
Sie blickt überrascht auf. »Keine Entschuldigung nötig.«
Ich schwebe weiter. Meine Arbeit ist getan.

Ein Hauch von Frühling

Heute werde ich es ihnen zeigen, diesen überheblichen Ich-bin-ja-so-toll-mit-meinen-paradiesischen-Frische-Duftnoten. Pah. Dass ich nicht lache. Wer ist denn hier authentisch, hm? Wer erzählt denn vom Leben, erinnert an die langen Abende, das Gekicher, die Sektgläser, die so fest aneinander klirrten, dass der Stoff, den ich mein Zuhause nenne, immer mehr Spritzer abbekam? Ich gebe ja zu, dass ich nicht mehr der Jüngste bin und es mir nicht gutgetan hat, mich hier vollends niederzulassen und ein Sesselpupser zu werden – apropos: Auch das, liebe Leute, hat eurer Couch auf Dauer geschadet … Ich mein ja nur. Aber wer hört schon auf mich? Ja, okay, hier und da hat sich ein bisschen Abgestandenes, Staub und Schweiß in meine einstige Fabrikfrische hineingeschlichen. Aber hättet ihr nicht dafür sorgen können, dass der Stoff auch einmal gereinigt wird, damit ihr wieder gerne die Nasen darüber zieht und sagt: „Hach, wie neu!“ Nein, dafür ist man heute zu bequem. Gut, einen Nachteil hätte die Wäsche für mich auch gehabt: Dann wäre ich nicht mehr existent, was in gewisser Hinsicht bedauerlich wäre, aber wenn ich wählen könnte … Alles ist besser, als jeden Tag aufs Neue von diesem Frische-Garanten gefesselt zu werden. Immer wieder muss ich mich aus seinen wohlduftenden Noten befreien, um atmen zu können. Doch sobald ich frei bin, geht die Tortur aufs Neue los! Sagt mir, wer hat sich diese Folter ausgedacht?
Ich sehe meinen Gegner schon von Weitem. Da lauert er und grinst mich an mit seiner bescheuerten Alufresse. Entschuldigt meine Wortwahl, aber wenn ihr jeden Tag mit ihm zu tun habt, nun, irgendwann vergeht selbst mir, dem geduldigen Aroma dieser Flohmarkt-Couch, die Lust, nett zu sein. Da kommt sie ja, die werte Couch-Besitzerin. Und wie jeden Tag frönt sie ihrem Frische-Fetisch. Ha, schüttle die Chemie noch einmal gut durch, damit du auch die gesamte Ladung auf mich sprühen kannst. Ja, komm nur und sperr mich wieder ein in die Fesseln des künstlichen Duftes! Doch heute ist Schluss damit. Heute werde ich so schlimm stinken, dass dir die Kinnlade herunterklappen wird. Alle meine Erinnerungen, mein ganzes Unterbewusstsein werde ich in den Stoff fluten lassen. Dann werden wir ja sehen, ob Alu-Wonder-Aroma-Man damit fertig wird. Sie kommt näher. Gleich geht es los!

Ich spüre echte Frühlingsluft. Glaube ich zumindest. Die Couch steht jetzt draußen auf dem Gehweg. Irgendjemand wird sie mitnehmen. Und ich, ich verabschiede mich jetzt. Endlich.