Das Fest der Familie
So kann es wirklich nicht weitergehen.
Meterhoch stapeln sich die Kartons im Kofferraum, während ich versuche die Klappe zu schließen. Keine Chance. Als wollte sie, dass ich auch noch mein letztes Geld für einen Anhänger ausgebe. Natürlich. Weil es ja meine Schuld ist, dass jeder in der Familie auch noch drei bis zwölf Kinder mitbringt und die Blagen alle erwarten, auch von mir ein Geschenk zu bekommen. Und was bekomme ich? Rechnungen, eine dreckige Wohnung und nerviges Geschrei. Fest der Liebe? Pah. Ein Fest der Hiebe würde ein paar von denen ganz guttun. Weiß schon, warum ich keine Kinder habe.
Es knirscht, als ich mich mit dem vollen Gewicht gegen das Auto lehne und die Klappe endlich einrastet. Hoffentlich nur eines der billigen Plastikspielzeuge und nicht etwas an meinem Auto. Nach der Einkaufstour kann ich mir die Reparatur garantiert nicht mehr leisten. Und es fehlt noch ein Baum, Zutaten für das Weihnachtessen, Dekoration. Verdammt. Hoffentlich ist die Bank in Weihnachtsstimmung, wenn ich ihnen erklären muss, das Konto wieder überzogen zu haben. Ich sollte jedem meiner Geschwister eine meiner Rechnungen schenken.
Wie bin ich nur auf die bescheuerte Idee gekommen, ihnen anzubieten bei mir zu feiern? Die kleinsten Fehler verfolgen einen für Jahre. Fehler aus Jahren, in denen ich noch einen Job hatte. „Aber es war so schön, letztes Jahr, das sollten wir wiederholen.“ Für dich vielleicht. Deine Wohnung sah danach nicht aus wie nach einem Anschlag. Aber ich kann ihnen doch auch nicht einfach nein sagen. Für was für einen Versager würden sie mich halten?
„Fahr, du Idiot!“, brülle ich das Auto vor mir an, während ich mich durch den endlosen Feierabendverkehr quäle. Ein Plastikschwert piekt mich in die Schulter. In einer Woche wird es doch nur in der Ecke liegen. Einfach kurz nach Hause, alles ausladen und auf die nächste Odyssee.
Wenig später schiebe ich die Geschenke genau so sanft in den Aufzug, wie ich sie auch in den Kofferraum gepackt habe. Keine Zeit für Vorsicht. Wehe, es will jetzt auch noch jemand dazu steigen.
Meine Wohnungstür ist offen. Habe ich sie offengelassen? Soll mir nur recht sein, dann muss ich sie nicht – mit Kartons beladen – aufschließen. Mit dem Fuß schiebe ich einige Kisten hinein. Das Licht ist auch noch an. Na toll.
Und dann stehen wir uns gegenüber. Auge in Auge. Einige Sekunden lang sind wir beide wie erstarrt, überrascht den anderen zu sehen. Klischeehafter könnte es nicht sein. Roter Mantel, langer Bart, ein rundes Gesicht, und eine Brille auf der Nase. In der Hand…meine Mikrowelle.
„Ernsthaft.“, ist das einzige was ich zustande bringe. „Es ist kein Geld im Haus. Glaub mir, ich habe schon geschaut. Die Mikrowelle ist übrigens kaputt.“
Er stellt sie langsam auf dem Boden ab, dann schaut er auf den gigantischen Stapel Kartons in der Tür. Wieder zu mir. Unruhe in seinen Augen. „Tut mir leid.“, murmelt er. Die Stimme könnte fast die eines Weihnachtsmanns sein, warm und rund, wie ein Großvater, der Geschichten erzählt. „Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Meine Kinder…“ Er schaut noch einmal auf den Stapel Kartons. „… du verstehst? Habe meinen Job verloren.“
Ich verstehe. Sehr gut sogar. „Und das Kostüm?“
„Fällt weniger auf. So viele Weihnachtsmänner in der Stadt unterwegs.“
„Nimm es.“, sage ich und deute mit dem Kopf auf den Stapel. „Brauchst es wahrscheinlich mehr als die Blagen meiner Geschwister.“
So wie er mich anschaut, glaubt er mir kein Wort. Warum sollte er auch? Wer schenkte schon seinem Einbrecher die Mühsam zusammengesammelten Geschenke. Ich. Keine Lust mehr auf die Familie. Keine Lust auf verwöhnte Bratzen, die mich anschreien, weil ihr Dino die falsche Farbe hat. So sahen die halt aus, du undankbares Stück… Die beste Gelegenheit dieses Weihnachtsfest zu dem besten seit Jahren zu machen. Allein. „Klar. Die Hausratsversicherung haben sie noch nicht gekündigt. Und meine Geschwister haben deutlich mehr Geld als wir beide, die kommen klar.“
„Also. Ich. Ähm. Danke?“
„Keine Ursache.“
„Du wirst nicht die Polizei rufen?“
„Hab dich nie gesehen. Kam hier an, Tür war offen, Geschenke weg. Am besten nimmst du noch ein paar andere Sachen mit.“
„Du verarscht mich.“
„Nein. Hör zu. Meine Familie gibt einen Dreck auf mich, aber deine scheint besser zu sein. Du bekommst ein Weihnachtsfest, ich werde meins los und bekomme Geld von der Versicherung. Win-Win.“ Oh nein. Jetzt bricht er auch noch in Tränen aus. Fühlt sich fast ein bisschen gut an, wenn auch etwas seltsam. Immerhin ist er ein Einbrecher.
„Danke.“, sagt er durch die Tränen. „Du weißt nicht was mir das bedeutet.“ Mühsam schiebt er die Kartons in Richtung Aufzug und zieht die Tür hinter sich zu. Schade eigentlich, dass er das Schloss nicht auch noch aufgebrochen hat. Alles für die Versicherung.
Langsam lasse ich mich in meinen abgewetzten Sessel sinken und ziehe mein Handy. Wähle. Es tutet und die gewohnte Stimme meiner Schwester meldet sich. Im Hintergrund kitschige Weihnachtslieder und Kindergekreische. „Du wirst mir nicht glauben, was passiert ist.“, sage ich und versuche mein Grinsen herunterzukämpfen und niedergeschlagen zu klingen.
„Wir müssen die Feier bei mir leider absagen.“