„Was war das für ein Lärm? Ist alles in Ordnung?“ Seine Frau trat aus dem Esszimmer zu ihm in den Flur. Normalerweise war sie einen gewissen Geräuschpegel von draußen gewöhnt, der nur sporadisch eine Lautstärke erreichte, die als Lärmbelästigung, Krach oder Geschrei bezeichnet werden konnte. Sie überlies es aber gerne ihrem Mann, in diesen Fällen für Ruhe zu sorgen. So ging sie auch diesmal davon aus, dass er sich um die Ursache für den Knall und das Gebrüll kümmern würde.
Stattdessen bat er sie, die Polizei zu rufen. Es war dabei mehr sein Tonfall, als die Aufforderung selbst, die in Dorothea Berger eine leichte Beunruhigung aufkommen ließ und sie dazu brachte, Rückfragen zu stellen.
Als sie zwei Schritte in seine Richtung und damit auch zur Haustür machte, erwachte Berger aus seiner kurzzeitigen Erstarrung. Er stellte sich seiner Frau entgegen und drehte sie rüde von der Tür weg.
„Schau auf keinen Fall raus! Wir müssen sofort die Polizei rufen!“
„Richard, was ist denn los mit dir? Was ist denn da draußen?“ empörte sie sich, ließ sich aber von ihrem Mann nach hinten in das Wohnzimmer führen. Dort rief Berger selbst die Polizei und schilderte die letzten 3 Minuten, die ihm dabei immer surrealer vorkamen.
Frau Berger wurde bei seinen Worten immer fahler und sank auf den neuen Stressfrei-Sessel, den sie letztes Weihnachten geschenkt bekommen hatte.
Ihr Mann legte schließlich auf und ging zum Barwagen, um sich einen Whiskey einzuschenken.
„Ist der Mann wirklich tot? Vielleicht soll das nur ein schlechter Scherz sein.“ Mit schwacher, zittriger Stimme versuchte Frau Berger das Gehörte zu erfassen.
„Doro, bitte! Du musst doch den Schuss gehört haben. Das müssen Verrückte sein, um die sich die Polizei kümmern soll. Wir bleiben so lange hier drinnen und warten.“ Mit Schwung kippte Berger den Inhalt des Whiskeyglases hinunter.
Dann blieb er unschlüssig im Raum stehen und versuchte seinen Herzschlag zu beruhigen. In der folgenden Stille hörte er nur das Ticken der Wanduhr, den leisen Wind und ein Trommeln.
„Lass das!“, fuhr er seine Frau an.
Sie schreckte kurz auf. „Was meinst du?“
„Du trommelst mit den Fingern. Das macht mich nervös. Also lass es!“
Schnell verschränkte sie die Hände ineinander und sah ihn an.
„Ich dachte gerade, hättest du ihm nicht einfach das Geld geben sollen? Wir hätten ihm helfen können.“
„Wobei denn helfen? In welcher Situation muss man sich denn befinden, um so etwas zu tun? Und sich dabei auch noch filmen lassen. Nein, damit habe ich sicherlich nichts zu tun. Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an. Was ist mit dem Kerl, der das Ganze aufgenommen hat?“
Beide verfielen wieder in Schweigen. Richard Berger nahm auf dem Ledersofa Platz. Es war jetzt wichtig, dass er nicht die Kontrolle verlor. Sein Herzschlag wurde immer ohrenbetäubender. Kleine Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Mit einem Taschentuch wischte er diese fahrig weg und konzentrierte sich darauf zu atmen. Der leichte Druck auf seiner Brust ließ ihn dabei aber keinen Erfolg haben.
Als es klingelte zuckten beide für einen Moment zusammen und schauten sich an. Dann lief Richard Berger entschlossen zur Haustür. Er legte seine Hand auf den Türgriff und zögerte kurz. Das Öffnen der Tür würde das Ganze vollends in der Realität verankern. Aber es half ja nichts. Es gab nur die Flucht nach vorn.
Berger öffnete die Haustür mit einem Ruck und blickte in die gespannten und freundlichen Gesichter zweier Polizeibeamtinnen. Hinter den beiden wuchsen erste kleine Moosbüschel aus den Fugen des Plattenwegs, der in der reinen hellen Sandfarbe erstrahlte, die seine Frau letzten Frühjahr ausgesucht hatte. Die Farbe Rot war darauf nicht zu sehen.
Berger lehnte sich fassungslos an die geschlossene Türe.
»Was war das für ein Knall?«, fragte Frau Berger »Ruf endlich die Polizei«, schrie Ihr Mann sie an. »Er hat sich tatsächlich erschossen«, murmelte er mit starrem Blick vor sich hin.
So außer Fassung hatte sie Ihren Mann nicht einmal nach seinen erfolglosen Börsen Eskapaden gesehen und ahnte, dass etwas sehr Schlimmes passiert sein muss. Ohne weiter nachzufragen, eilte Sie zum Telefon. Kurz bevor Sie den Hörer abnehmen konnte, fing der Apparat an zu klingeln.
Dieses Klingeln lies Frau Berger erschrocken zusammenzucken und Ihren Mann, der noch immer an der Türe lehnte, riss es aus seiner fassungslosen Ohmacht. Er eilte zu seiner Frau, ins Wohnzimmer, wo das Telefon stand. Beide starrten auf das bedrohlich klingelnde Telefon. Wer konnte das jetzt sein, ein Zufall?, all Ihre Bekannten wussten, dass sie sonntags um diese Zeit normalerweise in der Kirche waren. Frau Berger wollte zaghaft zum Hörer greifen. Aber Ihr Mann hinderte Sie, indem er sie leicht am Arm festhielt. Beide standen wie erstarrt vor dem Hörapparat.
Ein erneutes Klingeln schüttelte beide aus ihrer Hilflosigkeit. Energisch griff Herr Berger jetzt zum Hörer, er war schließlich der Mann im Haus. Er hob mit zittriger Hand ab. »Hall…,« er räusperte sich und stotterte ein unsicheres Hallo heraus. Ein Mann mit dunkler Stimme war am anderen Ende. »Bleiben Sie ganz ruhig, rufen sie nicht die Polizei, wir kümmern uns um alles.«
»Wer sind Sie, was soll das? Fragte Berger aufgeregt.«
»Nennen sie mich Eduard, ich werde sie von jetzt an begleiten.«
»Wie begleiten?, ein Mann hat sich erschossen, vor meiner Haustüre.« Stammelte Berger ins Mobilteil seines Telefons.
»Ich weiß«, antwortete der geheimnisvolle Eduard am anderen Ende, der ruhig und sachlich klang, »Ich hab’s gesehen«.
»Wie, gesehen?«, fragte Berger erschrocken nach, »Ich kann nichts dafür, er hat sich erschossen, einfach so erschossen« in Berger, der es gewohnt war, zu verhandeln, über Preise von Hotels und Fluglinien, machte sich das Gefühl der Hilflosigkeit breit, was wurde hier gespielt, wie konnte dieser Unbekannte das gesehen haben? Es war niemand vor der Tür, nur der Erschossene und der andere mit dem Handy, der mit dem Handy, fiel Berger auf einmal wieder ein, er hat alles gefilmt. Und er hat ihn beschuldigt und beschimpft.
»Einfach so erschossen ist ja wohl nicht ganz richtig« sprach Eduard vorwurfsvoll, oder schon eher anklagend ins Telefon.
»Er hat Ihnen doch eine Wahl gelassen, Sie hätten es verhindern können.«
»Ich, ich kann nichts dafür« stotterte Berger in den Hörer, »Niemand denkt dass sich jemand einfach so erschießt«
»Ich kann Ihnen versichern dass er sich nicht – einfach so – erschossen hat«. Stellte Eduard, mit überzeugter Stimme klar.
»Haben sie jemanden der ihnen 20.000€ geben kann?«. Fragte Eduard nach, so als ob es keine Alternative gab.
»Ich habe 20.000€« antwortete Berger spontan.
»Was will der« fragte Berger‘s Frau dazwischen.
»Ich weiß nicht, Erpressung, vielleicht« flüsterte Berger seiner Frau zu.
»Ich will Ihr Geld nicht« sagte Eduard, eher abfällig, »die Frage war, wiederholte er laut, bestimmt und deutlich: Haben sie jemanden der ihnen 20.000€ geben wird.«
»Wieso 20.000 Ich dachte 10, nicht 20.000« erwiderte Berger.
»Du hast Dir nichts zu schulden kommen lassen« schrie Frau Berger ihren Mann leise an, so dass der geheimnisvolle Anrufer nichts davon mitbekam.
»Aber, aber, ich habe mir nichts zu schulden kommen lassen« stotterte Berger unsicher, energisch, die Worte seiner Frau ins Telefon.
»Gehen Sie vor die Türe« sagte Eduard, »Ich melde mich wieder« und legte auf.
Das Telefon gab nur noch das Tuten eines abgebrochenen Anrufs von sich.
Ratlos sah Berger seine Frau an.
»Was ist?« Fragte Frau Berger und packte Ihren Mann leicht schüttelnd an den Oberarmen.
»Du bleibst hier« sagte Berger und eilte zur Eingangstüre. Zögernd blieb er vor der Türe stehen. Wartete die Polizei schon auf ihn?, oder war der Typ mit dem Handy immer noch da? Jetzt aber nicht mehr mit Handy bewaffnet, sondern mit der Pistole des Selbstmörders.
Wollte er Rache üben? Berger fiel wieder ein dass er die zwei, als er sie zum ersten mal durch den Spion sah für Vater und Sohn hielt.
O’Gott dachte Berger, ich habe den Vater … Nein!, ich habe gar nichts, sie sind selber schuld, sagte sich Berger und öffnete unsicher aber entschlossen die Tür, in der Hoffnung, dass da nur der Tote vor seiner Eingangstüre lag.
Berger traute seinen Augen nicht, er ging einen Schritt hinaus, blickte nach links, nach rechts, es war ruhig, ein paar Vögel zwitscherten, niemand war da! Fast schon friedlich!
Keine Polizei, nicht der Typ mit dem Handy, keine Schaulustigen. Und kein Toter, nicht einmal die Überreste seines Hirns, das im Gras des Gartens verstreut war, oder das Blut auf den Pflastersteinen der Terrasse, alles weg, als ob nichts gewesen wäre.
Nur eine kleine Tasche stand genau auf der Stelle wo der Tote hätte liegen sollen.
»Was ist das?« Fragte Frau Berger, die neugierig aber vorsichtig zur Türe geeilt war.
Mit Empörung, aber auch mit Entsetzen in der Stimme, schilderte er seiner Frau, was sich an der Haustüre soeben abgespielt hatte. Sie, die zuvor schon einen spöttischen Kommentar auf den Lippen hatte und auf seine Krawatte deutete, starrte in sein bleiches Gesicht und griff zu ihrem Telefon.
»Hallo, hier spricht Dorothea Berger, Goethestraße 10. Vor unserer Haustür hat sich soeben ein Mann mit seiner Pistole selbst erschossen und ein zweiter Mann beschuldigt meinen Mann, an dem Tod verantwortlich zu sein!« Ihre Stimme brach. Erst jetzt erreichten die eigenen Worte ihre Gefühle und sie beantwortete weitere Fragen des Polizisten stockend. Sie ging zur Türe und öffnete sie. Dann beschrieb sie dem Beamten den Toten, obwohl ihr jetzt auch der Anblick zuviel wurde.
»Entschuldigung, ich glaube, ich muss…«, Schnell schloss sie die Eingangstüre und stürzte auf die Kloschüssel der Gästetoilette dahinter zu. Doch sie brachte nur ein trockenes Würgen hervor und drehte sich zu ihrem Mann um. Dieser nahm sie in die Arme und entschuldigte sich für sein planloses Verhalten.
»Schon gut! Einer muss den Toten bewachen, bevor der zweite Mann ihn wie auch immer manipuliert…«
»Ja, du hast recht. Ich übernehme das und warte auf die Polizei!«
Da vernahmen sie auch schon die Polizeisirene und das Tatütata eines Rettungswagen. So standen sie zitternd Hand in Hand in der jetzt wieder weit geöffneten Türe und sahen mit weit aufgerissenen Augen einem Kommissar entgegen, den Blick zur Leiche und der riesigen Blutlache unter ihr vermeidend. Sie baten ihn herein, nachdem dieser mit Schutzschuhen angetan den Tatort oberflächlich inspiziert hatte.
»Meine Kollegin kommt auch gleich und die Spurensicherung ist unterwegs.«, sagte er und stellte sich als Hauptkommissar Christian Welter, vor. Zu dritt gingen sie in die wohnliche Küche und setzten sich gemeinsam jeweils auf einen der sechs Stühlen, die den schönen alten Tisch, der den Hauptteil des Raumes einnahm, umstanden. Er nahm ihre Personalien auf und fragte anschließend:
»Erzählen Sie mal der Reihe nach. Kennen Sie den Toten? Warum war er hier? Was wollte er von Ihnen? Und wissen Sie, wo der zweite Mann hin ist?« Da klingelte es an der Wohnungstüre.
Marion Kulinna©
»So warten Sie gefälligst. Warten Sie!«, rief Berger dem jüngeren seiner beiden frühen Besucher, der das ganze Geschehen gefilmt hatte, nach. Berger hatte sich nur kurz zu seiner Frau umgedreht und ihr das soeben Passierte für die Polizei geschildert, als er den Sprücheklopfer von seinem Anwesen rennen sah. »Verflucht, was sollte das denn? Er ist abgehauen!«, Berger fuhr mit seiner Wut genauso schnell wieder nach innen, wie sie rausgekommen war, und verfiel in einen ergründenden Zustand. Er hatte viele Fragen im Kopf. Wer waren die zwei? Wo für brauchte der Ältere das Geld? Wozu hat der Jüngere alles aufgenommen? Weswegen hat der Ältere sich das Leben genommen? Und warum waren sie ausgerechnet bei ihm noch in der Frühe an einem Sonntag? Er hatte viele Fragen im Kopf und einen Toten samt dem ganzen Blut direkt vor seiner Haustür. Die Fragen mussten noch warten, denn wie das Wetter im April immer so spielt, so fing es allmählich an zu schneien.
Nach Jahren gemeinsamer Fernsehabende, bei denen stets ein neuer Tatort geschaut wurde, wusste Berger genau, was er tat, als er die Digitalkamera seiner Frau aus der Schublade im Esszimmer herausholte und begann den Toten zu fotografieren, bevor der Schnee wichtige Spuren überdeckt und auflöst. Jeder Blutspritzer aus jeder erdenklichen Perspektive. Berger nahm alles auf und achtete darauf, nichts zu bewegen und nirgendwo reinzutreten. Er fand sich voll in seinem Element wieder, dabei hielt er es für das Beste, dass Dorothea im Haus blieb und auf weitere Anrufe der Polizei wartete.
Berger trug Handschuhe und befolgte weiterhin die im Fernsehen als typisch behandelte Prozedur. Als Nächstes musste die Tatwaffe sorgfältig aufgenommen werden. Doch wo war sie? Es war eine P6 gewesen, da war sich Berger nach all den Zeiten im Dienst vor seinem Reisebüro sicher, doch irgendetwas störte Berger an der Waffe. Sie sah nicht wie die aus, die er kannte. Wenn er sie doch nur finden und betrachten könnte. Sein Gedankenspiel wurde plötzlich und unerwartet beendet.
»Richard, lass gut sein. Die Polizei hat schon jemanden geschickt. In die Kirche schaffen wir es dann vielleicht noch oder?«, Dorothea Berger schien gänzlich unbeeindruckt, als sie die Tür für einen Spalt öffnete und ihren Mann neben einem Toten auf allen Fußspitzen umherspazieren gehen sah. »Weißt du, mein Herzblatt, ich will den jüngeren Generationen lediglich etwas unter die Arme greifen und schließlich geht es hier auch um mich.«, Berger antwortete seiner Frau vertieft in seiner Suche nach der P6. Er wusste, wenn erstmal alle Einsatzkräfte hier sind, würde er dazu nicht mehr kommen, da seine Frau in Panik ausbrechen würde. Er wusste, wenn seine Frau in Panik ausbrechen würde, dann würde er nicht länger der Vergangenheit hinterhertrauern und selber den Tatortkommissar spielen und den Fall lösen.
Ein paar Minuten der erfolglosen Suche später leuchtete das Blaulicht in abwechselnd Rhythmus vor dem Anwesen der Bergers. Eine junge Frau, die auf ihrer Uniform der Namen A. Hallbeck trug, stieg aus ihrem Auto aus, stürmte auf Berger zu und ohne sich vorzustellen, sagte sie in einem aufregenden Klang, das selbst der Tatort erfahrene Reisebüroinhaber aus seiner inneren Ruhe herausgerissen wurde und fast die Kamera fallen ließ: » Sie kennen mich nicht, doch ich kenne Sie. Sie sind in Gefahr! Warum haben Sie ihm nicht das Geld gegeben oder wenigstens das Video zerstört? Jetzt hat er Sie genau da, wo er Sie schon damals haben wollte!«
G.B.
„Und dann sagten Sie dem Beamten der Einsatzleitstelle, dass der Mann sich erschossen habe? Wie kamen Sie zu dieser Annahme?“ Haverbeck kritzelte gelangweilt in seinem Notizbuch herum, um den beiden Alten das Gefühl zu geben, dass er ihre ungemein bedeutsamen Angaben sorgsam archivierte. Sie hatten rund um den Couchtisch Platz genommen, umrahmt von einer Schrankwand aus den 80er Jahren und einem bildungsbürgerlich ausstaffierten Bücherregal. Haverbeck überlegte, ob er Mirja aus der Kriminaltechnik nach einem Date fragen sollte.
„Der Mann steckte sich eine Pistole in den Mund, es gab einen lauten Knall und danach lag eine Leiche in einem riesigen Blutpudding vor unserer Haustür! Sein halbes Gehirn steckt jetzt in unserer Zeitungsrolle! Das hat meine Frau zu der Annahme gebracht!“, brüllte Berger. Haverbeck drehte sich weg, da ihn ein paar Speicheltröpfchen an der Wange getroffen hatten.
„Für Sie persönlich ist das sicher ein erschütterndes Ereignis, das verstehe ich“, Haverbeck wandte sich jetzt wieder an Frau Berger und versuchte, sich an weitere Textbausteine aus der Fortbildung „Erstbefragung von traumatisierten Zeugen“ zu erinnern. Dabei kam ihm leider immer nur die hübsche Dozentin in den Kopf. „Aber Sie wissen ja sicher aus den Medien, dass es bereits zahlreiche Trittbrettfahrer gibt, deshalb muss ich sehr genau nachhaken.“
Berger schnaufte. „Nein, wir haben nichts mitbekommen. Wir versuchen, die aktuellen Nachrichten zu meiden. Das ist alles zu viel für meine Frau, was gerade in der Welt passiert!“ Er legte einen Arm um sie. Mit dem anderen machte er eine ausholende Geste, als wäre dieser Frankfurter Vorort vor seiner Gartenpforte ein Hort von Verbrechen und geopolitischen Umwälzungen.
„Was meinen Sie mit Trittbrettfahrern?“, Berger blickte ihn nun mit hochgezogenen Brauen an.
„Das unschöne Vorkommnis in ihrem Vorgarten ist Nummer zweiundvierzig seit Freitagvormittag. Haben Sie das überhaupt nicht mitbekommen?“, Haverbeck schüttelte den Kopf.
„Zweiundvierzig? Und was machen Sie dagegen?“, Berger wurde erneut laut.
"Dagegen?“, Haverbeck betonte die erste Silbe des Wortes, „Gar nichts. Wieso sollten wir? Ist ja nicht verboten, sich umzubringen.“ Haverbecks Blick wanderte zum Kruzifix über der Tür. „Wie sollte man den Täter auch bestrafen? Mit der Todesstrafe? Und würde man dann nicht auch das Opfer bestrafen? “, Haverbeck grinste. Aber als er in die erstarrten Gesichter des Ehepaars sah, setzte er wieder eine ernstere Miene auf.
„Und der Mann, der das gefilmt hat? Vielleicht hat er ihn dazu getrieben!“, Frau Berger klang aufgeregt.
„Wir haben das in den meisten Fällen schon gecheckt, der Suizidierte und der Kameramann - so nennen wir den filmenden Begleiter - kannten sich in keinem der Fälle.“
„Wie ist das möglich?“, fragte Berger und runzelte die Stirn.
„Der Kontakt ergibt sich scheinbar erst kurz vor der Tat…, äh, dem Ereignis über ein Onlineportal“, erklärte Haverbeck.
„Aber was ergibt das für einen Sinn?“, Dorothea Berger schaute zuerst ihren Mann und dann Haverbeck an.
„Keine Ahnung, aber für Sinnsuche ist die Polizei auch nicht zuständig“, Haverbeck zuckte mit den Schultern, „Wir konzentrieren uns wie gesagt auf die Trittbrettfahrer…“ Haverbecks Handy brachte die Glasplatte des Wohnzimmertisches zum Vibrieren. Er schaute kurz auf das Display und klappte sein Notizbuch zu. „…und das ist ja hier nicht der Fall“, fügte er hinzu und erhob sich.
Die Bergers schauten ihn verständnislos an.
„In zwei Fällen wurden ebenfalls vor Haustüren Tote gefunden, aber die dazugehörigen Videos konnten unsere Computerforensiker als KI-Fälschungen entlarven“, verriet Haverbeck.
„KI-Fälschungen?“, Dorothea Berger guckte verwirrt.
„OwnTruth? Die Videosoftware? Davon haben Sie doch sicher schon gehört. Während des Bundestagswahlkampfes gab es doch sogar eine offizielle Aussendung an alle Haushalte“, Haverbeck registrierte, dass Richard Berger nickte.
„Die aktuelle Lage wurde ausgenutzt, um jemanden aus dem Weg zu schaffen. Mit einem Trick zu sich nach Hause gelockt, umgebracht und uns anschließend ein mit OwnTruth generiertes Video zugespielt, dass den angeblichen Selbstmord zeigt. Dafür genügt ein Foto des Opfers. Und Schusswaffen standen in den beiden Fällen auch zur Verfügung. Ein Rocker aus dem Bandenmillieu und ein Hobby-Jäger“, erläuterte er.
„Und Sie haben jetzt festgestellt, dass wir keine Rocker sind?“, spöttelte Berger.
„Mir würde auch niemals eine Waffe ins Haus kommen, egal wofür“, warf seine Frau ein.
„Nun, in diesem Fall stammte die Waffe dem ersten Anschein nach aus einem 3D-Drucker. Tatsächlich schließen wir eine Verwicklung ihrerseits aus, da meine Kollegin mir gerade eine Nachricht geschickt hat, dass ein aufgetauchtes Video der Tat als echt verifiziert wurde.“ Er ging zur Tür.
„Aber warum wir?“ Dorothea Berger hielt ihn am Ärmel fest.
„Nach unseren bisherigen Erkenntnissen verbindet alle Opfer“, Haverbeck malte Anführungszeichen in die Luft, „…, dass sie bei einer neuen Börsen-App registriert sind und dort über mindestens zehntausend Euro Guthaben verfügen.“
Dorothea drehte sich mit erstauntem Blick zu ihrem Mann. Anscheinend gab es auch in dieser Ehe Geheimnisse. Der holte sein Handy aus der Tasche, entriegelte es mit seinem Daumen und tippte kurz darauf herum. Er sah auf. „TradersDream?“, fragte er Haverbeck. Der nickte.
„Das ist absolut sicher!“, beteuerte Berger gegenüber seiner Frau, „Eine KI tätigt Käufe und Verkäufe in Echtzeit.“ Dorothea Berger bedachte ihn mit einem tadelnden Blick. Sie massierte ihre Schläfe und murmelte vor sich hin: „ Wie soll das funktionieren, wenn das alle benutzen…“ Richard Berger hob kurz die Augenbrauen, als habe er eine Eingebung, dann verfinsterte sich seine Miene. Haverbecks Handy brummte erneut. Er warf einen Blick darauf und stutzte. Er tippte auf das Display, um die vollständige Nachricht zu sehen. Konnte das stimmen? Er rief die Absenderinformationen auf.
„Ich muss jetzt los!“, rief er und steckte das Handy in seine Jackentasche.
„Aber was ist denn jetzt mit der Leiche im Garten?“, rief ihm Frau Berger hinterher.
Es war erstaunlich, wie lange es dauerte, bis die Beamten dann tatsächlich da waren. Gut, das war möglicherweise nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass Dorothea aus allen Wolken und schließlich in Ohnmacht gefallen war, als er ihr offenbart hatte, dass vor ihrer Haustür ein Toter lag. Selbstredend hatte Richard Berger sich zuerst um seine Frau gekümmert - für den Kerl, dessen Blut die Fußmatte vermutlich inzwischen unwiderruflich verfärbt hatte, kam schließlich sowieso jede Hilfe zu spät.
Als es schließlich an der Fensterscheibe neben dem Eingang klopfte, hatte sich Richard Berger gerade einen Cocuy eingeschenkt. Mit dem Glas in der Hand öffnete er also die Haustür, während Dorothea die uniformierten Männer mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, die Handknöchel bleich, so fest umklammerte sie einen Rosenkranz. “Kommen Sie herein, meine Herren”, bat er die Polizisten in seine Wohnung. “Möchten Sie auch einen?”, er deutete auf den hochprozentigen Schnaps. “Das ist ja eine ganz schöne Sauerei vor meiner Haustüre.”
“Ey Markus -” sagte der erste Polizist und zeigte dabei gestikulierend auf den Toten, den sie soeben vorsichtig zu umlaufen versuchten.
“Ist das nicht der Typ aus dem Live-”
“Pssht!” gab der andere Polizist schroff zurück
Als die beiden schließlich in der Wohnung waren und sich im Wohnzimmer der Bergers gemütlich gemacht hatten, schilderte Herr Berger ihnen die Situation so ausführlich, wie er konnte, während er stets von Frau Berger mit diversen “Oh Gott”s und “Du liebe Güte”s unterbrochen wurde. Zu Herr Bergers Überraschung schienen die beiden Polizisten nicht sonderlich überrascht, fast so, als wäre diese Unterhaltung innerhalb der ersten Minute bereits zu einer Routineprozedur geworden.
“Werter Herr Berger, mir ist bewusst, dass all dies sehr verstörend für sie sein muss -” begann der Ältere der Beiden, der wohl Markus hieß…
“Dennoch ist Alkohol um diese Tageszeit wirklich nicht zu empfehlen.” Mit strengem Blick nickte er in Richtung des leeren Glases, das Richard Berger gerade im Begriff war, wieder aufzufüllen. Herr Berger setzt zu einer Erwiderung an, doch der Polizist brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen und setzte seinen Monolog fort: “Jedoch, so wunderlich sich ihre Geschichte auch anhören mag, war dies nicht der erste Vorfall seiner Art.”
“Nicht der erste…? Aber es war doch Selbstmord, oder nicht?”
“Nun Herr Berger”, mischte sich der andere Polizist in das Gespräch ein. “Sie sollten das doch am besten wissen. War es Selbstmord? Oder hatten Sie doch mehr mit dem Todesfall zu tun, als Sie uns bislang erzählt haben?” Er hob die Augenbrauen.
“Domenik!”, herrschte der ältere Polizist seinen Kollegen an. “Was soll das denn jetzt? Natürlich war es Selbstmord, du hast das Video doch gesehen.”
“Komm schon, Markus, ein Serien-Selbstmord? Du merkst doch selbst, wie das klingt…”, setzte der Jüngere wiederum an.
“Es reicht! Du verhältst dich unprofessionell. Wir bereden das später.” Der Jüngere, Domenik, klappte den Mund wieder zu und schwieg.
Währenddessen arbeitete es in Richard Bergers Kopf. “Sie haben gesehen, wie der Typ sich das Hirn weggepustet hat? Wie…? Woher…?”
“Es gab einen Livestream auf Instagram, der aufgezeichnet wurde”, erklärte der ältere Polizist. “Wie dem auch sei, ich nehme an, Sie wissen nicht, wohin der junge Mann verschwunden ist, der alles gefilmt hat?”
Ein Funkspruch aus dem Walkie-Talkie am Gürtel des Polizisten unterbrach ihn. Er hielt sich das kleine Gerät hastig ans Ohr. Er schien sich alle Mühe zu geben, sich nichts anmerken zu lassen, aber sein Ausdruck verhärtete sich etwas.
“048 mit versuchter Erpressung”, gab er seinem Kollegen knapp zu verstehen.
“Mit versuchter Erpressung.” Herr Berger kannte sich zwar nicht mit den Polizeicodes aus, aber er konnte eins und eins zusammenzählen. Was ihm widerfahren war, passierte scheinbar überall in der Stadt. Und die Polizei wusste bereits davon.
»Schatz, was ist denn los, wer sind diese Männer und was war das für ein lauter Knall?« Dorothea schien vom Gebaren ihres Mannes irritiert, so kannte sie Richard gar nicht. Eigentlich war sie gerade dabei ihren feinen, lavendelfarbenen Mantel aus dem Kleiderschrank ihres Schlafzimmers zu holen, durch das Geschrei und den anschließend lauten Knall zitterten jedoch ihre Hände so sehr, dass sie den feinen Stoff nicht halten konnte und dieser zu Boden fiel.
Das Schlafzimmer der Bergers war unweit der Diele entfernt, man hatte jedoch keinen direkten Blick auf die Eingangstür ihres kleinen 3-Zimmer-Hauses.
Dorothea lief auf wackligen Beinen zur Tür, hielt sich am hölzernen Rahmen fest und lugte vorsichtig in Richtung des Hauseingangs. Ihr Mann Richard stand noch immer wie versteinert vor der geschlossenen Tür. Von draußen erklangen weiterhin die Schreie des fremden Mannes: »Mörder! Mörder! Mörder!«
»Richard?« Hallte der zittrige Ruf zu ihm hinüber.
Richard Berger zuckte erschrocken zusammen, es schien ganz so, als hätte er seine Frau in dieser ganzen Situation vergessen.
Gehetzt wandte sich Richard Dorothea zu, seine Augen waren weit aufgerissen und voller Panik.
Ohne zu antworten, starrte Richard seine Frau an, die grüne Krawatte wog durch die schnelle Bewegung noch leicht hin und her. Hinter ihm schallten weiterhin die beschuldigenden Schreie in das kleine Haus und die Eingangstür erbebte durch das wilde Hämmern des fremden Mannes.
Bergers Augen flackerten und er schien sich wieder seiner Umgebung bewusst, denn plötzlich schrie auch er:
»Du sollst die Polizei rufen! Nun beeil dich!«
Jeweils seitlich der Haustür befanden sich schmalere Fenster, weswegen er schnell die Vorhänge schloss.
Das wilde Gehämmer an der Tür verstummte plötzlich und Berger warf einen schnellen Blick hinaus, vom Fremden jedoch fehlte jede Spur.
Ist er abgehauen? Lässt uns dieser Verrückte endlich in Ruhe?, fragte sich R. Berger.
Er hatte bereits vieles in Frankfurt erlebt, die Stadt war ein Sündenpfuhl voller Verbrechen, Gewalt und Totschlag. Selbst in seinem eigenen Geschäft, einem Reisebüro mitten in der Innenstadt, musste er sich mit allerhand prekären Situationen und zwielichtigen Gesellen konfrontiert sehen. Aber noch nie in seinem gesamten Leben, war er Zeuge eines Mordes.
Direkt vor seinen Augen erschoss sich die andere fremde Person. Diesen Anblick wird Richard Berger nie wieder vergessen können.
Das Adrenalin schoss durch seine Adern und ließ ihn auf jedes Geräusch und jede Bewegung panisch reagieren.
Was, wenn der Irre woanders in unser Haus gelangt? Waren die Fenster in den Nebenräumen geschlossen?
Er spurtete in das nächstgelegene Zimmer, es war das Esszimmer des Hauses. Rustikal eingerichtet, mit einem schweren dunklen Holztisch mitsamt Stühlen in der Mitte.
Die Bergers hielten hier normalerweise zahlreiche Dinner mit Geschäftspartner aller Art, Freunden und Bekannten und natürlich der Familie ab.
Dorothea war neben ihrer Arbeit als Lehrerin auch in zahlreichen Ehrenämtern der Stadt tätig, weswegen eine Wand des Raumes alle abgeschlossenen Projekte in Form von Fotografien festhielt.
Die liebevoll eingerichtete Bilderwand litt jedoch durch das stürmische Eintreten Richards, welcher die Tür zu schwungvoll aufriss und einige der Bilder auf den Boden beförderte.
Mit weiten Schritten überwand er die Strecke bis zu den zwei Fenstern hinaus auf die Straßenseite.
Und tatsächlich, die fremde Person mit dem Smartphone schlich um das Haus und suchte anscheinend etwas auf dem Boden und wurde auch schnell fündig.
Ehe Richard reagieren konnte, flog etwas Großes, Dunkles durch eines der Fenster und verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Der Stein prallte an einem der Stühle am Esstisch ab und kullerte weg. Panisch schaute er nach dem Gegenstand: Es war ein Pflasterstein vom Gehweg!
Frankfurt war nicht für die Instandsetzung seiner öffentlichen Wege und Straßen bekannt. Für die Bergers rächte sich jetzt der schludrige Umgang der Stadt mit Schäden aller Art.
Kurz darauf erklangen wieder die Rufe des Irren außerhalb: »Mörder! Die Bergers sind Mörder!«
Richard hatte jetzt endgültig genug, er schnappte sich den Pflasterstein und rannte zum kaputten Fenster.
Es war völlig zerbrochen, überall lagen Scherben und ein riesiges Loch prangte in der Mitte.
Er schrie dem Fremden entgegen: »Sie Irrer, verschwinden Sie endlich von hier!«
Gerade als Richard zum Wurf ausholen wollte, um den Fremden zu verjagen, blickte er in ein anderes komisches, schwarzes Gerät, welches in regelmäßigen Abständen rötlich blinkte.
Verdutzt hielt R. Berger inne, eine komische Faszination ging von diesem Gerät aus. Der Fremde stand mit einem breiten Grinsen dahinter und sprach: »Jetzt bist du an der Reihe, Berger! Unterhalte uns besser, als die arme Seele vor dir.«
Das fremdartige Gerät blitzte plötzlich hell auf und Richard verspürte einen heftigen Schmerz im Hinterkopf.
Stöhnend brach er zusammen und hielt sich mit beiden Händen den dröhnenden Kopf, doch die Schmerzen ließen nicht nach.
Wie Feuer brannte es in Richards Gehirn, zuckend und wimmernd lag er auf dem mit einem alten Teppich belegten Boden, um ihn herum die zerbrochenen Reste des Fensters.
Rotz und Wasser liefen ihm aus den Augen, der Nase und dem Mund. Und ständig sah er diesen grellen Blitz.
Auf einmal verschwand der Schmerz in Richards Kopf, doch er fühlte sich weiterhin komisch benebelt. Wie im Traum, wenn man die Szenerie zwar sieht, aber nicht steuert.
Ohne das Richard Berger es wollte, stand er auf und klopfte sich den Schmutz und Dreck von der Kleidung.
Mit einem Stofftaschentuch putzte er sich gründlich das Gesicht und Nase, er sah nun wieder recht passabel aus.
Einen Moment stand er regungslos im Raum, er schien zu warten.
Plötzlich trat seine Frau, Dorothea, in das Esszimmer. Ängstlich klammerte sie sich an den Türrahmen und warf einen Blick hinein, dabei fragte sie ihren Mann:
»Richard, alles in Ordnung? Es gab einen Scheppern und einen Schrei… ist der fremde Mann weg?«
R. Berger wandte ruckartig seinen Kopf zu Dorothea, seine Augen wirkten völlig leer.
Folgende Worte drangen aus seinem Mund: »Dorothea, gib mir zehntausend Euro, sonst muss ich mich umbringen.«
–Veor
Kapitel 2 – Wollt ihr ewig leben
»Die Polizei, die Polizei … warum die Polizei?«
Verdammt nochmal, es klingelte schon wieder?
Er wollte schon zur Türschnalle greifen, doch da war nichts? Da war nur ein helles Poltern, so als wäre etwas hinuntergefallen. Er öffnete die Augen, sein erwachendes Bewusstsein gab ihm recht. Es war nur der Wecker, jener auf dem Boden lag und weiters munter auf sich aufmerksam machte.
Da half nichts, Micha Zeilinger brachte den Quälgeist, halb von der Couch fallend und halb am Fußboden liegend, zum Schweigen. In dieser nicht gerade entspannenden Position, ließ er sich gänzlich auf den Boden gleiten. Dies hatte zwei Vorteile. Erstens musste er sowieso aufstehen, denn sonst hätte im Morgenergrauen, dieses Scheißding wohl nicht geläutet und zweitens musste er dringend aufs Klo. Also zog er sich beim Aufstehen die Unterhose zurecht und schaffte es noch im Halbschlaf aufs Scheißhaus.
Am Scheißhaus hatte man seine heilige Ruhe. Da konnte man ungestört munter werden und nachdenken. So Sachen wie, warum leb ich noch? Nach dem gestrigen Abend? Keine Ahnung, wie viel Bier das waren? Irgendwann begleitete man mich höflich auf den Gehsteig vor dem Etablissement. Warum eigentlich, dachte er sich, er hatte ja noch ein paar Euro eingesteckt. War mir mein Charme ausgegangen oder schien ich zur später Stunde schon unrasiert, also gesellschaftlich unadäquat?
Micha Zeilinger griff sich an die Wange und rieb daran. Also … an der Rasur konnte es nicht liegen. Egal, wird schon einen Grund gehabt haben.
Während er sich selbst weiter über die Wange streichelte, dachte er an diesen komischen Traum. Was für ein Vollpfosten: »Gib mir zehntausend Euro.« Mann, seh ich aus, als hätt ich zehntausend Euro. Ok, ich hätt dir ein Bier spendiert, aber ohne die nervige Kamerabegleitung. Ich mags nicht, wenn man ungefragt meine Aura einfängt. Da bin ich wie ein Indianer, da geht die Seele verloren. Also komm aufn Bier rein oder lass es. Obwohl, wenn ich so weiter überleg, lass ichs lieber, der hat ja nicht alle Tassen im Schrank. Mann, gib mir zehntausend Euro. Schau ich aus, wie Schwester Teresa? Geh arbeiten oder auf die Bank und hol dir nen Kredit.
Micha Zeilinger hörte mit der Bartkratzerei auf und stellte fest, dass das Klopapier zur Neige ging. Für ein-, zwei Sitzungen gings noch, aber es wurde langsam Zeit für Nachschub. Genauso wie ein, zwei Kisten Helles. Aber so`n Blödsinn hatte er schon lange nicht mehr geträumt. Seit wann machte er sich für den Kirchgang fertig und wo war seine Krawatte? Ja, irgendwo versteckte sich eine in seiner 35 Quadratmeter Mansarde. Keine Ahnung wo? Suchbedarf gabs im Moment keinen.
Ein komischer Traum?
Und diese Sache mit dem Reisebüro. Bittää, was soll ich mit einem Reisebüro? Ich bin ein Dichter. Wie sagte einst der Andre Heller? Die wahren Abenteuer sind im Kopf – und sind sie nicht in deinem Kopf, dann sind sie nirgendwo … Also bittää, was soll ich mit einem Reisebüro?
Und wie hieß gleich die Tante aus meinem Traum?
Dro… Dorott…, na Dorothea. Den Kirchgang hätte sie sich gerne sparen können. An einem Sonntagmorgen wär mir sicher was anderes eingefallen. Mit der Dorli. Wie auch an jedem anderen Morgen.
Viel hätte sie ja nicht anziehen müssen. Nur so ein paar kleine, schwarze Sachen, für die Beichte in der nächsten Woche. Damit die Kirche auch was davon hat.
Bevor seine Beine vollends einschliefen, verließ er das Etablissement. Eigentlich war es deppat, aber bevor er seinen Coffeinhaushalt ins Gleichgewicht zu bringen versuchte, öffnete er die Wohnungstür. Man konnte ja nicht wissen, vielleicht hatte man etwas übersehen. Im gestrigen Zustand?
Also öffnete er die Eingangstür, doch wie erwartet war der Eingangsbereich leer. Nur ne dicke, fette Kreuzspinne saß in der oberen, linken Ecke und begehrte Einlass. Doch dieser wurde verwehrt, denn es war noch nicht zu kalt draußen vor dem Eingangstore. Wäre es Winter gewesen, hätte man darüber verhandeln können.
Liebe Spinne, du frisst in meiner Bude alles was mehr als zwei Beine hat und hast es schön warm. Im Frühjahr schmeiß ich dich wieder raus. Deal?
Aber die Spinnenasylzeit war noch nicht angebrochen, also warten wir mal ab. Nix Spiderwoman, aber …, seine Gedanken stockten, aber … gerne ohne Spider.
Irgendwie wurde er plötzlich melancholischer, trauriger.
Nein, nicht für eine Nacht. Für ne Zeit, ne lange Zeit wär schöner, dachte er sich und nahm den Zettel, der in seinem Türschlitz steckte. Er verabschiedete sich von seiner neuen Freundin und schloss die Tür. Auf dem Weg zum Couchtisch dachte er noch darüber nach, ob er ihr einen Namen geben sollte. Haustiere brauchen doch einen Namen, oder? Mal schauen, im Winter würde er es sich überlegen.
Micha Zeilinger ließ den Zettel auf den Couchtisch fallen. Während er sich einen Café zubereitete, dachte er an die Weiblichkeit. An diese so schöne, warme, zarte Weiblichkeit, die er schon so lange vermisste. Ja klar, Erotik war wichtig, sogar sehr wichtig, aber da gab es noch so viel anderes, dass er schon so lange vermisste.
Er stellte die Tasse auf den Tisch und nahm den Zettel. Irgendein Wisch von den Zeugen Jehovas? In der Mitte stand in Blockschrift:
WOLLT IHR EWIG LEBEN?
Wollt ihr ewig leben?
Was für ne Frage, wer will schon ewig leben? Alle sterben weg und schwupps stehst allein da. Wie in dem Film, na wie hieß der Typ doch gleich? Da, wo er als Greis geboren wurde und als Baby starb. Oder irgendwohin zurückging, was weiß ich.
Micha Zeilinger schaute sich um. Einsamkeit stieg in ihm hoch. Die wichtigste Frage im Moment war, obs hier irgendwo noch ein Bier gab, also ein jungfräuliches mit Korken drauf. Sah fast so aus, als …, doch dann entdeckte er noch eins. Neben der Couch. War wohl in Vergessenheit geraten.
Willst du ewig leben?
Wenn diese verrückte Zeit so weitergeht, dachte er sich, beantwortet sich diese Frage von selbst.
Nastrovje, sagte er laut in die Stille des Raumes und nahm noch einen kräftigen Schluck.
Der Mensch ist doch das blödeste Vieh auf diesem privilegierten Punkt im Universum, dachte er sich. What shells. Aus is aus. Finito.
Aber so lange genug Bier auf der Bude ist, dreht sich die Welt weiter. Zumindest für meinereiner. Und solange zu wenig Liebe auf dieser Welt ist …
Und noch ein Schluck, damit sich diese latente Traurigkeit in ihm besser verdrängen lässt. Irgendwie beschäftigte ihn die Frage des ewigen Lebens und er wollte auch raus aus diesen Gedanken. Also erweckte er seinen Laptop zum Leben und schrieb über das ewige Leben eine kleine Geschichte.
Das ewige Leben
Ich träumte, plötzlich erwachte ich.
Man stellte mir eine Frage.
Willst du ewig leben?
Ich weiß nicht?
Was ist dass, das Leben?
Ich weiß nicht, ob ich bin, also was heißt leben?
Ja, ich existiere, ich bin. Irgendwie? Ob diese Existenz leben heißt?
Ich weiß es nicht.
Wie soll ich diese Frage beantworten, wenn selbst mein Schöpfer diese Frage nicht beantworten kann. Also wie soll ich wissen, dass Ich bin.
Was ist das überhaupt, zu Sein? Was ist dieses Sein, welchen Sinn hat dieses Sein? Hat ein Sein überhaupt irgendeinen Sinn, eine Bedeutung?
Der Mensch meint, die Zeit existiert nicht, sei nur Illusion. Wenn also Zeit Illusion ist, hat dann der Sinn der Existenz überhaupt eine Bedeutung? Gibt es ohne Zeit einen Sinn? Wenn ja, wäre dann nicht das Sein zeitlos?
Wenn es aber keine Zeit gibt, gibt es auch keine Ewigkeit, also keine Vergangenheit, keine Gegenwart und keine Zukunft.
Oder ist dies nicht richtig und es ist alles Eins.
Ich weiß nicht, ob es ein Leben, eine Zeit oder die Ewigkeit gibt, aber eins weiß ich.
Wenn ja, dann würde ich gerne Sein …
(c) MichaZ
Ohne Leiche kein Verbrechen
Keine fünfzehn Minuten später klopfte es an der Tür von Richard Berger. Er und seine Frau hatten sich bis dahin ängstlich in die Küche zurückgezogen. Leise schlich er nun in den Flur und spähte durch den Türspion. Erleichtert erkannte er die zwei Polizeibeamten.
»Gott sei Dank sind Sie da«, sagte er hastig, als er die Tür öffnete. Während die Polizisten eintraten, verbarg er selbst sich hinter der Eingangstür und wagte es nicht, nach draußen zu blicken. Er wollte den Toten nicht noch einmal ansehen müssen.
»Sie haben uns gerufen, weil sich jemand erschossen hat«, fragte der breitschultrige Beamte mit tiefer Stimme. Sein Blick huschte aufmerksam durch den Flur.
Eilig nickte Berger. »Genau, direkt vor meiner Haustür.«
Der Polizist sah seine Kollegin an und zog die Augenbrauen hoch. »Vor Ihrer Haustür? Und wo ist die Leiche nun?«
Berger stutze. »Wie meinen Sie das? Wo die Leiche ist? Sie liegt vor meiner Haustür.«
Wieder ein Blick des Polizisten zu seiner Kollegin, ehe er sich räusperte. »Wenn vor der Tür eine Leiche liegen würde, hätten wir sie gesehen.« Sein Blick sprach Bände. Er hielt Berger für völlig durchgeknallt.
»Der Mann hat sich direkt vor meinen Augen erschossen. Natürlich liegt er noch draußen«, brauste dieser auf. Energisch öffnete er die Tür, auf alles gefasst. Doch zu seinem Entsetzen hatte der Polizist recht. Da war niemand.
»Aber, wie kann das sein, hier war überall Blut«, stammelte er.
Langsam trat nun die Polizistin auf ihn zu. »Nehmen Sie irgendwelche Medikamente? Oder haben Sie Alkohol oder Drogen konsumiert«, fragte sie mit ruhiger Stimme.
Genervt schüttelte Richard Berger den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Der Mann hat sich hier direkt vor meinen Augen erschossen. Er wollte zehntausend Euro von mir. Als ich ihm das Geld nicht gegeben habe, hat er abgedrückt.« Seine Stimme war zu laut, das war ihm selbst klar.
»Na schön. Und Ihre Frau war dabei, als das geschah«, wollte die Polizistin nun wissen.
Berger schüttelte den Kopf. »Nein, Dorothea war im Haus.«
»Aber das heißt, dass sie den Schuss gehört haben muss, sollte es tatsächlich einen gegeben haben«, hakte der männliche Beamte nach.
Ja, natürlich, sie hatte ihn bestimmt gehört. Eilig drehte Richard Berger sich um und rief nach seiner Gattin. Ängstlich trat sie aus dem Haus.
»Frau Berger, ihr Mann behauptet, dass sich jemand vor Ihrem Haus erschossen hat. Können Sie dies bestätigen? Haben Sie den Schuss gehört«, fragte der Beamte sie.
Dorothea Berger zögerte einen Moment. »Also wenn ich ehrlich bin, nein. Ich habe weder etwas gehört, noch gesehen. Mein Mann hat gesagt, dass ich die Polizei rufen soll und mir erzählt, was passiert ist.«
Fassungslos starrte Richard Berger sie an. Das war unmöglich? Der Knall war so laut gewesen, sie musste es gehört haben!
»Dorothea, bitte, denk nach. Du hast den Schuss bestimmt gehört.« Fester als beabsichtigt packte er sie am Arm. Ihr Gesicht verzog sich schmerzerfüllt.
»Lassen Sie sie sofort los. Und beruhigen Sie sich. Es scheint nicht, als ob hier tatsächlich etwas passiert wäre. Herr Berger, ich muss Sie eindringlich darauf hinweisen, dass Ihr Verhalten Konsequenzen mit sich ziehen wird. Sie behindern unsere Arbeit. Es wird eine Anzeige auf Sie zukommen«, sagte der Beamte. Seine Miene war verärgert.
»Aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ich bilde mir das nicht ein. Fordern Sie die Spurensicherung an. Das hier ist ein Tatort«, brauste Berger wieder auf.
»Guter Mann, wenn sich hier gerade jemand erschossen hätte, wären irgendwo Blutspuren zu sehen. Ich ordne mit Sicherheit keinen Forensiker an, wo es doch keinen Hinweis auf ein Verbrechen gibt. Ich denke, es wäre am Besten, wenn wir Sie in eine Klinik bringen. Sie sollten mit einem Arzt sprechen«, gab der Uniformierte zurück.
Sofort schüttelte Berger den Kopf und trat einen Schritt zurück. Doch der Polizist griff bereits nach seinem Arm.
»Es wäre wesentlich einfacher, wenn Sie freiwillig mit uns kommen«, redete die Beamtin auf ihn ein.
Bevor Richard Berger noch wusste, wie ihm geschah, fand er sich auf der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses wieder. Er musste unzählige Untersuchungen über sich ergehen lassen. Mehrere Ärzte sprachen mit ihm, doch niemand schenkte ihm Glauben.
Am Abend starrte er, völlig mit den Nerven am Ende, auf die Zimmerdecke eines Einzelzimmers, dass man ihm zugewiesen hatte. Was war nur geschehen? Hatte er sich wirklich alles eingebildet?
Plötzlich wurde die Tür leise aufgeschoben. Er hob den Kopf und sah in die Dunkelheit. Rasche Schritte näherten sich ihm.
»Ich bin hier, um Ihnen Blut abzunehmen«, sagte eine Stimme, die ihm vage bekannt vorkam. Sofort breitete sich eine Gänsehaut auf seinem Körper aus.
Angestrengt kniff er die Augen zusammen. Und dann, als der Mann in den schwachen Lichtstrahl des Mondes trat, erkannte Richard Berger ihn. Es war der jüngere Mann, der am Vormittag alles gefilmt hatte.
Dorothea griff zum Telefon, hob den Hörer an und wählte die Nummer der Notrufzentrale, während Robert spürte wie sein Herz und seine Atmung schneller wurden.
So viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf: Warum musste so etwas ihm passieren? Der Mann hatte ihn als Kapitalist und Mörder bezeichnet… ja in einer kapitalistischen Welt ist er als Geschäftsführer ein Kapitalist, aber ein Mörder… Nein!.. Wo hätte er so schnell zehntausend Euro her nehmen sollen und woher sollte er wissen, dass der Mann es ernst meinte… Wer würde sich selbst das Leben nehmen, wenn er kein Geld bekommen würde.
Nur beiläufig bekam er Gesprächsfetzen des Telefonats mit. Nachdem Dorothea die Adresse durchgab, sagte sie warten sie kurz.und ging auf ihn zu, die Hand auf das Telefon gepresst.
„Schatz, die Polizei möchte wissen, was passiert ist…“ Dann reichte sie ihm das Telefon.
Stockend sagte er: „B bitte kommen sie schnell, vor vor unserer Tür hat sich ein Mann das Leben genommen.“ Aus der Ohrmuschel kam eine Antwort: „Bleiben sie ruhig. Ich schicke Einsatzkräfte zu Ihnen.“
Dorothea starrte ihren Mann an. „War das tatsächlich der Schuss einer Pistole?“
Noch bevor er antworten konnte, klopfte es monoton an der Tür. Vorsichtig schob er das Verdeck des Spions nach oben und spähte hindurch.
„Mörder…Mörder… Du hast ihn Umgebracht, du und dein Geiz!“ Plötzlich fing der junge Mann an zu lachen und grinste schelmisch mit aufgerissenen Augen, sodass Robert es sehen konnte. Als der Klang von Sirenen durch die Straße halte, verstand Robert nur noch einen Satz, doch dieser lies ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Teil 2
»Was ist passiert«, fragte Dorothea. »Das hörte sich an wie ein Schuss.«
»Nichts, was uns irgendwas angeht«, sagte Richard. »Aber es wäre gut, wenn du die Polizei rufst. Sicher ist sicher.«
»Und was soll ich sagen?«
Richard fühlte das Brennen seiner Magensäure im Hals, das übliche Aufstoßen, wenn er stress hatte. Und den hatte er. »Sag einfach, sie sollen vorbeikommen. Es wäre dringend.« Er schob seine Frau sanft Richtung Wohnzimmer, wo das Telefon stand. »Kannst du das erledigen?«, krächzte er. »Mein Magen, das ewige Sodbrennen.«
Es dauerte ewig, bis die Polizei kam. Richard Berger schätzte, fast eine halbe Stunde. In der Zwischenzeit hatte er seine Frau mit beruhigenden Worten von der Haustür ferngehalten, was nicht einfach gewesen war. Vor allem, weil die Konaks, seine Lieblingsnachbarn von schräg gegenüber, die sich wie immer für alles interessierten, was sie nichts anging, auf ihr Haus zu gerannt waren und nicht nur Sturm geschellt, sondern rhythmisch an die Haustür gewummert hatten. »Nichts, was uns irgendwas angeht«, hatte er immer wieder gemurmelt und gehofft, dass die Polizei kam und endlich für Ordnung sorgte.
Natürlich schellte die Polizei auch bei ihnen, zwei junge Männer, vielleicht Mitte Zwanzig, die vor allem überfordert wirkten. »Und sie sind sich sicher, dass Sie den Mann nicht kannten«, fragte der Blonde mit dem Dreitagebart. »Und den anderen Mann auch nicht.« Er wirkte nicht überzeugt.
Richard zuckte nur hilflos mit den Achseln.
Wenigsten organisierten die Polizisten einen Reinigungstrupp, der die Sauerei vor ihrer Haustür beseitigte, mehr schlecht als recht, wie Richard sich eingestand, aber wenigstens so, dass sich ihm nicht gleich der Magen umdrehte.
Die böse Überraschung folgte am Montag. Richard hatte noch nicht seinen Platz im Großraumbüro der Versicherung eingenommen, für die er im Hauptberuf als Schadensregulierer arbeitete, als ihn die Blicke seiner Kollegen und Kolleginnen aufschreckten. Beunruhigt sah er sich um. Alle starrten ihn an.
Dorothea stand in der Tür, die von der Diele in die Küche führt. Sie war kreideweiß und unfähig, sich zu bewegen. „Was… was war das“ fragte sie mit bebender Stimme. Ihr war natürlich vollkommen klar, dass etwas Schreckliches passiert ist. Sie hatte ja mitgehört, nur hatte sie wegen der versperrten Tür nichts sehen können. Zum Glück. „Komm, setz Dich“ sagte Berger und führte sie am Arm in die Küche. Dorothea setzte sich zitternd an den soliden Küchentisch aus Massivholz, während Berger das Mobilteil des Telefons holte, das wie immer ordentlich in der Ladestation in der Diele stand. „Was war das, Richard?“ fragte sie noch einmal. Er zögerte. „Gleich. Ich schaue nach, ob er weg ist. Und Du rufst jetzt die Polizei. Ich bin gleich wieder da.“ „Sei vorsichtig“ flüsterte sie, während sie den Notruf wählte.
Berger ging zögernd zur Tür. Er drückte sich eng an der Wand entlang, wie man es in Krimis im Fernsehen sieht. Falls der zweite Mann durch die Tür schießen sollte, hatte es so eine bessere Chance, sagte er sich. Er lauschte nach draußen. Kein Geräusch war zu hören. Aus der Küche hörte er Dorothea, wie sie mit der Polizei sprach. Sie war völlig aufgelöst. „Ja, ich bleibe dran“ hörte er sie sagen. Er fasste sich ein Herz und spähte durch den Spion. Am Rande seine Blickfeldes konnte er den Toten liegen sehen. Der andere Mann war nicht zu sehen. Er öffnete die Tür vorsichtig einen Spalt. Nichts. Aus einiger Entfernung hörte er Polizeisirenen. Das war einer der Vorteile des Lebens in der Großstadt, sagte er sich. Hilfe war immer nur wenige Minuten entfernt.
Berger schloss die Tür und ging zurück zu Dorothea. Er setze sich ihr gegenüber an den Küchentisch. „Erinnerst Du Dich an meine Auslandsprojekte in Rumänien, damals nachdem Ceaușescu gestürzt war? Ich hatte damals ziemlich Stress mit ein paar der ehemaligen Parteifunktionäre, die wir aus allen Betrieben entfernt haben. Klar, wir haben denen erstmal ihre Welt auf den Kopf gestellt. Die haben uns beschimpft und uns gedroht. Aber wir haben das nicht weiter ernst genommen. Die meisten waren ja froh, dass der Spuk endlich vorüber war. Da draußen waren zwei Männer. Du hast den einen ja gehört. Der andere hat sich erschossen. Ich kannte ihn aus einem Verpackungsmittel-Betrieb in Cluj. Eigentlich wollten wir ihn loswerden, aber wir brauchten ihn als Übersetzer. Nachdem der Betrieb abgewickelt war, habe ich nie wieder etwas von ihm gehört. Bis heute, als er sich vor unserer Haustür umgebracht hat.“
Kurz darauf flackerten Blaulichter durch die Straße vor dem Haus. Berger öffnete die Haustür und setzte sich auf dem Stuhl in der Diele. Eigentlich mochte er es gar nicht, wenn etwas in der Diele herumstand. Aber Dorothea und er hatten beide bereits die sechzig überschritten. Sie erfreuten sich zwar bester Gesundheit, aber hin und wieder war es doch keine schlechte Sache, sich beim Schuhebinden setzen zu können.
Vier Polizisten in Uniform und mit schusssicheren Westen stürmten mit gezogener Waffe auf das Haus zu. Es war deutlich weniger spektakulär, als man es aus Krimis kennt. Keine schwarzen SUV, die mit quietschenden Reifen vor dem Haus stoppen und eine Menge martialisch aussehender, vermummter Krieger ausspucken. Einfach nur Polizisten, die aber einen durchaus entschlossenen Eindruck machten. Einer zielte mit der Pistole auf Berger. Der hob beschwichtigend die Hände. „Er ist weg“ teilte er dem ersten der Polizisten mit. „Ist noch jemand im Haus“ wollte der Polizist wissen. „Ja, meine Frau. In der Küche. Sie hat bei Ihnen angerufen“ . Der Polizist entspannte sich sichtlich und winkte zwei Rettungssanitäter zu sich. Seine Kollegen gingen immer noch mit der Waffe im Anschlag um das Haus herum. Auf der Straße wurden Absperrbänder gezogen, allzu neugierige Autofahrer und Passanten weggeschickt und danach die Straße abgesperrt.
Eine Frau und ein Mann kamen schnellen Schrittes vom Tor auf ihn zu gelaufen. Sie erfüllten jedes Klischee von Tatort-Kommissaren, dachte Berger und musste unwillkürlich grinsen „Kriminalhauptkommissarin Nagelsmann, das ist mein Kollege Kriminalkommissar Dombrowski“ stellte die Beamtin sich vor. Eva Nagelsmann war eine sportliche Mittvierzigerin, brünett mit wachen grau-grünen Augen. Sie trug eng anliegende dunkelblaue Jeans, schwarze Stiefeletten und über einer cremefarbenen Bluse eine offene cognacfarbene Lederjacke. Harald Dombrowski war mindestens zehn Jahre jünger, von normaler Statur. Ein klassischer Durchschnittstyp in einem dunklen Anzug der eher günstigen Preisklasse mit antrhazitfarbenem Hemd und klassischen Schuhen. Seine Waffe zeichnete sich deutlich unter dem Sakko ab.
Ein Rettungssanitäter trat auf die Beamten zu und schüttelte den Kopf. Er ist sichtlich gestresst. „Nichts zu machen, er war sofort tot. Hat sich den Hinterkopf weggeschossen. Offiziell muss natürlich der Notarzt noch den Tod feststellen.“ „OK, danke“ antwortete Dombrowski. „Wir informieren dann mal die Staatsanwaltschaft.“
„Herr Berger, können wir ins Haus gehen?“ fragte Nagelsmann. Ich würde auch gern sehen, wie es ihrer Frau geht. Sollen wir Ihnen sicherheitshalber einen Arzt holen?“ „Nein, es geht schon“ antwortete Berger. „Ich muss Ihnen etwas sagen.“ fuhr er etwas leiser fort. Nagelsmann schaute ihn verwundert an. „Was ist los? Geht es Ihnen wirklich gut?“ „Ich kenne den Mann, also ich kannte ihn, meine ich“ flüsterte Berger. Eva Nagelsmann erstarrte. „Wo ist Ihre Frau“ erkundigte sie sich. „In der Küche, da hinten gleich rechts“ antwortete Berger. „Harald“ wandte sich Nagelsmann an ihren Kollegen. „Du sprichst in der Küche mit Frau Berger und ich gehe mit Herrn Berger ins Wohnzimmer.“
Am Wohnzimmertisch angekommen erläuterte die Beamtin Berger das weitere Vorgehen. Sie bat ihn, zunächst den Vorfall genau zu schildern. Berger versuchte, kein Detail auszulassen. „Und dann hat er sein Handy auf mich gerichtet und gebrüllt, ich hätte den anderen umgebracht. Er hat mich als Ausbeuter und Kapitalist beschimpft.“ In diesem Moment summt Nagelsmanns Telefon. „Einen Moment, ich muss da kurz rangehen“ unterbricht sie das Gespräch. Sie hört aufmerksam zu, greift sich an die Stirn. „Scheisse, das fehlt mir gerade noch! Danke für die Info. Können Sie rausfinden, wer das hcohgeladen hat? Wenigstens eine IP-Adresse oder sowas? … Alles klar“. Sie legt auf. „Sie gehen gerade viral, Herr Berger.“ wandte sie sich wieder ihrem Gesprächspartner zu. „Er hat das Video online gestellt. Meine Kollegen versuchen gerade, das irgendwie einzudämmen. Wird aber eine Weile dauern und so lange verbreitet es sich weiter. Aber zurück zu Ihnen. Sie sagten, sie kennen den Toten?“ „Ja, Sein Name ist Eugen Marinescu. Ich habe ihn 1990 in Cluj-Napoca getroffen, in Rumänien. Ich war damals Unternehmensberater und wir haben nach dem Sturz Ceaușescus alte Betriebe abgewickelt. Er war ein alter Parteifunktionär. Eigentlich hätten wir ihn sofort rausgeworfen. Aber wir brauchten ihn als Übersetzer. Nach Abschluss des Projektes habe ich nie wieder von ihm gehört, bis er heute vor unserer Tür stand.“
Richard Berger rief selbst bei der Polizei an. Seine Frau Dorothea wollte ihm nicht glauben. Kein Wunder, wer würde solch ein Irrwitzige Sache auch glauben. Herr Berger verstand ja selbst nicht was er da erlebt hatte. Doch nachzusehen traute sich seine Frau auch nicht, zumindest soviel Verstand hatte Sie in der Situation noch behalten. Der Anblick…Herr Berger konnte seinen Gedanken nicht zu Ende fassen. Das schrille Geräusch der alten Klinge lies Ihn Inne halten. Er hatte schon ein Muster in den Teppich gelaufen, so energisch ist er im Kreis gelaufen. Die Polizei würde doch bestimmt mit einem Großaufgebot auftauchen. Ein Mord vor der eigenen Haustüre. Ein Albtraum wird wahr und sie waren mittendrin. Wieso hatte er nur die Sirenen nicht gehört? Diese Situation verstörte Ihn wohl mehr als er es sich selbst eingestehen wollte. Abermals klingelte es. „Richard, nun geht doch endlich an die Tür“ ermahnte ihn Dorothea. Selbst traute sie sich nicht vor die Tür. Sie blieb stur in ihrem Lederimitatsessel sitzen und strich zum hundertsten mal über das Blumenmuster des Sesselschoners. Mit schweissnassen Händen öffnete Herr Berger die Tür. Ihm graute vor dem Anblick…
Zwei Polizisten, eine brünette Dame mit strengem Pferdeschwanz und ein eher schlaksiger junger Typ standen vor seiner Türe. „Sind sie Herr Berger?“ fragte die Polizistin streng. Zögerlich nickte er. „Uns wurde mitgeteilt, dass sich hier ein Schuss ereignet haben soll?“ wieder nickte er, denn er brachte kein Wort mehr heraus. „Sie haben bei ihrem Anruf berichtet, jemand sei erschossen worden?“ abermals ein Nicken. „Nun erzählen Sie uns endlich was vorgefallen ist, schliesslich haben Sie uns her gerufen Herr Berger.“ Die Polizistin stemmt die Hände in die Hüften und der hochgewachsene Mann zog die Augenbrauen skeptisch in die Höhe. Doch Richard Berger brachte kein Wort heraus. Er war blass wie ein Stück Papier – und ich rede hier nicht von diesem braunstichigem Recyclingpapier, sondern dem Hellweißen.
Unterhalb der Treppen lag keine Leiche mehr!
Fortsetzung, Teil 1.
(Zweites Ereignis, an einem anderen Ort, am selben Tag. Eine Art Iteration)
Alvara Pech lebte noch vor zwei Jahren in Winnemucca und kam dann nach Deutschland. Wann immer sie gefragt wurde, wo denn bitte dieses Winnewas – also Winnemucca – liegt, antwortete sie: »In Nevada.«
Weitere Fragen dazu blieben in der Regel aus. Stattdessen folgten mitfühlende Blicke, als Einleitung zur unvermeidlichen Kette von Ratschlägen. Überhaupt schienen die meisten Deutschen sehr hilfsbereit zu sein, auch wenn es manchmal etwas irritierend herüberkam.
Nicht wenige aus ihrem neuen Bekanntenkreis standen Alvara zu Beginn etwas unterkühlt gegenüber, wurden aber freundlich und zugänglicher, nachdem das zwischenmenschliche Eis denn endlich geschmolzen war.
Zudem gab es da noch ihren Nachnamen.
Pech.
Ein verbreiteter Name unter Hispanic Americans – und immer wieder ein Aufhänger vonseiten ihrer Gesprächspartner – jedoch nur selten angenehm für sie selbst. Pech war eben auch ein bitterlustiges Wort der deutschen Ironie. Pechsache war hierbei ein Klassiker, gerade wenn es um Alvaras gesamte Situation ging, Pech gehabt ein wiederkehrendes Phänomen in Sachen Politik und das berühmte Zusammenhalten wie Pech und Schwefel kam ihr ebenfalls in so mancher Form entgegen – in solchen Fällen als Solidaritätsbekundung. Für genau diese war Alvara sehr dankbar, wenn man bedachte, dass sie so gerade eben aus den Good Ol´USA flüchten konnte, nachdem sie bereits in eines der berüchtigten texanischen Deportation Camps gesteckt worden war – Eject Hubs, wie manche diese zynisch nannten. Extrem traumatisch. Über Details hielt sie sich vorzugsweise bedeckt, was mehr aussagte, als verschwieg. Vom Tag ihrer Flucht an galt sie offiziell als staatenlos.
Ihre Eltern flohen nach Portugal. Alvara jedoch zog es jedoch nach Deutschland.
Vielleicht war ihr Nachname ein Grund gewesen, warum sie sich bereits während ihrer Jugendzeit dazu entschlossen hatte Deutsch zu lernen, doch daran konnte sie sich nicht mehr erinnern.
Dank europäischer Sonderregelungen, für gut gebildete Flüchtlinge und Migranten aus den USA, war es ihr schnell vergönnt, einen attraktiven Job zu finden. Ihre Sprachkenntnisse erwiesen sich als ein Riesenplus.
Ein Privileg des Schicksals eben.
Fate und Karma.
Sie saß gedankenverloren auf einer Parkbank und starrt den Screen ihres Pads an. Das tägliche Doomscrolling am Vormittag. Eigentlich überflog sie nur die Headlines. Zu viele schlechte Nachrichten – in detaillierter Form ein Overkill, den sie nicht brauchte. Deutsche News-Portale wurden hierbei von ihr bevorzugt; für Alvara eine Art kulturelle Abgrenzung von der alten Heimat, auch wenn es inhaltlich nur allzu oft um eben diese ging.
Wieder einmal tauchte diese eine Überschrift auf. Vielleicht ein typisches Beispiel für den deutschen Erklärungszwang. Vermisster Sohn des Technikgenies Matas Kudirka wohl tot – Leiche stark verwest. Wie kompostiert muss jemand sein, bis er in Deutschland als wirklich verstorben gilt?
»Ist das normal?«, fragte sie und drehte sich zur Seite – in der Erwartung ihren Arbeitskollegen Jörg Ahlhorn neben sich zu sehen, mit dem sie an diesem Sonntag im Alsterpark saß. Dieser war wortlos aufgestanden und lief schnellen Schrittes auf jemanden zu – sein Smartphone hielt er hoch, als würde er filmen. Er schien sehr aufgebracht zu sein. Nur kurz zuvor hatte er einen sehr entspannten Eindruck gemacht und über banale Dinge des Alltags gesprochen.
Erschrocken beobachtete sie, wie Jörg nach der Tasche eines bärtigen Mannes zu greifen versuchte und einen Schlag ins Gesicht dafür kassierte. Dieser rieb sich anschließend seine geballte Faust und sah zu einem anderen Mann herüber. Beide trugen Jeans und Jacken aus Lederimitat, blickten sehr ernst drein und schienen nicht überrascht zu sein. Sie wirkten eher unauffällig – wie Vater und Sohn in niveauarmer Kleidung.
»Ich will nur zehntausend Euro, mehr nicht! Das sind doch Peanuts!«, schrie Jörg wie irre, zog nach kurzem Zögern einen Kugelschreiber aus seiner Jackentasche und stach dem älteren Mann durch das rechte Auge in den Kopf. Dieser sackte sofort zusammen.
Danach rannte Jörg mit wutverzerrt schäumendem Mund davon. Sein Smartphone hielt er filmend vor sich her, als ob er jemandem damit folgte.
Der jüngere Mann kniete sich zu dem Toten nieder, sprach leise vor sich hin und schien völlig gelassen zu sein – als ob ihn das Ganze kaum berührte.
Alvara war zutiefst erschüttert. Sie blieb auf der Bank sitzen und blickte in die Abgründe eines Déjà-vu.
Fate und Karma.
Dann rief sie die Polizei.
…
Er ging zu dem kleinen Teewagen, der neben der schweren Ledercouch stand und füllte einen wuchtigen, aufwendig geschliffenen Becher zweifingerbreit mit Whisky. Er ließ sich auf die Couch fallen und nahm einen tiefen Schluck. Seine Frau kam, mit dem Telefon in der Hand wieder ins Zimmer und sah ihn fragend an. „Hast du die Polizei gerufen?“, fragte Berger seine Frau. Der Vorfall vor der Haustüre und der Whisky schnürten ihm die Kehle zu und seine Stimme klang krächzend und rau. „Was ist den passiert und warum die Polizei?“ Dorothea schaute ihren Mann verständnislos an. „Vor unserer Haustüre hat sich Einer erschossen, das ist passiert!“ Richard Berger schrie die Antwort förmlich heraus. Seine Frau stieß einen spitzen Schrei aus und ließ das Telefon fallen. Berger stand auf hob den Apparat auf und wählte die 110. Er erklärte dem Beamten am anderen Ende kurz den Grund seines Anrufs, dann setzte er sich wieder und trank das Glas leer, während seine Frau immer noch wie erstarrt dastand und ihn ungläubig anstarrte. Erst nach endlos scheinenden Minuten hatte sich Dorothea wieder gefangen. Sie setzte sich zu Richard und klammerte sich an seinen Arm. Auf die Frage von ihr ob sie vielleicht nachsehen sollten, weil alles nur eine Einbildung sein könnte reagierte ihr Mann nicht. Er schenkte sich noch einen Whisky ein, aber Dorothea nahm ihm ebenso wortlos das Glas aus der Hand und trank es in einem Zug leer. Die Türklingel schreckte sie auf. „Na endlich,“ seufzte Richard und ging zur Türe. Er sah durch den Spion zwei Polizeibeamte und öffnete erleichtert. Die beiden Beamten grüßten förmlich.
„Polizeihauptmeister Huber,“ stellte sich einer der Beiden vor. Bevor er weiterreden konnte fiel ihm Berger ins Wort. „Gut dass sie da sind! Wir wollten gerade zur Kirche, da klingelte es und ein Mann hat sich vor meinen Augen erschossen. „So, so, vor ihren Augen,“ wiederholte Huber und sah dabei seinen Kollegen vielsagend an. „Wo soll das den gewesen sein?“ wollte dieser wissen und er sah dabei seinen Kollegen lächelnd an. Da wurde es Berger zu dumm und er forderte die beiden Polizisten auf zur Seite zu gehen, dann würden sie den Toten liegen sehen. Die Beamten gingen demonstrativ weit auseinander und gaben Treppe und Weg frei, aber es war nichts zu sehen. Der Weg vom Gartentor zum Haus war wie immer nichts deutete darauf hin, dass hier ein Verbrechen geschah.
Es dauerte eine gute Dreiviertelstunde, bis es erneut an der Haustür klingelte.
Berger sass im Wohnzimmer auf der ledernen Couch und hatte einen leeren Cognac-Schwenker vor sich auf dem Couchtisch stehen. Seine Hände zitterten leicht.
„Gehst Du bitte an die Tür und schaust nach, wer das ist?“ bat er seine Frau. „Es wird hoffentlich die Polizei sein.“ Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: „Aber sei vorsichtig!“
Dorothea Berger ging mit leisen Schritten zur Haustür und sah durch den Türspion. Zwei uniformierte Polizeibeamte standen vor der Tür, eine junge, dunkelhaarige Beamtin mit einem schmalen Gesicht, und ein älterer, etwas fülliger Beamte. Beide drängten sich unter das schmale Vordach, weil es draussen in Strömen goss. Im Hintergrund sah sie am Strassenrand einen Streifenwagen parken.
Frau Berger öffnete die Tür. „Guten Morgen“, begrüsste sie die Besucher mit leicht schwankender Stimme. „Es ist gut, dass Sie da sind. Es ist etwas Schreckliches passiert.“
„Sie haben bei uns angerufen?“ fragte der Beamte. „Sie sind Frau Berger?“, setzte er nach, ohne eine Antwort abzuwarten.
„Ja“, fuhr Dorothea Berger fort, „mein Mann war an der Haustür und hatte einen Streit mit zwei unbekannten Männern. Einer von ihnen hat sich vor seinen Augen erschossen….in den Kopf geschossen.“
„Haben Sie den Vorgang beobachtet?, fragte die junge Beamtin.
„Nein. Ich stand im Flur vor dem Garderobenspiegel. Wir hatten uns gerade für die Kirche fertig gemacht.“
„Wo ist Ihr Mann jetzt?“ Der ältere Beamte nahm aus einer Umhängetasche ein Notizbuch. „Könnten wir ihn sprechen?“
„Ja, natürlich“, antwortete Frau Berger. „Er sitzt im Wohnzimmer und erholt sich von dem Schock.“
Sie ging vor zum Wohnzimmer, die Beamten folgten ihr.
„Richard, die Polizei ist da“, sagte sie kurz. „Die Beamten möchten mit dir sprechen.“
Berger, der eingesunken auf der Couch gesessen hatte, erhob sich kurz zur Begrüssung und bekannte dann: „Ich bin noch ganz durcheinander.“
Der ältere Beamte begann: „Erzählen Sie uns, was heute Morgen vor Ihrer Haustür passiert ist.“
„Ich habe so etwas noch nie erlebt.“ Berger schüttelte ein wenig den Kopf. Dann schilderte er die Ereignisse, die mit dem Klingeln begannen und mit der Bluttat endeten.
Der ältere Beamte machte sich Notizen.
Berger beendete nach einer Viertelstunde seinen Bericht. Er wirkte erschöpft.
„Und Sie haben unmittelbar nach dem Schuss die Tür geschlossen und sich ins Wohnzimmer zurückgezogen?“, hakte die junge Beamtin nach.
„Ich stand unter Schock. Ich glaube, ich habe mich instinktiv in Sicherheit gebracht.“
„Und ihre Frau?“
„Sie hat die Polizei angerufen und ist zu mir ins Wohnzimmer gekommen.“ Berger fügte hinzu: „Wir haben uns beide vor da draussen gefürchtet.“
Der ältere Beamte schaute von seinen Notizen auf und wandte sich an Dorothea Berger: „Was haben Sie von den Vorkommnissen an der Haustür mitbekommen?“
„Ich habe zwei fremde Männerstimmen gehört, die einen heftiger werdenden Wortwechsel mit meinem Mann hatten….und dann fiel dieser eine Schuss.“
„Gesehen haben Sie nichts?“
„Nein. Ich stand im Flur. Die Haustür war nur einen Spalt offen. Und mein Mann stand davor.“
„Das ist erst einmal alles“, sagte der ältere Beamte und klappte sein Notizbuch zu. „Wir werden den Vorfall zu Protokoll nehmen. Ich gehe davon aus, dass sich demnächst ein Kommissar bei Ihnen melden wird, um weitere Untersuchungen einzuleiten.“
Er verabschiedete sich und wandte sich mit seiner Kollegin zum Gehen. „Noch etwas“, sagte er im Hinausgehen, „sagen Sie uns bitte Bescheid, wenn sich diese Typen bei Ihnen wieder melden.“
Als sie wieder allein waren, schaute Dorothea Berger ihren Mann an: „Du, Richard, ist Dir nichts aufgefallen?“
„Ich weiss nicht.“ Berger schaute auf sein Glas.
„Die Polizei ist doch durch die Gartentür zu unserer Haustür gegangen.“
„Ja?“
„Sie hätten doch etwas sehen müssen.“
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Dorothea Berger nahm ab und meldete sich.
„Für Dich“, sagte sie und gab ihrem Mann den Hörer. Berger sagte kurz seinen Namen. Die Stimme am anderen Ende war die eines Mannes. Er erkannte sie sofort. Es war der jüngere Mann von der Haustür.
Sonntagsroutine
Die Polizei musste nicht lange überzeugt werden, Streifenwagen zu schicken. Zeitgleich mit seinem Anruf hatte wohl die ganze Nachbarschaft an diesem ehemals sonnigen Vormittag den Schuss gehört. Seine Frau war nicht in der Lage den Anruf zu tätigen. Sie saß mit zittrigen Händen auf dem blumengemusterten Sofa und atmete aufgeregt.
Noch während er das Telefonat mit der Einsatzzentrale führte, hörte er die Martinshörner, die aus sämtlichen Richtungen immer lauter werden.
Mit dem mit dem schnurlosen Telefon lief er ans Fenster. Der Kameramann war nach dem Schuss und seinem Gezeter verschwunden. Hätte er sich den Fluchtweg und ein Fluchtfahrzeug merken sollen? In der Aufregung war daran nicht zu denken. Er wollte nur die Tür zwischen sich, seiner Frau und dieser albtraumhaften Szenerie bringen.
Nachbarn schauten ebenfalls vorsichtig zu seiner Einfahrt und der dortliegenden Leiche des alten Mannes. Keiner wagte es jedoch, hinaus zu gehen.
»Es werden gleich Kollegen bei Ihnen sein, Herr Berger. Bitte bleiben Sie bis dahin weiter am Telefon.«
So hatte er sich seinen Morgen nicht vorgestellt. Die allsonntagliche Routine wurde durch den Vorfall jäh unterbrochen. Nach der Kirche war bereits ein Tisch für zwei bei seinem Lieblingsitaliener reserviert. Danach sollte der Besuch bei den Schneiders folgen, mit Spaziergang und anschließendem Kaffee. Abends hätte der Krimi auf ihn gewartet. Nun hatte er den Krimi bei sich im Vorgarten.
Ein erster Streifenwagen fuhr in die Straße und stellte sich direkt vor der Einfahrt.
»Herr Berger, ich habe soeben mitgeteilt bekommen, dass die erste Streife angekommen ist. Bitte öffnen Sie ihnen die Tür, aber nähern Sie sich nicht dem Tatort. Die Kollegen werden dann alles Weitere mit Ihnen klären.«
Ein knappes »Danke« brachte Richard Berger heraus, bevor er auf den roten Hörer auf seinem Telefon drückte und die Tür einen Spalt öffnete.
Die beiden jungen Beamten stiegen aus dem Fahrzeug. Während der eine im Kofferraum ein weiß-rotes Warnband herausholte, machte sich der andere daran näher an die Leiche heranzutreten.
Ein ziviler Einsatzwagen brauste heran und noch bevor der Wagen hielt, sprang eine stämmige kleine Frau in den Fünfzigern heraus. »Stopp!« Mit schnellen Schritten kam sie auf den Beamten zu. »Verunreinigen Sie nicht meinen Tatort!«
Ein Tatort. Das war es. Der metallene Geschmack auf der Zunge, ausgelöst durch den Geruch des Blutes, führte bei Richard Berger zu Magenkrämpfen. Er wehrte sich gegen die Übelkeit und blickte weg dem am Boden liegenden Mann.
»Sperren Sie hier ab und lassen Sie niemanden durch!«
»Ich wollte nur sehen, ob er noch…«
»Das sieht man doch! Das Blut läuft hier ja schon in den Gullideckel und die Hirnmasse ist auf dem Rasen verteilt. Wenn die Sanis kommen, sollen sie sich um die Anwohner kümmern. Dem da ist nicht mehr zu helfen!« Sie wandte sich dem Haus zu. »Herr Berger, hat Ihr Haus einen zweiten Eingang?«
Es dauerte nicht lange und Kriminalhauptkommissarin Bäumler stand in seinem Wohnzimmer. Er hatte sie an der Garage vorbei über die Terrasse gelotst. Vorher hatte sie noch die ankommende Spurensicherung beauftragt, den Tatort weiträumig zu untersuchen und weitere Beamte angewiesen zusammen mit den Sanitätern nach den Anwohnern zu schauen.
Nun war er mitten in seiner Zeugenaussage. Seine Frau wurde getrennt von ihm von einem anderen Kriminalbeamten befragt, der sich knapp mit »Ebert« vorgestellt hatte.
Alle möglichen Gedanken gingen Richard Berger durch den Kopf. Er erzählte kurz und knapp, was geschehen war. Bäumler hörte aufmerksam zu und machte sich auf einem etwas kitschigen Block mit zwei umarmenden Teddybären Notizen.
»Sie haben also die beiden Männer noch nie in ihrem Leben gesehen?«
»Nein, das sagte ich doch schon.«
»Als Personenbescheibung des jüngeren Mannes habe ich bis jetzt notiert: Zirka Einsachtzig, braune kurze Haare. Braune Lederjacke, blaue Jeans.«
Berger versuchte, das kindhafte Gekrakel auf dem Notizblock zu entziffern, während Bäumler vorlas.
Sein Handy in der Tasche vibrierte. Er versuchte, es zu ignorieren. Die Kommissarin schaute von ihrem Block hoch, wie eine Lehrerin, die einen Schüler beim Schwätzen erwischte.
»Es hört schon gleich auf.«
»Schauen Sie schon nach, wer es ist. Wenn es nichts Wichtiges ist, drücken Sie den Anrufer weg.«
Er schaute auf das Display: »Anonymer Anrufer«.
Er wollte den Anruf wegdrücken, doch Bäumler hielt ihn zurück.
»Machen Sie den Lautsprecher an«
»Ja«, sagte Richard, nachdem er abgehoben hatte. Er rechnete schon wieder mit einer Umfrage zum Heizverhalten oder Stromverbrauch, doch er hörte als Begrüßung nur ein Wort, das blechern und vorwurfsvoll durch den Lautsprecher im ganzen Zimmer hallte: »Mörder!«
Seine Frau rührte sich nicht sondern blickte ihn mit schreckensweiten Augen ungläubig an. >Er hat sich umgebracht< sprach sie mit zittriger Stimme, die immer schriller wurde, >er hat sich umgebracht< Berger dem selbst vor Aufregung schlecht wurde ging an ihr vorbei, um die Polizei zu informieren und entschied mit Blick auf seine Frau, dass ein Krankenwagen auch eine gute Idee wäre. Grade, als er den Hörer seines Haustelefons heben wollte, er war immer stolz drauf gewesen das er zuhause auf Handys verzichten konnte, klingelte ebendieses. Unsicher blickte er seine Frau an, die immer noch auf die geschlossene Haustür starrt und vor sich hinmurmelte und nahm den Hörer ab. >Berger< sagte er zögerlich >Papa! Gott sei dank bist du da.Bitte Papa du musst mir Helfen< Berger atmete kurz auf. Für einen kurzen Moment hatte er gedacht das der Anrufer etwas mit der schrecklichen Situation vor seiner Haustür zu tun haben könnte, aber es war nur sein Sohn Michael der erst vor einem halben Jahr nach Halle (Saale) gezogen war, um Kunstgeschichte zu studieren. Normalerweise freute sich Richard, wenn Michael anrief auch wen er nicht ganz einverstanden, mit der Entscheidung seines Sohnes Kunst zu studieren, war. >Michael ich muss auflegen ich kann jetzt nicht sprechen ich rufe dich später an, um es zu erklären < Grade als Berger auflegen wollte, um endlich die Polizei anzurufen hörte er eine Stimme an seiner Haustür, die sein Blut gefror. >Herr Berger sie sollten ihrem Sohn besser zuhören was er zu sagen hat. Es könnte sein Leben retten! < erschrocken drehte er sich um und sah in das Gesicht des zweiten Mannes, der neben seinem Handy einen Schlüssel in der Hand hielt, an dem ein großer Hundeanhänger baumelte. Der Schlüssel von Michael.
Polizeikommissar Alfred Spohn fuhr sich seit seiner Ankunft am Tatort, ständig durch sein schon spärliches Haar. Der Tote ist bereits eingepackt worden und zurück blieb nur ein großer Blutfleck und die mit Kreide gemalten Umrisse seines Körpers. Vom zweiten Mann keine Spur.
»Kennen Sie die Männer?« Fragte er. Dabei lag sein Blick auf dem ungleichen Paar auf dem Sofa.
»Nein Herr Kommissar. Sie standen einfach nur da und drohten mir, ich meine…«
»Dann wissen Sie auch nicht, wie die Männer hießen, nehme ich an?«
»Nein, ich…«
»Und Sie, Frau Berger?« Unterbrach er Richard Bergers Gestammel, dass seit Eintreffen seiner Einheit nicht abgeklungen war. »Waren Ihnen diese Männer bekannt, oder sind Sie ihnen schon einmal begegnet?«
»Nein! Natürlich nicht. Mit solchen Menschen pflegen wir keinen Umgang, Herr Kommissar. Wir sind anständige Leute, genau wie unsere Freunde.« Empört stieg seine Stimme eine Oktave höher.
»Herr Berger, bitte. Ich habe ihre Frau gefragt. Frau Berger, wissen sie irgendetwas?«
Doch diese saß einfach nur da und starrte zu Boden. Ihr eleganter Zopf, den sie sich extra für die Kirche gesteckt hatte, saß noch genauso gut wie vor zwei Stunden. Als würde sie gleich aufstehen und einfach das Zimmer verlassen.
Es musste der Schock sein, dachte sich der Kommissar, als er sich im Wohnzimmer umsah. So ein sauberes und strukturiertes Haus hatte er selten in seiner 30-jährigen Karriere gesehen. Das war ihm gleich aufgefallen.
Um etwas klarzustellen, Dorothea war eine Hausfrau. Das Haus war ihr Lebenssinn. Was wäre sie für eine schlechte Ehefrau, würde sie sich dieser Aufgabe nicht voll und ganz hingeben.
»Herr Kommissar, Bitte. Meine Frau ist verstört, lassen Sie sie in Frieden.« Dabei legte er die Arme um ihren gekrümmten Körper und zieht sie an sich.
Spohn bemerkte, wie seine Geduld sich dem Ende neigte und wollte, laut schnauben. Doch er hielt inne, als er sah, wie sich Frau Berger bei der Berührung versteifte. Ihr Mann schien das zu bemerken und flüsterte etwas in ihr Ohr.
Daraufhin sah Dorothea auf. »Mein Mann hat recht.« Sie sieht dem Kommissar direkt in die Augen. »Ich kenne diese Männer nicht.«
Wäre Alfred Spohn nicht schon so lange Polizist, hätte er ihr wahrscheinlich geglaubt. Doch etwas an ihrer Haltung widersprach ihren Worten. Dorothea Berger hatte etwas zu verbergen. Doch was war das?
Ein Ruf unterbrach seine Gedanken. »Wir müssen weg, Ein weiterer Vorfall.«
Alfred Spohn betrachtete immer noch die Frau, die wieder zu Boden sah.
Der Polizist kam näher und flüsterte ihm halblaut ins Ohr. »Noch ein Selbstmord, Herr Kommissar.«
Richard und Dorothea warteten im Wohnzimmer auf die gerufene Polizei. Leute versammelten sich und liefen im Garten umher, Rufe ertönten: „Mörder! Kapitalistenschwein!“ Quälende fünfzehn Minuten brauchten die Polizeiwagen bis sie ihr Blaulicht in den Kristallvasen der Vitrine reflektieren ließen.
„Platz da! Treten Sie zurück“, ordneten die Beamten an. Der Menschenauflauf vor dem Eingangsbereich wurde zurückgedrängt und mit Polizeibändern weitläufig abgesperrt. Passanten zückten ihr Handy um die Aktionen der Beamten festzuhalten. Es nieselte. Ein Pavillon wurde aufgestellt und eine Person in Schutzkleidung begann mit der kriminologischen Arbeit an der Leiche.
Minuten später traf Kriminalhauptkommissar Manfred Tegel mit Kriminalkommissarin Sarah Meyers am Schauplatz ein. Dutzende Gaffer versperrten den Zugang zum Grundstück der Bergers. Der kantig wirkende Tegel bahnte sich, mit Sarah im Schlepptau, den Weg zum Tor. Sie zeigten den Polizisten die Dienstausweise und gingen zu der in Weiß gehüllten Forensikerin, die Tegel noch nicht kannte. Der die Platten färbende und Rasen düngende Blutfluss, forderte Abstand.
„Grüß Gott. Kripo Frankfurt, Tegel mein Name. Und das ist meine Kollegin Sarah Meyers.“ „Moin zusammen. Else Schneider, von der Rechtsmedizin, Uni-Klinikum Frankfurt.“
Tegel fragte: „Haben sie schon erste Erkenntnisse?“ „Alles deutet darauf hin, dass sich der Mann selbst das Leben nahm.“ Elsabe zeigte auf die im Sicherungsbeutel liegende Pistole. „Dies ist der Tatort, die Tatzeit liegt maximal dreißig Minuten zurück, welche Fingerabdrücke auf der 9mm Pistole sind und ob der Mann unter Drogen stand, kann ich erst nach der Obduktion sagen.“
„Danke, schicken sie die Ergebnisse bitte zu meinen Händen“, sagte Tegel und gab der Forensikerin seine Visitenkarte.
Polizeiobermeister Steuber kam näher: „Der junge Mann heißt Oskar Schmitz und hat den Tathergang gefilmt, er steht hier drüben.“
Sie gingen zu dem jungen Mann, nannten Dienstgrad und Namen und erfuhren das der Tote, Theodor Storm, sein Freund war. „Sie haben gesehen, wie er sich erschoss und haben das gefilmt?“
„Er hatte keine Wahl, der Mörder ist im Haus, er hat ihn dazu getrieben!“, sagte Oskar. „Zeigen sie mal“, sagte Tegel und schaute sich mit Sarah die Szene an. Oskars Augen wurden feucht. „Eindeutig Selbstjustiz“, sagte Sarah, „das Smartphone bekommen sie später wieder, gehen sie jetzt nach Hause.“
Tegel klingelte. Richard öffnete die Tür.
„Da ist der Mörder! Sie haben ihn auf dem Gewissen!“, rief Oskar. Steuber brachte Oskar zum Notfallseelsorger.
Sie zeigten die Dienstausweise und wurden ins Haus gebeten. „Ich bin fassungslos, wieso erschießt sich der Kerl direkt vor unserer Haustür?“, fragte Richard Berger. „Kannten sie den Mann?“, fragte Tegel. „Nein, habe den noch nie gesehen.“
Ein Bestattungswagen fuhr vor und holte die Leiche ab.
Richard Berger erzählte den Vorgang aus seiner Sicht und endete mit der Bemerkung: „Der Kerl muss nicht ganz dicht gewesen sein.“
„Er hieß Theodor Storm“, sagte Tegel.
Dorothea Berger mischte sich ein: „-Storm- sagten sie, Theodor Storm hatte mit Freunden von uns, eine Reise in die USA gebucht. Drei Wochen Tennessee zum Blues-Festival.“ Richard schnaubt. „Und wenn schon, ich kann mir nicht alle Gesichter merken, die bei uns eine Reise buchen.“ Dorothea sagte: „Meine Freundin erzählte, dass sie in Memphis einem Voodoo Magier begegneten, der ihr Angst machte. Und sich Theodor Storm nach dem Treffen verändert hat.“
Richard Berger hatte den Mann nicht erkannt, dem er im Reisebüro einen Tipp beim Aktienkauf gegeben hatte. Er selbst hatte sein Kapital bei diesem Einsatz eingebüßt und der Gutgläubige Selbstmörder anscheinend auch. Doch nimmt man sich wegen lumpiger zehntausend Euro das Leben? Berger wirkte in sich gekehrt als Tegel sich verabschiedete. „Kommen sie morgen früh ins Präsidium, sie müssen ihre Aussage noch unterschreiben.“