Seitenwind 2024 beginnt! 1. Teil

Die Sirenen wurden lauter, näherten sich unaufhaltsam, aber Berger konnte sich nicht bewegen. Er blieb in der Türöffnung stehen, seine Hände wie stumpfe Klauen an den Rändern des Türrahmens festgekrallt. Der Moment dehnte sich aus, als ob die Zeit selbst sich gegen ihn verschworen hätte, als wäre die Welt in Zeitlupe eingefroren, nur das dröhnende Rauschen der Polizei-Sirene schallte wie ein unsichtbares, drückendes Gewicht in seinem Kopf. Berger konnte den Mann mit dem Handy nicht aus seiner Vorstellung verbannen: das verzerrte Gesicht voller Hass, das Handy in der Hand, das Video, das der Mann vielleicht schon hochgeladen hatte. War er bereits ein Internet-Phänomen geworden? Würde er in den Nachrichten auftauchen? Würde sein Name, dieser Tod, dieser Moment, in dem alles kippen würde, für immer mit ihm verbunden sein?
Er drehte sich um und ging langsamen Schrittes ins Wohnzimmer. Seine Frau hatte sich mit zitternden Händen an die Sofalehne geklammert und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Der Raum war still, der Vorhang wehte leicht im Wind, der durch das offene Fenster zog. Er setzte sich auf das Sofa, starrte auf den Fernseher, der unbenutzt und dunkel vor ihm stand. Die Atmosphäre im Raum war beklemmend.
Ein lautes Klopfen an der Tür. Drei Schläge. »Herr Berger?« Eine Stimme, die er nicht kannte, aber die Autorität ausstrahlte. »Öffnen Sie die Tür, bitte.« Er stand auf, ging zur Tür. Langsam. Die Schritte klangen wie das Klicken einer Uhr. Jeder Schritt fühlte sich schwerer an, als wäre er ein Mann, der durch Sand watete. Er öffnete die Tür. Zwei Polizisten standen da, beide in dunklen Uniformen, ihre Gesichter streng, aber nicht unfreundlich. Einer der beiden, ein älterer Mann mit grauen Schläfen und einem neutralen Blick, sah ihn an und nickte. »Herr Berger, wir möchten mit Ihnen sprechen. Es geht um den Vorfall draußen.«
Berger nickte stumm, trat zur Seite und ließ sie eintreten. Es war, als ob der Raum plötzlich kleiner wurde, als ob jeder Atemzug schwieriger war. Die Polizisten nahmen ihn wortlos in Augenschein, musterten ihn mit schnellen Blicken, die kein Detail übersahen. Sie wussten sicher schon, was passiert war. Hatten sie das Video schon gesehen? Wahrscheinlich wusste die ganze Nachbarschaft es schon.
Der ältere Polizist, der das Gespräch zu führen schien, kam einen Schritt auf ihn zu und sagte mit ruhiger Stimme: »Mein Name ist Krumbach, Hauptkommissar der Kripo Frankfurt. Kommen Sie mit in die Küche, Herr Berger. Wir müssen Ihre Aussagen aufnehmen.«
Berger nickte nur. Während die Polizisten mit ihm in den Nachbarraum gingen, hörte er ein weiteres Geräusch: Das Klirren seines Handys auf dem Tisch. Es blinkte auf, als eine neue Nachricht eintraf. Instinktiv griff er danach, obwohl er wusste, dass es wahrscheinlich das Letzte war, was er jetzt tun sollte.
Er drückte das Display, und der Bildschirm flackerte auf. Ein Video. Ein Bild von ihm, aufgenommen von dem Mann mit dem Handy. Die Schusswunde. Der Körper. Die Vorwürfe.
Die Nachricht war kurz und knapp: »Die Wahrheit kommt nicht immer ans Licht.«
Berger starrte auf das Display, die Worte brannten sich in seine Augen.
Er legte das Handy zurück auf den Tisch, ohne es weiter anzusehen.
Die Polizisten setzten sich ihm gegenüber an den Tisch, und für einen Moment herrschte Stille. Nur das leise Ticken der Wanduhr war zu hören, wie ein ständiger, unerbittlicher Begleiter in diesem Raum, der immer enger wurde. Berger spürte den Blick des jüngeren Polizisten auf sich, scharf, wie ein Schnitt. »Es gibt eine Zeugin. Eine Frau.« Berger dachte an das Handy auf dem Tisch. Die Wahrheit kommt nicht immer ans Licht. Was wusste sie? Die Vorstellung, dass eine unbekannte Person bereits mit der Polizei über die Geschehnisse gesprochen hatte, ließ ihn innerlich erstarren. Was hatte sie erzählt?
Krumbach beugte sich über den Tisch und legte ein Diktiergerät vor Berger ab. »Wir wollen ihre Version der Ereignisse hören.« Er atmete tief ein und begann zu sprechen: »Der Mann hat sich vor meinem Haus das Leben genommen.« Die Polizisten schauten sich kurz an. Krumbach lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Haben sie das Video nicht gesehen?«. Berger kuckte fragend über den Tisch.
»Welches Video?« entgegnete der Hauptkommisar.
In Bergers Kopf begann sich alles zu drehen.
»Da war ein Mann, der alles gefilmt hat.«
Krumbach stützte die Arme auf und sah Berger schweigend an.
»Hören sie« mischte sich sein Partner ein. »Wir haben einen toten Mann vor ihrer Haustür und eine Zeugin, die gesehen hat, wie er erschossen wurde.«
Es war Berger als würde der Boden anfangen zu wanken. Was war hier los? Wo war der andere Mann mit dem Video?
Sein Kopf ruckte plötzlich vor Entsetzen über eine Ahnung hoch.
»Moment mal, verdächtigen sie jetzt etwa mich?«

Dorothea Berger war nicht die Sorte Frau, die einer Aufforderung ohne zu zögern nachkam. Sie formte ihre Brauen zu einem Halbmond, kniff die Augen zusammen und fragte ihren vor Angst zitternden Ehemann, was innerhalb von zweieinhalb Minuten schon vorgefallen sein konnte, das ihn veranlasste, wie ein kleiner Junge nach der Polizei zu rufen. Ihr Mann ließ sich auf den mit Kalbsleder bezogenen Sessel aus Tessiner Manufaktur fallen, den seine Schwiegermutter Eleonora Hochstein ihnen zu ihrer silbernen Hochzeit geschenkt hatte, und erzählte ihr in knappen Worten, was geschehen war. Währenddessen entstand ein hässliches rotweißes Fleckenmuster auf seiner Stirn und dunkle Striemen liefen an den Seiten seines Hemdes herunter – offenbar Schweiß. Dorothea hasste diesen Anblick, es widerte sie an ihren Mann so hilflos zu sehen. Es war offensichtlich, dass er sich aufs Kreuz hatte nehmen lassen. Sie würde seinen Kopf einmal mehr aus der Schlinge ziehen müssen.

Mit zwei beherzten Schritten stand sie vor dem Türspion und blickte hindurch. Dort lag tatsächlich ein alter Mann in einer roten Suppe, die wie Blut aussah und wie ein Heiligenschein um seinen Hinterkopf drapiert war. Sein Gesicht wirkte verbogen und schlaff, sein Körper zeigte keine Regung. Ansonsten war da weit und breit niemand, den sie durch das Fischauge hätte erkennen können. Er sieht aus wie ein Penner, der über eine Dose Tomatensoße gestolpert und auf ihrem Inhalt eingeschlafen ist, dachte sie. Dies war niemand, den irgendwer vermissen würde. Und ganz gewiss war es niemand, für den man in die Nachrichten kommen oder zum Gesprächsthema der Nachbarn werden wollte. Sie drehte sich langsam zu Richard um. „Weißt du, Liebling, es gäbe auch noch eine andere Möglichkeit als die Polizei zu rufen“, sagte sie in einem süßlichen Tonfall, den er sonst nur aus den Unterhaltungen mit ihrem Zwergpudel Bruno kannte.

Richard blickte von seinem Sessel auf und schaute sie verdutzt an. „Was meinst du?“

Sie zog die rechte Mundhälfte hoch, seufzte und legte ihren Kopf schief. Richard erschauderte. Nach 27 Jahren Ehe hatte er noch immer Angst vor seiner Frau. Dies war der Blick, den sie aufsetzte, wenn sie einen Plan hatte, den sie unter allen Umständen umsetzen wollte, und jeder, der ihr dabei im Weg stand… wie damals, nachdem ihr Vater gestorben war und sie den neuen Geliebten ihrer Mutter… er schob den Gedanken rasch beiseite und beschloss, dass es das sicherste war keinen Widerstand zu leisten. „Warte hier“, flötete sie.

Eine Minute später kam sie mit einem ausgedruckten Blatt Papier und einer Rolle Klebeband zurück. Auf dem Bogen stand in großen Druckbuchstaben: 500.000 EURO FÜR IHR VIDEO. DISKRET UND SOFORT.

Sie hielt es vor Richard, der schlaff im Sessel saß und sich keinen Millimeter rührte.

Er vergrub seinen Kopf zwischen den Händen, im Kampf mit seinen widerstreitenden Gedanken. „Aber… wir haben doch keine 500.000 Euro?!“ brachte er schließlich hervor.

Sie blickte ihn triumphierend an: „Nun, das liegt im Auge des Betrachters, würde ich meinen.“

Ohne auf seine Antwort zu warten ging sie zur Tür, öffnete sie weit genug um hinauszuschlüpfen, und kam ein paar Sekunden später ohne das Blatt zurück. „Zeit für einen Drink“, verkündete sie freudestrahlend, drehte sich um zur Minibar neben dem Sofa und mixte sich zufrieden einen Highball.

Wenige Minuten später klingelte es an der Tür. Ohne durch den Spion zu blicken öffnete Dorothea Berger die Tür und ein Mann mittleren Alters in schwarzer Lederjacke und Jeans blickte sie an. Richard erkannte ihn aus seinem Sessel als den Mann, der vorhin das Handy gehalten hatte. Dorothea setzte ihr schönstes Lächeln auf, das sie sonst nur in der Kirche trug. „Wir haben Sie bereits erwartet“, raunte sie und trat für ihren Besucher beiseite. „Kommen wir ins Geschäft.“

Er blickte hinter sich, um zu schauen, wo sie ist, denn sie antwortete nicht. Geschockt krallte er sich an der Türklinke fest, die sich jetzt nicht mehr kalt anfühlte. Im Gegenteil, sie rutschte ihm fast aus seiner schwitzenden Hand. Erneut drückte er seine rechte Wange gegen die Tür, schaute durch den Spion. Die Welt hinter dem Guckloch - seinen Vorgarten, den Plattenweg, und den Toten, der dort lag - sah er in einem schmierigen Rot. Wie zum Teufel kommt das Blut …
Seine Gedanken zerbröselten, als er genauer auf die Leiche schaute. War die Pistole verschwunden? Und wo war der andere Kerl? Der laute Knall des Schusses blendete sich langsam aus und der Druck auf seinen Ohren wurde abgelöst von einem ziehenden Schmerz in der Magengegend, der sich krampfartig durch seinen Körper nach oben arbeitete. Sein Hals wurde trocken und er hatte Mühe, Luft zu holen. Hastig löste er den Knoten seiner Krawatte. In diesem Moment spürte Berger einen kühlen Luftzug am Hals.
»Doro?«, rief er. Keine Antwort. »Doro?!«, hakte er nach. Er wollte seine Frau alarmieren, brachte aber nicht mehr als ein Krächzen heraus. Auch jetzt keine Antwort von ihr. Er hörte sie auch nicht telefonieren, im Haus herrschte Stille. Als er die Klinke losließ, bemerkte er, dass er sich an der Wand des Flurs festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der bogenförmige Durchgang zum Wohnbereich schien unerreichbar weit. Tastend quälte er sich am Gästebad vorbei, die Tür stand halb offen. Der Schmerz in seinem Magen krampfte erneut, als er durch die Ornamentscheibe des Badfensters einen Schatten vorbeihuschen sah. Er zwang sich weiter und erreichte den Durchgang zum Wohnbereich. Wieder spürte er den Durchzug, unwillkürlich schaute er in Richtung Terrassentür. Die Gardine bewegte sich. Mit zitternden Knien ging er weiter. Ein summendes Geräusch kam aus Richtung Küche. Die Mikrowelle war eingeschaltet.
Was hat das zu bedeuten? Wir wollten doch gerade los, warum schaltet Doro die Mikrowelle ein?
Berger trat an das Gerät, um es auszuschalten. Was er darin sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren: Ein blutendes Stück Fleisch lag im Qualm und drehte sich auf der Glasplatte. Hastig riss er die Klappe auf und ein Gestank, den er mit Verwesung in Verbindung brachte, schlug ihm entgegen.
»Doro?«, rief er noch einmal. Er rannte die Treppe zur Empore hinauf und riss die Tür zum Schlafzimmer auf. Das Bild über dem Ehebett war von der Wand gerissen, der Safe stand offen. Etliche Geldscheine lagen verstreut auf dem Bett und im Zimmer, von seiner Frau aber fehlte jede Spur. Von draußen drang das Glockengeläut der Kirche ins Haus – Zeit für den Gottesdienst.

«Die Polizei einzuschalten wirft womöglich Fragen auf, die weder du, noch ich, beantworten möchten», warnte Dorothea Berger, in bemerkenswert ruhigem Tonfall; obwohl sie im Hintergrund alles mit angehört hatte.
Beeindruckt über den Weitblick seiner Frau, die im Gegensatz zu ihm einen klaren Kopf behielt, starrte Richard sein Gegenüber an. Dorothea hielt seinem forschenden Blick mit erstaunlicher Gelassenheit stand.
«Liebling, direkt vor unserer Haustür liegt eine blutüberströmte Leiche!»
«Nun, der horrende Aufpreis für dieses mit zwei Meter hohen Hecken eingefasste Grundstück hat sich gerade ausgezahlt.»
Richard schob sich die randlose Brille auf seiner Nase zurecht. Er verspürte das dringende Bedürfnis, das Gestell abzunehmen und mit einem Brillenputztuch, das vorsorglich in seiner Brusttasche stak, über die leicht beschlagenen Gläser zu reiben. - Diese Handlung hätte, dass Abziehbild des blutüberströmten Toten jedoch auch nicht aus seinem Gedächtnis gelöscht. Anstatt dem Drang nachzugeben, erwiderte Richard Dorotheas beruhigendes Lächeln nur halbherzig. Ihr unschuldiges Kleinmädchenlächeln hatte früher im Handumdrehen sein Herz zum Schmelzen gebracht, inzwischen passte es allerdings nicht so recht zu einer inzwischen Mitte Vierzigerin. Insgeheim gab er seiner besseren Hälfte jedoch uneingeschränkt recht.
Die Polizei einzuschalten wäre zu riskant. Trotz der allgegenwärtigen Gefahr, dass die Quellen seines Zusatzverdienstes auffliegen könnten, fiel es ihm, selbst nach zwei Jahren und einem Umzug in eine anonyme Großstadt, schwer, zu akzeptieren, dass er anscheinend nachlässig geworden war.
War etwas mit den letzten Überweisungen schiefgegangen? Was könnte er übersehen haben, das zu dieser Scharade geführt hatte?
Seine Frau zu fragen würde nichts bringen. Sie interessierte sich nicht für seine Arbeit. Zumindest hatte er dies bisher angenommen. Ihr ungewöhnliches Verhalten deutete jedoch auf das genaue Gegenteil hin. Richard schien es an der Zeit ihre Aufmerksamkeit von ihm wegzulenken.
«Der Knall war ziemlich laut», gab er zu bedenken.
«Das sind Fehlzündungen beim Start eines Fahrzeugs ebenfalls», hielt Dorothea dagegen.
In einer Großstadt zu leben hatte eindeutig seine Vorteile.
Richard hob zögerlich seinen Arm. In Begriff Dorothea eine hervorblitzende wasserstoffblonde Haarsträhne, die unter ihrem Hut, der keck auf ihrem dem Haupt saß, an Ort und Stelle zurückzuschieben, überlegte er es sich, im letzten Moment, anders und fuhr sich mit der Hand, durch seinen bereits an den Schläfen ergrauten Haarschopf.
«Der Zweite hat alles gefilmt, der Kerl hat die Flucht ergriffen, was sollen wir jetzt mit der Leiche anstellen?»
«Richard, bitte beruhige dich. Du bist nicht der Einzige, der das Ganze mitverfolgt hat. Der Mann war extrem nervös. Was will er mit einem Video, indem nicht du, sondern er der Mittäter ist? Facto, existiert kein verwertbarer Videobeweis, höchstens die Möglichkeit einer Erpressung. Denk doch einmal nach. Sieht so die Arbeit eines Profis aus?» Dorothea ging dicht an Richard heran. Kurz bevor sich ihre Nasenspitzen berührten, trat sie einen Schritt seitwärts und lugte durch den Spion.
«Wie ich es mir dachte, dass waren mitnichten Profis! Wer bitte, nimmt nach einem fehlgeschlagenen Überfall eine blutüberströmte Leiche mit?»
«Wer bei klarem Verstand würde sie an Ort und Stelle belassen?»
«Ich schätze die Steinplatten müssen ausgetauscht werden. Bis dahin sollten einige Eimer heißes Laugenwasser genügen. Ich übernehme das. Geh dich bitte umziehen, du siehst sehr unappetitlich aus. Stopf das ruinierte Seidenhemd, die Krawatte und den befleckten Geldschein in einen der schwarzen Säcke, die du in der Garage aufbewahrst. Vergiss nicht die Krawattenklammer abzunehmen», überging Dorothea, seinen Einwurf.
Richard blickte seiner Frau nach, die bereits in Richtung der Hochglanzküche, die an ein geräumiges Wohnzimmer angrenzte, unterwegs war. Er bewunderte Dorothea für deren messerscharfen Verstand. - Er war einer der Gründe, weshalb er sie vor fünfzehn Jahren geheiratet hatte; wenn nicht gar der Hauptgrund.
Du warst diejenige, die wollte, dass ich spaßeshalber einen echten Geldschein an dieser dämliche Krawatte anhefte.

Zehn Minuten später umrundete Richard mit gemischten Gefühlen, die feuchten Steinplatten, deren dunkler und verwaschener Farbton, sich von den restlichen Platten unterschied, und ließ seiner Frau, die zuvor an seinem Arm eingehakt, neben ihm gegangen war, diplomatisch den Vortritt.
«Ab heute schließe ich das gusseiserne Tor vorsorglich ab. Morgen kontaktiere ich einen Sicherheitsdienst, und lasse ein moderneres Haus-Überwachungssystem installieren», sagte Richard.
Dorothea hob ihre manikürte Hand und zupfte ihrem Mann ein langes blondes Haar, vom Ärmel seines dunkelblauen Mantels.
«Geht es dir gut?», fragte Richard verunsichert.
«Die weit dringenderen Fragen wären: Wer waren diese beiden Männer? Weshalb wurde auf zehntausend Euro beharrt, anstatt den hundert Euroschein zu nehmen, den du für jeden sichtbar an der Klammer bei dir getragen hast, und warum hat dieser bärtige Mann seine Drohung in die Tat umgesetzt und sich vor deinen Augen erschossen?»
Richard drehte drei Mal den Schlüssel im stabilen Schloss des schmiedeeisernen Gartentores. Er wusste nicht zu sagen, ob das schnarrende Geräusch bei jeder Umdrehung, oder die Worte seiner Frau, für den eisigen Schauer der ihm über den Rücken ran, verantwortlich war.
Seit wann ist Dorothea derart abgebrüht? Nach unserem Einzug, vor drei Monaten, hat sie sich stark verändert.
Richard zog den schweren Schlüssel ab und schob ihn in seine Hosentasche. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Dorothea seinen BMW umrundete, die Fahrertür öffnete, dann jedoch innehielt, als hätte sie etwas Wichtiges vergessen.
«Also?», fragte seine Frau, die ihm über den Wagen hinweg einen unnachgiebigen Blick zuwarf.
«Woher soll ich das wissen? Vielleicht haben sich die beiden in der Hausnummer geirrt», beantworte Richard die zuvor gestellten Fragen mit reichlich Verzögerung.
Dorothea schien mit seiner Antwort zufrieden, sie stieg ein und wartete, bis Richard den schwarzen Müllsack, der zwischen seinen Füßen auf dem Boden stand, aufgenommen und im Kofferraum verstaut hatte.
Beweismittel im eigenen Haus aufzubewahren, wäre eine sträfliche Dummheit. Ich überlege mir später, wo ich den Müllsack entsorge.
Richard schlug den Kofferraum zu und nahm widerwillig auf dem Beifahrersitz platz. Das seine Frau, die sich für gewöhnlich nur um den Haushalt und die notwendigen gesellschaftlichen Anlässe kümmerte, wie selbstverständlich das Ruder übernahm, war er nicht gewohnt. Er fühlte sich jedoch außerstande, sich dagegen aufzulehnen und eine kräfteraubende Diskussion zu riskieren. Das ungute Gefühl, dass Dorothea in ihm den Täter, oder zumindest einen Mittäter sah, und nicht ein unschuldiges Opfer, verstärkte sich unter ihrem missbilligenden Seitenblick, mit dem seine Frau ihn bedachte.
«Unterhalten wir uns heute Abend weiter, nach der Frühmesse trifft sich die Vorbereitungsgruppe für das anstehende Erntedankfest.»
«Das passt gut, ich wollte eh noch kurz im Reisebüro vorbeischauen. Ich hole dich im Anschluss an dein Treffen ab.»
«Bitte sei wenigstens heute pünktlich. Du weißt, wir erwarten Gäste», bat Dorothea, die einen schnellen Blick in den Rückspiegel warf, bevor sie anfuhr.
Richard blickte ebenfalls in den Außenspiegel, ihm blieben die Worte «Ich bin maximal zwei Stunde weg», im Hals stecken. Einige Meter entfernt, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, meinte er in einer Reihe am Bordstein parkender Autos, die blutrote Schnauze eines Minis zu erhaschen, der ihm vertraut war.
Vermutlich spielt mir mein Gehirn nur einen fiesen Streich. Viktoria wohnt am anderen Ende der Stadt. Sie müsste sich bereits auf dem Weg ins Büro befinden.
Richard lehnte sich, durch die vorangegangenen Ereignisse spürbar erschöpft, im Sitz zurück und schloss die Augen.

(C) Nellie.A

Offene Enden – zweiter Teil
Zehntausend Euro
Von Gitti Weiss (Brigitte Raspovic)
„Das habe ich bereits getan, nachdem ich den Schuss gehört hatte“, gab sie mit
zitternder Stimme und bleichem Gesicht zur Antwort. „Die Rettungskräfte, sowie die
Polizei werden bald hier sein. Ich hatte fürchterliche Angst und vermutete, Dir wäre
etwas zugestoßen. Ich bin so froh, dass Dir nichts passiert ist,“ sprach sie weiter,
während sie ihm um den Hals fiel. Er drückte sie an sich und erzählte in kurzen
Sätzen, was sich zugetragen hatte. Unmittelbar danach schob er sie beiseite, da
draußen das Martinshorn und die Polizeisirenen ertönten. Die Sirenen verstummten.
Augenblicklich war ein Durcheinander von lauten Männer- und Frauenstimmen,
sowie das mehrmalige Zuschlagen von Autotüren zu vernehmen.
Das Ehepaar begab sich in den Flur und spähte abwechselnd durch den Türspion.
Es war wieder alles ruhig. Zu sehen war nichts.
Richard meinte verwundert: „Seltsam, dass die Polizisten nicht bei uns geläutet
haben. Normalerweise nehmen die doch ein Protokoll auf.“ Dorothea zuckte mit den
Achseln und entgegnete: „Vielleicht kommen sie ja später nochmal vorbei.“
Nach einer Weile öffnete er vorsichtig die Haustür und trat, gefolgt von seiner Gattin,
nach draußen.
Beide erschauderten, denn es bot sich ihnen ein Anblick des Grauens. Zwei blut-
überströmte Polizisten torkelten auf sie zu und sanken zwei Schritte vor ihnen zu
Boden.
Die Leiche des Selbstmörders und dessen Begleiter, waren spurlos verschwunden.
Auch von einem Polizeiauto war weit und breit nichts zu sehen.
Richard Berger und seine Frau Dorothea waren unfähig, etwas zu tun. Ihre Glieder
schlotterten vor Entsetzen. Es dauerte einige Minuten, bis sich der Reisebüroinhaber
und seine Frau einigermaßen gefangen hatten. Ihre Blicke galten jetzt den zwei am
Boden liegenden furchtbar zugerichteten Männern in Uniform.

„Was soll ich?“, rief sie aus dem Schlafzimmer im Obergeschoss zurück.

Berger ging in das Wohnzimmer und schenkte sich einen Cognac ein. Er nahm nicht den guten, sondern vom günstigen und leerte den Schwenker in einem Zug.
„Ruf einfach die Polizei!“ Berger versuchte, so viel Autorität wie möglich in seine Stimme zu legen, damit seine Frau Dorothea keine weiteren Fragen stellte und er das Erlebte nicht in Worte fassen musste. Hastig schenkte sich Berger nach, trotz der frühen Vormittagsstunde.
„Sie sollen sich beeilen!“, rief er noch hinterher und nahm wieder einen kräftigen Schluck Cognac. Er fühlte sich plötzlich wie betäubt, trotz der inneren Unruhe, die sich in ihm wie ein Beben ausbreitete. Das sonst so feurige Beißen des Weinbrands spürte Richard Berger kaum, er war sich selbst fremd geworden. Berger merkte erst jetzt, dass er am ganzen Körper zitterte, und setzte sich in seinen bequemen Fernsehsessel.
Er weigerte sich, das Geschehene zu erinnern, wollte die grauenhaften Bilder vor der Haustür lassen. Richard Berger wollte nicht daran denken, wie schnell sich der bärtige Mann die Pistole in den Mund gesteckt und abdrückt hatte, wie überraschend laut der Knall des Schusses gewesen war, wie dessen Hinterkopf in einer riesigen Fontäne aus Blut und Gehirn explodierte, wie abgebrüht der jüngere Mann alles filmte und ihm sofort die Schuld gab, als ob…
Rasend schnell stieg in Berger Übelkeit auf und er erbrach sich neben dem Sessel.

Der stechende Geschmack von billigem Weinbrand und Erbrochenem im Mund schärfte überraschenderweise seinen Verstand und er fühlte sich nach dem Übergeben plötzlich sehr erleichtert. Klarheit kehrte in seine Gedanken ein, sein Körper beruhigte sich langsam wieder.
Das konnte eben nicht wirklich geschehen sein. Es ergab alles keinen Sinn, dachte Richard Berger. Weshalb hatten die beiden Männer ausgerechnet bei ihnen geklingelt? Weshalb steckte sich jemand eine Pistole in den Mund, um zehntausend Euro zu erpressen, und erschießt sich dann so schnell?
Woher wollten sie wissen, ob er so viel Bargeld im Haus hatte? Seine Frau und er lebten zwar in einem besseren Stadtteil Frankfurts und er war Eigentümer eines bekannten Reisebüros, aber wer ging heutzutage noch das Risiko ein, größere Summen Bargelds zu Hause aufzubewahren. Hätte der bärtige Mann nach Gold gefragt, das wäre in dieser Gegend eine ganz andere, vielleicht sogar die bessere Wahl gewesen.

Langsam erlangte Richard Berger seine kalte Logik wieder zurück, die er als Geschäftsmann über vier Jahrzehnte erworben hatte. Seine Gedanken schienen jetzt zu fliegen. Warum filmte der jüngere Mann die Tat, warum schien ihm der Tod des älteren, bärtigen Mannes egal gewesen zu sein? Hatte er etwa den älteren Mann erpresst und zu dieser Verzweiflungstat gezwungen? Falls ja, womit? Was war so mächtig, dass sich jemand das eigene Leben nahm? Oder war der junge Mann mit dem Smartphone nur ein Komplize und jemand anderes zog im Hintergrund die Fäden? Vielleicht wurde der junge Mann selbst erpresst und ebenfalls zu der Tat gezwungen?
Das schien alles keine kleine Betrugsmasche von Amateuren sein, schlussfolgerte Berger. Wer auch immer die Fäden zog, musste ein Profi sein. Was aber will so jemand mit zehntausend Euro? Für so jemanden gab es doch viel lukrativere Geschäfte, viel schneller mehr Geld zu verdienen, allein im Drogenhandel am Hauptbahnhof. Wer könnte ihn erpressen wollen, fragte sich Richard Berger selbst. Wer wollte ihm schaden? Er hatte sein Geschäft immer ordentlich geführt, schuldete niemanden etwas und niemand schuldete ihm etwas. Seine Verluste an der Börse waren ein kalkuliertes Risiko gewesen. Der Versuch, einfach zu Reichtum zu kommen. Wie aber so viele Abkürzungen führte auch dieser kurze Weg in die Irre. Und wer den Schaden hatte, brauchte für den Spot nicht zu sorgen. Nachdenklich nahm Richard Berger seine Krawatte in die Hand und begann, mit dem breiten Schlipsende zu spielen. Das an der Börse eingesetzte Geld stammte aus seinem Privatvermögen; das Geld war ordentlich versteuert gewesen. Es ergab alles keinen Sinn.

Und womit wollte man ihn eigentlich erpressen? Er hatte keine Straftat begangen, niemanden erschossen. Er hatte sich lediglich nicht erpressen lassen, er hatte Stärke gezeigt und war hier das Opfer, aber kein Täter. Und dafür gab es sogar einen unwiderruflichen Beweis und einen Zeugen. Der junge Mann mit dem Smartphone hatte alles gefilmt. Die Erpressung des bärtigen Mannes, dessen Selbstmord und seine Beschuldigungen.
Richard Berger spürte Zuversicht in sich aufkeimen, war wieder voller Hoffnung und bereit, sich zu wehren. Es gab sogar noch einen zweiten, viel besseren Beweis, dachte er. Die Videokamera am Haustüreingang. Er sprang aus dem Sessel und ging schnellen Schrittes in den Flur, um sein Smartphone von der Kommode zu holen.
Seine Frau Dorothea kam in diesem Augenblick eilig die Treppe zum Flur herunter. „Die Polizei will wissen, was genau passiert ist, Richard.“ Sie konnte die Aufregung in ihrer Stimme kaum unterdrücken und wollte ihm das Haustelefon in die Hand drücken. „Was war das für ein Knall?“, fragte Dorothea aufgebracht.

Das Karussell seiner Gedanken und Gefühle schaffte Berger nicht in Worte fassen. „Das willst Du nicht wissen“, entgegnete er wirsch. „Es ist zu Deinem besten.“
„Doch“, beharrte Dorothea, „sag mir sofort, was los ist!“
Aus dem Telefonhörer war leise eine Frauenstimme zu vernehmen: „Hören Sie bitte, Frau Berger. Was ist bei Ihnen konkret passiert? Ein Streifenwagen ist bereits unterwegs. Ist jemand verletzt? Bleiben Sie ganz ruhig!“
Richard Berger wusste nicht, wie er alles erklären sollte.
„Dann sieh doch selbst!“, rief er seiner Frau gereizt zu und riss die Haustür auf, ohne hinauszusehen.
Dorothea ging langsam zur Tür an ihrem Mann vorbei und schaute hinaus.
„Was soll ich sehen?“, fragte sie nach einem Moment und schaute ihren Mann verwundert an.
Berger sah jetzt selbst hinaus.
Da war nichts. Keine Leiche, kein Blut. Weder auf den Treppen noch auf dem Plattenweg zum Vorgartentor.
Er aktivierte die Sicherheits-App auf seinem Smartphone und spulte die Kameraaufnahmen der letzten Minuten zurück.
Da war nichts. Keine Männer, kein Schuss, keine Leiche.
„Richard“, fragte Dorothea, „was ist hier los?“

In der Ferne waren leise Polizeisirenen zu hören.

(C) Felyx

Fünf Nullen

Nick Stein

Berger sah sich die Bescherung an. Er gab dem älteren Mann neun Punkte für die Haltungsnote und vier für die Idee. Dem jungen Schreihals schenkte er dagegen keine weitere Beachtung. Der machte was mit seinem Handy, schickte seine Sensationsmeldung wohl gerade an alle sozialen Netzwerke weiter und war bereits ein paar Schritte weiter weg.

»Da hast du dir ja was Schönes eingebrockt. War das wegen dir?« Dorothea war wie immer kritisch-spöttisch. Sie war neben ihn getreten und sah an seinem Anzug herunter auf seine schlecht geputzten Schuhe. Sie schaffte es immer, auf ihn herabzusehen, auch wenn sie einen Kopf kleiner war als er.

»Also gut. Ich rufe die Bullen. Obwohl du ja der Zeuge bist.« Und gleich kam wieder die alte Leier, die er immer hörte, wenn er einen Börsendeal verbockt hatte. »Wir könnten schon lange im Westend wohnen, wenn du mal mehr Erfolg hättest. Dann würde uns so etwas nicht passieren.«

Neben sie hatte sich ihre Afghanenhündin gesellt, die die gleichen langen Blondhaare hatte wie Dorothea und Bergers Mutter. Die Hündin litt an Ataxie, konnte kaum noch laufen und war fast blind. Dorothea sie Ramona genannt. Nach seiner Mutter. Berger hörte Dorothea im Wohnzimmer nach dem Festnetztelefon greifen.

Sie hatte ja recht. So ging das alles nicht weiter.

Berger hatte die Masche des Toten gefallen, so schnell und einfach an viel fremdes Geld zu kommen. Nur die Ausführung war schlecht, sich dann in der Konsequenz tatsächlich selber umzupusten, was brachte das denn? Auch wenn es konsequent und elegant ausgeführt worden war.

Das ging doch noch besser!

»Ramona, komm.« Die Hündin folgte ihm aufs Wort, er leinte sie an, trat hinaus und versuchte, die Hündin von der Blutlache neben der Leiche fortzuzerren.

Der Vorfall hatte etwas in Berger ausgelöst. Ein Gefühl, als ob alle Puzzleteile wie von selbst an ihren Platz fielen. Er griff zu der Pistole neben dem Toten, wischte sie an der Krawatte, die er noch nicht hatte leiden können, sauber und steckte sie ein.

Dorothea war zurück und hatte das gesehen.

»Mensch, Richard, jetzt sind da deine Fingerabdrücke drauf!« Dorothea sah ihn besorgt an. »Die Polizei ist in zehn Minuten da. Die werden dich einbuchten. Warum tust du das?«

Berger zeigte auf die Kamera über die Tür und dann auf die Nachbarn, die jetzt sämtlich hinter ihren billigen Gardinen hersahen. »Wohl kaum. Ich war’s ja nicht. Komm jetzt bitte. Ich habe eine Idee.«

Zehntausend Euro! Damit hätte er sich ein Zehntel eines Bitcoins kaufen können. Die einzige Investition, an die er nach all seinen Pleiten an der Börse noch glaubte.

»Nee, ich gehe hier nicht weg«, beschied ihm seine Frau. »Ich warte hier auf die Polizei. Du musst auch hierbleiben. Wo willst du denn jetzt hin? Mir nichts, dir nichts zur Kirche?«

Berger zog die Hündin, die inzwischen an den Spritzern auf dem Pflaster leckte, weg von der Leiche. »Doch. Wenn ich zurückkomme, ziehen wir hier weg. Ins Westend. Du wirst schon sehen.«

Berger marschierte los, den Hund an der Leine hinter sich her zerrend. »Wir müssen nur zwei Straßen weiter, Ramon. Dann hast du’s geschafft.«

Zehn Minuten später stand er vor Eschbachs Villa, drückte die Klingel und starrte in die Kamera der Überwachungsanlage. Früher einmal hatten Andreas und er als Tierschützer Hunde und Katzen aus Tierheimen befreit und viel Spaß dabei gehabt, doch seitdem der mit seinen Büchern Millionen verdiente, hatte er sich schon lange nicht mehr bei ihm blicken lassen. Immerhin erkannte Eschbach seinen früheren Kumpel noch und öffnete das schwere Stahlgitterltor vor ihm per Fernbedienung. Berger wartete, bis die nachtschwarzen Elemente mit ihren vergoldeten Spitzen komplett zur Seite geglitten waren. Seine Beine schienen schwerer zu werden, als er die weiteren Schritte über den teuren Marmorkies und dann die geschwungene Freitreppe hinaufging. Die war ebenfalls aus bestem Carrara-Marmor und immer frisch geputzt.

Eschbach machte selbst auf. Einen Spalt, mehr nicht. Berger sah kaum mehr als Auge und Nase.

»Richard? Was bringt dich denn zu mir? Es ist doch hoffentlich nichts passiert?«

Berger holte erst tief Luft und dann die Pistole aus der Tasche.

»Hunderttausend Euro. Ich brauche hunderttausend Euro, Andreas.« Er fuchtelte wild mit der Pistole herum und hielt sie Ramona an die blonden Locken. »Sofort und ohne Fragen und Fisimatenten. Sonst erschieße ich den Hund.«

Die Tatwaffe
Von Paulina Goldbach

Dorothea hob den Kopf von ihrer Zeitung und hechtete zum Telefon. Mit zittrigen Fingern tippte sie den Notruf ein: »Was ist los?«, sie verstand gar nichts.
Er riss ihr den Apparat aus der Hand: »Kommen Sie schnell. Am Buchrain 13 am Kronberg. Hier liegt ein Toter vor der Tür. Der wollte mich erpressen.« Hektisch wanderte sein Blick immer wieder zum Eingang. »Nein, ich habe ihn nicht umgebracht, weil er mich erpressen wollte. Er hat sich selbst erschossen. Da ist ein zweiter, der lebt aber noch.«
Dorothea Bergers Augen weiteten sich mit jeder zusätzlichen Erklärung ihres Mannes. Sie wandte den Blick kaum von der Haustür, während sie sich den Schürhaken vom Kamin griff. »Jetzt kommen Sie doch einfach, wir sind in Gefahr«, drängte Richard Berger den Gesetzeshüter. Entschlossen drückte er den Beamten weg: »Nu‘ müsen sie auftauchen, nur wann?« Richard und Dorothea Berger standen wie paralysiert in ihrem Haus.

Es klopfte. Frau Berger wimmerte. Ihr Ehemann schlicht zur Haustür und schaute aus dem seitlichen Fenster. Unberührt lag die Leiche vor seinem Haus. Es hämmerte. Dorothea Berger stieß aus: »Der soll abhauen! Was will der? Wie ist das passiert, Richard?« Lautstärke und Schrillheit ihrer Worte steigerten sich. »Was weiß ich?«, blaffte Richard.
Erneutes Klopfen, schneller und lauter: »Öffnen Sie die Tür. Sie haben meinen Vater umgebracht. Das werden Sie büßen.« Die Stimme des Fremden trug seinen Hass ins Haus. »Aus reinem Geiz bringen Sie Menschen um. Das kommentieren Sie auch noch sarkastisch.« Das Ehepaar umklammerte sich, den Schürhaken zwischen sich. Richard Berger schlich erneut zur Tür, um sich den jüngeren Mann genauer anzuschauen. Er musste herausfinden, was der Kerl vorhat und weshalb er nicht verschwunden ist. Richard drohte: »Wir haben die Polizei gerufen. Sie werden gleich festgenommen und wir haben unsere Ruhe.« Die Antwort des Fremden klang leiser und entfernter. »Sie werden die Probleme bekommen. Sie sind der mit der Leiche vor der Tür. Wie wollen Sie das denn erklären? Oder die sauber abgewischte Tatwaffe in Ihrem Haus?« Ein dezentes Klicken ertönte an der Hintertür des Gebäudes. Die Katzenklappe schwang auf und nach einem lauteren, metallischen Klappern, fiel sie zurück in die geschlossene Position.
Die Augen der Bergers weiteten sich, sie sprinteten in ihren kleinen Abstellraum neben ihrer Küche. Auf dem Boden schimmerte die Pistole im Licht des Flures. Sie erstarrten, verharrten. Die Waffe fixierten sie einige Sekunden. Dorothea schnappte nach Luft, das Atmen hatte sie kurzzeitig vergessen. Sie schrie: »Was machen wir denn jetzt? Verdammt, die Polizei ist gleich hier.«

Sie hörten noch keine Polizeisirenen.

Teil 2

Gudrun

Herr Berger zitterte wie Espenlaub und ging mit weichen Knien bis zum Sessel in der Flurecke.

Seine Frau Dorothea telefonierte und rief in den Hörer: „Hier ist ein Mord passiert, bitte kommen sie schnell?“

Ganz geruhsam hörte sie die Stimme des Polizisten: „Na, wenn er schon passiert ist, müssen wir uns nicht beeilen.“

Herr Bergen sah verwirrt in den Flurspiegel, der direkt vorm Sessel stand. Rote Flecken auf seiner neuen Krawatte fielen im als Erstes auf, aber dann sah er, dass sich die roten Tupfer auf einem Streifen seiner Kleidung, wahrscheinlich begrenzt von der durch die Kette verhinderten geringen Türöffnung, auf seiner Kleidung befanden. Da ihm sein äußeres Erscheinungsbild sehr wichtig war, sackte er noch weiter zusammen. Er war nicht mehr in der Lage zu denken oder auch nur zu jammern.

Bitte Dorothea, was ist da eben passiert?

Seine Frau kam näher und sagte nur: „Ich weiß es doch nicht, du warst an der Tür.“

Sie streichelte ihm über das wohl frisierte Haar, sah aber dann an ihrer Hand auch rote Spuren.

Sie rannte ins Bad um die Hand abzuwaschen, merkte aber, dass das nicht ging.

Zum Glück hörten sie nun die Polizeisirene und eilige Schritte zur Haustür.

Beide warteten, dass die Polizisten klingeln würden, erst dann öffneten sie die Tür.

Ein großer muskulöser Polizist und ein kleiner drahtiger betraten den Flur und der Große stellte sie vor: „Das ist Wachtmeister Hellbricht und mein Name ist Oberwachtmeister Klain“, und übergangslos, „was ist los? Wo ist die Leiche? Wir wurden zu einem Mord gerufen!“

Herr Berger sah verwirrt von einem zum anderen: „Haben sie sie nicht gesehen – direkt vor der Haustür!“

Wie aus einem Munde sagten sie: „Da ist niemand!“

Nun fiel Herr Berger in eine wohltuende Ohnmacht. Das war zu viel für sein einfaches Weltbild in dem zu allen Geschehen auch eine Ursache gehörte.

Der kleinere Beamte fühle noch einen schwachen Puls bei ihm und meinte, der wird wieder. Nun wandte sich Herr Hellbricht an Frau Berger: „Können sie etwas zu der Mord-Meldung sagen?

„Nicht sehr viel. Wir haben uns zum Kirchgang fertig gemacht, als es klingelte. Das ist für einen Sonntagmorgen sehr ungewöhnlich, aber mein Mann ging zur Tür. Ich hörte die Sicherheitskette klirren und dann das vorsichtige Öffnen der Tür. Da draußen redete einer, aber ich konnte nichts verstehen. Mein Mann antworte. Dann hörte ich einen Knall. Mein Mann stürzte herein rief nach der Polizei und fiel in den Sessel. Sehen sie, wie er da sitzt. Er hat sich noch nicht wieder bewegt.

Er hat mich nur festgehalten, als ich die Tür öffnen wollte.“

Beide Polizisten gingen nun vor den Eingang, fanden aber keine Spuren. Der Kleinere sagte leise: „Wenn die Blutspritzer nicht wären, würde ich sagen, die beiden hätten einen …“

„Ruhe, das ist eine unqualifizierte Bemerkung. Ruf die Spürhunde von der Kripo an. Hier stimmt was nicht! Wir müssen den wahrscheinlichen Tatort sichern. Hol das Absperrband!“

Im Haus wachte Herr Berger langsam auf, aber er war immer noch sehr verwirrt. Die Forderung nach Geld fiel ihm ein, aber warum er es hergeben sollte, nicht. Er grübelte, aber anscheinend war diese Forderung sosehr von seinem Weltbild entfernt, dass sie ihm nicht erinnerlich war…

Frau Dorothea kochte Kaffee für ihren Mann und auch für die Herren die nun auch noch kommen würden. Herr Hellbricht und Herrn Klain konnten noch eine Tasse aus der Frühstückkanne serviert bekommen. Sie selbst begnügte sich mit einem Glas Wasser.

Dann warteten sie. Immer noch im Flur. Herr Berger saß mit ausdruckslosem Gesicht im Sessel und stöhnte vor sich hin.

Nach etwa 15 Minuten bemerkte Wachtmeister Hellbricht, dass die roten Flecken auf der Krawatte langsam verblassten. Auch die Hände von Frau Dorothea sahen wieder sauber aus. Schnell nahm er sein Handy und fotografierte die Reste. Zum Glück hatte er seine Bodycam eingeschaltet, als er den Flur betrat. Da würde ja auch etwas zu sehen sein.

Als die Beamten der Spurensicherung eintrafen, waren alle roten Flecke verschwunden. Auch die „angebliche“ Blutlache auf dem Gehweg. Sie suchten den ganzen Garten ab, puderten das Gartentor wegen der möglichen Fingerspuren und auch den Klingelknopf. Aber nichts war festzustellen, das nach „Mord“ aussah.

Gut zwei Stunden bemühten sie sich, dann fragten sie einen Amtsarzt nach einer Möglichkeit Herrn Bergers Geisteszustand zu untersuchen. Das war möglich. als Zeuge des Vorfalls wurde er in die Uniklinik gebracht, Frau Dorothea begleitete ihn. Fürsorglich hielt sie seine Hand und blicke ihn immer wieder ratlos an.

Das EEG und die körperlich Untersuchung bescheinigten Herrn Berger eine altersgemäße Gesundheit. Er wurde nach Hause entlassen. In den nächsten Tagen wollten noch einmal Beamte kommen und erfragen, ob er sich nun erinnern könnte.

Herr und Frau Berger, versuchten in den restlichen Tagesstunden sich so normal wie möglich zu verhalten, aber es war schwierig. Am Abend nahmen sie einen Schlummertrunk und begaben sich zu ihrer üblichen Zeit ins Bett.

Herr Berger schlief schnell ein, aber er wälzte sich unruhig hin und her. Seine Frau beobachte ihn besorgt. Dann bemerkte sie, wie er im Schlaf anscheinend sprechen wollte. Er bewegte die Lippen. Es kamen aber nur undeutliche Geräusche heraus. Aber ihr Mann versuchte es immer wieder. Dann auf ein mal konnte sie etwas verstehen: „Zehntausend Euro“, hörte sie schwach und diese Zahl wurde mehrmals wiederholt. Sie griff nach ihrem Handy und nahm das Gestammel auf. Dann plötzlich drehte sich Herr Berger um und schlief ganz ruhig bis zum Morgen.

Zur gewohnten Zeit erwachten das Ehepaar und nach ihrer Morgentoilette trafen sie sich im Esszimmer zum Frühstück. Dorothea betrachtete ihren Mann, der nun ganz normal und ruhig aussah.

Nach der zweiten Tasse Kaffee sagte Dorothea leise: „Zehntausend Euro“!

Herr Berger ließ den Löffel fallen, mit dem er gerade den Zucker in die Tasse getan hatte.

Es war wie ein Schalter in seinem Kopf. Plötzlich konnte er sich an alles erinnern.

„Oh, Dorothea, was weißt du von den Zehntausend Euro?“

„Du hast im Schlaf davon gesprochen.“

„Und was noch?“

„Nichts weiter nur immer diese Summe.“

Herr Berger überlegte: „Heute ist Montag ein normaler Arbeitstag. Dorothea ruf die Beamten an, und sage, dass ich mich erinnern kann. Sie sollen so schnell wie möglich kommen – nicht dass es wieder vergesse.“

Herr Berger stand auf und ging zur Tür. Er legte die Kette vor und öffnete die Tür. Kalte Luft strömte herein. Vor der Tür war niemand. Er flüstere die Worte die der jüngere Mann gestern mehrfach sagte, dann war der Schuss gefallen. Herr Berger sagte: Bummm“ und warf die Tür zu.

Er wankte zu dem Sessel. Nun hatte er die Erinnerung wieder.

Erfreut blickte er seine Frau an, aber die starrte auf seine Krawatte. Herr Berger sah an sich herunter. Rote Flecke breiteten sich aus. Im Spiegel sah er sie auch auf seinem Gesicht und der weiteren Kleidung – wie gestern!

Die Polizisten ließen sich Zeit. Als sie dann kamen waren die Flecke schon so gut wie weg.

Aber dieses Mal kamen auch Spezialisten für das angebliche Blut mit und auch der Amtsarzt.

Der untersuchte akribisch die Suren auf den Gehwegplatten. Es waren keine Spuren von der Gehirnmasse zu finden. Damit konnte man rückschließen, dass der Schuss vorgetäuscht war.

Denn ein Schuss in den Mund hätte die hintere Gehirnschale zerschmettert. Die Spezialisten stellten auch fest, dass das Blut künstlich war.

Also kein Mord, aber was dann?

Dorothea Berger setzte sich zu ihrem Mann und sagte zu ihm: „Richard, kein Mord, aber warum dieses Theater und die Erpressung von Zehntausend Euro. Das muss doch einen Grund geben? Hast du jemanden beleidigt oder übervorteilt. Hast du jemanden sein Geschäft ruiniert?

Gibt es einen Menschen der dir nicht gut ist?“

Richard Berger schüttelte immer wieder nur mit dem Kopf. Er hielt sich doch an alle Gesetze und war schon aus Geschäftsgründen sehr freundlich zu allen Menschen. Im seinem Reisebüro gab es kaum Reklamationen. Er ging mit den Empfehlungen zu den Reisen sehr sorgfältig um. Viele Orte hatte er selbst erkundet und auch mit den Verantwortlichen der Unterkünfte per Brief und Telefon verhandelt. Er war sich keiner Unehrlichkeit oder auch nur Nachlässigkeit bewusst.

Am Mittag kam der Postbote und brachte ein großes schweres Paket. Unter Stöhnen wuchtete er es in den Hausflur. Auf dem Etikett stand Dorothea Berger und die Adresse stimmte auch, also quittierte sie den Empfang.

„Hast du etwas gekauft“, fragte ihr verwunderter Ehemann.

Dorothea war sprachlos und schüttelte nur den Kopf.

Beide wunderten sich auch über die Größe und Schwere des Paketes.

Als Herr Berger mit dem Brieföffner dem Paket zu Leibe rücken wollte, hielt ihn seine Frau zurück.

„Ich habe nichts gekauft und nichts bestellt. Die Kinder können auch nichts schicken, die sind gerade auf Reisen. Ich habe Angst es aufzumachen. Mein Lieber, bitte ruf du mal die Polizei an und erzähle ihnen war hier steht. Mir zittern die Hände ich kann nicht mehr …

Sie stand gerade vor dem Sessel im Flur und lies sich hineinfallen. Sie hatte das Gefühl weglaufen zu wollen. Mit den Händen bedeckte sie ihre Augen wie kleine Kinder, die sich verstecken wollen.

Ihre Schultern zuckten, die Beine zitterten.

Richard Berger stand nach dem Telefonat mit der Polizei neben ihr und war erschüttert seine Frau so zu sehen. Seine liebe anständige und eigentlich beherzte Frau hatte sich in den vielen Ehejahren noch nie so verhalten. Tröstend strich er ihr übers Haar und sagte: „Die Beamten kommen gleich.“

Dorothea hob den Kopf und sah ihren Mann dankbar an, aber als sie den Blick wieder auf das Paket richtete, sah sie eine rote Pfütze aus dem Paket dringen.

„Nein, Nein Nein!“, schrie sie und wurde bewusstlos.

Es war entsetzlich. Die Polizei benötigte drei Stunden, ehe sie den bärtigen Mann abtransportierten und Berger endlich in Ruhe damit ließen, noch mehr Details von ihm zu bekommen. Von dem jüngeren Mann mit seiner Handykamera war keine Spur mehr zu sehen gewesen, als das Blaulicht angerückt war, worüber Berger irgendwie erleichtert gewesen war. Noch erleichterter war er, als endlich wieder komplett Ruhe herrschte. Das hatte lang genug gedauert und seine Frau war mit ihren Nerven auch vollkommen am Ende. Verständlich bei dem roten Fleck, den die Polizei zurückgelassen hatte, als sie den Körper eingepackt hatten. Des Weiteren hatten sie den Gottesdienst natürlich verpasst und auf Bergers Handy waren bereits einige irritierte Nachfragen eingetroffen, wo sie denn gewesen seien. Sehr ärgerlich, das alles.
Sie aßen ein schweigsames Mittagessen und seine Frau legte sich danach hin, erschöpft von den Geschehnissen. Berger hingegen verspürte das Verlangen, den Tag nicht vollständig als verloren aufzugeben, und beschloss, wenigstens den Kirchenbesuch nachzuholen.
Nicht, dass er besonders gläubig gewesen wäre, aber vielleicht konnte ihm ein Ort der Ruhe helfen, Sinn aus dem Irrwitz des Vormittags zu ziehen.
Die Kirche lag in Laufweite und er benötigte keine fünf Minuten, ehe er sich auf den kühlen Bänken niederlassen und den Altar anstarren konnte.
Es kam keine Erleuchtung. Jesus schaute ausdruckslos von seinem Kreuz zurück, das Licht der Kerzen wirkte klein und kalt und nicht einmal in einem vergessenen Gesangsbuch, das er müßig durchblätterte, war eine Antwort zu finden. Die Frage, zu der er die Antwort suchte, war allerdings genauso schwer, er vermied bewusst, sie zu denken.
„Was sind Sie doch für ein Heuchler“, sagte eine Stimme hinter ihm und Berger fuhr überrascht zusammen. Er hatte nicht mitbekommen, dass sich jemand in der Reihe hinter ihm niedergelassen hatte. Vorsichtig drehte er den Kopf.
Der jüngere Mann vom Vormittag, der mit dem Handy, saß dort und blickte ihn unverwandt aus tiefliegenden Augen an. Berger durchlief ein Schaudern und seine Hände wurden kalt und schwitzig, als ihm bewusst wurde, dass er mit ihm sprach.
„Ja, Sie“, sagte der Mann. „Richard Berger. Inhaber eines Reisebüros, liebender Ehemann und Mörder, nicht wahr?“
Berger schluckte unwillkürlich. Trotzdem strengte er sich an, dass man ihm seine Nervosität nicht anmerkte.
„Lassen Sie mich in Ruhe“, sagte er fest. „Sie haben schon genug Schaden angerichtet.“
„Ich habe keinen Schaden angerichtet“, sagte der Mann eklig herablassend. „Sie haben. Sie sind jetzt für den Tod eines Menschen verantwortlich, nur, weil Sie ihm nicht geben wollten, was er dringend brauchte. Und ich habe alles auf Video.“
Die Situation wurde allmählich surreal. Berger verstand nicht.
„Was bitte wollen Sie?“ Er konnte nicht verhindern, dass er mit einem Mal atemlos klang.
Der Mann lächelte schmierig und holte einen langen, schmalen Gegenstand aus seiner Jacke, den er auf Berger richtete. Eine Pistole.
„Willkommen bei der Studie zur Bewertung der sozialen Tugendhaftigkeit von Frankfurts Bürgertum sowie zu seiner Ertüchtigung im Kampf gegen die westliche Dekadenz, durchgeführt von der M.O.R.A.L., der Modernen Organisation zur Realisierung einer Altruistischen Lebensweise“, sagte er in einem hochtrabenden Ton, als würde er eine Weihe vollziehen. „Sie sind Testsubjekt acht.“

Dorothea sah ihn mit ihren klaren, blauen Augen mit einem abschätzigen Blick an, den er noch nie zuvor an ihr wahrgenommen hatte und machte keine Anstalt, die Polizei anzurufen.
Sie war immer an seiner Seite gewesen: erst im Sandkasten, dann in der Tanzschule - und nach etlichen Jahren, in denen sie sich aus den Augen verloren hatten - als seine Ehefrau.
Sie baute mit ihm das Reisebüro auf, war verständnisvoll gegenüber seinen Schwächen und - wie er kleinlaut zugeben musste, da es ihm daran mangelte - voller Humor. Und er wusste: sie stand hundertprozentig hinter ihm.
„Ruf die Polizei“, brüllte er jetzt mit überkippender Stimme und kramte gleichzeitig in dem feinen Zwirn des Mantels, den er für den Kirchgang übergestreift hatte, nach seinem Handy.
Sie lächelte mit den sorgfältig nachgezogenen Lippen, zupfte kurz an der Krawatte mit den goldenen Eurozeichen, ehe er zurückzucken konnte und schob ihn dann von der Eingangstür zur Seite. Dabei sagte sie mit blecherner Stimme, die er nie zuvor bei ihr gehört hatte: „Lass das!“
Dann öffnete sie die Tür und blickte hinaus. Nichts geschah, sie stand und sah hinaus, geradeso, als sei es ein gewöhnlicher Montagmorgen, an dem sie hinausspähte um zu entscheiden, welche Jacke sie tragen wollte.
Zögernd folgte er ihr, zitternd sich auf den grausamen Anblick vorbereitend, trat er neben sie. Sein Herzschlag schien auszusetzen, um kurz darauf rasend loszutosen.
Der Treppenweg hinab zum Eingangstor glänzte unbefleckt vom nächtlichen Regen. Sonst nichts: weder der filmende junge Mann, noch ein am Boden liegender grauhaariger Mensch mit Kopfschuss.
Er stolperte hinaus, fiel dort, wo der alte Mann gelegen hatte und kroch am Boden wie ein Hund, der nach einem Leckerli schnüffelte.
„Er lag hier, er lag hier“, keuchte er dabei ein ums andere mal.

Als sie weder antwortete, noch sich in Bewegung setzte, fuhr er sie barsch an: »Dorothea, los jetzt! Ich habe gesagt, du sollst die Polizei rufen! Also mach schon!«
Sie stand immer noch da, mit offenem Mund und starrem Blick. Sie musste über seine Schulter hinweg alles mit eigenen Augen angesehen haben. Richard tat es nun leid, so ruppig reagiert zu haben und setzte sich in Bewegung, um selbst zum Telefon zu laufen.
Das Telefon war ein Relikt der 60er Jahre, ein schreiendgrünes Wählscheibentelefon. Das Ehepaar hatte es nie für nötig gehalten, sich ein schnurloses Telefon zuzulegen, denn das Relikt tat immer zuverlässig seinen Dienst. Sie hatten aber auch nie damit gerechnet, dass sich jemand vor ihrer Haustür erschießen würde. Jetzt fluchte Richard lautstark, dass er durch das Wohnzimmer bis ins Arbeitszimmer laufen musste, um es zu erreichen.
Während er mit seinem dicken Bauch und seinen knapp hundertzwanzig Kilo nicht so schnell vorwärtskam, wie er es sich gewünscht hätte, machte er sich Gedanken über Dorothea. Noch nie hatte er sie so schockiert und handlungsunfähig erlebt, nicht einmal, als sie damals vor zehn Jahren die Nachricht erreicht hatte, die ihr beider Leben so abrupt und grausam verändert hatte: Sabine, ihre Tochter war nicht in der Schule angekommen!
Aber damals hatte Dorothea gehandelt, ehe er überhaupt verstanden hatte, was passiert war. Sie hatte die Polizei alarmiert, Freunde und Bekannte angerufen und sich selbst auf den Weg gemacht, nach ihr zu suchen. Und heute stand Dorothea einfach nur da. War das dieselbe Frau? War er überhaupt noch derselbe Mann? So vieles war passiert seit damals.
Richard hastete durch das Wohnzimmer, vor lauter Eile hatte er es unterlassen, das Licht einzuschalten. Dadurch verhakte sein Fuß sich an einer Teppichkante und er geriet ins Straucheln. Aber es gelang ihm mit schmerzendem Knöchel, sich auf den Beinen zu halten. Keuchend erreichte er das Arbeitszimmer. Das Telefon befand sich nun in Griffreichweite. Herr Berger zögerte einen Moment. Was sollte er sagen? »Hilfe, vor meiner Tür hat ein unbekannter Mann Selbstmord begangen und ein zweiter hat es gefilmt?« Das klang so unglaubwürdig, so unwirklich. Richard gab sich einen Ruck. Es musste getan werden, und zwar sofort. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung, auch wenn er sich sicher war, dass jede Hilfe zu spät kommen würde.
Er griff zum Hörer und wählte die Eins, dann nochmals die eins. Er fuhr zusammen, als hinter ihm Dorotheas weinerliche, aber feste Stimme erklang: »Richard. Bitte. Tu es nicht!«
Richard hielt inne, unwillkürlich stellten sich ihm die Härchen an Nacken und den Armen auf. Irgendetwas war hier ganz und gar nicht so, wie es hätte sein sollen. Er schaute seine Frau hilflos fragend an. Als sie nichts weiter erklärte, legte er den Hörer beiseite und kam langsam auf sie zu. Sie wich zurück, was ihn noch weiter verunsicherte.
Er forderte lauter als beabsichtigt: »Rede, Frau, was zur Hölle ist hier los?«
Tränen liefen über Dorotheas Gesicht. Sie sah sich hilfesuchend um. Wonach hielt sie bloß Ausschau? Hier war doch niemand außer ihnen beiden.
Dorothea erzählte nun stockend: »Richard. Die zwei Männer da draußen, das sind keine Unbekannten. Aber Du hast Dir ja Deinen Verstand weggesoffen. Kein Wunder also, dass Du sie nicht mehr erkennst. Weißt Du, damals, als Sabine verschwand, …«.
Richard horchte auf. Waren da nicht Geräusche in der Dunkelheit? War da etwa jemand? Richard kam ein schrecklicher Verdacht.
Herr Berger verlor vollends die Fassung, als er sah, was sich aus der Dunkelheit des Wohnzimmers schälte: Der Mann mit dem Handy tauchte neben seiner Frau auf. Dorothea musste ihn hereingelassen haben, als er zum Telefon geeilt war. Und immer noch filmte der seltsame Mann völlig unverfroren das ganze Geschehen.
Richard drehte sich hastig um, um erneut zum Hörer zu greifen. Seine Frau, was war los mit ihr? Und der fremde Mann, der angeblich kein Unbekannter war; das ergab doch alles keinen Sinn! Er musste die Polizei rufen, bevor hier weiß Gott was geschah.

»Ihnen ist schon klar, dass wir das gar nicht gerne sehen.« Polizeihauptkommissar Maierling schüttelte den Kopf.
Berger hob die Hände in einer hilflosen Geste. »Aber ich sage Ihnen, ich kann wirklich nichts dafür.«
Maierling nahm seine Brille ab, zog aus der Innentasche seines Jacketts eine Etui, öffnete dieses und zog ein Brillenputztuch heraus. Anschließend verstaute er das Etui wieder in der Innentasche und begann, die Brille sorgfältig zu polieren, während er weiter sprach. »Sie haben keinerlei Zeugen.«
»Aber meine Frau…«
»Hat nichts gesehen. Sie bezeugt lediglich einen lauten Knall, Ihre dramatische Anweisung, den Notruf abzusetzen und Ihre anschließende Ohnmacht.«
»So glauben Sie mir doch! Der Mann hat sich vor meinen Augen erschossen, der andere Mann, der jüngere hat alles gefilmt. Ich bilde mir das nicht ein. Ihre Techniker müssten doch in der Lage sein …«
Maierling hob die rechte Hand in die Höhe, in der seine Brille glänzte. »Geschenkt. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich ein Team Kriminaltechniker an einem Sonntagvormittag Überstunden schieben lasse, nur weil ein Sie mir eine Räuberpistole erzählen.« Der Kriminalhauptkommissar setzte seine Brille umständlich auf, holte sein Etui aus der Innentasche, legte sein Brillenputztuch sorgfältig zusammen, packte es in das Etui und verstaute es wieder. Er hatte fast Mitleid mit Richard Berger, der wie ein Häufchen Elend vor ihm saß. Aber nur fast. Schließlich war dem Mann schuld daran, dass Maierling seinen Sonntagsbrunch mit hatte verlassen müssen. Er hatte sich so darauf gefreut, mit Christine in dem schnieken Hotel zu brunchen. Für € 12,50 pro Nase, All-you-can-eat, und das im besten Haus am Platz. Maierlings Magen knurrte und eventuell aufkeimende Sympathien mit dem Frankfurter Geschäftsmann verdorrten sofort. Maierling wettete mit sich selbst, dass dieser Kerl es sich leisten konnte, seine Frau auch zu normalen Preisen ins beste Haus am Platz auszuführen. Allein schon diese Krawatte … »Fakt ist: Sie erzählen diese Räuberpistole. Mal ehrlich, wer hat schon zehntausend Euro im Haus? In bar? Und warum sollte ein wildfremder Mensch damit drohen, sich zu ermorden, wenn er das Geld nicht bekommt? Und wenn es jemand gefilmt hätte, wäre das Ganze doch schon längt in den sozialen Medien aufgetaucht. Und das Allerwichtigste: Wo genau ist die Leiche, oder wenigstens etwas Blut und Hirnmasse?« Maierling schüttelte den Kopf.
Berger war mehr und mehr in sich zusammengesunken und schüttelte in einer müden Imitation des Polizeibeamten ebenfalls den Kopf und flüsterte leise: »Ich weiß doch auch nicht.«
Maierling nickte zufrieden, wenn er sich beeilte, könnte er noch für eine halbe Stunde … Sein Smartphone machte sich bemerkbar.

Kaum hatte seine Frau das Telefon wieder aufgelegt, rollten Tränen über Richard Bergers Wangen. Seine Frau betrachtete ihn mit geweiteten Augen. Erst blieb sie einige Sekunden starr stehen, wusste nicht, was zu tun war, ehe sie schnell zu ihrem Mann lief, ihn in ihre Arme schloss. Während Herr Berger in den Armen seiner Frau weinte, glitten ihre Gedanken zurück zum letzten Mal, als sie ihn hatte weinen sehen. Jahre war es her gewesen, vielleicht sogar mehr als ein Jahrzehnt. Auch damals hatte er jemanden sterben sehen, seinen engsten Freund, einen Mann, der immer für ihn da gewesen war. Dieser Tod war schleichend gekommen, langsam, auf leisen Sohlen, aber er war vorhersehbar gewesen. Wie ein Sturm, den man kommen spürt, in jeder Faser des Körpers. Dennoch war der Schmerz zu groß gewesen, um ihm keinen Raum zu geben. Frau Berger war überzeugt, dass dieser Suizid ihren Mann an das langsame Dahinsiechen seines Freundes erinnert hatte. Einen Schmerz, den er in den letzten Jahren hatte verbergen können. Es klingelte. Herr Berger atmete einmal tief durch, löste sich von seiner Frau, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Nach einem weiteren Atemzug trat er zur Tür, sicher war es die Polizei. Die Tür schwang auf, doch davor stand kein Streifenpolizist oder Kommissar, wie Herr Berger es erwartet hatte, nein, neben der Leiche auf den Stufen stand die Nachbarin, die viel zu neugierige Frau Schmidt, sicher hatte sie den ganzen Tathergang von ihrem Fenster aus beobachten und sobald alles ruhig gewesen war, war sie zum Haus der Bergers hinüber geschlichen um wie sie behauptete „nach dem Rechten zu sehen.“
„Was ist denn bei Ihnen los Herr Berger? Ich hoffe Sie haben bereits die Polizei verständigt. Diese Sache hier vor ihrem Haus“, sie machte eine runde Geste über der Leiche, „die ist ja ganz schrecklich. Ich habe alles beobachtet, wie geht es Ihnen beiden denn jetzt. Oh das muss doch ein furchtbarer Schreck für Sie gewesen sein. Darf ich vielleicht hereinkommen? Ich kann bei der Polizei eine Aussage machen, dass sie nichts mit dieser schrecklichen…ähm… Sache hier,“ ,erneut deutete sie auf die Leiche, „zu schaffen haben, nicht wahr?“
„Nun gut Frau Schmidt, kommen Sie doch herrein, meine Frau setzt uns sicher einen leckeren Tee auf. Machen wir es uns doch gemütlich und warten auf die Polizei.“ Herr Berger trat zur Seite, um die Nachbarin herein zulassen.
Gerade war das Wasser für den Tee heiß, da klingelte es erneut an der Tür. Dieses Mal stand tatsächlich die Polizei davor.
„Guten Tag, Sie müssen Herr Berger sein. Ich bin Kommissar Winter, mein Kollege Müller.“ Der Kommissar zeigte Herr Berger seine Marke und deute anschließend auf den Mann, der zu seiner Rechten stand. „Ihre Frau hat uns bereits den groben Tathergang geschildert, ersteinmal sollten Sie einen Bestatter kommen lassen, schließlich ist eine Leiche vor der Tür sicher nicht angenehm oder?“ Ein lautes Lachen erschallte aus der Kehle des Kommissars, selbst wenn er der einzige war der über seinen schlechten Witz zu lachen vermochte, lachte er doch sehr herzlich. Beide Männer waren in Hemd und Anzughose gekleidet, auch waren sie beide eher korpulent. Doch Herr Müller hatte im Vergleich zu seinem Kollegen Winter noch volles Haar, während Winter eine Glatze trug. Allgemein schien Herr Müller deutlich jünger zu sein als der Kommissar, der Herr Berger angesprochen hatte, vielleicht gerade 30 Jahre alt. Herr Winter sah dagegen eher aus, als stünde er nur wenige Jahre vom Ruhestand entfernt. Wieder trat Herr Berger zur Seite, dieses Mal um die Polizei herein zulassen. Die Anwesenden schwiegen eine Weile, nachdem sich alle vorgestellt hatten. Bis Kommissar Winter das Wort ergriff:
„Nun sagen Sie mir doch mal Herr Winter, aus welchem Grund sollte sich ein Fremder vor Ihrem Haus erschießen? Schließlich kommt das nicht alle Tage vor.“
„Das ist in der Tat richtig Herr Kommissar, doch wie bereits gesagt kannte ich den Mann nicht. Ich habe Ihn noch nie zuvor gesehen. Vielleicht war der Mann schlicht unzufrieden mit seinem eigenen Leben. Ich weiß es ehrlich nicht. Er forderte immer wieder Geld von mir, zehntausend Euro, ich kann nicht sagen wie er darauf kam. Wir sind zwar nicht arm, aber auch nicht wohlhabend genug, um einfach so einige tausend Euro herumliegen zu haben.“ Bevor der Kommissar eine weitere Frage stellen konnte, klingelte es Sturm.

Durch den Spion versuchte Berger das weitere Geschehen vor seiner Haustür zu verfolgen. Aber er schwitzte derart, dass das Guckloch beschlug. Mit langen Schritten lief er zur Garderobe. Dort wischte er vom Sims eines quadratischen, von außen vergitterten Fensters einen der scheußlichen Plastikblumensträuße, mit denen seine Frau das Haus verschwenderisch ausgestattet hatte, und öffnete es. Ein Schwall kühler Luft trug das Geläut der Josefskirche herein. Die Messe konnten sie sich heute abschminken. Der Gedanke daran blockierte seinen Verstand. Er starrte nach draußen. Sah den Smartphone-Typen sich bücken. Sah, wie der seine Hand in die rechte Hosentasche des Erschossenen steckte. Sah ihn dann um die Blutlache herum gehen und mit zwei energischen Bewegungen dem Toten die Schuhe von den Füßen zerren.

In Richards Ohren blubberte es wie unter Wasser. Schwer atmend krallte er sich am Fenstergriff fest. „Hey!“ krächzte er, „Hey!“ Ein mehr als hilfloser Versuch, irgendwie in die Ereignisse einzugreifen. Er sah über die Schulter zu seiner Frau, die noch immer wie angewurzelt in der Diele stand. „Hast du die Polizei gerufen? Hast du?“

Dorotheas Pupillen waren riesig. Ohne eine Regung stierte sie ihn an.

„Dorothea! Wir müssen … die Polizei! Bitte!“ Richard kreischte beinahe. Er wandte seinen Blick zurück durchs Fenster. Die Vergitterung malte ein Kreuz auf das Bündel Mensch auf dem Plattenweg. Die Gartentür stand offen.

Die Glocken verstummten. Richard hörte sich schnaufen, mit offenem Mund und laut.

Und er hörte seine Frau. Ein stimmloses Flüstern.

„Was?“ Das Rauschen in seinem Kopf füllte den Raum, das Haus und dehnte sich weit darüber hinaus. „Doro, was hast du gesagt?“

Er ging auf sie zu. Sie wich vor ihm zurück. Ihre Lippen bewegten sich.

„Du hast ihn erkannt.“

Nein. Nein. Das konnte sie nicht gesagt haben. Er musste sie falsch verstanden haben. Sie wiederholte den einen Satz. Immer und immer wieder: „Du hast ihn erkannt!“

Dorothea starrte ihn mit offenem Mund an. „Was ist passiert? War das ein Schuss? “

Berger zog sich von der Türe zurück, als könnte selbst deren Nähe gefährlich für ihn sein. Seine Hände zitterten. Er war kreidebleich.

„Er hat sich erschossen, er hat sich einfach in den Kopf geschossen. Und der andere, der hat einfach gefilmt“, berichtete er mit zittriger Stimme „Die Polizei. Ruf die Polizei, Dorothea!“

Hastig kramte Sie ihr Smartphone aus der Tasche. Fast schon apathisch wählte Sie die 110. Der Finger schwebte über dem grünen Telefonsymbol, als ein lautes Klopfen sie hochschrecken ließ. Das monotone Hämmern an der Türe wirkte bedrohend. Berger blieb wie angewurzelt stehen „Die Polizei!“ erinnerte er sie.

Das Klopfen verstummte. Vorsichtig näherte er sich dem Türspion. Der junge Mann stand immer noch da. Er verzog keine Miene: Neben ihm lag der ältere Mann. Tot. In einer großen Blutlache. „Herr Berger, Sie können sich nicht verstecken. Das ist gerade erst der Anfang. Die Welt wird sehen was für ein Schwein Sie sind. Ein Mörder!“

„Die Polizei ist auf dem Weg“, informierte seine Frau ihn. „Was wollen die von dir? Geht es um Panama? Du hast mir nie erzählt was genau damals passiert ist.“, fragte sie ihn.
Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich: „Kein Wort darüber zu der Polizei! Davon weiß niemand, davon kann niemand wissen“.

Ein erneuter Blick durch den Türspion zeigte Berger, dass der junge Mann mittlerweile verschwunden war, was man über die Leiche leider nicht sagen konnte. So viel Blut. Ihm wurde schlecht. Eilig wich er von der Türe zurück und sank auf dem Hocker im Flur in sich zusammen.

„Die Polizei ist gleich da. Alles wird gut“ ermutigte seine Frau ihn. Berger ging im Kopf gerade das Gespräch mit den Polizeibeamten durch, als sein Handy in der Tasche vibrierte.

Ein Blick aufs Display zeigte eine unterdrückte Rufnummer. Er sträubte sich dagegen abzunehmen, doch etwas zwang ihn dazu. „Berger“, meldete er sich. „Herr Berger“, klang die Stimme des jungen Mannes bedrohlich ruhig aus dem Telefon „Ich habe alles, ich weiß es, verstehen sie mich? Sie können die Polizei rufen, gerne. Sie können sich hinter ihren schönen weißen Wänden verstecken. Aber glauben sie nicht, dass sie damit davonkommen.“ fuhr er fort.

„Wer sind Sie?“ presste Berger hervor. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Seine Hände zitterten.
Ein kurzes, emotionsloses Lachen am anderen Ende „Ich bin niemand, Herr Berger. Niemand. Und genau das ist ihr Problem!“

Ein leiser Ton ließ erkennen, dass das Gespräch beendet war. Berger schluckte. Er starrte auf das Display in seinen Händen, während Dorothea ihn ängstlich ansah: „Wer war das?“

Er schüttelte langsam den Kopf. Sein Blick war gespenstisch leer. „Ich… Ich weiß es nicht. Der Mann, der vorher alles gefilmt hat.“, sagte er nachdenklich „ Er weiß etwas! Scheiße! Ich habe keine andere Wahl!“ fluchte er, öffnete die Haustüre und steckte sich die blutige Waffe in den Gürtel.

„Was hast du getan? Du machst mir Angst Richard“, fuhr sie ihn verzweifelt an und wich dabei einen Schritt vor ihm zurück.

Das Martinshorn eins Polizeiwagens ertönte nur einige Straßen von ihnen entfernt. Berger fühlte eine seltsame Mischung aus Panik und Erleichterung. Seine Vergangenheit hatte ihn eingeholt. Er zog eine fertig gepackte Reisetasche aus dem Schrank im Flur, warf Sie sich über die Schulter und verließ das Haus durch die Hintertüre.

„Wo gehst du hin“, schrie seine Frau ihm hinterher, doch er hörte sie nicht mehr.

Die Sirenen ertönten direkt vor dem Haus. Es klingelte. Dorothea Berger stand wie angewurzelt da! Es klingelte erneut. „Polizei, machen sie bitte auf!“ rief eine kräftige Männerstimme durch die Haustüre. Völlig verwirrt wandelte sie zur Türe und öffnete den Polizeibeamten.

Dorothea Berger, die nur das Ende mit angehört hatte, stand wie erstarrt im Flur. “Richard, was … was ist passiert?”, stammelte sie.
“Ruf die Polizei!”, wiederholte Richard eindringlich. Er spürte, wie seine Hände zitterten, als er versuchte, die Sicherheitskette wieder vorzulegen.
Draußen hörte man immer noch die wütende Stimme des Mannes mit dem Smartphone. “Mörder! Ihr seid alle Mörder! Das wird Konsequenzen haben!”
Richard lehnte sich schwer atmend gegen die Tür. Sein Herz raste. War das wirklich gerade passiert? Hatte sich tatsächlich ein Fremder vor seinen Augen erschossen?
Dorothea griff mit zitternden Händen nach dem Telefon und wählte den Notruf. Richard hörte sie mit bebender Stimme sprechen. “Bitte kommen Sie schnell, es gab einen Vorfall … Ja, in der Goethestraße 17 …”
Während seine Frau telefonierte, wagte Richard einen Blick durch den Spion. Der Mann mit dem Smartphone war verschwunden, aber die leblose Gestalt lag immer noch auf den Gehwegplatten. Blut versickerte zwischen den Fugen.
Plötzlich wurde Richard von Übelkeit überwältigt. Er stürzte ins Badezimmer und erbrach sich heftig über der Toilette. Als er wieder im Flur ankam, stand seine Frau bleich im Wohnzimmer und starrte aus dem Fenster.
“Die Polizei ist unterwegs”, sagte sie tonlos. “Richard, was ist da draußen passiert?”
Er atmete tief durch und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. “Zwei Männer … sie kamen an die Tür. Einer verlangte Geld, zehntausend Euro. Er drohte, sich umzubringen, wenn ich es ihm nicht gebe. Ich dachte, es sei ein schlechter Scherz.” Seine Stimme brach. “Dann … dann hat er es wirklich getan.”
Dorothea schlug die Hände vors Gesicht. “O Gott”, flüsterte sie.
Draußen waren nun Sirenen zu hören. Während sie näher kamen, spürte Richard, wie sich sein Magen erneut verkrampfte. Er wusste, dass er unschuldig war, aber würde die Polizei das auch so sehen? Der Mann mit dem Smartphone hatte ihn beschuldigt, den Selbstmord verursacht zu haben. Was, wenn er das Video bereits ins Internet gestellt hatte?
“Wir müssen ruhig bleiben”, sagte er zu Dorothea, mehr um sich selbst zu beruhigen. “Wir haben nichts falsch gemacht.”
Blaulicht flackerte durch die Fenster, und Augenblicke später klopfte es laut an der Tür. “Polizei! Öffnen Sie bitte!”
Mit zitternden Händen löste Richard die Sicherheitskette, als ihn Dorothea zurückhielt.
Richard drehte sich zu seiner Frau um. “Was ist?”
Dorothea blickte auf die Uhr an ihrem linken Handgelenk. Es war sein Geschenk für sie zum fünfunddreißigsten Hochzeitstag gewesen. Sie tippte mit dem Finger auf das filigrane Glas.
“Wir müssen los, sonst verpassen wir den Gottesdienst.”
Richard wischte sich die Reste seines Erbrochenen aus den Mundwinkeln und richtete die Krawatte. „Komm, wir nehmen die Hintertür.“

Ein gutes Team

Noch bevor Dorothea den Notruf tätigen konnte, hatte es sich Berger anders überlegt und entriss ihr das Telefon. Ihren entsetzten Aufschrei ignorierend, knallte er es auf die Station und brüllte: „Nein, das werden wir jetzt genau nicht tun. Unser Geschäft und wir beiden haben durch die Pandemie genug gelitten. Es reicht einfach. Außerdem haben wir den Tod des Mannes nicht verursacht!“
Berger lockerte die Krawatte, öffnete erneut die Haustür, rannte hinaus und übersprang in einem großen Satz die Leiche des älteren Mannes.
Erstaunt bemerkte es der junge Mann, während er noch zur Pforte schlenderte. Sofort schaltete er die Kamera wieder ein und konnte sein Glück kaum fassen.
Bald würde er im Internet weltweit bekannt sein. Für dieses Video würde er „Likes“ ohne Ende bekommen.
Grinsend drehte er sich herum und richtete sein Smartphone auf Berger.
Berger war in jungen Jahren ein guter Karatekämpfer. Und bevor er Rheuma bekam, war er seinem Alter entsprechend richtiggehend fit gewesen.
Jäh lies ihn das Grinsen des jungen Mannes seine Schmerzen vergessen.
Eigentlich hatte er ihn freundlich bitten wollen, das Video nicht ins Netz zu stellen. Vielleicht hätte er ihm sogar ein kleines Geld als eine Art Entschädigung angeboten. Unvermittelt traf Bergers Fuß erst den Brustkorb, dann das Gesicht des jungen Mannes, so dass der das Gleichgewicht verlor. Sein Smartphone landete in der Blutlache des Alten.
Als er danach greifen wollte, trat Berger wieder und wieder zu. Er war wie im Rausch. Sah und hörte nichts um sich herum.
Endlich bemerkte Berger, was er tat, hielt inne und realisierte, dass nun zwei tote Männer vor seiner Haustür lagen. Der Ältere hatte sich erschossen; und der Jüngere lag mit verdrehtem Körper und geschundenen Kopf auf seinem Smartphone in einer Blutlache. Ächzend setzte sich Berger auf die oberste Trittstufe und übergab sich.
Da spürte er ein sanftes Stupsen am Arm. Aufsehend erkannte er seine Frau. Dorothea hatte zwei Paar Gummistiefel, zwei Spaten und einen Rechen bei sich.
Still begruben sie die beiden Männer hinter den Rhododendren in ihrem großen gepflegten Garten.
Sie holten mehrere Eimer mit Essigwasser aus dem Haus, beseitigten die Blutflecken und wuschen sich anschließend ihre Hände. Berger zog den Knoten seiner neuen Krawatte wieder fest. Dann verließen sie das Haus und kamen gerade noch rechtzeitig zum Gottesdienst.

Schreibsaison 24, offene Enden

„ruf die Polizei“ sagte er mit bebender Stimme zu seiner Frau.

„Wozu?“ Sie sah ihn prüfend an. „Du zitterst?- Was ist los?“
„Doro… Dorothea… Es ist echt!“ Entsetzen schwang in Richards Stimme.
„So ist es gedacht. Ihr wolltet es so.“
„Nein, nein, du verstehst nicht – es ist real!“
„Was soll das heißen?“
„E e e es pa pa passiert tatsächlich! In der Realität…Es läuft aus dem Ruder!“
„Beruhige dich – setz dich.“
Sie drückte ihn sanft in den Designersessel.
„Atme tief durch und nimm die Linsen raus“.
„Das kann ich nicht.“
„Soll ich dir helfen?“
„Nein! -Da da da – mach auf – Da, da!“ Er deutete mit spitzem Zeigefinger auf die kleine Box, die in der Mitte des Beistelltischchens lag.
„Da da da“ äffte Dorothea ihren Mann nach. Spott tropfte aus ihrer Stimme.
„Euer neuer Kampfgesang? Etwas einsilbig und unzeitgemäß.“
Richard rutschte tiefer in den Sessel. „Aufmachen“ krächzte er.
Dorothea betrachtete das Schächtelchen, als sähe sie es zum ersten Mal. Normalerweise durfte sie es nicht berühren, geschweige denn öffnen. Vorsichtig klappte sie es auf … sah hinein, drehte sich um zu ihrem Mann.
„Was? - Wieso?“, flüsterte sie heiser. „Sie, sie liegen drin! - Beide!“
Sie schob ihr Gesicht nahe an seines, fixierte seine Augen wie eine Schlange das Kaninchen: „Du hast sie gar nicht an?!“
„Nein! - Verstehst du nun?“
Sie schüttelte den Kopf: „Wie kann das sein?- Was geht hier vor?“
„Ich weiß es nicht. Wir haben es nicht mehr im Griff!“

Stille.

Ein Schlüssel dreht sich im Schloss. Behutsam öffnet sich die Türe. Richard und Dorothea halten den Atem an. Im Türspalt erscheint erst ein lockiger Kopf, dann schiebt sich eine schlaksige Gestalt herein: „Ah, ihr seid da! Gott sei dank! Ich habe Hunger wie ein Wolf. Tante Dorothe, gibt es deinen berühmten Sauerbraten?“
Dorothea seufzt erleichtert.
„Ach Felix! Du bist es! Ich hatte ganz vergessen, dass du heute kommen wolltest! Und nein – diese Woche kein Sauerbraten, dazu war keine Zeit. Sorry. Ich mach dir sofort Burger, 3 stöckig, mit Ei Benedict. Das magst du doch?“
„Ok .Passt auch“.
Felix, ihr Neffe, jüngster Sohn ihrer Schwester, mit erst 17 Jahren ein genialer Videospiele-Entwickler, ist immer hungrig. Liebt ihre Küche und Richards Computeranlage. Er und Richard verschwinden oft für Stunden im Monitorraum und tüfteln.
Jetzt schaut Felix seinem Onkel aufmerksam ins Gesicht.
„Onkel Richard bist du krank? Du schaust aus wie Bleichsellerie!“
„Na danke. Schmeichelhafter Vergleich.“
„Stimmt aber“ beharrt Felix, „Oder ist dir blutleer lieber, weil poetischer?“
„Lassen wir das“ wischt Richard den Einwand weg. „Sag lieber, wie bist du reingekommen?- Ist dir etwas aufgefallen?“
„Durch den Garten. - Vor dem Haus war ein Menschenauflauf. Da lag einer auf der Straße. Erst dachte ich, du bist das … Weil – der sah dir ähnlich …“
Er stockt, mustert verwundert seinen Onkel, der um Luft ringt, wie ein Karpfen an Land.
„Nur in älter“ fährt er fort. - „Also konntest du es nicht sein“.
Richard atmet pfeifend aus, ringt nach Fassung.
Felix kaut an seiner Unterlippe, zieht die Stirn kraus.

Beide schweigen.

Dann fixiert Felix Richard mit seinem Blick:
„Oder hast du es wieder ausprobiert? – Ich habe dich gewarnt - es ist noch nicht ausgereift ." …

Dorothea, die inzwischen eine feine Goldkette mit einem kleinen goldenen Anhänger in Form eines Herzens – ein Geschenk ihres Mannes zu ihrer Silberhochzeit – angelegt hatte und im Türrahmen des Wohnzimmers erschien, sah ihn an. Ihr Gesicht war blass. „Richard, was ist passiert? Was war das für ein Knall. Was ist los?“

Er brachte kein Wort heraus. Die Schreckensbilder saßen ihm wie eine Klaue im Nacken: Der Mann mit der Pistole, der Schuss, das Blut. Die schreiende Stimme des zweiten Mannes, die ihn als Mörder brandmarkte.

Berger merkte, dass er noch immer die Türklinke krampfhaft umfasste. Er ließ sie los, als hätte er sich an ihr verbrannt. Wie er sich zu Dorothea umdrehte, zitterten seine Hände.

„Da… draußen. Da draußen hat sich einer erschossen. Hat sich in den Kopf geschossen.“
Berger holte tief Luft, dann sagte mit lauter Stimme: „Nun mach schon, ruf die Polizei.“

Dorothea stieß einen erschrockenen Laut aus, drehte sich um und lief in das Wohnzimmer. Berger wandte sich wieder der Tür zu, aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie seine Frau hektisch ihre Handtasche durchsuchte und ihr dann vor lauter Aufregung fast das Smartphone aus den Händen fiel. Richard Berger starrte die Tür an, als hätte sie sich in ein eigenständiges Wesen verwandelt. Er hörte das lauter werdende Rauschen seines eigenen Blutes, die gedämpfte Stimme seiner Frau aus dem Wohnzimmer, die jetzt ins Telefon sprach. Zögernd machte er einen Schritt nach vorne und spähte nochmals durch den Spion. Da lag er, der Tote. Unverändert. Nur die Blutlache unter seinem Kopf war deutlich größer. Nie zuvor in seinem Leben hat Berger einen Toten gesehen. Er blinzelte und wunderte sich, wie viel Blut inzwischen schon die Platten bedeckte. Hatte ein Mensch so viel Blut in sich?

Im Hintergrund erkannte Berger den jüngeren Mann, der sich abgewandt hatte und das Smartphone mit beiden Händen vor das Gesicht hielt. Seine Daumen huschten schnell über den Bildschirm.

Erschrocken machte er einen Schritt zurück und wäre dabei fast über das kleine Beistelltischchen gestolpert, das in der Nähe der Tür stand und auf das er immer seine Schlüssel legte, wenn er nach der Arbeit nach Hause kam. Abermals merkte er, wie das Blut in seinen Ohren rauschte und er kaum Luft bekam, obwohl er immer wieder schnell einatmete.

Kurz nachdem der Schuss ertönte, erschien ein weiterer Mann in der schmiedeeisernen Pforte. Er hatte eine graue Stoffhose an, schwarze Lederschuhe und einen dunkelblauen Trenchcoat. Die altmodische Erscheinung wurde durch den Hut unterstrichen, einen dunkelgrauen Fedora. Unter dem Arm trug er eine leicht abgewetzte Dokumentenmappe aus Lederimitat.

Der Neuankömmling ging zu dem jüngeren Mann, der von seinem Smartphone aufschaute. Beide unterhielten sich leise miteinander, wobei es den Anschein hatte, dass der Jüngere unaufgeregt die Fragen des Älteren beantwortete. Dann erst machte er zwei Schritte nach vorne und blickte auf die reglose Gestalt hinab. Mit einem kleinen Nicken, wie um sich selbst etwas zu bestätigen, öffnete er seine Dokumentenmappe und holte ein beschriebenes Blatt Papier hervor. Dieses sah er kurz durch, bevor er aus seiner Innentasche einen Stift hervorholte und auf dem Papier, die Mappe als Unterlage nutzend, an verschiedenen Stelen einzelne Notizen machte. Den Stift steckte er dann wieder in seine Mantelinnentasche, faltete das Papier sorgsam und verstaute auch dieses in einer Tasche seines Trenchcoats. Dann ging er auf die Haustür zu und klopfte mit seiner rechten Hand dagegen.

Berger schreckte zusammen, als er das Klopfen an der Tür vernahm.

„Gehen Sie weg! Ich habe die Polizei gerufen.“ In seinen eigenen Ohren klang seine Stimme schrill.
„Herr Berger. Machen Sie bitte die Tür auf.“ Die Stimme von der anderen Seite der Tür kannte Berger nicht. Sie klang bedächtig und gefasst, fast schon vertrauenerweckend. Vorsichtig wagte er sich einen Schritt nach vorne und spähte wieder durch den Spion. Der Mann, der da vor seiner Tür stand, war ihm unbekannt. Und von der Polizei kam er sicher nicht. Hastig machte Berger wieder einen Schritt zurück.

„Nein“, schrie er förmlich. „Verschwinden Sie endlich!“

„Nun gut“, sagte die fremde Stimme. „Dann hören Sie mir wenigstens zu. Sie haben sicher erkannt, dass Sie sich in einer problematischen Situation befinden. Wie wollen Sie das alles der Polizei erklären? Ich möchte Ihnen helfen. Gemeinsam können wir Ihre Probleme aus der Welt schaffen. Ich lasse Ihnen etwas da, bitte werfen Sie einen Blick darauf.“

Der Mann im Trenchcoat lehnte einen schwarzen Papphefter, den er vorher aus seiner Dokumentenmappe gefingert hatte, gegen die Tür. Dann drehte er sich um und ging in Richtung der Pforte. Im Vorbeigehen nickte er dem jüngeren Mann kurz zu und gemeinsam verließen beide das Grundstück der Familie Berger.

Als sich Richard Berger mit einem Blick durch den Spion vergewissert hatte, dass beide gegangen waren, öffnete er die Tür. Sofort fiel ihm der Papphefter auf. Er nahm ihn in die Hand und schloss die Tür schnell wieder. Dann lehnte er sich mit den Rücken gegen die verschlossene Tür, öffnete den Hefter und nahm mehrere beschriebene Bögen Papier heraus. Er hatte seine Brille nicht auf, so konnte er nur die Überschrift erkennen:

				**Das Geld fremder Leute**

Als er - endlich! – aus der Ferne das Sirenengeheul der sich nähernden Polizei vernahm, fiel sein Blick auf seine ihm nun unpassend erscheinende Krawatte.