Titel: Der Weltensammler
Autor: Ilija Trojanow
Umfang: 523 Seiten
Jahr: 2006
Verlag: dtv
ISBN: 978-3-423-13581-8
Ilija Trojanow ist mit diesem Portrait eines besessenen Weltenbummlers ein Bestseller gelungen. In atmosphärischen Bildern werden in drei Abschnitten die wichtigsten geografischen Stationen des britischen Abenteurers, Übersetzers und Entdeckers Richard Francis Burton (1821 – 1890) erzählt.
Trojanow stellt jeden Abschnitt seiner Geschichte aus zwei Perspektiven dar. Einerseits aus der Sicht Burtons, im Präsens, andererseits, im Rückblick, aus der Wahrnehmung seiner früheren Gefährten. Faszinierend erschien mir die Dialogtechnik des Autors, der in diesem 500seitigen Werk nahezu ohne Inquits auskommt. Trojanow schreibt durchwegs spannend, es gelingt ihm, aus historisch gesichertem Dokumentationsstoff einen mitreißenden Roman zu gestalten.
Im ersten Erzählteil, dem indischen, ist es sein Diener, der sich einem Schreiber mitteilt. Im zweiten Teil sind es (abwechselnd) Begleiter auf seiner Hadj nach Mekka, im dritten und letzten Abschnitt, der Expedition zu den unbekannten Nilquellen, ist es ein indischer Karawanenführer, der über seinen Freund berichtet.
Das Buch gibt tiefe Einblicke in Land und Leute, ihre Sitten und Gebräuche. Man schmeckt die indischen Currys, riecht den Gestank der Gosse in Bombay, hört das Gebrüll der Kamele Arabiens, vernimmt die Gebete der Gläubigen in Mekka und ist verzückt von den wunderschönen Landschaftsbeschreibungen dreier Kontinente.
Sir Richard Francis Burton ist Abenteurer und Weltensammler im wahrsten Sinne des Wortes. Als britischer Offizier (Spion?) verbringt er sieben Jahre im Indien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, vorwiegend im Sindh, dem heutigen pakistanisch-indischen Grenzgebiet. Schon bald wird er der Spionage für das britische Empire beschuldigt, es gibt Verhöre, ohne jemals angeklagt zu werden verlaufen alle Untersuchungen im Sand. Mit seinem unstillbaren Interesse an Volk und Sitte erlernt er in dieser Zeit nahezu alle wichtigen indischen Sprachen und Dialekte. Darunter Gujarati, Hindustani, Sindhi, Marathi und fast nebenher auch Persisch. Bereits in jungen Jahren hat er sich Lateinisch, Französisch, Italienisch und Roma angeeignet, später, während seiner Zeit in Ägypten kommen Arabisch, Suaheli und einige afrikanische Dialekte hinzu.
Seine verschollenen Tagebücher sind ständiger Begleiter, alles scheint für ihn von Interesse zu sein, täglich notiert er Eindrücke und Erlebnisse, ergänzt sie mit Skizzen und Zeichnungen. Als erster Europäer übersetzt er „Das Kamasutra“ ins Englische, ebenso die arabischen „Geschichten aus Tausend und einer Nacht.“
Aber Burton ist nicht nur ein Sprachengenie. Er liebt es, sich in landesüblicher Kleidung, vollbärtig, das Gesicht dunkel gefärbt, unter die Einheimischen zu mischen, um ihre Sitten und Gebräuche aus nächster Nähe zu studieren. Er beschäftigt sich intensiv mit Glaubensfragen, konvertiert? zum Islam und lässt sich beschneiden. So unternimmt er, als moslemischer Pilger verkleidet, eine Hadj über Medina nach Mekka, heute wie damals für Ungläubige strengstens verboten. Er gibt sich während der Pilgerreise als Perser mit indischen Wurzeln aus, so perfekt ist seine Tarnung, dass nicht einmal seine engsten Gefährten Zweifel an seiner Glaubensausrichtung hegen. Erneut gerät er unter Spionageverdacht, seine Reisebegleiter werden von den Behörden ausgefragt, die Untersuchung bleibt ohne weitere Konsequenzen für ihn.
Wieder einige Jahre später unternimmt er gemeinsam mit dem britischen Geografen John Henning Speke, eine Expedition zu den noch unentdeckten Quellen des Nils. Die beiden trotzen unsagbaren Entbehrungen, Krankheiten wie Malaria und schwere Augeninfektionen werfen sie nieder, dennoch gelangen sie an den damals noch unentdeckten Tanganjikasee, den Burton irrigerweise für die Nilquelle hält.
Die Forscher entzweien sich auf dieser Reise, es kommt zu Hasstiraden seitens Speke, lebenslange Spannungen sind die Folge. An einer zweiten Expedition nimmt der Empire-Kritiker Burton nicht mehr teil, seine Regierung hat John Speke den Vorzug gegeben, entspricht er doch eher dem nationalen Idealbild eines Vorzeigeentdeckers.
Burton beschließt seinen Lebensabend als britischer Konsul in Triest, er stirbt im Alter von 69 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts. Trotz lebenslanger Suche nach der* Wahrheit*, vermutlich als Agnostiker. Auf dringenden Wunsch seiner strenggläubigen Gattin erhält der Bewusstlose in seiner Todesstunde die christlichen Sterbesakramente. Der Priester sträubt sich vorerst, muss aber den Anordnungen seines Bischofs gehorchen.
Über dem Totenbett des Weltensammlers hängt eine gestickte Kalligrafie. In persischer Schrift steht darauf: „Auch das wird vergehen!“