Was denkt ihr über Sensitivity reader?

Bittebitte nicht. Ich hab noch ein Trauma der Rechtschreibreformen. Wenn wir jetzt noch die Grammatik geändert bekommen, lege ich ein Schweigegelübde ab.

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Ich glaube nicht, dass Marx Gendersprache verwendet hätte. Insofern sollte man den alten Charlie M. in Frieden ruhen lassen … :smile:

Nur mal ganz unaufgeregt und neutral ein Beispiel: neulich ist eine Kurzgeschichte von mir in eine Anthologie aufgenommen worden. Kurzer Kontext: Meine Figur ist ein anfangs ziemlich unreflektierter junger Erwachsener, der in einer Welt der Zukunft aufwächst, in der das inzwischen wieder zum Kaiserreich gewordene China ein noch bedeutenderer Machtfaktor ist, als heute. Im Lektorat ist mir dann folgendes rausgestrichen worden: Mein Prota nennt die Chinesen normalerweise „die kaiserlichen“, aber nachdem er von Chinesen beim Kartenspielen betrogen wurde spricht er von der „gelben Mafia“ und im weiteren Verlauf nennt er sie noch „Ni Haos“ (was einfach „Hallo“ auf Chinesisch heißt und meint, dass sie eben das regelmäßig sagen und er sich eben nur das gemerkt hat). Wären es Amis gewesen, hätte er sie vielleicht „Howdys“ genannt.

Es hat jetzt nicht wirklich der Story weh getan, so etwas zu streichen, aber besser gemacht hat es sie meiner Meinung nach auch nicht. Es ist eben nicht so, dass Lektoren nur Vorschläge machen, wenn sie vom Verlag beauftragt sind. Da heißt es knallhart, streichen, oder wir können es nicht veröffentlichen.

Schön wäre es, wenn ein Lektor einen wirklich nur auf unbewusste, ungewollte Blödheiten aufmerksam macht, aber ich fürchte, so ein Thema ist immer eine Schraube, die fester und fester angezogen wird, weil jeder (Verlag), der sich dazu berufen fühlt, immer an der Spitze der Bewegung stehen will.

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Hallo!
Ich sehe das sehr gemischt. Wenn Thomas Gottschalk davon redet, ein Junge sei an den Rollstuhl gefesselt, verstehe ich sehr gut, dass die Rolli Community genervt ist. Er wäre natürlich ans Haus gefesselt ohne Rollstuhl, der Rollstuhl ist ein Instrumente der Freiheit. Habe ich also Gruppen in meinen Texten, deren Realität ich nicht verstehe, dann würde es meinem Text vermutlich gut tun, wenn das jemand mit Verstand gegen liest! Ich kann nicht alle Gruppen und deren Sprache kennen.

Die Beispiele, dass man nicht mehr Idiot oder dick sagen darf, sind aus meiner Sicht eher der billige Trick, damit alle sagen können: das ist Quatsch, für mich ist das nichts! natürlich sage ich dick!

Es kommt doch auch immer darauf an, wann das wie gesagt wird. Wird eine Frau als dick beschrieben, damit wir sie nicht mögen? Das könnte man überdenken, das ist halt alte Sprache. Beschreibt sich die Protagonistin in einer Gedankenpassage selbst als dick? Dann geht es doch durch.

Wenn mir ein Verlag sagt, ich soll das machen, habe ich zwei Gedanken: hat mein Text es so nötig? ups! oder ist der Verlag nichts für mich, mein Text passt da nicht rein.

LG

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Ich kenne zwei Rollstuhlfahrer und bezweifle, dass die davon genervt sind. Im Gegenteil: Thomas Gottschalk ist doch ein Sympathieträger. Wer würde dem denn ernsthaft unlautere Motive unterstellen?

In meinen Augen besteht das aktuelle Problem darin, für sich zu klären: Worüber definiere ich mein Selbstbewusstsein. Dies tun manche Leute darüber, dass sie zwingend Opfer sein wollen. Denn das bringt das Gegenüber in die Defensive. Andere definieren sich darüber, dass sie vermeintliche Opfer schützen wollen. Auch damit wollen sie andere in die Defensive zwingen.

Es ist in meinen Augen aber wichtig, sein Selbstbewusstsein aus sich heraus zu bilden.

Wenn wir diese Rollstuhlsache weiterspinnen, kommen wir zwingend irgendwann am Wort „toll“ an. Ich hab meine ganze Kindheit nicht verstanden, warum „tolle Hunde“ etwas Schlechtes sind. Toll hat mal verrückt bedeutet und es bedeutet das heute noch. Wer „toll“ sagt, verulkt damit doch eigentlich psychisch Kranke.

Ich frage mich wirklich manchmal, ob es uns zu gut geht. Ob der letzte Krieg so weit zurückliegt, dass wir anfangen, uns im Klein-Klein des Alltags zu verlieren, als auf das zu achten, auf das es wirklich ankommt.

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Thomas Gottschalk hat ein Millionenpublikum. Er hätte mit dem einfachen sensiblen Satz: „man sagt ja nicht an den Rollstuhl gefesselt, der Rollstuhl gibt dir Freiheit, nicht wahr?“ auf einen Schlag 12 Millionen Menschen sensibilisieren können. Hat er aber nicht, weil er sich vorher nicht überlegt hat, wie er mit dem Jungen reden soll. Der Junge war ja auch clever, OBWOHL er im Rollstuhl sitzt. Sympathisch finde ich das nicht!

Ich finde auch „Ich kenne zwei schwarze Personen, die finden das N-Wort ok“ hilft nicht weiter. Die Rolli Community hat laut protestiert, dass es deine Freunde nicht gestört hat, ist dann eine Stimme von vielen. Darüber reden kann man trotzdem.
Ich finde übrigens, dass Menschen, die mit Wörtern umgehen, also reden und schreiben, sich gerne als Opfer sehen, dass sie jetzt so stark eingeschränkt werden. Gruppen, die über Sprache protestieren, machen sich in meinen Augen eher stark.

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Wer ist denn die „Rolli Community“? Ist das ein Gremium, das für alle Rollstuhlfahrer sprechen kann, oder handelt es sich um ein paar Gestalten, die sich wichtiger nehmen, als sie sind?

Thomas Gottschalk moderiert seit den Achtzigern – seit meiner Kindheit – Live-Sendungen. Wollen wir uns mal Live 1½ Stunden unterhalten – dank moderner Technik geht das ja. Würde mich wundern, wenn ich danach nicht auch etwas finden würde, worüber ich herziehen könnte.

Musst du ja auch nicht. Mein Argument zielt eher darauf ab, dass wir es eben mit einem Thomas Gottschalk zu tun haben und nicht mit einem Björn Höcke. Ist es tatsächlich zu viel verlangt, einen Menschen auch im Zusammenhang seiner bisherigen Äußerungen zu sehen und nicht jede unglückliche Formulierung auf die Goldwaage zu legen?

Ich schau mir Wetten Dass schon lange nicht mehr an. Aber ich weiß doch, worauf ich mich einlasse, wenn ich da reinschaue.

Nein. Ich muss mich ja nicht einschränken lassen. Ich habe übrigens auch eine Einschränkung, über die sich Leute lustig machen. Ich halte es lediglich für ein nicht funktionierendes Lebenskonzept, permanent andere zu kritisieren und Sonderbehandlungen einzufordern. Denn dies wird niemals enden. Wer sein Selbstbewusstsein nur aus dem Verweis auf angebliche Verfehlungen anderer aufbaut, wird nach „Lösung“ seiner Probleme sofort die nächsten suchen müssen.

Wenn sich jemand zum Opfer hochstilisiert, ohne Opfer zu sein und von mir Veränderungen einfordert, macht er mich zum Täter. Damit werde ich Opfer einer Falschbeschuldigung.

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Mir geht es nicht um Gottschalk, ich hab ihn jetzt auch über 30 Jahre gesehen und werde ihn nicht vermissen.

was du vielleicht gar nicht siehst: Gottschalk hat mit seiner Sprache den Jungen zum Opfer gemacht, den wir bemitleiden können. Der arme ist gefesselt an den Rollstuhl, aber trotzdem clever! Die Rolli Community sagt: „Macht uns nicht zu Opfern! Der Rollstuhl gibt uns Freiheit, wir wollen nicht euer Mitleid, wir wollen, dass ihr dem Rollstuhl mit Respekt begegnet. Der Rollstuhl ist nicht unser Problem, ohne Rollstuhl hätten wir eines!“
Also die machen sich nicht zum Opfer, sie fordern, dass wir damit aufhören.
Dass du diesen feinen Unterschied gar nicht siehst, zeigt: hier wäre sensitivity reading für dich vermutlich gar nicht schlecht - die Perspektive hast du noch nicht eingenommen. Das ist ja auch ok, wir lernen alle dazu.

Und genau deshalb finde ich es gut, wenn Communities über die Sprache sprechen möchten, die wir benutzen.

Und ja, es gibt zu allen Themen Communities, Interessenvertretungen, Foren etc. und natürlich kannst du sagen: „Das ist keine offizielle Gewerkschaft mit e.V., mich interessiert nicht, was die sagen.“ Aber am Ende geht es doch immer nur darum, mal zu zuhören, nachzudenken und etwas mitzunehmen oder eben nicht.

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Ich bin dafür, wir sollten Maschinen die komplette Kommunikation überlassen. Dann kann überhaupt nichts mehr passieren. Man filtert einfach alles Erdenkliche heraus und genießt das Schweigen im Walde.

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„Alte Sprache“ - und schon geht es wieder los, die subtile Diffamierung der Gegner von political correctness. :roll_eyes:
Es kommt wohl vor allem darauf an wer was sagt. Während sich das Empörium über jede missverständliche Formulierung oder auch nur im Entferntesten bösartig interpretierbare Äußerung echauffiert, sind für die Gleichen Begriffe wie „alter, weißer Mann“, Boomer und ähnliche Herabsetzungen völlig ok. Entweder bin ich ein linguistischer Seismograf oder ein Heuchler mit anderen Motiven. Es ist ein Machtspielchen. Man will Diskurshoheit, anderen vorgeben, was sie zu sagen, denken und handeln haben.
Dein Rollstuhlfahrerbeispiel ist ebenfalls ein typisches Beispiel wie Argumente mit rhetorischen Mitteln diskreditiert werden: @tomP s zwei Rollstuhlstuhlfahrer wischst du als anekdotische Evidenz ohne Beweiskraft vom Tisch, aber deine (eventuell vorhandenen zwei Rollstuhlfahrer) stilisierst du zur nicht näher belegten „Rolli-Community“ hoch, die natürlich Beweiskraft haben.
Ich kenne ebenfalls Rollstuhlfahrer und die hassen es, wenn sie wahlweise wie unmündige Kinder oder eine geschüttelte Flasche Nitroglyzerin behandelt werden.
Aber am wenigsten mögen sie es, wenn sie für eine politische Agenda vereinnahmt und instrumentalisiert werden.
Die Krönung ist dann, dass du @tomP s andere Meinung, als falsch, unempathisch - kurz „unwoke“ darstellst und das als Rechtfertigung für das heilsame Wirken des sensitivity readings darstellst. Machtspiel, wie gesagt.

Weißt du, warum Menschen, die mit Sprache umgehen, so empfindsam auf dieses ganze Thema gendern, political correctness, Sprachverbote etc. reagieren?
Sie kennen die Macht der Sprache und auch ihr Missbrauchspotential, wenn sie von politischen Ideologien vereinnahmt werden. Sie haben ein feines Gespür für Manipulationen, Beeinflussung, Dinge unsagbar machen, Propaganda, Neusprech, Doppeldenk, usw.
Am Rande bemerkt, es ist erstaunlich, dass sich bei diesem Thema immer wieder Leute zu Wort melden und extrem „pro“ äußern, die sich offensichtlich erst wenige Stunden zuvor angemeldet haben und zu keinem anderen Thema etwas geschrieben haben.

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War selbst mal einer. Allerdings nur für dreieinhalb Monate. Gilt das? Nur mal so am Rande gefragt, denn wir beginnen, uns wieder im Kreis zu drehen wie bei dem Gender-Thread. Daher wünsche ich mir neue Argumente dafür oder dagegen, aber bitte neu. Ansonsten wird diese Diskussion langweilig.

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das sind viele Buzzwörter, die ich nicht verwendet habe. Woke, political correctness etc. darum geht es hier ja nicht. Empörium, wirklich?

Sich als Nutzer von Sprache so gegen die eigene Entwicklung zu wehren, erstaunt mich sehr! So schreiben wir unpräzise und eignen uns Erfahrungen an, die wir nicht haben.

Ich habe die Diskussion im Netz zu Gottschalks Aussage verfolgt und das Augenrollen war ein Donnern. Und selbst wenn, selbst wenn es zwei gegen zwei ist? Was wäre der Unterschied? Es geht darum zuzuhören und für sich eine Entscheidung zu treffen. Wer sagt, dass ihn die Kritik nicht interessiert: ja OK? dann nicht? Dann lass es? Aber so zu tun, als wäre der sprachliche Unterschied, ob ich an einen Rollstuhl gefesselt bin oder ohne Rollstuhl an das Haus gefesselt, nicht existent, ist doch für Schreibende völlig absurd? Wir müssen doch solche Feinheiten verstehen, wir wollen doch präzise schreiben? UNS sollte das doch wichtig sein? nicht wegen woke, wegen guter Sprache? oder wenigstens sollten wir bereit sein, das komplett durch zudenken, das macht uns doch zu besseren Schreibern, nicht?

Wenn ich nicht den Unterschied erkenne, wann ich jemanden mit meiner Sprache zum Opfer mache oder wann die Person sich mit Kritik selbst zum Opfer macht, dann ist halt wirklich Zeit für eine weitere Perspektive.

ich werde immer Frauen finden, die sind gegen Feminismus, Rollis, denen diskriminierende Sprache egal ist, schwarze Personen, die nicht an Rassismus glauben. Aber wenn das zu unpräziser Sprache führt, die ja offensichtlich anderen Leuten auf die Füße tritt, dann will ich mich immer verbessern. denn unpräzise wischwaschi egal will ich nicht schreiben.

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Ich nicht. Ich möchte spannend schreiben und authentisch. Präzise sollte ein Sachbuch geschrieben sein, nicht (m)ein Roman.

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Und der nächste rhetorische Taschenspielertrick: Verwende ein übergriffiges und vereinnahmendes „Wir“, um deine Position als die einzig richtige zu propagieren.

Vielleicht stellst du uns ja mal eine repräsentative Schreibprobe deiner präzisen Texte in den Schreibzirkel. Ich bin neugierig geworden.

Ja, da bin ich jetzt erstaunt, dass Ihr keine präzise Sprache wollt. Als wäre spannend und präzise ein Widerspruch.
Aber gut, dann habt ihr das ja für euch entschieden und auch das ist OK. @Suse

schreibt man klein. So viel zum Thema präzise.

Da bin ich jetzt unsicher, ob das für mich Sinn macht, wenn unsere Kriterien sich so unterscheiden.

Nur dann. Wären wir uns einig, dann wäre eine Diskussion a) sinnlos und b) wäre ich nicht neugierig geworden.

Und Satzanfänge groß. Wir sitzen vermutlich beide am Handy und sollten nicht kleinlich werden, oder?