Versuch

Ganz erstaunlich sind die Effekte regelmäßigen Trainings. Nach der anfänglichen Qual werden Sie in kurzer Zeit die segensreichen Auswirkungen spüren. Es steigt sowohl das allgemeine Wohlbefinden als auch die Fitness. Außerdem haben Sie kein schlechtes Gewissen mehr, wenn Sie die Artikel über die schädlichen Folgen des zivilisationsbedingten Bewegungsmangels lesen. Hera schwang sich bekanntermaßen täglich auf ihr Fahrradergometer. Ein weiterer Profiteur kontinuierlicher körperlicher Ertüchtigung war Sisyphos. Anfangs hatte er den Stein kaum ein paar Meter bewegen können. Inzwischen galten seine Muskelpakete als bewundernswerte Anschauungsobjekte bei Junggöttern. Es war allerdings verboten seinen Stein zu benutzen. Tag für Tag schob Sisyphos den Stein ein Stückchen weiter. Gut, hin und wieder gab es Einbrüche. Aber die Tendenz wies in eine klare Richtung. Und dann war der Tag gekommen. Sisyphos spürte wie sich die Kraft seiner Muskeln zusammenbraute, seine Sehnen vibrierten. Er wusste: Dies war der Tag.
Seinen Weg auf den Gipfel säumten begeisterte Sterbliche im Zustand verstorben, auf den letzten Metern waren Tribünen aufgebaut. Hot-Dog-Verkäufer priesen ihre Ware an, es gab kleine Amphoren mit der Aufschrift „Sisypho‘s Schweiß“ (jaja, Zeichensetzung), Andenkenhändler priesen Steinanhänger, Schaumstoff-Steine in Originalgröße und weitere Artikel an, die jedermann in einem Werbeartikelshop bedrucken lassen kann. Die Stimmung war ausgelassen. Selbst Zeus hatte sich eingefunden, erhaben stand er auf dem Gipfel. Neben sich den Siegerpreis, eine XXL Amphore mit Olivenöl extra vergine.
Schweißperlen sammelten sich auf der Stirn von Sisyphos. Seine Hände waren weiß vom Magnesiumcarbonat, Stück für Stück rollte er den Stein gegen den Widerstand der Schwerkraft bergauf. Ein Chor aus rhythmisch klatschenden Anfeuerungsrufen (Ha! Als ob es das gäbe: klatschende Anfeuerungsrufe! Man versteht, was gemeint ist. Aber schön ist so eine Formulierung keinesfalls zu nennen.) begleitete ihn. Langsam kam der Gipfel in Sicht. Sisyphos spürte die Anspannung seiner Muskeln. Zugleich beflügelte ihn die Aussicht, die unüberwindbare Aufgabe zu erfüllen. Weitere Muskelstränge aktivierten sich, bereit mit anzupacken. Und dann fehlte nur ein letzter Schritt, eine einzige finale Kraftanstrengung.

„Scheiße! Wer hat die Amphore umgeschmissen!“

Grün-goldenes Olivenöl ergoss sich über die Bergkuppe, fand den Weg bergab, kroch unter die Füße von Sisyphos. Nun zumindest muss er sich keine Gedanken über Arbeitslosigkeit machen.

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Emotional zerschmettert saß Sisyphos am Fuße des Berges. Sein Stein, Symbol des Scheiterns lag unbeachtet neben ihm. Es gab keine Gemeinschaft mehr zwischen ihnen. Das Band war zerrissen durch ein paar Milliliter feinstes Öl.
Ein Schwung Putti kam auf dem Rückweg vorbei. Erst hatten sie auf der Tribüne mitgefiebert, aber das spektakuläre Scheitern war natürlich auch nicht zu verachten.

„Mensch, Sys, echt Pech gehabt.“

„Du bleibst wohl noch ne Weile am Berg.“

„Ist aber auch irgendwie gut so. Wir hätten dich vermisst.“

„Außerdem konnte man die Uhr nach dir stellen.“

Sisyphos empfand die Bemerkungen nicht als aufbauend. Im Gegenteil. Es trieb ihn Satz für Satz in tiefe Melancholie. Schon fühlte er sich unfähig den Stein überhaupt zu bewegen, bald erschien es ihm unmöglich aufzustehen. So saß er da. In sich gekehrt, passiv.

Als sich am Berg nichts mehr tat, schaute man nach ihm.

„Er ist krank.“

„Es ist nur, weil er versagt hat.“

„Aber er macht gar nichts mehr.“

„Vielleicht eine Depression. Wir sollten jemanden vorbeischicken.“

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Ödipus war eine arme Sau. Man kann es nicht anders sagen. Erst musste er den Orakelspruch erfüllen und dann benannte Freud ein psychoanalytisches Problem nach ihm. Das Resultat waren erhebliche Dysfunktionalitäten, die Ödipus jahrelang zur Behandlung bei Äskulap zwangen.
Nachdem seine Symptome abgeklungen waren, hatte er sich der Psychoanalyse gewidmet und war zu einem gefragten Therapeuten geworden. Jetzt schaute er bei Sisyphos vorbei. Versuchsweise stippte er den Finger in die nebelgraue Dunstglocke. Unter schweren Lidern streifte ihn ein desinteressierter Blick von Sisyphos. Ödipus ließ sich nieder. Das hier könnte was Längeres werden. Er winkte einer vorbeischwebenden Nymphe zu und bestellt ein Lunchpaket. Wahrscheinlich würde es wieder voller gesunder verdauungsfördernder Sachen sein. Äskulap wäre erfreut.

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Und wie sieht es derweil in der Primärerziehung Stufe I aus? Hebe fand, dass sie das Worldbuilding in der letzten Zeit stark vernachlässigt hatte.

„Liebe Kinder, heute wollen wir uns mit den Pflanzen beschäftigen.“

„Pflanzen sind doof.“

„Susi! Pflanzen sind nicht doof. Sie haben einen erstaunlich hohen PIQ.“

„Tante Hebe?“

Hebe zuckte zusammen. In echt. Man konnte es sehen. Es war kein „Heute-fühle-ich-mich-wie-ein-Sterblicher Tag. Es war echtes Schaudern. Wie konnte dieses Kind es wagen sie mit „Tante“ anzusprechen? Welche antiquierten Erziehungsmuster offenbarten sich hier? Hebe versuchte ruhig zu bleiben. Ihre Gestalt wuchs ins Unermessliche - naja, sagen wir sie erreichte die Größe von King Kong -, ihre Haut färbte sich zornesrot, ihre Stimme, die sie gleich an ein göttliches Kind richten würde, wäre nichts gegen den Aufschrei der Zuschauer bei einem verschossenen Elfmeter im Finale, ihre Augen glühten wie das Auge eines besseren Vulkans.

„NENN MICH NICHT TANTE!“

„Tschuldigung.“

Hebe beruhigte sich und nahm ihre liebliche Ausgangsgestalt an.

„Pflanzen sind sehr intelligente Wesen. Ihr einziges Manko ist, dass sie nicht davonrennen können.“

„Ta-, äh. Was ist PIQ?“

Hebe überhörte das Ta. Es war eine Kraftanstrengung.

„Ein Maß, um die Intelligenz von Pflanzen zu messen. Aber glaubt nicht, dass die Pflanzen einer Sorte alle gleich sind. Es gibt dumme Tomaten und schlaue. Sie schmecken aber gleich. Und jetzt erschafft jeder von euch drei Pflanzen für seine Welt.“

Sie stand auf und ging in die Küche, um ein dringend benötigtes Heißgetränk zuzubereiten. Mit Zucker. Viel Zucker.

Bei den göttlichen Kindern hatte sich von allen Informationen der Aspekt, dass Pflanzen nicht herumlaufen, festgesetzt. Während Hebe in der Küche ihre Geduldsfäden regenerierte, erschufen zahlreiche kleine Götter ein buntes Spektrum herumflitzender Pflanzen. Da gab es anmutige Blumen, die sich zu immer neuen Arrangements zusammenfanden, Bäume, die bereit waren, alles niederzuwalzen. Erfreulicherweise waren sie bisher nicht über das Zwei-Keimblätter-Stadium hinaus gekommen, so dass die Gebäude keinen Schaden nahmen. Und natürlich rannten fleischfressende Pflanzen herum, die nach den Fersen der Kinder schnappten.

Hebe senkte den Kopf anmutig über ihre Tasse.

Sie hatte Glück. Bevor ein pflanzliches Desaster geschehen konnte, betrat Terro den Raum. Zufälligerweise kam er aus dem Garten, wo er eine Hecke gestutzt hatte. Und zufälligerweise hielt er die Gartenschere* in der Hand. Die Pflanzen drängten sich panisch in einer Ecke zusammen. In ihrer DNA war offensichtlich die Information über Gartenscheren gespeichert.

  • bei der Inventur erfasst
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@Huselkuv
Egal was du mit diesem Versuch versucht hast, es ist dir gelungen. Mach ein Buch daraus, dann kannst du deinen Job aufgeben und das blöde Kaff hinter dir lassen. :slight_smile:

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Hallo Pferdefrau und alle anderen,
vielen Dank für Euren Zuspruch.
Ich schau mal, ob ich 200 Normseiten oder so schaffe.
Und dann kommt das Überarbeiten, oder? :scream:

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Daran geht kein Weg vorbei, fürchte ich. :thumbsdown:

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Schock!

Beschwer dich bei Zeus. Vor den Erfolg haben die Götter nunmal den Schweiß (und malträtierte Hirnzellen) gesetzt. :smiley:

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Da sehe ich bisher aber keine großen Baustellen. Wenn ich nicht so viel Spaß an deinen Texten hätte, wäre ich neidisch. :smiley:

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Ich glaube du hast alleine hier schon viele Vorbesteller.

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In den Fidonetzeiten wurden dort die Einzelgeschichten vom ‹The Bastard Operator from hell› auf ähnliche Art und Weise den sogenannten Points zugänglich gemacht. Jahre später generierte der Autor aus seinen Einzelgeschichten ein Buch.

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Kennen Sie Dionysos? Dicklich, Weinlaub auf dem Kopf, grinst dümmlich? Nun das ist er nicht. Nur sein mieses Image. Zu Beginn seiner Karriere hatte er sich große Mühe gegeben, seinen Ruf nachhaltig zu festigen. Als Berater von Rockstars hatte er ein gutes Händchen für die Demolierung von Hotelzimmern bewiesen. Zahlreiche jugendliche Fans bewunderten die Auswüchse ihrer Stars, in der Annahme es handle sich um den Ausdruck ungefilterter Wut. Ein Irrtum. Inzwischen waren Dionysos seine Anfänge als Gott etwas peinlich. Natürlich hätte er das niemals zugegeben. Er beteuerte stets, dass er die Zerstörung von Hotelzimmern immer noch drauf hätte. Meist wurde müde abgewunken. Wegen solcher Sachen hielt man ihn ein bißchen für den Klassenclown unter den Göttern. Dabei war er ein ausgewiesener Kenner von Irgendwas. Unterschätzen Sie nie die Bedeutung von Irgendwas.
Dionysos hing mit den anderen Göttern beim Gelage herum. Sein Blick schweife gelangweilt umher, streifte die liebliche Hebe an der Bar, Stefan den Höhlenmenschen und ein paar Götter, deren Namen er momentan nicht parat hatte. Er stockte. Sein Blick ging zurück zu Stefan. Dionysos runzelte die Stirn. Ein paar Putti kamen aufgeregt flügelschlagend vorbei.

„Wir suchen Stefan den Höhlenmenschen. Hast du ihn gesehen?“

Dionysos wies ihnen den Weg. Die Putti gruppierten sich um Stefan und zerrten ihn mit sich. Er fühlte sich wie ein Maskottchen. Viel hatte er dafür nicht unternehmen müssen. Eher gar nichts. Auch wunderte sich Stefan über die Wendung, die sein Leben genommen hatte. Aber da er gerade nichts anderes zu tun hatte, war es okay.

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Xyle hatte sich zu den Helden gesellt. Normalerweise sind Helden Einzelgänger. Erstens mögen sie keine Konkurrenz, zweitens gab es unzulässige Absprachen über die Gebietsaufteilung. Die Helden fühlten sich plötzlich unsicher, traten von einem muskulösen Bein auf das andere. Sie sind den normalen Umgang mit Frauen nicht gewohnt, darunter fallen auch weibliche Götter. In den Köpfen von Helden sind Frauen gemeinhin Königstöchter, die man als Belohnung für eine Heldentat erhält. Nicht für jede Heldentat, nur für besondere, sonst hätte man schnell einen Harem zusammen, müsste häufiger raus, um Heldentaten zu vollbringen, weil nicht nur eine Frau, sondern sehr viele verlangen würden, dass man den Müll runterbringt, wo man doch einfach nur mal in Ruhe auf dem Sofa sitzen will, um Godzilla versus Megalodon anzusehen und wenn man dann wiederkommt, hätte man eine weitere anspruchsvolle Königstochter vor sich auf dem Pferd sitzen. Das Frauenbild von Helden war recht eindimensional (im realen Leben hatte bei weitem nicht jeder Held eine persönliche Königstochter, aber es war das allgemein anerkannte Ziel, eine zu bekommen. Schwierig wurde es aktuell durch den zunehmenden Mangel an solchen und dann diese Emanzipation. Demnächst gab es wahrscheinlich weibliche Helden. Haha. Dazu würde es niemals kommen. Dachten die Helden.).

„Das ist Xyle.“ Raunten sie einander zu.

„Die Xyle von Terro?“

„Genau.“

„Ist sie eine Königstochter?“

„Ich glaube nicht.“

„Was will Terro dann mit ihr?“

„Keine Ahnung. Jetzt hat er sie halt. Da kann er sie schlecht rausschmeißen.“

„Hallo Helden.“

Die Helden wechselten bei Xyles Begrüßung das Standbein.

„Hallo Xyle.“

„Ja. Genau. Äh. Hallo.“

„Wie gehts dir, Xyle?“

„Schönes Wetter heute, oder?“

Helden haben andere Stärken als Smalltalk.

„Ich wollte mal mit euch reden.“

Die Helden wechselten verzweifelt auf das andere Standbein.

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Das Gelage - Besuch kommt

Beste Laune allerorten. Die Revision hatte die Inventur akzeptiert und unterschrieben. Ein Trinkspruch jagte den nächsten. Satyrn führten einen komplexen Tanz auf, der vor Urzeiten in die Folklore Schottlands eingegangen war. Schwerter spielten eine wichtige Rolle. Nervöse Helden warteten auf die Rückgabe ihrer Waffen.

„Zeus, Besuch für dich.“

Zwei konservativ gekleidete Damen folgten Hermes. Sie waren etwas nervös aber von Wichtigkeit durchstrahlt.

„Ja?“

„Wir wollen mit ihnen über Gott sprechen.“

„Welchen?“

Mächtiges Lachen erschütterte den Olymp. Es gehörte zu Kategorie homerisch. Im folgenden schworen die beiden Damen ihrem Glauben ab versuchten sich in den ihnen verbliebenen Jahren abwechselnd als Orakelpriesterinnen in Delphi. Bis auf einen Touristen hielten alle sie für Spinner. Der eine gewann den Jackpot im Lotto.

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In einem tosenden Zornesausbruch hatte Zeus die Götter zusammengerufen. Er deutete auf einen winzigen Fleck auf der Welt.

„WER WAR DAS?“

Die Götter sahen sich fragend an. Ein schwarzer Fleck. Sowas kommt vor. Sterbliche produzierten viele schwarze Flecken, hier und da eine Ölpest oder ein Heavy Metall Konzert.

„WER IST DAFÜR VERANTWORTLICH?“

Es war etwas unklar, worum es Zeus ging. Es fehlten ein paar Rahmeninformationen, fanden die Götter. Nur Hermes hatte einen Verdacht. Er fühlte sich unbehaglich. Sollte er das Thema ansprechen oder abwarten bis sich der Zorn von Zeus legte? Allerdings war es nie vorgekommen, dass Zeus sich einfach abregte. Hermes kapitulierte vor seinem Verdacht.

„Ist das das Forschungslabor der Firma Global Electrics and Mood?“

Zeus blickte wortlos zu Hermes.

„Also wenn das Global Electrics and Mood ist, dann könnte ich was dazu sagen.“

Die geballte Aufmerksamkeit der Anwesenden richtete sich auf Hermes. Man wich ein paar Schritte zurück, nicht nur in kollegialer Absicht, damit jeder einen guten Blick auf ihn hatte, sondern auch um eventuellen Blitzen von Zeus aus dem Weg zu gehen. Andererseits war es zu spannend, um sich zu weit zu entfernen.

Zeus war nicht der Gott, der sich Argumente anhörte, nach seiner Prämisse hatte er immer Recht. Leider fehlte ihm die rhetorische Brillanz, um Wörter wie einen Hagel von Donnerkeilen auf Hermes niederprasseln zu lassen. Er ließ Cato holen, instruierte ihn kurz und lehnte sich genüsslich zurück. Cato war wirklich ein außerordentlicher Redner. An den richtigen Stellen gab es Pausen, damit die Zuhörer ihre angestaute Anspannung in Ahs und Ohs abbauen konnten. Cato hatte zur Sicherheit einen Chor mitgebracht, der seine Rede verbal untermalte, denn auf die Götter konnte man sich in der Hinsicht nicht verlassen. Satzkaskaden sprudelten wie in der Villa d’Este (das nur zur Demonstration der breiten Bildung des Verfassenden), singuläre Ausdrücke schossen empor wie die Fontäne im Genfersee. Insgesamt war es unglaublich langweilig Cato zu lauschen. Cäsar war viel amüsanter gewesen. Götter reichten Streichhölzer durch, um die Augenlider offen zu halten. Endlich kam Cato zum Ende. Wenn Sie einen Hauch der Ewigkeit erfahren wollen, hören Sie Cato zu.
Hermes* erwachte aus seiner schützenden Apathie.

„Darf ich auch was sagen?“

„NEIN!“

„Interessanter Einwurf, Zeus. Die Sterblichen haben einen Beamer entwickelt. Wie in Raumschiff Enterprise. Nur mit besserer Auflösung. Ich habe ihn ausprobiert.“

Den Göttern entwich ein chorunabhängiges „Oh“.

„Hat jemand eine Vorstellung, was das für die Logistikbranche bedeutet? Ist das irgendjemandem klar?“

Hermes war fertig. Die Köpfe der Götter schwenkten auf Zeus.

„Okay. Das ist ein Argument.“

Fassungslosigkeit zeichnete sich auf den Gesichtern der Götter ab. Zeus hatte eingelenkt. Und darum verwenden die Sterblichen weiterhin antiquierte Technik wie Räder und Flügel.

*Um die Relevanz der Logistikbranche für Hermes zu erläutern, sei hier darauf hingewiesen, dass er der Gott des Verkehrs, der Reisenden und der Kaufleute ist. Wer schon mit Hermes Kontakt hatte, möge die Anmerkung bitte als überflüssig einordnen.

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Das Gelage - mit Stefan

Stefan der Höhlenmensch war von den Putti aufgelesen worden, aber zwischenzeitlich hatten sie ihn vergessen (wie gesagt, sie sind flatterhaft) und gaben sich anderen Vergnügungen hin. Stefan trottete etwas ziellos zwischen den feiernden Göttern herum. Er nippte von verschiedenen Getränken, stieß mit ein paar Helden an, die ihn womöglich wegen seiner Tracht für einen der ihren hielten und wie das so ist, wenn man unkoordiniert trinkt, mit zu vielen Leuten anstößt, bei nichts mitreden kann und deswegen allzu häufig am Becher nippt, hatte Stefan nach einiger Zeit seine Affinität zur Horizontalen entdeckt. Er lag hingestreckt auf einer Liege. Etwas abseits. Er wollte Ruhe, sich auf ein paar Aspekte des Bewußtseins konzentrieren. Aber sein Gehirn driftete bei jeder Annäherung eines Gedankens seitlich davon. Stefan sah sich gezwungen, es regelmäßig mit einem Lasso einzufangen und an den angestammten Platz zurück zu verfrachten. Erschwerend kam hinzu, dass ihm so wahnsinnig übel war.

„Wer war das?“

Empört zeigte Hera auf Stefan. Einige Putti kamen mit schlechtem Gewissen angeschwirrt. Stefan versuchte sich die Ohren zuzuhalten. Es blieb bei dem Versuch.

„Was seid ihr für Gastgeber!“

Kopfschüttelnd angesichts der Tatsache, sich mit künstlerischem Beiwerk abgeben zu müssen, entschwand Hera. Das schlechte Gewissen ließ sie da. Ratlos sahen sich die Putti an.

„Ja was sollen wir denn machen?“

Putti sind regulärerweise voller naiver Lebensfreude. Aber manchmal mischt sich ein gewitzterer Putto darunter. Das macht es nicht besser.

„Wir machen ein Projekt.“

„Ah, ein Projekt.“

„Eine gute Idee!“

„Und wir nennen es Das große Umstyling.“

Der Gedanke gefiel den Putti. Sofort eröffneten sie eine Diskussion darüber, ob die Verwandlung in einen Schwan oder Goldregen als Umstyling gelten könne. Stefan war froh, dass er nicht mehr im Mittelpunkt stand. Er hatte sich zu früh gefreut. Eifrige Putti begannen an seinem Bärenfell zu ziehen. Stefan wollte es nicht hergeben. Es war sein erster Bär gewesen und erst nach langem Tragen hatte es den gewissen Komfort entwickelt. Er verlor diesen Kampf. Die Putti hätten ihn gerne mit Grillzangen geführt. Aber keiner wusste, wo die schon wieder waren. Außerdem bekam er eine Frisur, was eine völlig neue Erfahrung für seine Haare war. Sie sahen sich endlich gewürdigt und bildeten begeistert weich fallende Locken aus. Des weiteren gab es eine Rasur.

„Er hat ein Kinn!“

„Natürlich hat er eins!“

„Wieso natürlich. Viele haben kein Kinn.“

„Ach ja! Und wer soll das sein?“

„Pantoffeltierchen zum Beispiel.“

Stefan hatte nie an der Existenz seines Kinns gezweifelt, ihm andererseits auch nie besondere Beachtung geschenkt. Während er sich seines Kinns bewusst wurde, verspürte er ein starkes Ziehen an seiner linken Hand (er war Linkshänder). Jemand versuchte ihm die Keule aus der Hand zu winden. Nein, die würde er nicht hergeben. Die Putti zerrten, Stefan umschloss die Keule mir eiserner Hand. Sein trunkenes Hirn klammerte sich an die letzte Bastion seines Selbst.

„Er gibt die Keule nicht her.“

„Na gut. Soll er sie behalten. Herkules rennt schließlich auch mit einer rum.“

Die Putti ließen die Keule los, traten einen Schritt zurück und bewunderten ihr Werk.

„Er sieht gar nicht mehr aus wie ein Höhlenmensch.“

„Irgendwie schade.“

„Also mir gefällt er.“

Da die klassische Bezeichnung „Höhlenmensch“ nicht mehr gebraucht wurde, konnte der Begriff zur freien Verfügung gestellt werden. Derzeit wird er für junge Männer verwendet, die einsam bei heruntergelassenem Rollo auf Bildschirme starren und auf dem Weg zum Milliardär sind.

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Unter einer Liege lag hingeworfen, vergessen und einsam ein Bärenfell. Kein Gott verschwendete einen Blick. Nur Abby und Evi krabbelten zielstrebig darauf zu. Ohne Zweifel handelte es sich um ein Objekt, dem dringend benötigte Sicherheitskennzeichnungen fehlten. Überhaupt sind Warnhinweise das Merkmal für interessante Sachen, wie Kettensägen, Atomkraftwerke oder Helios Wagen. Seit dieser Sache mit Phaeton zierten diverse deutlich sichtbar angebrachte Schilder den Sonnenwagen und warnten vor dem unsachgemäßen Gebrauch. Helios sah die Ästhetik seines Gefährts stark beeinträchtigt. Jährlich aktualisierte Anträge auf Entfernung bei der Revision waren erfolglos geblieben. Und obwohl dem Bärenfell diese Hinweise fehlten, übte es eine magnetischen Anziehungskraft auf die beiden Kleinkinder aus. Endlich hatten sie es erreicht, rollten sich darin wie in einer flauschigen Höhle ein und - wurden, auch wenn Sie es jetzt erwartet hätten, nicht verschlungen und in eine paläolithische Jäger- und Sammler Gemeinschaft geworfen - sondern bewunderten die Parasitenkulturen. Ein Aufschrei des Entsetzens, das sofortige Hochreißen der Kinder wäre die normale Reaktion liebender Eltern gewesen. Doch welcher Parasit hätte es gewagt seine Beißwerkzeuge oder Stachel in das göttliche Fleisch zu jagen. Es hat eben Vorteile* ein Gott zu sein. Unter anderem benötigt man keine Moskitonetze.

*Es gibt Nachteile. Wenn jemandem einer einfällt, möge er sich bitte bei mir melden.

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Das Bärenfell verspürte die göttliche Macht, die Evi und Abby umgab. Durch ihre Anwesenheit fühlte es sich groß und stark.

„Auch ich bin ein Universum.“

Die Parasiten interessierten sich nicht für ihren Lebensraum. Es handelt sich um eine typische Fehlprogrammierung. Das Bärenfell hatte den Eindruck etwas übertrieben zu haben, fehlten ihm doch Sonnen, Monde und Ähnliches.

„Auf jeden Fall bin ich eine Welt. Ja. Ich bin hervorragend als Welt geeignet. Eine flauschige Welt.“

Den Aspekt flauschig sollte das Bärenfell meiner Meinung nach und in Anbetracht der Tragedauer auf Stefans Körper gründlich überdenken. Die Parasiten waren weiterhin ignorant. Sie krochen zwischen verfilzten und verfilzteren Fellbüscheln herum und gingen zum Essen in Alice‘s Restaurant, dass sich plausiblerweise auf der Vorderseite befand und hingen ab. Seit Stefan nicht mehr in dem Fell steckte, hatten sie nichts zu tun. Sie genossen die unverhoffte Freizeit. Nur ihr König ging unruhig auf und ab. Er befürchtete dumme Gedanken. Leute, die nicht ausreichend beschäftigt sind, entwickeln unweigerlich dumme Gedanken. Sie laufen auf Kündigungen und Revolutionen hinaus. Der König hatte zwar keinen Hals, doch spürte er ein unangenehmes Ziehen in einer Körperregion, die diesen Zweck erfüllen konnte.

Hebe warf von der Bar aus einen Blick durch den Raum. Sie sah zwei süße Kinder, die friedlich spielten. Alles gut. Sie widmete sich weiteren Cocktails.

In Alice‘s Restaurant rüstete sich eine Gruppe Parasiten. Sie hatten die Stühle zerlegt, um die Beine zu benutzen.

„Auf gehts!“

„Es geht los, Leute!“

„Was geht los?“

„Es geht halt los.“

„Und wohin?“

„Keine Ahnung. Da lang?“

Der Parasit beschrieb mit dem Stuhlbein einen vagen Halbkreis.

„Genau. Das ist die Richtung.“

„Welche Richtung meinst du?“

Ein Stuhlbein landete auf dem nervigen Frager. Auch wenn einem das Wort Revolution aufgrund epidemiebedingt geschlossener Bildungseinrichtungen nicht bekannt ist, das Prinzip sollte klar sein.

Evi und Abby verfolgten gebannt das Geschehen. Ihnen wurde klar, dass es neben Evolution und Wahrscheinlichkeit eine weitere treibende Kraft gab - brachiales Handeln.

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Da das Bärenfell noch nicht ausreichend ausgeschlachtet wurde, fahre ich fort.

Es fand eine epische Schlacht zwischen Revolutionären und Königstreuen statt. Schlachtgetümmel, das andere besser beschreiben können, tobte, die Flanken formierten sich, Flügel wurden eingekesselt, Gefechtsreihen durchbrochen. Das Übliche eben, was über den Umweg der Optimierung von Kampftechnik die Zivilisation vorantreibt. Schließlich lag Freund neben Feind und es gab keinen Sieger.

„Dann machen wir eine parlamentarische Monarchie.“

„Gute Idee. Was ist das?“

„Wir behalten den König. Aber er hat nix mehr zu sagen.“

Die Parasiten einigten sich auf dieses Modell und gingen für ein Versöhnungsmahl zu Alice. Sie hatte nur Häppchen vorbereitet, die man im Stehen isst. Es sollte eine Ansage an ihre Gäste sein, die Location nicht zu zerlegen. Nebenbei wurde das Fingerfood erfunden.

Beim Bärenfell entstand ein dringendes Bedürfnis sich am Schlachtfeld zu kratzen. Leider fehlten ihm Krallen und Bewegungsapparat.

Später in der Nacht, als Abby und Evi längst in ihren Betten lagen, würde die Putzkolonne vorbeikommen und das Bärenfell zu den anderen Fundstücken in eine Ecke werfen. Zufälligerweise würde Ödipus daran vorbeilaufen und es als Das-kann-man-noch-gebrauchen mitnehmen, vermutlich für eine psychotherapeutische Kuschelgruppe. In der Folge konnte Alice ihre Speisekarte erweitern.

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