Ganz erstaunlich sind die Effekte regelmäßigen Trainings. Nach der anfänglichen Qual werden Sie in kurzer Zeit die segensreichen Auswirkungen spüren. Es steigt sowohl das allgemeine Wohlbefinden als auch die Fitness. Außerdem haben Sie kein schlechtes Gewissen mehr, wenn Sie die Artikel über die schädlichen Folgen des zivilisationsbedingten Bewegungsmangels lesen. Hera schwang sich bekanntermaßen täglich auf ihr Fahrradergometer. Ein weiterer Profiteur kontinuierlicher körperlicher Ertüchtigung war Sisyphos. Anfangs hatte er den Stein kaum ein paar Meter bewegen können. Inzwischen galten seine Muskelpakete als bewundernswerte Anschauungsobjekte bei Junggöttern. Es war allerdings verboten seinen Stein zu benutzen. Tag für Tag schob Sisyphos den Stein ein Stückchen weiter. Gut, hin und wieder gab es Einbrüche. Aber die Tendenz wies in eine klare Richtung. Und dann war der Tag gekommen. Sisyphos spürte wie sich die Kraft seiner Muskeln zusammenbraute, seine Sehnen vibrierten. Er wusste: Dies war der Tag.
Seinen Weg auf den Gipfel säumten begeisterte Sterbliche im Zustand verstorben, auf den letzten Metern waren Tribünen aufgebaut. Hot-Dog-Verkäufer priesen ihre Ware an, es gab kleine Amphoren mit der Aufschrift „Sisypho‘s Schweiß“ (jaja, Zeichensetzung), Andenkenhändler priesen Steinanhänger, Schaumstoff-Steine in Originalgröße und weitere Artikel an, die jedermann in einem Werbeartikelshop bedrucken lassen kann. Die Stimmung war ausgelassen. Selbst Zeus hatte sich eingefunden, erhaben stand er auf dem Gipfel. Neben sich den Siegerpreis, eine XXL Amphore mit Olivenöl extra vergine.
Schweißperlen sammelten sich auf der Stirn von Sisyphos. Seine Hände waren weiß vom Magnesiumcarbonat, Stück für Stück rollte er den Stein gegen den Widerstand der Schwerkraft bergauf. Ein Chor aus rhythmisch klatschenden Anfeuerungsrufen (Ha! Als ob es das gäbe: klatschende Anfeuerungsrufe! Man versteht, was gemeint ist. Aber schön ist so eine Formulierung keinesfalls zu nennen.) begleitete ihn. Langsam kam der Gipfel in Sicht. Sisyphos spürte die Anspannung seiner Muskeln. Zugleich beflügelte ihn die Aussicht, die unüberwindbare Aufgabe zu erfüllen. Weitere Muskelstränge aktivierten sich, bereit mit anzupacken. Und dann fehlte nur ein letzter Schritt, eine einzige finale Kraftanstrengung.
„Scheiße! Wer hat die Amphore umgeschmissen!“
Grün-goldenes Olivenöl ergoss sich über die Bergkuppe, fand den Weg bergab, kroch unter die Füße von Sisyphos. Nun zumindest muss er sich keine Gedanken über Arbeitslosigkeit machen.