Tanzen Sie?

Sehr frei nach Watzlawick :sunglasses:

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Falscher Film. Meiner geht so:
Ich brauche einen Hammer. Ich gehe in den Baumarkt und kaufe mir einen. Mann hinter mir an der Kasse so:
„Soll ich Ihnen zeigen, wie man den benutzt?“
oder so:
„Ich hätte auch mal wieder Lust zu nageln.“
oder so:
„Oh, toller Hammer. Darf ich Ihnen meine Nagelsammlung zeigen?“

Es geht hier um Sexismus. Daran ist nichts zu deuteln und nichts schönzureden und nichts umzudrehen:

Gemeinsam ist den subjektiven Definitionen von Sexismus, dass er kein Identifikationsbegriff ist, sondern ein Distanzierungsbegriff mit der Betonung, dass Sexismus moralisch zu verurteilen ist, kulturell eine niedrige Stufe sozialer Beziehungen darstellt und eigentlich in privaten und öffentlichen Räumen nichts zu suchen hat. Insofern erzielt das Wort spontan Abwehr und Missbilligung. Begründet werden diese damit, dass Sexismus ein Geschlecht pauschal beziehungsweise eine konkrete Person aufgrund ihres Geschlechts herabsetzt, erniedrigt, sie auf Äußerlichkeiten reduziert und nicht als Person anerkennt, sondern für eigene Zwecke als Objekt instrumentalisiert.
Dem wird politisch korrekt zugestimmt, letztendlich aber am Alltag nicht danach gehandelt.
aus: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/141246/6e1f0de0d740c8028e3fed6cfb8510fd/sexismus-im-alltag-pilotstudie-data.pdf

4 „Gefällt mir“

Das ist falsch. Ein Autor, der seinem Leser vorschreibt, wie er uneingeschränkt und ohne Spielraum seinen Text zu verstehen hat überschreitet seinen Kompetenzspielraum und die Freiheit des Lesers. Oder zeigt, dass er den Text überschätzt. Allein die Tatsache, dass der Text unterschiedlich interpretiert wird verdeutlicht, dass der Leser eben durchaus „deuteln“ kann. Ich denke, hier wird die Qualität des Textes („nichts zu deuteln“) überschätzt. Sexismus ist für mich nicht erkennbar. Lediglich die Tatsache, dass in Kommentaren permanent darauf hingewiesen wird, wie man den Text zu verstehen hat, bringt mich überhaupt dahin.
„Ich wollte Sexismus darstellen“ ist für mich eine andere Aussage als: „Es geht hier um Sexismus. Daran ist nichts zu deuteln…“

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Der Junge, der gerne getanzt hätte

»Tanzen Sie« hieß der Beitrag in dem Forum. Das stilisierte Bild der Autorin sah nett aus. Ich mag Autorenforen. Die Welt der Geschichten ist einfacher, als die Welt hinter der Haustür. Ich klickte auf die Seite, lehnte mich zurück und begann zu lesen. Bereits im ersten Absatz erwischte sie mich. Grausam. Höhnisch. Ohne Triggerwarnung. Meine Deckung war unten. Ich war ja auf Entspannung eingestellt.
Ein Mann fragt auf irgendeiner Veranstaltung die Erzählerin »Tanzen Sie?«
Und dann kam es:
‘Aber genausogut hätte er mir mit der Faust ins Gesicht schlagen können.’

Und da waren sie wieder. Die Bilder vom Wochenende. Die Leuchtstoffröhren in der Zentralen Aufnahme. Der Junge mit dem blutigen, verquollenen Gesicht. In seiner verschmutzen, aufgeschrammten Hand hielt er noch zwei Zähne, die sich auf dem Weg hierher gelöst hatten. Einen Schneidezahn hatte man nicht mehr gefunden. Anfangs hatte er geschrien, jetzt, nach dem Diazepam, stöhnte er nur noch. Vermutlich war das Jochbein gebrochen, das Hämatom wies darauf hin. Das kam durch den Sturz. Der Faustschlag hatte ihm nur die Lippen zerfetzt und die Zähne so stark nach innen gedrückt, dass sie später ausfielen. Vielleicht war noch das Kiefergelenk frakturiert, das würde das MRT später zeigen. Aber nicht heute. Heute…

… Abend saß ich in meinem Sessel und las, dass eine Frau, gebildet, gesellschaftlich anerkannt, gefeiert und als Hauptperson einer Veranstaltung ihr zu Ehren, die Frage »Tanzen Sie?« genauso gut mit dem Faustschlag ins Gesicht tauschen wollte. Festsaal, Long-Drinks, Snacks und Musik. Dagegen: Blut und Pisse im Rinnstein, mit Gewalt ausgeschlagene Zähne, Schmerzen und Schreie.
Egozentrische Befindlichkeitsstörung gegen reale Gewalt. Die Verharmlosung von Leid, die Verzerrung von Qual. Was für eine Zeit. Menschen, die ein paar Wochen nicht tanzen können, fühlen sich, wie Anne Frank. Eine Frau, die »Tanzen Sie« gefragt wird, fühlt sich wie der Junge mit den eingeschlagenen Zähnen.
Ich schaltete den Computer aus.
Ich bin mir sicher, der Junge von vorgestern hätte lieber getanzt.


Nachtrag:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Text ist nach meinem Posting zu Text und Rezeption entstanden. Er soll in diesem Rahmen nicht polemisch sein, sondern lediglich das Problem der Textrezeption und dem Bewusstseinsstrom eines Ich-Erzählers verdeutlichen. Daher habe auch ich den Ich-Erzähler gewählt. In diesem Rahmen betrachte ich sowohl den Ausgangstext „Tanzen Sie“, als auch den meinigen lediglich als literarischen Text, keinesfalls als Anfeindung irgendjemandem gegenüber.
Liebe Grüße,
m.

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Toll! 10 Daumen hoch. Ich tanze mit dir.

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Oh, am Ende ist wieder ein Mann das Opfer, da haben wir doch die 180 Grad Wendung so grade noch geschafft.

Die Autorin hat erklärt, dass ihr das selbst passiert ist und sehr klar war, was der Mann meinte. Das mag Männer hier verletzen, aber ja, Männer sprechen Frauen manchmal unwürdig an.

Wir können nicht einfach den Inhalt so verdrehen, wie wir ihn gerne hätten. Wenn Euch an einigen Stellen die Formulierungen fehlen, um den Text richtig zu verstehen, dann geht in die Textkritik. Sagt ihr, wo ein Halbsatz fehlt, um seinen schmierigen Smalltalk zu entlarven, wo ein Wort falsch gewählt wurde, weil ihr es positiv besetzt - sie es aber negativ meint. Das ist ein Autorenforum, zeigt, was ihr könnt, um den Text so zu verbessern, um ihre Botschaft rüber zu bringen.

Was hier passiert ist respektlos. Ständig lese ich hier, wie wohl man sich hier fühle, weil alle so nett seien und dann geht ihr mit ihrer realen Erfahrung, die sie offensichtlich beschäftigt, so um.

Wir sind in der Textkritik. Und nirgendwo sonst.

Ich habe nichts gegen männerkritische Texte, wenn sie gut recherchiert und auf den Punkt gebracht sind. Hier jedoch, sehe ich nur eine Protagonistin, die sich über etwas aufregt, was nur in ihrer Phantasie stattfindet. Genau wie in der Geschichte mit dem Hammer.

Wenn männerkritisch, dann auch bitte gekonnt und treffend. Kann ich hier nicht erkennen.

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Och. Was ist daran respektlos, einer Geschichte eine andere Perspektive zu geben?

Nicht alle Männer sind schlecht. Meiner ist superlieb. Die in unserem Freundeskreis ebenso. Und ja. Männer können auch Opfer sein.

Jedem Autor ist es erlaubt, finde ich, Geschichten frei zu interpretieren sowie Variationen darüber zu erdenken. Es als Verdrehung zu bezeichnen, finde ich wagemutig.

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Weniger Gegen-, mehr Miteinander…

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Texte, die den Mann nicht als Monster sehen, dürfen offenbar nicht kritisiert werden.

3 „Gefällt mir“

Ja, ich auch.
Und damit sollte ich mich vielleicht aus diesem Thread verabschieden. Ich bin wohl nicht mehr zeitgemäß. Würde mich ein Mann mit der hübschen Tanzeinlage verwechseln, hätte er mir ein bisschen den Tag versüßt.:slight_smile: Und wenn es dann noch ein verpeilter Kauz wäre, dem offenbar nicht klar ist, auf wessen Veranstaltung er sich gerade befindet, hätte er mich zusätzlich noch sehr erheitert.
Immer vorausgesetzt, dass er tatsächlich - wie hier im Text beschrieben- nette Absichten hat und die Hände bei sich behält.
Misogynie toleriere ich nicht. Wo sie anfängt, da kann und darf es verschiedene Ansichten geben, denke ich.

8 „Gefällt mir“

Textkritik wäre: Ich dachte, er fordert sie zum Tanzen auf. Wenn das anders gemeint war, was durch Gesten oder Blicke deutlich wurde, dann sollte das im Text heraus gearbeitet werden.

Zu sagen, dass es nur in ihrer Phantasie war (nochmal, reale Erfahrung einer Autorin hier!), ist keine Textkritik, sondern eine Beleidigung.

Filmzitat aus „Eine Leiche zum Dessert“: „Ach, sinnlos…“

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Anachronica schrieb, Setting und Gespräch seien zwar real, das Innenleben der Protagonistin würde jedoch ihrer künstlerischen Freiheit entspringen.

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Genau. Sie hat eine reale Situation, die sie anscheinend nachhaltig beschäftigt, verarbeitet, indem sie ihre Wut ausgedrückt hat.

Und diese Jammerei, dass alle Männer schnief, jetzt gehasst werden, ist wirklich überzogen…Die Situation hat sie offensichtlich sehr mitgenommen und dabei ist dieser Text entstanden. Wenn der missverständlich ist, dann sollten man schauen, welche Stellen schief sind.

Auch Frauen sprechen Männer unwürdig an. Das ist also nicht geschlechtsspezifisch.

Niemand verdreht hier den Inhalt. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, wie man aus einem Tanzen Sie? Einen solch inneren Konflikt heraufbeschwört…

Wir sind in der Textkritik…Und Anachronica betonte: Der Innere Konflikt sei ihrer künstlerischen Freiheit entsprungen.

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Steht auch nirgendwo. Geht hier aber nunmal nicht darum.

Dann sollte man einfach sagen: der Auslöser der Wut ist mir nicht so klar geworden. stattdessen heißt es hier: Der Mann wollte doch nur lieb reden, die Frau ist unsympathisch, das Lesen des Textes hat mich retraumatisiert. Kann man sich nicht ausdenken…

Das Geschlecht des Opfers in der Notaufnahme ist austauschbar. Gerne kannst du für dich eine Frau daraus machen. Ebenso, wie du aus der Erzählerin einen Mann machen kannst.
Der Rest ist, wie im Vorlagentext ein Bewusstseinsstrom, der sich jeglicher Wahrheit entzieht, da er im Kopf der Erzählerin stattfindet.
Realitätsbilder und Wahrnehmung sind unterschiedlich geprägt. Das macht sie nicht besser oder schlechter. Nur unterschiedlich.

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Was sagte schon Werner Herzog während der Dreharbeiten zum Film „Fitzcarraldo“ zu Klaus Kinski und seinem Aufnahmeleiter? „Nun gebt’s doch beide mal a Ruah“

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Ich habe die meisten Kommentare, vor allem die der letzten Minuten und Stunden, durchgelesen und kann die meisten, egal welcher Position sie entspringen, in vieler Hinsicht nachvollziehen. Eine sehr anregende Diskussionsrunde!

Wenn Anachronicas Ich-Erzählerin die Frage „Tanzen Sie?“ als sexistische Anmache empfindet, hat sie subjektiv gesehen recht, unabhängig wie der Fragesteller sie gemeint hat. Das ist ihre Wahrnehmung und kein anderer kann ihr sagen, das ist falsch oder richtig.

Ich war mir allerdings beim Lesen des Textes auch nicht im Klaren darüber, welcher Hintergrund hier gegeben ist. War die Frage doch harmlos gemeint? Aber das macht diesen Text so schön und spannend! Er verunsichert, stellt die eigene Sichtweise in Frage und überlässt es dem Leser selbst, wo er sich am Ende positioniert.

Was hat Michel geschrieben? „Realitätsbilder und Wahrnehmung sind unterschiedlich geprägt.“ Genauso so ist es. Meine Wahrnehmung muss nicht mit der Wahrnehmung meines Gegenübers kongruent sein. Das birgt das Risiko in sich, falsch verstanden zu werden und im vorliegenden Fall ist die Frage zunächst offensichtlich (und absichtlich?) nicht eindeutig in ihrer Aussage.

Wenn aber die die Frage „Tanzen Sie?“ eindeutig sexistisch intendiert war, dann allerdings halte ich eine Relativierung in einigen Diskussionsbeiträgen für nicht akzeptabel. Dann kann ich die Reaktion der Ich-Erzählerin gut nachvollziehen, – die Faust im Gesicht inklusive – ohne dass ich mich als Mann gleich auf den Schlips getreten fühle.
Besonders gelungen fand ich daher zum Schluss die schlagfertige Reaktion der Ich-Erzählerin: „Sind Sie der Kellner?“ Herrlich!

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