Tanzen Sie?

Tanzen Sie?

Es sind nur zwei Worte. Von ihm wahrscheinlich sogar nett gemeint. Der Versuch eines Small-Talks? Aber genausogut hätte er mir mit der Faust ins Gesicht schlagen können.

Denn hier stehe ich. Eine erwachsene Frau. Ich habe studiert. Ich bin Unternehmerin. Ich bin Bestseller-Autorin. Ich besetze anerkannt Wirtschaftsthemen und halte Vorträge.
Wie übrigens auch heute. Denn ich bin hier die Rednerin. Diese Veranstaltung findet wegen mir statt. All diese Menschen sind wegen mir hier, um zu hören, was ich zu sagen habe.

Und da steht er. Der Mann.
Kaum älter als ich. Ein führendes Amt bekleidend. In der Hand ein Glas mit irgendwas zum Aufwärmen, zum In-Stimmung-kommen. Für ihn ist es ein Pflichttermin. Bringt das Amt eben so mit und Mann muss das Beste daraus machen.

Sein Blick, seine Stimmlage, seine ganze Haltung drücken all das aus, wogegen wir immer noch kämpfen. Wir? Wir Frauen. Überall auf der Welt. Rund um den Globus.

Die Realität der letzten Jahrhunderte stürzt auf mich ein. All das, war wir glauben, überwunden zu haben, ist mit diesen zwei Worten wieder da. Gleichstellung der Frauen, Emanzipation und Gleichberechtigung zunichte gemacht. Diskriminierung vom Feinsten. Live.
Natürlich bin ich selbst schuld, würde er sagen. Da sind wir wieder beim Minirock. Selbst schuld, dass sie vergewaltigt wurde. Wie kann ich es wagen, die Kleiderordnung zu ignorieren? Mich als Individuum zu verstehen? Vollkommen egal, dass ich über Diversität referiere. Ich muss mich doch den Gepflogenheiten unterordnen wenn ich akzeptiert werden will. Warum trage ich auch einen farbenfrohen Jumpsuit anstatt eines ordentlichen Hosenanzugs, der mich gleich als ernstzunehmende Person identifizieren würde. So ist es doch kein Wunder, dass er dachte, ich sei der hübsche Pausenfüller.

All das schießt mir in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, bevor ich ihn mit meinem strahlendsten Lächeln frage: „Und Sie sind der Kellner?“

Die Eingangsfrage und das Setting sind leider echt. Das „Innenleben“ entspringt meiner künstlerischen Freiheit.

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Eine Geschichte, die zu lesen Spaß gemacht hat. Danke dir für den kurzweiligen Moment.

Mir ist nur zweimal die Wortwahl „wegen mir“ aufgefallen. Ich kenne das so nicht. Ist das Mundart? Für mein Empfinden müsste es „meinetwegen“, heißen, so wie man auch „deinetwegen“ oder „ihretwegen“ usw. sagt (ist zumindest der richtige Fall :wink:, weswegen – deswegen).

Ich hoffe, ich mache damit kein Fass auf :grin:.

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Erstmal danke fürs Lesen.
„Wegen mir“ ist nicht wirklich Mundart, sondern eher Umgangssprache. Meinetwegen ist vielleicht das bessere Deutsch, in meinem Gefühl aber eher mit „na gut, von mir aus“ verbunden.

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Stimmt! Jetzt, wo du es sagst … :slightly_smiling_face:. So habe ich das auch schon benutzt (sogar mit verdrehten Augen :smile:).

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Uh die Geschichte mag ich. Sehr schön geschrieben.

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Live.
Leider wahr. Gute Thematik, das Setting ist nur allzu real. Wer kommt nach dem Kellner - oder gibt es auch hier ein „Glass Ceiling“? :thinking:

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Der Kellner ist kleidungstechnisch das Anzug tragende Pendant zur Tänzerin und somit eine Retourkutsche. Es geht nicht um Glass Ceiling.
Es geht um einfach nicht auszurottende Urteile, Vorurteile, Traditionen, Gewohnheiten, Ansichten, Erziehung, öffentliche Meinung, Bildung, und, und, und, und nicht zuletzt darum, dass Macht und Geld vielen den Charakter versaut. Und dass man sich bei sowas immer noch nicht lautstark direkt beschwert.

Ah, verstehe. :+1:

Hi Anachronica,

Danke für diesen kleinen Einblick in diese Gedankenwelt.
Tatsächlich bin ich jedoch erst einmal über ihre Reaktion gestolpert - denn erst rückblickend kann ich mir ihre Gedanken und deren Verlauf erklären. Wenn ich es richtig begriffen habe, hat ‚Mann‘ im Anzug ‚Frau‘ in lässiger, unkonventioneller Kleidung nicht richtig eingeschätzt und sie als eine Mitarbeiterin, Tänzerin ‚identifiziert‘.
Bei den Worten: ‚Tanzen Sie?‘ habe ich es nämlich als erstes zur Aufforderung zum Tanz verstanden (da ich das genaue Setting der Lokation nicht kenne) und mich dann während des Lesens gewundert, wieso sich ‚Frau‘ so aufregt. Bei aller Emanzipation, ist doch eine Aufforderung zum Tanz immer noch etwas schönes.

Nachdem ich in meinem Kopf aber das Setting in die richtige Situation gerückt habe, und es noch einmal gelesen habe, hat es mir gleich noch viel besser gefallen. Denn der farbenfrohe (!) Jumpsuit sagt so viel über diese Autorin aus - diesen zu tragen und nicht den Hosenanzug, der gewiss so manches leichter machen würde. Sich nicht einer Ordnung unterordnen, welche so lange bereits besteht und in so uralten Bahnen verläuft, dass Frau darin nur zu leicht unter die Räder kommt.
Hut ab vor dem Hosenanzug und der schlagfertigen Retourkutsche!

Danke für den Text!
Mithya

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Sehr gut geschrieben, wird wohl lustig. Als männlicher Vertreter unserer Gattung (wohl nicht deine Zielgruppe) möchte ich fast meinen: Ein einfaches (gedankliches) nein hätte gereicht. Es wirkt, als wäre sie massiv vorurteilsbehaftet (das Männer nun mal so sind), vielleicht könnte man das entschärfen, indem man schlechte Erfahrungen zwischen den Zeilen liest oder seine Beschreibung demhin ergänzt a la „er musterte mich schon von Weitem“, „Sein suchender Blick, seine lauernde Stimmlage“… Aber vielleicht ist ja auch dein Plot, das die Protagonistin selbst über ihre Vorurteile springen muss… :slightly_smiling_face:

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Ich habe dir zu danken, @Mithya, dass du mich/uns so ausführlich an deiner Reaktion teilhaben lässt. Ja, irgendwie hatte ich mir auch schon gedacht, dass der Titel und die Eingangsfrage erst einmal in eine andere Richtung gehen. Aber irgendwie drehe ich solche Twists gerne. Dass du es nochmal gelesen hast und es dir noch viel besser gefallen hat, freut mich sehr.
Der farbenfrohe Jumpsuit war von der Vortragenden tatsächlich absichtlich gewählt, auch um ihr Thema Diversität zu unterstreichen. Sie lebt es und brennt dafür, und sie würde sich über dein „Chapeau“ sicher freuen. Vielleicht kann ich es ihr zukommen lassen.

Nochmals danke, und da es dein erster Beitrag war, wünsche ich dir viel Freude hier im Forum und Erfolg beim Schreiben.

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Danke @Anachronica , die Grüße darfst du gerne weitergeben.
Und ‚ausführlich‘ war mein Gedanke noch nicht - ich muss mich nur zügeln, wenn meine Gedanken erstmal loslegen, dann bekomm ich sie nicht gezügelt. Und gerade dieses Thema reizt einen um weiter aus- und abzuschweifen.
Der Twist war super - eben so ein: hoppla? Raus aus der gewohnten Leseroutine.

Ich wusste nicht, dass man die Menge meiner Beiträge ablesen kann ^^* aber damit da nicht mehr nur noch eine 1 steht, hier schnell die nächste Antwort. :sweat_smile:
Danke für deine lieben Grüße - ich glaube die Freude werde ich gewiss hier haben!

Mithya

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@Traumfeder. Danke dir, aber die Geschichte ist abgeschlossen, da wird nichts mehr lustig. Es ist kein Plot, es war die reale Situation. Ich habe keine bestimmte Zielgruppe, aber ein einfaches nein, ob gedacht oder ausgesprochen, hätte keinesfalls gereicht.
Die Protagonistin steht in diesem Fall für alle Frauen, denen sich gedanken- und respektlos genähert wird und ER macht es in aller Selbstverständlichkeit, weil diese Art Mann das eben schon immer so tut und es als ihr Recht ansieht. Er ist kein Jäger, der auf Beute lauernd durch sein Revier streicht. Er ist ein gesellschaftlich hoch angesehener Mann, dem es einfach garnicht in den Sinn kommt, dass diese Frau zu etwas anderem da sein könnte. Er identifiziert sie aufgrund ihrer Kleidung direkt zu etwas, dessen man sich bedient. Und dafür bekommt er die Retourkutsche.
Und warum sollte ich etwas entschärfen, wo ich mir doch extra die Mühe gemacht habe, es herauszuarbeiten. :sunglasses:

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Das wird uns angezeigt:
„Dies ist der erste Beitrag von Mithya – lasst uns das neue Mitglied in unserer Community willkommen heißen!“ :wink:

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Ah - gut zu wissen :smiling_face: Dann bin ich da jetzt durch :sweat_smile:
Danke dafür!

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Habe deinen Text irgendwie verpasst.Vielleicht absorbiert die Seitenwind Challenge doch etwas zu viel von meiner Aufmerksamkeit.
Egal, jetzt habe ich ihn gelesen, und auch nach dreimaligem Lesen, ist mein inneres Frösteln noch nicht weg. Im Gegenteil! Dass dieser Text aus einer erlebten Situation kommt, wundert mich überhaupt nicht. Zu alltäglich, noch viel zu „normal“ sind solche Erlebnisse für Frauen - überall - täglich. Die Sekunden des inneren Erlebens hast du sehr gut beschrieben. Ein starker Text, mit einer starken Frau, die sich wehren muss - aber auch kann. Er gefällt mir sehr!

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Ich danke dir, dass du ihn (auch wieder leider) so gut empfinden kannst.

Ich bin froh um jede Frau, die entsprechend reagiert und ihrer Empörung Ausdruck verleiht. Zum Glück lassen sich viele, vor allem junge, Frauen das nicht mehr gefallen. Und das „Bitch“, mit dem man sie abfällig tituliert, tragen sie stolz als Schild und Rüstung.

Trotzdem bin ich immer wieder entsetzt, wenn ich merke, dass solche Situationen als „das ist eben so, reg dich nicht auf“ abgetan werden. :rage:

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Du glaubst gar nicht, wie oft ich solche Aussagen schon gehört habe. Oder doch - natürlich weiß ich, dass du das weißt. Und besonders schlimm empfand ich immer - das sagten leider nicht nur Männer. Als junge Frau, habe ich das auch von Frauen gehört. DAS ist echt schwer zu verdauen.
Warum stehen wir als Frauen nicht wenigstens zusammen? Sondern relativieren und verharmlosen? Resignation? Angst?
Aber du hast recht - die Hoffnung auf Veränderung wächst mit jeder „jungen“ Frau, die sich wehrt.

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Liebe Anachronica,
an dieser Geschichte bin ich im Forum schon mehrfach vorbeigekommen und habe viel darüber nachgedacht. Ich halte sie für äußerst gelungen und ein wichtiges Thema betreffend. Danke (und mehr wollte ich hier eigentlich gar nicht schreiben), dass du sie eingestellt hast.

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Ich musste sie einfach schreiben und bin froh, dass es das Papyrus Forum gibt, wo sie gelesen werden kann.
Dass sie dich zum Nachdenken gebracht hat finde ich wunderbar. Manche Sachen sind so fest in unserem allgemeinen Unterbewusstsein und Verhalten verankert, dass wir sie oft garnicht in Frage stellen. Wenn man es dann einmal bemerkt hat, fällt es einem immer wieder auf.

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