Seitenwind Woche 8: Verborgene Schätze

Eine faustische Reinkarnation
Vor einer ganzen Zeit habe ich mich mit der Frage befasst, wie sich Ungeist eigentlich fortpflanzen kann. Das Ganze habe ich im Rahmen einer genaueren Beschäftigung mit dem Faust-Stoff gemacht, weil ich das Gefühl hatte, dass Goethe selbst den Faust nicht wirklich überzeugend getroffen hatte. Friedrich Maximilian Klinger und einige andere hatten da überzeugendere Ansätze. Und ich bin da dann einfach auch mal ran.
Wie dem auch immer sei: Bei meiner Recherche bin ich auf zwei wirklich faustische Figuren in der deutschen Geschichte gestoßen, die es Wert sind, hier geteilt zu werden. Der eine ist der der deutsche und in Berlin tätig gewesene Chemiker Fritz Haber. Er hat sich, so heißt es bis heute nicht ganz falsch, um einiges verdient gemacht. Das Haber-Bosch-Verfahren zur Gewinnung von Ammoniak aus Luft wird bis heute angewendet und ist nützlich, wenn es um die preiswerte Herstellung von Dünger geht. Klar, dass ein solches Verfahren den Nobelpreis verdient. Denn damit lassen sich viele hungrige Mäuler stopfen. Fritz Haber hat den Preis denn auch erhalten. Und wenn ich richtig unterrichtet bin, gibt es heute noch Institute, die seinen Namen tragen - wenn auch nicht mehr unumstritten. Dieser Mensch hatte nämlich auch seine Schattenseiten, von denen man nur zum Teil weiß. Fritz Haber war immerhin - als gebürtiger Jude! - derjenige, der das Insektenvernichtungsmittel entwickelte, das als Zyklon B später im Dritten Reich die Substanz war, mit der man zahllose Juden in den Gaskammern ermordet hat. Und noch mehr: Fritz Haber war auch derjenige, der das Gas entwickelte, mit dem man im ersten Weltkrieg an der Front in Ypern den ersten Gasangriff gestartet hat. Es ist fast nur eine Nebennotiz, als die man erfährt, dass seine Frau, Klara Immerwahr, ebenfalls eine brillante Chemikerin, die ihre Karriere aber der Ehe mit Fritz Haber geopfert hatte - sich im Anschluss an diesen ersten Giftgasangriff mit der Pistole ihres Mannes das Leben nahm, weil sie seine Forschungen selbst als faustisch betrachtete. Von dem Giftgasangriff in Ypern heißt es - das ist aber nicht ganz genau herauszubekommen - dass einer der engsten Mitarbeiter und Schützlinge Fritz Habers, nämlich Hugo Stolzenberg, eben die Gashähne geöffnet hatte, die an der belgischen Front so viel Leid und menschlichen Schaden angerichtet hatten.
Jener Hugo Stolzenberg schließlich setzte auf beeindruckende Weise fort, womit Fritz Haber begonnen hatte. Er befasste sich mit sogenannten Ultragiften und eröffnete in Hamburg an der Müggenburger Schleuse in Veddel zunächst sein erstes Chemiewerk. Nach dem ersten Weltkrieg bot er sich an, übriggebliebene Kampfstoffe zu entsorgen, war damit aber nicht besonders erfolgreich. In den 1920er Jahren gab es auf dem Fabrikgelände den ersten großen Chemieunfall, bei dem einige Menschen ihr Leben durch eine Gasvergiftung verloren und noch einige mehr durch die über Veddel und Wilhelmsburg ziehende Gaswolke schwere Vergiftungen erlitten.
Er wurde dafür nie belangt, denn es zog eine noch dunklere Zeit in Deutschland herauf und die dreißiger Jahre brauchten Leute wie Hugo Stolzenberg, die sich mit Ultragiften, ihrer Herstellung und deren Abwehr auskannten.
Nach dem zweiten Weltkrieg verdiente er sein Geld damit, sein Wissen auch in andere europäische Länder zu verkaufen. Irgendwann verlegte er sein Fabrikgelände von Veddel nach Stellingen bzw. Eidelstedt an die Schnackenburgallee. Eidelstedt und Lurup waren schon in den sechziger Jahren relativ dicht besiedelt und es war bekannt, dass Hugo Stolzenberg es mit der Ordnung auf seinem dortigen Gelände nicht besonders genau nahm und dort auch gelegentlich weiträumig sicht- und hörbare Versuche durchführte; u.a. mit hochgiftigen Kampfstoffen. Wie brisant das war, was dort unter der Erde teilweise vergraben, teilweise in Tonnen und Regalen lagernd und nur notdürftig durch Zäune geschützt vor sich hin rottete, wurde 1978 deutlich, als drei Jungen, die gerne mit Chemiebaukästen spielten, sich eines Tages auf dem Firmengelände der Dinge bedienten, die dort so rumlagen. Im heimischen Keller bastelte man herum, bis es zu einer Explosion kam, die einige kriegserfahrene Nachbarn als wie von einem Flak-Geschütz stammend beschrieben. Ein achtjähriger Junge verlor damals bei dieser Explosion sein Leben, sein größerer Bruder wurde schwer verletzt. Ich kann mich selbst noch daran erinnern, dass in den achtziger Jahren, als ich in Lurup leben musste, dort immer dieses Firmengelände mit den hohen Zäunen und Sicherheitsverriegelungen war.
Fritz Haber soll übrigens in höherem Alter - ganz in Allchemisten-Manier - einige Jahre auf Meeren unterwegs gewesen sein, um sich mit der Frage zu befassen, wie man aus Meerwasser Gold gewinnen kann.

Demenz! Alzheimer!

Was kann ich tun, um nicht an Demenz oder Alzheimer zu erkranken?

Kreuzworträtsel? Memory? Gymnastik? Ernährung? Bewegung?

Bislang dachte ich, all das hilft gleichermaßen, um seine Schutzschilder gegen die Demenz zu stärken.

Nun hatte ich das zufällige Glück mit einer promovierten Psychologin, die sich genau mit diesem Thema wissenschaftlich auseinander gesetzt hat und noch zu diesem Thema arbeitet, zu sprechen.
Sie und ein Team bestehend aus Radiologen, Neurologen, Bewegungstherapeuten und
weiteren an dem Thema forschenden Wissenschaftlern sind zu folgendem Ergebnis gekommen.

Ausdauernde Bewegung ist die einzige Prophylaxe gegen die gefürchtete Vergesslichkeit. In der MRT-Bildgebung konnte nachdrücklich bewiesen werden, dass genau die Hirnareale, die für die Demenz maßgeblich sind, bei ausdauernder Bewegung stärker durchblutet werden und somit mit mehr Sauerstoff versorgt werden.
Laut ihrer Aussage, kann eine regelmäßige angewandte ausdauernde sportliche Betätigung sogar die gefürchtete Gen-Variante unerheblich werden lassen.

Selbstverständlich trägt auch eine gesunde Ernährung und regelmäßige geistige Tätigkeiten zu einer besseren Durchblutung und Hirnfitness bei, jedoch macht Ausdauersport den Mammutanteil aus.

P.S.
Leider kann ich hier nicht mit Zahlen dienen und wenn ich diese Information in mein fertiges Manuskript noch einfügen möchte, werde ich mit der Psychologin und dem Team Rücksprache halten und untermauerte Fakten und Zahlen einfügen.
Leider kann ich das in dieser papyrus-Schreibwoche nicht leisten, finde aber, dass die Info doch so interessant ist, dass ich sie jetzt passend zu dem Wochenthema für euch einstelle.

Die Ei- oder Keimruhe beim Rehwild

Die Paarung bei den Rehen erfolgt zur Blattzeit im Juli und August. Kitze werden aber nicht im Winter, sondern erst im darauffolgenden Jahr im Mai gesetzt, was einer Tragzeit (Schwangerschaft) von ca. 290 Tagen entspricht.
Dies wird nur durch eine evolutionäre Strategie ermöglicht, der sogenannten „Ei- oder Keimruhe“.

Nach der Paarung verschmelzen Eizelle und Spermium und es wird eine Zygote gebildet. Die Zellen teilen sich weiter bis zu einer Zellmenge von ca. 20-bis 30 Zellen. Diese „Blastozyste“ geht dann in eine Ruhephase und nistet sich auch nicht in der Gebärmutter ein.

Erst im November wird diese Zellansammlung (Blastozyste) wieder aktiviert und die Zellteilung beginnt erneut. Ab einer Menge von ca. 100 Zellen - etwa Anfang Januar nach ca. 5 monatiger Ruhepause - nistet sich diese reaktivierte Blastozyste in der Gebärmutter ein. Das normale Wachstum entwickelt sich dann dort weiter.

Die Eipause führt dazu, dass die Kitze erst im Mai, also zu einer warmen Jahreszeit gesetzt werden. Diese evolutionäre Strategie sichert das Überleben sowohl von Reh als auch von Kitz z.B. in langen Winterperioden oder Stressperioden (Überpopulation, sozialer Stress, Umweltfaktoren).

Die zeitlich verschobene Entwicklung der befruchteten Eizelle gibt es nicht nur bei den Rehen, sondern insgesamt bei mehr als 60 Tierarten. (u.a. Marder, Gürteltiere, Bären und Robben, Fledermausarten u.a.)

Der Turm Maubergeon zu Poitiers – Geschichte, Fakten und Gerüchte

Um das Jahr 1104 fügt Wilhelm IX. Herzog von Aquitanien dem bestehenden Palast einen Donjon hinzu. Der rechteckige Bau ist an den Ecken mit polygonalen Türmen verstärkt und beherbergt noch heute den Justizpalast.
Der Name „Turm Maubergeon“ geht auf das „mallobergum“ aus der Zeit der Merowinger zurück und bedeutet Ort des Gerichts an erhöhter Stelle.

Fakt ist, dass Amauberge de L’Isle Bouchard, genannt Dangerosa und Ehefrau des Vizegrafen von Châtellerault, den Turm bewohnte, solange sie Wilhelms Geliebte war.

Fakt ist, dass Wilhelm IX. seine Frau verstieß und offen mit Dangerosa zusammenlebte.

Gerücht ist, dass er den Turm nach ihr benannt habe. Sie kam erst ca. neun Jahre nach der Fertigstellung des Turms nach Poitiers.

Gerücht ist, ihr Beiname „La Maubergeonne“ käme von einem Schreibfehler ihres Namens L’Amauberge.

Gerücht ist, er habe Dangerosa im Turm gefangen gehalten.

Quellenangaben

https://web.archive.org/web/20071031234639/http://www.ca-poitiers.justice.fr/capoib/juri/ca-hist.php?rank=7

https://fr.wikipedia.org/wiki/Palais_des_comtes_de_Poitiers#Le_donjon_ou_tour_Maubergeon

Wilhelm IX. (Aquitanien) – Wikipedia

(Recherchiert zum Thema „Aénor de Châtellerault“)

Das älteste deutschsprachige Weihnachtslied

Wer kennt sie nicht, die stimmungsvollen Melodien, die wir zur Weihnachtszeit in den Radios hören, die uns auf den Weihnachtsmärkten in eine festliche Stimmung versetzen.

Am Heiligen Abend das wohl berühmteste Lied von Franz Xaver Gruber geschrieben und mit dem Text von Joseph Mohr versehen, ist «Stille Nacht, Heilige Nacht» und wurde 1818 in Salzburg erstmals als Gitarrenstück aufgeführt. Sogar UNESCO hat es 2011 als immaterielles Kulturerbe anerkannt.

Um sich das älteste deutschsprachige Weihnachtslied anzuschauen, muss man in die Universitätsbibliothek von Erfurt reisen. Dort befindet sich die Fassung von Kaplan Johann Barba die er zwischen 1394 und 1398 in Aachen geschrieben hat. Gefunden wurde es auf einer Leerseite in einer Handschriftensammlung aus dem Mittelalter zwischen medizinischen Rezepten.
Fallersleben sah den Ursprung in einer Niederschrift aus dem 11. Jahrhundert und übertrug 1861 den Text zurück ins Althochdeutsch.
In einer moderneren Fassung wird «Sei uns willkommen, Herre Christ» noch heute in den Kirchen gesungen.

Sys willlekomen heirre kerst,
want du onser alre heirre bis,
sys willekomen, lieve heirre,
her en ertrische also schone.
Kirieleys
(Erfurter Handschrift von 1394)

Quellen: uni-erfurt.de / kathnews.de /Wikipedia

Ich habe vor zehn Jahren einen Bericht in der Tageszeitung gelesen, der von die Geburt eines weißen Büffels berichtete. Da ich es äußerst interessant fand, legte ich mit meinen Recherchen los.

Vor über zweitausend Jahren erschien die Gestalt einer Frau zweier Lakota Indianer, welche auf der Büffeljagd waren. Sie wurde begleitet von einem weißen Büffel. Sie sagte ihnen, dass sie eine Wakan sei, eine heilige Frau, um den indigenen Völkern zu helfen.

Bevor die Weißer-Büffel-Frau eingehüllt in warmes Licht und glänzenden Nebel verschwand, gab sie ihnen eine Pfeife und lehrte, sie zu rauchen, als Ritual zur Ehren der Sonne. Dies schuf ein Band der Stärke, und drückte zudem Dankbarkeit aus.

So initiierte die Wakan eine Reihe spiritueller Praktiken, welche die Indianer nutzten, um die Natur zu ehren. Sie gab ihnen die richtigen Worte zum Beten und uralte Ahnenriten zu vollenden, welche die Stämme vergessen hatten.

Die heilige Frau ermahnte sie daran zu denken, dass in ihr vier Zeitalter sind. „Ich gehe von euch“, sagte sie, „aber ich schaue auf euch zurück. Und am Ende kehre ich wieder.“

Bei jeder Geburt eines weißen Büffels hoffen die Indianer auf die Wiederkehr der heiligen Frau, und mit ihr die Reinigung der Welt. Die Hoffnung, dass alle Nationen in Harmonie, Ausgeglichenheit und Spiritualität zusammen Leben werden.

aus »Wenn ihr mit der Zeit geht, gehe ich nicht mit!« - eine simple Tatsache über die Zeitumstellung, die mich bei der Recherche für diesen Roman überrascht hat

Sein Bier war zu warm! Es war der 27. Oktober 2018, und die Laune des Horst Emmerich befand sich auf dem Tiefpunkt. Denn ausgerechnet heute hatte ihm seine Freundin Petra am Telefon mitgeteilt, dass sie an diesem Abend gut ohne ihn auskommen konnte. Das war das eine. Das andere war der alljährliche Schwachsinn der Zeitumstellung, der ihn in dieser Nacht dazu zwang, eine Stunde länger zu schlafen. Und Horst hatte nicht einmal die Chance, davon zu profitieren. Ohne Petra. Mit einer Stunde mehr.

Das folgende unglücklich betrunkene Wochenende ließ ihn die Zeitumstellung verpassen und gab damit den Anstoß eines folgenreichen Experiments – von nun an boykottierte er die elende Uhrenumstellerei und erschien in den Augen der anderen überall eine Stunde zu früh – und lernte dabei eine Menge.

Da gab es doch diese Sonnenuhr ganz nah bei der Schule. Vor dem Hintergrund seines Experiments musste es doch interessant sein, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Horst beschleunigte seine Schritte. Der Zeiger war riesig und stieß schräg nach oben in den fast wolkenlosen Himmel. Er sah so aus, als könne er jederzeit umkippen und auf dem modern gestalteten Ziffernblatt in tausend Stücke zerbersten. Zwei kleine Jungs sprangen von einem Kästchen zum anderen und zählten dabei die möglichen Uhrzeiten auf dem Boden ab, während sich etwas abseits deren wartende Eltern einen Apfel teilten. Sonst war weit und breit niemand zu sehen.

Auch Horst zählte die Markierungen auf dem Boden, um die Uhrzeit abzulesen, allerdings ohne zu springen. Es ließ sich unschwer erkennen, dass es kurz vor halb drei war. Neugierig blickte Horst auf die beiden Uhren an seinem Handgelenk. Die Sonnenuhr ging richtig, stellte er fest. Der Winterzeit gebührte der Sieg. Horst trat näher an den Zeiger der Sonnenuhr und berührte die glatte, kalte Oberfläche. Beton. Ein massiver Betonstab, den man nicht so mal eben aus dem Boden ziehen und umsetzen konnte. Nein, keine Frage – diese Sonnenuhr tickte immer gleich. Zur Sommerzeit wie zur Winterzeit. Er selbst war derjenige, der in der falschen Zeit lief. Als die Familie weitergezogen war, machte Horst noch schnell ein Foto von der Sonnenuhr. Je länger er sich derart praktisch mit der Zeitumstellung beschäftigte, desto stärker wuchs sein Bedürfnis, alles ausführlich zu dokumentieren.

Samstag, 17. November 2018

Die Sonnenuhr hat mich nachdenklich gestimmt. Ich bin in der falschen Zeit! Warum ist mir das nicht klar geworden, als ich im Internet nach der Definition für Sommerzeit und Winterzeit gesucht habe? Trotzdem ist diese Erkenntnis eine rote Markierung im Kalender wert. Bei einem genaueren Blick auf die beiden kleinen Jahreskalender – ja, ich habe einen zweiten ausgedruckt und ebenfalls in mein Tagebuch geklebt, da die Winterzeit über den Jahreswechsel geht –, ist mir noch etwas aufgefallen: Genau betrachtet dauert die Winterzeit nur fünf Monate: den ganzen November, Dezember, Januar, Februar und fast den ganzen März. Ich kann es kaum glauben, war ich doch immer von einem halben Jahr ausgegangen! Damit ist die natürliche Zeit kürzer als die künstliche. Sehr eigentümlich.

Die Karte des Piri Reis

Sein Arbeitszimmer war nur ein schmales Handtuch. Die ganze linke Wand nahm ein riesiges, übervolles Holzregal ein, das er selbst gebaut hatte. Obwohl es bis zur Decke reichte, hatte er Mühe gehabt, seine eintausendzweihunderteinundzwanzig Bücher darin unterzubringen. Sie waren weder sortiert, noch standen sie in Reih‘ und Glied. Er mochte es so. Auch auf seinem alten Eichenholzschreibtisch davor, einem Erbstück von seinen Urgroßeltern, war kaum noch ein freier Platz zu finden. Er war vollgestapelt mit Studienunterlagen und Zeitschriften.
An der Wand gegenüber hing über der Schlafcouch die Fotokopie der Seekarte von Piri Reis. Er hatte sie auf einen Holzrahmen gespannt und ein paar kleine Lampen dahinter angebracht. Es verging kein Tag, an dem er zu Hause war, an dem er sich nicht mindestens ein paar Minuten nahm, über diese Karte nachzudenken.
Es hieß, dass der osmanische Seefahrer sie fünfzehnhundertdreizehn gezeichnet hatte. Ein Teil von ihr zeigte die Küste der Antarktis mit einem deutlichen grünen Rand, doch zu Zeiten von Piri Reis war die Antarktis schon seit mehr als fünftausend Jahren unter kilometerhohem Eis begraben gewesen. Außerdem wies die Karte eine sphärische Verzerrung auf, die in etwa der eines Fotos von der Erdoberfläche entsprach, das aus mehreren einhundert Kilometern Höhe aufgenommen worden war. Von der Kugelgestalt der Erde wusste man frühestens seit Magellan 1519, dementsprechend hatten alle Karten bis dahin eine flache Erde dargestellt. Außerdem war die Antarktis erst im neunzehnten Jahrhundert entdeckt worden, Piri Reis hatte von der Existenz des sechsten Kontinents gar nichts wissen können und selbst wenn es Gerüchte darüber gegeben hätte – um ihre Küstenlinie ohne Eis gesehen zu haben, hätte er sechstausend Jahre alt sein müssen, denn da war sie für immer unter Schnee und Eis begraben worden.
Nicht nur für Christian stand fest, dass niemand auf der Erde damals hätte das Wissen haben können, eine solche Karte zu zeichnen. Doch sie existierte, lag in Istanbul im Topkapi unter Glas und spottete seit fast fünfhundert Jahren jedem Erklärungsversuch. Und sie war echt und erstaunlich genau, das hatte neunzehnhundertsechzig sogar die NASA bestätigt.
Er stellte sich ans Fenster und blickte hinaus. Der Himmel weinte. Dicke Tropfen klatschten gegen das Fenster. Breitgedrückt rannen sie am Glas herab und wuschen den Staub ab. Ein Teil von ihm würde bleiben und als hässlicher, kaum sichtbarer Rand das Glas verunzieren. Eine Spur, die nur zu sehen sein würde, wenn er nahe genug an das Fenster herantrat und die Sonnenstrahlen im richtigen Winkel darauf fielen. Alles im Leben hinterließ Spuren und meistens konnte man das, was geschehen war, nur anhand dieser Spuren vermuten. Aber nur, wenn man zur rechten Zeit am rechten Ort war. Doch war er das, weil er die Spuren deuten konnte? Oder deutete er sie falsch?
Konnte das alles Zufall sein? Die Karte war seine Leidenschaft, sein Vater war an dem Ort gestorben, den sie beschrieb und auch Johanna war dort gewesen. Marie von Ebner-Eschenbach hatte einmal gesagt, der Zufall sei das Eintreten der in Schleier gehüllten Notwendigkeit. Seine Ausbilder hatten das weniger prosaisch auf den Punkt gebracht: Wenn eine bestimmte Person rein zufällig einem vorher nicht diagnostizierten Herzleiden erliegt, ist das meistens kein Zufall, sondern perfekte Planung und präzise Ausführung.
Es klopfte hinter ihm und bevor er sich umdrehen und „ja“ sagen konnte, stand Johanna bereits in der Tür. „Ich kann nicht schlafen“, sagte sie und: „Bei dir war noch Licht.“
Sie trug noch die gleichen Sachen, mit denen sie ihn vom Bahnhof abgeholt hatte: Pumps, Rock und Bluse. Er hätte es gehört, wenn sie sich mit den Absätzen auf dem Holzfußboden bewegt hätte und das bedeutete, dass sie die ganze Zeit, ohne sich zu rühren, auf dem Bett im Schlafzimmer gelegen oder gesessen hatte. Genau wie er in seinem Zimmer am Fenster gestanden hatte …
Sie lächelte nur, dann setzte sie hinzu: „Du musst dich nicht vor mir schützen. Vor mir am Allerwenigsten. Ich bin eine ganz normale Frau.“
„Sicher?“
Sie griff nach ihrem Zopf, der lang und dick über ihre linke Schulter fiel, und spielte damit. Feuerrot hob er sich von der weißen Seide ihrer ärmellosen Bluse ab. „Sie fasziniert dich, oder?“
„Was?“
„Die Karte des Piri Reis. Was denkst du, woher wusste er das alles?“
Was er dachte … Sie klopfte auch an jedes Tor seiner Festung. Er nahm an, dass er wahrscheinlich ein Schmunzeln bei ihr provozieren würde und erstaunt stellte er fest, dass er sich auf dieses Schmunzeln freute. Er räusperte sich. „Hochkulturen wie die Mayas, die Phönizier oder sogar die sagenhaften Atlantiden - wenn es sie denn tatsächlich gegeben hat, was ich bezweifele – sind in der Geschichte verschwunden, und zwar spurlos. Nicht ausgerottet, nicht dahingesiecht oder langsam akkulturiert, sondern verschwunden von einem Tag auf den anderen. Wären sie das nicht, hätten sie sich in dem gleichen Tempo wie der Rest der Menschheit weiterentwickelt, wären sie uns heute himmelhoch überlegen gewesen, immerhin hätten sie ein paar tausend Jahre mehr Zeit dafür gehabt und das war für uns die Zeit vom Eisenschwert bis zur Atombombe. Zur Zeit von Piri Reis wären sie etwa da gewesen, wo wir so um das Jahr 2500 sein werden, wenn es uns dann überhaupt noch gibt. Ein Volk von Millionen kann sich jedoch nicht so einfach in Luft auflösen, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, es sei denn, es hätte es mit Absicht getan und sorgfältig alle Hinweise auf seine Existenz getilgt. Es gibt auf der Erde genug Orte, an denen ein ganzes Volk sich verstecken kann, vorausgesetzt, es besitzt die Technik dafür. Die Menschheit weiß immer noch weniger als von der Mondoberfläche von dem, was im Dschungel des Amazonas, in der Tiefsee und in der Antarktis vorgeht. Der Amazonasdschungel scheidet aus, weil die Menschen ihn früher oder später vollständig erforschen oder zerstören werden. Die Tiefsee ebenfalls, der gigantische Druck der kilometerhohen Wassermassen garantiert zwar, dass wir noch Jahrhunderte brauchen werden, bis wir den Meeresboden da unten wirklich erforschen können, aber anderseits stellt er auch jedes intelligente Leben da unten vor solche unglaublichen Herausforderungen, dass ich mir das nicht wirklich vorstellen kann. Aber wir haben uns schon immer gut vor Kälte schützen können, und so bleibt noch die Antarktis. Vor einem halben Jahr haben russische Wissenschaftler bestätigt, dass unter ihrer Forschungsstation ‚Wostok‘ ein riesiger See existiert, der mehr als eintausend Kilometer lang und fast neunhundert Meter tief ist, und sie sind sich sicher, dass er nur einer von über 360 ähnlichen Hohlräumen unter dem Sockel der Antarktis ist. Sie kommen nicht an ihn heran, weil er mehr als vier Kilometer unter dem ewigen Eis liegt, aber sie vermuten Protoleben darin, das viel älter als die Menschheit ist.“
Er lächelte, ohne dass es ihm selbst bewusst wurde. „Da wäre genug Platz, ein ganzes Volk zu verstecken. Alles, was sie bräuchten zum Leben, fänden sie da unten - Bodenschätze und Wasser. Nahrungsmittel und Luft könnten sie sicher synthetisch herstellen, von Licht ganz zu schweigen. Sie hätten 1513 die Technologie haben können, Fotos aus dem All zu machen und vielleicht ist ja eines davon Piri Reis in die Hände gefallen.“
Tatsächlich bekam er ihr Schmunzeln, auch wenn es irgendwie gequält wirkte. „Wen hättest du denn als Kandidaten anzubieten?“
„Da gibt es einige. Aber für am wahrscheinlichsten halte ich die Atlantiden. Platon – und er ist ja als griechischer Philosoph nicht nur Geschichtenerzähler gewesen – hat behauptet, das Atlantis sowohl existiert hat, als auch, dass es um 9600 vor Christus innerhalb einer Nacht versunken ist.“
„Und du glaubst das?“
„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass da etwas Wahres dran sein könnte.“
Sie nahm ihre getönte Brille ab und wieder fiel ihm auf, wie unglaublich groß ihre Augen waren. Ein Gendefekt, hatte sie nur gemeint, als er sie danach gefragt hatte, und schnell wieder ihre Brille aufgesetzt. Spöttisch drohend hob sie ihren Zeigefinger. „Du lässt dich von Gefühlen inspirieren? Tätest du es doch tatsächlich …“
„Es war nur ein Spruch. Ich habe keine Gefühle“, knurrte er.
„Und der Mond ist aus grünem Käse.“
„Aus Sternenstaub. Federleicht, silberhell und er glitzert im Licht der Sonne wie das Gewand einer Märchenfee. Jeder Windstoß lässt ihn auf Nimmerwiedersehen davonfliegen. Wie Träume.“
„Deine Träume?“
Weit riss er die Fensterflügel auf und atmete die Luft der Novembernacht ein. Eine kühle Brise wehte herein, strich sanft über seine Stirn, beruhigte sein hämmerndes Herz und blies den Alkohol aus seinem Gehirn.
Er schloss das Fenster und drehte sich zu ihr um. Flüchtig schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er genauso da stand, wie sie an seinem Schreibtisch lehnte: ein Mensch, der ihn verstand. Einer, der ihm unter die Haut ging und sich da wohl zu fühlen schien, genau wie auch er, wenn sie es tat. Zum ersten Mal fühlte er seine Gedanken, sein Innerstes, bei einem anderen Menschen gut aufgehoben. Er sagte: „Du schaffst es immer wieder, meine Abwehr zu unterlaufen. Warum?“
„Ich wollte mit dir reden. Mehr nicht. Du hast Träume. Du hast Hoffnungen, du hast Sehnsüchte und vielleicht sind es die gleichen, die ich auch habe. Aber dein Mund schweigt, obwohl deine Augen schreien. Ich kann es sehen. Das ist der Anfang von allem.“ Drei Schritte wie eine aus der Glut schießende Flamme, dann war sie bei ihm und genau so fauchte sie auch. „Ich sehe dich, ich fühle dich. Einen Mann, der immer noch Träume hat und Mut zum Leben, obwohl es ihm schon eine ziemliche Tracht Prügel verpasst hat. Obwohl er diese Schuld mit sich herumträgt.“ Ihre Stimme wurde sanft. „Gib deine Träume nicht auf, denn nur dann werden sie groß und können die Welt verändern. Ich glaube dir nicht, dass du tatsächlich Angst hast, dass sie jeder Windstoß auf Nimmerwiedersehen davonfliegen lassen kann. Nicht du! Denn dann wärst du nichts weiter als ein Phantast, wie es viel zu viele gibt; Kopfgeburten wie die Kinder des Zeus; Bastarde mit einem Herz aus Stein, die niemand je gewollt hat. Das bist du nicht und das wirst du niemals sein. Ich weiß es.“
Sie legte eine Hand auf seine Brust, da, wo sein Herz schlug und ihre Wärme breitete sich in seinem ganzen Körper aus. „Hier sind deine Träume geboren worden. Du würdest eher sterben, als sie aufzugeben und darum liebe ich dich.“
„Was hast du gerade gesagt?“
Sie legte ihre Hände um seinen Nacken, zog ihn ganz dicht zu sich heran und flüsterte: „Dass ich dich liebe, du großer Dummkopf!“
Er drehte den Kopf zur Seite und sammelte sich für das, was er als Letztes zu sagen hatte. Es muss schwer sein, schoss es ihm durch den Kopf. Es muss weh tun, dann ist sie es auch wert. „Es ist nicht die Krücke, Johanna. Es ist auch nicht die hässliche Narbe auf meiner Wange.“
Er musste schlucken. Mit dem Schmerz, der jetzt kam, hatte er nicht gerechnet. Ganz nah stand sie bei ihm, ihre Stimme war der Ruf eines silbernen Glöckchens im Nebel, ihre Augen ein grüner Ozean, und winzig klein sah er darin das Spiegelbild seines ich. „Es ist … ich will dich nicht belügen. Ich habe einen Menschen getötet. Was du auch für mich zu empfinden glaubst: Das schließt mich auf immer aus der menschlichen Gesellschaft aus.“
„Aber auch nur aus der der Menschen."
„Was soll das heißen?“
Sie flüsterte: "Küss mich und du wirst verstehen.“

RHCSo, Dezember 2022

Inbegriff des Menschseins

Welches Bild haben wir von Menschen und wie diese vor 3500 Jahren lebten?

Geschichte hat mich zu Schulzeiten schon begeistert und doch waren da nur vage Bilder. Und seien wir ehrlich: Wir leben in Zeiten, die die eigen Kultur als den Höhepunkt menschlicher Entwicklung betrachtet. Das menschliche Ego verträgt nicht weniger als die eigene Großartigkeit. Und obwohl 3500 Jahre erdgeschichtlich kaum ein Wimpernschlag sind, blickt unser Bewusstsein auf diese Zeitspanne, wie 16jährige auf 30jährige schauen und uralte Leute sehen.

Vor 3500 Jahren, so war ich mir sicher, saßen die Menschen halbnackt ums Lagerfeuer und frönten mit rudimentären Sprachkenntnissen Ahnenkulten. Die Mischung in meinem Kopf bestand aus viel afrikanischer Stammeskultur, einer Prise Mittelalter, ein wenig griechischer Mythologie. So denkt ein Mensch, der eben aufgewachsen ist mit der Selbstverherrlichung der eigenen Kultur, die doch so wenig herrlich und so viel „Selbst“ ist.

Meine Geschichte führte mich auf das minoische Kreta. Ich wälzte Bücher und war schnell begeistert. Erstaunt haben mich die Kunstfertigkeiten, die damals wie heute vor allem die beiden menschlichen Extreme „Krieg“ und „Liebe zur Schönheit und Kunst“ widerspiegelten.

Halten Sie mich für etwas sentimental, aber auf Kreta besuchte ich das Museum und weinte vor Freude, als ich vor der kleinen, rosafarbenen Bergkristallvase mit einem Henkel aus vergoldetem Elfenbein stand, die vor 3500 Jahren irgendein Mensch ohne Drill, ohne all unsere feinen Werkzeuge, hergestellt hatte. Das Symbol für den menschlichen Willen zur Feinheit und Schönheit. Der Wille zum Konstruktiven. Und direkt daneben in Glaskästen Waffen aller Art aus Bronze. Der Wille zum Destruktiven. Beide Inbegriff des Menschseins. Damals wie heute. Beide haben nicht nur symbolisch überdauert. Und dazwischen Symbole der Fruchtbarkeit und Sexualität wie auch Graburnen. Das Sterben und das Werden. Wir mögen die Technik weiterentwickelt haben, der Mensch ist noch immer der Mensch.

Auch, und das war in Zeiten der BILD, der GALA und all den anderen Blättchen wohl die größte Freude, habe ich innerlich Menschen umarmen dürfen. Denn während meiner Recherche über das minoische Kreta stieß ich auf unzählige Menschen auf „Pinterest“, die Informationen sammelten und zur Verfügung stellten. Minoische Frisuren, Kleidung. Informationen über den Purpurhandel auf Kythera, einer Insel vor Kreta, ebenfalls 1500 vor Christus. Handel, Düfte, Flora und Fauna.

Was wird wohl von uns in 3500 Jahren bleiben und zum Staunen, Weinen oder Nachdenken anregen?

Alle sind wir von den Vögeln

Ich las kürzlich in einem Wissenschaftsmagazin, dass der Vogel mit der größten genetischen Ähnlichkeit zu unsren Vorfahren, den Dinosauriern, der Truthahn ist. Der Truthahn! Deshalb sieht er auch so verwunderlich aus mit seinem roten Lappen, der ihm über den Hals, den Kopf und bis über den Schnabel wächst und dann dort von oben in der Luft baumelt. Das erzählte ich gestern einem ehemaligen Schulkameraden beim jährlichen Klassentreffen und erfuhr von ihm, dass irgendwo auf der Welt eine Zaunkönigart mit einer seltsamen Fähigkeit existiert: Männchen und Weibchen singen immer zweistimmig ihr individuelles Lied und bleiben einander ein Leben lang sich treu. Wenn aber eines von ihnen stirbt und das andere einen neuen Partner findet, so singen die Beiden wieder im Duett. Aber eine neue Melodie singen sie nun, wieder eine, die noch nie jemand zuvor vernahm, eine Weise, die nur zu ihnen gehört bis zu ihrem Tod, an dem sie mit ihnen sterben wird.
Hier kommt dein Titel hin (lösch die Zeile, wenn du keinen hast)

Ersetze diesen Text mit deinem Beitrag.

Die Briten sind zwar bekannt für ihren Humor (very british!), und ihre kriminalistischen Fähigkeiten (Sherlock Holmes!), haben sich aber bisher nicht hervorgetan als liebevolle Empathen und Freunde zeitgemäßer Errungenschaften.

Wie wenig wir uns auf Vorurteile verlassen können, zeigt die Welle des Mitgefühls für einen Roboter. Jüngst geschehen in der Grafschaft Northamptonshire, in den East Midlands von England.

Der kleine Roboter hatte sich im Wald verirrt. Ob es nun der Salcey Forest war, oder ein anderer ist nicht bekannt. Hilflos stand der Kleine mitten auf einem einsamen Waldpfad, weit und breit keine Menschenseele, nur Bäume. Er drehte sich erstmal nach links, dann nach rechts. Sah alles gleich aus. Er bewegte sich ein kurzes Stück vorwärts, versuchte erneut einen Rundblick, um sofort wieder umzukehren. Probierte leicht schwankend die andere Richtung. War wohl auch nichts. Er wiederholte das Ganze, drehte sich ein paarmal. Kein Anhaltspunkt für seine Sensoren. Und keine Hilfe in Sicht. Ob der Kleine nun seufzte, eine Roboterträne vergoss, oder einen zaghaften Hilferuf startete, ist nicht überliefert. Er blieb einfach stehen, wo er war, stellte den Betrieb ein und rührte sich nicht mehr von der Stelle.
Wie lange unser Roboter ausharrte, wissen wir nicht.
Was wir wissen:
Ein Radfahrer entdeckte zufällig den Blechwicht und alarmierte sofort - nein - nicht Polizei, Feuerwehr oder eine andere offizielle Stelle, sondern Social Media.
Schilderte die Situation, gab Standort und Koordinaten durch, ergänzt mit einem Foto. Darauf konnte jeder sehen, der Kleine war keiner vom Typ der Humanoiden, er sah eher aus wie eine runde Schachtel mit Antenne. Ein schwarzweißes Gehäuse auf Rollen. Winzig, zwischen den hohen Bäumen.

Was dann geschah, lief später durch die Presse.

Menschen, welche in der Nachbarschaft wohnten, machten sich sofort auf den Weg, um dem Kleinen Mut zu zusprechen, scharten sich schützend ihn. Man sprach davon, einige hätten ihn beruhigend getätschelt! Das Kindchenschema, es griff sogar hier!
Erzählten sich und ihm Geschichten und sangen ihm etwas vor.

Währenddessen hatten andere fieberhaft nach den Wurzeln des Kleinen gesucht.
Auch in Fachkreisen bemühte man sich.
Wem gehörte er? Woher kam er? Wo wollte er hin? Was suchte er im Wald?
Bis einer rief: „Ich habs! Das ist ein Liefer-Roboter der Gruppe 001! Ruft die Firma an, die sollen sich darum kümmern.“

Sie schickten einen erfahrenen Techniker in den Wald. Der schüttelte nur den Kopf. Was war hier los?
Beinahe verspürte er Mitleid mit dem kleinen Roboter. Wie ein verängstigter Junge inmitten lauter schnatternder Tanten und Onkeln, die es gut meinten!
Dennoch machten diese ihm bereitwillig Platz, als er ihnen seine Mission erklärte.
Während er den Robot untersuchte, beobachteten sie ihn mit Argusaugen.
„Ich werde ihn mitnehmen. Hier im Wald kann ich ihm nicht helfen.“
„Ah und Oh, wie schade“ riefen die Umstehenden. „Sei vorsichtig mit ihm!“ „Tu ihm nichts Böses!“ „Er ist noch so klein und hilflos“ „Wird er denn wieder?“ „Informiere uns, wie es ihm geht!“
„Keine Sorge, ich passe auf. Und ihr bekommt Informationen.“

Hier endet die Berichterstattung.

Einige Zeit später erschien ein Artikel in einer Fachzeitschrift:
„Mensch und Künstliche Intelligenz“
Wer manipuliert wen?
Wo liegen die jeweiligen Schwachstellen?

Naturgesetze in alten Geschlechtsregistern

Ich bin als Pastorensohn mit der Bibel in der Hand aufgewachsen.
Die Geschlechtsregister aus Genesis 5 und 11 waren mir anfangs noch unverständlich.
Aber dann habe ich eine grafische Darstellung davon gesehen und erkannt, dass sie ein Naturgesetz dokumentieren. Lange bevor dieses Naturgesetz (der dokumentierenden Kultur) berechenbar oder bekannt war.

Ich habe mich dadurch mit Datenanalyse & Statistik beschäftigt. Noch sind meine Analysen nicht ganz abgeschlossen, aber demnächst werde ich meine erste Vorlesung in Statistik halten und mich dabei noch tiefer in die Methoden einarbeiten, die für die Analysen systematisch zur Anwendung kommen.

Das Thema wird in ein bis zwei Jahren als ein Beitrag zur Forschungsgeschichte zu alten Quellen erscheinen, denn die Analysen und statistischen Test sollen ja ausgereift und sorgfältig geprüft sein.
Selbst die Sumerische Königsliste trägt dieses Muster der Daten, wenn auch deutlich verzerrt.

Ich würde hier gern eine Grafik einfügen

Herr M. und Herr V. In Prag

Herr V. aus Hamburg begegnete dem Herrn M. aus Wien in der Nähe des Pulverturms, dem Eingang zur Prager Altstadt. Sie hatten das gleiche Ziel. Sie wollten eines der Altstadtlokale aufsuchen. Das tschechische Essen und das landestypische Bier genießen.
V. war erstaunt, mit welcher Aufmerksamkeit ihn der Österreicher begrüßte. Es war, als träfen sich alte Bekannte. Obwohl das Äußere des Wieners V. irritierte.
Wie er später erfuhr, war Herr M. in der Stadt, um der Uraufführung seiner Oper La Clemenza di Tito beizuwohnen. Es wurde ein großer Erfolg. Ebenso wie einige Jahre zuvor seine Oper Don Giovanni, die ebenfalls in Prag uraufgeführt wurde. „Meine Prager verstehen mich!“, sagte der Österreicher.
Herr M. aus Wien trug eine lange rote Jacke, beige Kniebundhosen, die sehr eng anlagen. Auf dem Kopf trug er eine kleine, weiß gepuderte Perücke. Die Schuhe hatten auf dem Spann übergroße Schnallen. Außerdem hohe Absätze, auf denen eigentlich niemand über das Kopfsteinpflaster der Altstadt marschieren möchte.
Kurze Zeit später saßen die beiden in einem böhmischen Lokal. Einen Tisch voneinander getrennt. Sie genossen Schweinebraten mit Kraut, Knödel und einem tschechischen Bier. Seht traditionell.
Vor dem Fenster des Lokals tummelten sich Touristen. Herr V. war kurz versucht den Kopf zu schütteln, doch besann er sich rechtzeitig darauf, dass auch er Gast in dieser Stadt war. Der Komponist aus Wien lächelte, als hätte er die Gedanken seines Tischnachbarn gelesen.
Wieder auf der Straße führte Herrn V. der Gang zur astronomischen Uhr, am Rathaus der Altstadt. Sie soll den Pragern zeigen, wie ihre Sterne stehen. Die Uhrzeit versuchte V. vergeblich abzulesen.
Den Österreichischer traf Herr V. auf dem jüdischen Friedhof wieder. Er schien etwas oder jemanden zu suchen. Ein Grab? „Der älteste der 20.000 Grabsteine stammt aus dem Jahr 1439!“, sagte Herr V. nicht ohne den Stolz des Wissenden. Herr M. Nickte und trabte weiter, drehte sich noch einmal um und sagte: „Heute Abend wird im Konzerthaus meine Prager Symphonie aufgeführt. Wenn sie Interesse haben, ich könnte ihnen eine Karte besorgen!“ Sprach es und verschwand hinter dem nächsten Grabstein. „Einen Gruß an ihre Frau Gemahlin!“, rief V. hinterher. Denn seines Wissens war Konstanze M. mit nach Prag gereist.
Herr V. besuchte währenddessen das berühmteste Grab des Friedhofs; das Grab des Jehuda Liwa ben Bezalel, genannt Rabbi Löw. Bei Löw fiel ihm etwas ein, was mit der Schöpfung des Herrn Bezalel nichts zu tun hatte. Dieser hier beerdigte Löw war nämlich der Erschaffer des Golem. Der aus Lehm geformten mystischen riesigen Gestalt, wie sie in anderen Kulturen in ähnlichen Versionen vorkommt.
Nachts, wenn der ein oder andere von einer Zechtour kommend über das Kopfsteinpflaster der Altstadt nach Hause taumelt, kann er, bei genauem hinhören, die schlurfenden Schritte des Golems über das Kopfsteinpflaster hören. (Was selbstverständlich auch am tschechischen Bier liegen kann)
Von der Altstadt pilgerte V. noch einigermaßen frisch auf den Beinen, in Richtung Karlsbrücke.
Die Karlsbrücke, mit dem vor seinem Museum sitzenden Friedrich Smetana, dem tschechischen Nationalkomponisten, ist fünfhundertzwanzig Meter lang, wurde im 14. Jahrhundert erbaut und steht auf sechzehn Pfeilern.
Mitten im Gewimmel, anders konnte er es nicht sagen, sah Herr V. seinen neuen Bekannten aus Wien. Er stand bei einer Jazzcombo, die sich am Rand der Brücke aufgebaut hatte, und lauschte vergnügt der Musik der neuen Zeit. Als Wolfgang ihn sah, hob er die Arme, wedelte wild in der Luft herum und bedeutete ihm so, sich zu ihm zu gesellen. So standen Wolfgang aus Wien und Herr V. aus Hamburg vor den Jazzern aus Tschechien, um die Musik aus Amerika zu genießen.
Herr V. griff in die Tasche und warf einige Kronen in den dafür seiner eigentlichen Aufgabe entfremdeten Trompetenkasten der Kapelle. Herr M. wollte es ihm gleichtun und angelte einige Münzen aus seiner Tasche. Er warf einige Kreuzer in den Kasten und erntete erstaunte, um nicht zu sagen, böse Blicke der Musiker.
Die Burg war mehr als imposant. Das größte zusammenhängende Burgareal der Welt. Hier regierten über tausend Jahre die böhmischen Fürsten und Könige.
Der Veits-Dom, mit der goldenen Pforte und dem Mosaik des jüngsten Gerichts, war das erste Ziel. Die beiden entschlossen sich zu einem Abstecher in das Innere des kolossalen Sakralbaus. „Fast siebenhundert Jahre alt!“, sagte Herr M. und stieß V. freundschaftlich in die rechte Seite. Er lachte und sein Begleiter schnappte kurz nach Luft. „Der größte und wichtigste Sakralbau Tschechiens!“, sagte V.
„Hier wird ein Splitter aus dem Kreuz Jesu und das Tischtuch des heiligen Abendmahls aufbewahrt. Außerdem das Haupt des Heiligen Veit. Dem Namensgeber des Doms.
Dann begannen die Augen des Herrn aus Wien zu leuchten. Aufblickend zum oberen Teil des Eingangsbereiches, erblickte er die beiden Orgelprospekte.
„Leider ist das obere Prospekt nur noch Attrappe!“, sage V. „Die untere, neuere Orgel, soll aber funktionieren.“ Herr M. machte einen Schritt auf die Treppe zur Galerie zu. Herr V. konnte ihn gerade noch bremsen. „Der gesamte Orgelbereich, wird abgesperrt sein!“ M. wirkte geknickt. „Allein die Vorstellung!“, murmelte V.
Weiter ging es zum Daliborka. Einem Befestigungsturm der Burganlage, der als Hungerturm und zur peinlichen Befragung, das bedeutet zur Folter, benutzt wurde.
„Ein schauerlicher Gedanke!“, sagte Herr M.
„Friedrich Smetana hat dem Ritter Dalibor, nach dem der Turm benannt wurde und der in diesem hingerichtet wurde, eine Oper gewidmet!“ Unverständnis im Gesicht des Österreichers.
„Heute residiert in der Burg der tschechische Staatspräsident!“,
„Der hat hier viel Platz!“, antwortete M. V. nickte und sie gingen weiter in Richtung goldenes Gässchen.
„Der Erzählung nach, sollen hier von Rudolf II. Im 16. Jahrhundert Alchemisten angesiedelt worden sein, um Gold zu machen. Allerdings soll das eine Legende sein!“
Herr M. sah sich in aller Ruhe um.
„Hier, in diesem Häuschen hat für einige Monate Franz Kafka gelebt. Der berühmteste Schriftsteller des Landes!“, sagte V. Herr M. sah V. fragend an. „Ich vergaß!“, sagte dieser. „Kafka wurde 1883 geboren!“
Das Fahren mit der alten Linie 22, machte dem Herrn Kompositeur aus Wien offenbar solch einen Spaß, dass er den Wunsch äußerte, die restliche Zeit des Tages in der Bahn zu sitzen, um sich auf diese Weise die Stadt anzusehen. Also fuhren sie bis zum Abend in der Trambahn durch Prag. Eine Stadtrundfahrt der besonderen Art und vor allem der günstigen Art.
Als sie sich verabschiedeten, reichte Herr M. Herrn V. die versprochene Karte für das Konzert am Abend. Die Aufführung seiner Prager Symphonie. W. war total aus dem Häuschen. Wolfgang hatte seine Unterkunft im Hause zum „Weißen und Goldenen Einhorn“ dem späteren Beethoven Palais. Denn auch der Bonner Komponist residierte 1796 in diesem Haus. Doch das war zu einer anderen Zeit.
Das Konzert am Abend war, wie nicht anders zu erwarten, ein einziger Triumph. V. aus Hamburg schwebte auf einer Wolke aus Noten, Klängen und dem frenetischen Applaus des Publikums in sein Hotel. Die Prager hatten ihre Sinfonie.
Einer Eingebung folgend begab V. sich am nächsten Morgen in die Altstadt zur astronomischen Uhr am Rathaus und wie erwartet, stand dort sein Begleiter aus Wien. Als der ihn sah, rannte er auf ihn zu und wollte in allen Einzelheiten wissen, wie ihm das gestrige Konzert gefallen hatte. Herr V. Versicherte dem Maestro, dass er jetzt noch die Klänge dieser wunderbaren Musik in sich spürte. M. lächelte und stieß W zum wiederholten Mal in die Rippen.
Die beiden beschlossen zum Vysehrad zu fahren. Einem Felsen über der Moldau, der von den Touristen nur spärlich besucht wird.
Von der Peter und Paul Basilika genossen sie einen herrlichen Blick über die Stadt auf rötlich leuchtenden Dachschindeln und einem erstickenden Grün.
„Als läge die Stadt in einem riesigen Park!“, sagte Herr M. Herr V. Konnte sich diesem Eindruck nur anschließen.
Ein Park zum Entspannen. Die Ruhe genießen und von den Wällen dieser Anlage die Stadt genießen.
„Capek war ein tschechischer Schriftsteller der in seinem Werk R.U.R. zum ersten Mal das Wort Robot benutzte. Der Begriff Roboter fand schnell Zugang zu den Sprachen der Welt. Als Bezeichnung für einen künstlichen Menschen!“, referierte V.
Herr M. hörte ihm aufmerksam zu. Ein kurzes Hüsteln von V. und die beiden marschierten weiter in Richtung Innenstadt.
Der Tag neigte sich dem Ende und die Trennung stand bevor. Doch bevor sich der Wiener und der Hamburger voneinander verabschiedeten und sich versprachen, im nächsten Jahr wieder hier in Prag zu sein, suchten sie eine Gaststätte auf, um noch einmal ein süffiges tschechisches Bier zu genießen. Nach einigen Halben, dunklem tschechischen Bieres und auf der Straße die schlurfenden Schritte des Golems vernehmend, traf V. in seinem Hotel ein.
Der Portier überreichte ihm eine Nachricht. Auf dem Umschlag konnte er die Initialen W.A.M. entziffern. Er fuhr mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock und öffnete, in seinem Zimmer angekommen, das Kuvert. Er entfaltete das Schreiben und las; lieber Herr V. ich wollte Ihnen dank sagen für die amüsante Begleitung während der letzten Tage und Ihnen versichern, dass sie nicht geträumt haben!
Mit vorzüglichen Grüßen
Wolfgang und Nannerl!

Das soll eine phantastische Geschichte sein, die mir beim recherchieren über Mozarts Reise nach Prag einfiel.

Kirchenmusik aus einer Lokomotive

Es ist Dienstag Vormittag und der Zug ist fast leer. Es schneit und ich sitze am Fenster und schaue dem Treiben der Schneeflocken zu. Das scheinbare Chaos hat mich abgelenkt vom Lesen meines neuen Lieblingsbuches. Ein Jazzmusiker, der gerne mit dem Zug durch Österreich fährt, hat diese Reisen mit unterhaltsamen Geschichten basierend auf Beobachtungen und originellen Gedankengängen dokumentiert.

Und nun sitze ich, wie er in seinen Geschichten, in einem Zug und warte auf das Losfahren. Den Sitzplatz habe ich entsprechend der vor mir liegenden Strecke wohlüberlegt ausgewählt. Ich habe mich in die Fahrtrichtung links hinplatziert. Der Bahnhof samt seiner freiliegenden Bahnsteige ist aufgrund des Schneegestöbers mäßig besucht. Und da erklingt aus dem Nichts jene Abfolge von Tönen, auf die ich gewartet habe, weil ich davon im Buch des Jazzmusikers gelesen habe.

Ich habe Glück, da es sich bei der Schallquelle um eine rote und mächtige Lokomotive, der Bauart „Taurus“ handelt. Diese moderne und trotzdem anmutig wirkende Lok fährt ihre Maschinen hoch und beginnt dabei tatsächlich zu musizieren. Ich nehme die Töne, bewusst war, die mich an Saxophonklänge erinnern, und versuche die Theorie, dahinter zu hören. Es gelingt mir nicht wirklich, trotzdem ist der Moment euphorisierend.

Dieses Wunderwerk der Technik spielt nicht nur irgendwelche Töne. Sie spielt in rund 15 Sekunden eine Tonleiter. Und wie im Buch des Jazzmusikers, ausführlich geschildert, nicht nur irgendeine Tonleiter. Sondern eine, die ihresgleichen sucht: d e f g a h c d. Das ist eine dorische Skala, eine von den alten Kirchentonarten, welche gleich über zwei Oktaven daherkommt. In einer saxofonähnlichen Tönung verlassen die Töne die Lokomotive. Lese ich nochmal nach. Und staune. Und höre gespannt zu.

Herr Aichinger, der Autor meint weiter, wer immer das programmiert hat, versteht etwas vom Reisen, vom Aufbrechen. Das Ende dieser Skala klingt durch den Ganztonschritt nicht nach einem Ende, sondern vielmehr nach einem Anfang.

Ich stimme ihm gedanklich zu und freue mich auf die Reise. Anregend musikalisch untermalt gleiten wir los und verlassen den modernen Bahnhof, hinein ins Schneegestöber. Für das Lesen im Buch habe ich keine Zeit, zu viel gibt es zu sehen in der vorbeiziehenden winterlichen Landschaft.

Der Zauber von Schneeflocken oder „Nur eine Flocke?“

Kennt Ihr diesen Moment, wenn man auf seine Hände schaut und eine Schneeflocke lässt sich dort nieder? Schon immer war ich verzaubert von Schneeflocken. Wie sanft und lautlos diese herabfallen.

Stellt euch vor, das eine Flocke nur etwa einen Mikrogramm wiegt, aber dennoch aus unzähligen Wassermolekülen besteht. Darum hat sie unendlich viele Möglichkeiten, sich zusammenzusetzen.

Keine Flocke gleicht, einer anderen aber alle sind immer eine sechseckige Grundform. Bevor wir Schneeflocke sehen, bilden sich diese in den Wolken. Die Temperatur in den Wolken muß dazu zwischen minus 4 und minus 20 Grad Celsius liegen. Dadurch gefrieren feinste Tröpfchen, welche sich an sogenannten Kristallationskeimen legen, das kann zum Beispiel ein Staubkörnchen sein.

Wie das Wort Kristallationskeimen schon verrät, fängt der Schneekristall von dort aus dann an zu keimen. Der Schneekristall wächst „dendritisch“ und das bedeutet, das er längliche Armauswuchse bildet, dieses Gebilde ist ausschließlich auf 60°- bzw. 120°-Winkeln strukturiert und aufgebaut und die typische sechseckige Grundform kommt zustande.

Die Moleküle haben eine Anordnung und daher mit der elektrischen Ladung der Atome eines Wassermoleküls zu tun. Jetzt wird es spannend:

Ein Wassermolekül besteht aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff. Die Ladungsverteilung in diesem (60°- bzw. 120°-) gewinkelten Molekül ist asymmetrisch: leicht negativ beim Sauerstoff, leicht positiv bei den beiden Wasserstoffatomen. Diese geladenen Atome reagieren auf die Atome anderer Moleküle um sie herum: Sie ziehen sich an oder stoßen sich ab. Die Moleküle können sich also nicht frei bewegen wie sie möchten, sondern sie richten sich nach der elektrischen Ladung der anderen Moleküle. Die sechseckige Form ist für Wassermoleküle energetisch eine besonders günstige Form.

Wen die Schneeflocken zum Boden fallen, durchlaufen diese Schwankungen von Temperatur oder Luftfeuchtigkeit, hier reichen schon kleinste Unterschiede aus um das sich neue Strukturen bilden. Eine „zarte Flocke“ entsteht zum Beispiel bei feuchter und wärmer die Luft.

Quelle:Wissenschaft im Dialog Naturwissenschaften und Mathematik

Störtebekers Schatz

Am 14.09.2001 lief die marode Germania III bei wolkenverhangenem Himmel und etwas Regen von Emden zur letzten Seebestattung aus. Die betagte Großjacht der Hamburger Werft Blohm und Voss war in einem so desolaten Zustand, dass an Bord keine Sicherheit für mögliche Passagiere gewährleistet werden konnte.
Bei dieser letzten Fahrt schlug Kapitänin Silke Grottenschmidt die Schiffsglocke viermal zum Doppelschlag, dann übergab sie die spiegelrote Urne dem Wasser. Mit präziser Armbewegung warf sie einen mit weißer Schleife gebundenen Kranz hinterher, der trotz der ruhigen See rasch versank.
Die einst elegante Großjacht Germania III umkreiste mit weniger als vier Knoten die schwarze Boje im Dollart, die den Beisetzungsort markierte.
Das Nebelhorn tönte nur noch krächzend im Dunst, aber dieses Mal versammelten sich auch keine Trauergäste im notdürftig reparierten Achterdeck, sondern die Geschwister Joke und Fiete Hansen im Tauchanzug sowie ihr Vater, der als ehemaliger Fernmelder auf alle Geschehnisse mit dem Feldstecher ein Auge hatte.
Während Joke und Fiete schon abtauchten, erklang vom Band mit deutlichen Obertönen und eigenwilligen Verzerrungen der Choral, ‚Herr, gib Frieden dieser Seele‘. Man konnte meinen, dass damit auch die abgetakelte alte Germania gemeint war.
Nach zwanzig Minuten blubberte es verheißungsvoll an Backbord. Die Kapitänin und Peter Hansen atmeten auf.
Es war die letzte der fünf sogenannten Seebestattungen in diesem Jahr und jetzt letztmalig ließen Grottenschmidt und Hansen die Seilwinde zu Wasser, um erst ihre beiden Kinder und anschließend den Schatz zu bergen. Ja, richtig gelesen!
An der schwarzen Boje im Dollart hatten die passionierten Segler Grottenschmidt und Hansen eine seltsame Sandbank entdeckt, die sich allerdings nur um den Neumond herum zeigte. Bei ihren Nachforschungen und Vergleichen mit altem Kartenmaterial wurde klar, es konnte sich nur um das alte Versteck des Seeräubers Störtebeker handeln. Ein Millionen-Schatz. Die beiden aus Wismar stammenden Wassersportler wollten diese Reichtümer heben.
Sie waren aber nicht gekommen, um die antiken Gegenstände und die Goldmünzen für sich zu behalten, vielmehr wollten sie den Schatz an die Stadt Wismar, der Geburtsstadt des berüchtigten Seeräubers übergeben, denn die alte Hansestadt hatte im Rahmen der Kulturförderung ein sehr hohes Preisgeld über viele Jahre für die Sieger ausgelobt.
Grottenschmidt und Hansen planten mit dem üppigen Preisgeld, die betagte Germania III wieder ordentlich seetauglich zu machen und mit ihr über die Weltmeere zu schippern. Sogenannte Bestattungsfahrten strebten sie keinesfalls mehr an.

Der älteste Name der Welt

Wem gehört der älteste überlieferte Name der Welt? Man könnte meinen, einem großen König. Vielleicht einem heldenhaften Feldherrn, der sich ein Denkmal setzen wollte. Einem Propheten, der mit seinen Predigten die Massen inspirierte oder einem Künstler, der sich in einem seiner Werke verewigte.
Doch nein, die Wahrheit ist - wie vieles in der Geschichte der Menschheit - deutlich banaler. Und entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Ein Tontäfelchen aus der Stadt Uruk, über 3.000 Jahre vor Christi Geburt verfasst, bestätigt, dass ein gewisser Kushim Gerstenlieferungen in Empfang genommen hat. Natürlich könnte es sich bei Kushim um eine generell Bezeichnung für einen Beamten handeln, um einen Titel oder eine Position. Genauso gut kann es aber sein, dass es sich um den Namen des Mannes handelt, der die Lieferung erhalten und quittiert hat.
Und damit wäre der erste Mensch, den wir namentlich kennen, tatsächlich ein ganz normaler Beamter.

[Quelle: Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, Kapitel 7]

Ferienziele

Jeder verspürt einmal die Lust, auf Reisen zu gehen. In Nachbarstädte, entfernte Städte, Nachbarländer oder sogar ans andere Ende der Welt. Auch meine Protagonisten zog es in den Ferien in die weite Welt. Ihr Ziel war España uns bekannter unter dem Namen Spanien. Bei meiner Recherche über das Land kamen ein paar interessante wie lustige Fakten zutage, von denen ich manche bisher nicht kannte. Zunächst einmal suchte ich etwas über die Esskultur und dort traditionelle Gerichte. Heraus kam dabei, dass sich das älteste Restaurant der Welt Casa Botín, gegründet 1725 dort befindet, 44 % des Olivenöls in Spanien produziert wird, sie das einzig europäische Land sind, indem Bananen wachsen, europäische Eroberer und englische Kaufleute brachten sie damals auf die Kanarischen Inseln. Einige Güter, wie Tomaten, Kartoffeln und Kakao werden von dort nach Europa importiert.
Um gleich beim Thema zu bleiben, in Lanzarote wurde die schwerste Süßkartoffel der Welt geerntet. Sie wog stolze 37 Kilogramm. Verrückt wurde es bei der Tradition, sich einmal im Jahr mit Tomaten zu bewerfen. Diese Tradition ist 1945 erstmals aufgetreten. Ob ein paar Jugendliche einen Musikanten bewarfen und diese zurückfeuerte, oder einer davon in eine Kiste Tomaten viel, was daraufhin eine Tomantschlacht auslöste, ist unklar. Fakt ist, dass seitdem, außer einer kleinen Unterbindung bis 1959 jedes Jahr am Mittwoch der letzten Augustwoche mit Tomaten geworfen wird. Ab 10 Uhr klettern Teilnehmer unter großem Spektakel einen eingewachsten, glitschigen Pfahl hinauf, um an den oben befestigten Schinken zu kommen. Sobald einer ihn erreicht hat, fliegt die erste Tomate. Nach einer Stunde ist das Ganze vorbei und die Teilnehmer helfen beim Aufräumen.
Neben der Tomatenschlacht gibt es Ende Juni in Haro auch eine Weinschlacht. Angeblich sollen im 18. Jahrhundert die Winzer aus Haro, was zu Rioja gehört, einen wirklichen Kampf gegen die Winzer von Miranda de Ebro, welches nur 22 km entfernt liegt, aber zu Kastilien gehört, geführt haben. Belegen konnte man diese Schlacht nie.
Ein witziger Fakt zum Schluss: España hat einen phönizischen Sprachursprung und bedeutet laut Historikern „Insel der Kaninchen“. Dies erklärt, warum im ursprünglichen Nationalgericht Paella Kaninchenfleisch anstelle von Meeresfrüchten verwendet wird.

Tauchen

Fast jeder hat es schon einmal probiert: Tauchen. In unserer Jugend als wir im Freibad die drei Ringe aus knapp zwei Metern Tiefe vom Boden des Schwimmerbeckens ertaucht, an die Wasseroberfläche gebracht und uns über das Seepferdchen-Abzeichen gefreut haben. Im ersten Spanienurlaub, als wir vergeblich versucht haben, in sechs Metern Tiefe die wunderschöne Muschel beim Schnorcheln zu erreichen. Wir erinnern uns an Ohrenschmerzen, weil wir den Druckausgleich nicht gemacht haben und daran, dass eine halbe Minute Luft anhalten, schon richtig lange ist. Wenn Herbert Nitsch taucht, verlässt er das alles und taucht in eine Welt ein, die wir nie kennenlernen werden. So auch im Juni 2007 als er seinen zwanzigsten Weltrekord aufgestellt hat. Folgen wir ihm für fünf Minuten in diese, für uns unerreichbare, Welt.

Es ist warm heute an diesem 14. Juni. Das Thermometer zeigt knapp 30 Grad Celsius an, der Himmel ist wolkenlos blau, es weht eine angenehme Brise. Ein Schiff ankert zehn Kilometer vor der griechischen Insel Spetses in der Ägäis. Taucher treiben im Wasser und bilden einen Ring um ein Stahlgerüst welches an Bojen befestigt im Wasser treibt. Im Zentrum des Gerüstes, auf einem metallischen Schlitten stehend, Herbert Nitsch, mit einer Spezialtaucherbrille, einer Nasenklammer und einem Neoprenanzug. Eine Pressluftflasche sucht man vergebens, denn er will Apnoe, das heißt nur mit der Luft, die er in einem Atemzug in seine Lunge quetschen kann, so tief wie möglich tauchen. Zwischen seinen Zähnen hat er eine Art Strohhalm eingeklemmt, in seiner linken Hand hält er eine komplett mit Wasser gefüllte Zweiliter-Plastikflasche. Er reißt seine rechte Hand nach oben, Zeige- und Mittelfinger bilden ein V, dann drückt er den Auslöser des Schlittens und verschwindet im Nichts. Der Schlitten rast mit knapp 90 Metern pro Minute in die Tiefe. Seine Taucherbrille ist an sein Gesicht gepresst, damit ihm das vorbeirasende Wasser sie nicht vom Kopf reißt; nichts mehr sehen zu können, kann bei seinem Vorhaben tödlich sein. Ein durchschnittlicher Erwachsener hat ein Lungenvolumen von etwa fünf Litern; Herbert Nitschs Lunge fasst, geformt durch jahrzehntelanges Training, zehn Liter und er presst durch eine spezielle Pressatmung zusätzliche fünf Liter in sein Atemsystem einschließlich der Nebenhöhlen und der Luftröhre. Auf dem Weg nach unten steigt der Wasserdruck unaufhörlich an. Dadurch wird einerseits der Druckausgleich, der ein Reißen der Trommelfelle verhindern soll, immer schwieriger, weil die dazu notwendige Luft im Körper immer weiter zusammengedrückt und immer weniger wird. Andererseits beginnt sich die Atemluft unter dem ansteigenden Druck im Blut zu lösen. Der Stickstoff kann dabei zu einem Rauschzustand führen, der den Taucher lähmt und einschränkt. Außerdem kann die gelöste Luft beim Auftauchen zur lebensbedrohlichen Taucherkrankheit führen. Um beiden Problemen zu begegnen, hat Herbert Nitsch eine spezielle Technik entwickelt. Er stoppt den Schlitten auf etwa 30 Metern Tiefe und bläst mit dem Strohhalm Luft in die wassergefüllte Plastikflasche; damit verringert er die Luftmenge in seinem Körper, wodurch weniger Luft in seinem Blut gelöst wird und er schafft sich eine Luftreserve für den Druckausgleich, den er in größeren Tiefen mit der Restluft in seinen oberen Atemwegen nicht mehr durchführen kann. In 30 Metern Tiefe ist es dämmrig und das Wasser hat noch vierzehn Grad Celsius. Alles ist bläulich, weil rotes und gelbes Licht nicht mehr bis in diese Tiefe vordringen kann. Auf Nitschs Körper lastet jetzt der dreifache Druck, der an der Oberfläche herrscht. Er betätigt erneut den Auslöser und rauscht weiter in die Tiefe. Der Druck steigt an, es wird langsam dunkler, das Wasser wird spürbar kälter. Auf 70 Metern stoppt er den Schlitten erneut und zieht mit dem Strohhalm die Luft aus der Plastikflasche zurück in seinen Körper; allerdings nicht in seine Lunge, wo die Luft für den Druckausgleich verloren wäre, sondern in die Nebenhöhlen seines Kopfes; danach setzt er seinen Weg nach unten fort. Es wird immer dunkler, immer kälter, immer weniger Fische, immer weniger Pflanzen. Herbert Nitsch schaltet das Licht an seinem Schlitten ein. Immer wieder drückt er Luft aus seinen Nebenhöhlen in seine Gehörgänge um den ansteigenden Druck im Innenohr auszugleichen. Der Schlitten rauscht weiter nach unten, Luftbläschen rasen an seinem Sichtfeld vorbei. Sein Anzug beginnt zu flattern, weil sein Körper darunter vom weiter ansteigenden Wasserdruck zusammengepresst wird. Immer weniger Licht, weiter sinkende Wassertemperaturen. Hin und wieder wird ein Fisch vom Lichtkegel der Scheinwerferlampe für den Bruchteil einer Sekunde erfasst, bevor er wieder in der Schwärze verschwindet. Nach zweieinhalb Minuten plötzlich ein metallisches Hämmern, ein Ruck der ihn in die Knie drückt, dann ist der Schlitten ganz unten angekommen. Das dort angebrachte Schild zeigt die Tiefe an: 214 Meter, neuer Weltrekord! Um Nitsch herum ist es stockdunkel, kein Lichtstrahl verirrt sich mehr hierher. Es ist kalt, es gibt kaum noch Fische, kein Mensch kommt bis hier runter. Er könnte genauso gut auf dem Mond sein. Der enorme Wasserdruck und die Belastung setzen ihm zu, aber er fühlt sich merkwürdig klar, fast euphorisch. Der Körper schüttet an Endorphinen aus, was er hat, denn er ist grenzwertig belastet; 22 bar Druck lasten auf ihm, das entspricht mehreren Tonnen. Der euphorische Zustand ist nicht ungefährlich, so mancher Apnoe-Taucher bildete sich in dieser Tiefe ein, wie ein Fisch schwimmen und atmen zu können und bezahlte das mit seinem Leben. Herbert Nitsch kennt die Risiken. Er weiß, dass ihm in dieser Tiefe das Blut aus Armen und Beinen in den Rumpf gepresst wird und alle Organe gewaltsam unter die Rippen geschoben werden. Seine Lunge ist jetzt auf die Größe einer Orange zusammengepresst, sie misst jetzt nur noch ein Zwanzigstel ihrer normalen Größe. Nur das in die Kapillaren eindringende Blut schützt die Lunge vor dem totalen Kollaps, denn Flüssigkeit hält dem Druck stand, Luft nicht. Er muss zurück. Er löst die Zugsperre und der Schlitten wird nach oben gerissen. Kurioserweise ist die Rückkehr das Gefährlichste. Fast alle Unfälle unter Apnoe-Tauchern ereignen sich, wenn die Sportler wieder nach oben kommen - der Tod lauert auf der Rückreise. Der Aufstieg ist ein Kompromiss zwischen möglichst schnell nach oben kommen, weil der Sauerstoff ausgeht und man bewusstlos wird, aber nicht zu schnell nach oben kommen, damit die Taucherkrankheit nicht auftritt. In hundert Metern Tiefe reduziert er daher die Geschwindigkeit des Schlittens und in etwa zehn Metern Tiefe stoppt Nitsch den Schlitten für den überlebenswichtigen Dekompressionsstopp. Nach 214 Metern hinunter in ein schwarzes Nichts, über 200 Metern wieder hinauf in Richtung Leben und dann, kurz vor dem Ziel, die lebensrettende Wasseroberfläche schon im Blick, eine Minute verharren, sich auf der Stelle treiben lassen, keine Energie verbrauchen. Nur nicht den lockenden Lichtstrahlen nachgeben, auf keinen Fall schwach werden - nur das garantiert das Überleben. Lange 60 Sekunden, wenn man den ersten Atemzug nach über vier Minuten so sehr herbeisehnt. Aber Nitsch verweilt. Er muss. Die gelöste Luft, die sich durch den Druck der Tiefe im Gewebe und im Blut seines Körpers angesammelt hat, muss wieder zurück in seine Lunge abgasen. Die Gase dürfen keine Bläschen in Nitschs Organen und Gefäßen bilden – die daraus resultierenden Embolien wären tödlich. Außerdem muss sich Nitsch vor dem „Shallow water Blackout“ in Acht nehmen. Seine Lunge hat fast wieder normale Dimensionen angenommen, aber es fehlt Sauerstoff. Die Lunge zerrt deshalb mit aller Macht Sauerstoff aus dem Blut zurück; im Körper tobt ein Kampf um die kläglichen Reste des lebenswichtigen Stoffs. Kommt dabei das Gehirn zu kurz, wird der Taucher ohnmächtig und droht zu ertrinken. Die Minute ist um, er fühlt sich schwach, Schwindel setzt ein. Ein letztes Mal geht es für Nitsch weiter. Er schlägt auf die Zugbremse und der Schlitten ruckt wieder an, nach oben Richtung Leben, die letzten zehn Meter noch, dann durchbricht der Eisenrahmen, in dem Nitsch wie ein Meisterwerk aufgespannt ist, die Wasseroberfläche. Herumfliegende Wassertropfen glitzern im Licht der Sonne. Nitsch atmet tief ein und lächelt.

Hier eine von mir erfundene Handlung um ein, in der Geschichte als wahr nachzulesendes Ereignis. Das Ende ist auf beiden Ebenen ebenso tragisch wie kurios.

Meinungsfreiheit

„Habt ihr schon davon gehört, was Aischylos widerfahren ist? Man mag es ja kaum glauben, aber der Tod sucht sich manchmal doch bizarre Wege, seine Ziele zu erreichen.“

Callistus, der Fischer, war an diesem Tag spät dran und erst am frühen Nachmittag in der Taverne erschienen. Die Reparatur seiner Netze hatte länger gedauert als gedacht. Im Allgemeinen war das ein Zustand, den es zu beklagen galt, nicht jedoch an diesem Tag.

Vromi auf Zakynthos war ein kleiner, vergessener Ort, in dem nur selten mal ein Fremder auftauchte. Die meisten Bewohner waren Fischer oder einfache Handwerker, die von der Welt nicht viel wussten. Wenn sie in dem, was sie einen Hafen nannten, ihr Werk verrichteten, wurde viel gesprochen. Meist wiederholte sich Altbekanntes, worauf man aus Höflichkeit so tat, als habe man es noch nicht gewusst, doch an diesem Vormittag gab es ein neues, ein aufregendes Thema, das die Gemüter erhitzte.

Ein Fischer aus Catania, Sizilien, war in der Nacht angelandet, weil ihm nahe der Küste das Ruder gebrochen war. Meist ärgerten sich die griechischen Fischer, wenn Fremde vor ihrer Küste fischten, aber sie waren auch neugierig. Wenn es etwas gab, mit dem sie ihren Alltag beleben konnten, dann nahmen sie es gerne an. An diesem Morgen sollten sie voll auf ihre Kosten kommen, denn was der Sizilianer zu berichten wusste, sollte Stoff für vieler Gesprächs sein, die in den nächsten Wochen geführt wurden.

Zum Leidwesen von Callistus wussten seine Freunde in der Taverne aber schon Bescheid, um was es ging.

„Callistus“, antwortete Gregorius, der Schmied, „willst du uns nicht zuerst einmal höflich begrüßen und erklären, was dich erst zu so später Stunde zu uns führt? Die Sache mit Aischylos ist hier schon heftig in der Debatte.“

„Nun gut, Freunde, seid mir gegrüßt. Die Netze, ihr wisst schon, sie sind alt. Aber ob ihr bei den Nachrichten um Aischylos auf dem Stand seid, wage ich zu bezweifeln. Unter Fischern gibt man mehr von sich preis als gegenüber dem banalen Volk.“

„Nun werde aber nicht anzüglich“, beschwerte sich Neilos, der Steinmetz, der so hieß, weil man ihn als Baby an einem Fluss gefunden hatte, „als seien wir hier das banale Volk. Wir haben es doch sicher zu mehr gebracht als dem.“

„Was dadurch bewiesen sei“, ergänzte Timaios, der Bäcker „dass wir um diese Zeit hier in der Taverne sitzen und Diskutieren können, während das banale Volk auf den Felder schuftet oder die Häuser putzt.“

„Es ist ja schon gut“, verteidigte sich Callistus, während er sich zu ihnen an den Tisch setzte, „ihr habt ja Recht, aber das Ende von Aischylos ist so aufregend, dass ich mich kaum zurückhalten kann, es zu besprechen.“

„Wenn ein Mensch von uns geht“, mischte sich Ouranos ein, der zwar nur einen kleinen Laden betrieb, aber so vergeistigt war, dass er gut und gerne einen Priester hätte abgeben können, „dann ist dies für uns alle stets ein Verlust. Der Mensch wurde nämlich nicht geboren, um zu sterben, wie viele Dummköpfe es glauben, sondern um zu leben. Der Tod ist lediglich ein lästiges Übel, das einen ereilen kann, aber nicht zwingend ereilen muss. Wer sich gut mit den Göttern stellt, kann jedem Tod ein Schnäppchen schlagen.“

„Aber was haben wir mit Aischylos denn verloren?“, fragte Gregorius. „Er hat Zeit seines Lebens nur schlaue Sprüche gemacht und war sich stets zu fein mal einen Hammer in die Hand zu nehmen.“

„Arbeiten gehörte jedenfalls nicht zu seinen Tugenden“, ergänzte Neilos den Einwand des Schmieds. „Er nannte sich einen Dichter, aber verstanden habe ich nicht, was er so von sich gab. Jedenfalls hat mir sein Gerede beim Behauen der Steine nicht geholfen.“

„Aber was der Sizilianer erzählt hat, ist doch barer Unsinn“, zweifelte Timaios die Wahrheit der Nachricht an, „wie soll ein Adler es schaffen, der sicherlich ein starker Vogel ist, eine ausgewachsene Schildkröte in den Himmel zu heben, um sie Aischylos auf den Kopf fallen zu lassen?“

„Unterschätzt nicht die Fähigkeiten des Adlers“, konterte Ouranos, „in jedem dieser Tiere lebt ein Teil von Apollon. Das Aischylos nicht der, von Apollon geforderten sittlichen Reinheit entsprach, dürfte nicht infrage zu stellen sein.“

„Dem mag so sein“, brachte sich jetzt auch noch Dimitros, der Korbmacher und sechste in der Runde, in das Gespräch ein, „aber ich halte es für eher wahrscheinlich, dass Aischylos jemandem mit seiner ewigen Besserwisserei den Nerv geraubt hat, und der ihm die Kröte aufs Haupt geschlagen hat.“

„Da könnte etwas dran sein“, stimmte Timaios zu. „Schon damals, als er in Athen den Wettbewerb der Dichter gegen Sophokles verlor, konnte er nicht zurückstecken. Stattdessen ging er nach Sizilien. Was mag er sich davon versprochen haben?“

„Er hatte die Niederlage wohl als Schmach empfunden“, meinte Neilos, „und sich unter einem Vorwand dem Verlust von Ansehen in der Öffentlichkeit entzogen. Was beweist, dass er kein wirklicher Mann, sondern eher eine Memme war.“

„Nun macht ihn hier nicht schlechter, als er war“, beschwerte sich Callistus. „Wir Fischer haben hin und wieder mal was von ihm gehört. Sein Ansehen auf Sizilien soll demnach so schlecht nichtgewesen sein.“

„Nur seine Sittlichkeit wurde seinem Ansehen nicht gerecht“, nahm Ouranos den Faden auf. „Deshalb hat ihm Apollon seinen Adler geschickt, um ihm die Quittung zu überbringen.“

„Quatsch, Quatsch und nochmals Quatsch“, entgegnete Timaios. „Wenn du in Rage im staubigen Sizilien nach einem Stein greifst, magst du nicht unterscheiden können, ob es nun ein Stein ist, der dir in die Hand gerät, oder eben eine Schildkröte. Ihr Panzer sieht einem Stein sehr ähnlich, was sich die Schildkröte von Natur aus selbst so ausgesucht hat.“

„Dann wäre es ja Totschlag gewesen“, gab Gregorius zu bedenken. „Das hätte der römische Praeses in Catania doch sicher zur Ahndung gebracht. Und außerdem stellt sich dann Frage, ob man mit Menschenhand und einer Schildkröte einem anderen den Schädel einschlagen kann?“

„Was kümmert es den Praeses, was mit einem Griechen passiert?“, warf Neilos ein. „Die Römer waren doch immer schon faule Hunde. Da machen sie sich doch keine Mühe, um den Hergang, der zum Tod eines Dahergelaufenen, wie der des Aischylos einer war, zu klären. Ob aber die Wucht eines Schlages mit einer Schildkröte reicht, um einen Menschen zu töten, kann ich nicht beurteilen. Da bedarf es sicher eines Experten, der mit den Techniken eines solchen Angriffs vertraut ist.“

„Ihr verirrt euch in euren Fantasien“, warnte Ouranos seine Freunde. „Damit lauft ihr Gefahr, den Zorn der Götter auf euch zu ziehen. Wenn Apollon den Tod von Aischylos genau so gewollt hat, wie es der Sizilianer erzählt, dann solltet ihr es unseren Gott nicht in Abrede stellen. Am Ende schickt uns Apollon noch Ares ins Haus, weil ihr euch nicht zu fügen wisst. Das könnt ihr nicht wirklich beabsichtigen.“

„Was höre ich da heute wieder für merkwürdiges Geschwätz aus deinem Munde, Ouranos?, fragte Timaios seinen Freund, dessen Wissen er durchaus zu schätzen wusste. „Kein Gott wird uns zürnen, wenn wir um die Wahrheit debattieren, die zum Tod eines Menschen geführt hat.“

„Vielleicht war es ja auch ein Mord“, gab Callistus zu bedenken, „und nicht nur ein einfacher Totschlag.“

„Das würde uns der Klärung auch nicht näher bringen“, sagte Gregorius. „Ob es nun Totschlag oder Mord war, führt für mich zum selben Ergebnis. Wenn du tot bist, bist du tot.“

„Dann könnten wir unsere hitzige Debatte ja gleich einstellen“, beschwerte sich Callistus. „Die Wahrheit wurde erfunden, damit man sie aufdeckt. Und wenn es ein Mord war, dann wiegt das schon schwerer als ein Totschlag.“

„Aber wie soll dann so ein Mord vor sich gegangen sein?“, streute Neilos die Frage ein.

„Etwa durch Arglist“, begann Callistus mit einer Theorie. „Wir haben beim Flicken der Netze viel nachgedacht. Hagne, der Mann unserer, wegen ihres hübschen Aussehens allseits geschätzten Korinna, brachte in die Gespräche ein, dass Aischylos aufgelauert und mit einem Stein rücklinks erschlagen wurde.“

„Der Theorie von Hagne fehlt dann aber noch die, von offizieller Stelle erwähnte Schildkröte“, gab Ouranos zu bedenken. Bevor er jedoch einen weiteren Hinweis zu seinen Göttern abgeben konnte, nahm sich Callistus schnell wieder das Wort.

„Die Schildkröte geht in der Theorie für einen Mord nicht unter, sondern spielt eine wichtige Rolle, weil sie die Arglist und die Absicht zur Täuschung belegt. Nachdem Aischylos mit dem Stein erschlagen wurde, hat sich der Mörder die nächstbeste Schildkröte gegriffen und sie auf den Boden geschlagen, um sie auf diese Weise zu betäuben. Hernach hat man mit ihr noch ein paarmal auf den Schädel des längst toten Aischylos eingeschlagen, um sie mit seinem Blut zu beflecken. Dann bedurfte es nur noch der Fantasie mit dem Adler, um sich aus der Klemme zu reden. Und wie ihr seht, hat das funktioniert. Wie sonst hätte der Sizilianer so überzeugend von dem Hergang berichten können?“

„Dem kann ich nicht folgen“, druckste Ouranos mürrisch herum, weil ihm für seinen Gott Apollon bei diesem Hergang die Würdigung fehlte. „Ich bin überzeugt, dass der Sizilianer Recht hat. Nur ein Gott ist in der Lage, aus einer simplen Schildkröte ein tödliches Werkzeug zu machen.

„Vielleicht war es ja doch nur ein Unfall“, versuchte Dimitros seinem geschätzten Freund aus der Klemme zu helfen.

„Ein Unfall?“, fragte Neilos aufgeregt nach. „Jetzt soll auf einmal ein banaler Unfall dafür herhalten? Was soll denn da passiert sein?“

„Etwas Einfacheres, als du vielleicht denkst“, warf sich Gregorios in das neuerliche Wortgefecht.

„Na, dann bin ich jetzt aber mal gespannt“, zeigte sich Neilos ungeniert neugierig.

„Denk doch einfach mal einfach“, antwortete Gregorios geheimnisvoll tuend. „So eine Schildkröte ist doch auch nur ein Lebewesen. Also hat sie auch Gefühle und kennt den Eifer, den man braucht, um etwas zu erreichen.“

Die Sprechpause, die Gregorius kurz einlegte, gefiel keinem der Anwesenden. Er schien doch gerade einen gänzlich anderen Ansatz zu formulieren. Vielleicht war er auf dem richtigen Weg und würde die Zustimmung aller sechs Freunde finden. Schließlich passierten Unfälle jeden Tag und schon viele von ihnen hatten zum Tod einer Person geführt. Nur war es den Zuhörern noch ein Rätsel, was das mit Eifer, den sie alle kannten, zu tun haben könnte. Was für einen Eifer sollte man einer Schildkröte schon zutrauen?

Bevor die Meute unruhig wurde, nahm Gregorius den Faden seines Beitrags wieder auf. Jedoch war er sich nicht mehr sicher. Vielleicht hatte er sich auf den Weg begeben, sich an diesem Tag den Zorn seiner Freunde zuzuziehen.

„Nun denn, wenn die Schildkröte gelangweilt am Boden sitzt, verschließt sie ja nicht die Augen vor dem, was um sie herum passiert. Das erfordert schon ihr Anspruch an Sicherheit, schließlich muss sie sich vor möglichen Räubern in Acht nehmen.“

„Das erfordert aber noch lange keinen Eifer“, warf Neilos ungeduldig ein, was Gregorius aber nicht aus dem Tritt brachte.

„Nein, das tut es nicht. Der Eifer kam erst ins Spiel, als sie den Adler hoch oben am Himmel fliegen sah. Elegant gleitend, mit wenigen Schwüngen an Höhe gewinnend, um dann in einem weiten Bogen die Richtung zu wechseln. So, wie es Apollon seinen Adlern in die Wiege gelegt hat.“

Ob der Erwähnung seines Gottes fühlte sich Ouranos zu dieser Sicht auf den Hergang hingezogen, was ihm ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Wenn Gregorios so weitermacht, dachte er sich, werde ich am Ende vielleicht ganz bei ihm sein. Und Gregorios machte weiter, nur anders, als Ouranos es sich erhoffte.

„Die Schildkröte war sich darüber im Klaren, dass sich ihr Leben, entgegen dem des Adlers, kriechend auf dem Boden abspielte. Das hinderte sie jedoch nicht daran, zu träumen. Und mit dem Traum, fliegen zu können wie der Adler, hoch oben am Himmel, keimte in ihr der Eifer. In einem Anflug von Selbstüberschätzung streckte sie ihr Geläuf so weit aus ihrem Panzer, wie es eben ging. Dann fing sie an, es zu bewegen, wie der Adler es mit seinen Flügeln tat. Was zu Anfang noch hilflos und wenig zielführend aussah, entwickelte sich zu einem wahren Stakkato. Während sie mit der Unterseite ihres Panzers auf dem Boden lag, wedelte sie immer schneller mit ihren Beinen. Bis, ja, bis dann eintrat, was sie selbst nicht für möglich gehalten hatte. Sie hob vom Boden ab und begab sich in die Lüfte. Sie lebte ihren Traum und flog. Dabei machte es ihr nichts aus, dass sie mit der Eleganz des Adlers nicht konkurrieren konnte und auch nicht bis in seine Höhen vordrang. Wichtig war ihr nur, dass sie flog. Ihr Eifer trieb sie weit höher, als die höchsten Baumwipfel in der Region reichten, bevor sie merkte, dass sie etwas nicht bedacht hatte. Nämlich, wie lange ihre Kräfte reichen würden, um sich in der Luft zu halten. Die Frage schloss sich an, ob sie den Boden wieder sanft und sicher erreichen würde. Die Antwort folgte auf dem Fuß. Ihre Kräfte waren abrupt am Ende. Ihre Beine, die gerade noch wild wedelten, krampften und kamen zum Stillstand. Mit der Folge, dass die Schildkröte wie ein Stein vom Himmel fiel. Zum Leidwesen von Aischylos, geschah dies ausgerechnet genau über ihm, weshalb der Aufprall der Schildkröte, mit ihrem harten Panzer, auf seinem, weniger harten Schädel, für ihn mit dem Tod endete. Aus seiner Sicht mag das tragisch gewesen sein, doch kann man deshalb der Kröte keine Absicht unterstellen. Am Ende bleibt es ein banaler Unfall.“

Ob der Einlassung ihres Freundes, die für ihn sowohl vom Inhalt als auch von der Länge her ungewöhnlich war, zeigten sich die Zuhörenden überrascht. Sie sahen sich erstaunt in die Augen und zollten dann dem Redner Applaus.

Allen war klar, welche Absicht Gregorios mit seiner Rede verfolgt hat. Es lag ihm im Sinn, die Diskussion zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Sie sollten die Taverne alle mit einem guten Gefühl verlassen, um sich am nächsten Tag, mit einem ebensolchen Empfinden, wieder dort einzufinden. Denn eines ist den sechs Freunden wichtig, wichtiger, als die Wahrheit um den Tod von Aischylos zu klären, nämlich der Respekt voreinander und vor dem, was sie unterscheidet.

Ihre Gespräche lebten von ihren Meinungen, ihre Ansichten formten die Beiträge und ihre Toleranz bot ihnen die Räume, die sie brauchten, um nicht, wie so viele andere, in den Fängen der Langeweile zu landen. Offenen, kritische und trotzdem faire Dialoge waren für sie von Bedeutung. Nicht das Gift des Belanglosen und nicht die Versuchung, den anderen zu beherrschen.

„Das Leben lebt vom Unterschied und bereichert die, die es zu akzeptieren wissen.“

So oder so ähnlich, soll es der Dichter Aischylos einmal ausgedrückt haben.

Wie Aischylos am Ende tatsächlich ums Leben kam, mag jeder, der sich mit seiner Geschichte und mit seinem Schicksal befasst, selbst beurteilen. Sicher dürfte nur sein, dass es dabei am Ende zu vielen Deutungen und Meinungen kommen wird.
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