Seitenwind Woche 7: Mach eine Szene!

Dreisatz

Tock.

Ist da jemand an der Tür? Ist er da? Himmel, ich höre schon Gespenster! Ein Ast, es ist nur ein Ast, der im Wind an das Fenster klopft. Beruhige dich. Meister Leonhard redet sich selbst gut zu, denn in der Hütte des betagten Alchemisten ist außer ihm niemand. Für die Leute ist er nur der „Krumme Leo“, der kauzige Schwarzkünstler aus den Bergen. Aber er liebt sein Leben als Eremit. Umgeben von gestapeltem und gerolltem Wissen, Phiolen, Glaskolben, Töpfen unterschiedlichster Größe, von Flaschen und Krügen, die Etiketten mit lateinischen Namen um ihre Hälse tragen und Weidenkörben voller Gärten. Über der offenen Feuerstelle hängen stieloben Bündelchen und Sträußchen, denen der Pflanzensaft zu Kopf steigt, während sie sich ihrer Aromen entledigen.

Tock. Tock.

Doch kein Ast im Wind. Eher eine hölzerne Forderung, willentlich und vehement mit einer harten Faust ausgedrückt. Meister Leonhard krümmt sich bei jedem Klopfen wie unter Schmerzen und krabbelt Schutz suchend unter seinen Arbeitstisch, verschanzt sich hinter dicken Pergamentbündeln. Er wird mich entdecken, und wenn er mich findet, bin ich des Todes. Ein Schauer überläuft ihn, kalt wie der Gebirgsbach oben am Gletscher, wenn die ersten Sonnenstrahlen am Eis lecken. Für mich wird es keinen Frühling mehr geben. Hätte er nur nicht diesen satanischen Auftrag entgegengenommen! Doch es ist zu spät, er hat versagt und muss jetzt die Konsequenz tragen. Ein einfaches Pulver oder einen Trank sollte er herstellen, etwas, dass die Angst und die Hoffnungslosigkeit beim Volk und im Heer unterdrückt, wenn die Soldaten wieder in den Krieg ziehen. Sein Lohn sollte weitere geschenkte Jahre im Dienste seiner Wissenschaft sein. Von da an durchsuchte er Tag und Nacht die stockfleckigen Aufzeichnungen, die Druidenweisheiten und das Alchemistenwissen von Jahrhunderten. Johanniskraut von einem Kind in einer Vollmondnacht geschnitten, nicht gepflückt, so fand er endlich heraus, böte eine gute Basis für die gesuchte Droge. Einen Vollmond später hatte er es fast geschafft. Sein unheimlicher Auftraggeber drängte zur Eile. Längst war nicht mehr eine Gegenleistung in Aussicht gestellt, sondern von Bestrafung die Rede, sollte er nicht liefern können. Der Hals würde er ihm wie bei einem Huhn umgedreht. Er konnte nicht mehr klar denken, denn die Angst saß in seinem Nacken und ritt ihn fast zu Tode. Höchste Zeit für einen Selbstversuch hat Meister Leonhard am gestrigen Abend beschlossen. Ohne Angst würde er zu alter Höchstform auflaufen können, dessen war er sich sicher. Zum Abendbrot gönnte er sich einen Becher Bier und gab eine Messerspitze des rosafarbenen Pulvers dazu. Die Dosierung war noch ein großes Fragezeichen, das wusste er. Als es sich aufgelöst hatte, setzte er den Becher an die Lippen und leerte ihn in einem Zug.

Tock. Tock. T-O-C-K!

Das letzte Klopfen geht im ohrenbetäubenden Splittern der Holztür unter. Es hagelt Staub und fertiges Feuerholz. Im Gegenlicht des Türrahmens steht eine finstere Gestalt. Schwarzer Reiseumhang mit hochgeschlagener Kapuze, die einen Schatten auf das Gesicht darunter wirft, ein Lederstiefel, ein Huf, der jetzt in drei Sätzen über den Lehmboden stampft.

„Na, mein Freund, wo hast du dich verkrochen, hm?“

Meister Leonhard zieht leise die Beine unter seinen Körper und macht sich klein wie eine Kugel. Warum in drei Teufels Namen hat er solche Angst vor einem von ihnen? Weil die Droge versagt! Er hatte einen verhängnisvollen Fehler bei der Mixtur oder der Dosis begangen! Oder beides. Sein Körper gehorcht nicht mehr und beginnt zu schlottern. Dabei machen seine Bauchplatten seltsame Geräusche. Ob ich einen überraschenden Ausfall wage und mein Heil in der Flucht suche, überlegt er. Besser nicht, ich fürchte mich so entsetzlich! Vorsichtig späht er aus der Tiefe seines Verstecks hervor, als sein Leib erneut eigenmächtig zu zittern beginnt. Das dabei entstehende Geräusch ist über alle Zeiten hinweg zu hören. Der Teufel schlägt seine Kapuze zurück, wobei er seine Hörner entblößt. Er bückt sich, um unter den Tisch zu schauen. Als er Meister Leonhards zarte Fühlerhörnchen entdeckt, bricht er in ein widerwärtiges Gelächter aus, schnappt ihn blitzschnell und zerquetscht die Zikade in seiner Faust.

Yalkons Wiederkehr

Die ersten Sonnenstrahlen des Tages vertrieben bereits den noch jungen Morgentau, indem sie ihm halfen, sich in zarten Nebelschwaden in die Lüfte zu erheben. Das Moos dampfte regelrecht und strahlte in einem satten Dunkelgrün. Vögel zwitscherten, als hätte sich der Frühling angekündigt und luden einander zum Tanz ein. Aufgeregt flogen sie akrobatische Kreise, auf und ab. Manche von ihnen in waghalsigen Formationen, die in einem abrupten Bremsmanöver endeten, um in einem Sandbad am Boden den Höhepunkt zu finden. Das Herbstlaub bedeckte den Boden wie eine wärmende Decke.

Synvald lag im Tal der großen Eichen. Es war ein kleines Dorf, das weniger Einwohner zählte, als Eichhörnchen in einen Fuchsbau passten. Synvald lag nahe dem Graven Strom, einem eiskalten, höchsten zwei Meter tiefem Fluss. Dieser wurde gespeist aus den Hohen Bergen von Quendlin, welche sich rings um Synvald erstreckten und dem Himmel sehr nahe waren.

Hier beginnt unsere Geschichte. Mein Name ist Bronwyn und ich muss sie euch erzählen, um Schlimmeres zu verhindern. Bitte, nehmt Platz und spitzt eure Ohren. Lauscht und gebt acht. Ja, ihr habt richtig gehört, es ist unsere Geschichte, nicht nur die meine. Warum dies so ist? Ich hätte es euch gerne erspart, wirklich. Aber das hätte ich mir nie verziehen. Es war am Zahterdag, dem vorletzten Tag der Woche. Die Sonne schien durch das Fenster meines Schlafraums und kitzelte mich an meiner großen Zehe, welche schon der Bettdecke entschlüpft war. Hin und wieder bewegte sich meine Zehe durch die warmen, kitzelnden Sonnenstrahlen, bis schließlich meine Arme unter der Bettdecke hervorkamen und sich gegen die Zimmerdecke streckten.

„Was für ein wunderbarer schöner Morgen dies doch ist.“, sagte ich mir, so als würde ich mit meinem Spiegelbild reden. Meine Bettdecke bewegte sich auf und ab und mein Strecken und Recken unter ihr wurde heftiger. Dazu gesellte sich mein Gestöhne, mein Schmatzen und Knirschen. Fluchs schob ich meine Bettdecke zur Seite, rutsche seitlich aus dem Bett zu Boden, und sprang mit einem langen Leinennachthemd bekleidet Richtung Fenster, wo ich innehielt und Sekunden später mit den Armen in der Luft herumwirbelte, woran sich flinke Bewegungen anschlossen, die etwas von Kniebeugen hatten.

„Ich wünsche allen einen wunderschönen, wunderschönsten Guten Morgen!“, schrie ich aus dem Fenster und stieß dabei selbiges derart heftig auf, sodass der linke Fensterflügel gegen die Außenwand des Hauses schlug. Das Glas zerbrach dabei mit einem lauten Klirren.

„Was für ein wunderschöner Morgen! Was für ein wunderschöner Tag! Was für ein Glück ich heute wieder haben muss!“, waren meine selbstverliebten Worte. Das Klopfen an der Tür war so weit weg von mir, wie der Himmel der Quendlin Berge. Dennoch hatte ich das Gefühl darauf reagieren zu müssen. Das Klopfen hatte einen unüblichen Klang. Es war härter, kräftiger und schwerer, ja, nahezu eindringlich. Es verstummte nicht.

“Hallo, ist da wer? Ich bin gerade bei meiner Morgengymnastik und erwarte auch keinen Besuch. Es ist sechs Uhr, der Tag noch jung und ich, ich werde gerade erst neu geboren. Also, wer ist da?”

“ Meister Bronwyn, bitte macht auf. Ich muss euch unverzüglich Bericht erstatten. Ich weiß, dass ihr …"

“Malvin, bist du das? Ich hatte dich doch gebeten, mich nicht vor sechs Uhr morgens zu stören. Ich mache gerade meine Gymnastik und du weißt, wie wichtig das für mich ist.”, unterbrach ich ihn. “Werde du erst einmal hundertachtundsechzig Jahre alt, dann verstehst du was ich meine!”

“Verzeiht mir, aber es ist etwas schreckliches geschehen. Yalk … Yalkon ist zurück, hört ihr? Er … er ist zurück!”

Mir wurde speiübel. Yalkon? Wie konnte dies nur geschehen? Hatte ich ihn nicht durch meinen letzten Zauber aus Quendlin verbannt und ihn zurückgeschickt in das Reich von Gnorr?

Das Blut gefror mir in meinen Adern und das Atmen fiel mir schwer. Yalkon war der mächtigste Drache, der jemals unser Dorf heimgesucht hatte und seine Gefolgschaft war nicht weniger schlimm. Im Gegenteil, sie waren wie Parasiten, die sich überall einnisteten und alles verbrannten was sich auch nur bewegte oder nicht aussah wie sie. Egal, ob Mensch, Zwerg, Gnom, Elf oder Tier, alles wurde verbrannt und vernichtet. Es war schrecklich. Das durfte nicht noch einmal geschehen.

“Malvin, mein Lieber”, rief ich dem verunsicherten, wartenden Elf durch die verschlossene Tür zu, “ geh schnell hinunter zur Höhle am Waldsee. Du weißt schon. Hole mir meinen Kessel der Sinfonie des Himmels. Geh zu Ahrony und gib ihm Bescheid. Er hat noch Ysop und Myrre, Grunzwurz und Taustiefel. Bring bitte alles schnell zu mir. Ich beeile mich und wir treffen uns am Platz der tausend Blüten. Hast du verstanden?”

“Ja, Meister. Ich werde mich beeilen. Aber bitte, beeilt euch auch, hört ihr?”

Ich antwortete nicht mehr, sondern tauchte hinab in meinen Schrank, auf der Suche nach Warob, meinem Zaubergewand. Jahre hatte ich es nicht mehr in Gebrauch nehmen müssen. Das letzte Mal, als ich es umlegte, war, als Yalkon erschien, um uns alle zu vernichten.

“Bronwyn! Hallo, mein lieber Schatz. Bist du schon wach?” Zum unpassendsten Augenblick rief Minne, meine liebe Gemahlin nach mir. „Wie wunderbar es heute nach Apfelsirup riecht und wie verlockend der Duft von frisch gebrühtem Sonnenblumentee mit Lavendelhonig in meiner Nase liegt. Ich habe dir Frühstück gemacht, mein Schatz.”

Sie durfte nichts erfahren, denn ich wollte sie nicht beunruhigen. Nicht noch einmal. Als Yalkon das letzte Mal tobte verloren wir unseren Sohn, Ivar. Bis zum heutigen Tag hatte Minne es nicht überwinden können. Sie vermochte es nicht loszulassen.

“Ich will nur noch schnell ein morgendliches Bad im Fluss nehmen und dann, dann gibt es ein Frühstück, wie es sich sehen lassen kann.“, gelobte ich und machte einen Satz durch das Fenster, über die Glasscherben hinweg und lief nur mit Nachthemd bekleidet barfuß Richtung Fluss, meinen Warob in der Hand.

„Guten Morgen, Bronwyn.“, grüßte mich Fahri, der Müller, welcher gerade mit seinem Getreide beladenen Handkarren unterwegs Richtung Mühle war, als unsere Wege sich kreuzten. „Na, hast du wieder eine Fensterscheibe zu Bruch gehen lassen?“, fügte er fragend seinem morgendlichen Gruß hinzu, obwohl er die Antwort auf seine Frage schon kannte.

„Na wie soll man denn sonst Glück haben?“, war meine knappe Antwort. Ohne mich umzudrehen, setzte ich so schnell ich konnte, meinen Weg fort.

Als ich die Höhle am Waldsee erreichte, krähte der Hahn des Dorfes den Sonnenaufgang herbei. Er war spät dran, aber auch nicht mehr der Jüngste. Wie dem auch sei, es war noch genug Zeit, um den Trank Ex Dracyr zu brauen, mit welchem ich Yalkon zurückschicken könnte - zurück ins Nichts.

“Es ist alles vorhanden, Meister Bronwyn, wie ihr es angewiesen habt.”, begrüßte mich Malvin mit einem verunsicherten Lächeln. “ Ich habe schon Feuer gemacht und das Wasser kocht bereits.”

“Danke, mein getreuer Gefährte. All die Jahre habe ich dich immer unterschätzt. Bitte, verzeih mir. Aber ich weiß, dass ich mich stets auf dich verlassen kann.”, entgegnete ich ihm und war erleichtert, dass er den Ernst der Lage erkannt hatte.

Als Yalkons Flügelschlag sich hörbar näherte und sein blutrünstiges Fauchen zu uns Drang, war der Sud bereits, Mashelwi sei Dank, fertig gebraut. Yalkon schwebte nur noch circa fünfzig Meter über uns, als ich eine, der wenig verbliebenden Perlen von Holgast in den Kessel warf. Hunderte, tausende von Feuerflammen sprangen aus dem Kessel heraus und stürmten Richtung Himmel, auf Yalkon zu. Es gab kein Entkommen. Sie züngelten um ihn herum, tänzelnd, lodernd und vernichtend. Wir hatten es geschafft. Yalkon zerfiel zu Staub und wurde vom Herbstwind weggetragen, bevor er den Boden erreichte. Malvin und ich lagen uns jubelnd in den Armen.

“Na, mein Lieber, hast du auch Lust auf Apfelsirup und frisch gebrühtem Sonnenblumentee mit Lavendelhonig?”, fragte ich Malvin dankbar und erleichtert.

“Ja, Meister, sehr gerne. Und wenn ihr mögt, dann können wir gemeinsam auch noch eine Fensterscheibe zerbrechen.”

Lachend fielen wir uns in den Arm. Drachenstaub lag in der Luft. Aber auch der Duft von Sonnenblumentee mit Lavendelhonig.

Die Rezeptur

Das bittere Elixier hinterlässt in ihrem Rachen ein pelziges Gefühl und erhitzt den Magen unangenehm. Aber was hatte sie erwartet? Der Trank mit Beeren zu vermischen, würde den Effekt abschwächen, das stand fest. Die Herausforderung ihres Lehrmeisters Jacobo spornt sie an, Tag und Nacht an der Perfektion des Gebräues zu arbeiten. Sie steht vor dem trüben Spiegel und betrachtet sich im Schein des Feuers. Die faltigen Wangen, die eingefallenen Augen, deren einstiges Grün war mittlerweile verblasst zu einem Steingrau beinahe so hell wie ihr langes Haar, das schlaff über ihre Schultern fiel. Die knorrigen Finger umfassen die Phiole, mit der sie die Essenz aus der Retorte aufgefangen hatte. Die Wärme strömt jetzt - ihrer Schärfe genommen - durch die Arme und Beine. In den Ohren beginnt es zu rauschen.
„Hab ich zuviel von davon getrunken?“
Gerade will sie ihre Rezeptur überprüfen, als es an der Tür klopft. Es klopft noch zweimal, diesmal ungeduldiger und deutlich lauter.
„Ich komme, etwas Geduld!“
Sie stellt die Phiole ab, durchquert mit ein paar Schritten die Hütte und greift nach dem Riegel, verwundert wie wenig Kraft sie braucht, um ihn zu heben.
„Jacobo, was für eine Ehre! Seid gegrüßt!“ Verlegen streicht sie mit der Hand über ihre von Flecken übersäte Schürze. „Kommt herein, Ihr seid immer herzlich willkommen!“
Schon ist sie am Weg zurück zur Herdstelle und nimmt den Wasserkessel von der Flamme, um Tee aufzugießen.
„Felice, Ihr seht blendend aus! Um Jahre jünger!“
„Jacobo, wie charmant! Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht doch eine Brille braucht?“
Lächelnd stellt sie die dampfenden Tassen auf den Tisch.
„Ihr Extrakt hat mir gute Dienste geleistet. Ich bin, glaube ich, der Quinta Essentia einen großen Schritt nähergekommen.“
Sie zuckt mit den Schultern und seufzt,
„Aber bisher war die Wirkung nicht anhaltend“, sie dreht sich um und deutet auf ihre Apparaturen und Gefäße, „hier erwartet mich viel Arbeit.“
Ein Stöhnen entkommt ihr noch bevor sich Jacobos Hände wie stählerne Zangen um ihren Hals legen und zudrücken, bis sich ihr Körper dem Sauerstoffmangel ergeben muss. Er fängt ihren schlaffen Leib auf und legt sie behutsam auf den alten Tisch in der Stube. Ihre langen Haare fallen in üppigen blonden Locken über den Tischrand, die Augen starren an die Decke, so grün wie Jade im Sonnenschein.
Gierig schaut Jacobo sie an, bewundert die makellose Haut in ihrem Gesicht und die zarten feingliedrigen Finger.
„Wie schade! Dass du so eine hübsche junge Frau warst, habe ich nicht erwartet“, murmelt er. Mit flinken Händen schlitzt er ihre Pulsader am rechten Handgelenk auf und lässt das heraustropfende Blut in ein Gefäß mit der Aufschrift „Aurum Potabile, contra senescentis et morbos omnis generis“ fließen.
Beim Verlassen des Hauses kichert er und flüstert,
„Wer hätte gedacht, dass nicht Rotwein gemeint war in der alten Rezeptur.“

Wenn das Schicksal klopft

Boom. Boom. Frederick hob ruckartig den Kopf, nur um ihn gleich darauf mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder auf den Tisch sinken zu lassen. „Aua…“ Die Augen fest zugepresst, massierte er sich die Schläfe. Boom. Boom. Boom.
Die krachenden Schläge hallten dröhnend in seinem schmerzenden Schädel wieder. „Ich bin nicht da!“, brummte er benommen und dachte gar nicht daran, aufzustehen und zu schauen, wer da zu solch unheiliger Stunde gegen seine Tür hämmert. Frederick war viel zu sehr damit beschäftigt, sich selbst leid zu tun. „Mein Kopf… oh man. Der explodiert noch, wenn dieser dämliche Idiot nicht aufhört zu auf die Tür einzudreschen.“ Dabei hatte er sogar ausnahmsweise nicht einmal gebechert. Letzte Woche, nach dem denkwürdigen Abend in der Dorfschenke, an den er sich leider beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte… ja, da hatte er den Kater vielleicht verdient gehabt. Aber heute? „Dieser Trank gestern muss schlecht gewesen sein… Vielleicht, hätte ich ihn nicht selbst ausprobieren sollen…“ Fahrig zog er ein vergilbtes, abgegriffenes Buch mit welligen Seiten unter seinem Kopf hervor. Frederick stöhnte gequält, als die eh krakelige Schrift vor seinen Augen ganz gar verschwamm. Rückblickend war es wohl keine gute Idee, einen Trank zu testen, bei dem der Name und die Wirkung nicht mehr lesbar waren, weil sie entweder von Flecken unbekannter Herkunft unkenntlich gemacht oder einfach ganz weggebröselt waren.

BOOM! BOOM! Der junge Alchemist zuckte erschrocken zusammen und landete schmerzhaft neben seinem Hocker auf dem Hosenboden. Der Besucher an seiner Tür wollte scheinbar wirklich dringend etwas von ihm. „Ja, ja, schon gut! Ich komme doch.“ Widerstrebend rappelte sich Frederick auf und schlurfte zu der schweren Holztür. Das quietschende Geräusch, als er die schmiedeeisernen Riegel zurückzog, schoss wie ein Blitz durch seinen Schädel. „Ach verdammt…“ Er riss die Tür unwirsch auf und setzte bereits zu einer ziemlich unfreundlichen Schimpftirade an, doch die Worte blieben ihm im Halse stecken.

Im Schneetreiben vor seiner Haustür stand ein gebeugter alter Mann mit wirrem weißen Bart, der irgendwie grotesk aus der grauen Kapuze seiner Kutte herauswuchs. Er ließ langsam den knorrigen Stab sinken, mit dem er auf das Holz der Eichentür geschlagen hatte. Bei genauerer Betrachtung war es eigentlich mehr eine Wurzel, denn ein Stab. „Was zum…“, hob Frederick an, doch eine Handbewegung brachte ihn sofort zum Verstummen. Zu perplex, um eine schlagfertige Antwort hervorzuzaubern, ließ sich der junge Alchemist von dem Fremden in seine eigene Hütte hinein scheuchen. Er wich immer weiter zurück und fiel schließlich rücklings über die Armlehne in einen der Ohrensessel vor dem Kamin. Frederick schnaubte empört. Niemand hatte ihn je in seinem eigenen Zuhause so herum gescheucht. Niemals.

Auch jetzt konnte er sich nicht erklären, warum ihm die bloße Anwesenheit des Fremden so viel Gehorsam abnötigte, obgleich dieser noch nicht einmal ein Wort gesagt hatte. „Das reicht jetzt aber, wirkl…“ Der Fremde hob die Hand und Frederick verstummte sofort wieder. Verflixt, was war das nur mit diesem Typen? Schwer auf seinen Stab gestützt, ließ sich der alte Mann in den Sessel sinken, der Frederick gegenüberstand. „Folterinstrument!“, schoss es dem Alchimisten durch den Kopf. Überempfindlich durch seine Kopfschmerzen, klang jede Feder des Möbelstücks, die sich unter dem Gewicht des Alten dehnte, wie eine grausame mechanische Apparatur, die quälend langsam aufgezogen wird.

BOOM. Krachend landete der Stab des Alten auf dem steinernen Fußboden. Sofort hatte er Fredericks ungeteilte Aufmerksamkeit. „Verdammt nochmal, was soll das? Zum Teufel, ich habe Kopfschmerzen!“ Der Blick des Alten sagte: „Und das geschieht dir ganz recht.“ Zumindest interpretierte Frederick die zusammengezogenen Brauen seines Gegenübers so. Was war das nur mit seinen Augen? Frederick blinzelte angestrengt. Die Augen des Alten waren braun. Haselnussbraun hatte seine Mutter immer gesagt, und tatsächlich war es die gleiche Farbe, die Frederick aus dem morgendlichen Blick in den Spiegel kannte. Perplex schüttelte er den Kopf. „Verrückter Gedanke“, schielt er sich.

Der geheimnisvolle Fremde streifte langsam die Kapuze zurück und blickte den jungen Alchemisten ernst an, während er noch immer den knorrigen Stab fest umklammert hielt. „Frederick“ Dem Angesprochenen klappte augenblicklich die Kinnlade herunter. „Woher kennst du meinen Namen?“
Die Mundwinkel des Alten umspielt ein wissendes Schmunzeln. Unwillkürlich tastet Frederick nach dem Grübchen auf seiner rechten Wange. „Das sieht doch genau aus, wie…“ Die Ähnlichkeiten zwischen ihnen war schon beinahe gruselig. „Wer bist du?“, hob Frederick misstrauisch an. Er fühlte sich auf einen Schlag stocknüchtern.
Der Alte bebte vor unterdrücktem Lachen. „Frederick… Weißt du das wirklich nicht?“ Der junge Alchimist schüttelte verdattert den Kopf. „Doch, ich glaube schon. Ich bin Schicksal.“ Der jüngere Mann japste: „Was?!“ „Naja, genau genommen bin ich DEIN Schicksal. Du hast mich gerufen. Nebenbei, das war eine deiner besseren Entscheidungen in letzter Zeit, wer weiß, was sonst passiert wäre.“ Frederick der Ältere lehnte sich ächzend in dem Sessel zurück und genoss das Entsetzen im Gesicht seines jüngeren Selbsts sichtlich. „Mund zu, es zieht“, grinste er und stieß ihm mit dem Stock kräftig vors Schienbein. Die alten Augen funkelten lebendig und glichen dem jungen Frederick nun noch mehr. „Wie… was… Hä?“ Frederick war immer noch außer Stande, seine Gedanken sinnvoll zu artikulieren.

„Zu deiner Frage: Der Trank, den du gestern glücklicher-, wenn auch höchst unvorsichtigerweise zusammengepanscht hast, war der Trank der Zukunft. Ich BIN deine Zukunft, deshalb bin ich hier.“ „Meine… Zukunft…?“ Fredericks Kopf rollte unstet zwischen den Ohren des Sessels hin und her. „Natürlich deine Zukunft. NOCH lässt dein Bartwuchs ja auch ehrlich zu wünschen übrig, aber das kommt schon noch. Nur hier unten am Kinn solltest du… Ach lassen wir das.“ Die entstandene Stille könnte man mit einem Messer schneiden. Fredericks Mund klappt tonlos auf und zu, ehe er irgendwann einfach nur völlig verwirrt in das Gesicht starrt, dass ihm zugleich so vertraut und doch so fremd ist.
„Na, geht’s langsam wieder?“, fragte der Alte und kichert spitzbübisch in sich hinein. Doch Frederick schüttelt nur sprachlos den Kopf. Der alte Frederick setzt sich etwas gerader im Sessel hin. „Wie dem auch sein mag. Wir haben leider nicht so viel Zeit, wie ich eigentlich bräuchte, also sieh zu, dass du deine sieben Sinne wieder zusammen bekommst und spitz die Ohren!“
Der plötzliche, strenge Tonfall wirkte auf Fredrick, wie ein Eimer eiskaltes Wasser. „Och, nun reiß dich zusammen! Ich bin hier, um dich zu warnen.“
Da platzte dem Jungen Mann der Kragen. „Warnen? Du mich? Warum?“ Frederick der Ältere setzte eine altehrwürdige Miene auf: „Du rennst sehenden Auges in dein… ähm ich meine … unser Unglück.“ Frederick stieß ein ungläubiges Lachen aus und lehnte sich provokativ nach vorne. „Ach. ICH renne in unser Unglück? Soso. Also hältst du mir jetzt einen Vortrag darüber, dass du dich mit der Weisheit deines Alters dazu herablässt, um MIR den rechten Weg zu weisen?“ Der Alte wollte zu einer Antwort ansetzen, wurde jedoch gleich wieder unterbrochen. „Warte! Ich habs. Gleich kommt ein Vortrag dazu, dass ich nicht so viel Alkohol trinken und die Finger von der Zaubertrankbrauerei lassen soll, richtig?“ Wieder öffnete das Schicksal den Mund zu einer Antwort, kam jedoch nicht weit. „Nein, noch besser! Am besten soll ich gleich den Beruf des Alchemisten an den Nagel hängen und Mönch werden. Die Kutte habe ich in der Zukunft ja schon. Na, hab ich recht?“ Erwartungsvoll schaute er sein älteres Ich an und als der stumm blieb, stieß er ihm auffordernd gegen das Schienbein. „Na sag schon, alter Mann. Welche Strafpredigt ist es?“
Frederick der Ältere lüpfte eine seiner weißen Augenbrauen. „Ach, bist du nun fertig?“ „Ja, irgendwie schon.“ Ächzend beugte sich der Alte nach vorn, sodass ihre Nasen sich beinah berührten. „Himmel war ich mal ein ätzender Zeitgenosse.“ „Naja, manche Dinge ändern sich, wie es scheint, nie“, konterte der jüngere Frederick und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Der Alte seufzte tief, sparte sich aber die Antwort. „Du rennst in unser aller Unglück, wenn du so weitermachst, wie bisher. Du darfst nicht mit dem Tränkebrauen aufhören, das ist wichtig, hörst du! Egal, was passiert. Außer, wenn du uns, ähm, dich in die Luft sprengst, aber sonst musst du weitermachen.“ Frederick stutzt. Damit hatte er nun wahrlich nicht gerechnet. „Aber…?“ Der Alte piekte ihm mit seinem Stock gegen die Brust. „Aber du musst dabei endlich dein Gehirn benutzen! Lies genau was dasteht und such dir deine Kunden sorgfältiger aus!“ Frederick rieb sich die schmerzende Stelle auf seinem Brustbein. „Warum?“ Doch der Alte stemmte sich bereits aus seinem Sessel hoch und wandte sich zum gehen. „Weil das Schicksal einen Faden in deine Hände gelegt hat und du bist auf dem besten Weg, es nach allen Regeln der Kunst zu versauen!“ Und mit den Worten „Also streng dich gefälligst an!“ war der Alte zur Tür hinaus und verschmolz mit der Finsternis der Raunacht.

Frederick starrte dem Schicksal noch lange hinterher, bis der Wind die schwere Tür zuschlug und ihn mit seinen Gedanken allein zurück ließ.

Das alchemistische Experiment „Kategorie 212B.02a“

„Wie oft habe ich schon gesagt, ich möchte nicht gestört werden!“ Meister Gestref war mitten in einem gefährlichen Experiment. Er konnte es absolut nicht leiden, wenn er dabei behelligt wurde. Und es war bedenklich. Die Sekretärin und der Security-Mann am Eingang des Nord-Flügels müssten das wissen. Bei Versuchen der Kategorie 212B-0.2a waren höchste Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten. Dazu zählte, nicht gestört zu werden. So konnte verhindert werden, dass Unbeteiligte zu Schaden kamen. Seit sie in diesen neuen und modernen Niedrig-Energie-Büro-Komplex gezogen waren, gab es aber so gut wie kein ungestörtes Arbeiten mehr. Vorbei waren die Zeiten weit abgelegener Türme, samt mysteriöser Alchemistenstuben, in mittelalterlichen Gemäuern.

Zumindest waren ihnen die höchsteffizienten Großraumbüros erspart geblieben. Da hatte das Alchemie-Magistrat zum Glück nicht auf die externen Berater gehört. Diese hatten den Umzug als wesentlichen Faktor bei der Modernisierung der gesamten Alchemisten-Gilde angepriesen. Sicherheit spielte bei dieser Entscheidung hoffentlich eine gewichtige Rolle. Aber in diesen Zeiten? Man wusste ja nie.

Habe ich vergessen, das Experiment in das SAP-gestützte Verwaltungsprogramm einzugeben? Ein Blick auf die Leuchte über seiner Sicherheits-Bürotür offenbarte das rote Lämpchen. Der Test war im System hinterlegt. Eigenartig.

Gestref riss er seine Bürotür auf. Er hatte 3 Minuten. Wenn seine Berechnungen korrekt waren.

„Wer sind sie, was wollen sie? Und, halten sie sich kurz! Wir haben ein Zeitfenster von …, Gestref schaute auf seine Smart Watch, ein Geschenk seiner Tochter, damit er die tägliche Anzahl seiner gesundheitsfördernden Schritte im Visier hatte, „2 Minuten. Vor Ablauf der 2 Minuten muss ich diese Sicherheitstüre wieder schließen.

Gestrefs Blick richtete sich auf den Störenfried, der seelenruhig vor der Tür gewartet hatte. Mit regelmäßigen Klopfzeichen an der Tür, unterbrach er seine Arbeit.

„Mein Name ist Heinrich Niederholzer und ich bin der neue Sicherheitsbeauftragte des Alchemie-Magistrats. Und sie, werter Alchemie-Meister Gestref, hätten diese Tür bei ihrem Versuch, gemäß des Antrags Nr. 1999/1/23 vom 9. Februar 2012 nicht öffnen dürfen. Da es sich um ein als gefährlich einzustufendes Experiment der Kategorie 212B-0.2a handelt. Damit verstoßen sie gegen das Qualitäts- und Sicherheitshandbuch des Alchemie-Magistrats. Da es sich dabei um einen gravierenden Missachtung handelt, muss ich sie bitten, unverzüglich mitzukommen. Wir müssen das, entsprechend des dafür vorgesehenen Protokolls mit der Stabstelle „Interne Sicherheit“ klären.“ Der Beamte hatte, während er den Vortrag abspulte, ein Formular ausgefüllt und hielt es Gestref unter seine Nase. „Bitte unterschreiben und mitkommen.“

„Nur damit ich das richtig verstehe, sie klopfen solange an bis ich aufmache. Und das halten sie mir dann vor?“ Gestref brauchte ein paar Sekunden, um sich zu sammeln.
„Nun, einfach formuliert. Aber ja. Sie verstoßen damit gegen …“
„Sparen sie sich den Zinnober, Herr … Niederholzer.“ Scheiß Bürokraten. Wo sollte das hinführen? Seine Zunft war dem Untergang geweiht. Das Alchemistentum hatte sich seit längerem in eine Richtung entwickelt, die ihm immer weniger gefiehl. Es war an der Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.

„Kommen sie doch herein, Herr Niederholzer. Darf ich ihnen eine Tasse Tee anbieten?“ Gestref gab sich betont freundlich.

Gestref blickte erneut auf seine Uhr. Er wagte er einen kurzen Blick auf den langen und Bürogang. Es war niemand zu sehen. Die Wirkung es Elixiers sollte in wenigen Sekunden eintreten. Wenn es funktionierte und der Extrat seine Wirkung entfaltete, und ich es rechtzeitig schaffen sollte, Herrn Niederholzer in mein Büro, verdammt, in meine Alchemistenstube, gelotst zu haben, und die Tür vorher schließen konnte. Dann würde Herr Niederholzer wie vom Erdboden verschwunden sein.

Alche Mist

Alche stand vor einem riesigen Topf. Es brodelte. Die Flüssigkeit im Topf ließ Blasen entstehen und wieder platzen. Die Brühe im Topf verfärbte sich proportional zum Anstieg der Temperatur von dunkel nach hell. Ein begeisterndes Schauspiel.
Da klopfte es an der Haustür. Alche öffnete. „Sind Sie Herr Mist?“, fragte eine junge Frau.
„Ja, der bin ich. Was kann ich für Sie tun?“
„Sie hatten mir vor acht Monaten ein Medikament verabreicht!“, sagte die Frau.
Alche stutzte. Er konnte sich an keine Frau erinnern, der er in den letzten Monaten etwas verkauft hatte.
„Tut mir leid!“, sagte er. „Sie müssen sich Irren!“
„Nein, nein da bin ich mir ganz sicher. Ich wollte ihnen nur mitteilen, dass Ihr Wirkstoff gewirkt hat!“
Alche verstand nichts. Die Frau bemerkte das und sah ihn grinsend an.
„Schauen Sie mich an, Herr Mist!“
Alche gab sich alle Mühe. Er konnte nichts Auffälliges an der Dame erkennen.
„Tut mir leid!“, sagte er. „Sie sind eine hübsche junge Frau. Ich kann sonst nichts auffälligeres erkennen!“
„Sehen Sie Herr Mist und das ist Ihr Verdienst!“
Die Frau hatte längst das Zimmer betreten.
„Wie war gleich Ihr Name?“, fragte Alche.
„Ich bin Herr Resul Tat!“, sagte die Hübsche.
Im Nu fiel es Alche wie Asche vom Haupt.
„Ihnen hatte ich vor beinahe einem Jahr das Präparat verkauft. Ich hatte Jahre daran gearbeitet und geforscht und dann war es so weit!“
„Ja, das Ergebnis sehen sie hier!“ Mit stolz drehte die Junge eine Pirouette, warf ihre Arme in die Luft und juchzte vor Vergnügen.
Alche holte tief Luft und musste sich an der Kante seines Labortisches festhalten. Vor ihm stand sein Werk, das er längst vergessen hatte. Nach all den Monaten. Jetzt war sie hier.
„Frau Tat, ich bin überwältigt!“
„Sagen Sie Resuli zu mir!“, sagt die Frau.
„Sehr, sehr gerne!“, sagte Alche Mist und Tränen der Freude tropften auf den Fußboden. Es war zu sehen, wie sich die Flüssigkeit langsam in sämtliche Farben des Spektrums verfärbten.
Die Flüssigkeit im Topf war längst verdampft.

Auf Bullshit

Ein unangemeldeter Besucher klopft an die Tür des Alchemisten. Einmal, zweimal, ein drittes Mal. Der Alchemist, der sich versehentlich eine Überdosis seines jüngsten Elixiers verpasst hat, öffnet die Tür.

Alchemist (etwas aufgedreht; sich umsehend, als würde er jemanden in seiner Behausung vermuten)
Was gibt’s?

Besucher (arglos … noch; hält ein Flugblatt in der Hand; tritt ansonsten sehr selbstbestimmt auf)
Guten Abend. Ich bin von der Initiative „Augen auf!“, die sich mit der allgemeinen Wahrheitsvertuschung in unserer Gesellschaft befasst. Ich möchte Sie hier mit den wichtigsten Informationen zu unseren Anliegen versorgen. Lesen Sie dies hier (drückt ihm das Flugblatt in die Hand) und seien Sie bitte vorsichtig. Haben Sie einen schönen Abend! (dreht sich um und will wieder gehen)

Alchemist (schüttelt mit dem Kopf, wie beim Erwachen; streckt die Hand aus)
Moment! Warten Sie! Was meinen Sie mit Wahrheitsvertuschung? Von welcher Wahrheit reden Sie?

Besucher (kommt zurück; sichtlich überrascht, dass sich jemand mit dem Hausierer unterhalten möchte; dadurch etwas unvorbereitet)
Nun, wir sprechen fast von jeder Wahrheit. Im Grunde ist die Wahrheit an sich bedroht. Unsere Überzeugungen, all unsere deutlichsten Einsichten … am Ende die Demokratie, die …

Alchemist (unterbricht ihn; nimmt dabei Haltung an)
Werden Sie bitte deutlicher, junger Mann! Ich befasse mich schon seit sehr langer Zeit mit der Wahrheit; wahrscheinlich schon länger, als sie auf dieser Welt sind. Sie ist eines meiner Fachgebiete. Ich würde mich also doch schon wundern, wenn mir da etwas entgangen sein sollte.

Besucher (um Haltung bemüht, aber dennoch bestimmt)
Es ist doch der allgemeine Diskurs, der unser Denken lenkt. Also sehen Sie. Wann immer jemand von einer Geistererscheinung spricht oder davon, dass der Mensch nicht vom Affen abstammt oder davon, dass er ein UFO gesehen hat, wird er doch sofort in Bereiche des öffentlichen Diskurses verbannt, die ihn sofort unschädlich machen: in die Regenbogenpresse, in die Esoterik-Ecke oder gar in die Irrenanstalt. Zuletzt werden sie als Querdenker gebrandmarkt. Wir müssen daher wachsam sein. Das kann nicht von alleine so kommen. Das muss von ganz oben gelenkt sein.

Alchemist
Von Gott?

Besucher (mit überraschtem Blick und nach einer kurzen Pause)
Ach was! Wer glaubt denn an den? Nein, von der Regierung im Verbund mit den großen Konzernen, die nur eines wollen: unseren Willen. Man will uns durch Desinformation willenlos machen. Damit wir tagein und tagaus nur konsumieren. Sehen Sie z.B. die ganze Diskussion über den Klimawandel. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass da auch nur ein Fünkchen Wahrheit dran ist.

Alchemist
Hm … in der Tat. An diese Diskussion glaube ich tatsächlich auch nicht. Aber ich würde nicht gleich an eine Desinformationskampagne denken. Der Klimawandel hat andere Ursachen.

Besucher (kneift etwas verwirrt die Augen zusammen)
Ähm …welche, wenn ich fragen darf.

Alchemist (nimmt eine dozierende Haltung ein)
Nun. Die Erde ist ein lebendiger Organismus, ein geistiger dazu. Eigentlich fühlt das ein jeder. Darum personifizieren wir sie auch, wenn wir über sie reden. Wir neigen dazu, sie Mutter zu nennen. Das ist kein Zufall. Es ist aber nicht der höhere CO2-Gehalt, auf den sie im Augenblick reagiert. Wer das denkt, irrt sich gewaltig. Darum glaube ich auch nicht, dass man uns desinformieren möchte. Man weiß es nur nicht besser. Die Seele der Erde ist aus dem Gleichgewicht, weil wir der Erde zu viele wertvolle Mineralien und Stoffe entnehmen. Ich registriere das schon lange. Als ich vor etlichen Generationen das erste Mal versuchte, Gold aus Ochsenkot zu gewinnen, da musste ich eine ganze Menge an Energie und Hitze in den Prozess stecken. Heute ist die Erde geladen. Man kann fast schon sagen, sie ist wütend. Sie zeigt und vor allem in unseren Breiten …

Besucher (unterbricht nun seinerseits)
Moment! Wollen Sie etwa sagen, Sie hätten bereits einmal gelebt? Verzeihung aber das ist …

Alchemist
Natürlich! Jeder von uns hat schon einmal gelebt; wahrscheinlich sogar schon einige Male. Und vielleicht ist das eine dieser Wahrheiten, von denen Sie gesprochen haben und die uns heute entgleiten. Ich würde aber nicht sagen, dass irgendeine Regierung dies vertuschen möchte oder irgendein Konzern. Die Menschen wissen es durch ihre aus dem Gleichgewicht der Säfte und Kräfte geratenen Lebensweisen nur nicht mehr. Auch Sie haben schon einmal gelebt.

Besucher (mit hochgezogenen Augenbrauen; schon etwas sieges- oder zumindest punktsicher)
Und woher, bitte schön, wollen Sie das wissen?

Alchemist (jetzt mit ruhigerer Stimme, als hätte er sich gefunden)
Verzeihen Sie meine Offenheit. Aber Sie neigen offensichtlich zu einem recht regen Themenwechsel, der es etwas schwierig macht, mit Ihnen zu disputieren. Daher soll hier an dieser Stelle nur eines genügen. Und ich möchte Sie bitten, dies einfach mal so hinzunehmen: Die Evidenz auch Ihres Wiederlebens ist bereits seit Jahrtausenden bekannt und wurde an prominenter Stelle vom Philosophen Platon dargelegt, an dessen Lektüre ich Sie aus Zeitgründen am liebsten verweisen möchte. Doch: Denken Sie nur einmal darüber nach: Können Sie sich einen perfekten Kreis vorstellen?

Besucher (schaut fragend)
Ja, schon …

Alchemist (dozierender als zuvor)
Und das, obwohl Sie bestimmt in der Welt noch nie einen perfekten Kreis gesehen haben?

Besucher (schaut fragender)
Naja … sicherlich … vielleicht …

Alchemist (mit ausgestrecktem Zeigefinger)
Und sehen Sie! Das ist doch eigentlich unmöglich, dass man etwas wirklich weiß, was man noch nie gesehen hat. Welchen Schluss müssen wir also daraus ziehen? Ich sage es Ihnen! Sie haben schon einmal gelebt und im Übergang von einem zum nächsten Leben haben Sie die Welt der reinen Ideen gesehen. Und immer, wenn Sie etwas Kreisförmiges sehen, erinnern Sie sich daran und erkennen es wieder. Hätten Sie noch nie gelebt, wäre das gar nicht möglich!

Besucher (ungeduldig)
Jetzt ist aber mal gut! Sie reden ja wirres Zeug. Sie behaupten da Dinge, die man als normaler Mensch ja gar nicht mehr versteht. An den Haaren herbeigezogen. Haben Sie denn schon mal einen Menschen getroffen, der schon einmal gelebt hat, und der Ihnen gesagt hat, er habe schon mal gelebt.

Alchemist
Das muss ich nicht. Ich habe es ja selbst schon getan. Und da ich mich nicht für besser als alle anderen halte, schließe ich notwendig daraus, dass dies ein Privileg ist, das alle Menschen genießen. – Es wäre mir nun aber lieb, wenn wir zu unserem eigentlichen Thema zurückkommen könnten.

Besucher (sichtlich verlegen)
Welches meinen Sie?

Alchemist
Die Ursachen des Klimawandels. Sie scheinen den Irrtum verbreiten zu wollen, es gäbe ihn gar nicht und er sei nur eine Erfindung von Konzernen und Regierungen. Aber nun frage ich sie erstens: Woher haben Sie diesen Unsinn nur? Zweitens: Warum sollte eine Regierung so einen Unfug verbreiten? Und drittens: Welche Regierung könnte so genial arbeiten, dass sie in der Lage wäre, eine so gewaltige Lüge aufrechtzuhalten?

Besucher (wird jetzt bestimmter, als hätte er wieder Boden unter den Füßen)
Das ist kein Unsinn. Wo informieren Sie sich? Ich rate mal. Sie kennen wahrscheinlich nur die Mainstream-Medien, oder.

Alchemist
Ich lese jeden Tag Zeitung und meinen Kaffeesatz.

Besucher
Dachte ich mir’s doch. Hören Sie. In Ihrem Kaffeesatz können Sie ja solange lesen, wie Sie wollen. Aber lassen Sie die Finger von Zeitungen. Schauen Sie in das Prospekt. Da sind einige Links zu einigen Internetseiten, die in der Regel ungefilterte Informationen anbieten.

Alchemist
Und das Internet würden Sie nicht als ein Mainstream-Medium betrachten? Hm … Aber nehmen wir einmal an, die Zeitungen sind ein wichtiges Medium der Regierungen. Wie kommt es, dass in den Zeitungen so unterschiedliche Dinge stehen? Da kann doch nicht nur eine Regierung hinter stehen.

Besucher (mit geheimnisvollem Blick)
Es würde jetzt zu weit führen, Ihnen das im Einzelnen zu erklären. Aber wenn Sie die Menschen manipulieren wollten, würden Sie das dann so offensichtlich tun und in jede Zeitung schreiben: „Der Klimawandel ist menschengemacht“ oder „Der Mensch stammt vom Affen ab“? Nein, das würde niemand. So blöd sind die nicht. Die inszenieren natürlich einen scheindemokratischen Diskurs, in dem auch scheinbar andere Meinungen vorkommen. Aber … und da müssen Sie mir doch zustimmen: Das, was wirklich wahr ist, kommt in keiner Debatte vor, egal, wie gegensätzlich dort diskutiert wird. Gegenstimmen sind in Wirklichkeit niemals Gegenstimmen, sondern eher Einwände, die die Zweifel an einer Position in die falsche Richtung lenken sollen. Das ist ein perfides System.

Alchemist (leicht verärgert)
Also gut. Ich fasse einmal zusammen. Sie meinen, dass eine Regierung oder irgendetwas darüber etwas im Schilde führt und uns darum weißmachen will, es gebe einen Klimawandel, den es in Wirklichkeit nicht gibt. Und die Gründe, die Sie dafür anführen, sind nichts weiter als … als was bitte? Willkür? Und Sie begründen das als jemand, der offenkundig das Wichtigste nicht verstanden hat, nämlich die Gesetze der Schöpfung und des Kosmos. Sie meinen … (er wird jetzt lauter) … Sie könnten hier meine wertvolle Zeit stehlen, indem Sie mir etwas von Verschwörungen erzählen. Und Sie haben nichts zu bieten als haltlose Beschreibungen. Ich sage bewusst Beschreibungen. Denn Ihre Ausführungen haben weder Erklärungswert noch logische Konsistenz, geschweige denn irgendeine Form von Plausibilität.

Besucher (jetzt auch lauter, so dass in der Umgebung, die ersten neugierigen Lichter angehen und Fenster geöffnet werden)
Wenn Sie der Meinung sind, Sie wüssten irgendetwas über die Dinge der Welt, dafür aber in Glaskugeln schauen müssen oder in Ihren Kaffeesatz, dann tut es mir leid für Sie. Um Sie herum tobt ein Krieg gegen den kleinen Mann und Sie merken es nicht. Sie hocken hier in Ihrer behaglichen Stube und beschäftigen sich mit Zauberei anstatt sich vorzubereiten.

Alchemist (unterbricht energisch)
Was haben Sie gegen die alte ehrwürdige Zauberei? Wenn ich Sie reden höre, habe ich den Eindruck, Sie stehen unter den starken Eindruck von äußeren Eingebungen, die Sie daran hindern, klar mit Ihren eigenen Augen zu sehen. Jemand hat Sie blind gemacht und lässt Sie halluzinieren, es gäbe Machenschaften, von denen nur Sie und ein kleiner erlesener Zirkel wissen. Haben Sie sich nie mit den Kräften der Unterwelt befasst?!

Besucher (lauter noch als zuvor)
Papperlapapp! Unterwelt! Die Witzfigur sind hier jawohl Sie. Wer glaubt denn hier von uns beiden, dass man aus Bullenscheiße Gold machen kann? Doch wohl …

Alchemist
Und wer glaubt daran, aus Bullenscheiße Informationen gewinnen zu können? Tun Sie mir einen Gefallen. Gehen Sie Ihres Weges und behelligen Sie einen Idioten, der Ihnen Ihren Blödsinn abkauft.

Besucher
Ich werde Ihnen gleich mal einen Idioten z…

Stimme aus einem Fenster (lauter noch als die beiden Vorigen)
Halten Sie bitte endlich das Maul! Es ist spät. Ich habe gerade zwei Kinder ins Bett gebracht. In vier Stunden klingelt bei mir der Wecker, denn normale Menschen haben einen Job, damit die Kinder was zu essen bekommen.

Zweite Stimme aus einem anderen Fenster (lauter noch als die erste Stimme)
Richtig! Und wenn das nicht schneller geht, werde ich Ihnen beiden zeigen, wie man Ihnen mit einer zusammengerollten Mainstream-Zeitung den Allerwertesten versohlen kann.

Dritte Stimme wieder aus einem anderen Fenster
Und wenn das nicht reicht, spendiere ich noch eine Ladung Schrot! Sehen Sie zu, dass Sie nachhause kommen und etwas Sinnvolles machen!

Hund
(bellt in der Ferne)

Besucher (mit lautem Gesicht)

Alchemist (mit lauterem Gesicht)

Der Autor beschließt an dieser Stelle den Dialog abzubrechen, weil er versteht, dass dieser an kein Ende kommen kann. Außerdem würde sich im weiteren Verlauf im Hintergrund der wütende Mob formieren. Dieser, mit ebenso wenig Verstand und in der Meinung, für die Vernunft gegen die beiden ersten zu streiten, würde diese beiden verirrten Seelen die halbe Nacht durch die Straßen jagen und wahrscheinlich im Zuge des entstehenden Aufruhrs einige Verbrechen und Ordnungswidrigkeiten begehen. Die Mainstream-Medien würden die rohe Gewalt anklagen. Die alternativen Medien, deren Links auf dem Flugblatt des Besuchers, stehen, würden fortan auch die Alchemisten in die gefährdete Menge der Streiter für Wahrheit und Demokratie integrieren und damit für noch mehr Vielfalt in ihren Reihen sorgen. Der Mob würde am nächsten Tag Zeitungen lesen und eine verstohlene Befriedigung darüber empfinden, dass er nun ein wenig aus der Bedeutungslosigkeit heraustreten und in den Medien erscheinen durfte. Die öffentliche Meinung würde das ein bis zwei Jahre beschäftigen, bis sie das nächste Thema mit Unterhaltungswert gefunden hat. Die Erde wird sie am Ende alle wieder in sich aufnehmen und sich fragen, woher sie dieses entsetzliche Sodbrennen hat.

„WAS?!“

„Artur, hier! Der versprochene Salbei. Es tut mir leid, dass ich nicht eher kam. Aber die Grotte ist gut bewacht, das weißt du doch.“

Artur schaute den Knaben fragend an und war sichtlich schockiert. Er wusste, irgendwas hatte er vergessen, doch seine Krankheit und somit seine Vergesslichkeit schritten immer weiter voran.
Ehe sich der alte Alchemist versah, war der Knabe bereits in seiner Hütte und schaute auf Arturs Tisch. „Sag bitte nicht, dass …“
Artur antwortete nicht, folgte dem Jungen an den Tisch und schaute sich nochmals seine Aufschriebe an.
Der Alchemist versuchte sich zu besinnen und konzentrierte sich auf die Worte darauf. Seine Schrift war sehr unleserlich, doch nun erkannte er es. Der Salbei fehlte, aber nicht der Salbei aus seinem Garten, nein. Der Salbei aus der heiligen Grotte im Süden, die im Berg versteckt ist.
100 Milliliter Gesamtmenge? Oh, heiliger Kessel. Er war sich sicher, vorher stand da noch 700 ml.
„Erinnerst du dich etwa nicht an mich, ich bin`s Torin. Wir haben Jahrelang an der Rezeptur deines Elixiers gearbeitet. Das Elixier, dass dich von deiner Vergesslichkeit und deinen Schmerzen befreien sollte. Es sollte dir die Heilungsfähigkeit eines Axolotls verleihen. In den zwei Jahren hat sich dein Zustand scheinbar stark verschlechtert Artur.“

Der alte Alchemist rieb sich die Schläfen. So langsam entwickelte sich ein Gesamtbild.
Die Leere in seinem Kopf wurde von Panik gefüllt, er brachte nur noch einen Satz heraus:
„Torin, ich fühle mich nicht gut.“
Und schon begann sich sein Körper in alle Richtungen zu verrenken.

Von nun an lebt Artur in der Gestalt eines Axolotls als Torins Haustier, bis dieser ein Gegengift entwickeln konnte. Doch leider war Artur zu stolz ihm, als er noch die Möglichkeit dazu besaß, die Lehren der Alchemisten zu vermitteln.
Man sagt sich, er lebe noch immer in der Gestalt eines Axolotls und warte auf den Tod. Doch scheinbar hat sein Elixier ihm sogar die Unsterblichkeit gebracht.

Vertane Zeit

Ein unangemeldeter Besucher klopft an die Tür des Alchemisten. Einmal, zweimal, ein drittes Mal. Der Alchemist, der sich versehentlich eine Überdosis seines jüngsten Elixirs verpasst hat, öffnet die Tür.

Er stutzt, als er dahinter eine geschlossene Tür sieht. Es ist seine Haustür, die er eben geöffnet hatte. Schon pocht es wieder. Dreimal. Verwundert greift zur Türklinke und zieht sie zu sich. Dahinter wieder seine Tür. Geschlossen.
Der junge Alchemist versucht nachzudenken, bekommt keinen klaren Gedanken, als es wieder klopft und er, verwirrt, die Tür aufmacht. Starr blickt er auf die erscheinende geschlossene Tür vor ihm. Das wiederholte Klopfen holt ihn zurück und wie selbstverständlich öffnet seine Hand die Tür. Schweißperlen wachsen auf seiner Stirn beim Anblick der weiteren geschlossenen Tür, die erscheint. Er will sich wegdrehen, aber das wiederholende Klopfen hält ihn an Ort und Stelle und seine Hand öffnet diese verfluchte Haustür, die eine weitere geschlossene Tür offenbart. Das Pochen wird lauter. Immer heftiger reißt er die Tür auf. Fünfmal. Zehnmal. Fünfzigmal. Es spielt keine Rolle mehr. Das Pochen ist längst ein Hämmern geworden, direkt in seinen Schädel. „Wer ist da?“, schreit er gegen das hämmernde Schlagen, brüllt es fortwährend, dass ihm die Ohren schmerzen. Immer und immer wieder. Eine gefühlte Ewigkeit und länger.
Endlose Zeiten später wird sein Brüllen schwächer, versiegt zu einem Krächzen, bis nur ein unhörbares Wimmern übrigbleibt. Rot und hervorgequollen seine Augen, mit Tränen verklebt seine Wangen. Ausgemergelt seine Kräfte. Beim letzten Öffnen sinkt er auf die Knie, bricht zusammen, krümmt sich. Stille. Schweigen. Nichts mehr. Sein Atmen ist fast tot. Dunkelheit.

Die ersten Sonnenstrahlen wecken ihn auf. Der Fußboden ist hart und kalt. Er versucht aufzustehen, aber sein Körper gehorcht ihm nicht. Mit äußerster Willensanstrengung schafft er, sich aufzurichten. Schwer atmend lehnt er an der Tür, möchte um sich blicken, doch hängt ihm etwas vor den Augen. Beim Wegmachen bricht ein leiser Schrei aus seinem Mund, hohl und unwirklich, als er eine alte, knochige Hand statt seiner sieht, die zitternd lange Greisenhaare aus dem Gesicht streicht. Wie töricht, ein Alt-Serum zu erfinden, dringt es aus fernen Jahren in sein Bewusstsein. Er schließt die Augen, so müde. So todmüde.

Die wichtigste Regel

Als der Alchimist die Tür öffnete, überkam ihn eine nie erlebte, kalte Kraftlosigkeit. Bevor er sich am Türrahmen festhalten wollte, war der Schwächeanfall wieder verschwunden.
Ein Mann in seinem Alter stand vor ihm und grüßte ihn überschwänglich.
„Kennen wir uns?“, fragte Maximilian, noch immer etwas benommen.
„Das will ich meinen, mein Lieber“, lächelte der Fremde freundlich, ja, fast gütig.
Hoffentlich hatte die Unachtsamkeit keine schlimmen Folgen. Wie töricht er war, seinen Tee mit dem Elixier zu verwechseln und es komplett auszutrinken. Er hatte sich tausendmal gesagt, dass er nie, niemals und nimmer während der Arbeit Tee trinken wollte. Zu groß war die Gefahr, aus dem falschen Gefäß zu trinken.
„Tretet ein und setzt euch“, lud Maximilian den Fremden ein.
Beim letzten Mal war es noch recht harmlos ausgegangen. Vier Stunden lang war er ein kleines Mäuschen und amüsierte sich, weil verschiedene Leute ihn vergeblich suchten und er ihre Selbstgespräche über ihn belauschte. Doch es war nicht mehr lustig, als jemand die Tür aufließ und die Katze vom Nachbarn in seine Stube streunte. Seine Rückverwandlung überlebte sie nicht.
„Ihr kommt mir bekannt vor. Wie ist Eurer Name?“ Maximilians Aufmerksamkeit war völlig bei diesem Unbekannten.
„Mein Name ist Maximilian.“ In diesem Moment fiel unserem Alchimisten auf, dass der Fremde ähnlich gekleidet war wie er selbst. Nein, er war genauso gekleidet. Nur wirkte er gütig und weise.
„Oh, ich verstehe“, sagte er. „Das muss wohl die Wirkung vom Elixier sein. Eine Verdoppelung. Nun ja, eigentlich wollte ich einen größeren Geist haben, der noch mehr denken und verstehen kann. Keinen Doppelgänger.“
Als der zweite Maximilian antworten wollte, klopfte es erneut an der Tür.
„Bitte entschuldigt,“ bat der Alchimist höflich seinen Gast.
„Aber gern,“ gab dieser genauso höflich zurück.
Während des Öffnens verspürte Maximilian wieder diesen Kräftesog, deutlich stärker, als der erste, und kälter. Er dauerte zudem länger, war dann aber genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war.
„Das gibt es doch nicht,“ stöhnte Maximilian, als er einem weiteren Maximilian gegenüberstand.
„Geh zur Seite“, schnauzte dieser Gast und trat unverhohlen ein, ohne auf eine Einladung des Hausherrn zu warten, nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu dem ersten Gast.
Das Ganze ist schlimmer, als ich dachte, durchfuhr es den Alchimisten, als ihn ein neuer Kräfteraub überfiel, wesentlich heftiger als beide zuvor.
„Nicht“, stöhnte er.
Der nächste Maximilian war kräftig und stieß ihn beim rücksichtslosen Eintreten an die Seite, dass er neben seinen Tisch fiel. Da im Raum nur zwei Stühle waren, stieß dieser unliebsame Gast den ersten vom Stuhl und setzte sich. Der höfliche Maximilian setzte sich dafür auf den nackten Fußboden und lächelte.
Noch bevor sich der sichtlich entkräftete Maximilian erholt hatte, übermannte ihn ein Kraftverlust und eine Todeskälte, dass er dachte, er müsse sterben. Der nun durch die offene Tür eintretende Maximilian hatte eine ganz andere Ausstrahlung, er hatte eine leicht gebückte Haltung, als wenn er etwas zu verbergen hätte. Sein Lächeln wirkte fies und hinterhältig. Er sprach das aus, was Maximilian gerade denken wollte.
„Ja, ja, da hast du wohl ein Problem. So viele Maximilians. Kann es sein, dass du mit jedem Maximilian ein Stück deines Lebens verlierst?“
Unser Alchimist konnte kaum noch einen Gedanken fassen. Aber er war doch Maximilian, er war der Alchimist, und nicht diese Golems!
Den nächsten einsetzenden Schwächeanfall überlebte er nicht mehr. Genaugenommen gab es den Alchimisten nicht mehr. Allein seine Kleidung lag noch am Tisch.

Diese Geschichte lernt jeder angehende Alchimist, jede Kräuterfrau und jede Hexe, niemals ein Gefäß mit eigenem Tee auf dem Tisch zu haben, wo auch Elixiere hergestellt werden.

Wie es mit den vier Maximilians weiterging? Dazu gibt es mehrere Versionen.
Eine erzählt, dass der brutale Maximilian alle anderen niederrang, dabei alles verwüstete und das Haus in Flammen aufging. In einer anderen trickste der gerissene Maximilian die drei anderen aus, die an einem vergifteten Tee starben.
Ich liebe den Schluss, wo der gutmütige Maximilian die Flasche „Wider das Böse“ zu Boden warf und der rote Nebel alles Böse auflöste. Und damit erfüllte sich letztlich der Wunsch des Alchimisten nach einem größeren Geist und nach Weisheit.
Es liegt an euch, meine lieben, welchem Ende Ihr glauben wollt.
M.

Ich bin nicht ganz sicher, ob ich die Aufgabenstellung richtig verstehe. Eine Szene wie in einem Theaterstück? Keine Kurzgeschichte?

Maus im Haus

Die Nachbarin ist völlig aufgelöst: „Ich komme soeben von der Arbeit nach Hause und sehe die Kleider ihrer Frau. Sie lagen hier vor der Türe auf dem Boden. Hoffentlich ist ihr nichts passiert?“ Der Alchemist, der nach dem heftigen Klopfen die Türe öffnet, staunt ab den Kleidern, beruhigt die Frau aber, mit einer leicht besorgten Stimme: „Ah! Ja von meiner Frau. Sie sind ihr sicherlich aus Versehen aus der Tasche gefallen. Sie war in Eile.“ Er bedankt sich und geht zurück in sein Labor.
Es sieht so aus, als ob der Umwandlungstrank funktioniert hat, freut er sich. Schließlich hat er den Trank vorab bei seinem Hund einige Male erfolgreich getestet. Aber wo steckt Nora jetzt? Nochmals öffnet er die Tür und schaut sich suchend um. Kopfschüttelnd geht er zurück in seine Wohnung. Sie wird sicher gleich kommen und sich melden. Nochmals überprüft er das kleine Fläschen, welches mit Gegenmittel beschriftet ist. Er erinnert sich. Vor gut einer Stunde, oder sind es schon zwei, hat er seiner Frau den Trank verabreicht. Obwohl ich ihr abriet, wollte sie es unbedingt. Danach hat sie das Haus verlassen, wollte nur kurz nach draussen, und ist bisher nicht mehr zurückgekommen. Ich wollte es nicht, dass sie die Wohnung verlässt, doch sie versprach sofort wieder zu kommen. Wollte, wie sie sagte, anscheinend nur etwas holen. Und jetzt die Kleider vor der Türe am Boden. Sie hätte nicht gehen dürfen. Das ist schlecht, sehr schlecht. Er schaut zur Tür, dann legt er die Kleider auf den Tisch. Der Trank hat wahrscheinlich bei ihr zu schnell gewirkt. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Wo sie nur bleibt?

Er begibt sich zu seinem Alchemistentisch, durchwühlt die Pergamentrollen, die unordentlich auf dem Tisch, neben Holzkistchen, Fläschen und Reagenzien liegen. „Da endlich. Da ist sie.“ Er liest, wirkt nachdenklich. Hab ich etwas falsch gemacht, etwas übersehen? Nein, das kann nicht sein. Wieso ist sie nur nach draussen gegangen. Das war nicht gut.
Plötzlich hört er ein feines Rascheln und leises Piepsen hinter sich. Er dreht sich um und entdeckt eine kleine Maus, die ihn anstarrt. „Na warte die Biest!“ Er nimmt den Besen, der neben dem Tisch an der Wand lehnt, und macht Jagd auf die Maus. Flink flüchtet diese von einer Ecke zur Anderen. Doch sie hat keine Chance. „Du Biest, hab ich dich erwischt.“ Er packt das tote, zerschlagene Mäuschen am Schwanz und wirft es kurzerhand in das noch leicht glühende Kaminfeuer. „Mir die feinen Kräuter anknabbern. So weit kommt es noch“, ruft er ihr nach.

Zurück an seinem Labortisch, in Gedanken, was es mit den Kleidern seiner Frau vor der Türe auf sich hat, überprüft er den Trank, welcher er seiner Frau verabreicht hat. Er findet aber nichts, was auf einen Fehler hinweisen könnte. Mit zitternden Händen nimmt er die einzelnen Zutaten aus dem Wandgestell und stellt sie vor sich hin. Er kontrolliert Phiole um Phiole, Kistchen um Kistchen, vergleicht den Inhalt mit der Aufschrift. Plötzlich hält er inne. Prüft nochmals. Erschrickt, als er in das Holzkistchen, angeschrieben mit Filipendula ulmaria schaut und sieht, dass der Inhalt anscheinend nicht mit der Aufschrift übereinstimmt. „Das ist eine Katastrophe.“ Das ist doch Polygala amara, die Kreuzblume geht es ihm durch den Kopf. Schnell durchwühlt er wieder seinen Pergamenthaufen und stellt, als er fündig wird, zu seinem Schrecken fest, dass das fast gleiche Rezept, anstelle des gewünschten Effekts, der kurzzeitigen Verwandlung in eine Ziege, sie in eine Maus verwandelt hat. Bestürzt schaut er zum offenen Feuer.

Endlich öffnete sich langsam und quietschend Tür.

„Entschuldigen Sie, dass ich störe. Es ist ein Notfall“, sagte ich.

Das Haar des Alchemisten war zerzaust. Er stand da und starrte mit irrem Blick durch mich hindurch. „Was willst du?“

„Den Trank, den Sie meiner Frau den Trank gegeben haben, hat eine Nebenwirkung. Sie sieht die Gesichter der Menschen leuchten und finster werden, wenn sie reden. Es macht sie traurig und verzweifelt.“

Er grinste. „Ich weiss. Gefällt ihr das nicht?“

„Nein! Sei leidet. Mein Herr, ich liebe sie und will, dass es ihr gut geht!“

Sein Blick durchbohrte mich. Seine Lippen zuckten.

„Ja“, sagte er zögerlich. „Das stimmt. Du liebst sie.“ Er atmete tief ein. „Deine Frau sieht die Wahrheit. Sie sieht, ob Leute das sagen, was sie glauben und wissen, oder etwas anderes.“

Er starrte mich an. Sein versuchtes Lächeln wirkte wie Grinsen. „Das ist doch nützlich. Findest du nicht?“

Seine zitternde Hand stützte sich am Türrahmen. Sein forschender Blick wirkte noch angestrengter.

„Ich weiss nicht“, antwortete ich zögernd. „Was ist, wenn Leute etwas Anderes als die Wahrheit glauben?“

„Dann sind sie ehrlich. Ehrlich dumm. Irregeleitet. Grausam. Abscheulich. Und meistens stolz. Wie ich.“ Er wischte eine Träne von seiner Nase.

Ich fühlte mich noch unwillkommener als zuvor. „Ich sehe, es geht Ihnen nicht gut. Darf ich morgen vorbeikomm…?“ „Nein!“, fiel mir der Alte so laut ins Wort, dass ich erschrak. „Nein!“ Wiederholte er sich. Tränen strömten sein Gesicht herunter. „Nein. Mein Gegenmittel wirkt nicht. Im Gegenteil! Man erkennt noch deutlicher und verachtet schneller und hasst noch mehr. Das einzige, was helfen kann ist…“

Er schnappte nach Luft und fing an zu zittern und laut zu weinen. „Das einzige, was einem helfen kann, ist Liebe. Liebe ist eine Entscheidung. Doch sie wirkt nur so stark, als man bereit ist, sein Leben dafür zu gehen. Geh jetzt! Geh mit Gott!“

Ich sah eine Hand auf seiner Schulter. Der Alte stürzte zu Boden. Dahinter stand grinsend der Minister mit tropfendem Säbel. „Schöne Abschlussworte. Hau ab, dann geschieht dir nichts!“

Vermaledeit

Das war zuviel des Guten.Eigendlich war er mit den Jahren ein sehr erfahrener Alchemist geworden.So viele kleine Fläschchen,da muss was durcheinander geraten sein.Vorwurfsvoll tadelte er seinen etwas zu propper geratenen roten Kater Gismo der wieder auf den Tisch sprang.„Das ist deine Schuld Katerchen,du hast mir wieder alles durcheinander geworfen, gut das es nicht das grosse Fläschchen war das wäre das Ende gewesen“. Seid langem areitete er an einem Elixir das ihm möglich machte sowohl die Gestalt als auch das Schicksal seines Gegenübers anzunehmen. Ein Blick in seine Augen sollte für die Verwandlung reichen.„Gut mein kleiner Kater ich habe jetzt zwar versehentlich zu viel davon getrunken, aber bis morgen früh sollte es wieder gut sein. Und da wir fast nie Besuch bekommen, sollte heute auch kein Unglück mehr geschehen . Also mach dir keine Sorgen“. Liebevoll streichelte er Gismo über sein Fell,
da wo er es am liebsten hatte als es plötzlich sehr laut an seiner Tür pochte.

Ein Zeites mal…

Ein Drittes mal…

VERMALEDEIT!!!..Sie erstarrten beide.

„Willst du mir nicht öffnen alter Mann!!“
Der Alchemist sah den weißen Nebel unter der Tür durchdringen, eises Kälte machte sich breit.
Es gab kein Entkommen vor diesem Besuch. Für niemanden.
„Alter Mann es ist Zeit ,du weist das“.
Noch ein paar Atemzüge und er ging ganz langsam zur Tür, er nahm den Türknauf in die Hand, ein letzter Blick zu seinem Katerchen und öffnete .
Es konnte niemand schlimmeres sein. Den Kopf zu boden gesenkt, mit dem Wissen was jetzt passieren kann.
„Willst du mir nicht in die Augen sehen alter Mann? ich bin der letzte den du noch sehen wirst“.
„NEIN“ rief der alte Mann und stürzte zurück an den Tisch und wollte sich das grosse Fläschchen greifen und trinken als plötzlich Katerchen dazwischen sprang.

Die Verheißung

„Ich komme“, sang Aurin der alte Alchemist förmlich und tanzte in Richtung Tür. Vor der Hauspforte blieb er stehen und griff nach der Klinke. „Huch, verfehlt. Na sowas!“ Das Hämmern an der Türe wurde stärker. Es zeugte von einem ungestümen, wenn nicht gar zornigen, nächtlichen Besucher. „Öffnen die Tür, Aurin!“
„Ja, ja. Ich öffne ja schon die Tür“, entgegnete er dem wilden Herren auf der anderen Seite. Erneut fasste er nach der Klinke seiner Tür. „Wie … hä? Bin ich betrunken?“ Wieder hatte er die Türklinke verfehlt. Nun, blickte er genau auf seine Hand. Langsam führte er die Hand zur Klinke. „Was im Namen Gottes geht hier vor sich?“
Aurin griff – als wäre er kaum mehr als ein Geist – durch die Klinke hindurch.
Eine Axt preschte durch die Holzbretter der Tür. „Ich mache Kleinholz aus dir, Aurin!“, schimpfte es von außen. „Öffne die Tür und ich verspreche dir, du musst nicht so leiden, wie meine Frau, bevor sie starb.“ Drei weitere Axtschläge gegen die Tür folgten, bis sie in ihre Einzelteile zersprang. Aurin erkannte den Mann vor sich – Berhard Müller. Tag zuvor erst hatte er seine Frau mit einem seiner Elixiere behandelt. „Du hast meine Frau getötet, Aurin. Ihre Schmerzen im Bauch wurden immer größer, statt dass sie vergingen. Jetzt wirst du dafür büßen!“ Der Mann rannte an Aurin vorüber. Neben dem Kamin sah der Alchemist sich selbst kauernd sein Schicksal erwarten. Der tobende Kerl reckte mit knirschenden Zähnen die Axt hoch über seinen Kopf.

Schweißgebadet schreckte Aurin in seinem Bett auf. „Es war nur ein Traum“, flüsterte er zu sich und atmete tief durch. Sein Blick fiel auf zwei Elixiere auf seinem Schreibtisch. Das eine wollte er heute der Frau Müller verabreichen, welche seit Tagen von Unterleibsschmerzen geplagt war. Das andere war eine neue Mixtur, die er letzte Nacht zu sich nahm. Es sollte ihm lediglich beim Einschlafen helfen.
Auf einem Stück Pergament begann er zu schreiben:
„Trunk der Verheißung
3 Kreuzspinnenleiber
5 Tropfen Wolfsblut
½ Glas Ochsensamen
10 Elfentränen
¼ Glas Trollspeichel
Quellwasser, das das Licht des Vollmondes trägt
aufgebrüht in einem Drachenpanzer“

Der Zauberer und der Alchemist

„Was ist denn los?“, fragte der Alchemist, als er die Tür öffnete und mich hinein ließ. „Nichts“, gab ich zur Antwort. „Es ist unerhört so penetrant an meine Pforte zu klopfen“, ließ der Alchemist seinen Ärger verlauten. „Und das alles für Nichts?“

Ich beugte mein Haupt, um nicht an die Decke der Behausung zu stoßen. Es ist von Vorteil einen hohen Hut zu tragen, aber in diesen Räumen ehr unpraktisch. „Nun - zögerte ich zaghaft – es ist nicht Nichts.“

„Das heißt?“, der Alchemist nahm einen Erlenmeyerkolben und goss eine lila Flüssigkeit in ein Reagenzglas mit rosa Pulver. Nahm das Glas aus seinen Ständer und spannte es in eine Klemme über einer heißen Gasflamme.

Mehrere durchsichtige Röhrchen verbanden weitere Gefäße auf Dreifußstative. Es gab rote und blaue Schläuche die wirren Verbindungen eingingen, und das, was sie verband, blubberte, qualmte und zischte.

„Hm, ja - hüstelte ich verlegen - da wäre diese Sache mit meinem Lehrling …“

„So, ist das deshalb?“, er drehte sich um, und wandte sich von seinem Experiment ab und mir zu. Er rollte mit den Augen. „Wo ist dieser Taugenichts von einem Lehrling?“

Empört richtete ich mich voller Größe auf und stieß die Spitze meines Hutes an das Gewölbe. „AUA!“, klang es laut von oben.

„Im Augenblick, ist er da“, sagte ich erklärend und zeigte mit dem Zeigefinger empor.

Der Alchemist folgte mit seinem Blick meinem Finger, schüttelte den Kopf, und sagte: „Oh, das wusste ich nicht. Es tut mir leid um ihn. So arg war er dann wiederum nicht, dass er zu Tode kam.“

Er setzte sein schmierigstes Lächeln auf.

„Nein, sie missverstehen mich voll und ganz“, sagte ich hastig. „Er ist nicht tot?“

Das schien dem Alchemisten zu beruhigen. Er wusste, dass es seine Schuld gewesen sei, wenn es so wäre, wie er vermutet habe. „Nun, was immer mit ihm passiert ist - es ist allein seine Schuld.“

„Warum?“, sagte ich Empörung. Schließlich hatte ich, in vollem Vertrauen, meinen besten Schüler in die Obhut des Alchemisten gegeben.

„Sehen Sie“, und der Alchemist nahm eine lederne Kappe vom Kopf und zeigte mir einen Kohlkopf, wo seine Haare und Ohren waren. „Und es schreitet fort.“

Nun fiel mir seine Knollennase erst richtig auf, wo vormals eine edlere Hakennase war.

„Sie haben mir diesen vermaledeiten Lehrling geschickt“, beschuldigte er mich.

„Aber Sie baten um eine Hilfe für einige Tage. Damit er Ihnen Besorgungen macht, während Sie die Reihe der Versuche nicht aus den Augen verlieren.“

Ich nahm meinen Zauberhut ab und sprach hinein: „Komm raus. Los. Komm schon.“

Da es nicht freiwillig kam, schüttelte ich so lang, bis es vor unseren Füßen lag. Dort entrollte es sich und schwebte wuselig, wie es war einige Zentimeter über den Boden.

„Sehen Sie, was sie ihm angetan haben!“, schimpfte ich, während die übergroßen Augen des Wuselst, von mir zum Alchemisten wanderten. „Er war ein strammer Junge!“

„Na und!“, blähte sich der Alchemist auf, „sehen Sie mich an, was Ihr Zögling mir antat!“

Wir schwiegen beide eine Weile, und fuhren mit den Fingern durch unsere langen Bärte. Beobachteten dabei den Wuselst – und – man hub an zu lachen.

Schließlich sagte ich: „Wollen wir den Spaß beenden? Und …“

„… geben dem armem Lehrling seine Gestalt wider.“, vollendete der Kohlköpfige den Satz.

Der Alchemist hantierte mit seinen Gerätschaften und alsbald präsentierte er ein Elixier.

„Das wird ihn zurückbringen, den Jungen“, sagte er überzeugend.

„Wenn das so ist“, erwiderte ich, „will ich den Zauber wirken, der deinen Kohlkopf verschwinden lässt. Obwohl, ich finde, es steht dir.“

Gesagt, getan.

„Was hat denn mein Lehrling angestellt, dass du ihn so bestraft hast?“

„Wenn ich so darüber nachdenke“, sagte der Alchemist kleinlaut, „war die Strafe etwas überzogen. Er hat, genießt.“

„Hm, und das war alles?“

„Na ja, ich bereitete mir ein Gelenkschmeichelndes Sud vor, und sein leichter Zauberrotz, hatte – und er zeigte auf seinen Kohlkopf – da war ich drüber ungehalten.“

„Und du zwangst ihn einen gestaltenwandelnden Zaubertrank auf?“

„So ist es.“

Letzt endlich war alles gesagt und geklärt. Ich verließ das gedrungene Häuslein mit meinem Lehrling. Wir bestiegen mein weißes Pferd. Der Junge saß vor mir und war Mucksmäuschen Still. Ich trieb die Fersen in die Flanken des Tiers und wir brausten los. Dann zog ich zweimal an den Riemen, das war ein Zeichen, und die Flügel weiteten sich vom Rumpf des Pegasus. Und so flogen wir heim zu unserem Zauberer-Turm.

Die Rezeptur des Glücks

Glück durchströmte seinen ganzen Körper, als er die schwere Holztür öffnete.

Es hatte schon dreimal geklopft aber erst beim letzten Mal hatte der Alchemist Maro das Geräusch wahrgenommen.

Der Urheber der Klopferei war Benno, ein guter Freund.

„Hey Digga“, begrüßte Benno den Alchemisten mit einem Faustschlag. Dann sah er ihm ins Gesicht und erschrak.

„Alter, wie siehst du denn bitte aus?“

Maro strich sich die wirren Haare aus dem Gesicht.

„Wieso?“

„Voll verballert! Was hast du dir denn wieder eingeschmissen?“

Ein breites Grinsen zog sich durch das Gesicht des Alchemisten.

„Ich habe eine neue Rezeptur entworfen und sie mir einverleibt. Ich sage dir: kein Glück dieser Erde kommt an meinen jetzigen Zustand heran!“

„Krass!“ Benno starrte ihn mit offenen Mund an. „Und was macht dein Rezept noch?“

„Ich kann Farben schmecken und Zahlen riechen.“

„Echt?!“

„Nein. Ich fühle mich nur extrem glücklich und entspannt. Aber es war wohl zu viel, mein Körper scheint zu pulsieren, ich schwitze extrem und zittere.“

„Und jetzt?“

Der alchemistische Maro zuckte die Schultern. „Naja, mir geht es aber so gut, dass mir das egal ist.“

Bennos Blick wurde besorgt. „Und wenn die Überdosis gefährlich ist?“

„Dann sterbe ich als glücklichster Mensch der Welt. Und auf meinem Grabstein soll stehen: ,Endlich clean!‘“

Sein Freund musste unweigerlich lachen.

„Aber langsam geht es wieder“, meinte Maro. „Das hält wohl nicht so lange an…“

Benno schien beruhigter.

„Gott sei Dank! Aber gib mal was ab von dem Zeug…“

Non-Fantasy-Ansatz

Er hämmerte mit der Faust auf das Stahltor des Labors ein. Auf der Telefondurchwahl war seit Stunden niemand zu erreichen. Aus Sicherheitsgründen hatten nur die Angestellten der Abteilung Zugang zum Labor, einschließlich der Produktionsleitung und einiger anderer Entscheider, die er in diesem Moment jedoch zunächst nicht verständigen wollte. Aber es musste jemand da sein. Als er auf das Forschungsgelände gefahren war, hatte der Pförtner ihm mehrfach bestätigt, dass alle Mitarbeiter am Morgen die Schranke passiert hatten.

Anstatt es weiter mit Klopfen zu versuchen, ging er zurück zu seinem Auto, das nur einige Schritte entfernt am Rand der Werkstraße parkte. Er würde die Tür selbst öffnen. Jetzt war ein günstiger Zeitpunkt – es fuhr im Moment keiner der sonstigen Angestellten am Labor vorbei. Er hatte gerade den Schneidbrenner und die dazugehörigen Gasflaschen aus den Transporttruhen gezogen, als ein dumpfer Aufprall von der Tür aus zu hören war. Dann öffnete sie sich einen Spalt breit.

Er ging um seinen Wagen herum, entriegelte die Beifahrertür, zog die Atemschutzmaske über, die im Fußraum lag, nahm das restliche Equipment vom Sitz und ging wieder zum Labor. Als er eintrat, stieß er mit dem Fuß gegen einen der Labormitarbeiter. Er lag ausgestreckt auf dem Fußboden. Einige Meter daneben – zwei weitere Mitarbeiterinnen. Er stieg über die regungslosen Körper und ging auf den großen Stahltank zu. In solchen Situationen musste streng nach Protokoll vorgegangen werden. Es sah vor, alle Vorräte der aktuellen Produktion zu sichern, bevor irgendwelche anderen Maßnahmen eingeleitet wurden. Zu seinem Erstaunen war die Stromzufuhr, die für das Temperiersystem des Mikrobentanks verantwortlich war, gekappt worden. Blieb noch der Kühlschrank. Er drehte sich um und schritt auf den kleinen, weißen Kasten zu, in dem die Proben in schmelzversiegelten Reagenzgläsern lagerten. Als er sich hinunterbeugte und die Tür öffnete, erstarrte er.
»Sie haben alles mitgenommen.«

Faesendonck saß hinter ihm auf dem Boden. Er hatte ihn nicht gesehen. Er lehnte an einen Schrank, war bleich und seine Augenlider flimmerten unaufhörlich. Sein Blick war leer und starr.
»Auch die Zwischenstände?«

Er hatte sich zu ihm heruntergebeugt. Dieser hob seinen Kopf, ließ ihn aber sogleich wieder sinken.
»Wie lange sind sie schon weg?«
»Ich weiß es nicht.«
»Keine Proben, keine Zwischenstände?«, fragte er erneut.

Für einen Moment schien es, als ob Faesendonck etwas sagen wollte, dann begannen seine Schultern zu beben.
»Eine.«, sagte er mit brüchiger Stimme.

Er streckte ihm ein leeres Reagenzglas entgegen, in dem der letzte Rest einer farblosen Flüssigkeit glänzte. Faesendonck sah ihn an, öffnete den Mund und zeigte mit einem Finger geradewegs in seinen Rachen hinein. Dann verlor er endgültig das Bewusstsein.

Er verstand sofort und packte den in sich zusammensackenden Laborleiter. Nachdem er mit dem schlaffen Körper auf den Schultern über die regungslosen Mitarbeiter bis zur Tür gestiegen war, verschloss er die Tür hinter sich. Wieder an seinem Wagen angekommen, legte er den dahinscheidenden Faesendonck auf den Beifahrersitz.

Sobald sie auf die Autobahn in Richtung Hamburg aufgefahren waren, warf er einen flüchtigen Blick auf den Professor, der reglos im Sicherheitsgurt baumelte. Durch die Atemschutzmaske, die er zur Sicherheit noch immer trug, konnte er es nicht genau erkennen. Atmete sein Mitfahrer oder nicht?

Sollte Faesendonck sterben, würde das Projekt seinen wichtigsten Biotechnologen verlieren. Jetzt würde sich zeigen, ob er und sein Team sorgfältig gearbeitet hatten. Wenn auch früher als erwartet und unter anderen Umständen. So denkend, steuerte er in sanften Wellenbewegungen durch den verhältnismäßig lichten Verkehr. Plötzlich brachte eine Erschütterung die gesamte Karosserie ins Schlingern. Kurz bevor der Wagen die Leitplanke an einer Böschung durchbrach, schaute er in das Auto, das sie von der linken Seite gerammt hatte. Zwei Insassen hatten ihre Blicke auf ihn gerichtet. Dann verlor er den Sichtkontakt und der Wagen überschlug sich.

Als er wieder zu Bewusstsein kam, war Faesendonck verschwunden.

Überdosis

»Und da steht er: Antony Hopkins in der Rolle des Grafen Antoine, der dem Alchemisten- großartig besetzt mit Brad Pitt- die Phiole mit dem Rest des Elixiers entreißt, wohlwissend, dass mit diesem Zaubertrank ein neues Leben möglich ist.«

Nach der Filmkritik im Auto-Radio läuft »Dreams are my reality« und ich sage vorsichtig:
« Klingt total spannend, lass uns doch mal wieder ins Kino gehen.«
»Sag mal, geht´s noch?« Entgegnet er, wie immer eine Spur zu laut mit diesem aggressiven Unterton in der Stimme » sehe ich aus, als hätte ich Zeit für diesen Fantasy-Quatsch? Kannste mit deinen Trullas reingehen.«
Und jetzt stehe ich in der Holzabteilung in diesem Baumarkt und muss mit ihm warten, bis der Mitarbeiter seine Bretter fertig gesägt hat. Ich bin mitgefahren, um ihm beim Tragen zu helfen, damit er nicht wütend wird. Damit der Tag besser endet, als er angefangen hat.
Ich habe das seltsame Gefühl, als wenn die kreischende Säge da drüben etwas in meinem Kopf trennt. Er quatscht mit dem Typ am Info-Schalter. Sie lachen laut. Ich gehe ein bisschen herum und denke: wenn doch alles so einfach wäre: ein Elixier trinken, und noch mal woanders ganz von vorne anfangen. Alleine.
Plötzlich dreht er sich um und wirft mir den Autoschlüssel zu. »Hol´mal eine Rolle Gaffer Band und ´ne Currywurst vom Imbiss-Stand, ich komme nach.«
Wortlos stecke ich den Schlüssel ein und mache mich auf die Suche nach dem Klebe-Band. Endlos lang kommen mir die Gänge vor, mir wird schwindelig, aber ich laufe weiter und weiter, Sanitärbedarf, Schrauben und Dübel, immer weiter, Gummistiefel, überall Gummistiefel, Spaten und Folie, meine Schritte werden schneller und schneller, meine rechte Handinnenfläche schmerzt, so fest umklammere ich den Schlüssel.
Dieses Klopfen, unangemeldet dröhnt es in meinem Kopf und mein Herz hämmert. Schneller, schneller. Ich renne auf den Parkplatz, steige in den Wagen und fahre los.
Alles auf Start. Die Imbissbude ist leer. Vor mir: alles frei.

Hätte

Alexandre Lenz saß in seinem Büro. Alexandre Lenz tut eigentlich nichts anderes. Er verbringt möglichst viel Zeit zwischen seinen Geräten, um sich der Welt da draußen zu entziehen.

Hier kann er, während er auf die Testergebnisse wartet, sich dem „HÄTTE“ ergeben. Es sind nicht viele „HÄTTE“ es ist nur eins. Vor so vielen Jahren, hätte er die andere Tür wählen sollen. Die Tür mit ihr zusammen.

Später lies sie ihn ein – durch ihre Tür. Doch bevor er los wurde weshalb er gekommen war, erfuhr er, dass es besser ist zu schweigen. Also ging er wieder durch ihre Tür allein hinaus. So oft stand er die Jahre danach so oft vor ihrer Tür. Er wusste immer hinter welcher Tür sie lebte.

Die Simulationssoftware bestätigte mit einem Piepen, dass sie ihre Aufgabe erledigt hatte. Alexandre Lenz schaute auf, lächelte bei dem Gedanken, dass seine Arbeit noch vor wenigen Jahrhunderten ihn auf den Scheiterhaufen bringen hätte können. Im besten Fall wäre er ein angesehener Alchimist gewesen, doch mit denen hatte er heute nichts gemein. Keine Mönchskutte, keine Zunftkette um den Hals und schon gar keinen langen grauen Bart. Er hatte oft überlegt, ob er sich einen Schädel mit einer Kerze darauf ins Labor stellte – nur so zum Spaß. Er hätte es beruhigend gefunden, die eigene Endlichkeit vor Augen zu haben. Das Ende von „Hätte“.

Alexandre Lenz forschte auf dem Gebiet der Alzheimererkrankung und versuchte seit vielen Jahren ein Medikament zu entwickeln, um den Prozess umzukehren oder wenigstens aufzuhalten. Die Simulation, dessen Ergebnis er gleich ablesen konnte, sollte es ihm möglich machen künstlich Alzheimer hervorzurufen. Wenn ihm das gelänge, könnte er in dem er einen Tausch in den Bestandteilen seiner Substanz vornahm, den Prozess umkehren.

Wieder überkam ihm das „HÄTTE“.

Das Ergebnis war eindeutig. In der verwendeten Kombination, war es ihm möglich Alzheimer zu erzeugen. Nicht als jahrelanger degenerativer Prozess, sondern unter Einnahme einer Dosis.

Warum nicht? Eine Dosis und nie wieder „Hätte“. Es schmeckte nach Nichts. Das machte Sinn. Was machte Sinn?

Ein kurzes Klopfen an der Tür. Die Tür schwang auf. „Alexandre?!, Alexandre! Ach hättest Du mit mir die Tür zusammengenommen. Ich bin gekommen, um mit Dir zusammen durch diese Tür zu gehen. Komm mit mir!“

…….