Zu kraftvoll
Gerade als eine Welle übelsten Schwindels ihn überrollte, klopfte es an der Tür. Vindemoll fluchte innerlich, sein Mund war dazu gerade nicht in der Lage. Mit zitternden faltigen Händen tastete er nach dem Messbecher. Er hob das Glas dicht vor seine Augen. Langsam hörte die Welt auf, sich zu drehen und auch das Rauschen in seinen Ohren verschwand. Nach ein paar Mal blinzeln, konnte er die Skala entziffern. Verdammt, das war der falsche Messbecher gewesen, kein Wunder, dass ihm schwindelte.
Es klopfte erneut. Jetzt spürte Vindemoll, wie sich Energie in seinem Körper ausbreitete. Es begann mit einem warmen Gefühl im Hals und ihm schien, wenn er jetzt ein Lied anstimmen würde, hätte er dem Hofmusikanten bald seinen Posten streitig gemacht. Das Gefühl stieg in seine Arme, Beine, Füße. Der alte Alchemist richtete sich auf, kreiste einmal mit den Schultern. Er fühlte sich gut. Richtig gut. Als könne er zehn Runden, um die Stadtmauern rennen. Er wollte plötzlich zehn Runden um die Stadtmauern rennen. Muskeln ploppten auf, von denen er nicht gewusst hatte, dass er sie besaß. Er sah nun bestimmt aus, wie einer der übertriebenen Helden in den Theatern, die die Gaukler an Festtagen auf dem Marktplatz aufführten. Vindemoll ließ seine Fingerknöchel knacken. Der Gedanke ein Ungeheuer zu verkloppen schien ihm auf einmal verlockend.
Es klopfte zum dritten Mal.
„Ja, ich komme ja schon!“ Zu jeder anderen Zeit hätte Vindemoll zuerst durch einen Ritz in der Tür gespäht, aber nun riss er sie kraftvoll auf. Niemand konnte ihm in diesem Zustand etwas anhaben. Oh ja, sie sollten es nur versuchen!
„Ach du bist es.“
„Danke, die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte der junge Mann, der im Türrahmen lehnte. Für einen Moment sah Vindemoll ihn, wie er damals mit seinen fünf Sommern hinter dem dicken Eichenbalken hervorgelugt hatte. „Mami meint, sie hat zu viele Mäuler zu stopfen und ihr würdet den Menschen helfen. Verzeiht die Feststellung, aber Ihr seht alt aus, Meister Vindemoll. Könnt ihr jemanden gebrauchen, der euch zur Hand geht?“
„Ich komme, um euch zu informieren, dass der König demnächst ein paar Gesandte zu euch schickt, Meister Vindemoll“, sagte der junge Mann. Die Miene des Alchemisten verfinsterte sich. Theodor war kein kleiner Junge mehr.
„Bin nicht ich derjenige, der dich Meister nennen sollte, Hofalchemist?“, Vindemoll machte eine elegante Verbeugung. Sein Rücken machte dabei keinerlei Probleme. „Du bist nicht mehr mein Schüler!“
„Nun gut, Vindemoll, wenn du es so willst, bin ich hier eben als Hofalchemist“, sagte Theodor. „Ich habe seiner Hoheit von euren Forschungen erzählt.“
„Das hast du nicht!“
„Doch, das habe ich“, Theodor schob sich an ihm vorbei in das winzige Labor, blieb vor einem Regal mit ordentlich beschrifteten Fläschchen stehen. Vindemoll starrte auf den goldenen Bären auf seinem Umhang, merkte, wie seine Fäuste zitterten.
„Diese Tränke dürfen dem König nicht in die Hände fallen, ich habe sie zum Wohl der Leute geschaffen! Wer weiß, wozu er sie missbrauchen könnte!“, schrie Vindemoll und seine Stimme brachte sie Gläser zum Klirren.
Theodor wich ein paar Schritte zurück. „Der König ist ein guter Mann!“
„Er ist ein Herrscher!“ Mit zwei großen Schritten war Vindemoll bei seinem ehemaligen Schüler angelangt. „Du Verräter!“ Er stieß ihm mit einem Finger vor die Brust. „Wovon hast du ihm alles erzählt?“
Theodor blieb ruhig, auch wenn sein Blick hin- und herzuckte, zur Eingangstür, zum Hinterausgang. „Ihr seid der Verräter! Ihr verratet das Volk, indem ihr alles nur für euch behaltet. Ich habe dem König nichts Genaues erzählt, aber…“ Theodor musterte Vindemoll von Kopf bis Fuß. „Verjüngungstrank, ein paar Muskeln, wie ich sehe, und das Rezept, um Gold zu erschaffen, habt ihr sicher auch nicht verbrannt, wie ihr gelobt habt, es zu tun!“
Vindemoll spürte die Energie durch seinen Körper rauschen. Es war ohrenbetäubend, dieses Velangen, seine neuen Kräfte einzusetzen.
Theodor wandet sich zum Gehen.
„Du wirst deinen Mund halten!“, schrie Vindemoll.
Theodor antwortete nicht, lief langsam Richtung Tür. Panik krallte sich um den Geist des Alchemisten, ließ ihn die Kontrolle über seinen Körper verlieren und das Elixier tat das übrige.
Vindemoll starrte auf Theodor hinab, der regungslos am Boden lag, versuchte sich das Blut von den Fingern zu rubbeln. Mein… Schüler. Eine Woge eines übelsten Heulkrampfs schlug über ihm zusammen.