Seitenwind Woche 7: Göttlicher Auftritt

Ich bin

Du weißt nicht, wer ich bin.
Du weißt nicht, wie ich bin.
Du weißt nicht, wo ich bin.

Du weißt nicht, was ich bin.
Du weißt nicht, warum ich bin.

Du weißt nur, dass ich bin.

Ich bin da.
Ich bin.

Geist, den du formst.

Der Bote

Hui, ist hier viel los.
Ich drehe mich um die eigene Achse. Überall sind Menschen, die sich schneller bewegen, als ich es in Erinnerung hatte. Und laut sind sie. Sie lachen, gröhlen, rufen und dann ist da auch noch das Ding, auf dem sie sich bewegen, ein buntes Brett mit Rollen, die einen Lärm machen, wie ich ihn noch nie gehört hab.
Andererseits erinnert es mich hier dennoch seltsam an Zuhause. Der Olymp ist auch verdammt wuselig. Viel zu viele Götter und Halbgötter. Wäre ich ein Mensch, ich hätte mir auch eine Religion mit nur einem Gott ausgedacht. Viel simpler und deutlich kontrollierbarer. Und leiser. Es muss so leise sein im Himmel.

„EY“, schreit mich plötzlich ein Mensch von der Seite an. „DU STEHST IM WEG“
Ich runzele die Stirn und schaue nach unten. Der Mensch ist klein, ein Menschenskind, aber ein mittelaltes. Ein Junge, mit einer Schirmmütze, die er falsch herumträgt. Er sieht aus als würde er gleich aus seiner Kleidung fallen. Auch er hat eines dieser lauten Dinger mit Rollen in der Hand.
Erkennt der Junge mich nicht? Wird den Kindern hier gar nichts mehr beigebracht?
„Ich bin Hermes“, sage ich.
„Okay, Hermes“, sagt der Junge und rollt dabei mit den Augen, „verzieh dich“.
Ich hatte wirklich mit einer anderen Reaktion gerechnet. Naja.
„Kannst du mir sagen, wo ich Prof. Dr. Hans Kronos finden kann?“
Das Kind schlägt sich eine Hand vor den Kopf. „Boah, VERZIEH dich endlich. Du nervst echt hart gerade“
Bevor ich noch ein weiteres Wort sagen kann, kommen andere Jungen dazu. Sie bilden einen Halbkreis um mich. Ah, jetzt haben sie mich also endlich erkannt.
Ich breite die Arme aus. Mein Gewand fällt fließend an ihnen herunter. „Kann mich bitte einer von euch, zu Prof. Dr. Hans Kronos geleiten? Ich habe eine Mitteilung seines Sohnes Zeus zu überbringen“.
Die Jungen gucken mich erst verwirrt an, dann brechen sie in schallendes Gelächter aus. Sie boxen sich gegenseitig in die Seiten, zeigen mit dem Finger auf mich. Ihre Gesichter verziehen sich zu hässlichen Fratzen. Manche von ihnen äffen mich nach, breiten auch ihre Arme aus und wiederholen meine Worte. Ein komisches Gefühl breitet sich in mir aus. Warum will Kronos nur unter diesen Kreaturen leben?
Der erste Junge, vielleicht ihr Anführer, zieht sich seine Mütze zurecht. Dann sagt er verächtlich: „Keine Ahnung, wo du ausgebrochen bist, aber besser ist, du gehst da wieder hin“. Die Anderen johlen. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll und warte ab. Die Jungen beruhigen sich wieder. Dann verschränken sie auf einmal alle gleichzeitig die Arme und gucken böse. Es ist irgendwie niedlich.
Der Anführer lässt sein Brett mit den Rollen knallend auf den Boden fallen und stellt sich mit einem Fuß drauf. Auch er guckt mich aggressiv an. „Man, ey, merkst du’s nicht? Du stehst mitten auf der Bahn!“.

Huitzilopochtli oder die Welt der Rechtecke

Die Sonne stand hoch am Himmel, wie das Auge eines Zyklopen im Antlitz eines grausamen Gottes.

Tausende von Stimmen verschmolzen zu einer einzigen und riefen meinen Namen: Huitzilopochtli.

Ich spürte das rasende Herz des Opfers, als wäre es mein eigenes. Seile schnitten in seine Hand- und Fußgelenke.

Doch ich wartete vergeblich auf den Dolchstoß, auf die Ekstase des Stoßes. Was vor wenigen Sekunden noch wie ein Meer von Stimmen geklungen hatte, verlor sich in den Schreien einiger weniger. Eine fremde Sprache mit rollenden „rrrr“s und seltsam rhythmischen Vokalen. Sekunden später verstand ich die Worte: Marktschreier, die ihre Dienste anboten. Dienste, die mit Sicherheit mit dem Tode bestraft würden, wenn es sich nicht um Priester handelte. Kein Sterblicher würde ungestraft meinen Namen in den Mund nehmen. Schon gar nicht, um meinen Tempel den Blicken der Ungläubigen auszusetzen.

Hinter mir räusperte sich jemand. „Señor, unsere Zeit ist fast um. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne ins Hotel zurückkehren.“

Ich wirbelte herum und verlor fast das Gleichgewicht. Das war kein Priester. Niemand hielt mein pumpendes, bluttriefendes Herz in seinen Händen, um es ins Feuer zu werfen. Ich spürte meine Schultern, meine Beine, meine Arme …

„Sie können gerne bleiben“, sagte der Fremde in dem federlosen Gewand, das seinen ganzen Körper bedeckte. „Aber dann müssten Sie sich ein Taxi besorgen. Das könnte teuer werden.“

„T… Taxi?“, hörte ich mich sagen. „Wo ist der Quetzalcoatl?“

Der Mann sah mich an, als hätte er erst jetzt begriffen, mit wem er es zu tun hatte. Dann wandelte sich sein entsetzter Gesichtsausdruck. Er lachte wie ein verrückter Krieger kurz vor dem Kampf. „Die Priester haben seit über 400 Jahren Feierabend. Kommen Sie jetzt mit, oder wenn Sie länger bleiben wollen, kann ich Ihnen einen Kollegen für die große Tour empfehlen, inklusive Restaurant und kostenlosem Tequila.“

Als ich nicht antwortete, schüttelte er den Kopf und drehte sich um. Er schimpfte vor sich hin, ging auf ein seltsam glitzerndes Objekt mit kreisförmigen Sockeln inmitten ähnlicher Objekte zu und ließ mich auf dem Vorplatz der Pyramide stehen.

Dutzende von ähnlich gekleideten Menschen, einige mit gelben Haaren, die verschiedene Sprachen sprachen, umringten den Tempel. Einige stiegen sogar die Treppen hinauf, ohne das geringste Anzeichen von Furcht.

Wo war ich gelandet? Woher kamen diese Menschen? Warum verstand ich ihre Sprache?

Noch vor wenigen Minuten hatte ich am Ufer des Apanohuaia gelegen und den Schreien der Verdammten gelauscht, dann musste ich eingenickt sein und von meinem letzten Vemana und klaffenden Brustkörben geträumt haben. Wo war ich aufgewacht? Oder war das wieder nur ein Traum? Ein Scherz meiner Schwester?

„Suchen Sie einen Führer? Señor?“, fragte ein untersetzter Mann mit Rauschebart, der nach altem Schweiß und Alkohol roch. Als ich ihn mit eisiger Miene anstarrte, wandte auch er sich kopfschüttelnd ab.

In der Nähe knurrte etwas. Ich bückte mich nach einem Stein, um den streunenden Köter zu verscheuchen, als ich merkte, dass ich meinen Magen gehört hatte. Ich schwor mir, dass ich meine Schwester vierteilen lassen würde, wenn ich aus diesem Traum erwachen würde, und begab mich in den Schatten einer Hütte, die am Rande des Vorplatzes gegrilltes Fleisch anbot.

Ich sah, wie Menschen mit gelben Haaren und bleicher Haut dünne Stofffetzen aus Ledersäcken zogen und sie gegen Fleisch mit weißen Körnern eintauschten. Ich näherte mich einer der blassen Frauen, berührte ihre Schulter und befahl ihr, mir ihren Sack zu geben. Ich sah die Empörung in ihren Augen, aber meine Berührung schien ihren Widerstand gebrochen zu haben. Ihre Augen weiteten sich, und mit zitternder Hand reichte sie mir die Tasche. Dann wandte sie sich ab und lief so schnell sie konnte davon. Ein Mann mit einem schreienden Kleinkind empfing sie und zeigte in meine Richtung. Sie gestikulierten und er wurde immer wütender. Dann stapfte er auf mich zu und zog einen flachen, rechteckigen Gegenstand aus einer Falte seiner Beinkleider. Er schimpfte, drohte, die „Polizei“ zu rufen und tippte auf das Gerät, bis ich ihm meine Hand auf die Schulter legte. Wie seine Frau verwandelte er sich in einen stammelnden Schwächling und übergab mir sein Gerät und seine Ledertasche. Ich fragte ihn, was das Wort Polizei bedeute, bekam aber keine Antwort. Noch bevor er zu seiner Frau zurückkehrte, sah ich einen dunklen Fleck im Schritt seiner Beinkleider und bemerkte den schwachen Geruch von Urin, etwas, das ich aus den letzten Momenten meiner Tausenden von Opfern nur zu gut kannte.

Einige Leute beobachteten mich mit sichtlichem Entsetzen. Einige richteten sogar ihre flachen Rechtecke auf mich, als wollten sie mich beschwören. Fast hätte ich laut gelacht bei dem Gedanken, dass Sterbliche glaubten, mich damit beeindrucken zu können. Aber im Moment wollte ich nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig auf mich ziehen. Also entschied ich mich, das Essen gegen die dünnen Tücher einzutauschen, anstatt dem Verkäufer die Hand zu reichen.

Mit vollem Magen machte ich mich auf den Weg zu den glitzernden Objekten mit den runden Scheiben. Meine Schwester konnte warten. Ich würde sie persönlich in Stücke reißen, sobald ich wieder in der Unterwelt war. In der Zwischenzeit wollte ich mir diese seltsame Welt ohne Götter etwas genauer ansehen.

Ich folgte der Familie mit den gelben Haaren zu einem der Gegenstände mit einem kleinen Schild darauf. Die Zeichen formten sich zu dem Wort „TAXI“, aber die Bedeutung blieb mir fremd. Ich sah, dass auch hier Lumpen übergeben wurden, diesmal aus einer Falte in der Hose des Mannes, der von Zeit zu Zeit wütend in meine Richtung blickte. Dann stiegen sie in das Objekt. Zu meiner Überraschung rollte das Ding mit ungeheurer Geschwindigkeit auf einem glatten, dunklen Steinband davon. Ich näherte mich einem der Objekte und hörte, wie andere Gelbhaarige um eine Fahrt zum „Atzteken Resort in Cancun“ baten.

Atzteken Resort. Vielleicht finde ich dort meine Schwester!

Wenige Minuten später saß ich in einem der Objekte und hielt mich an einem der Griffe fest. Der Mann, der das Objekt steuerte, bestand darauf, dass ich mich anschnalle, gab aber auf, als ich ihm sagte, dass ich unsterblich sei. Mit den Worten „Dann ist ja alles in Ordnung“ setzte er sich grinsend in Bewegung. Ich war schon oft auf dem Rücken von Alligatoren durch die Unterwelt geschwommen, aber im Vergleich dazu pflügte dieses Gefährt durch die Landschaft wie eine Fledermaus durch den Abendhimmel. Etwas benommen stieg ich aus dem Zauberkasten und stolperte auf ein riesiges Gebäude mit Skulpturen und Bildern meiner Wenigkeit zu. Gab es hier noch Gläubige?

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

Ich folgte einer Gruppe von Gelbhaarigen in den Tempel und wurde von langhaarigen Atzteken empfangen. Ich war etwas enttäuscht, dass sie sich nicht niederknieten, aber als ich ihnen meine Ledertasche und das rechteckige Objekt des Mannes übergab, waren sie sofort viel zuvorkommender. Zuerst schienen sie etwas überrascht, aber dann zogen sie ein dünnes Rechteck aus der Tasche, etwas kleiner als die Objekte, mit denen die Leute vor dem Schuppen versucht hatten, mich zu beschwören. Sie schoben das Rechteck durch ein anderes Rechteck mit einem Schlitz und verbeugten sich. Rechtecke hatten in dieser Welt wohl eine religiöse Bedeutung.

Jemand fragte mich, ob meine Familie auch bald kommen würde. „Ja“, sagte ich, um lange Erklärungen zu vermeiden, und verneinte die Frage nach meinem Gepäck. Ich wusste sowieso nicht, was sie meinten. Eine Frau mit langen schwarzen Haaren bat mich, ihr durch eine große Halle zu folgen, an deren Wänden weitere riesige Rechtecke mit bewegten Bildern hingen. Ich wollte sie gerade fragen, wohin sie mich führen würde, als mir eine Figur in den Rechtecken auffiel. Sie sah genauso aus wie die gelbhaarige Frau, die mir ihre Tasche gegeben hatte. Ich blieb stehen und befahl meiner Dienerin zu warten. Auf dem Rechteck berührte ein schwarzhaariger Mann mit scharfen Gesichtszügen und hohen Backenknochen die Schulter der gelbhaarigen Frau. In diesem Augenblick verwandelte sich der Mann in das Ebenbild der Frau. Das Bild wackelte und verschwand. Im nächsten Augenblick erschien die gleiche Szene aus einem anderen Blickwinkel. Der Mann der gelbhaarigen Frau lief auf das Double seiner Frau zu, sprach es an und erstarrte, als es ihn ebenfalls an der Schulter berührte. Nun bewegten sich die Umrisse der Frau, bis sie die Gestalt des Mannes mit den gelben Haaren annahmen. Wieder begann das Bild zu zittern und verschwand schließlich ganz.

Ich drehte mich zu meiner Dienerin um, die mich mit dem gleichen Entsetzen anstarrte wie die Leute vor dem Schuppen.

„Endlich“, dachte ich. "Endlich sehen sie, wen sie vor sich haben.

„Hab keine Angst“, flüsterte ich und legte der zitternden Magd die Hand auf die Schulter. „Ich halte dir einen Platz frei, wenn du den Fluss Apanohuaia überquerst.“

Hallo

„Hallo? Hörst du mich?“

„Sie kann dich nicht hören. Die Musik ist zu laut. Und du bist nicht mehr als Sektperlen in ihr.“

„Hallo? Kannst du mich fühlen?“

„Sie fühlt nicht, was in ihr ist. Sie ist zu beschäftigt mit Äußerlichkeiten.“

„Hallo? Kannst du mich sehen?“

„Sie könnte dich sehen, wenn sie dich erkennen wollte. Aber das will sie nicht. Sie sieht nur sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse.“

„Wenn sie mich nicht hören, fühlen und sehen will, was mache ich dann hier?“

„Du willst wachsen, leben, lieben und geliebt werden. Um deiner selbst Willen. Genau wie sie. Deswegen bist du hier.“

„Und werde ich wachsen, leben und lieben?“

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es ist deine Entscheidung. Und ihre.“

"Warum sollte ich denn nicht wachsen, leben und lieben?

„Weil auch das kleinste Samenkorn im Universum gehegt und gepflegt werden muss um zu gedeihen. Ohne Liebe und Zuwendung verhungert irgendwann fast jeder Organismus.“

„Fast jeder?“

„Ja, es gibt einige, sehr wenige, die sind stärker als jedes Übel das meine Welt heimsucht. Sie kämpfen sich durch die schwärzesten Schatten und werden zu Lichtbringern.“

„Und was passiert mit den anderen?“

„Die hören auf zu existieren. Viele noch bevor sie auf die Welt gekommen sind.“

„Wäre es schlimm, wenn ich jetzt aufhöre zu existieren?“

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Du bist einzigartig wie alles in meiner Welt. Einzigartig und vergänglich. Manches geht früher. Manches später. Im Moment entscheidest noch ganz allein du.
Es ist eine Chance. Kein Versprechen. Jeder Herzschlag ist ein Geschenk. Dein Leben lang.“

„Auch ihrer?“

„Auch ihrer. Aber sie wird es erst erkennen, wenn sie ihren letzten Atemzug aushaucht. Dann muss sie den Preis für ihr Sein zahlen. Nichts geringeres als ihr Leben selbst.“

„Ich höre ihren Herzschlag, höre sie Atmen und sprechen. Ich fühle ihre Bewegung, mag es, wenn sie sich sanft mit mir wiegt. Ich möchte sie sehen.“

„Dann hast du deine Wahl schon getroffen.“

„Und sie?“

„Sie wird ihre Entscheidung treffen, wenn sie erkennt, dass sie nicht mehr allein in ihrem Körper ist.“

„Wird sie mich dann lieben?“

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“

„Und wenn nicht?“

„In der Vergangenheit hätte ich dir gesagt, dann wirst du ein Lichtbringer. Heute liegt es nicht mehr in meiner Macht dir zu prophezeien, was aus dir wird. Eine ungeborenes Kind, ein Gott, ein Obdachloser, ein Soldat, der meinen Boden ganz umsonst mit seinem Blut tränkt. Oder so irgendetwas dazwischen.“

„Und warum will ich wachsen, leben und lieben, wenn ich doch gar nicht wissen kann was aus mir wird?“

„Weil du mein Kind bist, wie alles hier. Einzigartig. Eine Gewinn für diese Welt. Eine Gewinn für dich selbst und das ganze Universum. Ein Gewinn für mich. Du wirst einen nach dem anderen Herzschlag leben, weil ich dich bedingungslos liebe und dir diese Chance gebe.“

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Bitte lesen! ; )

Hektisches Durchwühlen der großen geblümten Reisetasche wurde abrupt beendet. „Ah!“, stöhnte Aphrodite erleichtert auf. „Da ist ja mein Gürtel!“ Den Muschel-Anhänger hatte sie zwar vergessen, aber das empfand sie als weniger tragisch. Ohne den Venusgürtel allerdings brauchte sie nicht weiter auf die Erde niederreisen, denn die Göttin wollte, wie in alten Zeiten, eine unwiderstehliche Wirkung auf die Menschheit besitzen. Der Liebeszauber, der wie gewohnt in ihrem Gürtel transportiert wurde, verwandelte Aphrodite in das Geschöpf der überragenden Schönheit und löste bei jedem Gegenüber ein Gefühl der unbändigen Begierde aus. Ohne den Zauber, musste sie sich eingestehen, war auch sie als Liebesgöttin, nach über dreitausend Jahren, nicht mehr die Jüngste und würde niemanden sofort vom Hocker hauen.

„Erde, oh Erde, ich habe Dich vermisst! Mit all Deinem Wasser, dem Grün und den… “, sie stockte. „Tempeln!“, entfuhr es ihr mit Erstaunen und gleichzeitiger Begeisterung. "Ich sehe unzählige riesige Tempel. Tempel an Tempel! So sehr haben die Menschen uns Gottheiten vermisst?“ Ihr Abstand zur Erde verringerte sich stetig. „Verzweifelt mussten sie all die Jahre gewesen sein, dass ich, ihre verehrte Liebesgottheit, meine Zeit mit meinem Mann Hephaistos verbrachte und nicht unter den ihren verweilte.“ Aphrodite freute sich plötzlich sehr auf die Erde zurückzukehren. Dass sie morgens noch sauer auf ihren Vater Zeus war, der sie früh morgens in ihrem rosa Wolkenbett geweckt hatte und sie zu einer erneuten Reise drängte, weil sie seit einiger Zeit depressiv wirkte, hatte sie schon so gut wie vergessen. Nun klopfte auch das eigene Verantwortungsgefühl nach gutem Sex und Abwechslung an.

„Beim Anblick dieser riesigen Tempel weiß ich, dass die Menschen alles taten, um uns Götter -um mich- wieder zu sehen. Na dann: hier komme ich! Jetzt auch mal in einem neuen Gebiet: ‚New York City‘ nennen sie es. Man kann nicht immer in den gleichen Regionen, wie damals in Griechenland, Paris oder in der Türkei, Sexurlaub machen. Zypern war wild, aber ich bin eine Göttin und kann überall hingehen, um Fruchtbarkeit den Menschen zu bringen und natürlich selbst ein oder zwei Nummern zu schieben. Jetzt kann es losgehen! Wo sind die scharfen Jungs?“

Nun war Aphrodite der Erdoberfläche so nah gekommen, dass sie mit bloßem Auge Autos und Personen erkennen konnte und erschrak: „Ich dachte eben noch, das wäre ein dunkler, seltsamer Fluss, doch sind es herumlaufende Menschen. Überall! Wie ist das möglich? Ich war doch gar nicht hier! Wie konnten sie sich so schnell vermehren? Grundgütiger, das sind doch viel zu viele!“

Alarmiert, landete Aphrodite mit größter Vorsicht, um lieber erst einmal unentdeckt zu bleiben, in einer engen und dunklen Nebenstraße und schlich sich vorsichtig vorbei an großen Fenstern, um sich einen ersten Überblick über die aktuelle Lage zu verschaffen. An einer Glasfront, hinter dem sich ein schöner altgriechisch eingerichteter Raum mit übergroßen Topfpalmen erstreckte, blieb sie stehen. Alle Menschen, Groß und Klein, saßen und standen an Tischen und hatten den Kopf neuen Gottheiten entgegen gesenkt. Aphrodite erkannte, dass sie keinen Grund zur Vorsicht hatte. Niemand bemerkte sie. Die neuen Gebieter der Menschen waren klein, magisch leuchtend und ließen sich unentwegt auf Händen tragen. Es hatte eine Versklavung stattgefunden, als Aphrodite abwesend war, wurde ihr mit einem Mal bewusst. „Liebe Götter!“, rief Aphrodite die Götter an. „Stellt Euch vor: das Kopulieren der Gattung Mensch musste einerseits explodiert sein, denn die Erde erscheint überbevölkert. Jedoch die Liebe untereinander ist verschwunden. Niemand umarmt sich, lacht oder tanzt miteinander. Man kann es kaum glauben, aber sie reden nicht einmal miteinander und sitzen direkt nebeneinander, denn sie wurden von ihren mächtigen Herren und Herrinnen vollständig hypnotisiert.
Wenn ich es mir recht überlege, möchte ich am liebsten zurück zu meinem Gemahl und dem hier meinen makellosen, von Seide umschmeichelten Rücken, zudrehen und auf der Stelle verschwinden. Ich fühle mich überfordert und absolut nicht im Stande, dem Völkchen hier zur Liebe zu verhelfen.“

„Aphrodite, mein liebes Kind", erklang die Stimme von Zeus "ich bitte Dich, werde nicht gleich wieder depressiv!“ Im gleichen Moment erhellte ein greller Blitz den Himmel von New York City. Alle Menschen schauten auf und guckten sich verwundert an. Das Internet wurde vollständig ausradiert. Für immer!

Es lebe die Liebe!

Asgard ist so langweilig, vor allem wenn man es nicht verlassen darf. Aber das verbotene ist doch so reizvoll. Naja, aber aus diversen, meiner Meinung nach eher unberechtigten Gründen wurde mir das nun verwehrt. Für immer. Und „für immer“ kann für so einen Gott wirklich lang sein.

Ich wäre aber nicht Gott des Feuers und der List, wenn ich es nicht trotzdem schaffen würde mich Heimdalls Blick zu entziehen.
Und so steh ich hier mitten in einer Menschenstadt. Ich musste es einfach mit eigenen Augen sehen - die Menschen haben mir endlich eine Serie gewidmet.
Vor mir erstreckt sich ein großes Plakat mit einem wirklich schönen Mann der mich darstellen darf.
Mhm… das gefällt mir. Endlich bekomme ich die Anerkennung die ich verdiene. Aber wie nennen Sie mich hier? Gott des Schabernacks? Pff. Ich sollte denen mal zeigen was Schabernack ist.

Im Augenwinkel erkenne ich zwei Menschen, sie kommen ja wie gerufen.
„Hey ihr, stehen bleiben! Zeigt mir diese Serie!“ Ich deute auf das Plakat hinter mich.
„Wir sind kein Kino. Sie gehen mal lieber nach Hause.“
„Ich bin Loki, Gott des Feuers und der List und ihr gehorcht mir gefälligst!“
Diese gottlosen Menschen fangen allen ernstes an zu lachen. Das ist reinste Blasphemie!

Noch während ich nach meinem Dolch greifen möchte um ihnen etwas Respekt beizubringen, sind diese Menschen schon bei mir und legen mir Handschellen um. Polizisten, mit denen habe ich auch immer Probleme wenn ich hier bin. Das lief ja mal so gar nicht wie ich mir das vorgestellt habe.

Im nächsten Moment finde ich mich vor Odin wieder, sein Blick lässt keine Widerworte zu.
Irgendwann werde ich diese Serie noch sehen und Gnade euch Menschen, wenn sie nicht meinen Vorstellungen entspricht.

Die Nachbarin

Ich überquere die Straße, ohne zu warten. Das Licht der nächsten Laterne hat mich nicht entdeckt. Die grauen Würfel auf der anderen Seite schauen unbewegt ihre Gärten, sehen mich nicht. Den Mond habe ich versteckt. Aber die Absätze der Lederschuhe hämmern in meinen Ohren, während sich meine Füße überholen. Es ist lange her. Nichts erinnert an das letzte Mal. Außer die Vorfreude. Das Jungsein. Die Lust am Spiel. Doch die Überlegenheit fehlt. Es ist anders als in Theben. Ich knete den Ärmelsaum des Mantels. Die Kleidung aus Stoff schützt nicht. Seine Kleidung. Ihr Mann wird erst später heimkehren. Sie wird nichts bemerken. Und wenn ich mich ihr indes zu erkennen gebe, wird sie auf die Knie fallen, den Blick senken, meine Hände küssen und leise beginnen zu singen und – Licht flutet die Hofeinfahrt. Ich brauche einen Moment, um den Saum des Mantels loszulassen und die Helligkeit zu überdecken. Leichter Donner. Ungewöhnlich für diese Jahreszeit und zu laut für diese Gegend. Aber sie werden an ein Flugzeug denken.
Die Tür ist glatt und grau, wie das ganze Haus, wie jedes hier. Ich umgreife die Stange aus Edelstahl und versuche, in den Hauseingang zu gelangen. Ich rüttle sanft, will das Haus flüsternd wecken: Mach auf! Hier steht ein Gott. Ich will keine Gewalt anwenden. Das könnte ich. Aber ich wäre lieber listig. Gewalt ist zu menschlich. Ein leises Surren, zwei gleißende Punkte fassen mich. Ich schirme meine Augen ab, bis der Wagen neben mir hält. Noch kurz grauen die Scheinwerfer auch das Grün der Hecke aus. Dann wird es wieder dunkel und im Neonlicht der Armaturen ein Lächeln. Mantelsaum. Ich öffne ihr die Tür.
„Damit habe ich nicht gerechnet.“
Sie zieht mich an sich, brennt sich an meine Brust und hüllt mich in Parfum. Dann streicht ihre Hand über meinen Rücken, die Finger durchfahren das kurze Haar an meinem Hinterkopf bevor die Kuppen über mein Ohr mein Kinn erreichen und dort verharren.
„Lass uns reingehen.“
Sie berührt mit ihrem Daumen ein Kästchen, die Tür öffnet sich und ich folge ihr in die Küche. Bevor sie ihre Tasche aus der Hand legt, drückt sie einen Schalter und verharrt. Langsam gleitend wird die Welt ausgesperrt. Erst dann stellt sie die Tasche auf einen der hohen Hocker und zieht ihren Mantel aus.
„Willst du vorher auch etwas Wein?“
Ich lächle und setze mich an den kleinen Tresen. Was Menschen Wein nennen ist schwer zu trinken. Aber für heute Nacht bin ich einer von ihnen. Ich bin ihr Mann. Ich ziehe den Mantel aus und lege ihn über den ihren, während sie das Licht dimmt und den Korken einer schon geöffneten Flasche löst. Dann füllt sie zwei Gläser. Ihre Augen verhaken sich in meinen. Ich ahne, wie schön es ist, ein Mensch zu sein. Sie stellt ihr Glas auf den Tresen, nimmt mir das meine aus der Hand, stellt es daneben. Das Glas mit dem Wein. Seinem Wein, den wir nun teilen.

Sie schaut mir zu, wie ich das verschwitzte Hemd über meinen warmen Körper ziehe. Eigentlich habe ich noch Zeit. Aber ihre Blicke berichten von Fragen. Es ist mir unangenehm. Eine menschliche Scham. Lächerlich. Ich versuche meine nackten Füße in die verdammten Lederschuhe zu drücken.
„Wohin gehst du?“
„Ich hab was im Büro vergessen.“
Ich könnte sie niedersinken lassen. Ich könnte es sanft tun. Aber ich kann es nicht. Nicht nachdem wir uns so nahe waren. Sie folgt mir zur Tür.
„Willst du noch ein Glas Wein?“
Ich fasse den Saum. Meine Füße überholen sich.
„Wirst du es ihr sagen?“
Ich höre die Tür donnern. Von der anderen Seite der Hecke starrt mich ein Mann an. Dann verschwindet er im hellen Hauseingang des Nachbarhauses. Er sieht aus wie ich.

Prost

Seit gestern zurück auf der Erde. Ich hätte hier nicht mehr herkommen dürfen. Wenn der gute irische Single Malt nicht wäre, wäre ich gleich wieder abgehauen, aber so geht’s, hicks!
Was soll ich meinen Freunden erzählen? Ich hab‘s gründlich versaut mit der Erde und vor allem mit den Menschen. Obwohl es vereinzelte Lichtblicke gibt, wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob das ausreichen wird. Klimamäßig rast die Kugel auf einen Abgrund zu. Ganz zu schweigen davon, dass die Menschheit immer noch Krieg für eine Lösung hält.
Die Geschichte mit dem Paradies, was ist da falsch gelaufen? Hätte ich … tja, ich rede schon wie mein eigener Großvater, wenn ich denn einen gehabt hätte. Die Menschen stellen sich das „Gottsein“ ja so toll vor: Ewiges Leben, alle Macht der Welt und so weiter und so weiter. Ich kann nur sagen: „Ihr könnt es geschenkt haben“, es macht keinen Spaß mehr, diese scheiß Verantwortung. Und wenn ich sie abgebe, sehe ich hier auf dem „blauen Planeten“, was dabei rauskommt … Ach, jetzt bin ich doch im Jammern versunken. Neuer Planet - neues Glück? Oder soll ich doch noch einen Versuch mit den Menschen wagen? Über eine weltweite Virusepidemie einen neuen genetischen Code verpflanzen und die gesamte Menschheit umprogrammieren? Reicht das? Oder doch lieber ein Neustart irgendwo da draußen im Weltall …
Jupiter lächelt mir zu, der hat auch schon einen intus. Ach, was soll’s, Prost mein Lieber, auf die Erdumdrehung … Vorbilder? Na, das war einmal, ich würde so gerne einen realistischen Ausweg aus dem Dilemma hier sehen, aber ich sehe keinen, nicht einmal einen göttlichen …
Komm, Jupiter, wir packen zusammen und hauen ab, raus ins All, sollen die doch hier mit ihrem taumelnden Planeten allein zurechtkommen. Was geht’s mich an. Tschüss Erde, ich schau dann in ein paar hundert Jahren wieder vorbei.

Grenzwertig

“Name?”
“Nergal.”
“‘Nigel’. Nachname?”
“Nicht ‘Nigel’. Nergal. Sohn des Enlil und der Ninlil.”
“Zur Verwandtschaft kommen wir gleich noch. Wie schreibt man Nergal?”
Nergal seufzte. Wieder so ein ungebildeter Ungläubiger. Wo war er hier nur? “Es schreibt sich EN-ERI-GAL.”
“‘Nerigal’. Nachname?”
“Was in Ans Namen ist ein Nachname?”
Der Grenzbeamte seufzte. Wieder so ein ungebildeter Wirtschaftsflüchtling. “Nachname ist der Name der Familie.”
“Der Vater meines Vaters ist An.”
“An? Ist der auch hier? Vielleicht kann der weiterhelfen.”
“An ist überall.”
“Oh, ein Handelsreisender?”
“Nein. Er ist Herrscher des Himmels.”
“Ah, ein Pilot. Wo kommen Sie her?”
“Aus Babylon.” Warum kannte der Mann An nicht? Und was war ein Pilot?
“Babylon? Ich schreib’ mal ‘Irak’ ins Feld. Eltern …?”
“Ich bin Sohn des Enlil und der Ninlil.”
“Ah, ja. Wie schreibt man das?”
“Wie man’s spricht.” Nergal verlor langsam die Geduld.
“Okay … Rasse?”
“Was?”
Erneut ein Seufzer. “Sind Sie kaukasisch, afrikanisch oder asiatisch?”

Nergal reichte es endgültig. Er schlug mit seinen Fäusten auf das Brett am Schalter des Grenzbeamten. “Ich bin Nergal, der große Drache! Ich fülle Kanäle mit Blut wie mit Regen!”, herrschte er den Man in dem Kasten an.
“SECURITY!” In der Stimme des Grenzbeamten schwang leichte Panik mit.

In sehr kurzer Zeit war Nergal umringt von rund 30 Sicherheitsbeamten mit Tasern.

Er war Nergal, babylonischer Gott des Krieges und der vernichtenden Sonnenhitze. Er füllte die Gräben mit dem Blut der Feinde wie Regen. Vor etwa 2400 Jahren fiel er in einen tiefen Schlaf, nur begleitet vom hohen Priester Esra. Er hatte sich in all der Zeit gefühlt, als wäre er in einem Gefäß verstaut. Und nun war er in diesem … Chaos erwacht, gleich nach einem Klirren wie zerbrechendem Ton. Wo waren die Priester, die Gläubigen? Was war das für ein merkwürdiger Zikkurat? Und warum war er so klein wie die Menschen?

Der Anführer der Sicherheitsbeamten sprach ihn an. “Bleiben sie ganz ruhig, dann wird auch nichts geschehen.”

Nergal drehte seinen Kopf und sah den Mann wütend an. Dann ging alles sehr schnell.

Einer der Beamten wurde nervös und drückte ab. Wie auf Kommando schlossen sich die restlichen Beamten an.

Strom schoss durch Nergals Körper. Es war wie ein Kitzeln, aber es führte auch dazu, dass er seine Kraft wiedererlangte, als würden seine Batterien aufgeladen. Nicht nur das, er wuchs auch wieder zu seiner alten Größe heran. Er fühlte sich stark, sehr stark …

+++ Breaking News: Das Flughafengebäude in Houston, Texas, wurde aus bislang unbekannten Gründen vollkommen zerstört. Augenzeugen sprachen teilweise von einem Monster, andere von einem Riesen. Die Anzahl der Opfer geht in die Tausende +++

Wunsch nach dem Göttlichen

Urplötzlich wurde ich aus meinem alten Reich gerissen, und fand mich im Jahr 2023 wieder. Die Welt, die ich betrat, war nicht mehr die wie ich sie kannte. Hoch aufragende Gebäude aus Glas und Stahl erstreckten sich, wo einst Tempel aus Stein standen. Sie wirkten bedrohlich auf mich. Welch mächtiger Gott hat sowas erschaffen?
Leuchtende Tafeln mit bunten, ständig wechselnden Inhalten flimmerten an den Fassaden. Laute, stinkende
Fortbewegungsmittel kreuzten fortlaufend meinen Weg. Technik und Hektik schienen die Straßen zu beherrschen und stellten meine göttliche Pracht in den Schatten. Niemand nahm mich wahr.

Die Menschen eilten aneinander vorbei, teilweise, ohne sich eines Blickes zu würdigen.
Zeit schien nur begrenzt zur Verfügung zu stehen.

Aber zwischen all dem Trubel entdeckte ich auch Orte, an denen die Menschen zusammen kamen um zur Ruhe zu kommen und sich im Glauben zu stärken. Diese Orte hatten etwas heiliges und wirkten auch beruhigend auf mich.
Hier spürte ich der Menschen Ängste und Sorgen. Sie sehnten sich nach Halt und Geborgenheit.

Die vergänglichen Freuden dieser modernen Welt waren ihnen nicht genug.
Sie strebten nach Glauben, Glück und Hoffnung. Tief in ihren Seelen spürte ich den Wunsch nach Beständigkeit und das Verlangen nach etwas Göttlichem, welches in Vergessenheit zu geraten schien.
Dies beflügelte mich.
Ich wusste, es war noch nicht zu spät, der Welt ihren Glauben zurück zu bringen.
Mit all meiner Kraft erhob ich mich über sie hinweg und stieg empor um in meine Welt zurückzukehren.
Nun, da ich die Zukunft kannte, würde ich alles daran setzen, dass mit Hilfe meiner göttlichen Kraft alte Werte ihren Platz in den Herzen wieder finden.

Midgard

Einst verehrten mich die Menschen. Gleichzeitig fürchteten sie, wenn ich mit Sturm, Blitz und Donner spielte. Doch ist seit Ragnarök, bei der ich die Midgardschlange erschlug und wir Asen dennoch untergingen, reichlich Zeit vergangen.

„Vater, in den vielen tausend Jahren unserer Abwesenheit wurden sie nicht von den Eisriesen aus Jötunheim vernichtet. So war unser Kampf nicht umsonst. Doch was sehe ich stattdessen nach meiner Erwachung? Die Menschen vernichten sich gegenseitig. Aus Gier, Machthunger oder selbstverständlicher Boshaftigkeit. Hat Loki überlebt?“

„Ihnen fehlt unsere göttliche Führung“, Vater ist nachdenklich gestimmt.

„Dabei zerstören sie ebenfalls Midgard, ihre eigene Welt. Sie sehen es und dennoch ignorieren sie die Zeichen.“

„Nimm den Midgardbewohnern, was sie antreibt“, wie üblich hat Vater einen weisen Rat für mich.

„Ich werde ihnen Einhalt gebieten. Das wird eine Schlacht, wie sie einem Asen gebührt. Ein Gemetzel gegen ihre neuen Gottheiten. Glaubt ein Teil der Menschen sich zu Göttern selbst aufzuschwingen, beutet ihresgleichen und den Planeten rücksichtslos aus. Der größere Teil gleichwohl, hat jeglichen Glauben längst verloren und lässt sich dennoch von diesen Smartphones lenken, als steckten wir in diesen Kisten.

Es war meine Aufgabe, Midgard zu beschützen. Doch wenn sich die Menschen selbst gegen Midgard wenden, so werde ich nicht tatenlos zusehen. Mit Mjölnirs Macht zerschlage ich den Antrieb ihrer zügellosen Gier. Und gleichzeitig befreie ich sie aus ihrer apathischen Gedankenlosigkeit und Ignoranz.“

„Was hast Du vor?“. Höre ich da Besorgnis?

„Zuerst zerstöre ich die Plattformen zur Förderung von Öl und Gas. Sodann die Kraftwerke, mit denen sie Strom produzieren. Die einzige Energie, die ich ihnen lasse, wird die meiner Stürme und Gezeiten sein. Das gibt Midgard die Zeit, um sich zu erholen. Und den Menschen die Möglichkeit, es beim nächsten Mal besser zu machen.“

„Es wirft sie um Jarhunderte zurück“. Vater war schon immer zu nachsichtig.

„Zurecht! Es ist Zeit, dass die Bewohner Midgards verstehen, wem Midgard gehört. Legt Euch nicht mit uns Göttern an.“

Isis

Ich weiß nicht, ob man mich wieder Isis nennen wird, aber welchen Namen man mir gibt, ist nicht wesentlich.

Ich habe mich entschlossen, auf Philae niederzukommen, denn dort hat es geendet. So soll mein neuer Ausgangspunkt wieder anknüpfen. Es wird nicht leicht werden, nicht nur wegen der Erinnerungen. Es wird mich erschüttern, wieder selbst Teil des Bildes zu werden, das ich mir in knapp 1500 Jahren meiner Abwesenheit nur aus immer wieder neuen Informationen zusammengesetzt habe.
Nein, ich möchte einen optimistischeren Begriff wählen, es wird mich durchfluten auf altbekannte und gleichzeitig neue Art. Nun beginne ich sogar, mich ein wenig zu freuen!

Warum ich zurückkomme? Ich komme, weil die Welt mich braucht. Natürlich, auch zwischenzeitlich wäre ich von Nutzen gewesen. Göttinnen können immer von Nutzen sein. Allerdings müssen wir den Dingen auch manchmal ihren Lauf lassen, ansonsten geriete die Welt aus den Fugen. Irgendwann würde kein Wesen mehr selbst Verantwortung übernehmen für sein Handeln oder Unterlassen. Die Wesen würden die Erkenntnis über ihr ureigenstes Sein verlieren, wenn wir Göttinnen alles regelten. Paradoxer Weise hätten wir gerade dann versagt.

Aber hier bin ich nun doch, denn es geht nicht mehr anders.

Es ist zu viel aus dem Lot geraten, um es noch ohne uns zu richten. Die Seelen sind haltlos. Der Geist, der alles zusammenhält, zutiefst erschöpft. Die Winde sind wirr. Die Wasser können nicht atmen. Pflanzen kränkeln. Tiere sterben aus. Zerfall ist am Werk. Nein, nicht Zerfall im Sinne von Tod, auch wenn ich mich damit ebenfalls auskenne, ich meine Zerfall im Sinne von Zusammenhangslosigkeit, Orientierungslosigkeit. Es fehlt die Verbindung. Und das Gleichgewicht.

Ich werde mit meiner Magie und meinem Ankh die Dämonen in die Grenzen weisen, sie der Gerichtsbarkeit zuführen und wenn nötig, auch ihre Münder verschließen. Ich werde alle anderen Wesen wieder an ihre ureigensten, wahren Fähigkeiten erinnern. Und an die Liebe. Und daran, dass alles eins ist.

Eternal Rockstars

Als ich aus meinem Jahrhunderte währendem Nickerchen erwachte, fand ich mich plötzlich in einer fremdartigen Welt wieder.
Hohe Türme aus Stahl und Glas durchstießen den Himmel und Leuchttafeln durchfluteten die Straßen mit ihrem grellen Licht, als hätte jemand die Sonne persönlich in sie hineingesteckt.

Sprachlos, aber neugierig wanderte ich zwischen den Wolkenkratzern umher, die den Himmel fast vollständig auszufüllen schienen und den Horizont verbargen. Doch es waren nicht die Türme, die mich am meisten faszinierten, sondern diese kleinen leuchtenden Kästchen, die die Menschen so gebannt vor ihre Gesichter hielten - als wären das die neuesten, ultramodernen Spiegel für Götter.

Ich näherte mich einem Gebäude mit großen Fenstern, hinter denen sich viele dieser Kästchen in allen verschieden Größen befanden und die verschiedensten Bilder von Landschaften bis hin zu Menschen zeigten. Als ich eintrat und auf eines der kleineren Kästchen zuging, dass sich auf einer Art Tisch befand, versuchte ich, mehr darüber herauszufinden.

„Götterdämmerung auf Twitter?“, murmelte ich vor mich hin, während ich durch die unendlichen Tweets navigiere.

Hashtags, Selfies und endlose Kommentare später, verstand ich, was es damit auf sich hatte. Die moderne Kommunikation, Informationen im Überfluss. Die Menschen haben sich ihr eigenes Orakel geschaffen.

Ich beschloss, in dieser neuen Ära, nicht nur der göttliche Ratgeber zu sein, sondern auch der ultimative „Influencer“ der Götter.
Als ich die Wunder der, von den Menschen geschaffenen, Technologie entdeckte - von selbst fahrenden Wagen bis hin zu künstlicher Intelligenz - fragte ich mich, ob es eine App für göttliche Inspiration gibt.

Die Vielfalt der Menschen und ihre kulturellen Errungenschaften erstaunten mich sehr. Ich probierte exotische Gerichte wie „Pizza“ und etwas das sich „Hühnchen auf Masala Art“ nennt, tanzte zu den neuesten Beats und überlegte, ob ich mein eigenes Pantheon als Reality-Show starten sollte.

Als alter Gott, der versucht, cool zu bleiben, durchstreifte ich die Straßen nicht nur als Lehrer des Göttlichem, sondern auch als DER ultimative Party-Crasher in diesem neuen Kapitel der Menschheitsgeschichte.

Und so beschloss ich, viele der anderen Götter aus den unterschiedlichsten Pantheons zu wecken und mit ihnen zusammen Olympische Spiele zu veranstalten. Götter und Sterbliche die um den Titel des „Supreme Selfie Champions“ wettstreiten. Ein olympisches Spektakel mit göttlichen Filtern und himmlischen Hashtags, das die Welt zum Lachen brachte und uns wieder in die Herzen der Menschen.

Die Spiele wurden zum viralen Hit. Zeus versuchte sich an einem Blitz-Selfie, während Aphrodite die Kunst der perfekten Posen perfektionierte. Selbst Hades konnte den Reiz eines düsteren Filter-Selfies nicht widerstehen.
Die römischen Götter mischten sich ebenfalls in das himmlische Spektakel ein. Mars, der Kriegsgott, präsentierte seine kriegerische Seite in einem dramatischen Schwarz-Weiß-Selfie, während Venus, die Göttin der Liebe, ein Selfie zusammen mit Amor und Herzchenfilter teilte.
Isis, die Göttin der Magie, zauberte mit leuchtenden Hieroglyphen und Sonnengott Ra versuchte, am Pool liegend, mit Sonnenbrille und Mai Tais, den perfekten Sonnenuntergang, als Kulisse für sein Selfie, einzufangen.
Loki sorgte für Lacher, als er sich in verschiedene Gestalten verwandelte. Und Odin, der Allvater, posierte mit seinem Sperr Gungnir, während er weise in die Ferne blickte, als würde er die Schicksalsfäden selbst weben.

Die Selfie Olympiade erreichte ihren Höhepunkt, als ich, Thor, Gott des Donners, versuchte, meinen mächtigen Hammer Mjölnir in einem epischen Wurf-Selfie mit tiefschwarzen Gewitterwolken, Blitz und Donner im Hintergrund, zu inszenieren.

Die himmlischen Selfies verbreiteten sich in den sozialen Medien wie ein Feuer und Sterbliche auf der ganzen Welt versuchten, die Posen ihrer Lieblingsgötter nachzuahmen.

Am ende der 1. Göttlichen Olympiade vereinten sich die Götter aller Pantheons zu einem epochalen Gruppen-Selfie in dem jeder Gott in seinem eigenen Stil posierte.

Auch wir alten Götter können noch rocken! Und wer hätte gedacht, dass ich so ein Talent für Instagram Storys habe?

Anpassung

»Junger Mensch«, spreche ich die leicht gebückt und an einem Stock gehende Gestalt mit den wenigen grauen Haaren an, »hast du diesen Haufen Mist hier her gelegt?«. Zorn steigt in mir auf, da das Menschlein mich ignoriert und einfach weiter schleicht. Irgendwo wird dann jetzt wohl ein großes Gewitter nieder gehen. Zwei, um genau zu sein. Eines für den Haufen, in den ich getreten bin. Das Zweite für diese Respektlosigkeit. Wo es knallt, kann ich nicht sagen. Ich habe die Begleitumstände dieser Welt noch nicht wieder verinnerlicht. Es ist mein zweiter Besuch, seit ich sie vor einem Wimpernschlag mit den Kollegen erschuf.
Wie das so ist. Man baut was, schaut einen Moment weg und es vergehen ein paar tausend Jahre.
Wir schufen die Menschen und überlegten uns, dass es dieses Mal doch sicher lustig wäre, sie einfach mal machen zu lassen. Und da sagt noch einer, Götter währen unfehlbar, naja.
Ganz unter uns, niemand würde zugeben, dass wir mit unserer Einschätzung vielleicht etwas daneben lagen. Wenn ich mich aber so umschaue, puh.
Anstatt großartig zu sein, richten einige diese Welt zu Grunde. Es gibt welche, die das zu verhindern versuchen, aber das dauert alles zu lange. Wissen die nicht, was das alles für ein Aufwand war mit dieser Welt? Diesem Universum?
Macht mich wütend. Ja, da geht jetzt halt mal irgendwo ein Vulkan hoch. Weiß ich jetzt auch nicht wo, aber die sind wenigstens leichter zu lokalisieren. Dafür haben sie es mit der Wissenschaft wenigstens zu etwas gebracht.
Trotzdem steh ich hier in einem Haufen von einem Hund, der da vorne die Straße runter läuft, hinter einer Gruppe Menschen.
Kann das denn hier keiner mal aufsammeln?
Dort steht eine Frau an einem Haus voller Blumen. Versuchen wir es noch einmal mit Konversation. Sie scheint mich jedenfalls zu registrieren. Sie sieht noch jünger aus, als der Mann mit dem Stock. Das meint Athene neulich beim Schnitzen wohl mit »junge Menschheit«.
»Gutes Kind,« spreche ich sie wohlwollend an. Wann hat man schon mal einen echten Gott vor sich. »So sprecht, was hat sich getan«, ich überlege kurz, »die letzten dreihunderttausend Jahre?«
Sie sieht mich verständnislos an, schräg gegenüber schaut ein weiterer junger Mann neugierig von einer Schankstube aus zu uns herüber. »Bitte was? Geht es ihnen nicht gut?«
Die Verhaltensmuster müssen sich auf jeden Fall geändert haben. Von Erkennen ist auch keine Spur zu sehen. Ja glauben die Menschen etwa nicht mehr an Götter. Ich schlucke ein weiteres Donnerwetter herunter und besinne mich auf meine Stärken. Mit einer schnellen Handbewegung durch die Luft und einem Fingerschnippen tilge ich die vergangen eineinhalb Minuten aus den Gedanken der Frau und des Mannes, der sich bereits auf den Weg zu uns gemacht hat. Nun steht er etwas verloren auf der Straße herum. Schön wenn die einfachen Tricks noch funktionieren. Planänderung, die Lage blitzschnell sondieren, Wortfetzen aufschnappen, anpassen.
»Guten Morgen, ich würde gerne diesen Strauß Blumen dort erwerben. Möchte auf die Beerdigung, ein paar Straßen weiter. Krasse scheiße, das mit dem Metzger, was«, trage ich am Ende vielleicht doch etwas zu doll auf. Es scheint aber nicht weiter aufzufallen, denn die Frau reicht mir die Blumen. Die kurze Berührung ihrer Hand reicht mir, um alles zu erfahren, was sie weiß.
Okay, der Typ eben war alt und hat mich scheinbar einfach nicht gehört. Menschen sind oft rücksichtslos im Umgang, fügen sich Schmerz und Leid zu. Viele sind aber auch der Liebe fähig. Sind füreinander da. Kümmern sich, so wie diese hier. Das mit der Sauberkeit beherrschen nicht alle, aber die wenigsten stört es wirklich. Es gibt viel Streit, es gibt viel Zerwürfnis. Es gibt viel Hoffnung, viel Sehnsucht. Es gibt wohl keine Spezies mit mehr Widersprüchen.
War vielleicht doch keine so schlechte Idee, sie einfach mal machen zu lassen. Ist auf jeden Fall unterhaltsamer als immer nur Backgammon.
In dieser Gegend scheint es jedenfalls auch Liebe zum Tier zu geben. Gerade kommt der Hund von eben um die Ecke. Gefolgt von der Gruppe Menschen, denen er eben noch gefolgt war. Und mit einer Wurst im Maul. Bravo.
Kurz bevor ich die junge Frau los lasse, erkenne ich doch noch etwas, auf das sich schienbar alle Menschen einigen können. Die eine große Konstante, die mich beruhigt.
Fritten.

Glaube, Hoffnung, Liebe

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"In der Bibel steht „Ich bin, der ich bin“, eine mythologische Figur vergangener Epochen. Ich bin kein Mann und keine Frau. Ich bin erwacht und werde durch viele Hilferufe in Euer hektisches Leben gestoßen.
40 Tage weile ich nun schon unter euch, so lange, wie Jonas im Bauch des Wals oder wie ich als Jesus 40 Tage in der Wüste war, um zu fasten, innerlich rein zu werden. Doch jetzt ist Zeit für die Abrechnung mit der Menschheit.
Ich streife durch die Straßen und sehe Menschen, die nur mit ihrer virtuellen Welt beschäftigt sind. Selbst in den Fahrzeugen, die ihr Autos nennt, können sie davon nicht ablassen. Radfahrende oder Scooterfahrende sind mit ihren Telefonen verbunden. In Zügen, Bahnen, Flugzeugen, auf Schiffen und in Lastwagen, in Krankenhäusern und Wartezimmern, überall das gleiche Bild. Menschen, männlich wie weiblich, schieben ihre Kinder oder Enkel nur noch nebenher durch die frische Luft. Was ist mit euch los? Seid ihr süchtig? Aber wonach? Nach Informationen? Oder Unterhaltung? Oder virtueller Anerkennung? Redet ihr nicht mehr miteinander?
Muss ich in diese Welt eintauchen, damit ihr mich noch bemerkt? Werdet ihr mich begleiten? Werdet ihr Teil meiner Reise sein?
Eure Wolkenkratzer erinnern mich an alte Tempel und Social-Media-Influencer konkurrieren mit mir als die neuen Gottheiten. Ich stehe hier vor euch mit einer wichtigen Entscheidung: Werdet ihr mich am Ende dieses Videos als Einsiedler verehren, der sich zurückzieht und die Welt beobachtet? Oder als Erretter, der die Menschheit vor dem Untergang bewahrt? Oder werde ich die nächste virale Sensation, die das Internet im Sturm erobert?
Halleluja, ich spüre die Kraft und die Dringlichkeit dieser Entscheidung. Die Welt hat sich verändert und ich muss mich ihr anpassen. Deshalb bin ich bereit auf die Hilferufe zu reagieren und gehe mit euch auf diese virtuelle Entdeckungs- und Entscheidungsreise.
Ihr könnt euch mit dem Christentum, dem Judentum oder dem Islam beschäftigen, denn nicht nur in der Bibel könnt Ihr Antworten auf viele eurer Fragen finden. Ihr könnt euch viele Bilder von mir machen, mit allen Sinnen, mit Körper und Seele und ich kann immer dann da sein, wenn ihr mich gerade dringend braucht.
Wahrlich ich sage Euch: Gott ist ewig! Nicht so eure Welt, denn sie ist dem Untergang geweiht, weil ihr nichts mehr seht, nichts mehr wahrnehmt, nichts mehr fühlt. Dabei ist euer Hunger gerade nach diesen Komponenten ungestillt. Steht auf und engagiert euch für eure Welt, seid empathisch, das tut nicht weh. Schaut in das Gesicht eures Nächsten. Was seht ihr da? Glück? Zufriedenheit?
Wahrlich, ich sage Euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das gelobte Land hineinkommen.
So wie die 40 Säuglinge auf einer Frühgeborenenstation in einem Kriegsgebiet. Ich weine mit den Müttern und Vätern, kämpfe mit den ÄrztInnen und Pflegenden um ihr Überleben und verhindere, dass irgendein Geschoss das Krankenhaus trifft. In der Nacht, wenn fast alle schlafen und nur das Piepen der lebenserhaltenden Maschinen zu hören ist, segne ich diese Kinder mit einem Kreuz aus Asche, denn Asche ist ein Zeichen der Vergänglichkeit. Sie soll alle Menschen, die diesen Kindern begegnen, daran erinnern, dass sie sterblich sind, die Zeit kurz bemessen ist und deshalb jedeR der Umkehr und der Buße bedarf, um die Welt zu retten.
Diese Kinder kennen die Antwort auf die Fragen nach Leben und Tod, den Beziehungen zwischen den Menschen, ihres Platzes in der Welt und zum Verständnis von Gut und Böse. Diese Kinder sind, wie einst mein Sohn, die Hoffnung der Welt, denn sie sind Unschuld und Zukunft zugleich. Sie werden die Welt zum Guten verändern, wenn ihr ihnen jede Unterstützung zuteil kommen lasst. Zerstört ihr sie, aus Habgier, Desinteresse oder Neid, dann ist alles vorbei und die Erde vergeht.
Halleluja! Eure heutigen Klickzahlen in meinem YouTube-Kanal sprechen eine deutliche Sprache. Wahrlich, ich sage euch: Lasst euch auf das Leben ein und kämpft für eine Welt voller Liebe und Vertrauen. Lernt wieder, einander zuzuhören, hinzuschauen, wenn es einem anderen schlecht ergeht. Ja, Halleluja, es gibt ein Gesetz, dass alles beinhaltet: Liebe deinen Nächsten, liebe deine Umwelt wie dich selbst.

Werden wir uns wiedersehen? Gib mir ein Like. Bis zum nächsten Mal!" :calling: :mega:
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Zeus erwacht

In den verborgenen Tiefen der Zeit, wo Legenden atmen und Mythen Wirklichkeit sind, schlummerte ich, Zeus, der mächtigste der Götter, in einem tiefen, zeitlosen Schlaf. Jahrtausende vergingen wie flüchtige Träume, bis ich unvermittelt im Jahr 2023 erwachte, in einer Welt, die mir fremd und unverständlich erschien.

Als ich meine göttlichen Augen öffnete, fand ich mich nicht auf dem Gipfel des Olymps, umgeben von den vertrauten Säulen meines majestätischen Palastes, sondern inmitten einer Stadt, die von Lärm und hektischer Betriebsamkeit erfüllt war. Riesige Wolkenkratzer ragten in den Himmel, als würden sie mit dem Olymp selbst wetteifern. Ihre gläsernen und stählernen Fassaden funkelten im Sonnenlicht, doch sie waren kalt und leblos, im Vergleich zu den prächtigen Tempeln, die einst meiner Herrschaft huldigten.

Ich wanderte durch die Straßen, ein Gott unter Sterblichen, beobachtete die Menschen in ihrer rastlosen Eile. Ihre Gesichter waren oft in kleine, leuchtende Bildschirme vertieft, Geräte, die eine ständige Verbindung zur digitalen Welt zu bieten schienen. Sie sprachen von Social-Media-Influencern, die in diesem modernen Leben eine ähnliche Rolle wie die Halbgötter und Heroen meiner Ära zu spielen schienen, doch ihre Macht ist flüchtig, gebaut auf den unbeständigen Säulen der Aufmerksamkeit und des Ruhms.

Diese neue Welt war eine Arena des ständigen Wandels, so anders als die zeitlose Existenz, die ich als Herrscher des Olymps kannte. Die Menschen schienen die alten Götter vergessen zu haben, ihre Verehrung galt nun den neuen Idolen des Augenblicks. In meinem Herzen spürte ich eine Mischung aus Verwunderung und Melancholie. Wo waren die Hymnen und Gebete, die einst zu meinem Thron aufstiegen? Wo war die Ehrfurcht vor dem Göttlichen, die die Menschen einst in ihren Herzen trugen?

In dieser verwirrenden neuen Welt stellte ich mir die Frage, wie ich, Zeus, der einst über Götter und Menschen herrschte, meine Rolle finden könnte. Sollte ich mich zurückziehen und die Welt ihrem Schicksal überlassen, ein einsamer Beobachter in einer Ära, die mich vergessen hatte? Oder sollte ich, wie in alten Zeiten, eingreifen, meine göttliche Macht nutzen, um Ordnung in das Chaos zu bringen? Oder mich gar den modernen Göttern anpassen und ein Teil ihrer flüchtigen Welt werden?

Während ich durch die Straßen schritt, mein Blick auf den Himmel gerichtet, in dem keine Spur von meinem einstigen Reich zu sehen war, wusste ich, dass die Antwort auf diese Fragen nicht leicht zu finden sein würde. Doch eines war sicher: Die Welt hatte sich verändert, und ich, Zeus, müsste einen Weg finden, in dieser neuen Ära meinen Platz zu behaupten.

                                ****

In den Tagen, die folgten, streifte ich, Zeus, durch die Straßen der modernen Welt, ein Gott inmitten der Sterblichkeit. Ich beobachtete das geschäftige Treiben der Menschen, ihre Freuden und Sorgen, die so anders waren als die meiner vergangenen Ära. Ich sah, wie sie in ihren täglichen Routinen gefangen waren, ihre Aufmerksamkeit oft von den kleinen Bildschirmen gefesselt, die sie in ihren Händen hielten.

Nachts, unter dem verblassten Sternenhimmel, den die Lichter der Stadt verdunkelten, spürte ich eine tiefe Melancholie. Ich vermisste den klaren Blick auf den Kosmos, das Gefühl der Verbindung mit dem Universum, das ich einst als Herrscher des Olymps genossen hatte. Doch in diesen Momenten der Stille fand ich auch Aspekte der Schönheit und Reinheit. Ich beobachtete Kinder, die im Park spielten, ihre Lachen und Freude, die zeitlos schienen, und Künstler, die mit ihren Werken versuchten, die ewige Schönheit und Wahrheit einzufangen.

Diese Ergebnisse brachten mich zu einer Erkenntnis: Meine Rolle in dieser neuen Welt musste nicht die eines Herrschers oder eines zurückgezogenen Beobachters sein. Vielleicht konnte ich als Brückenbauer zwischen der alten Welt und der neuen dienen, als Vermittler von Weisheit und Inspiration.

                              ****

So entschied ich, Zeus, mich nicht länger als ein verlorener Gott einer vergangenen Ära zu sehen, sondern als einen Teilnehmer an dieser neuen, pulsierenden Welt. Ich begann, mit den Menschen zu sprechen, ihnen von den alten Zeiten zu erzählen, von den Lehren, die die Mythen und Legenden bereithielten. Ich fand Zuhörer, die von diesen Geschichten fasziniert waren, die in ihnen eine Verbindung zu einer tieferen Wahrheit und zu den ewigen Fragen des Lebens sahen.

Ich nutzte meine göttlichen Fähigkeiten nicht, um zu herrschen, sondern um zu inspirieren, um den Menschen dabei zu helfen, die Schönheit in ihrem Leben und in der Welt um sie herum zu erkennen. In der Kunst, in der Musik, in den Momenten des tiefen menschlichen Kontakts sah ich die Möglichkeit, das Göttliche in dieser neuen Welt zu offenbaren.

Meine Reise war nicht die eines Herrschers, der seine Macht zur Schau stellt, sondern die eines Weisen, der seine Erkenntnisse teilt. In dieser neuen Rolle fand ich Frieden und einen Sinn. Ich, Zeus, der einstige Herrscher des Olymps, wurde zu einem stillen Hüter der Weisheit, einem Erinnerer a die Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen.

So endete meine Suche nicht in der Wiedererlangung alter Herrlichkeit, sondern in der Annahme einer neuen Rolle in einer Welt, die sich gewandelt hatte. In dieser modernen Ära fand ich meinen Platz, nicht als ein Gott des Donners, sondern als ein Gott der Inspiration, ein ewiger Lehrer des Wunders des Lebens und der Schönheit der Existenz.

Des Donnerwetters zweiter Teil: Der Wettergott wieder

Liebes Tagebuch,

was heute passiert ist, das wird mir selbst Poseidon nicht glauben. Und Poseidon spinnt schon ordentlich Garn für die Seemänner.

Also, ich war heute wieder einmal unten, um nach den Gebeten zu schauen, äh, um mich vom Wohlergeben der Betenden zu überzeugen, ich meine Menschieleins, verflucht noch eins, Menschen. Während ich nun so vor mich hin und her wandelte, sah ich eine größere Ansammlung der kleinen Götteranbeter. Von Langeweile getrieben mischte ich mich unter die Gebetsmühlen, um zu erfahren weshalb sie uns nicht in den Tempeln huldigen und ordentlich Wortnektar liefern. Die Buhler der göttlichen Gunst machten frech Pause, um einem ihrer Gattung zuzuhören. Mitten am Tag einfach so Geschichten hören und fein faulenzen, anstatt in den Beeten zu sein oder zu beten. Und wenn es dann mit der Ernte wieder nicht klappt, DANN werden die göttlichen Lobpreisungen WIEDER zum Heulgebet voller Forderungen. Mehr Regen, mehr Ernte, blabla. Wer will das hören! Wer mag schon sauren Nektar oder isst vom Brot aus bitteren Ambrosia?

Wie auch immer, der die Geschichten erzählte riefen sie Hómēros oder auch Homer: „Erzähl uns von den Argonauten, Homer!“ oder „Erzähl noch einmal vom König von Ithaka und seiner Irrfahrt!“ Und was dann folgte, liebes Tagebuch, dafür würde sich selbst Pseudea schämen, so wurde die Wahrheit gebogen und ins Gewand der Lüge gewickelt.
Angeblich hat sich Odysseus auf dem Heimweg von Troja nach Ithaka verirrt! Nach Ithaka? Von Troja aus? Wie soll das bitte möglich sein? Ist doch einfach nur Kurs Geradeaus, einmal quer übers Ägäische Meer. Und dort gibt es nicht einmal Eisberge!
Ich meine, halb Griechenland war in Troja und nur einer findet nicht nach Hause? Da wollte wohl einer nicht nach Hause. Wundert mich auch kaum, bei dem was Zeus über Penelope erzählt, aber ich will hier nicht lästern. Da würde jeder länger für die Heimreise brauchen und zu Hause anschließend wilde Ausreden auftischen. Von Sirenen, deren Gesang die Sinne vernebelt, sodass niemand mehr Kurs halten kann. Von wegen Sirenen. Sind so sympathisch und erst letztlich bei den Olympischen Spielen haben sie so schön gesungen. Da konnten die Gebetsschwinger gar nicht genug kriegen. Einfach mal eine Karaffe Wein weniger abends und schon klappt es mit der Navigation. Und ordentlich Gebete an Poseidon schicken. Und einfach nie, wirklich niemals nie das kleine Geschäft über die Reling verrichten. Dann klappt’s auch mit der Seefahrt.
Aber was will ich auch erwarten von den Menschieleins. Und diese Geschichtenerzähler erst. Verdrehen doch alle die Fakten für die Auflage.

Ich muss für heute schließen, liebes Tagebuch und zu Poseidon eilen. Der wird stauen, wenn ich ihm von Homer erzähle und seiner Odyssee des Odysseus. Zehn Jahre, was sonst keine zehn Tage dauert.

Dein
Donni

P.S.: Ob ich es heute einfach mal schneien lasse? Oder wieder Hagel mitten im Sommer? Das sollte die kleinen Bußgänger zum Nachdenken anregen. Weniger Lügengeschichten, mehr beten! Oder doch wieder Fische und Frösche als Regen? Klassiker werden niemals alt. Diese Entscheidungen immer. Es ist nicht einfach, ein Gott zu sein…

Aufgetaucht

Was für ein Tag! Hätte ich das gewusst, ich wäre im Untergrund geblieben.

Aber in den Ozeanen war es mir zu warm geworden und der Dreck hat mir gestunken. Ständig Plastik im Haar und Bart. Ich wollte mal oben nachschauen und landete mitten in einem Häusermeer - falsch abgebogen. Keine Orientierung.

Die Menschen begegneten mir auch nicht huldvoll, eher verängstigt sprangen sie zur Seite, manche schrien. Da dachte ich, es wäre ein Wink meines Bruders, lese ich doch meinen Namen groß und beleuchtet: Poseidon. Ich ging durch den dicken Filzvorhang und sogleich umströmten mich heimatliche Gerüche. Auch sah ich in allen Ecken Abbilder meiner Kollegen stehen. Befremdlich allerdings, manche ohne Arme, einer sogar Kopflos andere ihrer Manneskraft beraubt. Das war Götterlästerung.

Die Leute waren genauso irre, wie die auf den Straßen.

„Hallo – verlassen sie sofort mein Restaurant,“ schreit mich der Typ hinter der Theke an, „hier bewaffnet und halb nackt aufzukreuzen.“

Ich hatte mich gerade in meiner ganzen olympischen Pracht vor ihm aufgebaut und wollte mit dem Dreizack die Erde so richtig beben lassen, da hörte ich die Sirenen und im Raum flackerte blaues Licht. Wie zu Hause dachte ich noch, dann wurde ich von hinten niedergerissen. Zehn gegen Einen – wie gemein.

Nun sitze ich hier in einer Zelle, zwangsweise bekleidet mit viel zu kleiner Jogginghose und Shirt mit Aufschrift Polizei.

Meine ganze Hoffnung ruht nun auf der römischen Kollegin – die mit den verbundenen Augen und der Waage in der Hand.

Auf göttlichen Wegen

„Oh wie schön ist das! Gesellschaft! Ich dachte schon, ich muss allein weiterreisen…“

„Guten Tag Gnädigste, schön Sie kennenzulernen“ erwiderte Pediculus Capitis verzückt und schüttelte dennoch verhalten dieser bezaubernen Dame eines ihrer sechs Beinchen.

„Heute endet leider meine Europareise als Blinder Passagier. Ich bin endlich am Ziel, dem Tod näher geweiht als dem Leben, in welchem man mich, entschuldigen Sie bitte, Sie und unseresgleichen permanent loswerden will. Die meisten von uns werden, besonders in Europa am Ende vergiftet um erneut und abermals als Pediculus Capitis wiedergeboren zu werden.“
„Was bitte? Vergiften wird man uns?“ ängstlich schaute sich Pediculusa Mona um.
"Na Sie wissen nicht? Sobald wir entdeckt sind, balsamiert man uns ein und das war es dann… In meiner Heimat ist es etwas einfacher die Flucht zu ergreifen. Dort wimmelt es nur so von uns und man nutzt diese Mittelchen weniger, wobei es auch nicht ganz ungefährlich ist, droht man doch zerquetscht zu werden.

„Wieso sind Sie dann nicht mehr dort?“ versuchte sie die Unterhaltung fortzuführen.

„Da ich versuchen muss zu überleben und eines natürlichen Todes zu sterben, versuche ich immer dicht am Menschen zu bleiben und weiterzuwandern. Durch einen Zufall bin ich neulich in einem wahrhaft göttlichen Metallvogel gelandet und so nach Deutschland gekommen. Mit dem Zug ging es weiter nach Tschechien, Österreich, Italien, Andorra, Spanien, Frankreich… Ach wäre ich nur wieder der, der ich vor 2500 Jahren war… überall könnte ich auf diesem Weg meine Lehren verbreiten, ihnen glaubhaft vermitteln, was die Menschen noch nicht wissen. Müsste nicht wie damals zu Fuß weite Strecken zurücklegen…“ Er schluchzte. Eine Träne rann seinen kleinen Kopf hinunter und der Juckreiz, den er damit auslöste, ließ eine riesige Hand nach ihm greifen und über seinen Wohnsitz kratzen. Auch Pediculusa Mona musste schnell ausweichen. Das war gerade noch einmal gut gegangen.

„Tiefer kann ich nicht mehr sinken“ plapperte er einfach weiter.

Seine Bekannschaft war empört.
„Was wollen Sie mir damit sagen?“ tönte sie leicht verärgert.

„Meine Aufgabe ist es, alles irdische zu lernen und irgendwann als Mensch wiedergeboren zu werden um alles überirdische weiterzugeben. Doch ich scheitere immer wieder an derselben Stelle. Kurz vor dem Ziel mache ich eine liebenswerte Bekannschaft, werde unaufmerksam und … und dann…“ stotterte er. Wieder schnellte die Hand hoch. „Autsch! Das war knapp!“ Er drückte sich an sie. "Hi hi… " kicherte sie. Und auch Pediculus musste lachen.

„Und dann …passiert genau das. Anschließend wache ich wieder als einfache Kopflaus auf.“ Nun begann er bitterlich zu weinen. Pediculusa Mona hatte heftigstes Mitleid mit ihm.

Plopp. Mit einem Schlag wurden sämtliche Gefühlsduseleien unterbrochen. Dunkel wurde es um beide.

Die junge Frau mit dem reservierten Sitzplatz Nr.34, im Abteil des Waggons neben dem Bordrestaurant, ruckelte ihren Hut im Spiegel zurecht um schließlich gewissenhaft ihren Lippenstift nachzuziehen. Ihr hübscher Mund verzog sich, versuchte sie sich doch den quälenden Juckreiz unter ihrem Schmuckstück nicht anmerken zu lassen.
" Gerard, on est presque arrivés. Tu m’aides, s’il-te plaît? " Ihr Mann verließ den Fensterplatz neben ihr und hob leise stöhnend den schweren Koffer von der Ablage.

Pediculus und Pediculusa Mona zuckten zusammen.
"Seit Jahrhunderten fahre ich mit allen möglichen Vehikeln und Transportmöglichkeiten, zuletzt diese vierwöchige Reise mit dem Zug. Ich bin immer zu einem neu eingestiegenen Fahrgast gewandert. Das hat endlich gut geklappt. Und ich habe wirklich versucht mich nicht wieder zu verlieben. Einen Tag muss ich nur noch noch schaffen… " Dumpf klang die Stimme, seine Tränen wie ein Wasserfall unter Tage unter dem gut sitzenden Filz.

Irgendwann hörte sie nichts mehr.
„Pediculus? Bist du noch da?“ rief sie auf ihre Art laut. Doch es kam keine Antwort.
Er hatte es wohl geschafft. Ein wenig freute sie sich für ihn, wenn auch nicht für sich.
Es kullerte eine Träne über ihr Gesichtchen und so legte sie sogleich ihm zum Gedenken ein paar Eier ins Dunkle.

Wenn sie nun auch bald gestorben ist, dann wird sie wohl erneut als ihresgleichen wiedergeboren.

Pediculus hat sein Ziel nur beinahe erreicht. Er sitzt als Buddhafigur aus Naturstein im Schaufenster eines edlen Einrichtungshauses mit fernöstlichem Charme in Paris. Und weiss nicht, was er diesmal wieder falsch gemacht hat…

Ich bin …

…erwacht.
Etwas hat meine Jahrtausende währende Meditation gestört. Ich öffne die Augen, obwohl ich sie nicht bräuchte. Sehe meine Manifestation des Höchsten auch ohne sie. Wozu bin ich allwissend? Allmächtig? Allgegenwärtig? Immer da?
Ich sitze in meiner Höhle im Silberberg, den Menschenschlangen betend umrunden. Om Namah Sivaya. Das ist gut. Sie haben mich nicht vergessen.
Das Löwenfell, welches mir als Unterlage dient, ist staubbedeckt. Wie meine ganze Gestalt. Nur am Hals erkennt man die blaue Farbe der Haut, als ich leicht das Kinn hebe. Eine Erinnerung an das Gift, welches ich aus dem Urmeer gesogen habe. Äonen zuvor. Mit einem tiefen Atemzug wecke ich den Körper. Die Gebetsketten spannen sich rasselnd um meine Brust. Eine lange Haarsträhne streift die linke Schulter. Vorsichtig hebe ich die unteren beiden Arme, welche im Schoß geruht haben. Wische damit den Staub aus dem Gesicht. Die Finger des rechten oberen Arms umfassen kampfbereit fest den Dreizack. Die Hand auf der anderen Seite dreht die Sanduhr.
Ich verfolge, wie die rieselnden Sandkörner die Richtung wechseln. Was hat meine ewige Meditation unterbrochen? Sind die Dämonen wieder in diese Welt vorgedrungen? Auf den Herrscher der Himmel ist kein Verlass. Zu viele Sphären hat er bereits an sie verloren.
Hitze steigt mit der Wut einhergehend in meinen Kopf und erschwert es, einen klaren Gedanken zu fassen. Sind meine Fähigkeiten als kosmischer Tänzer von Nöten? Ich verschaffe mir einen Überblick. Die Gestirne verrichten brav ihre Aufgabe. Es wird nicht nötig sein, das gesamte Universum zu zerstören. Das Herz rast in meiner Brust. Etwas stimmt doch nicht? Ich schiebe die Schleier beiseite. Enthülle die Wahrheit. Meine geliebte Parvati, die Offenbarung Shaktis, hat mich in größter Not gerufen. Sie kümmert sich um den Fluss des Lebens, während ich versuche Geist, Körper und Seele im Einklang zu halten, um nicht noch einmal versehentlich Bramahs Kopf abzuschlagen. Ihre weibliche Schöpfungskraft kämpft wie eine Löwin, um die Natur zu retten. Ich erkenne, was geschehen ist. Dämonen. Sie haben sich eingenistet. Haben die Menschen, die wir erschaffen haben, um in reiner selbstloser Liebe dieses Paradies zu hüten, versklavt. Mit ihrer begrenzten Wahrnehmung ist ihnen nicht einmal bewusst, was sie meiner Partnerin antun. Keine Angst Geliebte. Ich bin wach. Ich, Shiva, öffne mein drittes Auge und vernichte, wie es meine Pflicht ist.