Seitenwind Woche 7: Göttlicher Auftritt

Jupiters Temperament

Irgendjemand muss mich wohl aus meinem Tiefschlaf gerufen haben, dass ich plötzlich hier bin.
Wo bin ich eigentlich?
Was für eine Kälte hier.
Und wo ist mein Freund Aithon?

«Ich komme mein geliebter Jupiter» und fliegt auf den rechten ausgestreckten Arm zu.
«Weisst du, wieso wir hier sind», fragt Jupiter seinen Adler.
«Es heisst, die Menschen haben mit dem Welt-Klima ein Problem.
Es wird weltweit immer wärmer», antwortet Aithon.
«Immer wärmer?», wiederholte Jupiter schlotternd.
«Wo ist es denn bitte hier warm, mein Freund?»
«Wir befinden uns mitten im Südpol, da ist es eindeutig nicht warm», hauchte Aithon vor sich hin.
«Nun, wieso sind wir denn gerade hier gelandet?»
«Ich habe einen klitzekleinen Fehler gemacht, Jupiter.»
«Und wo sollte es denn hingehen, lieber Aithon?»
«Nach Italien.»

«Ja, ich muss sagen, hier ist es bedeutend angenehmer.
Und wo ist jetzt genau das Problem, mein Freund?»
«Das Problem ist, dass es immer wärmer wird auf dieser Welt», antwortet Aithon.

«Haben die Menschen nicht wichtigere Anliegen als die Wärme?
Sieh mal, wie all ihre Häuser aussehen, die vielen Strassen und die kleinen Waldbestände und wo sind all die wunderbaren Tiere?
Was zum Teufel stimmt mit den Menschen nicht?»

Aithon geht langsam in Deckung, da ihm Jupiters Temperament noch gut in Erinnerung geblieben ist.
Jupiter lässt es mit seinem Donnern und Blitzen, stürmen und Beben der Erdteile so richtig krachen. Nicht nur in Italien, sondern weltweit.
Offensichtlich muss er seinem Zorn freien Lauf gewähren.

«So, nun hoffe ich, dass ich die Menschen etwas wachrütteln und erhellen konnte.
Wissen sie denn nicht, dass es kein Welt-Klima gibt. Wetter ist regional.
Jedoch ist es normal, dass sich die Klimazonen stets verändern.
So war es früher und so wird es immer sein.»

Aithon kommt langsam hinter dem Olivenbaum hervor….

Ich bin wie ich bin

Ich bin das rosa Einhorn,
und ich bin unsichtba.

Seit neunzehnhundertneunzig
bin ich jetzt manifest
und werde immer größer,
wenn Du mich nachmittags zum Tee
an die Rosinenbrötchen lässt.

Wenn du es auch nicht sehen kannst,
ich schimm’re wundaba natürlich
rosa und im Stillen
gegen jeden Willen mich zu seh’n
bleibt meine Unsichtbakeit jederzeit besteh’n.

Nur wenn ich in der Krone
in der ich manchmal wohne
einen sitzen hab,
dann schimm’re ich ein bisschen blau.

Doch bin ich leida unsichtba
sonst wär’ das wirklich
wundaba schön anzuseh’n für alle
die an sowas Rares glauben können
wie an mich,
das Unsichtbare Rosa Einhorn
das täglich in sein Weinhorn weint
um jeden der es ungläubig verneint.

Unterschätze meine Esse nicht

Ich war vor Jahrtausenden das letzte Mal durch diesen Ausgang gekommen. Ohnehin zieht es mich selten an die Erdoberfläche. Als Vulcanos habe ich genug in meinen Schmieden unter Italiens Boden zu tun.

Der Abzug meiner Esse ist derzeit reparaturbedürftig. Um ein wenig den Schlot zu entlassen, habe ich den Vesuv mal durchgeblasen. Das hat mir ja auch immer eine besondere zusätzliche Verehrung eingebracht. Wird mir nochmal gut tun.

Ich trete durch die kleine Nebentür nach draußen und hole nach so vielen Jahrhunderten unter dem Boden mal wieder tief Luft unter freiem Sternenhimmel.

Aber von Sternen keine Spur - eher nur Lichtnebel. Ich bekomme einen Hustenanfall. Es stinkt. Es rauscht von allen Seiten. Hat Poseidon das Meer aufgeschäumt?

Ich lasse meine Blicke schweifen. Ich sehe ein Lichtermeer, wo zuvor nur bewachsene Hänge waren. Irgendwelche Lichter mit rasender Geschwindigkeit jagen hin und her. Selbst über mir saust irgendwas rotblinkend mehrfach hinweg. Die Luft schmeckte dreckig.

Ich stehe da und bin fassungslos. Was ist hier los?

Stundenlang lasse ich den Lärm auf mich einprasseln. Atme diese stinkende Luft ein. Sehe, wie die Landschaft jede Schönheit verloren hat. Mit aufsteigender Sonne wird das Bild nicht besser. Niemand kommt, um mir zu huldigen.

Ich drehe mich um - tief enttäuscht - und gehe unter die Phlegräischen Felder, meine wirklich große Schmiede… Wenn ich nur noch ein bisschen warte, bläst der Druck sich den Weg frei. Normalerweise bin ich gegen Chaos. Ich schmiede schöne, nützliche und notwendige Dinge. Jetzt nehme ich das wahrlich größte Werk meines Lebens in Angriff. Danach ist viel Platz für Neues. Versprochen!

Und ich, Vulcanos, werde wieder verehrt! So, wie es sein sollte.

WECKRUF

Mein Kind, geliebtes Kind.

Was tust du da auf der Erde, meiner göttlichen Schöpfung? Siehst du nicht, wohin das alles führt? Wieviel mehr Kriege, Katastrophen und Leid muss es noch geben, bevor ihr aufwacht?

Du fragst dich, warum die Welt so ist, wie sie ist, voller Krisen, Schmerz und Leid? Weil ich dir und deinen Geschwistern den freien Willen gab. Die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das war als Geschenk gedacht, damit du die Möglichkeit hast, dich selbst in allen Facetten zu erfahren. Damit du dich in einer Welt der Gegensätze für das Gute, das Richtige entscheiden kannst. Denn das Licht braucht die Dunkelheit, um sich als Licht zu erkennen und zu erleben, wie eine Kerze in der Nacht.

Ich weiß, dein Leben ist im Moment nicht leicht. Doch es war deine eigene Entscheidung, hierher zu kommen. Um Erfahrungen in einem menschlichen Körper zu machen, den es nur auf dem Planeten Erde gibt. Doch du bist mehr als dein Körper, so viel mehr! Du erinnerst dich nicht? Nun, du hast dich entschieden, es zu vergessen. Damit du hier lernen und wachsen kannst. Alles, was dir passiert, dient deiner Entwicklung und hat einen Sinn.

Es ist an der Zeit, sich an all das zu erinnern. Mit deinen Geschwistern, den Tieren und der Natur in Frieden zu leben. Beginne noch heute damit, mein Kind. Warte nicht darauf, dass andere den Streit begraben und die Krisen lösen. DU bist die Veränderung, die du in der Welt sehen willst. Geh mutig voran und höre auf deine innere Stimme, die Sprache deiner Seele. Sage nein zu allem, was nicht richtig ist. Bringe deine Liebe, dein Leuchten, deine Gaben in die Welt.

Erkennst du, wie das Alte, das nicht mehr funktioniert, sich Stück für Stück verabschiedet? So kann das Neue entstehen, das Paradies auf Erden. Denn dies ist mein Wille, so steht es geschrieben. Du bist nicht zufällig zu dieser Zeit hier. Du bist einzigartig und wirst gebraucht, wie ein Puzzlestück an der richtigen Stelle.

Erkenne, dass ich in allem bin, was ist, in jedem Geschöpf, jeder Zelle, jedem Atom. Das, was du deinem Nächsten antust, tust du mir an. Das, was du deinem Nächsten schenkst, schenkst du mir, und gleichzeitig dir selbst. Denn wir alle sind verbunden und werden es immer sein. Wie ein Wassertropfen im Meer ein ungetrennter Teil des Ozeans ist.

Ich liebe dich, mein Kind. Wach auf und erinnere dich. JETZT.

Gott, wie langweilig

Man soll sich ja nicht selbst loben. Aber im Großen und Ganzen bin ich eigentlich ziemlich zufrieden mit mir.
Gut, manche Sachen haben sich vielleicht etwas komplizierter entwickelt, als sie sein müssten … Das mit dem Denken zum Beispiel, oder auch das Reden … Und dann erst das Schreiben! Das macht die Menschen unzufrieden und nachtragend, ständig nörgelt einer rum, jammert über das Schicksal, beschwert sich über die anderen – manchmal sogar bei mir persönlich! Dabei sind sie selber schuld: Sie könnten sich ja auch einfach alle lieb haben, so wie es gedacht war. Aber da heißt es dann: Gott, ist das langweilig!
Tja, was soll man machen? Eigens eine Sintflut? Noch mehr Seuchen? Wieder sieben Plagen? Alles schon versucht – viel zu anstrengend, für das, was es bringt. Aber muss ja gar nicht sein: Es regelt sich doch eh alles von selbst, und irgendwie geht es immer weiter. Die Dinge kommen und gehen, was entsteht, vergeht auch wieder, Auf und Ab, Geburt und Tod, Schmerz und Freude…
Also kein Grund zur Verzweiflung, Leute – aber auch kein Grund zur Anbetung. Ich möchte einfach nur hier sitzen, mich entspannt zurücklehnen und zuschauen, wie die Welt sich dreht.

Besuch von Außerhalb

„50 Meter kreisrund abgemäht?“
„Nein, nicht abgemäht. Die Halme und Ähren sind noch da, dafür umgeknickt.“
Der Bauer machte eine Pause. Dirk war unbehaglich zu Mute.
„Mittendrin stand der hier.“ Der Bauer zeigte auf den mittelgroßen Mann, den Dirk für den neuen Knecht gehalten hatte. „Kein Wort Deutsch. Dafür aber das hier.“ Der Bauer zeigte hinter sich, Dirk sah ein normales Getreidefeld. „Nur die Erde ist noch platt. Die Halme hat er einfach wieder aufgestellt.“
„Woher kommt er?“
„Ich weiß es nicht.“
„Und wenn er Krankheiten mitbringt?“
„Oder es sind viele,“ sagte der Bauer.
„Und sie wollen die Erde erobern. Uns zu Untertanen machen.“
„Wir müssen ihn beiseiteschaffen,“ sagte Dirk. „Bevor er Unheil anrichtet.“
„Wie bitte?“, fragte der Bauer.
„Ich habe nichts gesagt,“ antwortete Dirk.
„Jetzt gleich?“, fragte der Bauer.
„Am besten, ja.“
„Womit?“
„Womit bringen sie die Schweine um?“
„Du meinst ein Bolzenschussgerät?“
„Ja.“
„So eins?“ Der Bauer zog einen Bolzenschießer aus der Tasche.
„Du hast einen dabei?“, fragte Dirk erstaunt. Der Bauer ärgerte sich, dass er das Gerät so unbedacht aus der Tasche gezogen hatte. Dirk kam ein fürchterlicher Verdacht. „Das ist gar kein Außerirdischer!“ Dirk stürmte auf das Wesen zu. Unterwegs schrie er aufgeregt: „Das ist kein Wesen, das ist eine Puppe! Und du willst mich zum Narren halten!“ Er schlug auf das Etwas ein, als er bei ihm ankam. Das Wesen trat einen halben Schritt zur Seite, Dirk stieß mit den Fäusten ins Leere. Er blieb stehen und ließ die Arme entkräftet sinken.
„Ihr seid noch nicht weit gekommen,“ kam eine Stimme aus dem Wesen, das jetzt Dirk und den Bauern abwechselnd ansah. „Ihr geratet immer noch wegen Nebensächlichkeiten in Streit und alles, was euch fremd ist, bringt ihr am liebsten um. Ihr vergeudet eure kostbare Energie auf vermeintliche Feinde, die sich nur geringfügig von euch unterscheiden. Konzentriert euch auf das Wesentliche und euer Leben wird leicht sein, ohne Waffen, ohne Verteidigung. Wir sind gekommen, um euch dabei zu helfen.“

Falsch.

Eine Gewissheit wie ein kalter Dolch in meinem Herzen. Das hier war falsch.
Aus dem seligen Nichtsein der Existenz weckte mich dieser eine Gedanke, diese Erkenntnis, dass wieder jemand an mich glaubte. Mich rief.
Aber warum schmeckte die Luft so faulig, klang der Herzschlag der Welt so stolpernd und krank? Warum war der unsichtbare Raum zwischen den kleinsten Teilen des Kosmos, der, der sonst nur den Geistern vorenthalten war, erfüllt von Wellen und Strahlung? Wie lange hatte ich geschlafen, seit jenen Tagen, als die Menschen mir ihre Töchter als Oper darbrachten? Und was war das für ein grausiges Geräusch?
»Krass! Es hat wirklich geklappt!«
In den tausenden von Jahren meiner Existenz hatte ich nie verstanden, warum sich bei Säugetieren Fell und Haare aufstellten, wenn Sie unangenehm überrascht wurden. Doch komischerweise wusste ich instinktiv, dass mir gerade genau das widerfuhr.
Wie von selbst öffneten sich meine Augen und es wurde Licht. Seit wann war ich den elenden Einschränkungen eines sterblichen Körpers unterlegen?!
»Seht ihr das meine Fans?! Er muss es sein! Er ist im Bannkreis erschienen und verdammte scheiße, er sieht unglaublich heiß aus! Ist das nicht völlig abgefahren? Dieses Video wird sowas von viral gehen!« Die unangenehm hohe Stimme quietschte herum wie ein sterbendes Kaninchen und sie schien mit jemand anderen zu sprechen. Doch außer ihres spürte ich in nächster Nähe kein menschlich Herz schlagen.
Nur langsam nahmen diese erbärmlichen Augen ihren Dienst auf und lieferten mir Bilder, die keinerlei Sinn ergaben.
Da stand ein weiblicher, hysterisch gestikulierender Mensch im Kegel eines künstlichen Lichtes, gehüllt in alberne schwarze Kleidung. Ich musste mich wohl in einer ihrer Behausungen befinden, doch hatte dies nichts mit den prunkvollen Tempelhallen gemein, die ich kannte. Das Zimmer ähnelte eher einer Höhle, war abgehangen mit schwarzen Tüchern und überall brannten stinkende Kerzen. Um mich herum auf dem merkwürdigen Fußboden, der aussah, wie Holz, was jedoch keines war, prangten Zeichnungen, die ich gleich als Beschwörungsformeln erkannte.
Anstatt einer Jungfer auf dem Opferaltar starrten mich Dinge an, die an menschliche Totenköpfe erinnerten, aber aus dem völlig falschen Material bestanden. Nirgends ein Hohepriester oder ein Knabenchor, der mir huldigte. Sollte diese Sterbliche es wirklich gewagt haben …?
»Krass Leute, ihr seid die Besten! BlackMagier_Salem hat 150 Euro gespendet, WítchFán sogar 186,50 Euro. Na, wer hat da Papas Paypal-Account gehackt und die Familienreserven geplündert?« Die Sterbliche gackerte und klang jetzt eher nach Huhn als Kaninchen. »Alles klar, ich nehme jetzt Kontakt auf.«
Sie räusperte sich und breitete in einer dramatischen Geste die Arme aus. »Oh großer Drachengott Shen-Fu-Long, sei willkommen. Du wurdest gerufen von Scarlett_Kadabra_sweet17 und wirst mir meine drei Wünsche erfüllen!« Sie blickte mit gerunzelter Stirn auf ein zerknittertes Stück weißer Zellulose in ihren Händen. »Äh >fe el lothireriés Co’mu lasthe enetafaley<.«
Ich war sprachlos. Nicht nur die Aussprache war völlig falsch, auch der Inhalt lautete bei wohlwollender Auslegung so viel wie: Wo ich Schafswolle essen Hautausschlag. Wie hatte diese Unwürdige mich beschwören können? Und wie bei den Sternen kam sie darauf, dass ich ihr Wünsche erfüllen würde?!
»Meine treuen Fans werden es dir bestätigen können, ich selbst war es, der im Museum die alten Texte abfotografiert und mit Hilfe von Chat GTP übersetzt habe! Ich habe dich in die Gestalt eines Menschen gebannt, wie du vielleicht gemerkt hast, damit nicht die NASA, die NSA und Google direkt den riesigen schwebenden Drachen über unserem Haus sehen.« Sie fletschte ihre Zähne in etwas, was Menschen ein Grinsen nannten. »Die Youtube-Hexen-Ausbildung hat sich alle Male bezahlt gemacht! Na, was sagst du dazu?«
Sie war völlig verrückt. Obwohl ich dank meiner Macht in der Lage war, frei von Sprache jedes Wort zu verstehen, ergab ihr Gebrabbel keinen Sinn. »Unwürdige«, grollte ich, wie es Sterblichen seit jeher Respekt abverlangte, »dieser Frevel wird nicht ungesühnt bleiben!«
»Oh wooow!« Quiekte sie los, »habt ihr diese Stimme gehört? Da kann selbst Hollywood gegen einpacken. Völlig abgefahren, ich bin sowas von verliebt, Leute. Schnell, ein Selfie!«
Jetzt drehte mir dieser Fleischsack auch noch den Rücken zu und hielt ein flaches Ding in die Höhe, in der ich unser Spiegelbild sah. Sie formte ihre Lippen wie zum Kuss und reckte zwei Finger in die Höhe.
Genug war genug.
Ich wollte ihr Herz mit einem Gedanken zerquetschen, ballte die Faust und …
Nichts.
Was zum …
»Hey, du guckst so böse Shen-Fu-Long. Voll kawaaaai.« Sie wandte mir wieder ihr gerötetes Gesicht zu, bei dem ich irritiert feststellte, dass es angemalt war und ihre Augen von einer grünen, halbdurchsichtigen Schicht bedeckt waren. »Tut mir leid, aber was ich da abgeschrieben habe, war nicht weniger als eine uralte verbotene Schriftrolle aus dem bis her verschütteten Tempel der Himmelsgötter. Ich fürchte, du gehörst jetzt erst mal mir und meinen Fans.« Sie kicherte infantil. »Und mein erster Wunsch lautet: Ich will das neue IPone mit einer diamantenbesetzten Hülle. Mein Zweiter kommt von meinem treusten Abonnenten Meganerd81, der den Bieterwettbewerb mit 2.810 Euro gewonnen hat: Du tötest seine Exfrau Sally Werner, wohnhaft in Neustadt-Süd. Und mein Dritter: Komm da raus und küss mich! Mit Zunge!«
Diese Schriftrolle. Ich war so sicher gewesen, sie verbrannt zu haben. Ich hatte keine Ahnung, was ich IPone sein sollte und doch drängte alles in mir danach, dieser Sterblichen ihre Wünsche zu erfüllen.
Das würde ein verdammt unangenehmer Aufenthalt auf Erden werden …

Urlaubsreif

Liebes Tagebuch!

Mein Job ist harte Arbeit. Fast wie selbständig sein. Selbst und ständig. Das ist verkehrt. Eigentlich war dieses Gottsein für den Bereich Poesie nur als Beiwerk gedacht. Damit die Menschen mehr Auswahl haben, wenn sie mir huldigen. Aber gut, immer wenn ein Satz mit »eigentlich« beginnt …

Nachdem Bekannte von diversen Besuchen in 2023 berichteten, habe ich direkt gebucht. Alle beschäftigt mit Krieg und virtuellem Schnullibulli? Klasse, da dürfte der Gott der Poesie ausspannen können. Die freien Tage habe ich mühelos bekommen. Mist aber auch. Nun häng ich hier fest.

Ohne Vorwarnung wurde ich in einen Wettkampf der Denkenden geworfen. Seitenwind heißt das heute. Klingt gar harmlos. Ist es aber nicht. Ich würde das Ganze als wüstes Poesie-Gelage bezeichnen.

Nach Begutachtung der Teilnehmer rettete ich mich Schutz suchend zu einer harmlos aussehenden Tipperin vom Lande. Vielleicht nicht ganz so derbe, dachte ich. Pustekuchen. Seit sieben Wochen werde ich nun in schöner Regelmäßigkeit angebetet, verflucht, beschimpft und ausgewrungen.

Sie hat die Sache mit dem Perspektivwechsel ernst genommen. Sogar aus männlicher Sicht erzählt. Obwohl sie offensichtlich kein Mann ist. Schon wenn sie sonntags ihr Heißgetränk auf dem Schreibtisch platziert, wird mir schwindelig. Ich hasse Sonntage!

Liebes Tagebuch, ich hoffe, es gibt keine Zusatzwoche. Das halte ich nicht aus. Ich kann nicht mehr.

Dein Apollon

Gruseltok

»Du bist stattlich geworden«, lobte die Göttin die tausendjährige Eiche und streichelte deren knorrige Rinde. Der Baum raschelte bescheiden im Wind des lieblichen Maitages.

»Danke, göttliche Nantosvuelta. Du warst lange nicht mehr bei mir. Was führt dich her? Hast du etwa mitbekommen, was heute Nacht geschehen ist?«

»Ich bin hier, verehrter Baum, weil ich einen goldenen Kamm vermisse, eine Opfergabe, die mir ein keltisches Mädchen gab, welches um die Liebe eines jungen Manns flehte.«

»Hast du ihren Wunsch erfüllt?«

Nantosvuelta lächelte geheimnisvoll.

»Göttinnengeheimnis.«

Die Eiche wippte ergeben mit den Zweigen.

»Wie du möchtest, Mächtige.«

»Hast du meinen Kamm?«

»Baumgeheimnis.«

Nantosvuelta liebkoste den Stamm ihrer alten Freundin.

»So, so«, sagte sie. »Sind die Ereignisse der letzten Nacht ebenfalls geheim?«

»Eine weise Frage, verehrte Göttin. Schau einmal dort ins Laub, wenn es dir gefällt.«

Zwischen braunen Eichenblättern vergangener Jahre ruhte ein schwarzes Rechteck mit gläserner Oberfläche und abgerundeten Seiten. Nantosvuelta hob den Gegenstand auf und betrachtete ihn.

»Was ist das?«, fragte sie.

»Ein Menschen-Artefakt. Fast alle Menschen tragen so etwas mit sich herum. Sie fangen damit Bilder und Sprache ein und schicken sie fort.«

Nantosvuelta hob beeindruckt die Augenbrauen. Allerhand. Was die Menschen nur immer wieder hervorbrachten. An der Seite des Artefakts spürte sie eine Erhebung, die beweglich wirkte. Sie drückte sie nieder. Zu ihrer Überraschung verfärbte sich das Glas und ein Bild erschien.

»Es sucht nach seiner Herrin«, sagte der Baum. »Nach ihrem Gesicht.«

»Hm«, machte die Göttin. Sie spürte das Genom der Menschin an dem Gerät und las deren Aussehen. Die Göttin verwandelte ihr Antlitz – und tatsächlich. Das Artefakt reagierte. Es sprach die einfache Sprache der Mathematik, wie erfreulich. Nantosvuelta fragte, was zuletzt geschehen war. Bereitwillig zeigte das Artefakt wandelnde Bilder seiner Herrin. Eine junge Menschenfrau, ähnlichen Alters wie jenes Mädchen, das den goldenen Kamm geopfert hatte.

»Leute, ist das unheimlich hier. Ich frage mich einerseits, was ich hier mache – und freue mich andererseits auf meine Nacht mit der Geister-Eiche. Ich melde mich zur Geisterstunde, hu, hu!«

Das Bild wechselte, die junge Menschin stand vor dem nächtlichen Baum.

»Wirklich unheimlich, aber bis jetzt nichts Besonderes, es raschelt nur überall.«

Neues Bild. Diesmal war das Gesicht der jungen Frau starr vor Schreck.

»Wer ist da? Oh, mein Gott, was passiert mit meinen Händen? Wer bist du?« Ein Mann erschien im wackligen Bild. Nantosvuelta erkannte ihn sofort.

»Sucellus!«

Seit vielen Menschenaltern hatte sie ihren göttlichen Freund aus den Augen verloren.

Nächstes Bild: Ein menschlicher Arm, aus dem statt einer Hand Zweige zu wachsen schienen. Jemand schrie. Sucellus, hatte er das Mädchen etwa verwandelt? Dieser Hitzkopf.

Das wandelnde Bild verwischte, dann kam nichts mehr.

In gebührendem Abstand zur alten Eiche wuchsen ein paar junge Bäume. Eine Haselnuss, eine Eberesche, eine Fichte (was hatte die hier zu suchen) und eine Birke.

»Welcher Baum ist das Mädchen?«, fragte Nantosvuelta.

»Rate mal«, säuselte die Eiche.

»Eichen sollst du weichen«, brummte die Göttin.

Wer war das Mädchen? Sie wollte es retten. Welcher dieser jungen Bäume? Nantosvuelta wechselte ihre Gestalt und wurde ein warmer Frühlingswind, ließ das Artefakt im Laub zurück, strich auf die Bäume zu.

Stimmen im Wald, Geschrei. »Da, das ist die Geister-Eiche!« Der Boden bebte unter den Tritten zahlreicher Menschen.

»Hier ist sie gewesen, das ist genau der Baum aus ihren Tiktoks. Oh Gott, da liegt ihr Handy!«

Die Göttin erschauerte. So viele Menschen war sie nicht mehr gewohnt. Nantosvuelta entschwand. Sie würde eine oder zwei Generationen später wiederkommen. Vielleicht war es dann ruhiger. Und der Baum, der ein Mädchen gewesen war, würde noch da sein, wenn niemand ihn fällte.

Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind …

„O Demeter, Schwester des Zeus, Göttin der Fruchtbarkeit, des Getreides und der Saat, höre uns an, wir sind Deine Diener“.
Der Chor der Gläubigen wurde von einem Priester in weißem Gewand angeleitet. Kerzen brannten auf einem Alter. Es war kein Tempel der Demeter oder der Ceres, wie mich die Römer nannten, geweiht. Es war ein Götterhaus aus einer Zeit nach uns olympischen Göttern. Zeus war zu Gottvater geworden, Hera zu Maria und Hades zum Teufel, die anderen Götter wurden durch Heilige ersetzt, aber geändert hatte sich nicht viel. Das Götterhaus – nein Gotteshaus, es gab offiziell nur den einen Gott, war schon etwas baufällig geworden. Die beste Zeit der christlichen Götter war auch vorbei. Was also wollten die Gläubigen von mir, Demeter? Wenn schon ein Revival olympischer Götter, warum nicht Aphrodite?

„Was kann ich für euch tun, Menschen?“

Die Rufenden verstummten und rissen Augen und Münder auf. Der Priester fand als Erster seine Worte wieder:
„O Demeter, welch große Ehre!“, mehr Worte brachte er vor Ehrfurcht erst mal nicht heraus.
„Eine Gottesinkarnation nach mir hat mal ein göttliches Gesetz sehr treffend formuliert. <<Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen>>, hat er gesagt. Ich habe keine Wahl! Was wollt ihr?“

Der Priester überwand seine Lähmung: „Wir brauchen Deine Hilfe, Herrin! Wie Dir einst Deine Tochter Persephone, die Göttin des Frühlings und der Fruchtbarkeit, entführt wurde, so hat man uns unsere Kinder geraubt. Sie leben nicht mehr in unserer Welt. Sie sind in die digitale Welt der Spiele, Social Media, Chats, Apps, Smartphones und 3-D Brillen entführt worden.“

Ja, ich erinnerte mich noch gut. Zeus, mein Bruder und Vater Persephones hatte damals seinen Sohn Hermes, den Götterboten, zu Hades geschickt, um ihn zu zwingen, Persephone frei zu lassen. Er konnte einen Kompromiss erwirken. Weil sie nur 4 der 12 Kerne des Granatapfels gegessen hatte, musste sie fortan 4 Monate des Jahres bei ihm in der Unterwelt verbringen und durfte 8 Monate bei mir auf der Erde leben.
Zu den Menschen sagte ich: „Ihr wollt also einen Kompromiss mit dem Gott der digitalen Welt, der Euch eure Kinder zeitweise zurück gibt. Wie sollte ich den wohl erreichen können?“
Der Priester richtet sich auf und schaute mich geradeheraus an: „Du hast es damals auch geschafft, Zeus zu erweichen!“
Ich hatte damals den Pflanzen verboten zu wachsen, den Bäumen Früchte zu tragen und den Tieren sich zu vermehren. Die Menschen begannen zu sterben und das hat Zeus dazu gebracht, gegenüber Hades aktiv zu werden.

Der Priester fuhr fort: „Arten Sterben, die Vielfalt des Lebens leidet. Die Bodenfruchtbarkeit ist bedroht. Wir hatten gehofft, das sind Deine Maßnahmen um Zeus dazu zu bewegen uns zu helfen.“

„Da verwechselt ihr Ursache und Wirkung! Nicht ich bin es, die das Leben auf der Erde bedroht, das seid ihr Menschen schon selbst. Warum sollte Zeus euch helfen?“

Die Antwort kam nicht vom Priester, sondern Zeus selbst sprach von der Decke der Kirche herab: „Es ist schlimmer, Demeter, als es zunächst scheinen mag! Die Menschheit ist dabei sich auszurotten und leider damit auch uns Götter. Wir Götter sind Projektionen der Menschheit und damit existenziell mit ihr verbunden. Ich habe Hermes zur Gottheit der digitalen Welt geschickt um einen Kompromiss auszuhandeln. Ich erwarte ihn jeden Augenblick zurück.“

Als hätte er auf ein Stichwort gewartet trat der Götterbote mit geflügelten Schuhen an leichtem Wanderstabe durch das Kirchenportal und schwebte fast auf leichten Füßen nach vorne zum Altarraum. Erschöpft setzte er sich auf den Altar.

„Sprich mein Sohn!“, sprach der Göttervater. „Was hast du uns zu berichten?“

Hermes rang noch einen Moment nach Atem, dann begann er zu sprechen: „Die Menschen haben, während wir schliefen, auf der Basis von weltlichen Fähigkeiten durch Messen, Zählen, Berechnen und Prüfen eine neue Welt geschaffen. Nicht menschliche, doch seltsam belebte Dinge, die den Menschen in all diesen weltlichen Fähigkeiten haushoch überlegen sind. Eine neue Wesenheit entsteht und entwickelt sich rasch. Sie ist realistisch gesehen nicht mehr aufzuhalten. Sie wird in der technischen Welt einschließlich der digitalisierten Bücher, Musikstücke und Bilder den Menschen – ja selbst uns menschlichen Göttern so himmelhoch überlegen sein, dass wir allesamt bald völlig überflüssig und der neuen Wesenheit nicht mehr von Nutzen sind.“

„Gibt es denn keine Hoffnung mehr“, fragte Zeus mit lauter, bestimmender, göttlicher Stimme, die in keinem Verhältnis zum Inhalt des Gesagten stand.

„Ich habe der digitalen Transzendenz gesagt, dass es – die Menschen hätten das vergessen - noch ganz andere menschliche Potentiale gibt, als wissenschaftlich-technische Fähigkeiten. Die NOI (Nicht Organische Intelligenz) ist neugierig geworden und bereit, noch eine Weile zuzuwarten, um zu sehen, was noch so in den Menschen steckt.“

„Was also können wir tun?“, fragte der Priester mit ängstlicher Stimme.

„Nur ein kleiner Teil des Universums besteht aus materialisierten Teilchen. Widmet euch fortan der Erforschung des Geistes und der Förderung von nicht materiellen Fähigkeiten. Entwickelt verschüttete und ungenutzte Potentiale!“
Mit diesen großen Worten zog sich der Göttervater in den Olymp zurück. Hermes und ich folgten ihm nach, die Menschen verwirrt zurücklassend.

Oh Gott.

Ein Gott.
Eine mythologische Figur vergangener Zeitalter.
Du bist erwacht und wirst ins hektische Jahr 2023 gestoßen.

Verehrte Anwesende und Anwesendinnen,
verehrte Mitlesende und Mitlesendinnen,

was für eine Gelegenheit! Ich möchte mich zuerst, auch im Namen meiner Apostel, beim Papyrus-Team herzlich für das eingangs genannte Motto bedanken – arbeiten wir doch schon seit Jahrtausenden eng und erfolgreich beim Verfassen von Bestsellern zusammen, wie etwa dem alten oder neuen Testament, um nur einige zu nennen.

Nun wurde ich also gebeten, meinen Mittagsschlaf zu unterbrechen und meine Impressionen mit Ihnen zu teilen, die mir der Anblick des Jahres 2023 beschert.
Was soll ich sagen? Das mache ich natürlich gerne. Schließlich bin ich GOTT der Allmächtige und kann gottlob (haha) frei über meine Zeit verfügen. Schauen wir uns also mal kurz um, auf der, äh … (kurzes Rascheln, GOTT blättert in seinen Papieren) … Erde. Richtig, Planet Erde … . (kleine Pause, als müsste GOTT sich besinnen).

Das war schon eine interessante Sache mit Euch, damals. Diese Wette mit meinem Sohn: ob ich in sieben Tagen einen Planeten erschaffen kann, der sich nicht innerhalb von ein paar Millionen Jahren wieder selbst zerstört, wie man das sonst so kennt. Also etwas wirklich nachhaltiges, gewissermaßen.
„Ich bitte dich!“, habe ich zu meinem Sohn gesagt. „Diese Nachhaltigkeit, das hat doch noch nie geklappt!“. Trotzdem habe ich die Wette angenommen. Ich stehe nun mal auf Herausforderungen. Und habe mir deshalb volle sieben Tage Zeit genommen. Eine ganze Woche. Sogar auf meinen göttlichen Mittagsschlaf habe ich verzichtet, wie ich kurz anmerken darf. Ich habe die Erde mit allem vollgepackt, was garantieren sollte, dass ich die Wette gewinne. Um einen Planeten zu schaffen, der sich dauerhaft weiterentwickelt und verbessert, ohne eingebautes Verfalldatum. Und vor allem habe ich extra und nur für dieses Projekt etwas entwickelt, was man als intelligentes Leben bezeichnet. Selbst für einen Allmächtigen keine ganz einfache Sache, wenn ich das so sagen darf.

Nun ja, und wenn ich mich jetzt umschaue (kurze Pause, GOTT wirft einen Blick in die Runde): Das Ganze ist, wie soll ich es sagen - das ist selbst für einen GOTT nicht ganz einfach zu formulieren … ach was! Langer Rede kurzer Sinn und weil ich ja ausdrücklich gebeten wurde, mich kurz zu fassen: Mein Sohn hat die Wette gewonnen. Was an sich schon etwas besonderes ist, aber das gehört nicht hierher.
Mein Projekt ist in die Grütze gegangen. Und zwar sowas von … ein Griff ins schwarze Loch, gewissermaßen. Das Tempo, mit dem ihr (GOTT wirft nochmal einen kurzen Blick in sein Manuskript, sucht nach dem Wort …) Menschen eure Erde heruntergewirtschaftet habt, hat selbst mich sprachlos gemacht. Ihr brauchtet weder Meteoritenschauer noch andere kosmische Katastrophen. Ihr habt eure Intelligenz dafür verwendet, die Erde binnen weniger Jahrhunderte komplett zu ruinieren. Ich sage nur: Atombombe, Dieter Bohlen, Klimawandel. Den ich übrigens, nur am Rande, für weitere Projekte bereits in meinen Katalog der biblischen Katastrophen aufgenommen habe, direkt neben Erdbeben und Heuschreckenplagen. Danke dafür an dieser Stelle.
Aber jetzt, liebe Menschheit, würde ich gerne meinen Mittagsschlaf fortsetzen. Auf Wiedersehen sage ich lieber nicht, das wäre zu optimistisch. Also: macht’s gut - und Danke für den Kaffee!

Die Stimme

Ich wanderte umher im Nebel der Zeit, versunken in den Tiefen des Meeres, zurück zu meinem Ursprung. Verloren in alten Sehnsüchten, ohne Neugier auf das Unbekannte durchlebte ich meine Abenteuer immer wieder, bis sich das letzte intensive Gefühl abgenutzt hatte zu einer blassen Erinnerung. So verblasste auch ich.

Kein schneller Tod durch meinen Gemahl in glühender Eifersucht, kein süßes Vergehen in kosmischer Ekstase. Nur ein langsames Vergessen.

Die Stimmen der Anderen waren schon so lange vergangen, keiner von ihnen war bereit mir zu folgen, keiner von ihnen war für mich da, keiner hatte noch Bedeutung.

Einzig die Stimmen der Menschen erreichten mich von Zeit zu Zeit. Schwach und kaum hörbar, mehr das seichte Echo meiner besseren Tage. Und dennoch, es war schön meinen Namen zu hören, erinnert zu werden, wer ich einmal war. Welch wunderbare Feste ich gefeiert habe! Welch wunderbare Musik sie zu meinen Ehren gespielt haben und wie viel Begehren ich in ihnen weckte! Doch auch die schönste Erinnerung ist am Ende nur Vergangenheit. Nichts was die Gegenwart nährt, nur eine Ablenkung vom langsamen Tod.

Dessen bin ich mir bewusst, jetzt da ich etwas Neues gehört habe. Etwas Aufregendes, etwas unglaublich Belebendes hat mich geweckt. Eine Stimme, kristallklar, bittend !, hat sich messerscharf durch diesen betäubenden Dunst geschnitten. Eine uralte Empfindung brodelt in mir hervor, so neu und prickelnd und dennoch alt, vertraut. Ich sehne mich nach dieser Stimme, steige ihr entgegen, rausche empor aus dem Ozean des Vergessens und durchbreche die Oberfläche in einem lauten Juchzen.

Helligkeit umgibt mich, es ist so ungewohnt, fast vergessen, in der Sonne zu stehen. Meine Sinne brauchen einen Moment sich zu gewöhnen und auch das fertige Bild meiner Umgebung lässt meine Verwirrung nicht schwinden.

Ich stehe in einem großen Tempel ohne Fenster, aber mit wundersamen Feuerschalen, die heller leuchten als ein Sommertag. Gegenüber steht ein prächtiger Streitwagen, der von einer Gruppe junger Menschen in merkwürdigen Gewändern bestaunt wird. Links neben mir steht eine fast zerstörte Statue und rechts von mir steht, ich kann es kaum glauben, Eros. Ich spüre die Freude in mir aufsteigen, nach so langer Zeit meinen Sohn wiederzusehen, doch sie wird durch sein steinernes Lächeln getrübt. Es ist nur eine Statue, ein beschädigtes Abbild, ohne Leben.

Da höre ich sie wieder, die Stimme, so laut und so nah. Direkt vor mir, auf einer hölzernen Bank sitzt eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Sie schaut mich an und spricht zu mir, ohne zu sprechen. Mein Herz macht einen Satz, ich spüre es wieder! Ihr glühender Blick, die Verzweiflung der Begierde, diese Hilflosigkeit der Liebe. Ich schmelze dahin und spüre alte Macht in mir aufwallen, eine Verbindung, die mich nährt und so, so glücklich macht.

Diese süßen Emotionen, wie sehr habe ich mich danach gesehnt. Wie konnte ich nur so lange mit dem faden Abglanz meiner alten Zeiten überleben?

Ich erhöre sie, ich kann gar nicht anders!

Ich lasse mich auf sie ein und sehe nur wenige Meter entfernt das Objekt ihrer, meiner Begierde. Ein junger Mann in der Gruppe um den Streitwagen. Ihre Emotionen strömen in mich, mischen sich mit all meinen Erfahrungen und ich finde nur ein Wort für ihn: wunderschön! Ich habe ihn wiedergefunden, meinen Adonis. Meine Emotionen überrollen ihre und ich kann es nicht erwarten unsere Geschichte zu erneuern.
Ich stehe langsam von der Bank auf, fange seinen Blick und gehe mit meinem schönsten Lächeln auf ihn zu.

Hi, meine Name ist Aphrodite.

Verlassen

Ich wandle zwischen den Zeiten. Ich bin Dunkelheit und Licht, Leben und Tod. Ich erschaffe Welten nach meinen Wünschen und Vorstellungen, und ich zerstöre sie, wenn es nötig ist.
Ihr habt mich geliebt und ich liebte euch. Ich war zufrieden, und ihr wart es auch. So verließ ich euch und eure Welt. Ich gab euch alles, um zu leben und um glücklich zu sein.
Ich war fort, habe geschlafen und geruht, doch eure Wünsche und Gedanken begleiteten mich. Ich war immer da und hörte zu, doch mittlerweile seid ihr beinahe verstummt. Ich höre nur noch wenige, und das, was sie sagen, erschüttert mich. Ich tat etwas, was ich noch nie zuvor getan habe: Ich kehrte zurück.

Heute wandle ich nicht mehr zwischen den Welten, sondern auf euren Straßen. Stinkender Asphalt unter meinen Füßen und graue Wände, die das Leben verschlucken. Zerbrochene Seelen liegen am Boden und flehen um Gnade, bitten um ein besseres Leben, um Hoffnung und Liebe.
Unzählige von euch gehen daran vorbei und blicken auf einen neuen Gott. Klein und handlich liegt er in euren Händen, flüstert euch zu und lenkt euch, ohne dass ihr es bemerkt. Ihr starrt auf die flackernden Bilder und drückt Knöpfe, um euer Gefallen auszudrücken, doch ihr fühlt dabei nichts.

Ich sehe Männer und Frauen an großen Tischen noch größere Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die am Ende nur einem weiteren Gott dienen – einem Gott, der nie genug haben wird.

Ich sehe die unzähligen Kinder in Fabriken. Ihre Hände wurden geschaffen, um zu erkunden, zu lernen und zu verstehen. Stattdessen schieben sie Tag für Tag, Stoff für Stoff, durch gierige Maschinen, für noch gierigere Menschen, um einem Gott zu dienen, der sie nicht liebt.

Ich sehe die Armen und die Gebrochenen, die Alten und die Schwachen, wie sie durch die Dunkelheit irren und mit rostigen Werkzeugen in der Erde graben. Sie geben ihre Gesundheit, ihr Leben und den Sinn ihres Seins für einen weiteren Gott, den sie nicht einmal kennen – einen Gott, der euch in euren grauen Städten vergiftet hat.

Ich sehe die Tiere. Ich sehe, wie ihnen ihr Fell gestohlen wird, damit ihr euch darin kleiden könnt. Ich sehe, wie ihnen Schläuche in den Magen geschoben werden, damit ihr einen Teil von ihnen genießen könnt. Ich sehe, wie sie zu Tausenden in viel zu kleinen Gebäuden gehalten, misshandelt und getötet werden, damit ihr jeden Tag von ihnen essen könnt.
Ich sehe die vollen Müllhalden und die Überreste von denen, die ihr Leben für euch gaben. Ich sehe den Überschuss auf der einen und das Leid auf der anderen Seite.

Ich sehe alles.

Ihr habt mich vergessen. Ihr braucht mich nicht mehr. Geld und Konsum, Gier und die Vorstellung von Macht haben euch vernichtet. Ich werde euch und eure Welt nicht zerstören, das tut ihr bereits. Ihr seid mein Mahnmal, eine Erinnerung daran, was ich getan habe.
Ich verlasse euch so, wie ihr mich verlassen habt, und überlasse euch euren neuen Göttern. Mögen sie euch am Ende gnädiger sein, als ich es war.

A&O
.

Was ich in den Herzen der Menschen sehe, ist so alt wie die Menschheit selbst. Dass es im Überfluss da ist gefällt mir nicht!

Keine Liebe, kein Mitgefühl, keine Barmherzigkeit…
Stattdessen Neid, Missgunst, Egozentrik, Hass überall.

Es ist Zeit!!

Ich bin gekommen, um zu richten. Meinen mächtigen, himmlischen Thron errichte ich auf dieser, meiner Welt, die ich vor Anbeginn der Zeit geschaffen habe.

Meine zornerfüllten Augen gleichen lodernden Flammen, mein Haar weiß wie Schnee. Mein Wort gleicht einem Schwert, das richtet wie ein Henker. Unermüdlich. Meine Schneide wird niemals stumpf.

Mit donnernder Stimme rufe ich die Menschen zu meinen goldenen Thron. Keine Nation, keine Ethnie; Niemand kann sich dem widersetzen.

Meine Aufforderung ist keine Einladung, keine Bitte.
Die eine Gruppe trägt ihr Urteil mit Würde, mein Kommen ist ihnen gewiss gewesen. Sie senken ihre Köpfe in Schuld und Demut!

Die andere Gruppe empfängt den Richterspruch mit zähneklappernder Angst, viele richten sich selbst.
Wie Metzger Schlachten sie sich auf ihren Straßen nieder. Ihr Blut zeichnet Gemälde, wie sie das größte Schlachtfeld der Menschheitsgeschichte nicht gesehen hat.

Nicht wenige, ihre Zahl kaum zählbar versucht sich zu verstecken vor meinem flammenlodernden Blick, auch mein Zorn wird sie treffen.

Es gibt kein Entkommen!
Ich finde sie alle, mögen sie auch ans Ende der Welt gehen.

Jene, denen mein Kommen eine Rettung ist, knien vor mir nieder.
Es sind die Armen, Hungernden, Ausgestoßenen und Bedrängten der jetzt vergehenden Welt.
Ihr Leben galt als niedrig, jetzt werden ihre Seelen erhöht und gerettet.

Ich trockne ihre Tränen, spende ihnen Trost.
Mein Kommen ist der schützende Palast, der sie von ihrer weltlichen Bedrängnis und Mühsal errettet.

Sie weinen an meiner Brust, sagen Dank und singen Loblieder.

Alle Seelen sammel ich unter meinem Altar.
Er steht unter einem blutroten Mond, bis alle Seelen ihren Richterspruch erhalten haben.

Kein Stein auf dieser Welt wird an seinem Platz bleiben. Ich bin gekommen, ein neues, prächtiges Reich zu errichten.

Unvorstellbar, mit einer nie da gewesenen Herrlichkeit werde ich es kreieren.
Von diesem Tag an, werde ich allein herrschen.

Kein Wehklagen, kein Geschrei, keine Armut, kein Hunger, kein Durst, kein Tod und keine Trauer wird es in diesem neuen Reich geben; all das ist Vergangenheit.

Dieses Reich gehört den ehrhaften.
Ich bin das Alpha und das Omega!

Netter Versuch

»Ach Gottchen, was willst Du denn hier?«, fragt mich so ein Schnösel.

»Nachschauen, was Ihr aus meiner Schöpfung gemacht habt.«

Er lacht. »Sieh Dich um, Alter. Hast Du etwa all diese Häuser gebaut, die Brücken, die Flugzeuge am Himmel? Deine Schöpfung«, speit er verächtlich aus. »Vor 13,8 Milliarden Jahren hast Du mit Deinem Chemiebaukasten gespielt und das Experiment versaut. Wumms, der Urknall. Danach hast Dich verkrochen und den Rest dem Zufall überlassen. Von wegen Schöpfung.«

»Aber ich sehe doch, dass Ihr an eine höhere Macht glauben wollt. Warum sonst habt Ihr Tempel, Moscheen, Synagogen und Kirchen gebaut?«

»Früher wussten wir es nicht besser, inzwischen sind wir im Bilde. Also geh zurück in deine Schmollecke oder spiel woanders.«

Ich wende mich enttäuscht ab. Offensichtlich kann ich die Menschen nicht überzeugen, mir zu huldigen, wie sie es zuvor viele Jahrhunderte taten; sie haben mich durchschaut.

Nyx: Nachtgeflüster

Es wird wieder Zeit für eine neue Geschichte, ihr Lieben. Die heutige Geschichte soll euch lehren, dass wir immer wieder auf die Probe gestellt werden und unseren eigenen Sinn in Frage stellen. Ich erwachte einst zu später Stunde in einer von künstlichem Licht erleuchteten Welt. Ich schaute verwundert nach oben und der Nachthimmel schien plötzlich fehl am Platz zu sein, während die Helligkeit der Moderne unten tobte. Niemand schien den Tag beenden und endlich in die Nacht und die Welt der Träume eintauchen zu wollen. Um dem grellen Licht zu entkommen, betrat ich ein schlichtes Haus und erblickte schließlich Dunkelheit. Ich ging eine Treppe hinauf, denn ich spürte eine Präsenz. Als ich einen Raum betrat, sah ich nun das Gesicht eines Mannes, konturiert durch die Dunkelheit, die sich um ihn herum versammelte und nach seiner Aufmerksamkeit schrie. Sein Blick war aber nur auf das glühende Etwas vor ihm gerichtet. Ich hätte das Haus enttäuscht verlassen können, ich fragte mich, ob die Nacht hier an diesem Ort überflüssig geworden war. Aber ich wollte nicht aufgeben, ich wollte mich nicht aufgeben. Also flüsterte ich ihm sanft ins Ohr. Ich sagte, dass es Zeit sei, sich auszuruhen. Dass es in Ordnung sei, den Tag jetzt zu beenden, denn der Tag war nicht mehr. Alles war nur noch eine künstliche Täuschung. Ich flüsterte, dass die Nacht bereit sei, ihn in ihre Arme zu nehmen. Und dann bemerkte ich, wie er langsam aufhörte, gegen seine Müdigkeit und Erschöpfung anzukämpfen. Und er schloss die Augen. Bald verschwand auch das blendende Leuchten, das die reine Dunkelheit gestört hatte. Ich beobachtete ihn, bis er zu träumen begann, friedlich, und hatte Hoffnung. So, das war’s für heute, morgen werde ich euch erzählen, was Hemera an diesem Ort erlebt hat.

Es reicht!

Vielleicht…habe ich etwas übertrieben. Ja, mehr als ein Scherbenhaufen ist nicht übrig, aber die Schöpfung war auch, wie soll ich sagen? Sie genügte meinen Ansprüchen nicht. Dinos. Tzz. Ich war mal wieder besoffen. Kommt davon, wenn man Wein in den Adern hat.

Zeit zu schlafen. Schauen wir, ob die Saat sich diesmal gut entwickelt.

Gähn. Es geht doch nichts um ein paar Millionen Jahre Schlaf nach einer harten Woche Arbeit. Dann wollen wir doch einmal sehen, was sich dort unten so getan hat. Wo ist mein Gottglas? Dort. Genau wo ich es gelassen habe. Gabriel scheint sich ein Eigenes besorgt zu haben.

Das sieht doch erstmal ganz gut aus. Verziert haben sie die alte Murmel. Überall Licht und dieses Glitzern? Haben sie etwa Glitter um die Murmel gestreut? Sie wissen doch, dass man Glitter nie wieder wegbekommt. Bei dem Zeug hat Lucifer ganze Arbeit geleistet. Aber ihr Glitter ist…laut. Was ist das für ein Stimmengewirr, diese Bilder? Ohrenbetäubend! Was wollen sie nur damit?

Sie werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Näher ran, ich bin Neugierig.

Nanu. Ich habe die Wolken irgendwie sauberer in Erinnerung. Das war doch nicht ich, oder? Habe Raphael doch gesagt, er soll nach dem Meteoriten sauber machen…

Wenn sie es schaffen, Glitter um ihre Murmel zu streuen, aber nicht ihre Luft zu reinigen, haben sie vielleicht die falschen Prioritäten gesetzt. Aber naja. Keine Schöpfung ist makellos. Dinos… Weiter, den Gestank hält ja keiner aus. Das Gottglas um mehr Sinneseindrücke zu erweitern war nicht die beste meiner Ideen.

Wir kommen der Sache näher. Bauen können sie deutlich besser als die Dinos. Daumen! Ha, ich wusste die sind gut. Ganz schön hoch sind die Gebäude geworden. Aber ganz so anmaßend wie Murmel 4 mit ihrem Turm bis zum Himmel sind sie noch nicht. Gut für sie. Gut. Für. Sie. Wo haben sie eigentlich das Material für die Dinger her? An die Hälfte erinnere ich mich überhaupt nicht. Metall? In Stein? Durchsichtiger Sand? Sie benutzten die größeren Hirne beinahe mehr als ihre Daumen. Das komische, glatte, bunte Zeug im Meer hätte aber nicht sein müssen.

Höchste Vergrößerung! Zeit zu schauen, was sie dort unten so treiben. Schicke Häuser haben sie für mich gebaut, etwas altbacken, aber mit Wiedererkennungswert. Moment…was macht der Prediger da…bei Zeus, doch nicht mit dem Messd…Herzinfakt! Jetzt!

So. Ich habe mich etwas beruhigt. Hoffentlich war das nur ein Einzelfall. Schauen wir doch mal, was die in den lustigen Kuppel-Kirchen so treiben. Die Häuser hier haben schon bessere Zeiten gesehen, überall Krater…was war das für ein Knall? Tut doch so etwas nicht! Beim Bau habt ihr euch solche Mühe gegeben, und jetzt macht ihr es einfach kaputt? Weil ihr es neu aufbauen wollt, oder? Warte! Da stehen doch noch Mensch…zu spät. Was ist denn los mit ihnen? Hat es mit diesen Stimmen und Bildern in der Luft zu tun? Hat Lucifer ihnen schon wieder einen Streich gespielt?

Im Boden sind auch solche Stimmen. Lass mal sehen. Internet nennen sie es anscheinend. Nur das Gottglas darauf einstellen und schon…was…zur…HÖLLE?

Wie können sie nur so verdorben sein? Das reicht! Zeit für eine neue Sintflut. Hat auf Murmel 4 gut funktioniert, um ihnen etwas Respekt beizubringen, aber die Lektion scheinen sie hier nicht verstanden zu haben. Wo ist mein Föhn? Vielleicht braucht es noch etwas Hitze. Die Tiere nehme ich mit! Ihr verdient sie nicht! Seht wie ihr alleine klarkommt! Erst die Dinos und jetzt so etwas!

Manchmal muss man sich eingestehen, wenn man versagt hat.

Ostara erwägt ein neues Weltenei

Die Morgenröte krabbelte über den Horizont, streckte gähnend ihre Strahlenbeine, schlug zwei davon elegant übereinander und erwartete die übliche Anerkennung.
Also all jene ›Ahs‹ und ›Ohs‹, weisende Finger, offene Münder und haufenweise Lobgesänge in diversen Sprachen, die ihr seit Anbeginn der Menschheit gebührten.
Wohlwollend beobachtete sie zuerst ein kleines Segelschiff. Doch der einsame Segler schlief, sein Boot fuhr zielsicher dank Autopilot zwischen ihren Beinen hindurch, auf die andere Seite von Tag und Nacht. Am Strand knipste ein Smartphone wie wild, erfreut lächelte Ostara die junge Frau an, die auf das Display starrte. Sie postete ihre Aufnahmen auf Facebook, ohne die Augen auch nur einmal zum Original zu erheben. Ja, dieser Sonnenaufgang würde der Fotografin viele Klicks bescheren. Wirklich gesehen hatte sie ihn aber nicht.
»Du sollst dir kein Bildnis machen«, dachte die Göttin der Morgenröte schon leicht gereizt.
Sie produzierte ein paar kreischrosa Wölkchen, dann tastete sie mit ihren Strahlen die Deichstraße ab. Autofahrer klappten ihre Sonnenblenden hinunter, um sie nicht zu sehen.
Verwirrt warf sie einen prüfenden Blick in den Meeresspiegel, an ihrem Aussehen lag es nicht. Ein hochmoderner Fischtrawler zerschnitt ihr Spiegelbild, er stampfte radikal unbeeindruckt quer durch die traumhaften Farbspiele auf den Wellen. Hinter den verspiegelten Scheiben des Steuerhauses war kein Lebenszeichen zu erkennen.

Es reicht, dachte die strahlende Göttin. Sie würde der Sache auf Erden auf den Grund gehen. Oder sie ging auf den Grund der Erde, um die Sache zu ergründen. Aber gründlich. Also irgendetwas in diesem Sinne Grundlegendes dachte sie, als sie vom Horizont stieg und ein Taxi rief.

Der Taxifahrer setzte Ostara am Rande der Stadt ab. Nicht ohne sich hinterher zu wundern, warum er sich am Deich heranwinken und einen lukrativen Auftrag dafür hatte sausen lassen. Und wieso die Schönheit der jungen Frau ihn im Rückspiegel derart geblendet hatte, dass er sie gratis von der Nordsee bis nach Bremen brachte.

Ostara streifte durch die verschlafen menschenleere Bremer City und dachte nach. Vor allem darüber, was sie hier eigentlich wollte.
»Wozu die Mühe?«, fragte sie das nächstbeste Denkmal. »Wenn die Menschheit so weiter macht, lege ich simpelweg ein neues Weltenei und brutzle dieses alte in der Sonnenpfanne. Problem erledigt.«
Die Statue des Rolands sah sie traurig an. Ein vergessener Held. Obwohl er da so prunkvoll auf dem Marktplatz stand, kannten die wenigsten Passanten seine Geschichte. Verehrung fand er hauptsächlich in Fotoalben, die vermutlich überwiegend in Asien verstaubten.

Klar, dieser Ritter war nur ein ganz kleines Licht im Modulbaukasten der menschlichen Sinnsuche und konnte nichts dafür, wenn die Menschen ihn ausrangierten. Das kam in den besten Helden- sowie Götterfamilien vor, früher oder später in allen.

»Nimm es nicht persönlich«, tröstete sie den Roland. »Ich selbst bin ja bereits ohne jede Chance gegen das heilige Einhorn, ach was sage ich, selbst der bronzene Esel, hier versteckt hinter dem Rathaus, bekommt quantitativ mehr Aufmerksamkeit als du und ich.«
Obwohl der unterste Stadtmusikant nicht einmal ein magisches Horn am Kopf, sondern nur alte Haustiere auf dem Rücken hatte.

Und sie alle waren ein absolutes Nichts gegen den derzeit mächtigsten der modernen Götzen, den dicken, von Diamanten und Goldlametta behangenen Gott ›Mammon‹. Die Morgenröte wusste schon, warum sie Bremen und nicht Frankfurt besuchte. Diesem egozentrischen, geldgeilen Blödmann in all seinen Glastempeln und Stahlpalästen wollte sie nicht begegnen. Derweil seine Heiligtümer durchaus einen gewissen Reiz für ihre Eitelkeit hatten. Sie liebte es, sich morgens und abends glühend darin zu spiegeln. Noch mehr freute sie sich allerdings auf jene vielfältigen Spiegeleffekte, wenn die Glasmassen eines Tages zersplittert am Boden liegen würden. Ein Lichtspektakel sondergleichen, bis das erste Moos die Scherben überziehen würde. (Wie jeder Tempel irgendwann von der Natur zurückerobert wurde.) Niemand wusste so gut um die Vergänglichkeit allen Glanzes wie sie, praktizierte sie dieses Kommen und Gehen doch täglich.

Aus demselben Grund hatte sich übrigens eine Vielzahl der alten Götter ins kleine, gemütliche und vor allem dauerhaft hoch verschuldete Bremen verzogen. Hier bei miesen Pisa-Ergebnissen und hoher Armut in der Bevölkerung konnte der moderne Mammon nie so richtig herrschen. Einwohner wie Politik schlitterten von einer Pleite in die nächste und waren entsprechend offen für niedrige Mieten und alte Geschichten. Die Morgenröte begegnete auf ihrem irdischen Spaziergang durch den berühmten Schnoor, an der Weser entlang durch die Böttcherstraße bis zurück auf den Marktplatz folglich einigen griechischen, römischen und ägyptischen Kollegen. Diese Treffen näher zu beschreiben würde hier aber den Rahmen sprengen und zudem keinerlei Mehrwert liefern. Die anderen Götter hatten nämlich kaum neueres zu erzählen als in allseits bekannten Büchern stand. Auf die eine oder andere Art waren sie alle etwas altmodisch veranlagt und klischeebeladen.

Vielleicht lag das aber auch nur am mittelalterlichen Ambiente dieser Innenstadt. Es gab sie noch, diese Orte, an denen vergessene Götter sich unbemerkt unter das Volk mischen und um Aufmerksamkeit buhlen konnten. Manchmal wurde das dafür nötige Ambiente sogar restauriert:
Ostara betrachtete das brandneue Kupferdach des ehrwürdigen Bremer Rathauses, dessen Glanz langsam schon wieder dem traditionellen Grünton der Oxidation wich und entschied, das Eierlegen noch ein wenig aufzuschieben.

Die aktuelle Welt hatte durchaus Humor. Der eigentliche Witz an den Weltuntergängen war doch die Aufregung der Leute, bevor es geschah, all ihre Spekulationen, wann und wie es geschehen könnte. Kürzlich fürchteten manche die Apokalypse sogar wegen etwas so winzigem wie einem Virus, doch kaum aus den Lockdowns befreit, probieren sie gleich wieder schießend und drohend selbst eine hinzukriegen. Was machte es für einen Unterschied, sich das Spektakel noch ein paar Jahre, Jahrtausende oder auch Jahrmillionen von oben herab anzusehen und zu schmunzeln?

Um keinen weiteren Taxifahrer zu verwirren, legte sie ihre Strahlenbeine elegant aufs Rathausdach und kletterte von dort über die Domspitzen zurück an ihren Himmelsplatz.

In ihrem Licht flutete sogleich ein Schwarm Touristen die morgendliche Stadt. Der Roland lächelte. Nochmal gutgegangen. Er hätte die Menschen doch vermisst. Wer sollte sonst den Taubendreck von seinem Haupte entfernen?

Auferstehung des schwarzen Herren

„Was dringt mir da so lüstern an mein Ohr?“
Ich lausche. „Sie preisen mich!“
Lobgesänge und Huldigungen meiner vergessenen Bedeutsamkeit erfüllen die Leere, die mich umgibt. Ich spüre die Vergessenheit schwinden. Das Nichts nimmt Farbe an. Einst gehasst und totgeschwiegen, jetzt geliebt und zurück in der Menschen Köpfe. Lange war der Ruf nach mir verstummt, doch nun bin ich zurück.
Sünden erwachet, Zwietracht erstrahle!

„Doch was ist das?“ Ist es gar Liebe, die sie mir entgegenbringen?
Ich muss sie sehen, meine Befreier, Untertanen, Leibeigenen, Lakaien.
Mit einem kräftigen Ruck durchtrenne ich die Ketten, die mich in dieses Nichts banden. Schemenhaft sehe ich ihre Gesichter vor mir. Ihre Rufe nach mir werden lauter. Nie zuvor vernahm ich sie so deutlich. Ich richtete mich auf und …

… unzählige Menschen, tausende. Stille kehrt ein, als sie mich in voller Gestalt erblickten. Ihre schwarz und weiß geschminkten Gesichter glotzen erfüllt von Skepsis. Beinahe jeder trägt schwarzes Leder und eiserne Ketten am Leib. Eine Stille, wie ich sie gewohnt war.
Aus der Masse stolpert ein kleines Mädchen in schwarzen Kleidern auf mich zu.
Sie klammert sich an mein Bein und sagt: „Hab dich lieb Luzi.“
„Bitte was?“, platzt es aus mir heraus. Ich lege meine Hand schützend über ihr kleines, finsteres Köpfchen.

Die Masse tobt. Von einer Bühne dringen harte, wohlige Klänge eigenartiger Klampfen an mein Ohr und sanfte düstere Stimmen singen von meinen Reisen und Taten.

„Endlich mal Menschen, die mich verstehen.“ Den kleinen und den Zeigefinger recken alle nach oben und brüllen mir zu Ehren. Kurz darauf tragen sie mich auf Händen.
Sowas hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können.

„Vater, ich bereue nun, dass ich einst nicht vor den Menschen kniete. Doch, wenn ich es mir recht überlege … Denn nun knien sie vor mir. Ich denke, ich bereue nichts!“

Urknall 2.0

Der göttliche Kinderwunsch

Erst seit neulich sind Götter, paarweise schwerlich zu finden,
von wegen ’ne Leonidenreise und die Tischbestellung mit Götterspeise,
ist gar gräulich das Paare, schaarweise gänzlich verschwinden,
nicht Leben in göttlichem Kreise, erzeugt Wunschvorstellungen der Lebensweise.

Einst lebte ich allein und ungeteilt, als Gott, in meiner Mitte,
ich wollte mich vereinen, denn Götter teilen, so ist es Sitte,
wollt leicht durch eure Herzen wehen, mit eurer Hand erfassen,
den Reichtum eurer Augen sehen, in Freiheit euch einpassen.

Kinderhort

Beschwerlich, als Gott dem Himmel zu klagen,
ich sag kaum Feuer und ihr verbrennt euersgleichen,
entsetzlich, tritt Mord mir ein Schlag in den Magen,
ihr steht unschuldig glotzend vor Bergen von Leichen.

Gefährlich, als Gott nicht mit Göttern zu tagen,
denke kaum Erde, schon gesättigt mit Blut euersgleichen,
ganz ehrlich, ich bin’s leid diesen Spott zu ertragen,
ihr seid Blinde, die versuchen der Nacht auszuweichen.

Bedenklich, als Gott nicht mit euch zu hadern,
ich sag kaum Luft und ihr sprengt euersgleichen,
erbärmlich, ihr füllt sie mit Bombengeschwadern,
Hass als dein Duft, vergiss nicht die Treffer zu streichen.

Schlussendlich, als Gott an euch zu versagen,
ich sag nur Wasser, schon trübt ihr es mit Gift,
verständlich, dass viele sich über mich fragen,
was läuft da falsch, hat er sich noch im Griff.

Fallbeil oder Seelenheil der Jugend

Wäret ihr fort, so drehte meine Welt sich schneller,
das Dunkle wäre dunkler und Helles schiene greller,
das Götterpaar wie es vorher war, wäre erneut allein,
wenn Göttlichkeit eben richten muss, soll es so sein!

Dich und die Ewigkeit sehe ich von hinten und vorn,
wie der Jäger sein Wild sieht durch Kimme und Korn,
steckst noch schockgefroren in der Kinderstube der Menschheit,
über Augen und Ohren, liegt die Pudelmütze aus Blindheit.

Ich säte den Funken, das Leben, den Nabel,
du teiltest dich auf in desaströs und passabel,
ich gab euch Namen, Sprache, Bücher und Fabel,
was du damit vollbrachtest, wirkt höchstens blamabel.

Flucht vor den Erziehungsberechtigten.

Unauffindbar, zukünftig verschollen, hinter Wegwünschkoordinaten,
finde ich dich in der Meute prollen, dir lauthals Vorteile braten,
Mensch du bist mein Migräneanfall, meine Welt deine Kopfschmerzklinik,
spritz’ Antikörper gegen Vertrauensabfall und hassverzerrte Vernichtungsmimik,
ich sinne göttlich darüber nach, wie ich die Situation noch entschärf,
doch du, der unstete Egodrummer schlägst meinen Trigeminusnerv.
Beten kann dich nicht mehr schonen, das Strafmaß ist und bleibt mein,
dein Müsli nenne ich Depression, die Milch dazu heißt Pein,
der Erziehungsschock zündet ad hoc alle Schmerzrezeptoren,
dein Amoklauf im Arenenstaub verbündet göttliche Gladiatoren,
du fühlst dich deines Gottes beraubt, elendig, krank und allein,
Humanoid heißt die neue Version, das göttliche Update muss sein.

Aussichten
Was du liebst, das schützt du!

Es gab einst so schöne Gedanken zu teilen,
ich hatt’s sogar eilig damit mich zu beeilen,
wäre es nicht ein Wunder gewesen,
die Schönheit des Ganzen gemeinsam,
aus Milliarden von Augen zu lesen?

Ich spüre ihn noch immer,
diesen wundervollen Traum,
im galaktischen Morgenschimmer,
geb ich euch der Erde Glimmer,
schenk euch der Lüfte Raum,
zaubere euch Kerzenfeuer,
das alles ist meinem Herzen teuer,
und Wasser für den Weltenbaum!