Die Niederlage
Das Erste, was ich wahrnahm, war mein brummender Schädel. Ich versuchte, mich zu erinnern, was mir, ob der stechenden Schmerzen in meinem Kopf, nicht gut gelang.
Was war passiert? Warum lag ich im feuchten Gras, statt aufrecht auf meinen Beinen zu stehen?
In einem Reflex gegen meine Hilflosigkeit wollte ich aufspringen und mich mutig dem nächsten Gegner entgegenwerfen. Einen Kampf gewann man nicht im Liegen, nur aufrecht, zu Fuß oder auf dem Pferd. Am besten noch, mit einer Lanze im Arm. Doch dazu kam es nicht. Aus meinem tiefsten Inneren brüllte mich eine Stimme an und mahnte mich zur Vorsicht. Ich kannte sie nicht. Sie meldete sich das erste Mal bei mir, schüchterte mich ein und ließ mich verharren.
„Beweg dich bloß nicht. Lass deine Augen zu und gib keinen Mucks von dir. Sonst bist du am Ende doch noch mausetot. Bleib einfach liegen.“
Mit Fug und Recht konnte ich von mir behaupten, kein Feigling zu sein. Allein in den letzten beiden Jahren hatte ich ganze viermal gegen die Horden aus dem Reich von König Purgis auf dem Feld gestanden. Gegen Bestien, Eindringlinge, die plündern und mordend über unser Land hergefallen waren und auf ihren Feldzügen niemanden verschonten. Immer konnten wir sie zurückschlagen und immer kehrte ich unbeschadet in mein Dorf zurück. Nur jetzt, in diesem fünften Gefecht, jetzt war etwas anders.
Man hatte mich niedergestreckt.
Ich versuchte, mich zu erinnern, und fragte mich, wie das geschehen konnte? Ich war kein Hering von Gestalt, wendig und im Kampf geübt. Auch gehörte ich nicht zu den Toren, die sich offenen Auges, selbst überschätzend, dem Gegner als leichte Beute in die Arme warfen. Ich hätte nicht so viele Kämpfe erfolgreich beschlossen, wäre ich nicht nüchtern und überlegt vorgegangen. Warum also lag ich jetzt hier auf dem Boden?
Nur ganz langsam setzen sich vor meinem geistigen Auge flackernde Lichter und Blitze zu Bildern zusammen. Aufgenommen von meiner Wahrnehmung kurz bevor mich die Ohnmacht ereilte.
Etwas hatte mich ab Kopf getroffen. Ob es ein Schwert war, eine Keule oder ein starker Stock, blieb im Verborgenen. Jedoch konnte ich ausschließen, dass ein Reiter in meiner Nähe war. Weil kein Bild vom Schnauben eines Rosses begleitet wurde und kein Schatten seines mächtigen Körpers auf ein solches hingewiesen hätte.
Nur wer sollte mich im Bodenkampf besiegt haben?
Selbst König Purgis, dem man nachsagte von kühner Kämpfernatur zu sein, hätte es nicht einfach so gewagt, sich mit mir im Kampf zu duellieren.
Mein Kopf dröhnte und mein Grübeln machte es nicht besser.
Mir kitzelte etwas an der Nase. Weil ich mit der linken Wange auf dem Boden lag, traute ich mich, mit dem linken Auge ein wenig zu blinzeln. Außer grünem Gras sah ich nichts. Also musste ich es wagen, mit dem rechten Auge zu blinzeln. Ich tat es nicht sogleich, denn just in dem Moment, als ich es tun wollte, tropfte mir etwas Feuchtes auf die Nase. Es fühlte sich an wie Wasser, aber das konnte es nicht sein. Der Tag war sonnig, wie der gestrige und der davor auch. Der letzte Regen lag eine Woche zurück, da konnte das Gras nicht mehr feucht sein. Und tropfend nass schon mal gar nicht. Aber, was mir auf die Nase tropfte, war kalt, also konnte es auch kein Blut sein. Zumindest keines von mir. Und wer meiner Gesellen sollte schon so lange tot sein, dass sein Blut bereits kalt war? Ich konnte es mir nicht erklären und traute mich dann doch, rechts zu blinzeln.
Was ich sah, schockierte mich. Auf dem leichten Hang unterhalb von mir lagen überall Leichen, teils vereinzelt und teils gekreuzt, teils im Ganzen und teils in Teilen. Den Kleidern nach waren es nicht die Leute des Königs, sondern die unsrigen. Der Anblick graute mir, doch gab er mir auch Aufschluss darüber, welch guten Geistes diese Stimme war, die mich so konsequent zur Vorsicht ermahnt hat.
Erneut kitzelte mir etwas an der Nase. Nur diesmal etwas heftiger.
Nein, dachte ich, nur das jetzt nicht. Ich war schon immer empfindlich gewesen, wenn es mir an der Nase juckte. In der Nase war es noch schlimmer. Zumeist verursachte so etwas ein geräuschvolles Niesen, das schon so manchen Zeitgenossen in meiner Nähe, ob des plötzlichen Gewaltausbruchs, zu Tode erschreckt hat. Jetzt und hier würde es nicht andere, sondern mich dem Tode in die Arme spülen.
Ich zog die Nasenflügel zusammen und wehrte mich mit aller Kraft gegen das Unheil.
Ein wenig die Vorsicht missachtend schielte ich zur Spitze meiner Nase, darauf bedacht, die Augen nicht zu weit zu öffnen. So gelang es mir, die Übeltäter zu entlarven. Es waren zwei oder drei gebogene Halme des grünen Grases, die im seichten Wind ihr Spiel mit meinem Leben spielten.
Ich stellte mich ihnen zum Kampf und besiegte sie, indem ich meine Nasenflügel nach oben zog und den Nasenrücken kräuselte. Dadurch verloren sie ihren Halt und glitten soweit nach unten, dass sie mir nicht mehr schaden konnten. Zumindest nicht mehr unmittelbar.
Ich war erleichtert, doch wirklich verbessert hatte sich meine Lage nicht.
Es war üblich, dass nach einer Schlacht die Stocherer übers Feld zogen, um auch noch den letzten Untoten den Garaus zu machen. Was sollte ein Sieger mit Krüppeln als Gefangene? In kargen Jahren konnte man ja kaum die Gesunden satt bekommen, da wollte man sich nicht auch noch solchen Ballast an den Hals hängen. Tot kamen sie unter die Erde und damit war es gut. Das war hüben wie drüben so. Nur wenn sich mal ein Christenweib nach einer Schlacht aufs Feld traute, gab es darum ein Palaver.
Es war mir wichtig, mich darauf zu besinnen, wie ich dieser bedrohlichen Lage entrinnen konnte. Doch ausgerechnet jetzt, als ich meinen Verstand nötiger brauchte denn je, spürte ich, wie der Schwindel sich einen Weg zurück suchte. Das Gras vor meinen Augen verschwamm und schien in Richtung des Horizonts zu fliehen. Als hätte das Gras plötzlich Beine bekommen.
Was war da nur plötzlich los mit mir?
Ich kämpfte innerlich gegen eine erneute Ohnmacht an.
Und - gewann.
Die Flucht der Grashalme verlangsamte sich, kam zum Stillstand und erfuhr eine Umkehr. Sie kamen zurück, bis dicht heran, an meine Nase. Doch je näher sie kamen, desto mehr verloren sie von ihrer satten grünen Farbe. Sie wurden grau. Und was waren das für Halme? Sie wurden dünner und dünner, bis sie nur noch so dick waren Haare.
Ich begann zu zweifeln, dass ich noch klar bei Verstand sein konnte, und fragte mich, welche Hexe da ihr Werk mit mir trieb?
Deshalb ließ ich alle Vorsicht fallen, machte die Augen weit auf und sah, was ich auf einem Schlachtfeld noch nie gesehen hatte.
Eine Katze! Eine graue Katze, die mir mit ihrer nassen Zunge das Gesicht und die Nase leckte.
Mit einem Ruck brachte ich mich in eine aufrecht sitzende Position. Aufrecht war besser als liegend. Das bewies sich auch jetzt wieder.
Damit hatte die Katze nicht gerechnet. Sie ließ fauchend und zischend von mir ab und brachte sich mit einem weiten Sprung in Sicherheit. Bevor sie hinter dem Gartenhaus verschwand, drehte sie sich noch einmal kurz um und warf mir einen giftigen Blick zu.
Wahrscheinlich war sie der Meinung, dass sie mich gerettet hat und das man so nicht mit seiner Retterin umspringt. Dabei war dieses Mistvieh doch Schuld an meinem Dilemma. Ich brauchte meine Erinnerung nicht mehr quälend herbeisehnen, ich hatte sofort wieder alles beisammen.
Diese alte Streunerin gehörte dem Nachbarn. Sie kam regelmäßig zu uns aufs Grundstück, um unserem Kater das Essen zu klauen. Auch heute wieder. Auf der Wiese vor dem Gartenhaus bin ich hinter ihr her, um sie zu verjagen.
Und dann war es passiert.
Meine liebe Frau hatte am Vormittag das Laub gerecht, um es in der Biotonne zu entsorgen. Dass es viel zu viel für die Tonne war, hatte sie nicht bedacht, sonst hätte sie vorher noch ein paar Tüten besorgt. So aber musste sie ihre Arbeit unterbrechen und hatte beschlossen, erst einmal zu Einkaufen zu fahren. Der Tag war ja noch lang.
Nur hätte sie diesen blöden Rechen nicht mit den Zinken nach oben herumliegen lassen sollen. Es war zwar nur wenig Wind, aber der hatte gereicht, genug von ihrem aufgehäuften Laub wieder auf der Wiese zu verteilen.
Und, um den verwaisten Rechen zu bedecken.
So konnte ich ihn, bei meiner Hatz auf die Katze nicht sehen, war drauf getreten und hatte mir den Stiel mit voller Wucht gegen die Stirn geschleudert. Mit der Folge, dass die Ohnmacht einsetzte, bevor ich noch auf dem Boden lag.
Mit den Fingern tastete ich meinen Schädel ab. Die dicke Beule über meinem linken Auge war der Beleg dafür, dass mich die Wirklichkeit zurückhatte.
Als diese verflixte Katze im nächsten Moment ihren Kopf um die Ecke des Gartenhauses reckte und mich mit einem quälend langen Miauen verhöhnte, sprang ich auf und rannte los.
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