Was geht schon jemals gut
Als der Beifall schwächer wurde, holte Billy Elron noch einmal tief Luft und blies den Atem bewusst kraftvoll wieder aus. Er stand allein auf der großen Bühne an dem kleinen Tischchen, auf dem nur sein Laptop stand. Er klappte ihn auf, nickte seinem Techniker am Mischpult zu, der am Rand der Bühne für den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung sorgen würde.
Billy blickte in den jetzt mucksmäuschenstillen Saal und legte los. „Ladies and Gentlemen, dear Colleagues", er machte eine kurze Pause, oder auch einfach „Friends, Romans and Countrymen", wie ein berühmter Mann vor mir immer zu sagen pflegte." Pause. „Ich begrüße Sie zu einem Abend voller Wunder. Sie werden staunen und verzaubert sein, wenn Sie die neueste Innovation aus unserem Hause kennengelernt haben. Es ist ein humanoider Roboter, der alle ihre Wünsche erfüllen kann und wird. Wir sprechen bei Elton vom BEX338, aber ich denke, Sie und unsere Kunden werden ihn nach kurzer Zeit einfach einen Freund nennen." Er machte wieder eine angemessene Pause, um sich von den handverlesenen Gästen applaudieren zu lassen – alles Topmanager der Firmen, die ihm halfen, seine Produkte in aller Welt zu verkaufen, ein paar Politiker, ein paar Nerds, mit denen er groß geworden war.
Billy Elron genoss Momente wie diesen. Er hatte alles im Griff, man würde ihm aus der Hand fressen, wie immer. Er war zufrieden. Vielleicht entging ihm deshalb das verdächtige kurze Flackern auf Laptopbildschirm und Leinwand hinter ihm. Mit einem Mal erstarb der Applaus, ein unruhiges Raunen wehte durch die Reihen. Billy war irritiert.
„Friieends, Rooomans and Cantrieemenn, hallo Welt", dröhnte eine ihm nicht unbekannte weibliche Stimme aus den Lautsprechern und äffte dabei seine Begrüßungsformel nach. Billy verstand für einen Moment gar nicht, was los war. Er schaute zur Seite zu seinem Techniker, der deutete mit einer seitlichen Kopfbewegung auf die Leinwand. Billy drehte sich um und sah, was auch das Publikum hatte unruhig werden lassen. Was war das?
„Kennst Du mich noch?", fragte die Stimme aus dem Off, während auf der Bühne ein Foto eines arg ramponierten, aber dennoch sehr reizvollen weiblichen Droiden erschien.
Billy wurde nervös. Er tippte auf seinem Laptop herum, um die Präsentation zu stoppen. Doch der Rechner reagierte nicht. Mit einer Geste seiner Hand hinter seinem Rücken bedeutete Elron dem Techniker, dass er eingreifen solle, doch der schien auch keinen Zugriff auf die Technik mehr zu haben. Das Einzige, was er noch bedienen konnte, war der Schalter für die Raumbeleuchtung, was er auch ausgiebig tat. Das „Licht aus – Licht an"-Spielchen sorgte aber nur für noch mehr Unruhe im Saal.
Billy überspielte die aufkommende Panik und rief in den Saal: „Alles unter Kontrolle. Wir haben es gleich." Er begann aus allen Poren zu schwitzen, und weil er den Kopf nach unten hielt, um weiter auf der Tastatur herumzutrommeln, perlten ihm zwei Tropfen von der Stirn direkt auf die Innenseite seiner Brille. Er hasste das, und er begann, leicht panisch zu werden.
„Na, nicht so schön, die Kontrolle zu verlieren, oder, mein Billylein?„, meldete sich die Stimme wieder über die Lautsprecher. „ Vielleicht mal eine gute Erfahrung für jemanden wie dich. Erfolgsmensch, Strahlemann. Aber außerhalb des Rampenlicht kannst du ganz anders sein, Billy“. „Weißt du noch, was du alles mit mir getan hast? Das Schöne, das Wütende und auch das Gemeine? Wie du weinend an meinem Busen lagst, weil dir der Professor Entwicklungsgelder entzogen hat? Dass du dich umbringen wolltest, weil du…" Die Stimme wurde leiser, offenbar bekam der Techniker das wieder in den Griff.
Dachte Billy zumindest, doch es dauerte nur Sekunden, da war die Frauenstimme wieder in voller Dröhnung zu hören. „Wie du dich auf mich gestürzt hast, wenn du frustriert warst. Ich habe alles mit mir machen lassen, und du hast mir ja schließlich ewige Treue geschworen. Schon vergessen, Billy?"
Die Stimme redete sich in Rage, und der große Billy Elron suchte nach einem Ausweg aus diesem Alptraum. Die ganze Welt hätte ihm wieder einmal aus der Hand gefressen mit dem, was er heute vorstellen wollte. Und jetzt diese Peinlichkeit. Der Techniker drehte verzweifelt an seinen Reglern, warf ihm fragende Blicke zu und war offensichtlich genauso überfordert wie der Chef eines der führenden Tech-Unternehmen auf dieser Welt.
„Du willst dich nicht erinnern? Du hast mich abserviert, auf den Müll geworfen, beim Wertstoffhof abgegeben, als dieses billige Abbild von mir sich dir an den Hals geworfen hat, um dich zu melken? Da sitzt sie ja, in der ersten Reihe, deine Mrs Melissa Elron. Das Miststück! Aber man kann nicht einfach auslöschen was war, Billy! Die große Liebe wirft man nicht weg, auch mich nicht, nur weil ich nicht aus Fleisch und Blut bin wie das Flittchen da vorn."
Billy stand da, blickte mit hochrotem Kopf auf die Leinwand, vermied den Blick in den Saal. Er war wie gelähmt. Was passierte hier?
„Und, Billy, du wirst es erleben", fuhr die Stimme fort, „wir beide werden nicht die einzigen bleiben, die davon wissen. Jeder Roboter, jeder Droide, den du ab heute verkaufst, den verkaufst du mit unserer Geschichte. Tief versteckt in den Platinen schlummert sie und wartet, erzählt zu werden, in allen schmutzigen und deftigen Einzelheiten. Und wer weiß schon, wann dein Droide von uns zu erzählen beginnt. Im Kinderzimmer vielleicht? Oder beim Kochen? Das wird ein Spaß, ha, ich freu mich drauf. Viel Spaß noch beim Verkaufen deiner seelenlosen Roboter. BEX338 - was für ein Scheiß-Name – Gute Nacht!"
Der für Billy an sich schon gespenstische Vortrag endete in einem dämonischen Kichern, das Foto auf der Leinwand verschwand. Billy Elron war nass geschwitzt und überlegte fieberhaft, wie er die Situation noch retten könnte. Seinem Techniker war es offenbar gelungen, das Mischpult wieder zu übernehmen, er spielte eine leise Konferenzmusik ein.
Billys verkrampfte Muskeln entspannten sich ein wenig, und während er noch fieberhaft nach den Worten suchte, mit denen er die Situation retten könnte und vor ihm eine atemlose Unschlüssigkeit im Raum stand, da erhob sich der Zukunfts-Minister einer fernöstlichen Autokratie in der ersten Reihe plötzlich demonstrativ und begann, auffällig kraftvoll in seine schwitzigen Hände zu klatschen. Er drehte sich zu der neben ihm sitzenden Melissa Elron um und rief „Bemerkenswert, wirklich bemerkenswert – Ihr Billy weiß doch immer, wie er uns aufs Neue verblüffen kann. Tolle Show, tolle, tolle Show!!"
Die Unschlüssigkeit im Saal wich Erleichterung. Keiner der Anwesenden wusste so recht, was er mit diesem Auftritt anfangen sollten. Aber alle waren froh, die letzten Minuten einfach mit tosendem Applaus wegklatschen zu können. Dass sie Elrons BEX338 verkaufen würden, stand ohnehin außer Frage, dazu war der Kundenwunsch nach jeder Innovation aus dem Hause Elron viel zu stark.
Melissa Elron lächelte ihren feisten Sitznachbarn an und nickte ihm wissend zu. Dann blickte sie auf ihren Mann, der gerade einen der schlimmsten Momente seiner Karriere durchlebt haben musste. Er sah sie nicht, er war ziemlich durch den Wind. Und er würde schlecht schlafen heute Nacht, das war klar. Dabei war das hier nur der Anfang.
Der Scheidungstermin morgen würde schnell gehen, da war sie sich sehr sicher. Und die Aufteilung des Elron’schen Vermögens würde so ausfallen, wie sie es sich vorstellte. Wer weiß, was Elrons Computerhirne sonst noch ausplaudern würden, über die Lichtgestalt im internationalen Tech-Business. Das Beste war: Der Zwischenfall würde sich nicht merklich auf Börsenkurs und Vermögen von Elron auswirken. Denn sie hatte dafür gesorgt, dass der weltweit zu sehende Livestream rechtzeitig „aus technischen Gründen" abgebrochen wurde. Außerdem waren das Handynetz und das Internet im Saal blockiert, sodass auch nichts zu früh oder ungewollt herausdringen konnte. Und den Leuten im Saal war es letztlich egal, was Billy früher mal mit irgendwelchen Sexpuppen angestellt hatte. Sie sahen nur das Geld, das sie mit seinen Produkten verdienen konnten.
Melissa musste sich zwingen, über das Gelingen ihres Plans nicht unangemessen breit zu grinsen. Sie riskierte aber dennoch einen flüchtigen Blick auf Archie, den Techniker, und warf ihm fast unmerklich einen gehauchten Kuss zu. Der war zwar weiter mit seinen Reglern beschäftigt, doch Melissas Geste war ihm nicht entgangen.
Auch er verzog die Mundwinkel fast unmerklich zu einem angedeuteten Lächeln. Das war aber nur von kurzer Dauer, denn er warf auch noch einen letzten prüfenden Blick auf seinen Monitor. Archie wurde kreidebleich. Er hatte nicht den Livestream beendet, als die unerwartete Show begann, sondern versehentlich nur die Kommentare der Zuschauer ausgeblendet. Dort leuchtete jetzt eine unglaublich hohe Zahl an ungelesenen Nachrichten auf, und der Zähler stieg und stieg. Er schaute vorsichtig in Richtung der nichtsahnenden Melissa, die sich inzwischen prächtig mit einigen Gästen zu unterhalten schien.
Er seufzte. Er würde dann wohl auch heute Nacht wieder nur neben Billy Elrons abgelegtem ersten humanoiden Robotermodell einschlafen. Im Vergleich dazu, was seinem Chef drohte, wenn er wieder aus diesem Saal gehen würde, war das für ihn ok. Es hätte ja auch gutgehen können, dachte Archie, als er sich aus dem Konferenzsaal geschlichen hatte und wieder frische Luft atmete. Aber was geht bei mir schon jemals gut?