Seitenwind Woche 6: Kannst du die Zeit anhalten?

Das verlorene Dorf

Etwas Großes flog durch die Luft und traf eine alte Hütte. Holz splitterte und das Dach stürzte wie eine Flutwelle herab. Panisch verbarg Gerhard sich hinter einem umgestürzten Karren. Ein gewaltiger Körper zog an ihm vorbei, er konnte das Ding atmen hören und versuchte, kein Geräusch zu verursachen. Die Welt, die er kannte, existierte nicht mehr. Und alles, was es gebraucht hatt, um zu beginnen, war ein kleines, verlorenes Mädchen.

Zwei Tage zuvor
Es war weit nach Mittag, als er in der Stadt Adon ankam. Der Dorfbewohner, der ihn begleitete, führte ihre Pferde zu einer kleinen Kapelle und beeilte sich, den Priester zu holen. Kurz darauf trat der heilige Mann ein und begrüßte ihn nervös.
Die Inquisition war ein Gast, den niemand herzlich willkommen hieß, aber in diesem besonderen Fall hatten sie nach ihm gerufen. Er ignorierte die stotternden Begrüßungsworte und sah sich um. Die Stadt war eine Ansammlung von Scheunen und kleinen Holzhäusern. Vor zwanzig Jahren war sie gegründet worden und die Bauern kämpften seither gegen den Wald an, um das Land zu bewirtschaften. Nicht weit entfernt sah er die erste Reihe von dunklen, alten Bäumen. Im Winter würden sie fallen, um Brennholz für die Bauern zu liefern.

„Wo ist sie?“, schnauzte er. Es war nicht nötig, freundlich zu sein. Er würde diese Stadt so schnell wie möglich verlassen.
„Meister Gerhard, Herr, wir haben sie in einem kleinen Raum in der Kapelle eingesperrt, damit der Satan ihr nicht zu Hilfe kommt“, flüsterte der Priester. Er nickte langsam. Seit Jahren war er für die Inquisition tätig. Er hatte manch alte Frau gesehen, die als Hexen bezeichnet wurde, viele waren auf dem Scheiterhaufen verbrannt, um die Dörfer ruhig zu halten. Der Satan hatte sich nicht blicken lassen, um einer von ihnen zu helfen. Gerhard würde weiterhin dafür sorgen, dass niemand an der Macht der Kirche zweifelte.
„Worauf wartest du? Zeig mir den Weg!“ Er löste seine Tasche vom Sattel und der Dorfbewohner trat heran, um sich um das Pferd zu kümmern. Der Priester verneigte sich tief und öffnete die Tür.
Wie er erwartet hatte, war die Frau, die er sah, eine der alten, schmutzigen Gestalten, die er schon oft gesehen hatte. Sie stank, und er war sicher, dass sie sich lange nicht mehr gewaschen hatte.
„Weißt du, wer ich bin?“, fragte er kalt. Sie nickte zögernd.
„Dann kennst du den Grund, warum ich hier bin.“ Er legte seine Tasche auf einen niedrigen Tisch und öffnete den Lederverschluss. Silberne Messer und Kreuze mit rasiermesserscharfen, spitzen Enden. Genug, um Schmerzen zuzufügen, aber nicht zu töten. Die Augen der alten Frau weiteten sich vor Angst.
„Sie sagen, du hast die Tochter des Bürgermeisters entführt. Was habt ihr mit dem Kind gemacht? Wo ist sie?“ Das scharfe Metall klirrte, während er es sortierte.
„Ich habe ihnen alles gesagt, was ich weiß.“, wimmerte sie.
„Dann wirst du es wiederholen. Und nach einiger Zeit wirst du mir sicher noch mehr berichten!“ Er nahm eines der schlanken Messer und legte es auf den Tisch.
„Na los, erzähl mir, was du ihnen gesagt hast.“ Seine Lippen kräuselten sich zu einem dünnen Lächeln.

Nach einigen Stunden des Verhörs hatte die alte Frau ihm deutlich mehr mitgeteilt. Aber es war nicht so, wie er erwartet hatte. Sie hatte nicht behauptet, der Teufel habe das Kind geholt, wie so viele vor ihr. Sie hatte ihm von Kreaturen erzählt, die in den Wäldern lebten. Alte Geschöpfen, die wachten und flüsterten. Sie bot ihm an, ihn zu ihnen zu bringen, damit er sie mit eigenen Augen sehen mochte. Die Furcht vor diesen Wesen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Mit einem Lächeln beschloss er, einen Tag zu bleiben, um diesen Fall zu untersuchen.
Der Priester wartete vor der Kapelle auf ihn. Als er ankam, verbeugte sich der alte Mann tief.
„Was wisst Ihr über die Wälder?“, fragte er den nervösen Greis.
„Meister Gerhard, Herr, die Bauern fürchten sie aus irgendeinem Grund, aber wir haben Kreuze an den Grenzen aufgestellt, um das Böse fernzuhalten! Ich selbst war seit meiner Ankunft hier noch nie dort!“ Der Priester folgte ihm in das kleine Wirtshaus in der Mitte des Ortes.
„Morgen werden wir dorthin gehen. Wir werden die Hexe binden und ihr in den Wald folgen, damit sie uns den Ort zeigt, an dem der Teufel wohnt. Dann werden wir sie und alles, was dort steht, verbrennen.“

Am nächsten Tag begab sich eine kleine Gruppe auf den Weg aus der Stadt. Wie der Priester gesagt hatte, fürchteten sich die Bauern vor den Wäldern. Erst nachdem der Inquisitor ihre Heugabeln geweiht hatte, waren einige bereit, ihnen zu folgen. Die Hexe wurde mit dicken Seilen gefesselt und vor der Gruppe her getrieben.
Sie wanderten an Feldern vorbei, auf denen die Reste der letzten Ernte lagen. Als sie den Waldrand erreichten, starrte die Frau ängstlich in das Unterholz. Die alten Bäume flüsterten im Wind.
„Sie wollen mit Euch allein sprechen“, murmelte sie ihm zu und deutete in den Wald. „Nicht weit von hier steht eine gewundene Eiche, sie werden auf Euch warten!“

Er schmunzelte über ihre Worte. „Und was wird passieren, wenn ich die anderen mitnehme?“ Die alte Frau erschauderte.
„Sie werden wütend sein. Ich weiß nicht, was sie ihnen antun würden.“
Ein kurzer Blick zu den Bauern und dem Pfarrer zeigte, dass keiner ihm freiwillig folgen würde.
„So sei es! Bringt sie zurück zur Kirche. Tut, was wir gestern besprochen haben. Wenn ich zurückkomme, werden wir weitersehen“, befahl er dem Priester und trat in den Wald.
Er fand die alte Eiche, wie die Frau sie beschrieben hatte. Die Luft um den Baum herum war kälter. Er griff den Dolch in seiner Tasche und wartete. Nach einem Augenblick fühlte er sich beobachtet, dann sah er die Bewegung im Geäst. Ein schlankes, fast menschliches Wesen glitt aus den Ästen und landete einige Meter entfernt auf dem Boden. Es sah zu ihm herüber und neigte den Kopf.
„Deine Art ist uns bekannt, die Königin sieht es jedoch als hilfreich an, dich anzuhören. Was führt dich zu uns?“ Seine Stimme klang wie das Rascheln von Blättern.
Gerhard zog seinen Dolch und richtete die silberne Klinge auf die Kreatur. „Was für ein Teufel bist du?“
Das Ding legte den Kopf schief und sah ihn mit intensiven blauen Augen an. „Ich bin nichts weiter als ein bescheidener Unterhändler. Meine Königin schickt mich, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Wir beobachten eure Art schon seit langem und wissen, was passiert, solltet ihr euch bedroht fühlen. Aber wisst, dass wir es nicht schätzen, wenn man ein Messer auf uns richtet!“ Eine Geste seines dürren Arms genügte und ein Eichenast schnappte vom Baum und schlug Gerhard den Dolch aus der Hand.
Einen Moment lang zögerte der Inquisitor. Dieser Dämon schien stärker zu sein, als er gedacht hatte.
„Die Hexe sagte, du hättest ein Mädchen aus dem Dorf entführt.“, presste er heraus.
„Ach, die Kleine. Ja, sie wurde uns von ihren Vorfahren versprochen. Wir haben sie aufgezogen, damit sie die Sitten unseres und eures Volkes versteht. Aber als sie von dem alten Narren in der Kapelle bedroht wurde, brachten wir sie in Sicherheit. Sie wird bei uns bleiben, bis sie bereit ist.“ Das Wesen wiegte sich im Wind.
Eine weitere Hexe ein größerer Scheiterhaufen zum Verbrennen. Der Gedanke kam Gerhard, aber die Worte, die er sprach, waren andere.
„Gebt sie zurück. Oder ich garantiere dir, dass wir diesen Wald niederbrennen und sie mitnehmen werden!“ Er suchte in seinem Mantel nach einem heiligen Symbol, um den Teufel abzuwehren, sollte er ihn angreifen.
„Oh, ihr seid immer noch gleich, nach all dieser Zeit! Wenn etwas nicht so läuft, wie ihr wollt, droht ihr uns mit Feuer. Sei froh, dass wir nicht so sind, wie die Bauern denken. Wir haben einen Teil der Heimat verschenkt, damit eure Art hier leben und ihre Körner anbauen kann. Wir haben zugelassen, dass ihr einige unserer Bäume fällt, um euch vor dem Erfrieren zu bewahren. Jetzt haben wir uns genommen, was uns versprochen wurde, und ihr kommt und fordert es zurück? Sie ist unser. Mit Herz, Seele und Fleisch. Frag sie selbst, dann geh, ich ertrage deine Arroganz nicht länger.“
Eine kurze Geste, und der Baumstamm öffnete sich wie eine Tür. Gerhard sah einen kleinen Korridor, der zwischen seltsamen Blumen nach unten führte. Ein Mädchen stand dort und wartete. Als sie den Inquisitor sah, blickte sie besorgt und trat aus dem Baum heraus.
Sie schaute zu der Kreatur auf. „Das ist nicht mein Vater. Wer ist er?“, fragte sie leise.
„Jemand, der hier ist, um dich zurückzubringen, Isabell. Es steht dir frei, zu gehen, wenn es dein Wunsch ist“, antwortete das Wesen freundlich. Das Mädchen schüttelte schnell den Kopf.
„Nein, er hat das Aussehen eines kalten, bösen Mannes, wie der Priester, der mich erschlagen wollte, für das, was ich ihnen über dich beigebracht habe.“, sagte sie leise.
Die Kreatur wandte ihren Blick zu Gerhard.
„Du hast sie gehört. Geh und komm nicht wieder, oder du wirst unseren Zorn zu spüren bekommen. Wir werden sie zu eurer Art zurückkehren lassen, wenn die Zeit reif ist und euer Volk zuhören und nicht töten wird.“ Das Mädchen trat zurück in den Baum, der sich hinter ihr schloss.
„Ihr seid die Sippe des Teufels. Wir werden euch niemals hier existieren lassen!“ Der Inquisitor spukte auf den Boden, bevor er wütend losrannte.

Am nächsten Morgen führte Gerhard eine Gruppe von Bauern mit Äxten und Fackeln in den Wald. Es war der Tag, als der Krieg begann.

Sventja

Als ich den Raum betrat, wurde mir schwindelig. Er stand mir genau gegenüber. Er nahm mich nicht wahr. Ich hatte ihn hier vermutet. Dem Geruch von Schweiß, Dreck und zugleich irrsinniger Vertrautheit folgend war ich hier gelandet. Ich hatte nicht daran geglaubt, dass ich ihn auf diese finden könnte. Als ich erneut einatmete, stach mir der brennende Gestank wie ein eiskaltes Messer in die Brust und ich hatte zu kämpfen, dass ich nicht laut aufschrie.
„Atme“, sagte meine Stimme in mir, „Atme einfach weiter“.
Und ich gab mein bestes.
Er zog erneut an seiner Pfeife, als der Rauch mich umhüllend schier niedersinken ließ. Er wusste nicht, dass ich da war.
Sterne erschienen mir vor den Augen, deren Schwärze immer größer und saugender wurde.
„Bleib stehen“, befahl ich mir.
Und die Stimme in mir sprach: „Ich stehe“.
Als ich erneut einatmete, schrie mein Verstand in mir: „Geh! Du musst hier weg! Geh! Geh!! Geh endlich!!! Geh doch einfach, bevor der Dich bemerkt“
Die Messer stachen mir in die Kehle, mein Herz klopfte überlaut, mein Kopf begann zu dröhnen, die blaulila Schränke begannen sich um mich zu kreisen, der braunblaue Teppich sauste um mich herum und er, der seelenruhig auf seinem Schemel saß, schien plötzlich mit dem Rücken um mich herum zu tanzen…
„Dieser Ort ist Auswegslos!“, flüsterte meine Seele. „Du lässt Dich fangen.“
Meine Beine wurden weich wie Gummi, Millionen von Fliegen schienen in meinen Ohren zu surren während meine strohtrockene Zunge an den Zähnen klebte und mir speiübel wurde.
Ich konnte nicht meinem Verstand folgen und konnte auch nichts mehr für meine Seele tun, denn in jenem Moment, da mein Körper beschloss sich zu verselbständigen und die schwarzen Sterne zu verschlingenden Löchern wurden in die ich ohnmächtig hinein gesogen wurde wie in Watte, während das Surren in meinen Ohren so laut wurde, dass es jegliche Außengeräusche übertönte und alles in mir sich ergab - fühlte ich noch, wie zwei starke Arme den fallenden Körper auffingen…

Es war ein Abend gewesen der mich in eine unfassbare Nacht geführt hatte - eine Nacht, die sieben Jahre gedauert hatte, in der ich mich selbst verloren hatte. Die Schrecken der Dunkelheit saßen tief, doch ich glaubte mit dem Ende jener sieben Jahre, endlich zu wissen, wer ich sei, als ich die Helligkeit wieder betrat.
Die Grenze der Helligkeit überschreitend, hatte ich zunächst weiter in diesem Gebiet bleiben wollen, doch magisch angezogen vom Licht war ich weitere sieben Jahre der Hellwelt verfallen.
Die Schrecken beider Welten in mir tragend, war ich auserwählt worden, Grenzhüter zu sein – Vermittelnder zwischen der Dunkelwelt und der Hellwelt.
Nur wenige Wesen gab es, die diese Fähigkeit tatsächlich erlangt hatten.
Meister höheren Welten hatten mich auserkoren.
Aber das wusste ich damals noch nicht.

Die Rosenblüte schimmert sanft im goldenen Farbenlicht der leuchtenden Sonne, als ein kleiner Wassertropfen einen Strahl der Spiegelwelt mir in die Augen fallen läßt. Leuchtende, leise umhüllende Klänge streicheln meine Seele. Ich lausche ihrer Erzählung eines unendlich tiefblauen Himmelsraumes und eine weiße Feder fällt mir in die Hand, spielend leicht. Der Windhauch lässt jede ihrer Fasern erbeben. Vorsichtig streiche ich sie und fühle ihre Weichheit.
Ein Wind kommt auf und zerzaust mir mein Haar.
Da lasse ich die Feder frei und sehe zu, wie sie vom Wind getrieben über die Kieselsteine schwebt. Tänzerisch. Leicht. Sanft. Und unglaublich verletzlich.
Die Rosenblüte streift mich. Der Wassertropfen muss gefallen sein. Das Leuchten ist auf einmal erloschen. Die Sonne ist hinter den Wolken, alles schweigt. Selbst der Wind hält jetzt den Atem an.
Ich erhebe mich und möchte gerade weiter gehen, als ich plötzlich spüre, dass ich nicht allein bin.

Manchmal

Manchmal möchte ich die Welt retten,

der Gesellschaft Augen öffnen,

sie dazu bringen, die Zukunft abzuwarten

und die Gegenwart nicht zu überspringen.

Wenn ich der Gegenwart entfliehen möchte,

dann denke ich an die Zukunft.

Ob wir überhaupt eine haben werden?

Ist die Gegenwart alles, was wir haben können?

Manchmal möchte ich gehört werden,

ohne die ganze Zeit schreien zu müssen.

Wenn wir eine Zukunft haben wollen,

dann sollen wir an gleichem Strand ziehen.

Wie denn?

Wir kriechen bereits alle am Boden,

versuchen ständig aufzustehen,

stolpern immer öfter

und fallen immer tiefer.

Während wir uns der Art plagen und leiden,

hören wir immer öfter die Stimmen der Götter,

die uns überzeugen, dass der Weg,

den wir eingeschlagen haben, der richtige ist.

Der Weg, den wir jetzt miteinander gehen,

der Einziger ist, der uns eine Zukunft bietet.

Manchmal wünsche ich mir,

die Götter könnten die Welt mit unseren Augen sehen,

uns die Hände reichen, dass wir wieder aufstehen können,

um gemeinsam die Zukunft zu gestalten,

statt uns aufzufordern,

die Welt mit Ihren Augen zu betrachten.

Wir alle liegen am Boden,

unsere Blicke reichen nur bis zu Ihren Füßen.

Wie sollen wir noch den Kopf heben,

ohne uns dabei Genick zu brechen,

um die Welt mit ihren Augen sehen zu können?

Wie denn?

Unter all den Göttern gibt es einen Gott,

der noch zu jung und zu schwach ist zu führen,

aber eines Tages wird stark genug sein,

um aufzustehen.

Er wird aufstehen und Euch verraten,

uns die Hände reichen,

um ihn folgen zu können,

hoffentlich in eine Zukunft,

die auch unsere Zukunft sein wird.

Vom Blitz getroffen

Am Heiligen Abend fuhr ich mit meinem alten, klapprigen Auto in die Berge. Mit drei Freunden hatte ich eine Hütte hoch oben auf 2000 m gemietet um Weihnachten und Silvester dort zu verbringen. Es war schon spät und es begann zu dunkeln. Plötzlich krachte es entsetzlich und der Motor ging aus. Mit Mühe konnte ich das Auto noch an den Randstreifen lenken. Da saß ich nun! Warum habe ich nicht einmal eine Inspektion machen lassen? Nach dem ersten Schrecken startete ich noch einmal. Es tat sich nichts mehr!. Weit und breit kein Licht! Schon lange hatte ich auf der kleinen Straße niemand mehr gesehen. Kein Empfang mit dem Handy. Schätzungsweise war ich noch 50 km von meinem Ziel entfernt. Es war ziemlich kalt, ich überlegte hin und her und da ich eine Decke im Auto hatte, entschloss ich mich, im Auto zu warten.

Kurz nachdem ich mich eingerichtet hatte, tauchte in der Ferne ein Licht auf. Es entpuppte sich als eine Art Motorroller, der mit deutlichen Abstand stehen blieb. Eine weibliche Stimme fragte, ob sie mir helfen könnte. Nach der Beschreibung meines Problems hatte die Fahrerin anscheinend Vertrauen zu mir und sagte, dass sie auf der Heimfahrt zu ihren Eltern auf einem Bauernhof sei und von dort könnte ich telefonieren. Sie bot mir an, mich mitzunehmen. Als wir auf dem Hof angekommen waren, nahm die Fahrerin den Helm ab und zog ihre dicken Sachen aus. Darunter kam eine wunderschöne junge Frau zum Vorschein. Wir sahen uns an und nichts war, wie es einmal war. Es war als hätte mich der Blitz getroffen! Es war Liebe auf den ersten Blick! Der graue Himmel war auf einmal blau und ich konnte an nichts anderes mehr denken. Das himmlische Geschöpf stellte sich als Katharina vor.

Nachdem ich wieder einigermaßen zu mir gekommen war, riefe ich meine Freunde an und es stellte sich heraus, dass keiner mehr fahren konnte. Bei einem Notdienst meldete sich niemand. Schlechte Nachricht! Die gute Nachricht war, dass es auf dem Hof Zimmer gab und es war noch eins frei. Verliebt wie ich war, entschied ich mich ohne weiter nachzudenken zum Bleiben.

Es wurde ein wunderschöner Heiliger Abend, da mich die Familie in ihren Kreis aufnahm. Ich hatte nur Augen für Katharina. Voller Hoffnung glaaubte ich, dass es ihr genauso wie mir ging. Am nächsten Tag holte mich ein Freund ab und endlich erreichte ich meinen eigentlichen Urlaubsort. Immer noch bewegte ich mich wie im Traum und das fiel meinen Freunden sofort auf. „Was ist denn mit dir los?“ „Ist etwas passiert?“

Am zweiten Feiertag hielt ich es nicht mehr aus und rief auf dem Bauernhof an und lud Katharina zu einem Dankeschönessen zwischen den Jahren ein. Sie sagte sofort zu und bei dem Essen gestand ich ihr, dass ich mich in sie verliebt hatte. Und das Wunder geschah: Sie hatte mich auch gern!

Von da an änderte sich mein Leben total. Offiziell war ich arbeitslos, nachdem ich mein Studium abgebrochen hatte. Um es deutlich zu sagen, ich war ziemlich verwahrlost und hatte mich mit temporären Jobs über Wasser gehalten. Mein Studium habe ich beendet und mich nicht mehr so hängen lassen. Mein großer Halt war Katharina! Wir heirateten noch während des Studiums und bekamen schnell drei wunderbare Kinder. Und jetzt noch ein großartiges Geschenk, meine erste Enkelin Silvia.

Sie wusste, dass niemand ihr glauben würde.
Sie hatte die Kontrolle über die Situation vollkommen verloren und jetzt fühlte sie sich schuldig. Ihr ganzer Körper schmerzte, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, schlimmer noch, sie nahm weder ihre Umgebung noch sich selbst wahr. Das einzig Fassbare war der Schmerz, der sich langsam in ihren Gliedern ausbreitete … und dieses Gefühl der Hilflosigkeit, der Ohnmacht gemischt mit Verzweiflung. Sie bewegte sich nicht, in der Hoffnung aus einem Alptraum aufzuwachen. Bilder kamen ihr in den Kopf. Hoffnungsvolle Bilder, die ihr ein wohliges Gefühl der Verbundenheit mit der Welt vorgaukelten. Musik, die sich in Tränen auflöste. Menschen, die sie anlächelten, weil sie sich von ihrer Heiterkeit anstecken ließen. Die zufälligen Berührungen hatten sie elektrisiert, so dass sie über sich selbst erschrak. Nichts, aber rein gar nichts hatte sie gewarnt vor dem, was gerade passiert war. Die Gewalt, die über sie hereingebrochen war, hatte die Macht, sie zu verschlingen. Dagegen wirkte die Dunkelheit wie eine wohltuende Decke. Niemand würde sie finden und niemand würde sie vermissen. Sie verlor jedes Zeitgefühl und als sie Stunden später aus der Bewusstlosigkeit erwachte, war der Geruch der Erde das erste, was sie wahrnahm. Mitfühlend hatte sich das Gras unter ihrem Gewicht auf die nasse Erde gelegt und die Wärme ihres Körpers angenommen. Sie lauschte den Geräuschen der Nacht und bemerkte die Bemühung der Natur, ihr Trost zu spenden. Nicht fordernd und nicht drängend, aber beständig flüsterte sie ihr Mut zu. Die Erde schien ihre Verletztheit zu bemerken und gleichzeitig zu ignorieren, indem sie das Geschehene bezeugte, aber ein kleines Licht der Hoffnung erschuf. Träumte sie oder spielte eine Musik im Hintergrund? Langsam versuchte sie, sich zu bewegen. Sie zog ihre Beine an und drehte sich auf die Seite, machte sich ganz klein und lauschte weiter den beruhigenden Geräuschen der Nacht. Geborgenheit kannte sie nicht und doch wusste sie, dass ihr Gefühl die Antwort auf diese Sehnsucht war. Etwas war erwacht in ihr und im Laufe der nächsten Stunden wich ihre Ohnmacht einer neuen Empfindung. Sie fühlte eine Stärke in sich, die gleichzeitig erhaben über ihr zu schweben schien. Die Morgendämmerung nahm ihr die letzten Schatten von der Seele und sie konnte aufstehen und sich nach Hause schleppen. Diese Nacht hatte sie verwandelt und es war nicht mehr wichtig, ob ihr jemand glaubte.
Später dachte sie oft, ihr Geheimnis sei im Wald geblieben, liebevoll behütet und gut versteckt. Bis der Tag kam, an dem alles von vorne anfing.

Advents-Zeit

Wir fahren vom Adventsmarkt nach Hause. Es ist schon ziemlich dunkel, wobei in der Stadt viele Lichter und Lampen ein durchgehendes Dämmerlicht erzeugen.

Die Ampel an der großen Kreuzung ist rot und wir stehen mit unserem Auto ganz vorne in der Seitenstraße, um die vierspurige Hauptstraße stadtauswärts zu überqueren.

In solchen Situationen beobachte ich die Ampelschaltung. Für die Fußgänger rechts von uns hat es gerade auf grün geschaltet. Ein paar wenige Menschen kann ich im Halbdunkel erkennen. Plötzlich kommt ein Auto mit hoher Geschwindigkeit angerast, überquert die Kreuzung. Das gehört da nicht hin! Schon erfasst es einen Passanten. Sein Körper wird über das Auto hinweg durch die Luft geschleudert. Seine Popcorn sehe ich wie kleine Sternchen im Straßenlampenlicht durch die Luft fliegen. Sie scheinen einen Moment dort zu verharren – bis ihr Licht erlischt.

„Jetzt haben sie da jemanden überfahren“ sage ich kurz und völlig irritiert zu meiner Frau auf dem Beifahrersitz, während ich trotz roter Ampel ein paar Meter weiter nach vorne fahre und mein Auto an der Seite abstelle.

Der Adrenalinspiegel schießt nach oben. Jetzt beginnt die Zeit – wie in Watte gepackt – weiterzulaufen. Jetzt geht es mir nur noch darum, zu helfen und zu funktionieren. Das kann ich in Notfallsituationen ganz gut. Wo anfangen? Beim Opfer! Schnell laufe ich voraus um mir ein erstes Bild zu machen. Erst jetzt merke ich, wie groß die Abstände hier an der Kreuzung sind. Vom Auto aus sah alles ganz nah aus. Noch ein paar Schritte und ich bin beim Unfallopfer. Dort drüber liegt es. Ganz dunkel gekleidet. Eine andere Passantin ist schon bei ihm. Ängstlich. Aufgeregt. Hilflos. Sie versucht ihn anzusprechen. Wahrscheinlich war sie einer von den Menschen, die die Straße von der gegenüberliegenden Seite überquert hat. „Haben Sie schon den Notarzt gerufen?“ frage ich – wobei ich mich wie fremdgesteuert fühle. „Nein, das habe ich noch nicht gemacht!“ Sie wendet sich wieder dem schwer verletzten Mann zu. „Er lebt und hat große Schmerzen!“ höre ich sie noch sagen, während ich überlege welche Nummer ich jetzt wählen muss. 110 oder 112? „Kein Wunder, dass er Schmerzen hat“ denke ich. „Was ihm passiert ist…“ Ich betrachte seinen blutschmierten Kopf. Jetzt fallen mir auch die Popcorn auf, die rings herum um ihn verstreut sind. Nochmal: 110 oder 112? Ich spüre meine Aufregung. Meine Hände zittern, während ich die Ziffern auf meinem Handy tippe. Wie in Watte gepackt, führe ich das Gespräch. Das, was mich beruhigt, ist die Aussage unseres Erst-Helfer-Ausbilders, der uns beim Kurs vor vier Wochen mehrere Male eingetrichtert hat, dass man uns im Notfall durch das Gespräch führen wird. Was mich plötzlich beunruhigt ist, dass um uns herum die Autos immer weiter fahren. Manche Menschen halten an und helfen. Manche fahren weiter als wäre hier nichts passiert. Während ich telefoniere, weise ich einen Mann an, ein Warndreieck aufzustellen. „Nein, nicht gleich hier. Weiter hinten!“ Jetzt kommt auch noch ein Bus. „Wie viele Verletzte gibt es?“ fragt mich die freundliche Stimme am Telefon. „Nein, Sie können hier nicht durchfahren. Sie können höchsten ein Stück über den Gehweg…“ „Wahrscheinlich zwei Verletzte. Ein Mann schwer. Die Fahrerin des Wagens, die den Mann überfahren hat, steht unter Schock.“ Während ich der Person in der Rettungsleitstelle zu erklären versuche, wie der Unfall passiert ist, lotse ich den Busfahrer am Unfallopfer vorbei. „Wo der Unfall passiert ist?“ Ich weiß doch nicht, wie die Straßen hier heißen. „Ah, da hinten ist ein Schild. Warten Sie…!“ Auf dem Weg dorthin weise ich zwei weitere Passanten an, die Straße, um den verletzten Mann abzusperren.

Auf dem Weg zu Straßenschild entdecke ich das Auto vom Unfallverursacher. Der ist noch einige Meter weitergefahren. Die ganze Familie ist in Schock bzw. in Panik geraten. Der Mann, der auf der Beifahrerseite aussteigt , will mir erklären, dass er nicht weiß, wie das passieren konnte. Hinten schreien die Kinder und der Hund kläfft, was das Zeug hält. Die Frau klammert sich an´s Lenkrad und starrt durch das fast 30 cm große Loch in der Windschutzscheibe, das der schwer verletzte Mann mit seinem Kopf dort eingeschlagen haben muss. Die Frau ist kaum ansprechbar. „Ja, der Notarzt und der Rettungswagen sind unterwegs“ höre ich die Frau aus der Rettungsleitstelle noch sagen, bevor ich zwei weitere Helfer anweise, beim Auto der Familie zu bleiben. Leise raune ich dem einen noch zu: „Und passen Sie auf, dass die nicht abhauen…!“

„Kann ich Ihnen helfen? Ich bin Krankenschwester“ sagt eine junge Frau von hinten zu mir. Ich drehe mich um und weise mit beiden Händen nach unten zeigend auf das Unfallopfer, das ein paar Meter entfernt liegt. Dankbar nehme ich wahr, dass ein paar Leute diese goldglänzende Folie über und unter den Mann gelegt haben. „Da können Sie helfen…“

Wieder will mir der Mann aus dem Unfallauto erklären, dass sie den Mann nicht gesehen haben. Sie hätten doch grün gehabt und warum hätten dann die Fußgänger auch grün gehabt? Ich versuche ihn zu beruhigen. Muss mich aber wieder mit der Frau am Telefon besprechen.

Wieder vor zum Opfer. Einige Menschen kümmern sich um ihn. Er scheint in guten Händen zu sein. Die Krankenschwester sagt etwas mit „…Arm gebrochen…“, „…Schmerzen im Bein…“ und „Verletzungen am Kopf“. Ich höre nicht genau hin. Wie in Watte gepackt funktioniere ich. „Reichen Ihnen die Infos? Wann kommt denn der Notarzt…?“ Die Leute vom Notruf, die ich die ganze Zeit parallel mit weiteren Informationen versorgt habe, fordere ich dringlichst auf, dass jetzt jemand kommt. „Der Mann stirbt sonst…!“ „Es ist schon jemand unterwegs“ höre ich noch sagen, bevor das Gespräch beendet wird. Ich trete auf die Popcorn und schnaufe durch. Wie in Watte gepackt, stehe ich da und halte kurz inne. Der Bruchteil einer Sekunde, der sich anfühlt wie eine Ewigkeit lässt mich die Situation neu erfassen, ich kann mich sammeln und stelle fest, dass mir wahrscheinlich meine Frau zwischendurch – ohne dass ich es merkte – die Warnweste übergezogen hat. Weiter geht´s.

Ich muss den Mann suchen, der auch gleich zu Beginn hier war. Der muss als Zeuge hierbleiben. Wieder wie in Watte gepackt, höre ich von fern das Martinshorn. „Hoffentlich kommen sie jetzt ganz schnell zu uns. Schnell!“ denke ich. Der Mann braucht dringend Hilfe. Und ich kann nicht mehr. Als ich wieder das 30 cm große Loch in der Windschutzscheibe sehr, hoffe ich nur, dass er überleben wird. „Was müssen das für Schmerzen sein?“ fährt es mir durch den Kopf und anschließend durch den ganzen Körper. Da spricht mich schon jemand vom Rettungsdienst an und ich weise die Leute kurz ein, bevor mich meine Frau kurz in den Arm nimmt. Jetzt merke ich, wie völlig erschöpft ich bin. Und auch später, wenn wir vom Adventsmarkt nach Hause fahren, gelten meine Gedanken immer wieder dem Mann, der dort schwer verletzt auf der Straße lag. „Hoffentlich überlebt der Mann!“ denke und sage ich während der Fahrt immer wieder. „Die Frau ist bei rot über die Ampel und hat den Mann voll umgemäht.“ Und dann erscheint vor meinem geistigen Auge immer wieder das Bild von den Popcorn in der Luft…

Samtaugen

Eines sonnigen Morgens, nicht weit von der Moschee, schaute
Halef Omar unvermittelt in das dunkle, violett schimmernde Meer eines Augenpaars, das aus einem Schleier hervorlugte. Für einen Wimpernschlag begegneten sich ihre Blicke, flatterten aufeinander zu und webten ein unsichtbares Band. Halef sah ihre Seele glänzen, eine magische Quelle, die aufsprang und Boten in sein Herz sandte.
Er fand kaum noch Schlaf, sah ständig die dunkel-violetten Samtaugen, von schwarzen Wimpern besäumt, die Lider, die ihn an durchscheinende Blütenblätter erinnerten und die er in seiner Fantasie wie Schmetterlingsflügel klimpern liess.
Er entschloss sich bei Abdul Hassar, einem rechen Kaufmann und Vater der Besitzerin der Samtaugen, vorzusprechen.
„Höre“, sagte er zu Abdul, „mir gefällt deine Tochter und ich begehre sie zum Weib. Ich biete dir 1000 Dinare, das ist ein stolzer Preis.“
„Es freut mich, dass meine Tochter dir gefällt“, antwortete Abdul. „Doch bei Allah und meiner Seele! Unter 2’500 Dinaren ist leider nichts zu machen.“
„Das ist zu viel für mich“, sagte Halef und verzog sich, heiratete kurz darauf eine andere, für ihn erschwinglichere, die zwar nicht so schön, aber dafür intelligent und sparsam war.

Doch in manchen Nächten, wenn der Mond und die Sterne am Himmel leuchten, spaziert er hinaus in die Wüste, schaut zu den Gestirnen, trauert den schwarzen Samtaugen nach und denkt wehmütig, hätte ich doch früher mit dem Sparen begonnen.

Die Stimme
Das Telefon klingelt. Das Display zeigt die Nummer meiner Mutter. Ich lasse das Handy bimmeln und trete ans Fenster. Draußen wölbt sich ein seidiger Frühlingshimmel über zartgrüne Wiesen, gelb gesprenkelt von Löwenzahnblüten, gesäumt von Weißdornbüschen. Ich atme tief durch und schlage mit der Faust auf den Tisch, sodass das Telefon einen kleinen Satz macht. Das Display starrt mich vorwurfsvoll an und verstummt. Und während das Handy das Licht ausknipst, signalisiert es mir noch: Du wirst dieser Frau nicht entgehen. Und noch schlimmer: Du wirst die quälende Stimme, die sich in deinem Inneren eingenistet hat, niemals loswerden.
Schon als Kind habe ich diese Stimme gehasst, der ich hilflos ausgeliefert war. Wie oft hatte sie mit ihrem moralisierenden Sauerbitterton meine Begeisterung gebremst, mich zurechtgestutzt, mir meine Lebenslust genommen. Angst vor den strengen Strafen und Angst davor, ungehorsam zu sein, machten mich klein. Bis ich begriff, wie duckmäuserisch das war und wie sehr ich mich dafür verachtete. Ein unbändiger Drang nach Freiheit, nach Freude und Selbstentfaltung verliehen mir im Lauf der Jahre die Kraft, gegen das aufgezwungene schlechte Gewissen, gegen Einengung und Ungerechtigkeit zu kämpfen. Trotzdem hatte mich die Quenglerin in mir nie gänzlich verlassen. Auch noch als Erwachsene, fern von zu Hause, führte ich von Zeit zu Zeit Zwiegespräche mit der lästigen Mahnerin. Allerdings hatte ich gelernt, sie in ihre Schranken zu weisen. Meine schärfsten Waffen waren Gelassenheit, Sturheit und ein grimmiges Vergnügen an unserem Duell. Fast immer trug ich inzwischen den Sieg davon, und wenn mir das einmal nicht gelang, dann redete ich mir ein, dass eben die Vernunft gewonnen hatte, nicht etwa meine Ängstlichkeit, Feigheit, Vorsicht oder Trägheit. Welch kläglicher Triumph.
Das Telefon unterbricht erneut meine Gedanken. Fordernd. Es ist meine Mutter. Der Frühling lächelt so mild und ermutigend. Ich drücke auf den grünen Button.

Felis Catus

Mit kleinen Augen wache ich auf. Die Sonne brennt schon unermüdlich durch die grüne Zeltdecke. Es geht weiter, denke ich. Die Hitze in diesem verfluchten Polyester Zelt bringt mich um den Verstand. Was waren wir gestern gefahren: 50, 60km? Ich habe auf dem Fahrrad teilweise die Zeit vergessen und gar nicht mehr verstanden wohin wir eigentlich wollten. Nun sind wir hier, die Sonne geht auf, ich spüre es durch die Polyester Decke des Zeltes. Alles heizt sich auf. Es fühlt sich unnatürlich an. Mit einem einzigen Huster reiße ich die Zelt Tür auf und halte inne, noch das Ende des Reisverschlusses in den Händen. Im Vorraum kräuseln sich die Ameisen, aber die Tür nach Draußen ist auf.

Hier sitzt du. Felis Catus. Wie eine Erscheinung. Die Zeit steht still, als ich dich betrachte. Dein rot-weißes Fell schimmert durch deine filigranen Muskeln. Du bist ein aktiver und kluger Kater. Gestern habe ich dich kurz gestreichelt und mit dir geredet und nun sitzt du hier, wenn ich aufwache? Dies ist ein Moment, nur ein einziger, wo du mir etwas sagst was ich fasst vergessen habe.

„Lebe den Moment“.

War es Schicksal? Oder traf ich einfach nur den falschen Zeitpunkt? Vielleicht war ich auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort.
Ich wusste es nicht. Jedenfalls sah ich, genau wie die Menschen es mit Nahtoderfahrungen immer sagten, mein Leben an mir vorbeiziehen. Kindheitserfahrungen so deutlich, als wären sie gerade in diesem Moment real.
Ich hörte noch, wie der Reifen platzte, und ich erinnerte mich daran, wie mein Lenkrad ein Eigenleben führte. Auf den nassen Straßen wäre es auch ein Wunder gewesen, wenn der Unfall vermieden hätte werden können. Ich selbst war nicht mehr in der Lage zu denken oder angemessen zu handeln. Es geschah einfach ohne, dass ich es wirklich realisierte. Der Wagen durchbrach die Leitplanke und das Auto stürmte ungebremst in den Abgrund. Nachdem sich die Airbags öffneten, und meine verzweifelten Schreie im dunklen Nichts verhallten, wurde es schwarz vor meinen Augen.
Nur ganz langsam drang der piepende Ton in mein Unterbewusstsein ein und ich spürte, wie mein Körper anfing, sich gegen die Schmerzen zu wehren. Schmerzen, die ich mir nie hätte vorstellen können. Tausend Messerstiche durchzogen meinen ganzen Körper und ich spürte jeden einzelnen Knochen und Muskel. Langsam kam auch die Erinnerung zurück. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie ich die Leitplanke durchfuhr und jeder einzelne Regentropfen, der durch das Scheinwerferlicht angestrahlt wurde, als ich den Abhang hinunterschoss. Ich hatte keine Hoffnung, dass ich das überleben würde. Doch als sich der Airbag öffnete und mir nach dem Aufprall teile der Frontscheibe ins Gesicht schleuderte, versank meine Welt in ein dunkles endloses Schwarz. Jetzt wo ich langsam das Bewusstsein erlangte, spürte ich zwar die Schmerzen, die der Unfall hinterließ, aber auch, wie das Leben in meinen Körper zurückkehrte. Ich lebte. Auch wenn ich nicht wusste, wie ich so viel Glück haben konnte.
Nur schwerlich öffnete ich meine Augen, die sich anfühlten, als hätte es sich eine Tonne Steine auf ihnen gemütlich gemacht. Ich war mir sicher, dass ich sie öffnete, doch alles was ich sah, war die gleiche Dunkelheit, wie vorher auch. Ich versuchte, meine Arme zu heben, doch irgendwie war mir das absolut nicht möglich. Panik machte sich in meinem Inneren breit und der Ton der Maschine schien durchzudrehen. Dann hörte ich, wie sich eine Tür schnell öffnete und jemand nach dem Arzt rief. Ich ging davon aus, dass es eine Krankenschwester sein musste, denn die Fachbegriffe die sie vom Arzt entgegengeschmettert bekam, verstand sie ohne weiteres.
»Bitte beruhigen Sie sich. Sie haben das Gröbste jetzt zwar überstanden, aber Sie brauchen noch Ruhe.«
Der Arzt legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.
Ich versuchte, etwas zu erwidern, doch die Worte blieben mir im rauen Hals stecken. Jeder Versuch einen Ton zu erzeugen schmerzte höllisch. Es kam mir so vor, als hätte jemand mit Bimssteinen meinen Hals bearbeitet. Ich musste kräftig husten.
»Reden wird Sie nur noch mehr anstrengen«, erwiderte die Schwester nach meinem Hustenanfall. Doch ich wollte wissen, was passiert war, wie es mir ging und vor allem, was mit meinen Augen los war. Ich war mir sicher, dass ich sie öffnete, doch warum konnte ich das rettende Licht nicht sehen. Also versuchte ich es erneut.
»Was … meine Augen«, kratzig kamen die Wörter aus meinen Mund und ich hustete erneut.
»Ihre Augen wurden von den Scherben verletzt. Noch tragen Sie einen Verband. Die Operation lief gut und wenn alles weiter so verläuft, besteht durchaus die Möglichkeit, dass ihr Sehvermögen zurückkehrt. Daneben haben Sie sich einige Hämatome zugezogen, ein Bein, einen Arm und zwei Rippen gebrochen. Die Rippen werden Ihnen noch einige Schwierigkeiten beim Atmen bereiten. Die anderen Brüche werden ohne Probleme ausheilen.«
Ich schluckte schwer und auch wenn ich den Worten des Arztes gerne vertraut hätte, konnte ich jedoch seinen Unterton heraushören, als er über meine Augen sprach. Die Angst, mein Augenlicht zu verlieren schnürte mir den Hals zu. Meine Augen waren mein Werkzeug, wie sollte ich …
»Ayleen, du bist endlich aufgewacht.« Meine Mutter holte mich so stürmisch aus meinen Gedanken, wie sie mich umarmte. Ich stöhnte auf, nachdem sie meinen bereits von dicken blauen Flecken übersäten Arm berührte.
»Oh Gott, tut mir leid, das wollte ich nicht.« Sanft strich sie über die Stelle, wobei ich sie leise schluchzen hörte. Wusste sie vielleicht mehr, als der Arzt mir sagen wollte? Ich spürte die Schmerzen schließlich, auch wenn man mich wahrscheinlich mit etlichen Schmerzmitteln vollpumpte. Meine Augen brannten, als hätte mir jemand ein glühendes Eisen hineingehalten. Mir weiszumachen, dass es keine Folgen gab, war so lächerlich wie Eislaufen auf einem nicht zugefrorenen See. Auch an den schweren Atemzügen meines Vaters konnte ich es hören. Sie verschwiegen mir eindeutig etwas. Aber ich war mir nicht wirklich sicher, ob ich es wirklich wissen wollte.
»Ruhe dich noch etwas aus Liebes. Wir reden, wenn du wieder bei Kräften bist.«
„Wie lange bin ich schon hier?“
Meine Mutter sah mich ernst an und ich sah es ihr eindeutig an, sie kämpfte mit der Antwort.
„Zwei Monate.“
Zwei Monate? Ich lag zwei Monate in diesem Krankenhaus, ohne das geringste mitzubekommen. Zudem würde ich vielleicht nie wieder einen Sonnenaufgang sehen.

Alte Steine

Der Weg war steil und führte durch den dunklen Wald hoch zur Burg. Ein kalter Windhauch spielte mit ihren roten Haaren und wehte sie durch einander. Ihr Atem ging schwer. Einen Fuß vor den anderen setzte sie, was ihr nicht leicht viel, denn diese Burg hatte es in sich, dass wußte sie.
Es gab viele Geschichten über sie. Uralte Sagen, Märchen, Spukgeschichten und vieles mehr. Auch ihre Geschichte von damals gehörte dazu. Die, welche ihr Leben verändertere, von einer auf die die andere Sekunde. Und heute ging sie diesen Weg, um damit abzuschließen.
Die Sonne ging unter. Wollte sie zur gleichen Zeit an jener Stelle stehen, mußte sie sich beeilen.
Die dunklen Mauern warfen schon lange Schatten auf den Weg. Ihr Herz schlug mit jedem Schritt schneller. Sie passierte das große steinerne Burgtor und gelangte in den unteren Zwinger.
Hier war es schon fast dunkel. Mit vorsichtigen Schritten ging sie über die rutschigen Pflastersteine, die feucht waren. Nach einiger Zeit erreichte sie die Stelle, wo die Treppe zum Burgfried hoch führte. Sie schaute nach Westen. Die Sonne sendete ihre letzten Strahlen und wenige Sekunden später war sie untergegangen- Einen tiefen Atemzug nehmend stieg sie die Treppe rauf und erreichte das innere der Bergfriedes. Er war nur noch eine Ruine, kein Dach, Pflanzen wuchsen aus den Mauern und ein Teil war eingestürzt. Sie stand vor den Steinen und betrachte diese.
Tränen liefen ihr über das Gesicht. Damals hatte sie ebenfalls hier gestanden. Genau an diesem Punkt. Aber sie war nicht alleine, sondern ihr Mann hatte sie begleitet. Sie erinnerte sich, wie er von der alten Sage sprach, Ein Fluch von einer Edelfrau, die hier gelebt hatte und ihrem Mann untreu war. Ihr Mann ließ sie darauf hin im Turm einmauern und sie schwor, dass ein jeder Mann, der untreu ist, von den Mauern des Burgfriedes erschlagen werden sollte.
Erst nach dem Tod meines Mannes, erfuhr ich, dass er eine Geliebte hatte.

Was war das Wichtigste? Die Erinnerung?

„Die Silberminen müssen gesichert werden. Für den Schutz der Minen benötigt man viele Soldaten. Diese müssen entlohnt werden, was natürlich den Gewinn mindert.“ Die eigene Stimme hört sich immer dann abscheulich an, wenn der Gedanke so vollkommen unpassend ist.
Sie, die schönste von allen, sah auf und ich meinte zu erröten. Ich rang um Fassung und sprach langsam weiter.

Ich erklärte, dass es fatale Folgen haben wird, es Spanien gleichzutun. Sie brachten ihr Gold von Amerika nach Gutdünken auf den Markt. Der Wert des Goldes sank dadurch drastisch, und die Aufwendungen, um es nach Europa zu schaffen, stiegen ins unermessliche, denn es musste immer mehr Gold für einen stetig sinkenden Gegenwert hergeschafft werden.

„Wir wollen es Spanien nicht nachtun. Unser Silber halten wir unter Verschluss!“, kam es klug und kultiviert über ihre Lippen.

Wie oft hatte ich das gepredigt und wie nachdrücklich hatte ich simple Beispiele zum besten gegeben. „Das Silber wird knapp gehalten“, war mein Leitspruch. „Ein Ding, welches begehrlich ist, aber überall existiert, ist nämlich wertlos. Erst durch Mangel wird der Wert steigen. Nur ein Beispiel: Wasser kostet kein Geld. Es ist immer vorhanden. Wie kostbar aber wird es in der Wüste, wären wir am Dürsten. Tatsächlich gibt es in Arabien Menschen, die Wasser gegen Geld feilbieten. Wir aber haben Wasser im Überfluss. Niemand würde für einen Becher Wasser bezahlen wollen.“

Was war das Wichtigste? Die Erinnerung?
Sie klopft immer wieder an und wie gerne denke ich an diese wunderbaren Glücksmomente zurück. Ich war im vergangenen Sommer sicher, ich würde die Erbprinzessin verführen, doch die Frau, die auch für mich eine Schwäche hatte, war für eine eheliche Verbindung an den spanischen Hof vorgesehen.

In der Ferne klangen die Glocken. Es war das Sturmgeläut. Jetzt im stillen Winter war sie guter Hoffnung. Ich seufzte. Gemächlich trabte ich auf mein Ziel zu. Den hohen Schnee überwand mein Pferd nur mit Mühe. Auch der stille See, an dem wir uns einige male bei einem Schäferstündchen verabredet hatten, lag schwarz und in ihm spiegelten sich die fliehenden Wolken.

Unmittelbar am Waldsee wuchs eine mächtige Trauerweide, deren Rinde auf der zum See gerichteten Seite vereist war. In der Jugendzeit des Baumes hatte ihn irgendjemand einen Kreis in die Rinde geschnitzt. Es konnte auch ein Herz sein, das mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit verwachsen war. Ich stieg aus dem Sattel und stapfte durch den Schnee zum Bootssteg.

Ich hatte den Steg nie betreten, um mein Antlitz oder gar meinen Körper auf der Wasseroberfläche zu betrachten, sondern ich betrat das schneebedeckte Holz einzig und allein, um es unter meinen schwarzen Lederstiefeln knarren zu lassen.

Ich liebte es, wenn sich die Bretter unter meinen Füßen bogen. Für mich offenbarte der See zu jeder Jahreszeit seine Reize. Die dichten Baumkronen waren jetzt schneebedeckt, und das kräftige Buchengeäst ragte so starr in den Himmel, dass es stellenweise kein Schnee durchfallen ließ. Über verschlungene Wurzeln glitzerte gekörnter Firn und gefrorenes Laub bedeckte schlafendes Moos. Der See lag regungslos da, und er hatte durch die klirrendkalten Januarnächte am Ufer eine dünne Eisschicht erhalten. Darin lagen geknickte Uferschilf und niedrig stehende Binsen.

Nach Nordosten und nur dort badeten noch ein paar Weiden ihre Wurzeln in ihm. Die fallend traurigen Zweige waren vom Eis erstarrt. Im vergangenen Sommer wehte ein laues Lüftchen und wie konnte ich widerstehen, wenn sie so schön an einer Weide lehnte?

Mit dem niemals enden wollenden Gezwitscher der Vögel, dem dumpfen Knarren des Holzes und dem Rauschen der Blätter ruhte das Gewässer im kühlen Schatten und warf die spärlichen Sonnenstrahlen in die leicht wehenden hellgrünen Weidenäste. Darunter vergnügten wir uns.

Mich schüttelte der Gedanke, was bald geschehen würde. Wäre ich doch in ein Kloster gegangen, hätte ich enthaltsam gelebt, wie viele Bücher hätte ich lesen können, nicht nur die alten Kriegsgeschichten, die aber jetzt zwangsläufig über dieses Land herziehen würden.

Ich schaute mich um. Über mir ein Falke am Ufer neben mir Vogelspuren. Weit und breit die einzige Wasserstelle. Direkt an einem Weidenast, keinen Meter von der Böschung entfernt, lagen die Federn eines Eichelhähers. Aha, dann hat er ihn geschlagen. So wird es mir auch ergehen. Ich lauschte. Mein Pferd scharrte im Schnee und schnaubte.

Ich ging den Bootssteg auf und ab, und wenn ich auf die Uferseite zulief, stierte ich auf den Karren, indem ein grauer Granitstein lagerte. Tragen konnte ich ihn nicht.

Liebe, Leidenschaften. Plötzlich dröhnten Pferdehufe. Die erfahrenen Männer der Patrouille würden mich rasch einholen. Zu fliehen war zwecklos. Ich hatte mich ja schon entschieden.

Der spanische Gesandte, den ich vor ein paar Monaten heimlich getroffen hatte, berichtete mir, dass es an der Grenze zu kleineren Scharmützeln gekommen war. So fing es an. Das Ende war eingeläutet. Ich schritt auf meinen treuen Fuchs zu, gab ihm einen Klaps, damit er frei war. Dann schritt ich zum Karren.

Später verriet mir der Gesandte, dass mehrere bedeutende Schlachten verloren gingen. Seit einer Woche kam das Gerücht von Verrätern auf, befeuert dadurch, weil gefangen genommene spanische Söldner fliehen konnten. Ja, es wurde laut geschrien: Verrat, Verrat! Einen Tag nach diesen Zwischenfall gingen Bürger auf die Straße und entwaffneten ein eigenes Infanteriebataillon.

Mit dem Karren kam ich zum Ende des Bootsanlegers. Ich schnürte das schwere Strick um meinen Bauch, über die Brust und nicht zuletzt um den Hals. Die Hufschläge meiner Verfolger waren an der letzten Weggabelung angekommen. Ich schloss die Augen und atmete schwer.

Wie wollte man diese Revolte niederschlagen, wenn man nicht mal Gefangene beaufsichtigen konnte? Binnen einer Woche stürzte das Land in eine blutige Revolution, bis zum nächsten Sommer würden zwei Fünftel der Bauern und Landsknechte elendig verrecken. Wer bestellt die Felder?

Krachend stürzte meine Karre in den See, mit ihm der riesige Granitstein und ich hinterher. Meine letzte Frage war dann noch, ob mein ungeborenes Kind und meine Geliebte es im erbärmlichen Krieg überleben könnten? „Natürlich!“, hörte ich meine Stimme. „Sie würden Glück haben und mit ein paar Blessuren aus der Misere herauskommen.“

Peter Pan

Was würde Rebecca sagen? Vielleicht :
Kennst Du den Platz zwischen schlafen und wachen? Der Platz wo Deine Träume noch bei Dir sind? Dort werde ich Dich auf ewig lieben, Peter Pan. Dort werde ich auf Dich warten.
Rebecca spricht so ehrfürchtig über Peter wie eine Katholikin über ihre Lieblingsheiligen. In der samtigen Dunkelheit bemerkt er ihr Lächeln. Ja, es war wahrscheinlich alles eine Metapher. Der freie Flug ins wortlose. Er wollte nicht erwachsen werden. Der Himmel strahlt mit Rebecca um die Wette. Die Wärme weiche Luft streicht leicht über ihre walnussbraune Haut. Gedankenverloren sitzt sie da und blickt aufs weite Meer. Wie ist ihr Verhältnis von Körper und Geist? Irgendwie hat sich seine Seele verändert denkt Rebecca. Er hat einen unsichtbaren Pakt geschlossen. Manchmal vergisst er alles. Sogar sich selbst. Dann ist er in seiner kleinen dunklen Welt alleine. Es ist fast als ob er übersinnliche Fähigkeiten besitzt. Doch oft sind seine Träume wie Folter. Moderne Gehirnwäsche. Und doch hat er das Gefühl alles schon einmal geträumt zu haben. Die endlosen Tage, die endlosen sternenklaren Nächte in denen er die Sternzeichen deutete, den großen Wagen, der direkt auf das gestauchte W der Kassiopea zusteuerte. Auf der breiten Milchstraße war auch noch für den kleinen Wagen Platz der gefährlich nah am Großen Bären vorbeizog. Er schwenkt seinen imaginären Zauberstab wie David Copperfield in seinen besten Zeiten. Er lässt alles um sich verschwinden. Den Himmel, die Erde, das Universum, die fernen Galaxien und übrig bleiben nur die Erinnerungen, die Sehnsüchte, die Träume. Nachzulesen ist alles in dem geheimnisvollen Buch. Die Schwerkraft scheint außer Kraft zu sein und Peter wirkt wie telepathisch auf Rebecca. Er betritt das Gebäude und rennt wie ein Aktionheld die Treppe hinauf. Er ist in einem Labyrinth aus Gängen und Türen, aus Entscheidungen und Prioritäten gefangen. Er fragt sich wo er falsch abgebogen ist. Er treibt im luftleeren Raum und seine Lebensuhr tickt unaufhaltsam. Es ist die Nähe, die er schon fast vergessen hat. Früher sah er Bilder von Ereignissen , die noch nicht geschehen waren. Eine Vorahnung.

Die Bedeutung der Farben

„Marianne! Marianne!“
Sie dachte, sie hätte ihren Namen rufen hören. Ihr Name, mit einer neuen Melodie ausgesprochen. Sie grabschte nach einem der vielen blassen Beine, die vom Rand der Luftmatratze im trüben Wasser baumelten und gleich wurde ihr schwacher Handgriff mit Geschrei abgeschüttelt. „Ich bin’s!“, wollte sie rufen. Aus ihren Lungen entwich nur die Luft. Von der roten Luftmatratze bedeckt, sah sie zwei dunklen Flecken, die das Wasser des Flusses nicht wegwaschen konnte. Am Tag davor hatte sie heimlich mit einem schwarzen Filzstift draufgekritzelt. Die dunklen Flecken wurden zu Punkten. Ein fester Griff um ihren Bauch druckte ihren Rücken an einen großen warmen Körper und brachte sie an das Ufer.

„Und jetzt?“
„Dreiundvierzig Sekunden. Komm, lass das! Lass uns etwas anderes spielen.“
„Nur?!?“, sagte sie und tauchte wieder ein.
Der kleine braun grüne Krebs wohnte im Spalt ganz unten unter dem rechten Felsen. Er versteckte sich, sobald sie mit ihren Fingern ihn anzufassen versuchte. Zwischen den Kieselsteinen bewegte sich flink ein Einsiedlerkrebs. Ein Schwarm grünlicher Minifische schwamm hin und her und um den Felsen herum. Sie streckte ihre Hand zum Schwarm. Er änderte die Richtung, schwamm weg aus dem Schatten des Felsens, glänzte kurz unter dem Sonnenlicht und schwamm gleich wieder in den Schatten zurück. Die Sonne machte die Farben im Meer lebendig, dachte sie und tauchte wieder auf.
„Und jetzt?“

Sie schlug noch mal mit dem Hammer und verfehlte den Nagelkopf. Vorsichtig hängte sie die eingerahmte Urkunde, eine Aufzeichnung für besondere Leistung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Unterwasserfotografie, auf und ging in die Küche, ein Kühlpäckchen aus dem Kühlschrank zu holen.

Der Martin

Ich unterrichtete 17 Jahre an der Berufsschule. Zehn in einem Bildungszentrum für Pflegeberufe. Dort hatte ich Glück, vorrangig Schönheit, Anmut und zarte, weichklingende Stimmen kennenzulernen. Start zum ersten April, nicht das Datum erfüllte die Erwartung. Es war der Freitag, ein Mühsamer für Martin. Beim Näherkommen tauchte ich ein in seine Dunstglocke. Er verströmte eine imposante Duftnote, ein Mix aus Aschenbecher und offenem Feuer. Eingebettet in eine Fahne des Mundgeruchs primär aus Bier, bei feinerer Diagnostik Schnaps erkennbar. Das letzte Getränk am Donnerstagabend, nahtlos in den Freitagmorgen übergehend. Der Bauwagentag, ein Ritual, dessen Konsequenz, den aussichtslosen Kampf gegen den Kater, ich drei Jahr begleitete. Er versteckte den aufzuholenden Schlaf hinter seinem wallenden langen Haar, einem Indianer ähnlich. Ich kannte die Auswirkungen, sie assoziierten eigene erlebte Dozentenreaktionen, die vorrangig am Montag betonten, sich im Klassenzimmer olfaktorisch an Kneipenbesuche zu erinnern. Bei ihm war es der Freitag. Ich roch ihn gern.

Wir hielten ein mehrtägiges Kommunikationsseminar. Die Wanderung um den nahen See, der Weg mit „ Zauberwald“ beschildert, entsprach den Erwartungen. Im Norden und Osten angrenzende Dreitausender, freier Südblick, im Westen saftige Almwiesen mit Pinzgauern, robuste und widerstandsfähige Kühe. Großflächige Spiegelungen im See verstärkten die Eindrücke, erinnerten an Caspar David Friedrich. Martin bückte sich wiederholt. Vermutete Schnürsenkelproblematik erschien sinnlos. Ich schloss auf, fragte. Er hob Kippen auf, sie störten ihn, hatten hier nichts zu suchen. Kein Handschuh und Schutz der Jacke. Dezent und kommentarlos erfüllte er den auferlegten Dienst. Erstaunlich.

Die Korrektur seiner Praktikumsreflexion löste Tränen. Ein hochbetagter Patient offenbarte ihm seine Geschichte. Beginnend am Kriegsende Mai 1945, erlebt auf der Flucht von Frankreich in den Chiemgau. Ständiger Begleiter die Angst, von den Amerikanern entdeckt und verhaftet zu werden. Er war mit einem älteren Kameraden unterwegs. Eingezogen trotz Hofübernahme kurz nach der Hochzeit. In unregelmäßigen Abständen erhielt er Feldpost, seine Gattin beschrieb ihre Sehnsucht, Entbehrungen und die kaum zu bewältigende Arbeit. Bei einer Flussüberquerung rutschte der Landwirt aus, erlitt eine lange Risswunde am Unterschenkel. Notdürftig mit Fetzen der getragenen Unterwäsche verbunden, Äste als Krücken dienend, humpelte er weiter. Eine Infektion und Schmerzen verhinderten den Marsch. Er trug den Fiebernden wie der Schäfer das verletzte Lamm. Den nahen Tod spürend bat er um Unterstützung der Frau. Lautlos verstarb er auf den Schultern. Der Träger begrub ihn mit den Händen. Siebzig Jahre arbeitete er auf dem Hof. Wenige Tage nach der Aussprache folgte der Patient seinem Kameraden. Einen besseren Zuhörer und Versteher als Martin, den Schüler, hätte er nicht finden können.

Stille

Sie wirkte zögerlich, als sie auf das Wasser zuging, doch innerlich war sie noch nie so überzeugt von einer Entscheidung gewesen, wie von dieser. Die Welt um sie herum schien still zu stehen. Fast so, als würde nicht nur sie gleich den Atem anhalten. Die Abendsonne umhüllte alle Umrisse, mit einem weichen Schimmer, ein Leuchten, das entlang der langen Tannen am Seeufer, im Wasser wie Kerzenschein flackerte. Sie ging auf die nach ihr ausgestreckte Hand zu. Niklas stand bereits bis zu seinen Knien im Wasser. Die aufgekrempelten Hosenbeine waren bereits nass geworden. „Nimm meine Hand“, der warme Ton in seiner Stimme, beruhigte ihr aufgeregtes Herz. In der Ferne hörte man einen Kuckuck im Wald den Abend begrüßen. Die Meisen und Rotkehlchen, die sich normalerweise auf der Lichtung tummelten, hatten sich bereits alle in die Sicherheit ihrer Nester zurückgezogen. Der Tag ging dem Ende zu, genauso wie ihr bisheriges Leben. Ihre Entscheidung würde die Türe zu ihrer Vergangenheit schließen, und ihr den Weg zu so viel Neuem eröffnen. Ihr Herz pochte, aber nicht aus Angst, sondern vor lauter Vorfreude und Ungeduld. Seit Wochen wartete sie auf diesen Moment. Jetzt war es endlich so weit. Hinter ihr stand ihre Gemeinde. Zehn oder fünfzehn von ihnen waren gekommen, um ihr Leben zu feiern, ihre Entscheidung zu bezeugen und ihre Wandlung mitzuerleben. „Bist du bereit?“, fragte Niklas. „Ja“, Marianne war bereit. Sie trug ein gelbes T-Shirt und kurze Laufhosen, damit sie sich im Wasser wohlfühlte. Sie holte tief Luft und in dem Moment tauchte Niklas sie auch schon unter Wasser. Obwohl sie nur für einen Bruchteil eines Moments unter Wasser war, fühlte sie sich erfüllt mit neuem Leben als sie wieder auftauchte und Sauerstoff ihre Lungen füllten. „Gratuliere“, riefen alle auf einmal.

Seufzend schaute Marianna aus dem Fenster in die Ferne. Wie gerne hätte sie diesen Moment noch besser in ihren Erinnerung festgehalten. Gerade jetzt. „Hast du gerade wieder an deine Taufe gedacht?“, Johanna ihre Enkelin saß neben ihr und hielt ihre Hand. „Ja, mein Kind“, eine Träne rollte langsam ihre Wange herunter. „Du denkst oft daran nicht wahr?“ Johanna verbrachte viel Zeit mit Marianna, die vor einem Monat ins Hospiz verlagert wurde. „Das stimmt.“ Sie stockte kurz, musste husten, schloss die Augen, um neue Energie zu gewinnen, „Es gibt so vieles wofür ich so unglaublich dankbar bin und alles führt zu diesem Augenblick in meinem Leben zurück, als ich beschlossen habe mein Herz und mein Leben Gott zu schenken. Er ist ein guter Gott, weißt du.“ „Ja, Oma. Ich weiß, dennoch würde ich mir wünschen, wir könnten heute so wie früher im Garten herum tollen. War das nicht schön?“, Johanna schaute traurig in den Garten des Hospiz. Er war viel kleiner und hatte lang nicht so so schöne Pflanzen wie Marianne’s Garten, der ihr ganzer Stolz war. „Das wünsche ich mir auch. Aber sei nicht traurig. Gott ist bei mir. Vertrau auf ihn,“ Sie hielt kurz inne, „und eines Tages sehen wir uns dann wieder.“ Johanna blieb noch ein wenig bei ihr, bis Marianna auf ihrem Sessel eingeschlafen war. Dieses Mal für immer.

Stillstand

(Finchen ist eine Emotion, Freude; inspiriert von dem Film „Alles steht Kopf“)

Mein armes kleines Mädchen musste in den letzten Jahren so viel erleiden und ertragen. Ständig zogen dunkle Gewitterwolken über unsere Blumenwiese auf. Es hat nur noch gedonnert, geblitzt und geregnet. Und das über Tage!! Mein Mädchen muss schon wieder eine Migräne Attacke durchmachen.

Hier bei mir im Kopf, in der Kommandozentrale mit Ausblick auf unsere schöne Blumenwiese, wo jeder Baum und jede Blume eine Emotion oder eine Persönlichkeit von B darstellen, herrscht nur noch absolutes Gewitter Chaos.

Wieso habe ich auf einmal das Gefühl, als ob es die Ruhe vor dem Sturm ist??

Es ist totenstille, hier bei mir auf meiner schönen Blumenwiese in der Kommandozentrale.

Dieses Mal ist das Gewitter so heftig, dass der Blitz eingeschlagen hat und jetzt ist absolut ruhig.

Totaler Stillstand, nichts geht mehr, absolute Stille.

Stillstand

Hallo?!

Hallo! Ist hier jemand, kann mich jemand hören? Kann mir jemand helfen.

Wieso ist bei mir in der Kommandozentrale absolute Stille, wieso geht nichts mehr?
Was ist denn passiert? Was hat das Gewitter angerichtet?

Langsam erwachen ich und mein kleines Mädchen aus der Stille. Aber wir stecken noch mittendrin im Gewitter.

Bei unseren Freunden stand die Welt wegen Corona still,

bei B stand die Welt wegen der Diagnose Hirntumor still.

B und ich haben solche Angst vor der Stille. Was passiert denn jetzt?

Jetzt zwei Jahre nach dem schweren Gewittersturm, ist unsere Welt wieder wunderschön. Es kommen einfach keine Gewitterwolken mehr. Mein kleines Mädchen hat keine Migräne mehr. Der große Sturm wurde aus unserem Kopf entfernt und B geht es wieder gut.

Mein Mädchen hat das Gewitter überlebt. Denn nach jedem Regenschauer – oder Sturm - scheint auch wieder die Sonne.

Die Hellebarde war eine Waffe des Fussvolkes, nicht der Ritter. Sie musste mit beiden Händen geführt werden, sodass kein Schwert benutzt werden konnte. Da stimmt wohl was nicht.

Ein kleiner Auszug meiner Geschichte und sorry, ich bin kein Profi.

Nummer 17 - mein perfektes Chaos
DER BESUCH BEI EDWARD

Paulas Worte ließen Maggie keine Ruhe und sie steht nach einer Busfahrt vor dem Wohnkomplex, der Adresse von Edward, ihrem Schwiegervater. Im Eingangsbereich schaut sie über die Namensschilder und drückt die Taste, auf der E. Lane steht. Es dauert einen Moment und eine grantige Stimme meldet sich über die Sprechanlage.

Edward: »Wer stört?«
Maggie ist nervös: »Hallo Edward, ich bin’s, Maggie! «
Die Antwort dauert einen Moment und so: »Maggie? Ich kenne keine Maggie, auf Wiedersehen!« Ertönt aus der Türsprechanlage.

Knacken, stille.

Maggie flüsternd: »Immer noch der alte Miesepeter.«
Sie drückt erneut die Taste…
Edward: »Wenn ich runterkomme, ist dein Finger, mit dem du drückst, dein kleinstes Problem.«
»Edward, ich bin’s, Maggie Lane, deine Schwiegertochter. Komm schon, lass mich rein!«
»Was willst du?«
»Mit dir Reden…«
»Dann rede!«

Maggie hält den Finger immer noch auf der Taste.

»Ich habe mir heute Nachmittag freigenommen um…« das Summen vom Türöffner ist zu hören, die Tür springt auf, Maggie muss unterbrechen.

»Zweiter Stock, Tür links.« Hört sie wieder diese grantige Stimme.

Edward hält die Tür offen. Ein Handschlag zur Begrüßung, mehr nicht. Edward ist alt geworden, blasses Gesicht, seine Haare grau. Er geht voraus in Richtung Wohnzimmer und murmelt vor sich hin…

»Den einzigen Besuch, den ich einmal die Woche habe, sind diese verfluchten Baptisten, die mich bekehren wollen. Vielleicht sollte ich mal das Kreuz an der Tür mit dem Kopf nach unten hängen und hab dann Ruhe.«

Maggie schaut sich um, es ist eine trostlose Wohnung. Sie sieht nur ein Bild auf der Kommode stehen, das von Ava, ihrer verstorbenen Schwiegermutter.
Edward befehlend: »Setz dich! Ich wollte eben Tee aufsetzen«.
Maggie, immer noch nervös: »Oh ja. Ein Tee wäre jetzt genau richtig, danke.«

Edward setzt in der Küche das Wasser für den Tee auf. Maggie schaut sich in dem kleinen Zimmer weiter um.

Edward, muffelig: »Wie geht es den Kindern?«
Maggie: »Du würdest staunen, wie groß sie geworden sind. David ist dir sehr ähnlich und seine Leidenschaft ist immer noch der Ball. «
»Ja, das Spielen hat er von mir. Wir waren schließlich sehr oft auf dem Bolzplatz. Und was macht die Kleine? «
Maggie lächelt: »Die Kleine? Mittlerweile ist sie schon eine, na ja, fast erwachsene Dame, manchmal jedenfalls. Nur den sturen Kopf, der ist eindeutig eurer Familie zuzuschreiben.«

Edward kommt mit einem Buch aus der Küche, darauf abgestellt, die Teekanne und zwei Tassen.

Edward: »Ich habe kein Service-Tablett, für wen auch?«
Maggie: »He, macht doch nichts. Edward, du fragst gar nicht, warum ich gekommen bin?«
Edward: »Muss ich es wissen? Hast du dich von dem Dummkopf scheiden lassen? Hatte er einen Unfall, sein Hirn verbrannt? Weißt du Mag, ich habe damit schon lange abgeschlossen. Ich hatte mal einen Sohn und habe ihn einfach verloren, als würde man eine Münze verlieren.«
Maggie lächelt: »Eine Münze? Guter Vergleich! Er ist dein Sohn«.
»Das war er«.
»Ach komm schon Edward, ihr seid beide Sturköpfe. Wir alle haben Ava von Herzen geliebt.«

Maggie lenkt das Gespräch zunächst etwas ab, nippt an der Tasse mit dem Tee.

»Wir sind umgezogen, wegen der Arbeit. Zuerst habe ich meine Stelle verloren, letzten Monat Paul.«
Edward nimmt es gelassen… »Ich hab’s euch immer gesagt, die Jobs heute taugen einen Dreck! Da buckelt man sein Leben lang und bekommt am Ende, einen vergoldeten Arschtritt. Nicht mal die Uhr zu meinem vierzigsten Jubiläum war echt! Eine billige Imitation aus China. Aber sag’, brauchst du etwas für die Kinder, Geld?«
»Nein, Edward, alles ist gut! Ich denke, du solltest es wissen, wir wohnen jetzt in Edinburgh.«
»Wunderschöne Gegend! Früher war ich oft mit Ava dort. Sie liebte diese Architektur der mittelalterlichen Royal Mile. Die endlosen Spaziergänge im Park. Manchmal dachte sie darüber nach, wie es wohl einer Prinzessin im Schloss erginge? Sie träumte eben gerne, baute Luftschlösser, na und? Aber sie war meine Prinzessin, meine Liebe.«
»Ich wusste nicht, dass sie so interessiert war.«
»Wie auch? Es war vor deiner Zeit und danach, hattet ihr andere Dinge im Kopf. Ich glaube, so etwas, wie Kinder machen…«.
Maggie grinst: »Edward! «
»Weißt du Mag, ich vermisse sie auch nach all den Jahren, so wie ich die Kinder vermisse, euch alle! Ich bin jetzt ein alter Mann und lebe nur die Gedanken meiner Vergangenheit.«

Maggie sieht den alten Mann vor sich und spürt, wie ihr eine Träne über die Wange rinnt. Sie setzt sich neben ihn, hält ihn im Arm.

Edward weiter: »Ich habe noch einige Bilder, sie sind zwar schon verblasst – würdest du gerne? «
»Aber ja doch, sehr gerne! Edward, ich weiß nicht, wie das alles gekommen ist. Manchmal glaube ich wirklich, es gibt eine Macht, eine Böse, die unser aller Leben bestimmt.«
Edward nimmt die alte Kassette aus dem Schrank und öffnet sie. Maggie nippt am Tee und nimmt die Bilder nach und nach aus der Kassette. Sie lächeln beide – mit Tränen in den Augen…

»Weißt du Edward, vielleicht solltest du und Paul, ich meine, euch zusammensetzen und reden. Bevor es wirklich zu spät ist und ihr beide, wir alle, es später zutiefst bereuen.«

Edward sitzt neben ihr, stumm… Dennoch erkennt Maggie in seinen trüben Augen etwas… dieses Verlangen, vielleicht nach der Familie.

Jugendliebe

Die Liebe war groß, sie kannten sich seit sie 16 waren und begneteten sich in der Kriegszeit. Ihr langes Haar war schon immer eine Augenweide. Das fiel auch anderen Männern auf. Ilse entschied sich aber für ihn und bereute keine Sekunde.

„Ach wie schön das doch damals war mit uns zwei, wir sind wirklich alt geworden, nicht?“
Die langhaarige weiße Angorakatze Pebbles streckte ihre Beine aus und miaute.
„Lass mich noch mal deine Haare bürsten, so wie früher“. Er sah sie liebevoll an und holte den Kamm, den er auf dem kleinen Tischchen neben dem Fernseher bereit gelegt hatte.
„Ich glaube, du solltest dir mal die Haare waschen, sie kleben irgendwie komisch zusammen. Du bist so still geworden. Geht es dir gut, mein Täubchen? Naja, wenigstens nervst du mich nicht mehr so mit deiner Nörgerlei“.
Er kicherte leise.
Pebbles rollte sich auf ihrem alten Ohrensessel zusammen, leckte sich die Pfote und schlief seelenruhig ein.
„Das sollten wir wirklich sauber machen, ich weiß doch, dass du deine Haare liebst… Oh warte es hat an der Tür geklingelt, Lauf nicht weg, Liebes“.

„Herr Schmidt?“
„Ja?“

„Ich habe einen Durchsuchungsbefehl“.
Der Polizist hielt ihm den Zettel blitzschnell unter die Nase, während seine Kollegen die Tür weit aufrissen und hineinstürmten.
„Kommissar, kommen Sie schnell, da ist sie!“ rief eine Stimme aus der Stube.
Als der Kommissar ins Wohnzimmer lief, stockte sein Atem.
„Was haben Sie getan, Herr Schmidt?!“
„Boss, sie ist tot“… Entsetzt sah Herr Schmidt und alle Anwesenden auf den leblosen Körper von seiner Ehefrau, welche seit drei Wochen auf der Arbeit vermisst wurde. Die Nachbarn meldeten schließlich einen unangenehmen Geruch aus dem Hausflur.
„Sie schläft doch nur, ich sollte sie mal wecken und ihr beim Waschen helfen, sie ist so schmutzig, Ilse liebt ihre Haare, meinen Sie wir sollten zu einem Frisör gehen?“.
Er hielt ihren blutverschmierten Kopf nach oben und striff ihre abgefranzten Haare zurück. Das Messer steckte noch fest drin. Pebbles schlich ihr um die leblosen Beine und schnurrte.
„Sie sind verhaftet!“ sagte der Kommissar.