Seitenwind Woche 6: Großstadttiere

Algennest

Ich war einmal ein glibberiges Ei. Woher ich das weiß? Es schwimmen noch weitere davon um mich herum. In der Mitte sind schwarze Punkte. Ich frage mich, ob sie zu langsam sind oder ich zu schnell oder ob ich vielleicht als Einziger da sein werde. Ich schlängele mich durch das trübe, runde Nass, lutsche ein bisschen an einer faden Alge herum und dann schwimme ich eine Weile im Kreis. Wir waren mal mehr. Als der große Andere gegen das Glas gestoßen ist, sind zwei über den Rand geflossen und kleben jetzt auf dem Holz unter der Schale. Durch das Wasser und das Glas kann ich sie ganz groß sehen, platt und trocken. Sie haben noch keine Beine. Ich schon. Ich weiß noch nicht so recht, was ich damit machen soll, aber ich hoffe, dass ich es herausfinde, bevor der große Andere das Interesse gänzlich verliert. Ich schlingere um die wabbeligen Eier herum und hoffe, dass ich bald wieder Gesellschaft bekomme.

Liebe ist schneeweiß

Er hat mir versprochen, mich auf Flügeln zu tragen, wenn ich mit ihm komme. Er hat mir versprochen, für mich zu sorgen, wenn ich für ihn alles zurück lasse. Er hat mir versprochen, für immer bei mir zu bleiben, wenn ich ihm Eier lege.

Ich dummes Ding, habe ihm geglaubt. Nichts davon ist eingetreten. Nichts, nada, niente.

Ich, einst die schneeweiße Göttin, Wappentier und japanisches Glückssymbol. Auf Hochzeiten bin ich der Star gewesen. Jeder hat zu mir aufgeschaut. Dann traf ich ihn. Es war Liebe auf den ersten Flügelschlag. Dieser eine Sommer, von dem ich gehofft habe, dass er nie enden wird. Heimlich hat er sich angeschlichen und an unser Häuschen gepickt. Ich schlich mich hinaus. Wir zogen durch die Lüfte, jagten Beeren, turtelten, als gäbe es kein Morgen. Wie konnte ich mich nur so täuschen?. Wenn ich damals nur schon gewusst hätte, dass er das mit jeder macht, die nicht bei 9 auf dem Hausdach sitzt, dann wäre ich bei meinen Mädels geblieben.

Dank ihm lebe ich jetzt in einer Betonwüste. Wie ich dieses Berlin hasse. Ich habe Durchfall und Kopfparasiten. Meine Füße sind kaputt. Zwei Zehen habe ich schon verloren. Schuld sind die Fäden, Haare, Drähte und Kunststoffbänder auf den Straßen. Eingesammelt und nie wieder losgeworden. Keiner da, der mich befreit.

Tschüß Bärbel, ich muss weiter, hat er gesagt und mich mit den Kleinen zurück gelassen. Von jetzt auf gleich alleinerziehend. Nur weil er es in Kopp gekriegt hat und der Antwerpener Schmerle hinterher musste. Wie ich sie hasse. Wie ich ihn hasse. Was will er nur mit ihr?

Mama, wir können doch einfach weg von hier aufs Land fliegen, hat mein Jüngster zu mir gesagt. Recht hat er. Und dann hocke ich wieder da, warte und blicke zu meiner Freundin Marianne, die dem dicken Fred ein Stück Brötchen zerfleddert. Vielleicht gibt es sie doch, die wahre Liebe. Und vielleicht kommt er eines Tages zu mir zurück. Ich werde hier einfach sitzen und auf ihn warten.

Krisensitzung der Stadttiere (Ausschnitt)

„Ich begrüße euch alle zum zweiten Teil des heutigen Sitzungstages unserer tierischen Veranstaltung. Ich hoffe, die Nachtschläfer sind satt und noch nicht zu müde, und die Tagschläfer haben schon einigermaßen ausgeschlafen. Wir danken den Zoo-Tieren für ihre Gastfreundschaft!
Nachdem wir gestern die Gefahren der Anthropozoonosen, also der Krankheiten, die vom Menschen kommend die Tiere befallen, gesprochen haben, sprechen wir heute über die Zooanthroponosen, also die Erreger von Krankheiten, die auf den Menschen überspringen.
Wie Professor Rhino gestern so anschaulich ausgeführt hat, zeigt die Geschichte, dass eine überhandnehmende Art eine bedrohte Art ist. Die Natur sorgt für Gleichgewicht.“

„Genau“, viel Professor Rhino ein. „Der Mensch und seine Sklaventiere, die er zur Belustigung und als Nahrung hält, machen zusammen 97 Prozent der Wirbeltiere aus. Nur 3 Prozent sind wir Wildtiere. Das kann nicht stabil sein!“

Die Eule ließ sich nicht gerne unterbrechen. Ihr linkes Auge zuckte ungehalten.
„Heute Morgen hatten wir die Möglichkeiten erörtert, die im Influenzavirus liegen, jenem mutationsfreudigem Erreger, der immer wieder für Überraschungen gut ist. Schweinegrippe, Vogelgrippe H5N1, schrecklich für uns Tiere, aber eine Hoffnung, die menschliche Dominanz einzustutzen.
Heute Abend nun, haben wir einen Gast geladen, der ebenfalls ein hoffnungsvolles Virus in sich trägt. Es ist Vivaldi, ein Flughund aus Bangladesch. Bitte sehr!“

Ich erschrak als mein Name viel. Es war so weit, ich musste ans Rednerpult flattern!
Ich hing mich Kopf nach unten über das Rednerpult an die Stange, die zu diesem Zwecke angebracht war und steckte den Kopf zwischen den Flügeln durch.

„Du bist ja eine Fledermaus wie ich!“, rief begeistert die kleine Hufeisennase.

Das erleichterte mir den Einstieg:
„Ich muss doch sehr bitten! Wir sind zwar beide Fledertiere, aber ein Flughund ist keine Fledermaus! Ich kann prima sehen und riechen und benutze auch kein Echolot wie du zur Orientierung.
Das Virus, von dem der Professor sprach, heißt Nipah. Wir Flughunde bemerken es nicht. Menschen können krank werden und sterben oft.“

Der Professor ergänzte:“ das Nipah- Virus löst beim Menschen Enzephalitis (Gehirnentzündung) aus und ist zu ca. 50 Prozent tödlich. Die meisten anderen haben lange Nachwirkungen ähnlich dem Long Covid, das wir noch alle kennen von der letzten nicht sehr erfolgreichen zoonotischen Pandemie" …

„Herr Professor“, die Eule kam ihren Pflichten als Moderator nach. „Unser Gast Vivaldi hat das Wort! Wie kommt denn das Virus in den Menschen?“

„Äh, das wird durch Körperflüssigkeiten wie Speichel und Urin übertragen. Manchmal knabbern wir Früchte an, von denen auch Menschen essen. Aber meist wird es durch den Dattelpalmensaft übertragen.“

„Wie kommt dein Virus denn da rein?“, die Eule schien es eilig zu haben.

„Ähm, die Dattelpalmen werden von den Menschen geritzt, so dass der Saft austritt. Unter der Stelle sind Schüsseln befestigt, die den Saft auffangen.“

„Und?“, fragte die Eule.

„Wir mögen den Saft auch und lecken ihn vom Stamm oder naschen aus der Schale. Dabei kommt schon mal ein Spritzer Urin hinein, den wir ständig fallen lassen. Wozu den auch herumschleppen?“
Einige Tiere lachten.
„Aber ich möchte hinzufügen, dass die Menschen nicht blöd sind. Sie fangen an, die Schalen abzudecken und den Saft abzukochen. Im Übrigen mag ich die Menschen. Ich möchte ihnen gar nichts Böses tun.“

„Das will ich auch nicht“, rief ein Wildkaninchen. Seit wir in Stadtnähe leben, haben wir viel mehr Abwechslung bei der Partnerwahl. Ein Segen für die genetische Vielfalt!“
„Es gibt viel mehr zu Essen in der Stadt“, riefen der Steinmarder, die Ratten und die Tauben.
„Und viele hohe Gebäude und Mauern“, riefen der Turmfalke und die Fledermaus.

Professor Rhino machte ein entsetztes Gesicht.

Der Fuchs leckte sich listig über den Mund. „Nur keine Aufregung liebe Konferenzteilnehmer. Der Mensch ist so gescheit, er findet schon andere Mittel, seine Dominanz einzudämmen. Ganz ohne das Zutun von uns Tieren!“

Neuer Mitbewohner

Solange ich denken kann, also seitdem ich aus meinem Kokon geschlüpft bin, weiß ich, dass ich eines Tages den Baum im Stadtpark verlassen will. Ich werde über die Straße gehen! Ja, ich weiß, kaum zu glauben. Das ist mein Traum, den ich leben will. Und heute ist der Tag, an dem ich mich von meiner Mutter und meinen zweihundertachtundziebzig Geschwistern verabschiede und meine Reise antrete. Ich lasse alles, was ich kenne, hinter mir und betrete die warmen Steine des Bürgersteigs. Wie aufregend!
Scheint nicht besonders gefährlich hier zu sein. Riesige Zweibeiner treten neben mich und ragen scheinbar mit den Köpfen in den Himmel. Von hier unten sind sie so viel größer, als wenn man aus dem Baum auf sie hinabschaut. Ich muss gestehen, mir drohen die Nerven zu versagen, aber ich halte durch und flitze los, meinen Traum immer vor meinen acht Augen.
Zweiräder rauschen dicht neben mir vorbei, ihr Luftzug reißt mich mit. Angsterfüllt wirbele ich umher, überschlage mich auf heißem Asphalt. Der Boden bebt. Vierräder rasen über mir hinweg, ich renne weiter. Eins meiner acht Beine bleibt in einer dunklen Masse auf der Straße kleben. Die Vierräder stoppen, aber eine Schar Zweibeiner nähert sich. Panisch reiße ich mich los und haste weiter. >Ich werde es schaffen<, rede ich mir selbst immer wieder gut zu. Eine Taube hinter mir nimmt mich ins Visier. Das ist gar nicht gut … Ich renne im Zickzack. Ein qualmender, glühender Stummel, landet neben mir und senkt einige meiner feinen Härchen an. Das tut verdammt weh und nimmt mir meine Schnelligkeit. Vielleicht war mein Traum doch zu groß … Doch zurück kann ich nicht mehr, dort lauert der pickende Tod in Form dieser Taube.
Ein Zweibeiner tritt direkt neben mich. Ich klammere mich in einem Reflex an das Ende des auf dem Boden hängenden Schnürsenkels und werde in die Luft gerissen. Hui, alles kribbelt. Wind reißt an meinem Körper. Dann verliere ich fast den Halt, als der Schuh des Menschen wieder zurück auf die Straße stapft. Verbissen kralle ich mich fest, krabbele ans Hosenbein, wo ich besseren Halt habe. Der Zweibeiner trägt mich netterweise über die Straße. Auf der anderen Seite angekommen, springe ich ab und erblicke voller Ehrfurcht steinerne Gebäude, die unendlich riesig scheinen. Hier wohnen also Menschen. Genau davon hat meine Mutter erzählt.
Rasch renne ich über ein Stück Rasen auf den Einlass zu, durch den gerade ein Mensch verschwindet. Ich bin zu spät, er ist bereits zugefallen, aber die Zweibeiner sind so nett und haben extra für mich eine Lücke zwischen Boden und Tür gelassen. Flink schlüpfe ich durch und überlege, ob ich dem Zweibeiner die gigantische Treppe hinauf folgen soll. Ich könnte auch die Wand hinauf krabbeln, aber ich bin zu erschöpft von meiner großen Reise. Also krieche ich durch den Spalt der nächstliegenden Tür.
Es erwartet mich das Paradies. Ich kann mein Glück kaum fassen! Es ist angenehm warm hier, kein Wind, der mich wegwehen will, keine gefräßigen Tauben und überall sind Ritzen und Spalten, in denen ich mich verstecken kann. Großartig! Aber das Beste ist: Mein Futter sitzt schon an der Fensterscheibe. Leckere Mücken und kleine Fliegen. Freundlich, dass die Menschen mein Essen hüten. Ob sie mich erwartet haben und meinesgleichen mögen? Freudig mache ich mich auf den Weg zur Fensterbank und plane bereits, wie ich mein Netz zwischen der Topfpflanze und dem Rahmen am besten spinne. Das hier wird großartig, ich weiß es. Vor mir liegt ein prima Leben, die Reise hat sich gelohnt.
Ein Zweibeiner mit langen Haaren kommt aus dem Nebenzimmer in meine Richtung und bleibt abrupt stehen. Wenn ich könnte, hätte ich ihn begrüßt und mich für das herzliche Willkommen bedankt. Der Mensch bleibt jedoch nicht lange ruhig. Er stößt einen furchtbar lauten Ton aus und springt immer wieder in die Luft, als sei der Boden heiß. Hastig renne ich auf die Topfpflanze zu, um mich darin zu verstecken. Was immer der Mensch auch gesehen hat, es muss etwas ganz Schreckliches sein, wenn er so schreit. Dem will ich lieber nicht begegnen! Aber lieb, dass er mich vor der unbekannten Gefahr gewarnt hat. Hier bleibe ich gerne wohnen.

Die Verfolgungsjagd

Ich wohne in einer engen, dunklen Gasse mitten in der Stadt. Jeden Tag erkunde ich die Straßen auf der Suche nach Futter.

Doch eines Tages geriet ich in große Gefahr. Ich hatte einen verlockenden Käsegeruch wahrgenommen und folgte ihm in einen Hinterhof.
Dort stand sie, die gefürchtete Katze des Viertels. Sie war groß, grau getigert und hatte scharfe Krallen. Ihr Blick verriet mir, dass sie mich schon entdeckt hatte.

Mein Herz raste vor Angst, als ich versuchte, einen Ausweg zu finden. Aber die Katze war schnell und geschickt. Mit einem Satz sprang sie auf mich zu, während ich verzweifelt versuchte, mich zwischen den Mülltonnen zu verstecken. Ihre Krallen schrammten nur knapp an mir vorbei und ich hörte ihr bedrohliches Fauchen.

Ich rannte um mein Leben und zwängte mich durch ein winziges Loch im Mauerwerk. Doch die Katze folgte mir hartnäckig. Ich kletterte über Schutthaufen und sprang über Pfützen, immer darauf bedacht, nicht von ihr erwischt zu werden. Die Großstadt erschien mir plötzlich riesig und unheimlich.

Endlich erreichte ich ein verlassenes Haus. Ich zwängte mich durch einen Fensterspalt und landete im Keller. Die Katze konnte mir nicht folgen, sie war zu groß.

Erleichtert atmete ich auf und sah mich um. Der Keller war dunkel und staubig, aber ich fand genug Essensreste, um meinen Hunger zu stillen. Ich wusste, dass ich hier vorerst in Sicherheit war, aber ich musste einen anderen Weg nach draußen finden, denn das Fenster war zu hoch für mich.

Ich erkundete den Keller und suchte nach einem Ausgang. Ich kletterte auf Regale, sprang über alte Kisten und tastete mich durch dunkle Ecken. Aber der Keller schien endlos und ich konnte keinen Ausgang finden. Die Zeit verging und meine Hoffnung schwand langsam.
Einige Zeit später hörte ich ein leises Kratzen an der Wand. Neugierig ging ich dem Geräusch nach und entdeckte eine kleine Öffnung, die ich vorher übersehen hatte. Vorsichtig zwängte ich mich hindurch und stand plötzlich in einem Hinterhof.

Ich war erleichtert, endlich wieder draußen zu sein, aber meine Freude währte nicht lange. Die Katze schien auf mich gewartet zu haben. Mit schnellen Schritten kam sie auf mich zu. Panisch suchte ich nach einem Versteck, aber es schien aussichtslos.

Plötzlich hörte ich ein lautes Miauen und sah, wie sie sich abwandte. Es war eine andere Katze, die sich mutig zwischen uns stellte. Sie war klein und zierlich, aber ihr Blick strahlte Entschlossenheit aus.

Die neue Katze kämpfte tapfer gegen die andere und gab mir die Chance zu fliehen. Ich rannte so schnell ich konnte weg, während im Hintergrund das Fauchen und Kratzen der beiden Katzen zu hören war.

Endlich erreichte ich wieder meine vertraute Gasse. Ich war erschöpft, aber auch dankbar für meine Rettung. Von diesem Tag an mied ich den Hinterhof und hielt mich lieber in meiner sicheren Umgebung auf.

Das Leben in der Großstadt ist hart und gefährlich für eine kleine Maus wie mich. Hier ist es laut und hektisch, aber ich habe gelernt, mich anzupassen und mein kleines Zuhause zu schätzen.

Ein kleiner Imbiss

Vom kahlen Geäst eines der vielen Bäume im Park aus blicke ich mich um, schlage kurz mit meinen Flügeln, um sie geschmeidig zu halten. Ein Krächzen in der Nähe lässt mich aufhorchen. Ich stoße mich ab und gleite mit wenigen Flügelschlägen durch die Luft, um mich schnell von der nahen Krähe zu entfernen. Freundschaft mit diesen schwarzen Vögeln werde ich wohl nicht schließen, da sie mich gelegentlich auf ihrem Speiseplan haben.

Mit kräftigen Schlägen meiner grauen Flügel bewege ich mich über die Köpfe der Menschen, die durch den Park schlendern. Es amüsiert mich, wenn einige von ihnen kreischend den Kopf einziehen, falls ich zu tief über sie hinwegfliege.

Ich steige wieder höher und beobachte im Schwebeflug die Leute, die sich wie jeden Tag auf den Bänken verteilen. Oft sitzen sie alleine, manchmal in kleinen Gruppen. Doch alle machen um diese Zeit dasselbe: Sie öffnen ihre großen Taschen und wühlen darin herum. Während ich weiter meine Kreise ziehe, beobachte ich mit zunehmender Freude, wie das einsame, betagte Mütterchen ihr Brot hervorholt, das sie in kleine Stücke geschnitten hat.

Langsam beginnt sie, die Brotstücke vor sich auf den Boden zu streuen. Wie jeden Vormittag lasse ich mich vor ihr nieder, lausche ihren gemurmelten Worten, die sie wie immer um diese Zeit spricht. Meine Antwort ist ein sanftes „Gurr, gurr“, während ich sie kurz mit meinen schwarzen Augen mustere.

Noch bin ich alleine und stolziere vor meiner menschlichen Freundin auf und ab. Obwohl die anderen Tauben noch nicht da sind, mache ich mich hungrig über das kleine Festmahl her und freue mich, dass ich es noch nicht teilen muss.
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Mimika - eine Hündin, eine Liebe…

Ich blickte verstohlen zwischen Polster und Bettdecke zum Fenster hinaus und erkannte die Botschaft des Tages: „Bleib im Bett.“ Der Regen prasselte an die Scheiben der Fenster und der Balkontür und mir wurde bewusst, welch wundervolle Erfindung Glasscheiben doch waren, die es erlaubten, die umgebende Natur aufzunehmen und dich gleichzeitig vor ihren Gewalten bewahrt. Der andächtige Moment währte nicht lange, da im nächsten Augenblick die Tür aufsprang und Mimika – deutsches Kurzhaar, Jagdhund, Vorstehhund und manchmal auch Teufelin genannt – schwanzwedelnd das Zimmer betrat.

Verdammt, nur nicht in ihre Augen sehen. Mehr Motivation würde sie nämlich nicht benötigen, um auf meinem Rücken zu landen. Ich wollte das wohlig warme Gefühl des Bettes nicht verlieren, also grub ich mich tiefer unter die Decke. Ihr Tippeln auf dem Parkett wurde langsamer und ich dachte: Na klar, du Frechdachs, jetzt weißt nicht weiter. Auch dieser Moment der Ruhe hielt nicht lange an, denn plötzlich drängte sich eine kühle, nasse Schnauze zwischen das letzte Stück Decke und mein Gesicht. Die Zunge, die dann vom Kinn hinauf bis zum Haaransatz meine Gesichtsmuskeln massierte – begleitet von freudigem Jaulen – ließ die warme Nacht in Vergessenheit geraten.

Nein, nicht jetzt! Aus! Nicht – böser Hund, böser Hund! Schluss jetzt – blöder Hund, blöder Hund! Gerade als ich dachte, ich hätte ihr endlich das richtige Kommando gegeben, spürte ich, wie sie auf meinen Rippen landete. Tja, ein Jagdhund ist ein Jagdhund und kein Pudel. Mir blieb die Luft weg, während das Bellen der Hündin wie eine Feuerwehrsirene nicht abzustellen war. Ich drehte mich um, sie rutsche ab – und sprang gleich danach auf meine Brust. Die Decke zog sie mir nun vollends vom Gesicht. Das bedeutete, freie Bahn, was sie auch ausnutzte. Nein, nicht, blöder Hund! Alles sinnlose Worte an einem verregneten Morgen – gerichtet an ein Wesen, das dich mehr liebte als sich selbst. Welches ich ebenfalls mehr liebte als mich selbst…

Grosstadtsalamander vereinigt euch!

Wird die Verschwörungstheorie, dass wir Grosstadtsalamander uns als ColaDosen tarnen widerlegt, wie im Fall Züricher SchüwoColaGate, behaupten deren Verfechter, die Widerlegung sei ebenso Teil der Verschwörung. Solange wir Salamander nicht selber Teil der Untersuchungskommission sind, nicht selber Richter, Anwälte und Klimaforscher stellen, werden unsere Mitsalamander weiterhin in Metallsammelstellen entsorgt.
Mittels Bedrohung unsere Brut, Schmiergeldzahlungen an Kleinkinder und Hypnose - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt - haben Getränkekonzerne mit Millionenkampagnen den Narrativ verfestigt, dass ColaDosen immer nur ColaDosen wären, und entsprechend undifferenziert entsorgt werden müssten. Was sich bewegt wie eine Coladose, züngelt und schwänzelt wie eine ColaDose müsse auch alternativlos eine ColaDose sein.
Dazu kommt, dass dieser bezahlt-mediale Kampf für die total Entwertung von uns Salamandern völlig unbedeutenden Menschen Bedeutung geben. Müssten diese zugeben, sich geirrt zu haben, verschwänden sie in der Irrelevanz. Aber so können sie - gesponsert von Cola und Co. - on- und offline weiterhin ihre Vorträge halten und Posts im Internet veröffentlichen, denn der Weg zum Glauben ist kurz und bequem, der Weg zum Wissen lang und steinig.
Manche von uns Smandis haben ob diesem Wahnsinn bereits ihren Schwanz verloren und wenn dieser gegen Stadtsalamander gerichtete Woke- und Cancel-Culture nicht bald der Riegel geschoben wird, wird bald unsere ganze Spezies verloren sein.

Keine Macht den Drogen…oder sowas in der Art.

Mein Artgenosse wurde schon wieder gejagt, während ich mir den Arsch aufpiecksen lassen habe, weil ich schon wieder auf einem Dach gelandet war, auf dem Draht herausstand, damit wir uns hier nicht breit machen konnten.
Aua, echt kacke das alles. Dabei war ich hier, um meinen Kollegen auszulachen, weil es immer dasselbe Kind war, das uns Tauben drangsalierte. Doch das Altersheim zog uns an. Wenn man in der Stadt überleben wollte, musste man wissen, wo die Alten sich tummelten, die uns fütterten. Ich drehte nochmal eine Runde und versuchte auf den Jungen zu zielen. Doch wieder landete der Kot nur neben ihm. Er bewegte sich einfach zu schnell.
„Du musst hochfliegen, Volltrottel“, rief ich ihm zu. Er hat schon so einiges erlebt, weshalb er nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Momentan rannte er vor dem Kind davon, anstelle wegzufliegen. Eigentlich war das lustig ihm dabei zuzusehen, wenn er in Panik geriet, weil er vergessen hatte, dass er fliegen konnte. Doch weil mir mein Hintern weht tat, wollte ich hier weg.
„Ich bin aber ein Einhorn“, rief er mir zurück. Ich flog fast gegen die Wand, weil ich nicht glauben konnte, was ich da hörte. Diese Hochhäuser aber auch immer, fluchte ich.
„Du bist kein verdammtes Einhorn, sondern eine Taube. Flieg endlich weg“, brüllte ich ihm zu, weil der Junge zu seiner Sandschaufel stapfte und ich Schlimmes ahnte.
„Ich bin ein Einhorn“, rief er immer wieder. Ok, gestand ich mir ein. Vielleicht habe ich der Peinigung zu lange zugesehen und deshalb hat er nun ne´ Schraube locker.
„Du bist ein Vogel und Vögel haben Flügel. Jetzt flieg endlich weg, oder der Junge bringt dich mit der Schaufel um.“
Doch meine Warnung ging in weiterem Gebrabbel von ihm unter.
„Ich bin ein Einhorn, ich bin ein wuuuuuuunderschönes Einhorn“, fing er nun auch noch an zu singen.
Dem war nicht mehr zu helfen. Ich sollte hier weg, damit ich nicht Zeuge seines Mordes sein musste. Aber ich konnte nicht. Ein starker Gegenwind schleuderte mich zurück, dabei hätte ich wissen müssen, dass genau zwischen den Häusern um diese Jahreszeit ein Windzug herrschte, dem nicht mal die größeren Raubvögel gewachsen waren.
Ich schlug fester mit den Flügel, um dagegen anzukommen oder zumindest den Fall abzufedern und donnerte direkt in das Gesicht des Jungen, der panisch aufschrie. In der Luft wirbelte ich umher, bis ich meine Flügel wieder ausbreiten konnte und dem Sog des Luftzuges entkommen konnte. Sein Kreischen hallte von den Hochhauswänden. Ich drehte meine Runde, suchte den verrückten Vogel, fand ihn nicht. Voller Furcht blickte ich zurück zum Kind und erwartete vor seinen Füßen eine tote Taube vorzufinden.
Doch dieser stand mit ausgestreckter Hand kreischend da. Sie war voller Blut. Mir wurde schwummerig vor Augen. Wo war nur dieser Dämlack, der glaubte ein Einhorn zu sein? Ein Erwachsener eilte herbei. Mist, ich glaube, das Blut auf dem Kind ist meines. Sachte setzte ich mich ins Gras ab, hinter einen Busch, wo man mich nicht so schnell erblicken konnte.
„Ich hab dich gerette“, schreckte mich der Vollidiot auf. Verwirrt sah ich ihn an.
„Was?“
„Ich hab den Wind hergezaubert, das können nämlich alle Einhörner“, erklärte er stolz. „Ich hab doch gesagt, ich bin ein Einhorn“, gurrte er mir zu.
Endlich hatte das Kind aufgehört zu heulen. Ich sah durch das Gebüsch.
„Halt still, damit ich das Blut von deinem Gesicht wischen kann“, kam die sanfte Aufforderung des Erwachsenen.
„Hm… ich sehe keine Wunde.“ Hand, wie Gesicht des Jungen wurden akribisch begutachtet. Wenn ich der menschlichen Sprache mächtig wäre, hätte ich jetzt hinterhergeschrien, dass das mein Blut war. Innerlich verfluchte ich den blöden Bengel.
„Sag mal, Einhorn, kannst du was gegen meinen Blutverlust machen?“ Stöhnte ich schmerzverzerrt, erhoffte mir aber nicht allzu viel.
„Ne, aber ich kenne jemanden, der dir helfen kann.“ Ich sah ihn an.
„Achja? Und wo?“ Der Trottel pickte im Gras herum.
„Ich würde dir ja den Weg zeigen, aber ich kann nicht fliegen“, kam es nüchtern zurück. Nun wurde ich ungehalten und sprang auf ihn drauf, pickte nach seinen Flügeln.
„Hier sind deine Flatterchen, du Vollidiot“, kreischte ich. Er wehrte sich gegen mich, als ein weiterer Windstoß mich zwang, von ihm abzulassen. Er hob kurz ab, da er bei seiner Abwehr seine Flügel zur Hilfe genommen hatte und sie immer noch ausgebreitet waren.
„Oh, schau, ich kann fliiiiiiiegen“, rief er mir erstaunt zu. Vergessen war der Streit.
„Kannst du mich jetzt zu jemandem bringen, der meinen Arsch retten kann, bevor ich hier krepiere?“ Blaffte ich ihn an. Er sah mich erstaunt an.
„Du bist verletzt?“ Ich musste an mich halten, ihm nicht die Augen auszupicken.
„Ich kenne jemanden, der dir helfen kann. Aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe mit meinen neuen Flügel dahinzufliegen“, kam es zweifelnd aus ihm.
„Doch, doch, das kannst du. Und jetzt los“, drängte ich ihn.
Wir flogen einige Minuten. Die kühle Luft dämpfte die Schmerzen in meinem Hintern. Ich blutete nicht mehr.
„Wie weit haben wir es noch?“ Fragte ich meinen Artgenossen, der vor schreck beinahe einen Steilflug zum Boden machte.
„Ich werde verfolgt, hiiiiiilfe, ich werde verfolgt“, kreischte er. Eigentlich fühlte ich mich schon besser, oder? Fragte ich mich, während ich zusah, wie der Idiot im Zickzack flog. Mir ging es definitiv besser und drehte von dem Verrückten ab. Das war das letzte Mal, dass ich dem Irren helfen werde, versprach ich mir und flog zur Taubenstation. Manchmal kamen Menschen, die einen untersuchten. Vielleicht hatte ich heute Glück und jemand von denen konnte mir helfen. Ich änderte die Richtung und lies mich vom Wind treiben, darauf achtend, meine Kräfte so einzuteilen, dass ich die Strecken schaffen konnte. Denn wie sollte es auch anders sein, die Taubenstation lag in einer anderen Stadt.
„Hey warte, dein Arsch liegt offen“, drang die Stimme des Verrückten an meine Ohren.
„Verdammte Scheiße“, erschauderte ich und flog haarscharf an einem Fenster vorbei. Was machte der denn schon wieder hier?
„Warte auf mich. Ich kenne jemanden, der dir Helfen kann“, bot er mir wieder an. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir, tot vom Himmel zu fallen. Der Kerl machte mich fertig.
„Verzieh dich“, rief ich ihm zu und legte noch einen Zug zu, um von ihm wegzukommen.
„Warte auf mich. Wo willst du hin?“ Damit holte er mich auf und ich spürte meine Energie langsam schwinden.
„Geh weg!“ Mit diesen Worten drehte ich ab, doch der komische Kauz war schneller als ich.
„Woher weißt du, wo sie wohnt?“ Holte er mich auf.
„Eh?“ Von was redete er denn nun? Konnte es sein, dass ich hier in der Nähe Hilfe finden könnte. Ich wollte nicht wieder Hoffnung in ihn setzten, musste aber eingestehen, dass ich mich nicht mehr lange halten werde können.
„Wohin“, versuchte ich es also wieder.
Zwei Häuserblöcke weiter landeten wir auf einem Balkon. Eine junge Frau qualmte an einem Stummel, nach denen manche von meiner Sorte süchtig waren.
„Hallöchen Täubchen. Wen hast du mir denn heute mitgebracht?“ Sie schnippte ihre Kippe weg und betrachtete mich.
„Oh, du siehst aber gar nicht gut aus.“ Wenn ich doch nur sprechen könnte, würde ich sie auffordern, endlich loszulegen, damit es mir schnell besser geht. Im Hintergrund sah ich, wie der irre Vogel nach einer weisen Dose pickte, sie öffnete und Tabletten raus schleuderte, um sie so klein zu machen, damit er sie essen konnte. Ich wollte zu ihm, ihn davon abzuhalten, doch die junge Frau packte mich.
Bevor ich das Bewusstsein verlor, dachte ich: Vielleicht war er verrückt, weil er die Tabletten der Menschen schluckte.

Verschwommen nahm ich helles Licht wahr.
„Ich bin ein Einhoooorn, ein Eiiiiiiinhooorn“, trällerte es ohrenbetäubend neben mir.
Was zum Geier? Ich erkannte den Irren wieder, doch konnte ich mich nicht bewegen. Mein Hintern war bandagiert und hielt mich an Ort und stelle fest.
„Ich bin ein wunderschönes Einhoooooorn“, sang er weiter.
Verdammter mist. Wenn ich dem jetzt noch lange zuhören musste, würde ich auch verrückt werden. Ich musste ihn so schnell wie möglich von den Pillen absetzen, zu denen er hier zugriff hatte. Menschenfinger drückten meinen Schnabel auf und warfen Tabletten ein. So sehr ich der Frau dankbar war, dass sie meinen Arsch gerettet hatte, aber musste sie so grob sein? Die Schmerzen liesen nach, jetzt musste nur noch der komische Vogel neben mir aufhören zu behaupten, dass er ein Einhorn war.
Doch kurze Zeit später sang auch ich: „Ich bin ein Einhorn, ein wuuuuunderschönes Einhorn.“

Een Berliner Grashüper

Ick bin eene echte Berliner Pflanze. Ne, dat stimmt nich. ick bin eher so een Grashüper. Weeste eener mit Hinterbeene und Vorderjeflügel. Bin jerade uffen Wech nach de Siegessäule. Will mir nen Überblick über meen Revier verschaffen. Ja, der Tierjarten is riesich, dat kannst de nur von oben bekieken. Kommste een Stück mit? Ick mach ooch langsam, bin ja keen junger Hüpfer mehr. Aber meene Schrilleiste ist noch full uff Zack. Horch mal, wie det zirpen kann. Janz Berlin is dann uff de Beene. Muss bloss mächtich uffpassen, wegen det Flattervolk hier. Ick bin zwar nur wat für den hohlen Zahn, aber ooch de Stadttauben wissen längst, wat Inflation heeßt. Die fackeln nich lange und fressen, wat ihnen vor den Schnabel kommt. Neulich hat meen Kumpel, der olle Fritz von nebenan, eenmal nich rechtzeitich de Fühler zurechte jebogen und bäm, uffjefressen. Einfach vom Fleck wech. Ick konnte jerade noch so mit meener Flügelpower abhauen. Nu sitz ick hier alleene und will neue Kumpels finden. Na juti, da is ja meene Siegesjöttin Viktoria. Denn ma ruff uff die Tante. Ick setz mir jetze uff den Lorbeerkranz und jenieße die Berliner Luft. Ick danke fürs Jeleit, hat mich sehr jefreut. Ick wünsch dir wat.

Super-Cat

Es ist schon stockfinster, als Frauchen mich durch die Hintertüre rauslässt. Mit den Gedanken bei der anstehenden Mäusejagd im nahen Stadtwald trabe ich voran. Mitten auf der schummrigen Vorstadtstraße werde ich von zwei auf mich zurasende blendenweißen Augen erfasst. Schockstarr verharrend, ist das Blechmonster einen Lidschlag später bereits so nahe, dass ich mich instinktiv hinkauere. Kaum küsse ich den Asphalt, werde ich am Genick gepackt hochgerissen. Gellend schreiend wirbele ich durch die Luft, das Licht stromert eine Schnurrhaaresbreite vorbei, ich lande hart im Gestrüpp, etwas plumpst auf mich drauf und die Nacht hüllt mich ein.
»Well«, knurrt eine tiefe Stimme mit schwerer Zunge in meinen Nacken. »In America hört man die Dinger drei Meilen gegen den Wind!«
»Lass los!«, fauche ich. Die spitzen Zähne verschwinden und noch während ich mich mühsam hochstemme, tritt ein wahrer Riese von Kater ins Mondlicht.
»Alles okay, Kleines?«, schnurrt er.
»Schon mal von einem dicken Holzklotz fast erschlagen worden?«, katzbuckele ich. Nur zu gerne würde ich ihm das freche Blitzen aus den bernsteinfarbigen Augen kratzen, aber sein tiefes Grollen lässt mich zögern. »Lachst du mich aus?« Murrend schüttele ich mir den Staub aus dem graugetigerten Fell.
»Nope!« Unablässig grollend wischt er sich mit der Pfote übers Maul und beobachtet dabei seelenruhig, wie ich mir die Blessuren lecke. »Mein Name ist übrigens Sam. Aber nach der Aktion eben, darfst du mich Super-Cat nennen.«
Mir kräuselt es die Schnurrhaare. Allerdings fallen bei genauerer Betrachtung seiner imposanten Erscheinung Ähnlichkeiten mit dem Superhelden aus den bei uns überall rumliegenden Comics auf. Sein dichtes Fell fließt wie ein orangerotes Cape über seinen Rücken. An den Flanken wechselt die Farbe abrupt in beige. Seine eindrucksvolle Brust ziert ein rotoranges Haarbüschel, das mit wohlwollender Phantasie als S durchgeht.
»Danke Sam«, schnurre ich honigsüß. »Aber unsere Weg trennen sich nun.«
»Okay«, grollt er und verschwindet, den buschigen Schwanz starr in die Höhe gereckt, in der Dunkelheit.
Verborgen im Schatten eile ich weiter. Als säße Sam mir noch immer im Nacken, haftet sein Geruch an mir. Am Stadtwald angekommen tauche ich ins Unterholz ein und wälze mich ausgiebig auf der mit Blättern und Nadeln übersäten Erde. Besser! Trotzdem bleibt das vertraute Gefühl, eins mit der Umgebung zu sein, heute aus. Stattdessen kauere ich da und denke an Minka von nebenan, die vor Wochen nicht so viel Glück hatte. Obwohl die Verletzungen inzwischen verheilt sind, traut sie sich nicht aus dem Haus. Kurzerhand beschließe ich, ihr eine Maus mitzubringen.
Lauschen, wittern, anpirschen, es ist wie verhext, nichts gelingt. Als der Morgen graut, schleiche ich mit hängenden Schultern heim. Zumindest die Fensterbank zur Küche liegt reizvoll im Licht der aufgehenden Sonne. Maßnehmend gehe ich in eine tiefe Hocke. Hinter mir grollt es, ich fahre herum und entdecke Sam, der geruhsam einen halben Katzensprung entfernt sitzt.
»Stalkst du mich«, fauche ich mit gesträubtem Fell.
»Nope!«, maunzt er an dem Knäuel in seinem Maul vorbei, während ich ihn mit gezückten Krallen anstarre. »In America«, erklärt er unbeeindruckt, »treffen wir unsere gerne auf einen Snack mit den Nachbarn.« Er legt zwei Mäuse ab und stupst eine mit der Nase in meine Richtung.
»Für mich?« Verdutzt schüttele ich das aufgestellte Fell glatt.
»Yees, Kleines!«
Kurzentschlossen schnappe ich mir die Maus und eile ein Stück den Gartenweg entlang. An der Lücke im Zaun zum Nachbargarten warte ich bis Sam aufgeschlossen hat. Dort erzähle ich von Minkas Unfall und meinem Vorhaben, sie mit einer Maus aus dem Haus zu locken. »Die Zweite bringen wir Barney«, schlag ich mit Blick auf die Fellbündel in Sams Maul vor. »Der ist schon weit über zwanzig und schafft es nur noch bis in den Garten.«
»Well«, maunzt er. »Scheint der Titel Super-Cat ist schon vergeben.«
»Wir könnten dich Cat-Man nennen«, schnurre ich amüsiert.
»Super-Cat und Cat-Man«, grollt er, die rechte Vorderpfote theatralisch ins Sonnenlicht gereckt. »Cool.«
»Oder«, ich quetsche mich durch die Lücke. »Wir nennen uns Bella und Sam.«
»Right, wegen der Tarnung. Aber nachts …«
»Es gibt kein aber, Sam!«, rufe ich über die Schulter.
»Hey, warte auf mich!«

Die Türöffner kommen

Anmutigen Schrittes kommt sie auf mich zu,
Lockmittel in ihrer Nase, ein Leuchten in den Augen,
steht nah vor mir im Nu.

Rasch zieh ich sie an mich und küsse sie mit Charme.
Mir wird ein wenig schwindlig, erotisches Gefühl,
sie fällt mir in den Arm.

Schön warm und weich die Welt zu zweit,
so weich ist auch ihr Fell. Der graue Beton ist nicht trist,
obwohl das Gras so weit.

Unser Liebenspiel hier hat begonnen,
da brauchen wir kein Wald. Wir sind hier im Grauen, Lauten,
zwischen den Mülltonnen.

Ein kühler Hauch berührt mein Mund,
sie zieht sich schnell zurück, hat Schrecken in den Augen,
als ob sie könnt‘ verwund!

Jetzt seh‘ ich ihn: ein Fänger da!
Ein „Türöffner“, ganz fett und dumm,
gut, dass ich ihn noch sah!

Wart‘ ab, my lady, my kitty-cat,
so gleich wir werden Liebe machen,
erst bring ich Dich in Sicherheit, dann kratze ich auch sein Fett.

Da sind noch mehr, ich fass‘ es kaum,
das Pack wird immer mehr. Denken wohl die Türöffner
„Weg mit dem Abschaum!“

Doch ich bin der Tom, der stärkste Kater auf dem Asphalt!
Wollen die uns wieder vertreiben, fangen oder töten

  • diesmal bis es knallt!

Doch, was ein Glück, da wird gerufen,
einer von ganz hinten. Gehorsam wie die deppen Pferde,
so traben sie ab auf ihren Hufen.

My lady, wo bist Du? Komm zu mir zurück!
Hier in der Stadt, hier im Verkehr,
kann sein das wahre Glück!

Ich
Die Sonne brannte erbarmungslos auf den Asphalt und die Betonwände der Häuser. Doch das war kein Grund für mich, meinen Spielplatz zu verlassen. Ich streifte durch die Straßen, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer.
Plötzlich entdeckte ich ihn: Den leckersten Happen meines Lebens! Ein Stück Pizza lag mitten auf dem Gehweg - frisch und duftend. Ohne lange zu zögern stürzte ich mich darauf und begann genüsslich zu kauen.
Doch plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. Eine Gruppe von Menschen näherte sich schnell meinem Versteck zwischen zwei Mülltonnen. Panik ergriff mich - sollte ich fliehen oder kämpfen?
Ich entschied mich für Letzteres und sprang aus meiner Deckung heraus, bereit zum Angriff. Die Menschen lachten jedoch nur über meine kleine Showeinlage und gingen weiter ihrer Wege.
Enttäuscht schaute ich ihnen hinterher – mein Masterplan hatte nicht funktioniert wie geplant.
Aber es gab noch so viel mehr in dieser Stadt zu entdecken! Neue Gerüche lockten meine Nase an einigen Ecken ums Eck herum während andere Ortschaften voller neugieriger Tiere waren mit denen man spielen konnte!
So ging es Tag für Tag weiter im Herzen der Metropole: Überleben durch Strategie gepaart mit einer Prise Glück – genau das machte diese Welt hier draußen aus!
Und wer weiß? Vielleicht würde eines Tages auch mein großer Traum wahr werden: Der Aufstieg zur Königin des urbanen Dschungels…

Schon in erster Sekunde – als der durch die mittägliche Sommersonne glühende Bodenstein einen stechenden Schmerz durch meine an Liegen und Frieden gewöhnten Pfoten jagt – weiß ich, dass ich einen Fehler gemacht habe.

Alle haben immer gesagt, dass die Welt hinter der unsichtbaren Wand nicht weitergeht. Dass es normal sei jeden Tag dieselben Schritte zu gehen und dieselben Dinge zu sehen.

Aber woher kommen dann die ganzen kleinen Wesen, mit ihren rosigen Gesichtern und aufgeregten Rufen? Wie sie tagein tagaus an die Wand hämmern und die Augen nicht von mir lassen können, bis sie von ihren Muttertieren weggezerrt werden. Wohl nicht von hier, denn alles was ich höre sind schrille Schreie und zerberstende Aufruhr. Keine kleinen Wesen, nur große und laute. Alles quietscht und trampelt, bleibt stehen und rennt davon.

„Ein Löwe!“ „Wie ist der hier rausgekommen?“

Mein Blick findet keinen Anhaltspunkt, alles verschwimmt in ungewohnt bunten Farben. Ich will zurück und drehe mich um, aber da ist wieder diese Wand. Diese Wand, die nicht durch Drücken, Kratzen oder Schreien zu durchbrechen, aber mithilfe eines Felsens und meiner Sprungkraft zu überwinden war. Aber auf dieser Seite ist kein Felsen und so hoch springen kann ich nicht. Gehetzt fletsche ich die Zähne.

„Aus dem Weg!“

Ein großes Wesen kommt auf mich zu, bestimmt und furchtlos. Immer wenn ich es sehe, bekomme ich kurz darauf etwas zu Essen. Ein vertrautes Gefühl macht sich breit und ich entspanne mich.

Aber was ist das in seiner Hand? Und wieso zeigt er damit auf mich?

Großstadtliebe

Da saß sie mit ihrem glänzenden Fell, ihren sanften Pfoten und ihrer anmutigen Gestalt. Drei Jahre lang schon sitzen wir jeder in unserem Fenster und freuen uns einander zu sehen. Jeden Morgen und jeden Abend wiederholen wir dieses Ritual, blicken über die Innenhöfe und unterhalten uns ohne auch nur ein Wort miteinander sprechen können

Schon oft hatte ich versucht sie zu erreichen, doch endeten alle meine Versuche an der gewaltigen Mauer, die diesen Häuserblock in zwei Hälften teilt. Doch heute würde ich mich nicht aufhalten lassen. Diesmal nehme ich den Weg durch die Straßen. Noch nie war ich dort unterwegs. Immer wenn ich nach draußen blickte wimmelte es von Menschen und Autos.

Ich nahm den Weg durch die Katzenklappe über den Balkon runter in den Hof. Zu meinem Glück stand die Tür offen. Ich schlüpfte hinein und vorne wieder heraus. Schlagartig überrollte mich der Lärm der unaufhörlich vorbeifahrenden Autos. Unaufmerksam zogen die Menschenmassen an mir vorbei. Ein rettender Sprung zurück in den Hausflur verhinderte gerade so, dass ein Fuß meinem Kopf einen Tritt verpasste. Mein Herz raste wie verrückt. Ich darf mich nicht abschrecken lassen, ich möchte sie endlich kennenlernen.

Ich blickte nach oben. Nur undeutlich konnte ich den gräulichen Himmel ausmachen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und stürzte mich in die Masse. Es erforderte meine komplette Aufmerksamkeit nicht von der Stampede zertrampelt zu werden. Da konnte ich gerade noch aus dem Augenwinkel sehen wie eine kleine Hand im Begriff war nach meinen Schwanz zu greifen. Nur knapp konnte ich mich mit einem Sprint in einen Hauseingang retten. Doch bevor ich überhaupt kurz verschnaufen konnte, ging bereits die Tür auf und ich stürzte mich erneut in das wilde Treiben.

Nach einigen Metern wurden es weniger Menschen. Es hatte angefangen zu schütten. Ohne jede Vorwarnung. Glücklicherweise bot mir eine Hausdurchfahrt Schutz. Es dauerte nicht lange und ich nutzte die Zeit für eine kurze Pause. Der Regen wurde weniger und die Wege Waren nahezu leer. Noch einige Augenblicke wollte ich warten, in der Hoffnung, dass er ganz aufhörte, da ertönte ein lautes Geräusch, ein Licht erhellte alles um mich herum. Geblendet erkannte ich nur wie ein großes Ungetüm auf mich zu stürzte. Mit einem großen Sprung floh ich auf den Weg und rannte weiter. Ich war schon ganz an der Nähe meines Ziels. Ich erkannte schon das Haus. Ich fasste mein Ziel fest ins Auge. Da traf es mich aus dem Nichts. Ein riesiger Schwall Wasser durchtränkte mein Fell bis auf die Haut. Die Kälte zog mir bis in die Knochen. Ich sammelte ein Letztes Mal all mein Kraft und rannte zu einem offen Kellerfenster und sprang hinein.

Da saß sie bereits in ihrer vollen Schönheit und begrüßte mich mit einem wohligen Schnurren.

Das war all die Mühe wert gewesen…

Auf der Mauer auf der Lauer

„Roman, danke, dass du zu uns sprechen möchtest, komm aufs Podium, hier ist das Mikrofon!“

„Danke, Luisa.

Liebe Mitmenschen, ähem, ich stehe heute vor euch, um über das außergewöhnliche Ereignis zu sprechen, das sich gestern hier in Berlin ereignet hat. Eine Armee von Wanzen, normalerweise als kleine störende Insekten betrachtet, hat uns eine wichtige Botschaft übermittelt. Diese Botschaft sollten wir nicht ignorieren oder als bloßen Vorfall abtun. Stattdessen sollten wir sie als dringenden Weckruf verstehen.

Erst Paris, dann London, jetzt Berlin. Diese Wanzen haben sich in einer militärisch organisierten Formation gesammelt und sind zum Hotel Adlon marschiert, um die Zimmer zu überfallen und in den Betten einzunisten. Ja, es mag absurd klingen, aber ihre Aktion hatte einen tiefen Sinn. Sie wollten uns darauf hinweisen, dass die Natur lebendig ist und dass unser unbedachter Umgang mit ihr Konsequenzen hat.

In unserer Gier nach Fortschritt und Bequemlichkeit haben wir oft vergessen, wie eng wir mit unserer Umwelt verbunden sind. Wir haben die natürliche Ordnung und das Gleichgewicht gestört und die Ressourcen unseres Planeten ausgebeutet, als gäbe es kein Morgen. Wir haben Plastik im Überfluss produziert und ohne Rücksicht auf die Folgen verwendet.Die Wanzen haben sich erhoben, um uns daran zu erinnern, dass die Natur mächtiger ist als wir. Ein nachhaltigerer Umgang mit der Natur ist dringend nötig, zwingend nötig.Es liegt an uns, unseren Konsum zu überdenken und umweltfreundlichere Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen unsere Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen und Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen. Wir müssen Plastik reduzieren, recyceln und unsere Wälder schützen. Die Wanzen-Demonstration ist ein Weckruf an uns alle. Lasst uns diese Botschaft ernst nehmen und gemeinsam handeln. Lasst uns eine Zukunft schaffen, in der Mensch und Natur im Einklang leben können. Vielen Dank.“

„Danke, Roman.“

„Gerne Luisa. Ist das Mikro aus? Scheiße, bei mir juckt´s schon überall.“

„Bei mir schon die ganze Zeit. Eklig. Sorry, aber was stinkt hier jetzt so?“

„Du bist auf eine Wanze getreten, Luisa.

„Oh, äh, dann machen wir weiter mit Musik!“

Kanonenboote

Berliner Morgenpost: Freitag, 24.11.2032
In der Nacht zum Freitag haben militante Tierschützer den Hochsicherheits-Forschungstrakt der Technischen Universität zu Berlin überwunden. Nach ersten Schätzungen wurden ca. 175 mit KI modifizierte Ratten freigesetzt. Die Bevölkerung wird dringend davor gewarnt scheinbar zahme, freilaufende Ratten anzufassen oder zu füttern.
Der Leiter der Forschungsabteilung Prof. Dr. Hülsenmeyer wurde mit einem Kreislaufkollaps in die Charitee eingewiesen und medizinisch versorgt.
„Wat sagste dazu?“, Kalle beißt in seine Stulle und schüttelt den Kopf. Die beiden Kanalreiniger der Berliner Abwasserfirma „Wisch & Weg“ sitzen zufrieden bei ihrer Frühstückspause. Wie immer sind sie unten im Kanal geblieben, der Geruch stört sie schon lange nicht mehr, und hier, ca. 15 Meter unter der Straßendecke auf einer Betoninsel, ist der Stadtlärm kaum noch zu hören. Sein Kumpel Wille grinst: „Nüscht mehr, die Revoluzzer machen doch, wat se wolln, und die da oben hab’n doch och eh keen Plan …“
Plötzlich hören sie ein feines Sirren, klingt wie ein Motorengeräusch. Und dann sehen sie es: Ein ca. 1 Meter langes Motormodellboot kommt mit affenartiger Geschwindigkeit auf sie zu. Kalle springt auf und zeigt auf das Boot, auf dem jetzt deutlich drei Ratten zu erkennen sind. Er macht den Mund, auf doch dann wird ihm schwarz vor Augen und er koppt in den Kanal. Das trockene Ploppen des Schalldämpfers hatte er nicht mehr gehört … Kalle rennt los, auf den Ausgangsschacht zu, doch auf der Leiter tummeln sich bereits zwanzig bis dreißig Ratten, er hat keine Chance …
Im Laufe des Tages dringt dann aus allen Gullischächten in Berlin Reizgas, die Bevölkerung wird lapidar gebeten, zu Hause zu bleiben und Fenster und Türen zu schließen.
Einen Tag später bricht in der gesamten Stadt die Stromversorgung zusammen. Der Bürgermeister und sein „Katastrophen-Einsatz-Team“ wurden mit einem Hubschrauber aus der Stadt gebracht. Es herrscht eine absolute Nachrichtensperre. Die Berliner Morgenpost ist ratlos …

Flutsch

Etwas Großes kommt auf mich zu. Ich weiche rasch aus, was in meiner kleinen durchsichtigen Welt gar nicht so einfach ist. Das große rosa Ding verfolgt mich, an einem Ende spaltet es sich auf, fast wie eine meiner Flossen. Es kreist mich ein, beißt mich zahnlos und … NEIN! Ich werde nach oben gehoben, aus meiner vertrauten Welt in die wasserlose Zone darüber. Bitte nicht! Ich muss hier raus, muss da runter, egal wie oft ich dachte, dass es mir da zu eng ist! Je mehr ich zapple, desto trockener werde ich. Aber ich kann nicht anders, ich kriege keine Luft, ich muss, muss, muss wieder zurück!
Unbarmherzig werde ich weiter weg bewegt durch eine unbekannte Welt. Da entdecke ich ein großes weißes Ding, das ein wenig Wasser zu enthalten scheint. Das ist doch Wasser, oder? Ich werde darübergehalten und strenge mich noch mehr an, um da hin zu gelangen.
Endlich! Ich falle, die Luft trocknet mich unterwegs zwar noch etwas weiter, aber schließlich tauche ich in feines, sauberes Wasser. Naja, ein bisschen ZU sauber für meinen Geschmack, aber wenigstens kann ich wieder atmen. Es ist ruhig und still hier, und es gibt sogar eine Höhle, wie mir scheint. Nach unten wird es dunkler, nicht wie in meiner bisherigen durchsichtigen Welt, in der das Licht von überall her kam. Ob ich mir das mal ansehen…
Plötzlich hebt ein entsetzliches Tosen an, eine Unmenge Wasser strömt von oben herunter und schiebt mich und das Wasser um mich herum weiter, tiefer und tiefer in die Dunkelheit um zwei Kurven herum und dann falle ich zusammen mit dem Wasserschwall nach unten. Wieder Wasser. Diesmal deutlich zu schmutzig für meinen Geschmack. Doch es gibt kein Zurück.
Was wird nun aus mir?

Glück von oben

Nicht weit vom Bahnhof einer zauberhaften Metropole entfernt befand sich ein kleiner Spielplatz, den wir regelmäßig aufsuchten. Er war klein und idyllisch, und die Querstange der außer Betrieb genommenen Schaukel bot eine ausgezeichnete Gelegenheit für kurze Pausen. Steve und ich saßen dort, als plötzlich ein kleiner Eiswagen auf drei Rädern vorbeiratterte. Steve war etwas korpulenter, kam bei den Weibchen deswegen aber besonders gut an. Es dauerte nicht lange, bis er sich auf den Weg machte, um sich an die Fersen des Eiswagens zu heften - nicht, weil er dem Eisverkäufer so gerne bei der Arbeit zusah, sondern weil er auf die Krümel vor dem Wagen aus war.
Ich erblickte Lilli im großen Turm des Spielplatzes und wie sie nervös hin und her starrte. Sie mochte es gar nicht, wenn Steve wieder eines seiner waghalsigen Manöver vollzog, musste aber auf ihre Jungen aufpassen. Ihre Blicke trafen mich und mal wieder hatte ich keine andere Wahl als Steve hinterherzufliegen.
Es dauerte nicht lange, bis ich Steve bereits am Rand des Eiswagens kleine Krümel aufpicken sah. Noch schien alles gut, doch als Steve zu mutig wurde und immer näher an den Eiswagen herantrat, rannten die ersten Kinder auf ihn zu. Ich konnte nicht begreifen, wie Steve noch immer so naiv sein konnte. Immer wenn ich ihn ermahnte, brüstete er sich nur und verwies auf seine beleibte Statur, als wäre das die ultimative Rechtfertigung.
Es schien an der Zeit zu sein für einen kleinen Glücksangriff von oben. Schnell flog ich über die Kinder, die Steve bisher noch nicht erwischt hatten, nahm Maß und ließ es fallen. «Effektiver als jede Warnung», dachte ich, als eines der Kinder schreiend zu seiner Mutter lief. Die anderen Kinder blieben erschrocken stehen und ließen von Steve ab. Er kam zu mir hinaufgeflogen und blickte mich mit einem zufriedenen Grinsen an, als ob er genau gewusst hätte, dass so etwas wieder einmal passieren würde. Glück gehabt. Ich hoffe niemand wird den Menschen jemals erklären, dass dieses Glück von oben gar nicht funktioniert und auch nicht zufällig auf ihren Köpfen landet, sonst sind wir wohl ganz schnell weg aus der Stadt…

Die Spürnasen

Ein Fest für meine Spürnase ist Silvester. Dann wenn in den Straßen die Böller und weiteres Feuerwerk gezündet werden, gibt es viele bekannte Gerüche aus vergangener Zeit. Es beginnt in der Vorweihnachtszeit, wenn die Kerzen auf dem Adventskalender angezündet werden. Der Duft der vom ausgeblasenen Streichholz in den Raum dringt deutet die schönste Zeit des Jahres an. Manchmal werden Gasfeuerzeuge oder Feuerzeuge mit Lichtbogen zum Anzünden der Kerzen verwendet. Dann ist das Auslöschen der Kerzen ein Trost für meine Spürnase.
Früher war ich als Spürhund beim Zoll gewesen. Mit meinem zweibeinigen Kollegen, waren wir ein ideales Team. Er hatte einen Riecher für verdächtige Personen und Gepäckstücke. Dann kam meine Spürnase zum Einsatz um die Sprengstoffe und andere Substanzen zu finden. Bei jedem Fund gab es mit meinem zweibeinigen Begleiter ein Herumtollen im Kontrollbereich des Zolls am Flughafen oder bei Außeneinsätzen auf freiem Feld. Dann machten alle Platz und wir hatten für einen kurzen Moment unseren großen Auftritt. Diese Zeiten sind leider vorbei.
Mein Begleiter und ich wurden zeitgleich in den Ruhestand versetzt. So durfte ich bei ihm bleiben. Herumspringen wie früher können wir beide nicht mehr. Dafür sitzen wir abends beide vor dem Fernseher und schauen Dokumentationen über unsere Kollegen an. Auch die Gerüche von früher nehme ich heute nicht mehr so oft wahr. Dafür sind neue Düfte dazugekommen. Es beginnt an der Straße, wo manchmal ältere Autos fahren und ein Duft von unverbranntem Kraftstoff in der Luft liegt. Dann riecht es so wie früher als bei den Tankstellen die Dämpfe während des Tankens noch nicht abgesaugt wurden.
Morgens wenn am Himmel noch die Sterne zu sehen sind, weht der Wind den Duft von frischen Backwaren von der Großbäckerei durch die Gegend.
Parfüm und andere streng riechende Deos, die manche Passanten verbreiten, mag ich nicht besonders. Danach kann ich für kurze Zeit nicht mehr meine Lieblingsdüfte wahrnehmen. So verpasse ich dann einen leckeren Hundekuchen, den ein Junge aus der Nachbarschaft für mich im Gebüsch versteckt.
Nach der kälteren Jahreszeit freue ich mich auf den Frühling, wenn die Blumen ihren Duft verbreiten. Wenn der Wind in eine andere Richtung weht und ich die Blume aus der Ferne erblicke, dann kann ich schon den Duft erahnen wenn ich in der Nähe bin oder der Wind die Richtung ändert.