Keine Macht den Drogen…oder sowas in der Art.
Mein Artgenosse wurde schon wieder gejagt, während ich mir den Arsch aufpiecksen lassen habe, weil ich schon wieder auf einem Dach gelandet war, auf dem Draht herausstand, damit wir uns hier nicht breit machen konnten.
Aua, echt kacke das alles. Dabei war ich hier, um meinen Kollegen auszulachen, weil es immer dasselbe Kind war, das uns Tauben drangsalierte. Doch das Altersheim zog uns an. Wenn man in der Stadt überleben wollte, musste man wissen, wo die Alten sich tummelten, die uns fütterten. Ich drehte nochmal eine Runde und versuchte auf den Jungen zu zielen. Doch wieder landete der Kot nur neben ihm. Er bewegte sich einfach zu schnell.
„Du musst hochfliegen, Volltrottel“, rief ich ihm zu. Er hat schon so einiges erlebt, weshalb er nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Momentan rannte er vor dem Kind davon, anstelle wegzufliegen. Eigentlich war das lustig ihm dabei zuzusehen, wenn er in Panik geriet, weil er vergessen hatte, dass er fliegen konnte. Doch weil mir mein Hintern weht tat, wollte ich hier weg.
„Ich bin aber ein Einhorn“, rief er mir zurück. Ich flog fast gegen die Wand, weil ich nicht glauben konnte, was ich da hörte. Diese Hochhäuser aber auch immer, fluchte ich.
„Du bist kein verdammtes Einhorn, sondern eine Taube. Flieg endlich weg“, brüllte ich ihm zu, weil der Junge zu seiner Sandschaufel stapfte und ich Schlimmes ahnte.
„Ich bin ein Einhorn“, rief er immer wieder. Ok, gestand ich mir ein. Vielleicht habe ich der Peinigung zu lange zugesehen und deshalb hat er nun ne´ Schraube locker.
„Du bist ein Vogel und Vögel haben Flügel. Jetzt flieg endlich weg, oder der Junge bringt dich mit der Schaufel um.“
Doch meine Warnung ging in weiterem Gebrabbel von ihm unter.
„Ich bin ein Einhorn, ich bin ein wuuuuuuunderschönes Einhorn“, fing er nun auch noch an zu singen.
Dem war nicht mehr zu helfen. Ich sollte hier weg, damit ich nicht Zeuge seines Mordes sein musste. Aber ich konnte nicht. Ein starker Gegenwind schleuderte mich zurück, dabei hätte ich wissen müssen, dass genau zwischen den Häusern um diese Jahreszeit ein Windzug herrschte, dem nicht mal die größeren Raubvögel gewachsen waren.
Ich schlug fester mit den Flügel, um dagegen anzukommen oder zumindest den Fall abzufedern und donnerte direkt in das Gesicht des Jungen, der panisch aufschrie. In der Luft wirbelte ich umher, bis ich meine Flügel wieder ausbreiten konnte und dem Sog des Luftzuges entkommen konnte. Sein Kreischen hallte von den Hochhauswänden. Ich drehte meine Runde, suchte den verrückten Vogel, fand ihn nicht. Voller Furcht blickte ich zurück zum Kind und erwartete vor seinen Füßen eine tote Taube vorzufinden.
Doch dieser stand mit ausgestreckter Hand kreischend da. Sie war voller Blut. Mir wurde schwummerig vor Augen. Wo war nur dieser Dämlack, der glaubte ein Einhorn zu sein? Ein Erwachsener eilte herbei. Mist, ich glaube, das Blut auf dem Kind ist meines. Sachte setzte ich mich ins Gras ab, hinter einen Busch, wo man mich nicht so schnell erblicken konnte.
„Ich hab dich gerette“, schreckte mich der Vollidiot auf. Verwirrt sah ich ihn an.
„Was?“
„Ich hab den Wind hergezaubert, das können nämlich alle Einhörner“, erklärte er stolz. „Ich hab doch gesagt, ich bin ein Einhorn“, gurrte er mir zu.
Endlich hatte das Kind aufgehört zu heulen. Ich sah durch das Gebüsch.
„Halt still, damit ich das Blut von deinem Gesicht wischen kann“, kam die sanfte Aufforderung des Erwachsenen.
„Hm… ich sehe keine Wunde.“ Hand, wie Gesicht des Jungen wurden akribisch begutachtet. Wenn ich der menschlichen Sprache mächtig wäre, hätte ich jetzt hinterhergeschrien, dass das mein Blut war. Innerlich verfluchte ich den blöden Bengel.
„Sag mal, Einhorn, kannst du was gegen meinen Blutverlust machen?“ Stöhnte ich schmerzverzerrt, erhoffte mir aber nicht allzu viel.
„Ne, aber ich kenne jemanden, der dir helfen kann.“ Ich sah ihn an.
„Achja? Und wo?“ Der Trottel pickte im Gras herum.
„Ich würde dir ja den Weg zeigen, aber ich kann nicht fliegen“, kam es nüchtern zurück. Nun wurde ich ungehalten und sprang auf ihn drauf, pickte nach seinen Flügeln.
„Hier sind deine Flatterchen, du Vollidiot“, kreischte ich. Er wehrte sich gegen mich, als ein weiterer Windstoß mich zwang, von ihm abzulassen. Er hob kurz ab, da er bei seiner Abwehr seine Flügel zur Hilfe genommen hatte und sie immer noch ausgebreitet waren.
„Oh, schau, ich kann fliiiiiiiegen“, rief er mir erstaunt zu. Vergessen war der Streit.
„Kannst du mich jetzt zu jemandem bringen, der meinen Arsch retten kann, bevor ich hier krepiere?“ Blaffte ich ihn an. Er sah mich erstaunt an.
„Du bist verletzt?“ Ich musste an mich halten, ihm nicht die Augen auszupicken.
„Ich kenne jemanden, der dir helfen kann. Aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe mit meinen neuen Flügel dahinzufliegen“, kam es zweifelnd aus ihm.
„Doch, doch, das kannst du. Und jetzt los“, drängte ich ihn.
Wir flogen einige Minuten. Die kühle Luft dämpfte die Schmerzen in meinem Hintern. Ich blutete nicht mehr.
„Wie weit haben wir es noch?“ Fragte ich meinen Artgenossen, der vor schreck beinahe einen Steilflug zum Boden machte.
„Ich werde verfolgt, hiiiiiilfe, ich werde verfolgt“, kreischte er. Eigentlich fühlte ich mich schon besser, oder? Fragte ich mich, während ich zusah, wie der Idiot im Zickzack flog. Mir ging es definitiv besser und drehte von dem Verrückten ab. Das war das letzte Mal, dass ich dem Irren helfen werde, versprach ich mir und flog zur Taubenstation. Manchmal kamen Menschen, die einen untersuchten. Vielleicht hatte ich heute Glück und jemand von denen konnte mir helfen. Ich änderte die Richtung und lies mich vom Wind treiben, darauf achtend, meine Kräfte so einzuteilen, dass ich die Strecken schaffen konnte. Denn wie sollte es auch anders sein, die Taubenstation lag in einer anderen Stadt.
„Hey warte, dein Arsch liegt offen“, drang die Stimme des Verrückten an meine Ohren.
„Verdammte Scheiße“, erschauderte ich und flog haarscharf an einem Fenster vorbei. Was machte der denn schon wieder hier?
„Warte auf mich. Ich kenne jemanden, der dir Helfen kann“, bot er mir wieder an. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir, tot vom Himmel zu fallen. Der Kerl machte mich fertig.
„Verzieh dich“, rief ich ihm zu und legte noch einen Zug zu, um von ihm wegzukommen.
„Warte auf mich. Wo willst du hin?“ Damit holte er mich auf und ich spürte meine Energie langsam schwinden.
„Geh weg!“ Mit diesen Worten drehte ich ab, doch der komische Kauz war schneller als ich.
„Woher weißt du, wo sie wohnt?“ Holte er mich auf.
„Eh?“ Von was redete er denn nun? Konnte es sein, dass ich hier in der Nähe Hilfe finden könnte. Ich wollte nicht wieder Hoffnung in ihn setzten, musste aber eingestehen, dass ich mich nicht mehr lange halten werde können.
„Wohin“, versuchte ich es also wieder.
Zwei Häuserblöcke weiter landeten wir auf einem Balkon. Eine junge Frau qualmte an einem Stummel, nach denen manche von meiner Sorte süchtig waren.
„Hallöchen Täubchen. Wen hast du mir denn heute mitgebracht?“ Sie schnippte ihre Kippe weg und betrachtete mich.
„Oh, du siehst aber gar nicht gut aus.“ Wenn ich doch nur sprechen könnte, würde ich sie auffordern, endlich loszulegen, damit es mir schnell besser geht. Im Hintergrund sah ich, wie der irre Vogel nach einer weisen Dose pickte, sie öffnete und Tabletten raus schleuderte, um sie so klein zu machen, damit er sie essen konnte. Ich wollte zu ihm, ihn davon abzuhalten, doch die junge Frau packte mich.
Bevor ich das Bewusstsein verlor, dachte ich: Vielleicht war er verrückt, weil er die Tabletten der Menschen schluckte.
Verschwommen nahm ich helles Licht wahr.
„Ich bin ein Einhoooorn, ein Eiiiiiiinhooorn“, trällerte es ohrenbetäubend neben mir.
Was zum Geier? Ich erkannte den Irren wieder, doch konnte ich mich nicht bewegen. Mein Hintern war bandagiert und hielt mich an Ort und stelle fest.
„Ich bin ein wunderschönes Einhoooooorn“, sang er weiter.
Verdammter mist. Wenn ich dem jetzt noch lange zuhören musste, würde ich auch verrückt werden. Ich musste ihn so schnell wie möglich von den Pillen absetzen, zu denen er hier zugriff hatte. Menschenfinger drückten meinen Schnabel auf und warfen Tabletten ein. So sehr ich der Frau dankbar war, dass sie meinen Arsch gerettet hatte, aber musste sie so grob sein? Die Schmerzen liesen nach, jetzt musste nur noch der komische Vogel neben mir aufhören zu behaupten, dass er ein Einhorn war.
Doch kurze Zeit später sang auch ich: „Ich bin ein Einhorn, ein wuuuuunderschönes Einhorn.“