Seitenwind Woche 6: Großstadttiere

Nachtschwärmer

Ich liebte mein Leben als Nachtfalter, hätte nie etwas anderes sein wollen.

Nachts gehörte die Stadt nur mir allein. Ich spannte weit die Flügel aus, flog durch die stillen Straßen, als flöge ich … gegen eine Windschutzscheibe. Verdammt!

(frei nach Joseph Freiherr von Eichendorff)

GANGS OF ZENTRALFRIEDHOF

»Mein Geliebter, wann werden wir uns wiedersehen?«
Die junge Made presste ihren länglichen Körper zärtlich an den seinen.
»Morgen Abend, wenn die Sonne hinter den Mauern versinkt.«
Erregt wanderte eine ringförmige Kontraktion seiner Muskulatur von seinem spitz zulaufenden Oberstück zum breiteren Ende.
Julia lachte auf. »Oh Roman, das kitzelt.«
»Ich weiß«, entgegnete dieser verschmitzt.
Dann wurden sie wieder ernst. »Du weißt, mein Vater darf das nie erfahren.«
Schwermütig pflichtete Roman ihr bei: »Genau so wenig wie der meine.«
Mit einem Seufzer trennten sich die Liebenden. Sie schoben sich in krümmenden Bewegungen aus von dem schützenden Loch im Lehmklumpen und krochen weiter in entgegengesetzte Richtungen. Vorbei an den Maden, deren von der Arbeit ausgemergelte Körper unablässig aus dem frischen Grab hervorquollen.

»Ihre abscheuliche Gier ist grenzenlos!« Gehässig fläzte sich Elisabeth auf dem satten Grashalm und zerkleinerte mit ihrem zangenartigen Mundhaken ein paar trockene Hautschuppen. »Sie stellen deine Autorität in Frage, mein Lieber. Du musst handeln. Du führst den Clan!«
Franz Ferdinand schwieg. Das Zucken entlang seiner kräftigen Statur verriet seine innere Verfassung. Dann sprach er: »Ich weiß. Ich sollte ein Zeichen setzen. Es muss ein Ende haben mit diesem widerlichen Geschmeiß!«
Da schob sich eine der dienstbaren Maden vor das Herrscherpaar und verkündete: »Ein Emissär!«
»Lass ihn vortreten«, gewährte Franz Ferdinand. »Wir wollen hören, was er zu berichten hat!«
In einer Ziehharmonikabewegung erschien eine junge Made hinter dem Blatt eines zertretenen Löwenzahns. Richtete sich auf und sprach: »Mein Meister lässt Euch folgendes überbringen!« Er räusperte sich. »Die Fehde schafft Not und Leid für unsere beiden Familien. Darum biete ich Euch an, den Zwist zu beenden und die Feindseligkeiten zu begraben. Zum Zeichen unseres guten Willens erkläre ich deshalb, dass die nächste Leiche auf diesem Platz ganz Euch gehören soll. Von den Hautschuppen bis zum Gedärm. Gleiches gilt für das Glitzerzeug, dass die Leiche an sich trägt, an Leib und auch im Munde.«
»Hört hört«, spottete Franz Ferdinand. »Ihr überlasst uns gänzlich den Gold- und Silberhandel mit den Elstern?«
»So ist es«, erklärte der Emissär. »Für diese eine Leiche soll es gelten. Einen fairen Handel bieten wir Euch. Einen, der Frieden schafft und so der Zukunft unserer beiden Familien zuträglich ist. Dies zum Wohle der Lebenden und aller Nachkommen, die uns beschieden sind. Dies sind die Worte meines Fürsten Friedrich.«
Franz Ferdinand spürte einen Stupser an seiner Seite.
»Schwach sind sie geworden«, zischte Elisabeth. »Das ist der Moment. Lass sie in dem Glauben, und dann schlag zu!«
»Du hast Recht«, flüsterte ihr Ehemann. »Frieden ist ein vorzüglich bestellter Boden für einen vernichtenden Schlag!«
Elisabeths Blick traf ihn mit all der darin verborgenen Bewunderung. »Du bist der Fürst.«
Franz Ferdinand hob zu sprechen an: »So sei es! Überbringe Deinem Herrscher, dass wir zu einem Friedensschluss bereit sind. Morgen wollen wir ihn besiegeln, in den frühen Stunden des neuen Tages. Findet euch hierzu mit eurem Volk ein am Grab 772-C.«
»Ergebensten Dank«, ließ der Emissär vernehmen, und mit tiefen Verbeugungen zog er sich zurück.

Die Junisonne war soeben über die Mauern des Zentralfriedhofs gestiegen, und ihre Strahlen fielen auf ein Meer aus Maden. In zwei Gruppen standen sie sich gegenüber. Zwei Madenteppiche, aus denen das Rauschen sich aneinanderreibender Tiere über den Friedhof klang.
»Was soll uns der Frieden jetzt bringen?«, grantelte eine der unzähligen Maden mitten im Gewimmel. »Als wenn er für unsereins etwas ändern sollte! Wir buddeln tagein tagaus bis uns die Mundhaken aus dem Schlund fallen und schwitzen für die Obrigkeit.«
»Und am Ende holt dich die Amsel«, pflichtete eine zweite Made bei. »So war es, so ist es, und so wird es immer sein.«
»Wenn wir nicht schon vorher verdörren«, brummte eine dritte Made. »Wann war das letzte Mal, dass du dich an einer Leiche laben durftest?«
Eine Fanfare ertönte, und mit einem Schlag kehrte Stille ein in den beiden Madenteppichen vor Grab 772-C.
Zwei Emissäre lösten sich aus ihren Haufen und wurmten vor. In respektvollem Abstand zueinander blieben sie stehen.
»Mein Volk«, verkündete ein Emissär, »erklärt sich einverstanden mit dem vorgeschlagenen Frieden.«
»So tut es auch das meine«, entgegnete der andere.
Damit lösten sich auch die beiden Clanchefs aus ihren Haufen und schoben sich in die Mitte des freien Platzes.
Dort angekommen blickten sie sich lange an.
»Bist du bereit?«, fragte Friedrich.
»Ich bin es«, antwortete Franz Ferdinand.
»Dann will ich es auch sein.«
»Die nächste Leiche gehört uns?«
»So ist es abgemacht.«
»Auch der Schmuckhandel mit den Elstern?«
»Auch der.«
»Dann schließen wir also Frieden.«
Feierlich rieben beide Herrscher ihre Körper aneinander.
Ein Ruf hallte über den Platz, und eine junge Made eilte auf die beiden Oberhäupter zu.
»Papa! Papa! Endlich Frieden! Ich bin ja so glücklich.«
»Julia?«, entfuhr es Franz Ferdinand.
»Ja, Papa! Endlich kann ich es dir sagen! Weil Roman und ich, wir werden heiraten!«
»Ihr werdet was?«, donnerte auch Friedrich. In seine Fassungslosigkeit mischten sich Zorn und aufflammender Hass.
»Was Julia sagt, das stimmt!«, erscholl es aus dem anderen Madenteppich, und der stattliche Roman robbte vor. »Wir werden heiraten, Vater. Und damit das neue Band des Friedens zwischen unseren Völkern besiegeln. Ist das nicht wunderbar?«
»Wunderbar?«, schrie Franz Ferdinand, und blanke Mordlust spiegelte sich in seinem Gesicht. »Das werde ich nicht zulassen, dass sich meine Tochter mit einem stinkende Leichenfledderer wie dir vermählt!«
»Wie nennst du meinen Sohn?«, fuhr Friedrich dazwischen, so sehr von Hass und Wut erfüllt, dass er weder den Schatten bemerkte, der sich über ihn legte, noch den Staub, der im plötzlichen Luftzug aufwirbelte. Und schon hatte ihn ein kräftiger Schnabel gepackt, und ihn in den Himmel entführt. Ebenso erging es Franz Ferdinand, der vor Schreck ganz starr war.
»Papa!«, entfuhr es der entsetzten Julia, denn verschwand auch sie in dem gierigen Schlund einer Amsel.
Blanke Panik ergriff Besitz von den Madenteppichen, und jede für sich versuchte zu fliehen. Ein nutzloses Unterfangen, allein der Natur geschuldet.
Das war das Ende der beiden Clans von Grabstelle 772-C auf dem Wiener Zentralfriedhof.
»Schade fürs Geschäft«, krächzte eine der beiden Elstern, die dem Schauspiel vom Ast einer Tränenkiefer aus stumm beigewohnt hatten.
»Kein Verlust«, widersprach die andere. »Drüben in der Parzelle 775-B haben sie neulich einen eingebuddelt. Ich wette, Maden gibt es auch dort!«

Charlie und Püppi

Jetzt geht das wieder los! Jetzt packen sie mich wieder in das Gefängnis. Dann kommt das Geruckel und der Motorenlärm. Danach wird es noch lauter und hell und ich bin wieder ewig lang in einem anderen Gefängnis.
Ich merke es daran, dass sich meine Menschen auf mich konzentrieren und ich stetig angefasst werde, gekämmt, geputzt - hoffentlich nicht auch noch mit Wasser und diesem Zeug, das stinkt.

Ich hab’s ja gesagt: wir sind wieder unterwegs und jetzt bin ich, wie erwartet, in dem zweiten Gefängnis. Darüber bin ich einerseits froh, denn nun kommen ganz viele fremde Menschen. Sie strecken ihre Gesichter nach mir aus. Nur das Gefängnis schützt mich vor ihren schmierigen Händen, mit denen sie mich ansonsten sicher betatschen würden. Es stinkt hier nach schwitzenden Leuten und ihren komischen Duftstoffen, die sie sich aufsprühen, aber auch nach der Angst meiner Artgenossen. Sie sind alle ebenfalls eingesperrt. Manche haben wohl Urin gelassen. Ihre Angst teilt sich mir auf vielerlei Wegen mit. Es ist schrecklich. Ich habe gehört, dass einige sogar „ruhig gestellt“ worden sein sollen.
Das hat mir der Rothaarige aus dem Nachbarkäfig zugeraunt, schon letztes Mal.

Heute ist eine weiße Langhaarige neben mir, mit Pointzeichnung.
„Hey“, sagt sie, „ich habe dich bei der Ausstellung im Sommer schon von weitem gesehen. Deine Menschen haben den Pokal eingeheimst, aber du hast so unglücklich ausgesehen. Willst du nicht mit mir abhauen?“

Auf den Gedanken bin ich noch nie gekommen. Ehe ich antworten kann, schildert mir die weiße Schönheit schon ihren Plan: „Mir ist letztes Mal aufgefallen, dass dort hinten links eine Treppe nach unten führt, aus der ein frischer Luftzug hochsteigt. Es muss dort irgendwo einen Ausgang geben. In dem Moment, wo sie uns aus dem Gefängnis holen, um uns zu präsentieren, können wir blitzschnell hinabspringen. Wir müssen uns vorher brav und passiv geben, damit wir sie überraschen. Zur Not müssen wir sie auch kratzen. Wir treffen uns dann dort unten. Was hältst du davon?“
Ich hebe gerade zu einer Antwort an, da wird ihr Gefängnis geöffnet, sie wirft mir mit ihren blauen Augen einen intensiven Blick zu - dann springt sie ab und flieht wie der Blitz in die vorher anvisierte Ecke! Jetzt bricht Chaos aus. Die Menschen rufen, es wird noch lauter, vielleicht hat sie Recht, es ist doch nicht auszuhalten hier, auch wenn meine Menschen mir, denke ich, schon fehlen würden.
Oh, jemand hat mein Gefängnis gerammt, ich stürze ab - naja, ich bin ja fit - jetzt muss ich nur aufpassen, nicht unter die Räder zu kommen. Das Gefängnis hat sich geöffnet! Ich laufe der Schönen hinterher zur Treppe.
„Charlie“, höre ich meine Menschen panisch rufen, „Charlie!“
Ich bin schon die Treppe runter, und noch eine. Bloß weg hier!

Wir sind jetzt draußen. Ich muss mich erst einmal orientieren. Auch hier ist es ziemlich laut. Es macht mir Angst. Aber meine weiße Schönheit sagt, sie sei auch zuhause schonmal ausgerissen und kenne sich ein wenig mit dem Leben draußen aus. Sie heißt Püppi, wohl nach einer berühmten Katze eines Modedesigners. Ich folge ihr.

Wir gehören dazu!

Auf dem Haupt einer Reiterstatue, mehr Endlager für Taubenkacke als Schauplatz heldenhaften Glanzes, verfolgte ich – Friduia, eine städtische Taube – den Sonnenuntergang. In meiner Nähe verteilte Bahra, der Pizzabote, Krümel einer nicht mehr lieferfähigen Calzone. Sein Leben schien eine Kette von Fast-Momenten, doch heute war er mein Freund und Verbündeter.

Ich dankte ihm mit einem Bild: Ein Baum, gespalten vom Blitz, stand noch immer stolz – ein Sinnbild unseres Lebenswillens. Bahra, mit geschlossenen Augen, lächelte. „Die fliegenden Haustiere der Stadt lassen sich nicht unterkriegen“, gluckste er und erkannte unsere Zähigkeit an.
Ein Duft von frischer Erde folgte, meine Art, die High-Five der Natur zu teilen, und er stimmte auf unseren Kampfgeist ein. Ich projizierte das Bild des Ornithologen in seinen Verstand, unseren erwählten Helden, der von seinem künftigen Ruhm nicht einmal wusste, dass er nichts von ihm wusste. Bahra nickte kampfbereit.

Die Szene von Menschen, die uns im Park fütterten, berührte Bahra immer aufs neue tief. „Ihr seid das Salz dieser Stadt“, gab er zu und schien bewegt.
Mit einem Gefühl der Einheit, das ich ihm sandte, war es beschlossen: Wir würden die stummen Geschichten der Stadttauben hörbar machen.

Das letzte Bild, das ich ihm übermittelte, zeigte uns Seite an Seite, während um uns herum die Stadt im Tanz von Licht und Schatten versank. Als Bahra die Augen öffnete, erblickte er einen Stern, der strahlte wie unsere frisch gewonnene Hoffnung.

Die Kampagne griff um sich wie ein Feuerwerk der Solidarität. Die Fotos des Ornithologen, die Freude der Parkbesucher, die Unterstützung der Tierschützer – sie alle öffneten das Netz, das unser Schicksal sein sollte. Die angedrohte Brutalität des Rathauses, man wollte uns amtlicherseits „das Genick brechen“, wurde entlarvt und diePläne zerschlagen.

Am Tag der Entscheidung saß ich auf dem Rathaus, ein Symbol des friedfertigen Aufstands. Der Ornithologe sprach über den Wert des Lebens, über die Ökologie und den unschätzbaren Beitrag, den wir leisten. Die Kamera hielt auf mich, und in diesem Augenblick waren wir nicht nur Tauben, wir waren die Seele der Stadt.

Die Verwaltung gab nach – der Wahlkampf nahte, und keine Stimme war es wert, gegen tote Tauben getauscht zu werden. Unser Sieg wurde zu einem Kompromiss: Wir räumten die Plätze, bekamen dafür geschützte Nischen.

Als der Trubel nachließ, blieb ich zurück, blickte auf die Welt hinunter, die fast auf uns verzichtet hätte. Wielange würde die Pax urbi et columbae wohl halten?

Mein Name war Hase

Ich kann keiner Fliege etwas zu Leide tun, bin ein Angsthase, ein richtiger Hasenfuss. Aber manchmal bin ich wie von der Tarantel gestochen. Dann wage ich mich, in die Höhle des Löwen. Jetzt muss ein Hühnchen mit ihm rupfen.
Zu spät merkte ich, was für ein Kamel ich war. Er hat mir einen Floh ins Ohr gesetzt.
Aber im Grunde bin ich selber schuld, dass ich die Katze im Sack gekauft habe. Zu spät habe ich gemerkt, dass er ein alter Hase ist. Schlau wie ein Fuchs. Ein Wolf im Schafspelz. In diesem Fall war ich blind wie ein Maulwurf. Ich habe die Situation aus der Froschperspektive betrachtet. Er hat mir einen Bären aufgebunden. Es war hundsgemein von ihm.
Im Grunde habe ich ja noch Schwein gehabt. Soll ich deswegen ein Affentheater aufführen? Er weiss genau, wie man mit Speck Mäuse fängt. Weiss genau wie der Hase läuft. Wahrscheinlich hat er sowieso schon die Fliege gemacht.
Das schleckt keine Geiss weg. Ich habe das Pferd von hinten aufgezäumt. Ich war vom Affen gebissen mich auf so etwas einzulassen.
Arm wie eine Kirchenmaus muss ich jetzt schauen meine Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Ein unbeeindruckter Dieb

Meine Neugierde zurückzuhalten, entsprach nicht meinem Temperament. Und doch ließ ich den Wind über meine Federn gleiten, der Gemütlichkeit war jeder Flug zuwider. Ich blieb, wo ich war und beobachtete.
Unter mir hüpfte Emix aufgebracht umher. Er steckte seinen Schnabel in die Blätterhaufen, wühlte darin herum und zupfte ein vergilbtes Blatt nach dem anderen hervor. Irgendetwas stimmte nicht.
»Was gibt es Neues?« Sulifix kam angesegelt und hockte sich neben mich.
»Emix hat einen Vogel.«
»Schon wieder?« Sie lachte, ihr Krächzen trieb mit dem Wind. »Wir sollten nachsehen, was ihn so aufregt.«
»Mmhh«, der Ast unter mir hatte die perfekte Wölbung.
Sulifix sah mich von der Seite an. Sie war ein pfiffiges Krähenmädchen, in ihren Augen blitzten die Lichter der entfernt vorbeibrausenden Nussknacker auf, die Dämmerung setzte ein. »Raff dich auf alter Kauz, rumsitzen kannst du später noch.«
Widerwillig erhob ich mich, zog einen Kreis durch den Wind, ließ ihn ein-, zweimal unter mein Gefieder prusten und segelte auf seinen Schwingen herab.

»Kumpel, was ist passiert?«
»Weg! Sie ist weg.« Der Wind drehte auf, heulte, als wollte er Kralix Krächzen übertönen. Ich hüpfte heran, ein Stück näher, sein zerzaustes Gefieder wirbelte vor meinem Schnabel auf und ab.
»Was hast du verloren, Emix?«, fragte Sulifix. »Deinen Verstand?« Sie krächzte lachend.
»Meine Nuss«, erwidert er, stoppte, visierte sie an, schlug die Flügel auf, wie die Nachbarin früh die Federbettdecke (welch ein Frevel).
»So viel Aufregung wegen einer Nuss?« Ich hätte auf dem Ast bleiben sollen. Meine Flügelspitze zuckte.
»Eine besondere Nuss!« Sein schwarzer Kopf fuhr nervös vom Wiesenrand zum Buschwerk, bis hin zum Menschenweg. Bunte Blätter tanzten ostwärts.
»Geht es um die Walnuss, die wir uns gestern aus dem Garten Nummer acht stibitzt haben?« Der Kater vom Nachbarn hatte uns belauert. Aber er war fett, viel zu träge für die Jagd nach einer schlauen Krähe. »Zu oder offen?«
Emix schaute mich fragend an. Eine offene Nuss war eine leere Nuss.
Ich setzte nach. »Hast du sie den Nussknackern hingeworfen?«
»Auf den Boden der Menschen? Daran würde ich mich erinnern, ich bin alt aber keine Taube! Jemand hat sie geklaut.«
Ratlos sahen Sulifix und ich uns an.
»Nuss … Nuss … Nuss«, rief Kralix, den Wind übertönend.
Und da hörten wir den Alarm. Gellend schrien sie, färbten den Himmel schwarz.
»Auf geht’s«, rief Sulifix und startete in die Lüfte, sie war bei den anderen angekommen, bevor ich überhaupt realisierte, dass ich mich schon wieder aufraffen musste.
»Was wird jetzt nur aus meiner Nuss?« Schwerfällig erhob sich auch Emix, gemeinsam schlossen wir uns der Bande an.
»Wen verjagen wir?« Ein Milan war nicht am Himmel zu erspähen.
»Da unten neben der Hecke. Siehst du ihn? Krra, Krra.«
Ich schaute herab, während ich warnende Schreie ausstieß und so aufgescheucht wie möglich umherflatterte. Ein schwarz maskierter Kopf blickte mir entgegen. Unbeeindruckt beobachtete das Tier uns, ohne die Flucht zu ergreifen.
»NUSS«, schrie Emix neben mir und stürzte herab. Zuerst einen Falken imitierend, geriet er - gut genährt wie er war - ins Schlingern. Sulifix lachte so laut, dass ihr Krächzen die Alarmschreie der anderen übertönte.
»Er hätte lieber seinen Realitätssinn suchen sollen, einen Waschbären wird er nicht vertreiben.«
Sie behielt recht. Das graue Wesen streckte die Walnuss in seiner Menschenhand Emix entgegen und, als dieser taumelnd vor ihm landete, grinste er, schlug die Krallen nach vorn und ließ sich gemütlich auf seinen Hintern fallen. Wir sanken auf Höhe der Baumspitzen herab. In aller Ruhe zerteilte der Waschbär die Nuss, steckte den Inhalt in sein Maul und drehte dem verzweifelt, schon ganz heißer klingenden Emix den Rücken zu und verschwand im Gestrüpp.

Wir konnten Greifvögel verjagen, Katzen und Hunde erschrecken. Aber einem Waschbären überließen wir geschlagen unsere Nüsse.

Kein Zurück…:wink:

"Einen langen Weg haben wir hinter uns und mehrere Monde aufgehen sehen, meine Kleinen und ich. Vom Stadtrand bis in die City. Und ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ein Umzug so anstrengend sein kann. Diese vielen beweglichen und fürchterlich stinkenden Metallhöhlen, denen wir unterwegs begegneten! Mehrmals hätte uns beinahe eine überfahren. Einmal sogar, als wir uns gerade völlig erschöpft einen herrlich vermüllten Rastplatz gesucht hatten. Dafür hab ich dem nächsten Fuhrwerk dann ans Gummibein ge… Oh, ich glaube das Wort ist hier nicht angemessen… gemacht also. Die spinnen wohl!

Warum wir uns das antun? Ach vorher ging es uns eigentlich ganz gut, bis in unser altes zu Hause dieser Herr Jäger mit seinen jammernden Kindern einzog und uns jede Nacht mit Steinen beschmiss. Jede Nacht sag ich euch!
Meine Kleinen liebten vorher dieses Schuhspiel, hew hew… sie trugen diese Dinger von Garten zu Garten. Der ein oder andere ging dabei auch mal kaputt. Die Nachbarn waren genervt. Doch was soll’s. Wat lassen die ihre Teilchen auch immer draußen stehen! Kann meinen Süßen ja auch nicht das Spielen verbieten. War außerdem unser Revier…

Nun, nächtliche Kämpfe mit wilden Vögeln sind für die Hausbesitzer wohl kein Problem. Selbst wenn sie am Morgen das Federgewirr beräumen müssen.
Doch meine Triebhaftigkeit in seinem Garten hat dieser Jäger mir nicht verziehen. In dieser einen Nacht hoppelten plötzlich allerlei Langohren außerhalb ihres Kaninchengefängnisses herum. Den Eingang zum Auslauf hatte ich gut vorgebuddelt, für den Fall, dass die mal vergessen deren Tür zu schließen. Und siehe da. Am besagten Abend drehte ich meine Runde und: hatte Erfolg. Wollte eigentlich nur eines zum Abendbrot besorgen, doch das schnelle Hin und Her der anderen weckte meine Begierde und ich vergaß mich…

Naja. Dann verlor Herr Möchtegernjäger die Nerven, weil seine Tochter doch sehr weinte. Mit den Steinen und meinen Kleinen, das war mir anschließend viel zu gefährlich. Sie kamen häufig schon mit auf die Runde und sollten von mir lieber etwas lernen…

Ach… und nun wandern wir seit Tagen in diese Richtung hier. Alle Reviere waren bisher besetzt. Es wird zunehmend fremder. Laut ist es. Und hell. Und ich sehe Menschen über Menschen. Sogar nachts. Wenig grüne Verstecke. Dafür diese Blechhöhlen und viele viele dunkle Häuserecken.
Wir finden beträchtlich mehr Futter, häufig sogar in großen Behältern.
Erstaunlich freundlich sind sie hier. Niemand der mit Steinen nach uns wirft. Sie schauen fröhlich wenn sie uns sehen. Machen sogar Fotos von uns.
Nun müssen wir nur noch einen Platz finden wo wir endgültig leben können…"

Die Stimme aus den Lautsprechern im Saal verebbte und es wurde still im Theater. Mindestens einhundert Kinderaugen starrten gebannt zur Bühne was nun passieren und welche Abenteuer auf die Fuchsfamilie zukommen würden.

…Vorhang auf…!

YouTube Star

Mein Name ist Mortimer und ich bin eine Ratte. Mein größter Traum ist es Bekannt zu werden.
Na gut ich bin keine süße kleine Maus oder hab so ein gutes Image wie Mickey und Minni, aber es wäre ja gelacht, wenn ich nicht trotzdem ein Star im Netz werde.
Nicht das Spinnennetz, die sind so eklig klebrig und verfangen sich immer in meinem Fell. Da brauche ich immer eine Ewigkeit um das wieder abzubekommen, dass sag ich euch. Ist nicht schön. Also ich meine das weite World Wide Web.
So wie diese Ratte die sich mit Seife wäscht. Nur besser.
pha! Waschen!
Ich schwimme.
Schwimmen ist um einiges besser, vor allem so wie ich das mache.
Das werde ich euch zeigen und zwar hier und Jetzt.
Also gut ich und meine drei Kumpels stehen am Pegnitz Ufer bereit. Jetzt müssen wir nur noch auf die richtigen Zuschauer warten. „Da, Da, Dadada sind welche mit einem Handy“, rufe ich meinen Freunden zu. „Los gehts, zeigen wir denen was wir drauf haben. So wie wir es geübt haben“, sage ich noch bevor wir uns mit einem Köpfer in die Fluten wagen. Wir schwimmen rüber zur Brücke, wo man uns gut sehen kann und beginnen mit unserer Show.
Zuerst die Rose, unsere Füße berühren sich und wir bilden ein perfektes Kreuz.
So weit so gut.
Wir werden von den Leuten auf der Brücke entdeckt. „Ihh Ratten, was machen die da?“, ruft ein Mädchen aus.
„Nicht beirren lassen, macht einfach weiter“, rufe ich meinen Jungs zu.
Dann der Stern, wir spreizen unsere Beine etwas und dann noch weiter zum Quadrat.
Das ist nicht so leicht durch die Strömung. Die Brücke füllt sich langsam mit Schaulustigen. Sie scheinen begeistert zu sein. Ich vernehme immer mehr „ohhs“ und „Ahhs“.
Weiter gehts Rolle nach Unten und Füße in die Luft über die Oberfläche.
Nun der krönende Abschluss wir halten uns jeweils an einen Fuß des Vordermannes fest, bilden so ein Kreis und heben das andere Bein in die Höhe.
Wir bekommen einen frenetischen Applaus und Beifall als wir wieder zum Ufer schwimme.

Wieder am Ufer angekommen klatschen wir uns ab.
„ Hab ich euch das nicht gesagt. Wir haben das gerockt.“

Ein heißer, verschlafener Abend.

Ein nervtötendes Piepen reißt mich aus meinem angenehmen Schlaf. Ganz langsam öffne ich die Augen. Die helle Sonne blendet mich. Wie immer begrüßte mich der widerliche Gestank von Abfall und Abgasen.
Es ist heiß. Viel zu heiß um sich zu bewegen, selbst hier im Schatten.
Mit einem seufzen strecke ich meine schweren Gliedmaßen und Gähne lang. Anschließend setzte ich mich aufrecht, mein Schweif legte ich auf meine Pfoten.
Ich ließ meinen Blick über die asphaltierte, enge Gasse wandern, auf der Suche nach dem blöden Geräusch, was mich geweckt hatte. Durch meine erhöhte Position, auf dem Balkon der alten netten Dame, die mir immerzu allerlei Essen gab, konnte ich fast alles überblicken. Trotz der unerträglichen Hitze wuselten die Menschen nur so durch die enge Gasse.
Der unfreundliche Gemüsehändler, der jedes Mal nach mir trat, wenn ich an ihm und seinem hässlichen Laden vorbeilief, stand vor besagtem Laden und stritt sich mit seinem Nachbarn, dem netten Metzger. Der Metzger war ein freundlicher Mann, streichelte mich ab und zu und manchmal bekam ich ein schönes Stück Fleisch. Ich mochte ihn.
Er und der Gemüseidiot schrien sich lautstark an, sodass es in meinen Ohren weh tat. Worum der Streit ging, wusste ich nicht genau, aber wahrscheinlich ging es um dasselbe, wie sonst auch.
Der Gemüßeheinie war, wie nannte man das noch gleich… Vegu… Vegie… Vego…ach keine Ahnung, er aß auf jeden Fall kein Fleisch und verachtete Fleischesser. Deshalb hasste er seinen Nachbarn auch so, und machte unnötig Stress, wegen Kleinigkeiten. Was für ein Idiot.
Mein Blick wanderte weg von streitenden, zur anderen Seite der Gasse. Dort war ein Modegeschäft, im Schaufenster stand die Blonde Sportbessesene Nachbarin von meinem Menschen. Sie dekorierte gerade die blasse, starre Frau im Schaufenster. Die blonde war eigentlich ganz nett, nur weckte sie mich oft morgens, oder störte Nachmittags meinen Schlaf, wenn ich Zuhause war, da sie Sport machte.
Mein Blick glitt weiter die Straße entlang, zu dem Geschäft meines Menschen. Direkt hatte ich den Geruch von Büchern n der Nase. Die mochte mein Mensch. Deshalb hatte sie auch Buchladen.
Gerade stand sie vor dem Geschäft und schloss die Tür ab.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, meine Ohren stellten sich auf und ich drehte mich um und sah in die Wohnung der alten Dame. Die nervige Digitaluhr auf der Kommode hatte mich geweckt, diese piepste jeden Tag zur selben Zeit. Kurz darauf schloss mein Mensch meistens ihren Laden und kam heim.
Ich stand auf, streckte mich noch einmal ausgiebig, schüttete mich und trottete dann langsam los.
Es war immer noch extrem heiß, meine Pfoten hatten kleine Schweißabdrücke auf dem Boden hinterlassen. Ich brauche essen und was zu trinken. Elegant sprang ich auf das Geländer des Balkons und von dort auf das Dach.
Die Ziegel glühten regelrecht, weshalb ich mich beeilte, wegzukommen. Ein paar Balkone weiter, hatte ich endlich meine Wohnung erreicht und sprang auf den Balkon. Die Tür war angelehnt, um zu lüften, was bei der Hitze eher kontraproduktiv war. Ich schlüpfte, hineinsetzte mich drinnen vor die Haustür. Keine Minute später wurde diese aufgeschlossen und mein Mensch kam herein.
Ich schmiegte mich sogleich an ihre Beine und begrüßte sie laut maunzend.

Wenn ich nicht sofort etwas Essbares finde, bringe ich ihn um. Ich habe seit vier Tagen und zwölf Stunden nichts mehr zwischen die Kiemen bekommen. Ich krümme mich. Mein Magen hat sich selbst verdaut. Meine Pfoten sind Eis, meine Ohren kurz davor, abzufallen. Es reicht. Ich mache nicht mehr mit.

Wieder sitzen wir vor dem Einkaufszentrum. Er und ich. Ich auf einer Decke, zu schwach überhaupt hochzuschauen. Er hockt auf einer Pappe mit einem lächerlichen Schild um den Hals, ich hänge mit einer Leine an einem Einkaufskorb. Er kettet er mich an und zerrt mich durch die Gegend. Jeden verdammten Tag. Wenn ich Glück habe, schmeißt er mir vergammeltes Fleisch vor die Füße. Wie gern würde ich ihn beißen. Ihm zeigen, mit wem er es zu tun hat. Ich bin zu alt und zu schwach. Ich kann nicht mehr. Und doch tut er mir leid. Sein Gesicht ist blass, mit roten Äderchen durchzogen. Seine Haare gucken strähnig unter der Schiebermütze hervor. Seine Klamotten sind abgewetzt. Er riecht nach einer Mischung aus Pfefferminz, Schweiß und Urin. Ich will nach Hause.

Nach Hause… auf meinen Bauernhof, weit entfernt von der Stadt. Zu den Schafen und den Hühnern. Ich habe sie geliebt. Bis zu jenem Tag, als mir beim Spielen ein Huhn kaputt gegangen ist. Ausgerechnet die Henriette. Es tat mir so leid. Ich hab sie erwischt. Da war so viel Blut. Es tut mir so unendlich leid. Dann musste ich gehen. Saß auf Beton hinter Gittern. Wurde von Hand zu Hand gereicht. Schwer erziehbar, haben sie gesagt. Versuch du dein Glück, haben sie gesagt. Der ist gefährlich, hol dir lieber einen Pudelwelpen. Ihre Blicke werde ich nie vergessen.

An einem Mittwoch im September haben sie die Tür nicht verschlossen. Ich bin gerannt, gerannt und gerannt. Immer schneller und schneller. Bis meine Pfoten wund gewesen sind. Als ich mich in einer Scheune verkrochen habe, hat er mich erwischt. Erst gefüttert und dann gefoltert. Und nun soll ich für ihn tanzen. Für ihn auf die Tränendrüse der anderen drücken. Die Stacheln um meinen Hals wachsen in mein Fleisch. Ich spüre den Schmerz nicht mehr. Ich spüre mich nicht mehr. Ich werde einfach die Augen schließen. Hoffen, dass es bald vorbei ist. Und einfach nicht wieder aufwachen.

Ich mag sie ja

Kurz zu mir. Alle nennen mich Karl. Ich weiß nicht mehr wie es angefangen hat, aber der Name hat sich herumgesprochen und ich find ihn irgendwie gut. Seit ich denken kann, lebe ich auf den Straßen dieser Großstadt. Ich habe einen sehr gemütlichen Karton unter einer Fußgangerbrücke, sogar mit einer kuschligen, abgewetzten Decke, die mir mal eine ältere Dame mitgebracht hat. Mit einer saftigen Fleischwurst. Die hatte sie vom Metzger Silvio, drei Blocks südlich. Seit diesem kulinarischen Höhenflug, mache ich mich unter der Woche jeden Morgen auf den Weg zu seinem Laden. Silvio hat immer etwas für mich über. Einmal war ich spät dran, da hatte er vor seinem Laden schon auf mich gewartet und sich offensichtlich Sorgen gemacht.
»Karlchen, du Schlingel. Wo warst du,« sprach zu mir, noch mehr mit den Händen gestikulierend.
Auf dem Weg zu Silvio komme ich an vielen guten Leutchen vorbei. Ann, die ihren Blumenladen gerade öffnet und mir immer einen Handkuss zuwirft, wenn sie mich sieht. Oder Lucas, der mir eine Schüssel Wasser vor sein Café stellt, wenn die Tische zurecht rückt. Zumindest macht er das, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, Ann an zu schmachten, wenn ihre langen, dunklen Haare im Wind wehen. Ich glaube er träumt immer davon, das der Handkuss ihm gelten könnte. Ich bin mir sicher, dass das auch so ist, aber Menschen und ihre sozialen Kontakte untereinander werde ich wohl nie ganz verstehen.
Ich liebe die Düfte, die mich begleiten. Die frischen Blumen, dann der Kaffee. Direkt danach kommt schon die Braserie von Olga. Von dort bekomme ich aber nie was, weil Olga nicht möchte, dass ich zu dick werde. Ein Straßenhund. Zu dick. Wie sie aussieht, möchte sie nur nicht teilen. Ich liebe sie dennoch.
Das schöne an dieser Gegend ist, dass nicht so viele Autos unterwegs sind. Dafür liefere ich mir immer ein kleines Rennen mit Paul auf seinem Fahrrad, wenn er zum Kiosk von Herrn Schröder fährt. Herr Schröder sieht uns auch immer schon kommen und wenn ich gewinne, bekomme ich immer ein Leckerchen. Wenn Paul gewinnt, bekommt er Gummibärchen für die Schule. Sagen wir so, die Leckerchen müssen öfter nachbestellt werden.
An Montagen freue ich mich immer schon besonders auf Silvios Laden. Am Wochenende hat er immer geschlossen, deshalb ist der Montag immer etwas ganz besonders. Eigentlich rieche ich ab dem Kiosk immer schon den würzigen Duft von Silvios Sortiment. Von dem Punkt aus ist der Weg wie schweben auf Wolken. Heute aber rieche ich seltsamerweise nichts. Oder nur schwach, wenn der Wind in meine Richtung weht. Ich beeile mich trotzdem, denn ich kann es kaum erwarten, ich bin auch nur ein Hund.
Vor Silvios Laden sehe ich viele Menschen stehen. Ob alles schon weg ist?
Ehe ich bei der Metzgerei bin, bewegt sich die Masse weiter die Straße runter, Musik ertönt und die Gruppe verschwindet hinter einer Ecke. Der Laden ist geschlossen. Keiner da und ich hab doch Hunger. Ich trotte etwas geknickt und mit gesenkten Kopf hinter den Menschen her. Ein vertrauter Duft zieht mich förmlich hinter ihnen her.
Ich folge den Gruppe einige Zeit ohne recht auf meine Umgebung zu achten. Die Stimmung, die ich mit dem Duft der Menschen vor mir aufsauge, hinterlässt ein bedrückendes Gefühl. Ich werde dann doch meiner Umgebung gewahr, als der Tross zum stehen kommt. Wir befinden uns in einer art Wald, von der Straße getrennt mit Mauern aus Stein. Generell gibt es hier viele Steine, die in der Erde stehen.
Weiter vorne spricht ein Mann im schwarzen Gewand, viele Schluchzen, eine Kiste wird in ein Loch gehoben (solide Arbeit dieses Loch, hätte ich nicht besser buddeln können). Hier stimmt doch was nicht. Ich schiebe mich durch die vielen Beine nach vorne. Als ich am Rand des Loches ankomme, lässt man mich rein schauen. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meinem Rücken. Etwas erschrocken schaue ich hoch und blicke in die verquollenen Augen von Olga, die mich trotzdem anlächelt.
»Er hat dich geliebt, Karlchen. Das hat er wirklich.« Sie reicht mir eine Fleischwurst, die ich dankbar annehme. Das bringt viele aus der Gruppe von Leuten zum lachen, während sie gleichzeitig weinen.
Menschen werde ich nie ganz verstehen. Aber ich mag sie.

Einmal um die Welt, bitte.

Angereist im Bananenkarton aus Brasilien - der Klassiker. Gut versteckt zwischen haufenweise gelben Früchten habe ich es mir für eine schier endlose Zeit in meinem braunen Gefängnis gemütlich gemacht. Was für eine Reise. Davon kann so mancher Zweibeiner (lächerliche Erfindung, so ganz nebenbei) nur träumen. Ich habe meine wohlig warme Heimat hinter mir gelassen und wo hat mich diese Irrfahrt hingeführt? Deutschland. Hätte ich das Kleingedruckte nur besser gelesen. Nun denn, irgendwie werde ich mich mit diesem nasskalten Grau dort draußen außerhalb des Supermarktes anfreunden müssen. Aber noch verharre ich im grellen Licht, das von der Decke auf das Obst um mich herum leuchtet und das ganze Zeugs viel saftiger erscheinen lässt, als es in Wirklichkeit ist. Ich verstecke mich, bis ein Opfer meiner Wahl eine der gelb-grünen Bananen greift und ich ganz eventuell eins meiner haarigen Beine ausstrecke. Die angsterfüllten Schreie jagen mir jedes Mal einen freudig erregten Schauer über den Rücken. So viel dazu, dass ich viel mehr vor Angst vor ihnen habe, als sie vor mir, hehe.

Maunzers alltägliches Abenteuer

Eines Morgens fraß ich gemütlich mein Frühstück, als mich plötzlich etwas an einem
meiner Schnurrhaare kitzelte. Wohl wissend, dass um diese Uhrzeit niemand im Haus
war, drehte ich mich in die Richtung, in der ich den Eindringling vermutete, machte
mich bereit zum Gegenschlag und … nichts. Da war gar keiner. Immer noch etwas
misstrauisch wandte ich mich wieder meinem Fressen zu. Doch da, schon wieder! Na
warte, wenn ich dich in die Pfoten bekomme…! Mit einem Ruck drehte ich mich um,
sah in alle Richtungen und lauschte dann aufmerksam. Nachdem ich jedoch auch nach
mehreren Momenten nichts Auffälliges entdecken konnte, schloss ich, dass mein
furchterregendes Aussehen den Kerl vertrieben haben musste. Vermutlich versteckte
er sich gerade zitternd in irgendeiner Ecke und schwor sich, nie wieder in mein Haus
einzubrechen.
Ein wenig stolz auf meine Leistung, wollte ich mich gerade wieder umdrehen, als mir
das kleine Küchenfenster ins Auge fiel. Es war geöffnet. Aha! Da musste er also
hereingekommen sein. Mit einem Satz sprang ich auf die Kante des Fensters und sah
heraus. Vielleicht würde ich ihn dort noch entdecken. Doch das tat ich nicht. Er war
vermutlich bereits über alle Berge. Sollte mir recht sein.
Als ich nun im Fensterrahmen saß und nach draußen schaute, war dort eine Welt, die
noch viel größer war als mein Haus. Alles duftete intensiv und machte Geräusche. Ich
hörte das Rascheln einer Maus im Gras, einige Vögel, die vermutlich im Baum neben
dem Haus saßen, das Hupen und Brummen der Autos in der Ferne und Gespräche,
die wohl vom Fußweg vor dem Haus an mein Ohr drangen.
Nach einem kurzen Moment der Überwältigung fokussierte mich auf das Rascheln
und schoss im nächsten Moment los. Das Mäuschen hatte keine Chance gegen einen
großen Jäger wie mich. Erst jetzt bemerkte ich das Gras unter meinen Pfoten, die
saftigen grünen Halme, die unter meinem Gewicht nachgaben und sich kühl
anfühlten.
Während ich noch vom Gefühl des neuen Bodens unter mir abgelenkt wurde,
erforderte plötzlich ein Summen dicht an meinem Ohr meine Aufmerksamkeit. Ich
erblickte eine fette bläulich schimmernde Fliege. Die traute sich doch tatsächlich
direkt vor meiner Nase langzufliegen. Was glaubt die, wer die ist? Ich lief ihr kurz
hinterher, hob meine Pfote, schnellte im nächsten Moment damit durch die Luft und
brachte die Fliege zu Fall. Nachdem auch das erledigt war, beschloss ich, wenn ich
schon einmal draußen war, auch auf eine kleine Erkundungstour zu gehen.
Ich lief also die Einfahrt meiner Menschen hinunter, überquerte die Straße und
schlenderte ein Stück über den Fußweg, wo ich einige Male um die Ecke bog.
Nach einer Weile, in der ich so vor mich hin trottete und das aufgewühlte Treiben der
Stadt auf mich wirken ließ, trat ich auf etwas, was direkt unter meiner Pfote nachgab
und sich knisternd dem Asphalt entgegenneigte. Sofort hob ich sie wieder, doch nach
einem kurzen Blick, sah ich, dass sich vor mir eine Höhle aufgetan hatte. Ich wusste
gar nicht, dass es sowas in unserer Stadt gab. Tommy, mein Menschenkind, hatte noch
nie etwas davon erzählt und ich war mir ziemlich sicher, dass sie eben noch nicht dort
gewesen war.
Mutig wie ich aber nun einmal bin, schnupperte ich kurz an dem braunen Ungetüm
und krabbelte dann mit dem Kopf voran hinein. Plötzlich war es dunkel. Ich wollte
mich umdrehen und wieder hinauslaufen. Doch als ich losrannte, schien die Höhle
mitzulaufen, denn es blieb finster. Panik ergriff mich und ich bereute zutiefst
überhaupt hineingekrochen zu sein, als ich gegen etwas hartes stieß. Im nächsten
Moment packte mich etwas an der Seite, es krabbelte kurz und dann war es wieder
hell. Eine alte Frau hatte mich gerettet. Ich schmiegte mich dankbar an sie und
bewunderte ihren Mut, sich für mich in eine solche Gefahr zu begeben. Aus diesem
Anlass beschloss ich bei ihr zu bleiben.
Wir liefen wieder durch zahlreiche Straßen und sie erzählte von ihrem Enkel, für den
sie noch eine Kleinigkeit einkaufen wollte. Ich fragte mich, ob sie es mir erzählte oder
doch eher mit sich selbst sprach. Schließlich konnte sie nicht wissen, dass ich sie
verstand. Vor einem großen Haus mit vielen leuchtenden Bildern blieb sie stehen,
verabschiedete sich von mir und ging dann auf ein großes Glas zu. Im nächsten
Moment war sie verschwunden. Ich war entsetzt. Wo war sie hin? War dies etwa auch
eine dieser fiesen Höhlen? Ich musste ihr helfen. Schließlich hatte sie mich eben auch
gerettet. Ich nahm all meinen Mut zusammen und lief ebenfalls auf das große Glas zu.
Nach ein Paar Schritten öffnete sich eine Seite wieder und ich trat heraus. Diesmal war
es nicht dunkel. Ich verstand, dass das Glas so etwas wie eine Tür sein musste. Dann
war das gar keine Höhle und die Frau wurde auch nicht von ihr verschlungen. Aber wo
war sie denn dann hin?
Ich sah mich um und fand mich in einer Menschenmenge wieder, doch die Frau blieb
verschwunden. Ich beschloss sie zu suchen und lief weiter. Nachdem ich das ganze
Haus erfolglos nach ihr abgesucht hatte, wollte ich eine Pause machen, um mir meinen
nächsten Schritt zu überlegen und lief auf eine Treppe zu. Doch als ich mich
daraufstellte, bewegte sich der Boden unter mir. Die Treppe lief unter mir, statt ich auf
ihr, faszinierend … und echt praktisch.
Oben angekommen, sprang ich auf das Geländer und balancierte dort entlang. Einige
Menschen drehten sich nach mir um und ich genoss die Aufmerksamkeit, bis ein Herr
auf mich zulief, der einen Besen in der Hand hatte, mit dem er mich wohl
verscheuchen wollte. Ich sprang vom Geländer und lief davon. Am Boden kam ich
besser durch als er und ehe ich darüber nachdenken konnte, sprang ich auf das offene
Fenster des Ganges zu und von dort aus auf das nahegelegene Garagendach. Als
nächstes hüpfte ich auf die angrenzende Mauer und dann auf die Mülltonnen in einer
Gasse. Erst zu spät bemerkte ich, dass der Deckel der letzten Tonne offenstand und
machte einen wenig eleganten Bauchklatscher in diese hinein.
Als ich den Kopf wieder hob, hing eine Bananenschale darauf. Ich schob sie schnell
hinunter, kletterte aus der Tonne und lief weiter. Beim Überqueren der Straße wich
ich mit einem flinken Sprung nach vorn einem Auto aus und fand ich mich auf einem
Schulhof wieder. Sofort wurde ich von einer Gruppe Kindern entdeckt. Einer hob mich
hoch, streichelte über meinen Kopf und begann dann, mich herumzureichen. Nach 3
Kindern nutzte ich die Chance bei der Übergabe, entwand mich ihrem Griff und
schlüpfte schnell unter dem Zaun hindurch. Ich hörte die Kinder hinter mir, wie sie
versuchten mich zurückzulocken und lief schnell durch mehrere Gärten, bis ich mich
weit genug entfernt wähnte.
Dort machte ich eine kurze Verschnaufpause, ehe ich mich umsah und etwas Buntes
vor mir entdeckte. Es leuchtete in den schönsten Farben, doch gerade, als ich an dem
farbenfrohen Sträuchlein schnuppern wollte, verlor ich auf einmal die Bodenhaftung
und etwas grub sich in mein mittlerweile lichtes Fell bis zu meinem Bauch hinein.
»Da bist du ja, Maunzer! Ich dachte schon du wärst für immer weg! In Amerika oder
so.«, hörte ich die Stimme, die ich unter tausenden wiedererkennen würde. Das war
Tommy, der mich da gerade in inniger Umarmung hielt und seine Wange gegen meine
presste.
»Ich hab dir doch gesagt, dass er sicher wieder nachhause kommen würde. Katzen
können sowas eben. Wahrscheinlich lag er sowieso nur irgendwo faul in der
Frühlingssonne.«, meinte seine Mutter Marianne, nun. Von wegen faul in der
Frühlingssonne! Der werd‘ ich’s zeigen!
»Das glaub ich nicht. Er war bestimmt in Afrika oder Australien! Hab‘ ich recht,
Maunzer?« Wie gern würde ich Tommy jetzt von meinem Abenteuer berichten, doch
er verstand mich ja leider nicht. Also maunzte ich nur zur Bestätigung und schob
meinen Kopf mehrmals von unten gegen sein Kinn, was er mit einem strahlenden
Lächeln quittierte.

Schlaraffenland der Trübseligkeit

Traurigschön und von Hoffnung betrübt friste ich mein Dasein in diesem Schlaraffenland der Trübseligkeit. Als der letzte meines Wurfes gelang es mir, den Schändern zu entwischen und dank des Unrates der Menschen zu überdauern. Ich, ein Welpe, dem es nicht vergönnt war, zu leben, und durch eine Ironie des Schicksals die Flucht gelang, verdanke mein Leben einem Postboten, der die Tür zu weit öffnete. Ich floh vor meinen Herren, die nur meinen Tod wollten. In ihren Augen war ich nur ein Unfall und musste weg.
In dieser umgefallenen Tonne in einer finsteren Gasse fand ich seit einigen Tagen ein neues Zuhause. Meine Mitbewohner – die Ratte vom angrenzenden Kanal und einige Tauben, die öfter mal nach dem Rechten sahen – interessierten sich eher für die nächsten Essensabfälle der Menschen, als für mich.
Zu gern würde ich rausgehen, um zu sehen, was sonst so um mich herum geschieht. Tausende Düfte lockten mein feines Näschen, doch war die Angst zu groß.
Es war wieder so weit. Es gab neues Essen. Mit etwas Glück sind neben gammligem Gemüse auch ein paar faule Würste dabei. Doch was war das?
Jemand rüttelte an meiner Tonne und stellte sie auf. Ich kullerte durch die gesamte Tonne und stieß mir böse den Kopf. Mein Aufheulen verriet mein Versteck.
Ein alter, bärtiger Mann und ein junges Mädchen mit Brille blickten in die Tonne.
Grobe kalte Hände griffen mich und hoben mich hinaus.
„Opa, der ist so süß. Können wir den mitnehmen?“
Ein tiefes Brummen des Mannes ließ mich zusammenzucken. Ich hoffte nur, dass er mich jetzt nicht fallen lassen würde.

All dies ist nun zwei Jahre her. Heute flitze ich mit Greta um die Wette und bekomme von Opa Klaus immer genügend Futter und darf am warmen Kamin einschlafen.

Superkräfte

Ich bin deutlich kleiner, als die meisten Lebewesen, aber ich habe Superkräfte. Selbst, wenn ihr mich seht, bin ich meistens schnell und wendig genug, um euch auszuweichen. Und ich kann gleich zweifach zu Tode nerven! Wenn ich um euch herumfliege, hört ihr ein nervenaufreibendes, hochfrequentes Summen. Wenn ich euch steche, treibt euch mein Speichel mit einem starken Juckreiz in den Wahnsinn. Bestimmt habt ihr schon erraten, wer ich bin …

Schultag

Müde reibe ich mir den Schlafsand aus den Augen.
Mit einem leichten Wischer rufe ich gleich einmal jenen kleinen, unermüdlichen Racker zur Ordnung, der da so frech auf mir herumklettert, als gelte es, schon morgens in aller Frühe den ersten Achttausender zu bezwingen.
Für gewöhnlich folgt jetzt ein beleidigtes sich Einrollen und verlegenes Pfotenknabbern.
Zeit durchzuatmen? Fehlanzeige.
Gleich werden wir uns durch das Dickicht wilder Brombeerhecken schlagen und unserer Erfrischungsregentonne einen Besuch abstatten. Mein tapsiger, kleiner Wirbelwind folgt mir dabei brav in meinem frühmorgendlichen Schattenwurf.
Ich reagiere morgens eher behäbig, sehe zwar noch, wie sich die Tonne unter mir wie in Zeitlupe neigt, da kippt sie auch schon, und die Flut ergiesst sich auf mein zottiges Fell, es gibt schlimmeres, oder?
Natürlich ergreift mein cleveres Kerlchen die Gelegenheit, seinen Durst ebenfalls zu stillen, bis ich das restliche Wasser schließlich aus dem Fell schüttle.
Übermütig fegt nun Knäuel durch unsere hochstehende Blumenwiese, scheucht dabei all unsere Insekten von ihrem Frühstück auf. Ich stehe auf, um einmal die Lage zu checken, entdecke dabei ein Haus der Menschen ganz in der Nähe, von dessen Dach aus das helle Läuten eines Glöckchens zu hören ist.
Erinnerungen aus meiner eigenen Welpenzeit werden wach, eine Feuerglocke bimmelte wütend, der Zirkus stand in Flammen, wie wir voller Panik ausbrachen und in den Wäldern Schutz suchten vor den Häschern und Jägern.
An viel mehr kann ich mich nicht mehr erinnern, ich war damals selbst noch ein Welpe, vielleicht etwas älter als Knäuel heute.
Alarm! Mein Instinkt gewinnt die Oberhand!
Wo bist du? Ich schnaube ärgerlich. Diesen Bengel zu beaufsichtigen ist anstrengender, als aus einem Bienenstock Honig zu naschen! Ich halte besser noch einmal die Nase in den Wind, um nach dem Rechten zu sehen.
Dahinten ist er ja, mein süßer Ausreißer! Und wie ungestüm er sich durch das Blumendickicht unserer Wiese schlägt, geradewegs zu dem Haus, furchtlos und frech hinein in die jauchzende Gruppe von Menschenwelpen, die mit vielen Aaahs und Ooohs meinen wehrlosen Schatz empfingen.
Ich sollte dem kleinen Draufgänger doch nochmal erläutern, dass wir eigentlich Einzelgänger, Raubtiere und des Menschen Feind sind. Und mein Lauser leistet sich so ne Schnitzer!
Ich schleiche mich besser mal zum Ort des Geschehens, wo der sich bietende Anblick mir ein beruhigtes Brummen entlockt, das glücklicherweise durch den Spiellärm der Menschenwelpen übertönt wird.
Ich sehe, wie Knäuel auf dem Arm gehalten wird, während dessen von anderen gestreichelt, geherzt, gedrückt, geknufft und beschnuppert wird, schliesslich zu neuen Händen gereicht wird, und es geht von vorne los.
Bis ich dem kleinen Helden den Menschengeruch wieder abgeschleckt habe, wird mir Angst und Bange, und dann tagelang der Geschmack auf der eigenen Zunge!
A propos Geschmack, jetzt füttern sie ihn auch noch, Butter- und Wurstbrote, Marmeladenbrötchen, da geht ja ne Menge rein in meinen kleinen Nimmersatt.
Eine Menschenfrau mit großer Brille erscheint und klatscht in die Hände.
»Kinder, kommt alle wieder rein? Die Pause ist schon lange vorbei!«
»Och nöö! Wir spielen gerade soo schön! Wir haben ein kleines Bärchen gefunden und das müssen wir füttern, weil es doch so hungrig ist!«
»Ihr seid um kein Märchen verlegen, um die Pause zu verlängern! Jetzt aber keine Ausreden mehr, bei drei sind Alle wieder in der Klasse, eins - zwei - und…«
»Tschüss, bis bald, du süsser Knuffi, bis später, du lieber kleiner Teddy, juhu, das war aber lustig! Bis später, und sei nicht traurig…«
Eins nach dem anderen laufen sie in ihre Klasse, und mein Knuddel bleibt verdutzt und verlassen zurück.
Von seinem Abenteuer ermattet, jammert mein Knäuel jetzt nach seiner Mutter, und so gebe ich meine Deckung auf, um meinen jetzt eingeschlafenen Draufgänger behutsam zurück in die sichere Deckung unseres Brombeergestrüpps zu tragen.

Reviergang

Die warme Sommernacht ist bereits fortgeschritten. Ein lauer Wind trägt die Paarungsrufe einiger junger Menschenmännchen herüber. Das Keckern der Weibchen schrillt gelegentlich durch den Park und übertönt damit das nervig laute Gestampfe aus einer dieser schwarzen Kisten.

Endlich ist etwas weniger los auf den steinernen Wegen des Todes und ich kann meinen Reviergang hinter den großen Häusern fortsetzen. Lautlos husche ich über die Straße und spähe an der Hausecke in den Hof, als ein lieblicher Duft meine Nase erreicht.

Leblos aneinander gereiht stehen hier viele dieser Metallungeheuer, die tagsüber wahllos Menschen verschlingen, ausspucken und zwischendurch alle möglichen Tiere überrennen. Doch ich kenne ihre Tricks. Bevor sie angreifen geben sie ein tiefes Knurren von sich und nachts leuchten ihre Augen blendend hell. Diese hier scheinen tief zu schlafen, nur das Mondlicht und das tanzende Flackern an einem Futterhaus der Menschen spiegeln sich in ihren glänzenden Panzern.

Ich atme tief ein und da ist es wieder. Dieses süße Versprechen kommt angeschwebt, jetzt noch deutlicher, und lässt mich voller Vorfreude vibrieren bis in die Barthaare.

Ohne weitere Vorsicht eile ich dem verheißungsvollen Duft entgegen, als sich ein anderer Geruch irritierend streng dazwischen schiebt. Ich gerate ins Stocken, halte inne neben einer der Mörderkisten und werde eingehüllt von diesem beißend männlichen Gestank, der sofort meinen Zorn aufblühen lässt. Du wirst mir nicht dieses wunderbare Weib streitig machen! Ich werde dich verjagen mit meiner männlichen Männlichkeit! Ich werde dich beißen und kratzen und aus MEINEM Revier vertreiben! Nimm das, du, du gnarrrgg!

Aus dem Tagebuch eines Hundes

„Buddy, bitte benimm dich heute in der Vorlesung, das ist ganz wichtig für mich“, erklärte mir Amelie mit ernster Miene und ich legte den Kopf schief. Das tat ich immer, wenn sie mich so ansah, ich wusste dann, dass es um etwas Wichtiges
ging.

Zur Zustimmung leckte ich ihre Hand ab und wedelte so heftig mit meiner Rute, wie ich nur konnte.

Ich war in freudiger Erwartung auf irgendwas Leckeres, aber was auch immer diese „Vorlesung“ war, vielleicht gab es da etwas?

Amelie war mein Mensch. Ich liebte sie über alles. Gerettet hatte sie mich, als ich als kleiner Welpe als Geburtstagsgeschenk für das Kind der Familie angeschafft wurde. Doch das Kind tackerte mir in die Ohren, malte mich an, zog mich am Schwanz
und das gefiel mir überhaupt nicht. Ich knurrte, um das Kind zu warnen, doch es hörte nicht auf, mich zu ärgern.

Irgendwann begann das Kind besonders doll an meinem Ohr zu ziehen, ich wusste mir nicht anders zu helfen, als mich zu verteidigen.

Das nächste was ich weiß, war, dass ich in einem stinkenden Hinterhof aufwachte, es regnete stark und ich zitterte vor Kälte in einem aufgeweichten Karton.

Ich wurde traurig, wo war meine Familie? Ich winselte und jaulte, doch niemand konnte mich hören. Die Menschen gingen mit gesenktem Kopf vorbei, doch sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie mich nicht bemerkten.

Nach einer langen Ewigkeit hörte ich Schritte und roch einen wundervollen Duft. Jemand hatte mich doch gehört!

Es war Amelie. Sie entdeckte mich, nahm mich hoch und mit nachhause, wo sie mich wärmte und mir etwas zu fressen gab.

Sie nannte mich Buddy. Ich weiß nicht, wieviel Zeit seitdem vergangen war, aber es war die schönste Zeit meines Lebens und ich wusste, ich würde nie mehr woanders sein wollen.

Sie legte mir mein Halsband um, es war blau und sie hatte gesagt, dass da Buddy draufstand. Die Leine klickte und endlich ging es los.

Die Treppe trug sie mich hinunter, sie sagte oft, dass die Treppen nicht so gut für meine Knie wären.

Mir gefiel es auf ihrem Arm, manchmal schimpfte sie, ich würde so viele Haare verlieren, das tat mir dann leid, aber wie sollte ich das ändern?

Es war so ein schöner Tag, ich musste mich zusammenreißen, bei den vielen herrlichen Düften überall, aber Amelie hatte mir beigebracht, lieb neben ihr an der Leine zu laufen. Das war in der Großstadt alles andere als einfach, aber ihr zuliebe tat ich es!

Wir fuhren mit der Bahn durch die Stadt, das kannte ich bereits. Ich lag dann ganz lieb auf ihrem Schoß, auch wenn mir manchmal die vielen lauten Geräusche und Menschen Angst machten. Ich wusste ja aber, sie war da und würde mich beschützen.

Wir stiegen schließlich aus und durch einen grünen Park, in dem es wunderbar roch. Anschließend liefen wir in ein Gebäude, in dem wieder ganz viele Menschen waren. Ein paar kamen her und sagten, wie süß ich sei.

Dann gingen wir in einen Raum, in dem alle leise sein mussten und einer vorne redete. Unter dem Tisch legte Amelie eine Decke hin und ich rollte mich gemütlich auf ihr zusammen. Vorher bekam ich noch ein ganz leckeres Stück Wurst. Zufrieden
schlief ich ein, ich merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Amelie weckte mich sanft und sagte, es sei Zeit, wieder heimzugehen.

„Buddy, das hast du ganz toll gemacht, Mami ist so stolz auf dich“ sie bekam eine ganz hohe Stimme und dabei knuddelte sie mich ganz doll. Ich mochte es, wenn sie mit mir so sprach.

Ich wollte nie wieder woanders sein.

Der Löwe in mir

Endlich bin ich diesem Gefängnis entkommen, es war eine verdammt schwere Arbeit. Da wäre ich doch beinahe mit meiner langen, imposanten Mähne in einem Zaungitter hängengeblieben. Meine Tatzen habe ich mir beim Graben wund gerieben, und das brennt jetzt höllisch, wenn ich laufe. Ich könnte brüllen vor Schmerzen, aber ich bin frei, frei, frei!

Es dämmert, und bald wird die Sonne aufgehen. Dann kann ich meinen Erkundungsgang beginnen. Dahinten öffnet sich gerade eine Tür. Ist dahinter ein Käfig? Da schaue ich gleich mal nach, welche Tiere sie dort gefangen halten. Ach, das sind Zweibeiner so wie da, wo ich ausgebrochen bin. Warum sehen die so erschrocken aus, was ist denn mit denen? Ich brülle zum Gruß, und zack, da sind sie plötzlich verschwunden. Es kommt wieder einer heraus und wirft etwas nach mir. Das Ding ist rund, weich, hell und duftet einigermaßen gut, ist aber nicht meine Geschmacksrichtung. Ich gehe mal weiter, ob ich etwas Besseres zu futtern finde, inzwischen bekomme ich Hunger wie ein Löwe. Haha! Ein paar Häuser weiter riecht es ausgezeichnet, ja, das ist mein Geschmack. Auch hier sind wieder erschrockene Zweibeiner, wovor haben die alle Angst? Ich bin gespannt, was die mir zum Fraß vorwerfen. Da kommt schon ein großer Brocken geflogen. Das duftet aber gut, da läuft mir sofort der Sabber aus dem Maul. Oh, war das lecker.

Ich höre die Vögel zwitschern, das kenne ich, dann wird es bald hell. Mit einem Mal sind viele Zweibeiner unterwegs. Wie schnell die sich fortbewegen, wo die wohl alle hinwollen? Was ist das denn, da steigt jemand in einen Blechkasten mit vier Rädern, dann rollt er plötzlich mit viel Lärm davon. Manche kommen an, bleiben stehen, die Türen gehen auf, und Leute steigen aus. Große und auch kleine, die werden von den Großen herausgetragen.

Der Boden hier draußen gefällt mir gar nicht, der verursacht Schmerzen an meinen Tatzen. Die brennen schon wieder so stark. Der harte Untergrund scheuert, außerdem wird das Zeug auch noch heiß, je höher die Sonne steht. Vor mir läuft ein Hund mit vier Schuhen, wahrscheinlich als Schutz vor Hitze und Aufscheuern. Der hat es gut, die Zweibeiner passen gut auf die Fellnase auf, dass sie sich wohlfühlt. Wahrscheinlich sind die Menschen doch nicht so übel. Sie wollen, dass es den Tieren an nichts mangelt.

Jetzt habe ich eine kleine Katze entdeckt wie lustig. Ob die auch Angst vor mir, der Großkatze, hat? Wahrscheinlich, ja, da läuft sie schon davon.

Ein riesiger Blechkasten knattert an mir vorüber, er ist sehr laut. Jetzt hält er, die Türen öffnen sich, wie von Geisterhand, und es quellen eine Menge Zweibeiner heraus. Auch mittelgroße, die etwas auf dem Rücken hängen haben, sie laufen über die Straße und verschwinden in einem großen Gebäude.

Mir tun die Tatzen weh, ich habe Hunger, die Welt um mich herum ist fremd, und jeder hat Angst vor mir. Ich denke, ich gehe zurück in mein Gefängnis. Eigentlich ist es gar keines, wenn ich das so richtig bedenke. Dort ist es ruhig, ich werde gepflegt, gefüttert, die Zweibeiner mögen mich und haben keine Angst vor mir. Wenn ich wieder dort bin, müssen sie als Erstes meine Tatzen einbalsamieren, die schmerzen immer noch gewaltig. Wäre ich doch nur im Zoo geblieben, da draußen ist es zwar sehr interessant, aber auch stressig. Ich freue mich schon auf das Wiedersehen mit Tierpfleger Klaus.

Landflucht

Handlungsort:
Stadtrand von Graz, Autobahnknoten Ost. Zwei Autobahnen treffen sich hier und bilden ein überdimensionales Verkehrsdreieck. Eingeschlossen vom Lärm der Autobahnen ist eine Großbaustelle, vor der auf einer hausgroßen Tafel das Versprechen prangt: „Hier entsteht ein modernes Einkaufszentrum mit Erlebnis- und Freizeitpark.“
Innerhalb des weitläufigen Bauzaunes sitzt der Fuchs Reineke auf einer Schutthalde vor der Betonröhre eines aufgelassenen Abwasserkanals und späht über sein Revier.

Der nahende Winter kündigt sich an. Die Luft ist durchtränkt von Nebelschwaden, die um grelle Scheinwerfer verschwommene Lichtkränze erzeugen. Es beginnt zu nieseln. Das beruhigt mich, denn bei solchem Wetter bleiben streunende Zweibeiner mit ihren freilaufenden Hunden dem Gelände fern.
Die letzten Maschinenmonster legen sich schlafen. Das Kreischen, Brummen und Wummern erstirbt. Kurz darauf verlassen deren zweibeinige Anführer das Baugelände. Der unaufhörliche Lärm und Gestank, den die Jagdmaschinen außerhalb des Zaunes Tag und Nacht erzeugen, tritt in den Vordergrund.
Seit dem Sommer letzten Jahres beobachte ich jeden Tag dieses immergleiche Ritual. Ich weiß, nur im Winter ruhen die Maschinenmonster. Ihr Winterschlaf wird dann enden, wenn der Schnee schmilzt und das erste Gras grün wird.
Tapsende Schritte nähern sich von hinten. Herbstlaub und Blätter rascheln unvorsichtig laut. Ich brauche mich nicht umzudrehen, um zu erkennen, wer heran trottet. Sein Geruch ist einzigartig. Es ist der Dachs Isegrim, mein Freund und Jagdkollege. Dieser hatte es letzten Herbst geschafft, ebenfalls den Todesring mit den rasenden Maschinenjägern zu überwinden.
Uns verbindet vieles, daher bot ich ihm an, dass er meine Luxushöhle gemeinsam mit meiner Familie nutzen kann.
Meine Frau, die schönste Füchsin, die ich je getroffen habe, war sofort einverstanden, da unsere vier Jungen bereits kurz vor der Selbstständigkeit stehen.
„Schön, dass du schon wach bist, Isegrim, es wird bereits dunkel“.
Er stellt sich neben mich, schnüffelt in alle Richtungen. Im Vergleich zu mir ist er fast blind und taub, aber seine Nase macht dies alles wett. Wir ergänzen uns ausgezeichnet.
„Alles in Ordnung, niemand war hier, nur dort am alten Baum weit außerhalb des Zaunes hat ein Hund markiert.“, knurrt er und fragt, „Hast Du etwas Verdächtiges gehört oder gesehen?“,.
„Ein einziger Zweibeiner läuft noch herum und schließt die Zugänge zu unserem Revier.“
Isegrim setzt sich dicht neben mich. Ich genieße seine Wärme und den vertrauten Geruch im stärker werdenden Regen.
Während wir geduldig warten, bis die Sonne völlig untergeht, flammt eine Kette von Lichtern entlang des Todesstreifens hinter uns auf. Die schlafenden Maschinenmonster vor uns und steinernen Würfel, die ständig wachsen, wirken in diesem gelben Schein seltsam bedrohlich und fremdartig.
Das nahe Rauschen der vorbeisausenden unvorstellbar schnellen Jagdmaschinen außerhalb des Revierzaunes stört uns hingegen nicht mehr. Wir wissen inzwischen, dass diese Ungeheuer niemals vom glatten, schwarzen Pfad abweichen.
„Isegrim“, frage ich, „wie hast Du es damals geschafft, den Todesring mit den rasenden Maschinenjägern zu überwinden?“.
Er seufzt und antwortet erst nach einigen Sekunden.
„Ach, ich mag gar nicht daran denken. Wir Dachse sind ja nicht die schnellsten Läufer. Aber eines Nachts entschlossen wir uns spontan aus dem alten Revier zu fliehen. Ich wartete mit meiner Familie bis kurz vor dem Morgengrauen eine Lücke in der jagenden Herde entstand. Ich lief voraus und schaffte es, auf die andere Seite des doppelten Todesstreifens zu gelangen. Aber meine zwei Kinder dachten, der schmale Grasstreifen in der Mitte der Todesbahnen sei bereits das Ziel. Sie schnüffelten dort zu lange. Bis meine Frau sie dazu brachte, mir zu folgen, war es für alle zu spät. Eine neue Todesschwadron von besonders großen Riesen sauste bereits heran.“
Isegrim machte eine Pause und schnüffelte heftiger als sonst. Mit leiser Stimme fügte er hinzu „Nun ja, seit damals bin ich einsam.“
Ich legte mitfühlend meinen Schweif auf seinen borstigen Rücken.
„Möchtest Du zurück in die alte Heimat?“
Isegrim ließ die Ohren hängen und seine großen schwarzen Augen blickten entlang der Lichterkette hinter uns.
„Mein altes Revier liegt zwei Tagesreisen im Norden und wurde von den Zweibeinern für mich und meine Artgenossen systematisch unbewohnbar gemacht. Wir waren kurz vor dem Verhungern. Es gibt kein Zurück – für niemanden!“
„Du hast recht“, pflichtete ich ihm bei, „uns geht es gleich. Wir hatten einen Wald an einem Berghang ganz allein für uns. Jetzt müssen wir uns mit diesem armseligen Revier begnügen, ständig auf der Hut vor den Zweibeinern.“
Isegrim schnaufte rau, wie es seine Art war.
„Wenigstens gibt es hier keine Jäger und die Speisekammer der Zweibeiner ist offen.“
Er schnüffelte in Richtung der schwarzen Behälter, die neben einer Mauer standen. „Heute sind besonders leckere Sachen dabei. Auch Fleisch.“
Der Ruf einer Zwergohreule über uns mischte sich in das Rauschen vom Todesstreifen. Ich stand auf und streckte mich.
„Gut, ich sage meiner Familie, dass wir uns alle auf den Weg machen können. Holen wir uns die Beute. Pass aber diesmal auf, dass du dir nicht wieder die Zunge an den scharfen Dosen schneidest!“
„Ich bin nicht so dumm, wie du denkst!“, keifte Isegrim beleidigt zurück „Sorge lieber du dafür, dass deine Jungen nicht wieder an diesen weichen durchsichtigen Blättern fast ersticken!“.

Am Morgen des nächsten Tages sammelten zwei Bauarbeiter verstreute Dosen und zerkaute Plastikverpackungen zurück in die Müllcontainer.
„So eine Sauerei! Wieder diese verfluchten Viecher! Wir sollten endlich den Müll in einen eigenen Raum sperren.“
Sein Kollege beruhigte: Ab nächster Woche ist eh Schluss damit. Die Verwaltung lässt Giftköder auslegen. Und wenn erst der Parkplatz betoniert ist, sind alle Viecher sowieso endgültig weg.
„Hoffentlich!“ Keifte der Erstere. „Ich freue mich schon riesig auf das neue Einkaufszentrum und den Erlebnis-Freizeitpark.“