Hommage an Herb
Langsam lasse ich meinen silbergrauen Acht C ausrollen, noch ganz kurz knirscht der Kies unter den Rädern, bevor der Wagen steht. Dann drehe ich den Zündschlüssel und das satte Röhren des Achtzylinders erlischt. Jetzt ist es ganz still. Ich liebe dieses kurze Vakuum zwischen dem aufdringlichen Lärm der Fahrt und dem stillen Lärm der Ankunft. Fast traue ich mich nicht zu atmen, nur weil ich diesen Moment nicht zerstören will.
Nach einer Weile öffne ich die Türe - klack macht das - steige aus, gehe zum Kofferraum, nehme mir meine alte Tumi Tasche und setze meinen grauen Boston Pork Pie auf. Eine Jacke brauche ich nicht. Es ist kurz nach neun, langsam neigt sich die Sonne dem Meer entgegen, das irgendwo hinter den Dünen liegt. Die Fahrt war lang, meine Kehle ist staubtrocken.
Ich verlasse den Parkplatz nach rechts. Ein kleiner Pfad schlängelt sich hinauf. Es geht links vorbei an einer kleinen Strand-Kiefer, der Boden ist noch steinig, aber an der nächsten Biegung kommt ein Findling und dort wird der Untergrund sandig. Ich ziehe meine Schuhe aus und lege sie auf die Tasche.
In diesem Moment steigt mir die salzige Luft des Meeres in die Nase. Es riecht nach Sonne und nach den Holzbohlen vom Steg und es riecht nach frischem Gras und nach den Wildblumen, die wie bunte Tupfer das Grün der Dünen durchziehen. Der Wind weht leicht durch den Strandhafer und das sieht ein bisschen so aus wie Wellen an Land. Mit jedem Schritt verblasst die Erinnerung der Stadt, mit jedem Schritt verblassen die Stimmen der Mandanten. Endlich erscheint hinter der letzten Düne meine Hütte, der Strand, das Meer und auch der hölzerne Steg.
Herb hat die Hütte wie immer vorbereitet, ich lege die Tasche auf das Sommerbett und gehe zum Kühlschrank. Im Eisfach finde ich die beiden Tumbler mit Eiswürfeln. Ich nehme sie raus, fülle sie je zur Hälfte mit Monkey 47 Dry Gin und mit Thomas Henry Elderflower. Alles steht genau dort, wo es hingehört. Herb macht das wirklich gut, soviel steht fest.
Jetzt wo ich an Herb denke, sehe ich ihn wieder vor mir. Seinen aufrechten Gang, den schlanken Körper und die immer schwarze Kleidung mit den offenen Ledersandalen von Bottega Veneta, die er auch im Winter und auch vor Gericht getragen hat. Ich sehe auch sein Gesicht, das von seinen weißen, schulterlangen Haaren und seinem Vollbart nahezu verdeckt wird.
Sein Leben als Strafverteidiger hat tiefe Furchen gegraben, seine Augen sind immer klar. Und ich sehe auch das Tattoo des kleinen Prinzen, das aussieht, als umarme er Herbs Hals.
Also, vor mir stehen die beiden Gläser. Das erste Glas leere ich sofort. Mit dem zweiten gehe ich über den Strand zum Steg und setze mich vorne auf den Rand. Der Gin fängt langsam an zu wirken, das weiß ich. Es beginnt hinten rechts im Auge und breitet sich dann über das gesamte Sichtfeld aus. Das Meer vor mir wird Stück für Stück verschwommener und am Rand löst es sich einfach auf.
Genau das, die sanften Wellen am Steg und das leichte Klicken der Eiswürfel machen mich ganz ruhig. Ich sitze da bis die glutrote Sonne im Meer versunken ist. Dann gehe ich zurück zur Hütte, lege mich aufs Bett und schlafe ein.