Seitenwind Woche 5: Verlassene Orte

Die verlassene alte Steinhütte

Sie schien niemandem zu gehören. Heute war es endlich so weit, wir schlichen uns dort hin.

Die Eingangstür war nicht verschlossen, ich drückte die Klinke runter und die Tür öffnete sich mit einem knarzen. Neugierig sahen wir hinein. Uns schlug ein alter, modriger Geruch entgegen, der uns nicht davon abhielt weiter zu gehen. Die ganze Hütte schien nur aus einem Raum zu bestehen, nein es war doch noch eine Tür da. Wir sahen uns umsichtig, neugierig um. Mitten im Raum stand ein Sessel, ein alter verstaubter Wohnzimmertisch aus dunklem Holz. Er hatte einige Gebrauchsspuren und abgesplitterte Kanten. Wir entdeckten drei schmuddelige Fenster, die schon ewig keinen Lappen mehr gesehen haben. Auf der rechten Seite befand sich ein Kamin, in dem nur noch Asche lag, er wurde schon ewig nicht mehr benutzt. Direkt daneben war ein ordentlich gestapelter Haufen Holzscheite. Eine kleine Kochecke gab es auch, sie war verstaubt und schmuddelig, wie alles andere. »Wann hier wohl das letzte mal gekocht und geheizt wurde?« Ich zuckte mit den Schultern. Die kleine Essecke wirkte abgesehen vom Staub, als hätte hier jemand gleich essen wollen. Er war gedeckt, ein Teller, Messer und ein Glas standen darauf. Mit gerümpfter Nase, sah ich auf das vergammelte Brot auf dem Tisch.
Mein Blick fiel auf ein großes Bücherregal, es war gefüllt mit einer Menge altwirkenden Büchern. Sie waren abgegriffen und verstaubt, zum Teil hingen Spinnweben daran herunter. Ich wies mit der Hand darauf »Das sehen wir uns gleich noch genauer an.« Neben dem Bücherregal stand ein hübscher, alter abgegriffener Sekretär. Er war aufgeklappt und darauf lagen einige Schreibutensilien, sogar ein paar Tintenfüller und Tintengläser. Was mir ins Auge fiel, war ein großes braunes Buch. Es sah irgendwie geheimnisvoll aus. Ich nahm es in die Hand und blätterte, alles darin war mit der Hand geschrieben, schwer zu entziffern, was Bücher betrifft, war meine Neugierde kaum zu bändigen. Ich klemmte es mir unter den Arm. Wir gingen wieder zum Bücherregal, so viele alte Bücher »Meinst du wir dürfen sie uns ausleihen?« Die Frage wollte ich nicht direkt beantworten. »Wir können ja wieder kommen und uns eins nach dem anderen genauer ansehen.«
Die gesamte Hütte wirkte etwas gruselig, magisch und gleichzeitig einfach nur alt und unbewohnt.
Mein Blick schweifte weiter, zur nächsten und einzigen weiteren Tür dieser Hütte, dahinter entdeckten wir ein kleines Badezimmer, darin gab es ein winziges Fenster, eine Dusche, ein Waschbecken und einzelne veraltete Pflegeartikel. Wir traten zurück in den Hauptraum. An der Garderobe, neben der Eingangstür hing ein alter, muffiger Mantel und eine ebenso alte Mütze. Ein kleines zerwühltes Bett und einen Kleiderschrank mit einer verschnörkelten Gravur, aus der ich 1883 entzifferte. Er war mit Schnitzereien verziert und roch nach altem Holz und alter muffiger Kleidung. Wir trauten uns nicht, die Türen dazu zu öffnen, warum kann ich nicht mal sagen. Vielleicht aus Schutz der Intimsphäre? Wir beschlossen die Hütte wieder zu verlassen, nahmen uns aber vor, wieder zu kommen. Das Buch, was ich immer noch unterm Arm hielt, nahm ich mit und wollte es beim nächsten Mal wieder zurücklegen.

Und wir kamen wieder, nicht nur einmal, sondern deutlich häufiger. Die verlassene Hütte sollte nicht mehr verlassen sein.

Geheimnisse sollten welche bleiben

Nur zaghaft legen sich meine Finger um den Türgriff zu einem weiteren Raum. In diesem alten verlassenen Haus, welches komplett abgeschottet von der Außenwelt in einem dicht bewachsenen Waldgrundstück lag, überlebte ich bereits einige Überraschungen. Jedoch hätte ich dieses Zimmer fast übersehen. Vollkommen in Dunkelheit gehüllt, blitzte der Türgriff unmerklich im Schein meiner Taschenlampe auf. Mein Herz klopfte vor Aufregung, wobei sich auch Angst mit untermischte, erwischt zu werden. Vorsichtig schob ich die Tür auf. Mit dem ersten Schritt, den ich tat, vernahm ich ein knirschendes Geräusch unter meinen Schuhsohlen. Im Schein meiner Taschenlampe erkannte ich Glasscherben und daneben den dazugehörigen Bilderrahmen. Mein Blick fiel auf ein Foto, welches sich zwischen zwei hölzernen Teile des Rahmens geschoben hatte. Ich leuchtete auf das Gesicht des Mannes. Augenblicklich wurde mir merkwürdig zumute. Ein flaues Gefühl der Angst breitete sich über meinen Bauch im ganzen Körper aus. Seine Augen, schienen mich direkt anzusehen. Ein angsteinflößender Blick, der unter die Haut ging und mich augenblicklich warnte, keinen weiteren Schritt zu tun. Meine Neugier war geweckt. Langsam bückte ich mich, mit zittrigen Fingern zu dem Bild. Bevor ich es jedoch erreichte, füllte ein lautstarkes Poltern den Raum. Augenblicklich fuhr ich zu einer Wand herum, vor dem ein Schreibtisch stand. Kleine Wolken aus Staub, zeigten an, woher dieses Geräusch kam. In diesem Dunst erkannte ich eine noch wackelnde Schreibtischlampe, deren grüner Schirm noch aus den siebziger stammte. Daneben einige Zeitungsberichte. Ohne mich von dem Bild ablenken zu lassen, trat ich näher heran, leuchtete auf den Schreibtisch und las die Überschriften, des Berichtes.
„Polizei ratlos. Mörder noch immer nicht gefasst. Erneut tappt die Polizei im Dunkeln. Mörder immer einen Schritt voraus.“
Mein Blick wanderte weiter nach oben zu der Wand dahinter. Auch hier hingen Berichte, Fotos und …
Einige von ihnen enthielten Bilder von Menschen, deren Köpfe eingekreist oder mit einem Kreuz versehen zeigten.
Mein Herz begann auf der Stelle schneller zu schlagen, wobei mein Kopf mich eindringlich zum Gehen bewegte. Jedoch weckte gerade das, meine Neugier. Hinter mir stand ein Kleiderschrank, daneben ein Bett, dessen Bettwäsche bereits Schimmelflecken aufwies. Der Schrank ergatterte meine Aufmerksamkeit. Mit einem mulmigen Gefühl legte ich nur zaghaft meine Hand auf den Griff. Ich schluckte hart. War mir nicht sicher, ob ich wirklich wissen wollte, was sich hinter dieser Tür verbarg. Meine Brust zog sich zusammen, während ich kaum noch in der Lage war, normal zu atmen. Ein Rückzieher kam jetzt jedoch nicht mehr in Frage. Meine Hand schloss sich um den Knauf, drehte ihn. Nur mit Vorsicht zog ich die Tür auf und erhellte das Innere. Stocksteif und mit in den Ohren rauschendem Blut, starrte ich auf eine Uniform der Polizei. Übersäht mit dunkelbraunen Flecken, die einen Geruch von Blut abgaben. Daneben eine Machete, deren glänzenden Stahl man nicht mehr erkennen konnte. Ich erblickte nur noch ein endloses Meer aus „Braun“.

Wenn das Geld alle ist

Lises Armhaare stellten sich auf. Das aufgegebene Betongerrippe verströmte Dunkelheit und ließ die Kälte wie eine unsichtbare Macht hervorkriechen. Die kosten waren zu Hoch gewesen, das Gebäude fertig zu stellen, meinte ihre Mutter immer. Sie sah, wie eine alte Bauplane an ihren Fesseln riss, verzweifelter mit jeder Briese. Damit gab sie Lise das Gefühl leichtsinnig bei der Kleiderwahl gewesen zu sein. Jetzt wünschte sie sich eher etwas bedeckendes, vielleicht eine Rüstung und nicht dieses doofe Sommerkleid.

„Mach schon, du hast es versprochen.“ Drängte sie Gretchen, aber Lise hätte gerne die zehn Minuten vorher zurück, in denen sie Sorgenfrei, wie ein Spiegelei in der Sonne braten konnte. Niemals wäre sie freiwillig da rein gegangen.
Lise nickte steif mit ernster Miene.
„Wie abgemacht, nur bis zum Ende des Kellers, dann kann ich wieder raus?“ Lise hätte sich am liebsten auf die Lippe gebissen. Eine Frage? Noch peinlicher gings nicht.
„Lass das, ich geh ja schon.“ Sagte Lise, denn Gretchen schupste sie. Anscheinend ging es ihr nicht schnell genug.
Zögerlicher als sie gerne gewesen wäre setzte sie einen unsicheren Fuß auf die Betonierte Rampe, die unter das Gebäude führte. Nur ein paar Schritte im Gebäude begannen ihre Zähne zu klappern. Es war so kalt und Dunkel, Lise konnte sich nicht mehr erinnern, wie sich wärme anfühlte. Sie drehte sich noch einmal zum Ausgang um, die Sonne rief nach ihr, tiefer zu gehen fühlte sich falsch an.

„Mach schon! Ich kann dich sogar noch sehen du olle Angeberin!“

Lise schlang die Arme um sich und tapste weiter. Jeder schritt hallte von den unsichtbaren Wänden wider. Der Lichtschein wurde immer schwächer und sie sehnte sich das Ende der Tiefgarage herbei. Lise Stockte. Sie glaubte einen schatten vor sich gesehen zu haben. Auf der anderen Seite wusste sie, dass ihr häufig Ängste den schlimmsten Streich spielten. Sie marschierte weiter, nun zügiger. Das Ende müsste gleich da sein. Doch da schon wieder und dieses Mal streifte etwas ihre Haare. Lise kreischte auf. So stark, dass es ohrenbetäubend von den Wänden abprallte, sich überschlug und nicht enden wollte. Die Dunkelheut war voller Flattern und Piepsen und Lise konnte nur noch daran denken diese Hölle zu verlassen.

Der Tod kennt keine Gnade
(Auszug aus meinem aktuellen Romanprojekt)

Die Winterländerin zog Elara ins Innere der Hütte und drückte sie auf einen Sessel vor dem prasselnden Kaminfeuer. Der Gedanke an die früheren Bewohner des Hauses, an die einige Einrichtungsgegenstände deutlich erinnerten, versetzte Elara einen Stich ins Herz. An der Wand hing ein Porträt des lächelnden Paares. Ungebeten tauchte das letzte Bild von Lennex und Rufala vor Elaras geistigem Auge auf. Der alte Mann schützend über seine geliebte Frau gebeugt, obwohl er gewusst haben musste, wie sinnlos das war. Der Winterländer mit der erhobenen Klinge über dem Ehepaar. Tränen brannten hinter Elaras Augen. Mühsam schluckte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter. Eine dampfende Tasse schob sich in ihr Sichtfeld.

„Ich denke auch manchmal an sie“, flüsterte Talvi, die ebenfalls zum Gemälde sah. „Trotz meiner Herkunft waren sie gut zu mir. Sie hatten es nicht verdient, so grausam zu sterben.“

„Das hat niemand“, erwiderte Elara. Ihre Finger klammerten sich um die heiße Tasse. „Aber der Tod schert sich darum nicht.“

Eine märchenhafte Hütte

Er kannte den Wald in- und auswendig. Als Kind war er oft hier, um mit seinem Vater Holz zu schlagen. Der Winter war kalt. Bekamen sie nicht genug, so liefen sie Gefahr zu erfrieren. Der Dreißigjährige Krieg forderte noch immer seine Tribute. Die Wälder waren in weiten Teilen zerstört und gerodet.
Er stahl sich am späten Abend aus dem Haus. Er kannte einen Ort bei einer Lichtung, wo es von Tannen und Fichten nur so wimmelte. Dort war der perfekte Ort, um Holz zu hacken. Trockenes und Massives und vor allem genug, um den Winter zu überstehen. Er lief, lief immer weiter. Die kühle Nachluft umspielte sein Gesicht, doch ein flaues Gefühl machte sich mit jedem Schritt breiter. Ein Gefühl von Fremde und Verlorensein. Hatte er sich etwa verirrt? Er überlegte, umzukehren, aber plötzlich vertrieb etwas diesen Gedanken aus seinem Kopf. Eine Hütte, nein, ein kleines Haus stand dort zwischen drei großen Tannen. Es sah alt und heruntergekommen aus. Ob da jemand lebte?
Die Dunkelheit der Nacht hatte ihn inzwischen vollkommen eingehüllt. Die Tür war leicht geöffnet. Als er sie mit der rechten Hand aufschob und sie ein knarzendes Geräusch von sich gab, schnellte seine Hand hoch zu seinem Gesicht. Ein übelriechender und beißender Gestank drang in seine Nase. Es roch süß, leicht sauer und verbrannt. Seine Füße glitten über einen verstaubten Steinboden. Durch die Fensterläden und die offene Tür pfiff der kalte Wind. Plötzlich erschrak er. Ein loderndes Feuer brannte im Kamin auf und tauchte den Raum der Hütte in ein unheimliches Licht. Bedrohliche Schatten jagten über die Wände. Er schritt langsam auf das Kaminfeuer zu. Sein Blick fiel auf den großen Tisch in der Mitte. Darauf lag nichts anderes als eine Hand voll Knochen. Hühnerknochen womöglich. Zwei der vier Stühle waren umgeworfen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Er schlich um den Tisch herum, sorgsam darauf bedacht, auf nichts zu treten, das auf dem Boden lag. Rechts neben dem Kaminfeuer stand ein großes Bücherregal. Verschiedene riesige Folianten verkündeten Titel über schwarze Magie, Alchemie und Flüche. Wer lebte hier? Oder hat hier jemand gelebt? Alles war verlassen.
Mit einem lauten Knall spürte er einen heftigen Schmerz in seinem rechten Fuß. Leise fluchend blickte er nach unten und erschauderte. Dort stand ein gigantischer, schwarzer Kessel mit rostigem Henkel. Und links daneben? Er hielt die Hand vor den Mund und stieß einen Schrei aus. Aus einem großen Ofen mit durchsichtigem, angelaufenen Glas starrte ihn ein Totenschädel an. Die leeren Augenhöhlen trafen seinen Blick. Dahinter sah er weitere Knochen. Die eines Menschen. Er schrie erneut, trat einige Schritte zurück und stolperte und verlor sein Gleichgewicht. Wie in Zeitlupe fiel er in den hinteren, dunklen Teil der Hütte. Als er sich den Kopf an scharfkantigen Gitterstäben eines Käfigs stoß, verlor er das Bewusstsein. Ein kleines Blutrinnsal lief an seinem Hinterkopf herunter und fiel in feinen Blutstropfen auf den Steinboden. Dort lagen etwas Stroh und ein paar Hühnerknochen. Seine reglose Hand fiel auf die Knochen, als wollte er danach greifen und sie womöglich durch die Gitterstäbe schieben. Den Zauber hatte diese alte Hütte nicht verloren…

An Goethe (ein verlassener Ort etwas anders gedacht)

Dort, wo du in großer Hitze einst unterm Baum gesessen hast,
dort, wo deine lange Reise so schwer und ohne Ziel
wie eine unendlich große und erdrückende Last
für einen Moment lang auf den kühlen und immergrünen Boden fiel,

dort, wo dein Blick die Horizonte erweckte
und junges Leben einhauchte dem bis dato ungesehenen Land,
dort, wo sich vor dir die ewige Stadt vielversprechend erstreckte
und dein unstetes Herz eine ganz ganz kurze Ruhe fand,

dort, wo du vergessen wolltest, die, die dich so liebte
und die daheim nun als gebrochene Rose lag,
dort, wo eine neue Luft deine Sinne nicht mehr trübte,
und wo du glaubtest, dir allein gehöre ein neuer und hellerer Tag,

dort musste dir alles neu und ganz wunderbar scheinen.
Das Land der Römer entdecktest du auf eigene Weise.
Es sollte in deinem Denken, deinem Wesen, deinem Meinen
gerinnen zu deiner Italienischen Reise.

Und nun sitze ich hier an genau diesem Ort,
an dem heute von Geistern verlassene Bungalows stehen
und ich wünsche mich - anders als du einst - von hier wieder fort,
dorthin, wo ich jemanden, den ich liebe, bald darf wiedersehen.

Im Eigenheim

Der Regen prasselte auf den Schirm vom Jerry. Es war zwar noch nicht spät aber die grauen Wolken ließen keinen Sonnenschein durch. Die milchigen Fenster des alten Holzhauses waren eingeschlagen. Der Wind umtanzte die zerrissenen Vorhänge, welche sich immer wieder durch die kaputten Scheiben schoben, als ob sie selbst aus dem Haus fliehen wollten. Die ersten Stufen zur Haustür ächzten unter ihrem Gewicht und gaben stöhnend nach als sie weiter ging. An der Tür, neben dem Klingelschild von Familie Green, war noch ein Polizeiaufkleber bis über den Rahmen geklebt. Mit einem beherzten Schwung riss sie den Aufkleber ab samt großen teilen der grünen Farbe. Die Tür viel nach innen und kam quetschend zum halt. Jerry musste sich anstrengen um die verzogene Haustür weitgenug zu öffnen um durch zu schlüpfen zu können. Der Geruch von Staub und abgestandener Luft kitzelte in ihrer Nase. Nervös kramte sie in ihrer Handtasche nach einer Taschenlampe, welche flackernd zum Leben erwachte. Der schwache schein Traf einen verbogenen Vogelkäfig der einmal auf einem kleinen Tisch gestanden haben muss. Im inneren des Käfigs wirbelten vereinzelte Federn durch die Luft und entblößten Reste von kleinen Knochen. Jerry atmete schwer aus. Die erste Tür links führte in die Küche. Der erdige Geruch von Lebensmitteln über ihren verfall hinaus stach ihr in die Nase. Leises rascheln und kratzen war unter der Küchenzeile zu hören, als etwas Kleines durch den Raum huschte. In einem Küchenschrank war eingemachtes Obst und Gemüse, teilweise sah es sogar noch essbar aus. Als Jerry weiter in die Küche ging knirschte es unter Ihren Füßen. Scherben von Einmachgläsern, dessen Inhalt schon lange verschwunden war. Eine Zeitung lag auf dem Esstisch. Todesanzeigen.
„Wir trennen uns schweren Herzes von einem Geliebten Menschen. Liebevoller Vater und Ehemann. Andrew Green.“
Jerry wand sich von der Zeitung ab und ging in die gegenüberliegende Tür. Im Wohnzimmer stand eine alte Sofagarnitur mit grobem Baumwollstoff und Blumenmuster und damit passend zur Tapete. Auf dem Couchtisch lag eine leere Pillendose, auf dem Boden war die Silhouette einer Person in weiß gezeichnet worden. Jerry schockte der Atem, beim Gedanken das genau dort ein Mensch gestorben sein musste. Nachdem sie sich wieder gefangen hatte sah sie sich um. Bei der Kuckucksuhr an der Wand hing der Vogel schief aus seinem Häuschen. die Einbauwand der Marke Eiche rustikal war durchlöchert von Insekten. Bilder an der Wand waren verblichen und es viel schwer zu erkennen was sie einmal zeigten. Auf dem Boden lagen Zettel verteilt im Zimmer. Jerry sammelte sie ein legte sie aufeinander und schaute sie sich durch. Rechnungen, letzte Mahnungen und Räumungsbescheide stapelten sich. Mittendrin ein Brief.
„Nein Mama es ist mir nicht möglich dir zu helfen, hatte Papa nicht einen versteckten Safe mit Geld im Haus?“
Der Rest war nicht mehr zu lesen. Schwermütig senkte sie den Briefstapel und sah an die Decke, wo ein Hirschkopf sie mahnend anblickte.
„Okay es wird einiges kosten das hier wieder verkaufen zu können. Aber zuerst suchen wir diesen Safe,“
Jerry ging Richtung Haustür um eine Brechstange zu holen, wendete sich noch mal ins Wohnzimmer zu dem Hirsch:
„und du fliegst als erstes raus.“
.

Nur ein einzelner Funke

Immer wenn ich daran denke, dann habe ich Tränen in den Augen.
Früher haben hier einmal Kinder gelacht, heute heult nur noch der Wind in den alten Mauern. Der Geruch von verbranntem Holz liegt immer noch schwer in der Luft. An manchen Stellen sieht man den Ruß, manchmal sieht er richtig malerisch aus und manchmal ist er so kohlrabenschwarz, dass er jeden Schatten verschlingen kann.
Der Brand wütete so stark. Man konnte aus der Ferne das leuchtende Rot sehen. Knackend fraß es sich durch die Dunkelheit und das Gebäude. Wie sich spiegelnde Merkwürdigkeiten zogen die Flammen von einer Ecke zur nächsten, von oben nach untern. Nichts blieb unberührt. In dieser Nacht blieb das Haus unbewohnt. Es geschah im Hochsommer und das Gebäude diente als Wintersitz der Familie Sturm.
Nun fällt mir gerade ein, wie sehr es in dieser Nacht stürmte. Der Übergang zwischen Sommer und Herbst ist von Jahr zu Jahr etwas launisch. Der Wind trug die aufsteigende Hitze weit in das Land.

Meine Familie diente hier seit Generationen. Nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Liebe und Loyalität der Familie Sturm gegenüber. Wir durften all die kleinen Wunder miterleben, aber auch die größten Heldentaten.

Ich bin hier aufgewachsen. Mein Vater zeigte seine Künste in dem er den Stall und den Hof meisterte. Meine Mutter und mein Onkel sorgten für die Sauberkeit und Ordnung im Haus. Penibel und sorgfältig wäre untertrieben gesagt. In der Küche zauberte meine Tante so viele Herrlichkeiten. Jahr für Jahr.
Und ich blühte zur vollen Männlichkeit auf. Annika Seidel verhalf mir nur in einer Nacht dazu. Der edle Duft auf ihrer Haut wird für mich unvergessen bleiben.

Nun bleibt mir nur der Geruch aus der verbrannten Realität und all die schönen Erinnerungen. Noch sind die Schuldigen nicht gefasst. Der genaue Grund steht noch nicht fest. Vielleicht war es sogar einer von uns. Die Kerze, die die Nacht durchbrennt. Ein Funken aus dem Kamin, der lustig umhergesprungen ist.
Bald werden wir es herausfinden. Also genauer gesagt, die Polizei.
So schnell wie in jener Nacht das Blaulicht hier eingetroffen ist, mit all den dröhnenden Sirenen und es hat dennoch nichts genützt. Lichterloh wuchs das Feuer durch den trockenen Dachstuhl und die bunte Einrichtung. Es sprang auf die Türen und Fester über, selbst den festen Holzboden der Zimmer konnte es zum Einsturz bringen. Nur ein einzelner Funke konnte schon dieses betagte Bauwerk in Rauch aufgehen lassen. Ein einzelner Funke hätte gereicht, so sagte man uns.

Stück Heimat

„Das ist also Dein Strand?“ Ina schaut mich ratlos an.
Ich bin außer Atem, weil ich das letzte Stück des Waldweges hinunter zur Promenade so schnell gelaufen bin.
Na ja, „Promenade“ ist zuviel gesagt, so nannten wir diesen Weg damals und wenn ich die Ansicht, die sich mir bietet, mit Inas Augen sehe, gebe ich zu: Schön ist was anderes.
Der Weg hier runter war schon so ausgetreten und stellenweise matschig, dass wir beide mehrmals ins Rutschen geraten waren. Die Promenade sieht im leichten Nieselregen nicht besser aus. Der Radfahrer, der gerade an uns vorbeifährt, hat Mühe, seine Schlangenlinien um die Schlaglöcher zu ziehen. In den Hecken vor dem Strand-Areal kann man blasse, knittrige Röschen und vertrocknete Sanddornfrüchte erkennen, alles verblüht, das Eis des Sommers gegessen, die zerknüllten Verpackungen haben Besucher einfach zwischen die Ästchen gedrückt.
„Das ist halt kein touristischer Badeort, wie Du ihn kennst, sondern nur der Stadtstrand.“
Ist schon komisch, wie ich anfange, mein Kinder-Paradies zu verteidigen. Und bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel würde es hier bestimmt ganz anders aussehen. Heute hat der Himmel ein graues Laken aufgezogen, alles wirkt alt, müde, abgeblättert und abgekämpft.
Keine Strandkörbe auf schneeweißem Rieselsand, hier legte man sich irgendwohin auf die mitgebrachte Decke und aß belegte Brote, spielte Ball oder baute Sandburgen. Dieser Ort war einfach da, wenn es zu Hause zu eng wurde, wenn die Eltern mal wieder durchdrehten. Irgendjemand fand sich immer zum Abhängen. Wir saßen dann auf den Lehnen der windschiefen Bänke, natürlich mit den dreckigen Schuhen auf der Sitzfläche, scheißegal, und fluchten den Frust raus. Oder an schwülen Sommerabenden, wenn der laue Wind die Quallen ranflutete, lieferten wir uns Schlachten mit dieser glibberigen Munition. Ekelhaft. Wir brauchten kein Jugendzentrum, wir hatten den Strand. Komsu mit an´ Strand?
Der erste Kuss mit Uwe bei smoke on the water. Und nach ein paar Bier und einem Joint konnte das hier wie Jamaica wirken. Am nächsten Tag war dann alles wieder wie gestern- dort das ewige Wasser, hier der leicht schmuddelige Sand, drüben die Möven, die den überquellenden Papierkorb auseinandernahmen, und im Hintergrund immer der hämmernde Sound der Werft.
Der kleine Bolzplatz ist völlig heruntergekommen, die Reste der zerrissenen Netze wehen sachte im Wind und Rasen ist kaum noch zu erkennen. So richtig in Schuss war der aber eigentlich nie, oder ich kann mich nicht daran erinnern.

Wir laufen auf die Seebrücke zu und ich habe sofort den typischen Geruch von modrigem, nassem Holz, Tang und Holzschutzmittel in der Nase. Der Sand knirscht unter jedem Schritt und das Wasser leckt seufzend an den Bohlen, während wir die lange Strecke aufs Meer hinausgehen. Am Ende angekommen setzen wir uns auf die überdachte Bank, die wir damals zum Umziehen nutzten. Hier habe ich schwimmen gelernt, der Chef der DLRG hatte damals im Sommer ein Stück Meer mit Kugelketten eingezäunt und wir Kinder strampelten solange im Kreis herum, bis er meinte, wir könnten es. Und wenn ein Schiff draußen vorbeizog, kämpften wir prustend gegen die Wellen an und schluckten jede Menge Wasser. Heute kommt mir das alles hier so klein und überschaubar, so unaufgeregt vor: die Förde, der Strand, die Werft gegenüber.
Selbst die Möven, die über uns kreisen, wirken grimmig und hängen lahm im Wind.

„Weiß nicht, wie dir das hier gefallen konnte“, meint Ina. „Bist ja dann nach der Schule auch schnell weg.“
Stimmt, denke ich. Ich habe den Ort verlassen. Aber gerade merke ich: Der Ort hat mich nie verlassen.
Ich glaube, das behalte ich besser für mich.

Seit sechs Monaten war ich nicht mehr zu Hause gewesen und ich war mir nicht sicher ob sie sich freuen würde das ich es jetzt wieder war. Sie war wütend gewesen, aber nichtsdestotrotz hatte ich erwartet, dass sie mich abholen würde. Jetzt stand ich an meiner Haustür vor der vielleicht 20 Zeitungen auf dem Boden im Staub lagen. Der Briefkasten quoll bereits über und es schien als hätte der Postbote sich redlich bemüht alles hineinzuquetschen und immer in einander zu stecken, aber dennoch lagen bereits die ersten Briefe auf dem Boden. Ich drückte den Klingelknopf auch wenn ich mir eigentlich sicher war das niemand öffnen würde, denn warum sollte sie da sein und nicht die Post hereinholen?
Nachdem ich alle Zeitungen zur Seite geschoben hatte, hob ich die Fußmatte an und griff nach dem Schlüssel der sich darunter befand. Vielleicht nicht das beste Versteck, aber hier würde ohnehin nie jemand einbrechen.
Ein beißender Geruch schlug mir entgegen als ich die Haustür öffnete und ich wünschte mir einen Augenblick lang ich hätte es nicht getan.
Der Flur lag völlig verwüstet vor mir, zweifelsohne die Spuren einer Party. Ich bahnte mir meinen Weg durch umgekippte Flaschen und zerbrochene Gläser um endlich ins Wohnzimmer zu kommen und dort zu lüften, denn der Gestank wurde mit jedem Schritt beißender.
Erbrochenes markierte den Weg zur Küche, weshalb ich zuerst nach links abbog. Es war bereits am Boden festgetrocknet und langsam aber sicher machte ich mir ernsthaft sorgen was hier vorgefallen war.
Mein Magen drehte sich auf links, als ich die Küche betrat und ich sie dort liegen sah.
Die Post würde sie wohl nie wieder reinholen.

Erinnerungen an eine bessere Zeit

Ich werde meinen müden Beinen etwas Ruhe gönnen. Anscheinend ist schon lange niemand mehr hier vorbeigekommen. Die Bank vor mir sieht ziemlich heruntergekommen aus. Wind und Wetter haben ihr über die Zeit arg zugesetzt. Ein Neuanstrich würde ihr guttun. Das rot gestrichene Holz ist verblasst und hat Narben. Die Beine sind vom Rost befallen. Beim genaueren Hinschauen entdecke ich eingeritzte Zeichen. Verblasste Erinnerungen an eine bessere Zeit. Für die welche hier sassen ein wohl wichtiger Moment, für eine kurze Ewigkeit ins Holz geritzt. Herbstfarbenes Laub bedeckt seine Sitzfläche. Es ist ein Bild von Vergänglichkeit. Ich stelle meinen kleinen Flechtkorb, gefüllt mit ein paar wenigen Pilzen ab, nachdem ich die Sitzfläche vom Laub befreit habe.
Was für Geschichten kann die Bank erzählen? Wer hat früher hier gesessen? Jetzt ist sie dem Zerfall preisgegeben, steht da, wartend bis sich jemand doch noch auf sie setzt. Ich nehme das Angebot gerne an, hoffe das sie mein Gewicht noch tragen kann.
Es ist ein magischer Ort, der beruhigt und zugleich berührt. Der vergessene Ort hat meine Gedanken angeregt.
Schnell lasse ich mich verzaubern. Ich Frage mich, was die Bank in seiner Blüte wohl alles erlebt hat? Vielleicht sass hier ein Rentnerpaar welches etwas Ruhe und Entspannung suchte und über ihre gemeinsamen Jahre nachdachte? Oder ein Pärchen, welches frisch verliebt, sich innig küssten und sich ewige Liebe schworen. Diesen einen Moment mit Herz und Initialen im Holz verewigte. Es könnte aber auch ein Bauer gewesen sein, der seine Heugabel kurz auf die Seite legte, sich eine Pfeife stopfte und eine kurze Pause von der Feldarbeit einlegte. Auch eine junge Familie machte vielleicht hier Halt, packte ihren Rucksack aus und bereitete ein feines Picknick, mit Brot, Wurst, Käse, Tomaten und Gurken vor. Ein Frauchen mit Hund lief sicher auch an der Bank vorbei. Der Hund schnupperte wohl kurz und hob ebenso kurz sein Bein. Was ging all den Leuten durch den Kopf, als sie hier verweilten. War es Zufriedenheit, Freude, oder plagten sie Sorgen. Waren sie glücklich oder traurig? Ich weiss es nicht. Erholt mache ich mich nach der Rast auf den Heimweg. Der Blick zurück zeigt mir einen verlassenen Ort, voller lebendiger Geschichten.

Auf Leere folgt Neues

Das Schild wurde abmontiert. Als Zeichen sein Revier zu verlassen und freizugeben. Die Eingangstüre daneben stand weit offen. Der kalte Herbstwind trat an ihrem mattbraunen Metall, der ein Glasmosaik umrahmte vorbei. Wie hunderte Patienten die Praxis zuvor betraten, wehte er nun über das abgelaufene Laminat mit heller Ahornoptik. Die einst weißen Wände, befreit von Schaubildern der menschlichen Anatomie, Zertifikaten und dekorativen Mandalas in kristallenen Farben, zeigten dem Luftzug, nun als mausgraue Schatten seine Grenzen auf.
Dort wo früher die Behandlungsliege stand, blieben nichts als die Spuren harter Arbeit auf dem Boden zurück. Kleine Kratzer im Holz und Vergilbungen der einstrahlenden Sommersonne. Von wie viele Lastern und Leiden sie erzählen vermag niemand mehr zu verfolgen können.
Und das war gut so. Denn die Räume brauchten einen frischen Odem der sie gestaltet und wieder belebt. Damit nach dem kalten Winter der kreative Same im Frühlingsglanz seine Fühler ausstreckt. Sich von seiner Schale befreien kann. Einfach Leben in die Bide bringt.

Verlassene Welt

Ich betrete einen fernen Ort, ferner als alle Momente meiner Erinnerungen.
In bläulichen Farben schimmern die atmosphärischen Klänge, die in mir aufsteigen, als ich jenen lang ersehnten Schritt endlich gehe. Der Schritt in die leere Unfassbarkeit.
Die Schreie unerlöster Seelen hatten mir jahrelang mein Herz abgeschnürt, denn ihre Präsenz erfüllte die Gegenwart unerbittlich mahnend.
Der Gestank verquellender Abgase schwarzmystischer Lügen und negativer Energiepfeilen waren das Geringste gewesen, das mir jenen Schritt untersagt hatte.
Und so war ich immer verharrt an jenem Orte, unfähig meinem Sehnen zu folgen.

Ich betrete einen fernen Ort, ferner als alle Momente meiner Zukunft.
In wärmendem Glockenklang glänzen die leuchtenden Farben, die um mich erscheinen, als ich jenen lang ersehnten Schritt endlich gehe. Der Schritt in die volle Ungreifbarkeit.
Die Blicke gequälter Seelen hatte mich jahrelang angesogen, denn ihre Gegenwart entleerte mich unverzeihlich schmerzend.
Der Schall verzehrenster Toter weißmystischer Voraussagen und positiver Illusionen waren das Größte gewesen, das mir jenen Schritt untersagt hatte.
Und so war ich immer gefangen an jenem Orte, unfähig meinen Schritt zu lenken.

Des Himmelsweite leuchtet umraumend, als ich deine Hand ergreife.
Die Erdentiefe klingt tragend, als mein Schritt den Grund trifft.
Ich blicke nicht zurück.
Ich weine nicht.
Ich lausche nur jenem, was ist.
Denn die Farben klingen und die Klänge leuchten als die Nebel sich lösen und die Fassung sich einigt zum Kern des Moments.

Erinnerungen meiner Momente sind keine näher, als das Nahe, das mich findet.
Der Geschenkte Raum der Sehnsucht ist unendlich, da ich hineinsinke in die Sphären des Lichts, das Orange mich umfängt. Unendliche Ergebung.
Die Vollkommenheit der Abwesenheit beschenkt mich farbenfroh, als die Erlösung aufatmet im Sein.
Die Welt wünscht, dass ich meine Kraft schenke und die Erkenntnis als Grundlage durchdringt Mystik.
Folgend bewahrt sich mein Sein seine Fähigkeit zu leben.

Zukunft meiner Momente sind keine näher, als das Nahe, das mich antrifft.
Die Suche vollendet sich findend, als die Unendlichkeit erkennt das Leuchten in Schwingender Präsenz. Herausgelöste Ergriffenheit.
Die Leere wurde still, als die Wurzel meines Sogs in Begegnung geheilt wurde.
Der Tod farbigen Lebens offenbart die Liebe Gottes.
Vertrauend ergibt sich Fügung im Moment des Sinns.

Mein Schritt des Fernen im Nahen braucht den Ort als Nähe zum Fernen.
Die Sehnsucht erschließt allein noch nicht die Tat.

Jahrelang bin ich gewandert, ohne zu sein. Sein war Präsenzlos. Ohne mich.
Denn ich war – Abwesen.

Heute betrete ich den Ort und der Ort schenkt mir Sein.
Denn deine Hand führt mich hinein.

Der Nebel lässt sich durchleuchten, als die Sonne ihre Strahlen hineinsendet und die unfassbaren Bewegungen der schlummernden Welt hervortritt. Die Wälder finsterer Dunkelheit werden grün, der Duft der feuchten Nadeln ermöglicht das Leben im Feld der Berührung von Umwelt und ich.
Die Strahlen der Sonne scheuen nicht ihren Weg, sie treten hinein in die Schwingungen des Kosmos, selbst getragen im schwingenden Klang der Färbungen der Welt, die ist.
Des Wassers Tiefe steigt auf in die hohe Weite der Räume, verwandelnd sich von Fluss zu Haut, von Wolke zu Regen, lebendiger Fülle sich fortwährend bewahrend.
Ungreifbar bleibt, was ist.
Obliegt es nicht mir es zu ergreifen.
Ich lasse mich fallen und sinke hinein. Und Lösung wie Probleme, Antworten wie Fragen sind gleichzeitig SICH.
Der Kosmos ist Raum meiner Stätte im Hier und Jetzt des Seins, der ich bin. Die Erde, sein Herz, meine Heimat. Mein Körper mein Wohnort zur Vollendung der Wirkung.

Und die Abwesenheit vereint sich mit Anwesenheit, indem sich nichts ändert und alles ist.
Nur jene Haltung ward‘ gefunden, die das Einssein – das Sein im Ganzen – ist sich.

So trete ich ein in das Vage einer verlassenen Welt.

Das Elternhaus

Das Haus lag einsam und verlassen da, fast unheimlich wirkte es mit seinen verborgenen Geheimnissen, die nur die Eingeweihten kannten. Nach Rosis tot dauerte es noch, bis die Polizei alles freigab und auch das Amtsgericht das Testament als wahr erklärte.
Nun standen sie vor dem Haus, den Schlüssel in der Hand der Pflegemutter, die die Jungen ihre Mama nannten. Sie kannten die wirkliche Mama nicht, keiner hatte sie wirklich kennengelernt, nur einmal war da eine fremde Frau, die mit ihrer Mama redete. Der Papa, auch den Wirklichen kannten sie nicht und die eigentliche Geschichte wollte man ihnen noch nicht erzählen. Die Mutter öffnete das Gartentor, der Weg führte sie durch einen völlig verwilderten Garten, in dem auch schon kleine Bäumchen wuchsen, auch eine Walnuss war dabei, sicher von einem Eichkater hier vergraben und sich ungestört entwickelnd. Niemand hatte einen Gedanken, was man hiermit machen sollte, alle waren gespannt, was hier noch kommen würde.
Der fast zugewachsene Weg musste fast wie im Dschungel überwunden werden, so sah man das im Film, nur das hier keine Macheten zum Einsatz kamen, sondern man bahnte sich irgendwie einen Weg. Voran die Mutter, dann die drei Kinder, wobei man nicht wirklich sah, wer der Ältere war und wer der jüngste der drei Brüder, man wusste allerdings, das es noch ein Viertes hätte geben können, was aber unter der Geburt starb. An der Haustür angelangt, zögerte die Mama, aber dann gab sie sich einen Ruck und öffnete die Tür.
Es kam ein Vorflur, das Licht ging nicht und es roh muffig, wie eben lange nicht gelüftet, unbewohnt. Immerhin war seit Rosis Flug vom Hochhaus fast ein Jahr vergangen und das, was die Polizei hier suchte und auch fand, das Testament, den Abschiedsbrief, das Schuldanerkenntnis, lag auch schon länger zurück. Licht gab es nicht, der Strom war abgestellt, es wurde ja nichts mehr bezahlt.
Man hatte sich mit Lampen bewaffnet und benutzte sie, als man durch das Haus wandelte, das noch möbliert war, düster, staubig und leer. Dennoch spürte die Mama und das älteste Kind ähnlich, das hier noch ein Odem war. Wie ein Geist, der nicht außi konnte, wie die Ösis sagen. Sie streiften durch das Wohnzimmer, irgendjemand bemerkte das Blut an der Kante, wo der eigentliche Papa zu Tode kam, man sah auch Schleifspuren und im Schlafzimmer ahnte man, wo der Vater gelegen haben musste, aber die Spurensicherung hatte ihre Spuren hinterlassen, so das man das nicht wirklich sah. Die Küche im fahlen Licht, das durch die Vorhänge schimmerte unaufgeräumt auf, nicht abgewaschen, dreckiges Geschirr in der Spüle und einer der Jungen erdreistete sich, den Geschirrspüler zu öffnen und schlug die Klappe gleich wieder zu, weil ein bestialischer Gestank aus ihm entströmte.
Auch im Keller, denn sie wollten das Haus ganz sehen, roch es nicht besser, wenn auch hier kein Staub die Nasen reizte, aber das Geheimnis, das er noch barg, war nicht zu ahnen.
Sie entschlossen sich das Haus zu verkaufen, niemand wollte wirklich darin leben, zumal das ihre schöner war und ihnen sehr vertraut. Der neue Besitzer, der gut bezahlte, weil die Preise jetzt richtig hochgegangen waren, erlebte dann ein blaues Wunder, als er das Haus abriss.

Mit zittrigen Beinen schritt ich die Einfahrt entlang. Ein Dutzend Säulenbuchen säumten den Weg, als stünden sie Spalier. Wie damals schlug mein Puls kräftig und viel zu schnell, als ich die zwanzig Stufen nach oben stieg. Damals weil ich im Laufschritt immer zwei Stufen auf einmal genommen hatte, heute vor Aufregung. Das erste Mal seit über dreißig Jahren öffnete ich das mächtige Eingangsportal. Knarrend und ächzend fiel die drei Meter fünfzig hohe Eingangstür ins Innere. Was mich erwartete, nahm mir die Sprache und den Atem. Ein frostiger Wind und ein modriger Geruch schlugen mir entgegen und ließen meine Haare an meinen Oberarmen hoch gehen. Einzig der Hall, den meine Pumps auf dem Steinboden der Vorhalle erzeugten, kam mir vertraut vor. Früher konnte ich das Spiegelbild eines Mädchens mit langen blonden Zöpfen erkennen, wenn ich den blanken Marmorboden entlang zum Zimmer meiner besten Freundin eilte. Heute war unter dem Sand-Erde-Gemisch nicht einmal mehr die Farbe der Fliesen auszumachen. Mit knirschenden Schritten wagte ich mich weiter. Die damals kalkweiße Wand hatte ebenfalls die Farbe des Verfalls angenommen und ließ mich Abstand halten. Hier musste es sein, das Zimmer, indem ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht hatte. Das Zimmer, indem ich so viele warme Stunden der Freude verbracht hatte, das aber auch meine größten Ängste kannte. Die Spinnweben an der Tür und die Erbauerin dieses gruseligen Kunstwerkes hielten mich einen Augenblick zurück. Ich musste hinein. Ich musste mich meiner Vergangenheit stellen.

Abgebrannt

Ich fühlte mich unbeschreiblich glücklich. Es gab keine Ängste mehr. Mein Zustand war ein Schweben anstatt dem Liegen. Viele Hände schienen mich zu streicheln ohne mich zu berühren. Mein Freund war ein wunderschön zärtlicher Mann, aber das wurde hier noch übertroffen. Es war wohlig warm, nicht heiß, nicht kalt. Ich spürte meinen Körper bis in die kleine Zehe und jede Zelle war zufrieden.
Plötzlich war überall Rauch und Feuer. Nur noch Panik! Ich schrie und schlug um mich und erwachte. Verzweifelt versuchte ich aus dem Schlafsack zu kommen. Dann war da eine Stimme: „Ruhig, ganz ruhig! Ich bin bei dir! Es kann dir nichts geschehen!“ Erst jetzt kam ich zu mir und klammerte mich an meinen Freund, der mir aus dem Schlafsack half. Wir lagen in unserem kleinen Zelt und langsam beruhigte ich mich. Stockend erzählte ich meinen Traum. Meine Erinnerung war noch vollständig. Wir waren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, soweit es ging, in die Vogesen gefahren und hatten auf einer kleinen Ferme übernachtet. Dort waren wir gestern los gelaufen. Der Bauer hatte uns von einer abgebrannten Villa erzählt. Das junge Besitzerpaar sei dabei umgekommen, aber es geisterte jetzt immer noch in der Ruine. Es sollten aber gute Geister sein. Das klang richtig spannend. Da der Ort auf unserem Weg lag, wollten wir ihn uns ansehen. Das war einfacher geplant als getan. Eine genaue Karte hatten wir nicht und die Beschreibungen des Bauern waren dürftig. Erst am späten Nachmittag fanden wir unser Ziel und entschieden uns, da zu übernachten. Die Villa war eher ein kleines Schlösschen gewesen. Obwohl das Dach eingestürzt war und die Mauern verkohlt waren, konnten wir uns das schöne Gebäude vorstellen. Warum war das junge Paar auf die Idee gekommen hier in der Wildnis und Abgeschiedenheit zu leben? Wie war das Feuer ausgebrochen? Wieso waren die beiden umgekommen? Wieso hatte ich von einem Brand geträumt? Fragen über Fragen! Da wir leicht umplanen konnten, beschlossen wir Antworten zu finden. Die bekamen wir auch! Aber sie waren alle unterschiedlich. Es war erstaunlich, wie viele fantastische Erklärungen es gab. Vielleicht haben wir auch wegen der sprachlichen Probleme einiges falsch verstanden. Nur bei einem Pfarrer gab es eine Version, der man glauben konnte. Danach sollte der letzte depressive Spross einer Adelsfamilie mit seinem Erbe das Schlösschen erstellt haben. Über den Brand wusste er auch nichts. Leider ging dann der Urlaub zu Ende, aber wir konnten mit dem Ergebnis unserer Recherche leben. Außerdem hatten wir interessante Menschen kennengelernt und die französische Küche genossen.

Emily’s Zimmer war ein Chaos. Das Bett war nicht gemacht, in einer Ecke lag Wäsche herum. Auf dem Boden standen zwei Teller mit Resten von Pasta und Reis, zwei leere Flaschen Coke und eine leere Flasche Rotwein. Es stank nach alten Sushi. An der Wand hingen ein paar Fotos eines Mannes, der etwas älter wirkte als Emily. Über sein Gesicht war auf allen ein grosses, schwarzes „X“ geschmiert. Auf dem Tisch lagen ein halbes Dutzend offene Bücher und Notizen und ein Laptop mit verstaubtem Bildschirm. Der Teddybär, der zwischen Höschen, Pullover und linker Socke am Boden sass, starrte mit leerem Blick ins Nichts.

Die Kneipe

Ich liebe es, in einer Kneipe zu sitzen. Am liebsten, in derselben.
Fröhliche Menschen.
Besoffene Menschen, auch vor Glück.
Sie ist winzig. Drinnen 7 unterschiedlich große Tische. Für zwei bis 12 Personen. Traurige Menschen, Geburtstage und Abschiede.
Sie ist die Treppe runter, im Kellergeschoß. Sie ist urig und etwas schmuddelig.
Die Menschen die da Arbeiten.
Du lachst über einen derben Witz.
Draußen Biertische und Stehtische. Acht, neun oder so.
Die Bedienungen. Studentinnen aus dem Iran, aus Aserbaidschan, aus Schwerin, der Vietnamese. Die kommen, und die Gehen.
Du schnorrst eine Kippe. Früher wurde drinnen geraucht.
Der FC spielt! Wenigstens die Konferenz schauen. Scheiß Sky!
Heute ist nur was im Biergarten frei, an der Straße.
15 Jahre gehst du schon hier hin. Oft wöchentlich. Manchmal täglich.
Tony, der Südafrikaner, der denn Laden führt. Der Durchtrainierte, Blonde. Im
Muskelshirt.
Die Rock-Musik ist mal wieder zu laut.
Es ist kein Tisch mehr frei. Du sitzt erst mal auf der Treppe.
Einen T-Rex Burger mit Fritten und Vinegar.
Die Bedienung, mit dem knackigen Arsch im Lederminirock.
WM 2014! Alle umarmen sich und singen und feiern und saufen.
Du wartest vor dem Tor, damit du Deinen Stammtisch kriegst.
Du hast denn falschen Tisch reserviert, nicht die 100.
Eine Weihnachtsfeier mit der Firma.
Mittwoch. Es sind nur 5 Menschen im Raum.
Du redest mit einem Bio-Studenten, aus Schottland, bei einer Zigarette. Der ist in
fucking germany to study. Spricht kaum Deutsch.
Du gehst zu Fuß nachhause, mal wieder die letzte Bahn verpasst.
Du trinkst ein Pinte zu viel. Mit Frank, mit Edgar, mit Karsten.
Du kriegst einen whiskey-shot ausgegeben. Am Tresen.
Du wirst verführt, von einer schönen, jüngeren Frau.
Brian, der irische Besitzer. Was für eine Nationalität war nochmal die Mutter. Peru? Veronika seine Schwester, die irgendwann ein Kind bekommen hat. Sie war mal die gute Seele. Magie, die andere Schwester. Die war nur selten da. Hat Dich aber auch immer mit einer Umarmung begrüßt.
Die Stammkunden, die du siehst, mit denen du aber nicht redest. Die dir aber guttun.
Du beobachtest. Während du auf deine Freunde wartest. Ein süßes Pärchen, wo er denn richtigen Moment verpasst.
Die Zweiertreffen.
Dein 50ster Geburtstag.
Und dann wird Edgar Vater!
Und danach? Deine Stammkneipe in der Stadt. Die ist dicht.
In einem Dorf, da ist Sie die Seele, der Treffpunkt. Oft der einzige Gemeinschaftsraum mit Kegelbahn. Doch im Dorf, da schafft man sich einfach einen neuen Raum. Denn die Menschen, die bleiben. Da kennt sich jeder. Da sieht man sich tagtäglich. Beim Bäcker, beim Einkaufen.
In der Stadt? Da nicht! Da verläuft sich alles.
Meine Stadtkneipe war ein Irisch Pub. Diese Kneipe, die war Familie! Jetzt ist sie verstorben. Das Gebäude ist verkauft. Ich konnte nicht wirklich abschied nehmen. Jetzt wird sie ein Nonnenstift. Anfang der 90er, da war sie eine Heavy-Kneipe.

Nichts, ist für die Ewigkeit.

Der Tod ist überall

Ohne DICH ist es eine leere Wohnung, wie jede andere. Sie ist leer und riecht unangenehm. Bis heute haben wir die Quelle des Geruchs nicht gefunden. Meiner Meinung sind die Müllbeutel schuld, doch dein Schwiegersohn ist anderer Ansicht.
In jedem Zimmer türmen sich die prall gefüllten Mülltüten, im Keller kommen die Kartons mit den zu vernichtenden Akten hinzu.
Deine Seele steckt in jedem einzelnen Ordner mit Noten oder Artikeln, die du gesammelt hast, aber all das hat nur dir etwas bedeutet. Für uns ist es nichts als Papier, das wir entsorgen müssen.
Dein Tod hat eine gewaltige Lücke bei uns allen hinterlassen - aber leider auch einen gewaltigen Berg Arbeit.
Deine Frau kann es nicht mehr, also bleibt es an deinen Kindern hängen … trotzdem lieben und vermissen wir dich jeden Tag!

Feng Shui Zauber

Mit klopfenden Herzen legte ich das Foto von Daniel und einer rassigen Dunkelhaarigen zur Seite und griff nach der Ringschatulle. Eigentlich ging es mich nichts an, was sich darin befand. Daniel hatte zwar vorhin gesagt, ich könne mich hier wie Zuhause fühlen. Damit hatte er aber sicher nicht gemeint, dass ich in seinen privaten Sachen wühlen sollte. Er vertraute blind meinen Feng Shui Kenntnissen und konnte ja nicht ahnen, wie sehr ich mich in ihn verliebt hatte. Immerhin hatte er mir gesagt, er sei single. Meine Finger klappten den Deckel nach oben.
Hochzeitsringe!?
Mir stockte der Atem. Er war verheiratet? Warte. Nein. Warum sollten dann beide Ringe hier in seinem Nachttisch herumliegen?
Der größere Ring aus Weißgold trug die Gravur eines halben Herzens. Der kleinere die zweite, passende Hälfte des Herzens in Form von funkelnden Edelsteinen. Zögerlich nahm ich einen der Ringe heraus.
D+E 4ever. Das eingravierte Datum zeigte einen Termin, der fünf Jahre in der Vergangenheit lag. Was war passiert? Ich hatte noch nicht das ganze Haus gesehen, aber die Räume, die ich schon kannte, waren typisch für einen Junggesellen. Zweckmäßig, gemütlich aber nüchtern. Ordentlich aber vernachlässigt. In der Küche hatte ich einen Saugroboter gesehen. Mein Blick schweifte durch das Schlafzimmer. Die Vorhänge sahen nicht mehr allzu frisch aus. Zwischen Gardinenstange und Wand hing ein altes, staubiges Spinnennetz. Auch das Fenster war schon länger nicht geputzt worden.
Seufzend begann ich mit dem Saubermachen. Nicht selten bewirkte das bei mir, dass sich auch mein Kopf danach wieder aufgeräumter, klarer anfühlte.
Vorhin hatte mir Daniel kurz einige Räume gezeigt. Jetzt öffnete ich die Tür zu einem Bereich, den ich noch nicht kannte.
Der Raum war vollgestellt mit allem Möglichen und trotzdem fand ich auf Anhieb, dass es der schönste des ganzen Hauses war. Ein Wintergarten. Sofort beschloss ich, hier zu beginnen. Dem überdachten Innenhof würde ein wenig Ordnung nicht schaden. Im hellsten Teil des Raumes standen ein gemütliches Sofa und zwei Staffeleien mit halbfertigen Bildern. Zahlreiche Werke lehnten an den Wänden. Ich erkannte Bleistiftzeichnungen und Porträts. Akte und Mandalas. Voller Neugier hob ich das Leintuch, das über der größeren Staffelei hing.
Hatte Daniel etwa eine künstlerische Ader? Die Umrisse einer indischen Gottheit waren darauf vorskizziert. Sonderbar. So hätte ich ihn gar nicht eingeschätzt.
Auf einem Porträt einer alten Frau waren in der rechten unteren Ecke die Initialen E.M. gemalt. Die Entdeckung dämpfte augenblicklich meinen Arbeitseifer. Sollte diese E.M. doch selbst hier Ordnung schaffen. Doch wieder siegte meine Neugier. Interessiert stöberte ich in den zahlreich herumstehenden Kartons.
Es war ein Sammelsurium von allem. Kleider, Geschirr, Bettwäsche, Reiseandenken, Bücher, Zeitschriften. All diese Dinge trugen einen weiblichen Stempel. Voller Eifersucht betrachtete ich ein spitzengesäumtes, verführerisches Nachthemd. Alles deutete darauf hin, dass diese Frau einfach nur zu faul zum Auspacken gewesen war. Warum sonst sollte das ganze Zeugs hier verstauben?
Ein beklemmender Gedanke ließ mich die Lippen fest zusammenpressen. Was wenn sie tot war? Was, wenn Daniel ihr noch immer nachtrauerte? Was, wenn ich mit einem Geist konkurrieren musste, der hier munter herumspukte?
Der mit Glas überdachte Raum stellte das Tai Chi des Hauses dar. Laut Feng Shui besaß jede Wohnung ein Zentrum, aus dem sie Kraft schöpfen konnte. In diesem Haus beherrschte also die schöne Unbekannte alles.
Das faszinierendste Gesetz unseres Sonnensystems ist das Gesetz von Karma. Ursachen, die in der Zusammensetzung der Materie enthalten sind und mit der Wechselwirkung kleinster, atomarer Einheiten zusammenhängen. Wenn sie das Gleichgewicht der Natur auf irgendeine Art stören, bringt sie sich auf unsere Kosten unfehlbar wieder in Ordnung. Ich war gespannt, was wohl geschehen würde, wenn ich alle Hinweise auf diese mysteriöse E.M. hier entfernte?
Voller Tatendrang begann ich mit der Arbeit. Gleichte mit Dingen, die ich in anderen Räumen gefunden hatte, die fehlende Harmonie aus. Mit einigen zerdrückten Salbeiblättern und einer Kerze räucherte ich zu guter Letzt den Raum aus und vertrieb damit hoffentlich alle störenden Geister. Zufrieden begutachtete ich mein Werk, als ich plötzlich Schritte hörte. Daniel! Er war endlich zurückgekommen. Ob ihm gefiel, was ich aus dem Raum gezaubert hatte?
„Ich bin hier!“, rief ich ihm entgegen und trommelte nervös mit den Fingerspitzen gegen meine Lippen. Jemand betrat den Raum. Meine Kinnlade klappte nach unten. Sprachlos starrte ich den personifizierten Geist von E.M. an. Den wollte ich doch von hier vertreiben.
„Hey!“, sagte der Geist. „Ich wusste nicht, dass jemand hier ist.“