Der Haken
»Und dieses Juwel ist wirklich noch zu haben?« Ich konnte mein Glück kaum fassen.
Wir standen am Vordereingang einer kleinen Villa, die sich wie die Illustration eines Märchenbuches in einen verwilderten Garten schmiegte. Insekten summten, es duftete nach Sommer, nach Natur und auch ein wenig nach Moder.
»So ist es, allerdings gibt es bereits etliche weitere Interessenten«, erklärte der Makler und trat aus dem Sonnenlicht hinaus in den Schatten der gewaltigen Eiche, die beinahe die gesamte Vorderfront in kühles Zwielicht tauchte.
»Wollen wir dann hineingehen?« Er drehte den Schlüssel und ließ beide Flügel der Eingangstür aufschwingen. Absolut lautlos, wie ich verwundert feststellte. »Nach Ihnen, bitte.«
Als erstes bemerkte ich den wundervollen Mosaikboden, mit dem die Eingangshalle gefliest war. Die Motive schienen aus einer mir unbekannten Mythologie zu stammen und wirkten ein wenig martialisch, doch die Farben waren einfach nur traumhaft. Rechts ging es in die Küche, zwar schön geräumig, aber auch hoffnungslos altmodisch. Hier würde man komplett erneuern müssen.
»Strom und fließendes Wasser sind vorhanden, oder?«
»Selbstverständlich!« Der Makler zog pikiert die Nase in die Höhe. »Dem Vorbesitzer ist Komfort und ein gewisser Status sehr wichtig gewesen.«
Das glaubte ich unbesehen, denn es fanden sich überall kleine Kostbarkeiten aus seinem Besitz. Hier eine kunstvoll geschliffene Sherrykaraffe mit Gläsern, dort eine exquisite Miniatur. Und alles war im Kaufpreis inbegriffen.
Linkerhand betrat man den Salon mit Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und von schweren Samtportieren in tiefdunklem Rot eingerahmt wurden. Staubkörnchen tanzten im Licht, dennoch wirkte alles sauber und gepflegt. Ein offener Kamin und Ledermöbel, die eine ehrwürdige Gediegenheit förmlich auszuatmen schienen, begeisterten mich genauso, wie die angrenzende Bibliothek. Es würde ein herrliches Abenteuer werden, den Inhalt all dieser in uraltes Leder gebundenen Folianten zu erkunden.
Das Obergeschoss, das wir über die kleine Freitreppe erreichten, beherbergte eine Handvoll verwinkelter Zimmer und ein prachtvolles Bad. Auch hier waren die Armaturen rettungslos veraltet, aber die Badewanne auf klauenbewehrten Füßen machte das locker wieder wett.
Das gesamte Anwesen strotzte vor Charakter, hatte den Charme eines historischen Landsitzes und auch einen leichten Gruselfaktor. Eine unwiderstehliche Mischung, ich wollte dieses Haus unbedingt haben.
»Sagen Sie, wie kommt es, dass solch ein Objekt so preiswert angeboten wird?« Der Kaufpreis klang nämlich zu schön, um wahr zu sein, und ich witterte bereits einen gewaltigen Haken.
»Oh, das hat mit den Ansprüchen der Nachbarschaft zu tun«, wurde mir erklärt. »Wir legen hier allergrößten Wert auf ein adäquates Umfeld und wollen, wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen, keinesfalls mit irgendwelchem Gesocks Tür an Tür leben.«
»Das kommt mir sehr entgegen«, meinte ich. »Könnten wir dann die weiteren Formalitäten besprechen? Ich habe mich entschieden, das Anwesen erwerben.«
»Ich bin überaus erfreut, aber klären wir zunächst Ihre genaue Befindlichkeit. Frisch verstorben, tot, halbtot, scheintot oder untot?«
»Wie bitte?« Auch wenn es perfekt in dieses Ambiente passte, so lustig fand ich die Frage nicht.
Der Makler sah allerdings nicht aus, als hätte er einen Witz gemacht. »Welcher der genannten Zustände trifft auf Sie zu?«
Na gut, würde ich eben mitspielen, Hauptsache der Kauf ging über die Bühne. »Im Augenblick noch keiner«, entgegnete ich. »Doch in schätzungsweise 70 Jahren dürfte ich mit einiger Wahrscheinlichkeit Punkt eins erfüllen.«
»Das ist bedauerlich, denn so lange können wir nicht warten«, sagte der Makler. »Sind Sie vielleicht ein Werwolf oder, wie der Vorbesitzer, ein Vampir? Das wäre natürlich auch akzeptabel.«
»Leider nichts von alledem.«
»Dann muss ich zu meinem größten Bedauern ablehnen, die Villa Blutbuche steht für normal Sterbliche nicht zum Verkauf. Stand das nicht in der Anzeige? Mein Fehler, ich bitte dieses Versehen zu entschuldigen.«