Seitenwind Woche 5: Launisches Wetter

Die achte Plage

Während sich Chester schwitzend den Damm hinauf quälte, schien die Kante der Böschung wie ein Vorhang auf ihn herabzugleiten und die Sicht auf etwas freizugeben, was sein Leben und das Millionen anderer grundlegend verändern sollte. Er redete sich ein, dass alles okay sein musste, aber sein Gewissen durchkreuzte diesen halbherzigen Versuch, indem es Unsicherheit, Zweifel und Misstrauen einstreute. Als er über den Rand der Böschung trat und realisierte, was seine Augen erblickten, weckte es eine Angst in ihm, wie er sie zuletzt als Kind verspürt hatte. Chester war durch und durch Amerikaner. Business, Money, Besitz, Familie, der American Way of Life eben, waren wie ein Naturgesetz für ihn. Amerika war die Welt und die Welt war Amerika. Das war bei seinem Großvater so gewesen, das war bei seinem Vater so und verdammt nochmal, so würde es auch bei ihm sein. Alles andere waren Fake News, die von irgendwelchen Spinnern in die Welt gesetzt wurden, um ihm und den Erfolgreichen den Tag zu vermiesen, den wohlverdienten Erfolg ihrer Arbeit streitig zu machen und Unfrieden zu stiften. Dieses tief verankerte und fest gebaute Haus aus Lebensprinzipien und unveränderlichen Wahrheiten, welches er errichtet hatte, um ihm ein Leben lang Sicherheit zu bieten, ächzte in allen Fugen und die Wände durchzogen tiefe Risse; über Jahrzehnte perfekt in Takt, jetzt in seinen Grundfesten erschüttert.

Sein Geist war noch immer damit beschäftigt zu verarbeiten, was seine Augen sahen, während sie wie gelähmt über die Landschaft krochen. Der Lake Oroville war der zweitgrößte Stausee in Kalifornien und er hatte damit gerechnet, dass der Wasserspiegel stark gesunken sein musste. Die Meldungen über Wasserknappheit, die Aufforderungen Wasser zu sparen, die Verbote den Rasen mehr als zweimal die Woche zu wässern, hatten sicher Gründe. Er hatte sich darauf eingestellt, dass er einige zig Meter, vielleicht sogar Hundert oder Zweihundert Meter laufen musste, um den Rand des Sees zu erreichen. Vielleicht würden einige Boote auf dem Trockenen liegen. Der Uferstreifen würde sicher deutlich grösser als gewohnt sein. Es war eben Trockenheit, sowas hatte es schon immer gegeben, kein Grund zur Panikmache. Mal ist der See voll, mal ist der See eben leerer, dann regnet es und alles ist wieder okay.

Was er aber jetzt sah und Stück für Stück begriff, war etwas völlig anderes. Der See war, ja, man konnte es nur so nennen, zu einer winzigen Pfütze zusammengeschrumpft, die weit unter ihm in der Talsohle in der Sonne glänzte. Der ehemals so große und herrliche See war verschwunden. Wo ihn sonst frische, feuchte Luft empfangen hatte, waberte ihm heute eine schwere heiße Dunstglocke entgegen, die faulig nach Algen und altem Fisch roch und Übelkeit verursachte. Er schluckte, verdrängte den Geruch und lief weiter in die Senke zum Wasser hinunter. Er hörte keine Vögel, keine Enten oder sonst irgendwelche Tiere, es war bedrückend still. Der Boden war sandig und gab unter seinen Schritten nach. Falls es hier Wasserpflanzen gegeben hatte, dann waren sie jetzt jedenfalls komplett verschwunden, keine verdorrten Reste, nichts. Während er in die Senke hinunterstieg, wurde der warme Wind schwächer und setzte dann komplett aus; in der Windstille begann er zu schwitzen und nach wenigen Minuten klebte sein Hemd wie eine zweite Haut an seinem Körper. Der Boden zeigte nun die typische Struktur ausgedörrter Wasserflächen, mit den ovalen, schindelförmigen Bruchstücken, die den gesamten Boden wie Narbengewebe überzogen. Er nahm die ersten Reste von Algen und abgestorbenen Wasserpflanzen wahr, fast völlig eingetrocknet; Fliegen summten um sie herum. Die Luft war wie in einer Sauna nach einem Aufguss, heiß, extrem schwül, stickig und nach Fisch und Algen stinkend. Ihm wurde übel und er rutschte auf den feuchter werdenden Bruchstücken des Bodens aus und stürzte. Er fluchte, stand wieder auf und versuchte sich keuchend und schwitzend vom Dreck an seiner Hose, seinen Armen und Händen zu befreien; vergeblich, das Zeug klebte an ihm wie Spachtelmasse. Er schlurfte schwitzend, entgeistert weiter dem Rand der Pfütze entgegen, während seine Energie, seine Motivation in Strömen aus seinem Körper flossen. Am Rand der muffigen, trüben Suppe angekommen, konnte er seinen Brechreiz nicht mehr bändigen und er übergab sich. Als er wieder zu Atem gekommen war und seinen Blick über die Naturruine schweifen lies, drängte sich ein schwelender Gedanke mehr und mehr in sein Bewusstsein und er begriff mit einem Schlag, dass dies das Ende seines bisherigen Lebens war und wahrscheinlich auch das von Millionen weiterer Menschen.

Damit hatte er Unrecht. Es war das Ende des bisherigen Lebens von Milliarden!

Der Sonnenschein trieb euch in den Schatten eurer Unsicherheit.
Ich ließ Regen über das Land gießen, doch ihr wart unter verschiedene Dächer geflüchtet.
Windstoß für Windstoß wollte ich euch gegenseitig in eure Arme treiben, aber ihr habt hinter massiven Mauern Schutz gesucht.
Ich dachte, würde es nur kalt genug, werdet ihr die Wärme des anderen endlich annehmen.
So bedeckte ich jedes Haus, und jede Baumkrone, mit einer dichten Schneedecke. So romantisch erstrahlte der kleine Ort, wie aus einem alten Gedicht entsprungen.
Gespannt wartete ich, jedoch wärmte jeder einzeln seine Hände am Kaminfeuer.
Es machte mich wütend, dass ihr es nicht sehen konntet, was doch so offensichtlich war.
Es brodelte in mir, der Donner grollte durchs Tal.
Diese Selbstsucht, die Uneinsichtigkeit, der Egoismus.
Mit geballten Kräften schlugen die Blitze nieder, der Schauer fiel schwer, bis sich Mulden im Schotter auftaten. Ohrenbetäubendes Rauschen schickte ich los und den Boden unter euren Füßen ließ ich erbeben.
Sie spürten, dass jenes Gewitter anders war, als jedes zuvor erlebte. Sie wussten, dass ich nicht Ruhe geben würde, bis sie sich wieder liebend in den Armen halten.
Nur sehr wenige Augenblicke später, trafen die ersten Sonnenstrahlen die Erde, auf welcher sie sich nach Monaten wieder umarmten.

„Heda, herbei meine Mächte und Gewalten. Her zu mir, es gibt zu tun!“. Wellen brachen sich mit einem donnernden Echo an der Küste. Der Meeresgott höchstselbst, umgeben von aufbrausender Gischt, mit einer Geste, die keinen Widerspruch duldete, beorderte uns zu sich. Mein Kollege, der Sturm brauste und rumpelte schon ungeduldig und bohrte sich als Wirbel in Poseidons Meerespalast. Sein Tosen drückte Poesie aus. Inmitten einer Identitätskrise gefangen, wollte er als der Poet der Zerstörung gelten, ein Schöpfer dramatischer Geschichten am Himmel, der mit Blitzen und Donner seine ungeschriebenen Gedichte rezitierte. Verzweifelt die Anerkennung als Künstler suchend, drohte seine Krise, ihn zu extremen Taten zu treiben, die uns alle gegen ihn aufbringen könnten.

Die Dürre schlich staubig und trocken herbei. Eine geduldige Lehrerin der Demut, mit einem Ultimatum als Dreingabe: Wenn Menschen weiterhin die Gaben der Erde missachten, würden sich ausgedörrte Risse wie gierige Finger über das Land strecken, jeden Halm und jede Blüte in ihrem knöchernen Griff ersticken. Dieser Anspruch lastete schwer auf unserem Gemüt. Ließe sich eine Lösung finden, bevor die Dürre nicht mehr zu besänftigen war? Ich hingegen, die Flut, plätscherte in dem mir eigenen Rhythmus heran. In mir trage ich die reiche Erfahrung einer Lehrmeisterin. Ich bin jederzeit bereit, den Menschen mit Geduld die Lektionen von Demut und Respekt vor der Natur zu erteilen. Wenn der Gott des Meeres es befiehlt.

Da stach der mächtige Hippios, der Zeusbruder Poseidon, mit seinem Dreizack in die Erde und das stürmische Grollen eines Seebebens folgte. Er empfand seine Missachtung als „abgelegte Gottheit der Antike“ für eine Demütigung, die den Tiefpunkt seines Abstiegs in den Rängen der Götter markierte. Sein Begehr war, dass wir, seine Naturgewalten, diese unehrerbietigen Menschen wieder aufrütteln und seinen Rang wiederherstellten. Unser Disput war so stürmisch wie das Keifen mittelalterlicher Scholastiker. So kollernd wie der Sturm, der mit seiner Sehnsucht nach Poesie den Himmel zu seinem Theater machte. So hart wie die Dürre, die in ihrer zehrenden Kargheit eine Lektion der Wertschätzung des wenigen erteilte. Und so unberechenbar wie ich, deren menschenmordende Kräfte schlummerten. Jeder von uns wollte die Aufgabe übernehmen, Poseidons Macht zu demonstrieren. Als wir zu keiner Einigung kamen, entschied Poseidon, dass ein Mensch – ein gewisser Bauer Jorgo aus Nauplia – über unseren Auftrag zu entscheiden hatte. Er hatte das „Glasauge des Polyphem“, das Sendzeichen an die Naturgewalt zu überreichen, die er für würdig hielt.

Stumm hörte Jorgo unsere Argumente. Der Sturm prahlte mit seiner Kraft und der Eleganz seiner Wirbel, die Dürre mit ihrer Ausdauer und der Stärke ihrer Lehren und dem drohenden Ultimatum. Und ich? Milde gestimmt erzählte ich von den sanften Wellen, die auf mein Geheiß das Land schmeicheln würden. Und den stillen Lektionen, die ich im Rhythmus des Wassers vermittelte, ohne das volle Ausmaß meiner Fähigkeiten zu offenbaren.

Und Jorgo wählte mich, die Flut. Er sah etwas in mir, das weder der Sturm noch die Dürre boten: die Macht, Leben zu bringen und zu nehmen, zu zerstören und doch zu nähren, aber auch die Geduld und Weisheit, die nötig sind, um die Menschheit zu lehren und zu führen. Mit einem tiefen Verständnis für die Bedeutung des natürlichen Gleichgewichts, die zu übermitteln ich auslobte, überreichte er mir das Glasauge, meine Legitimation, und ich schwor, es würdig zu tragen.

Als später meine Sendboten, die Wellen, in das Land eindrangen, gafften die Menschen zunächst bloß und zückten ihre Mobilphone. Sie sahen nicht den Zorn Poseidons, sondern eine Sensation für ihre „Selfies mit Flut“. Der willkommene Anlass eines heftigen Tweetsturms. Als ich mich zurückzog, blieb eine gewandelte Welt zurück, in der das einst wilde Land in sattem Grün strahlte und die Sonne sich in den sanft wogenden Wellen spiegelte. Die überfluteten Felder verwandelten sich in fruchtbare Ebenen. Kinder spielten erneut an den Ufern der Flüsse, die vormals begradigt, kanalisiert und gezähmt waren und von Neuem in geschwungenen Mäandern zum Meer strebten. Die Menschen, die sich zuvor hinter geschlossenen Türen zu verschanzen, mit zu ihrem letzten Damm aufgestapelten Sandsäcken sich zu erwehren suchten, standen zusammen. Sie verstanden die Lektionen, die ich zu lehren hatte. Sie pflanzten Blumen entlang der Flussufer zum Zeichen des Dankes – jede Blüte ein stilles Versprechen, die Natur zu ehren.

Jetzt sitze ich hier, eine alte, viel besungene Flut. Mich umgeben meine zahlreichen Enkel und lassen sich erzählen von jenem Tag, an dem ein Bauer den Gott Poseidon herausforderte und mich, das lebenspendende Wasser, wählte. Ich lehre die Bedeutung von Respekt vor dem, was wir nicht kontrollieren können – und die Achtung dessen, was natürlich gewachsen ist. An irgendeinem Strand dieser Welt spielen meine Wellen mit dem Auge Polyphems. Poseidon verlor das Interesse an Verehrung auf einer ihm fremden Erde ohne seine abgelegten Mitgötter. Letzte Tweets deuten an, dass er mal wieder versucht, seinem Neffen Minos einen Stier abzujagen.

Föhn

Es regnet südlich der Alpen. Schwere Regenwolke hängen über dem Land. Hier heisse ich Südwind und treibe sie unaufhörlich vor mir her, bergwärts. Und genau am höchsten Kamm bocken die Wolken, wollen nicht mehr weiter und bilden aus Wolkentürmen eine Föhnmauer. Mir wird so leicht, ich entfliehe den Begleiterinnen und stürze mich ins Tal hinunter. Immer schneller, immer heisser. Ich rüttle an Fensterladen und was nicht fixiert ist fliegt! Die Sicht ist hier klar, Berge zum Greifen nah. Die Leute klagen über Kopfweh, sind übel gelaunt oder gar depressiv. Von Holzherden oder verlassenen Feuerstellen habe ich schon oft Glutreste aufgewirbelt und weit herum getragen. So stehe ich im Rufe eines Brandstifters und früher mussten die Hausfrauen auf obrigkeitlichen Befehl hin Öfen und Herde löschen, wenn ich im Anzug war. Wenn ich gut drauf bin, so gelingt es mir, Bäume zu entwurzeln oder zumindest Äste herunterzubrechen. Gnad dem, der dann nicht rechtzeitig Schutz gefunden hat. Doch heute heule ich eher gemächlich durchs enge Alptal, hinaus auf den Urnersee, den ich zu Meterwellen aufwühle. Am Ufer blinken die orange-gelben Sturmwarnungen mit der grössten Frequenz. Einige unverdrossene Surfer jage ich trotzdem mit atemraubender Geschwindigkeit übers Wasser, hin und her, her und hin bis sie tauchen. Ich aber stürme weiter. Erst als ich den engen Talkessel verlasse, kann ich mich etwas beruhigen. Ganz verliere ich mich aber erst viel weiter weg, irgendwo jenseits des Rheins.

Ich bin die Sturmwind gewordene Apokalypse

In einem wütenden Tanz umwirbeln meine Wolken die belebte Stadt, ein gewaltiger Sog, der die Menschen in den Wahnsinn treibt. Bäume biegen sich vor meiner tobenden Macht, und meine Donnerschläge hallen wie finstere Prophezeiungen durch die Straßen. Ein Schurke lauert im Schatten meiner Blitze. Seine finsteren Pläne gedeihen im Chaos entfesselter Wut.

Ich bin die Sturmwind gewordene Apokalypse, der Donner, der das Universum erschüttert. Eure Stadt wird zum Schauplatz eines gigantischen Dramas werden, in welchem die Elemente zu den Antagonisten des Menschen werden. Ihr flüchtet in das Labyrinth eurer engen Gassen, getrieben von der vergeblichen Hoffnung auf Schutz. Eilt durch das höllische Inferno zu den Schutzräumen. Irre Schreie schrillen krasse Dissonanzen zu meinen krachenden Beats. Doch selbst noch in dieser elementaren Verzweiflung formiert ihr einen letzten Widerstand gegen mich und die Finsternis, die meinen Furor für ihre Ziele missbraucht.

Blitze erhellen für Sekunden eure entschlossenen Gesichter. Ihr wagt es meiner Raserei zu trotzen mit einem letzten Hauch von Mut? Doch ihr kämpft nicht nur gegen meine ungezügelte Natur, sondern auch gegen den das darunter verborgene Böse. Oh ja, erst einmal in die Enge getrieben, verbindet ihr euch zu einem zähen Widerstand aus gattungsgemäßer Solidarität und dem blinden Überlebenswillen des Individuums. Mit festen Griffen klammert ihr euch aneinander fest, als wäret ihr rattige Anker gegen meine ozeanisch zerrende Kraft. Gemeinsam errichtet ihr improvisierte Barrieren aus allem, was ich euch hasserfüllt entgegen schleudere: Mülltonnen, Autoreifen, leicht wie Federn herumfliegende Balken, tonnenschwere Baukräne, Barbiepuppen und schicke bajuwarische Teddybären.

Einige von euch ergreifen Zuflucht zu symbolischen Gesten, entfachen lodernde Feuer, um die ihr endzeitlich verzückt herumtanzt, als wolltet ihr mir damit eine gänzlich andere Energie entgegensetzen. Andere von euch versuchen mit lauten Rufen und Gesängen meine Donnerschläge zu übertönen, als könnten sie die Natur allein mit ihrer Entschlossenheit übertrotzen. Fensterläden werden verstärkt, Türen mit improvisierten Verstrebungen versehen. Hysterisch fuchtelnde Hände formen lächerliche Schilde aus Müllsäcken, Regenschirmen oder eisenbewehrten Mehrzweckplatten. So wird eure Stadt zum endzeitlichen Schauplatz einer kollektiven Verteidigung, in der ihr armen Menschlein eure Kreativität und Solidarität nutzt, um euch gegen meine empörte Natur und die darin verborgene Schurkerei der Dunkelheit zu behaupten.

Inmitten meines Rasens gelingt es euch dennoch, einen magischen Funken zu entzünden. Einige, von einer geheimnisvollen Energie durchdrungen, erheben ihre Hände und formen schimmernde Barrieren aus Licht, die meiner wilden Winde wehren. Ihre Augen leuchten im Einklang mit der Magie, die sie beschwören und ihre schwach scheinenden Gesten wirken wie ein choreographierter Titanentanz gegen meine alles zerstörende Kraft.

So erscheinen plötzlich leuchtende Symbole und Runen, gewoben von unsichtbaren Händen, auf den Flanken meiner alttestamentarisch erzürnten Wolkenberge. Auf einmal verschmilzt diese Magie mit anderen, hellen Elementen zu einem geheimnisvollen Bündnis, als hätte die Menschheit Kräfte der alten Lade entfesselt, die noch sehr viel älter sind, als die ältesten Stürme.

Der dunkle Schurke, der mich missbrauchen wollte, sieht sich nun einer unerwarteten Opposition der Helligkeit gegenüber. Die Lichtbarrieren potenzieren sich in ihrer Wirkung und schließlich scheint eine unsichtbare Hand weit höherer Macht mich gebieterisch zu zähmen. Meine wütenden Winde legen sich, der Donner verebbt, die Dunkelheit weicht einem sanften Glühen. – Es werde Licht!

Der Schurke, der in meinem Schatten lauerte, wird von der Entschlossenheit der Menschen überwältigt. Seine finsteren Pläne zersplittern wie Glas, und er verschwindet in den Wirbeln meines Rückzuges in die kalten Winterberge. Die Stadt, einst von Zerstörung bedroht, erhebt sich wie ein neu geborenes Atlantis österlich aus ihren Ruinen. Ein Ort vergessener Legenden, der durch die Magie und den Zusammenhalt der Menschen wieder aus den Tiefen der Geschichte emporstieg. Die Sonne wirft goldenen Strahlen auf ihre Türme und Zinnen, lässt Türkise im sanften Licht erstrahlen. Die Menschen, nun vereint in ihrem Triumph über die Naturgewalt und den darunter verborgenen, finsteren Absichten, treten aus ihren erbärmlichen Schutzräumen hervor. Ein Gefühl der Einigkeit durchzieht dennoch die zerstörten Straßen. Verborgene Blicke anerkennenden Respekts und der Dankbarkeit werden untereinander getauscht. Endlich bricht die Sonne durch die Wolken. Ihre Strahlen entwerfen ein altmeisterliches Bild der Hoffnung auf den regennassen Straßen. Der Himmel klart weiter auf und wird am Ende zum Symbol für die unbändige Kraft des Menschseins, dem Zauber und Fluch, der in ihrer unterschätzten Einigkeit liegen kann.

Perfektes Wetter für ein Spiel

Während ich alles aufbot, was mir zur Verfügung stand (peitschender Regen, tennisballgrosse Hagelkörner, Blitz, Donner, Sturmböen), standen der Held und der Schurke unglücklich im Hauseingang der Mietwohnung des Schurken in die der Held gerade eingedrungen war.
«So eine Gemeinheit.», schimpfte der Held, «Wir sollten doch jetzt den Endkampf mit Jetpacks über der Stadt führen.»
«Bei dem Wetter», antwortete der Schurke missmutig, «kannst du dir das in die Haare schmieren. So ein Kampf wäre unter diesen Bedingungen viel zu gefährlich. Jemand von uns könnte sich ja verletzten.»
«Ja aber was machen wir denn jetzt?», fragte der Held.
Der Schurke dachte kurz nach, zuckte mit den Schultern und sagte: «Ich schlage vor wir gehen wieder rein, bevor wir noch nass werden.»
Damit drehte er sich um und ging zurück zur Tür, die er öffnete und dann dem Helden mit einer Handbewegung bedeutet zuerst einzutreten.
Da der Held zögerte schickte ich eine kräftige Böe aus, die einen Schwall schwerer Regentropfen in den Hauseingang wehte und klatschend auf den Held traf.
Nun hatte es der Held plötzlich eilig ins Haus zu kommen. Als er hinter dem Schurken das Treppenhaus hinaufstieg zögerte er dann nochmals, obwohl er wegen seiner durchnässten Kleider bereits zitterte.
«Aber können wir später sagen, dass du mich entführt hast?», fragte er den Schurken.
Dieser drehte sich um, zog eine Augenbraue in die Höhe und nickte dann gleichmütig.
Kurze Zeit später sassen sie in der gemütlich eingerichteten Wohnung des Schurken in zwei Polstersessel, während ich in gemütlichem Takt mit grossen, fetten Regentropfen gegen die Fenster pochte und die Regenrinne füllte, so dass es darin lustig gluckerte.
Da sie die gleiche Grösse hatten, hatte der Schurke dem Helden einige seiner Anziehsachen geliehen, damit sich dieser in seinen nassen Kleidern keinen Schnupfen holte und seine nasse Kleidung im Badezimmer trocknen konnte.
Einige Minuten sassen der Schurke und der Held schweigend in ihren Sesseln und lauschten dem Geräusch der Regentropfen, beobachteten die Blitze, die ich in immer neuen, ausgefallenen Formen über den Himmel jagte und lauschte dem dunkel, grollenden Donner, den ich auf jeden Blitz folgen liess.
Lange hielt es aber der Schurke nicht auf seinem Sessel aus.
Schon bald stand er auf und verschwand in der Küche. Er kam mit einer Kanne heissem Kakao und zwei Tassen zurück.
Der Held starrte mit verkniffener Mine auf die Tassen und die Kanne, die der Schurke auf den niedrigen Tisch zwischen den Sesseln stellte.
«Als ob ich irgendetwas trinken würde, das du mir anbietest. Ich weiss doch, dass es vergiftet ist.», sagte er und spie die Wörter dabei aus, als wären sie selbst ein Gift, das er ausspeien müsse.
Der Schurke seufzte und erwiderte gleichgültig: «Tu was du nicht lassen kannst.»
Er nahm die Kanne, füllte eine der Tassen, setzte sie an die Lippen und trank sie langsam und genüsslich aus. Er zeigte dem Helden die leere Tasse und füllte sie sich erneut.
Der Held schaute nachdenklich auf die Kanne. Er roch wohl den leckeren Kakao.
Einen Moment rang er noch mit sich, dann goss auch er sich eine Tasse ein und nippte misstrauisch an dem Getränk. Offenbar war es so lecker, dass er den restlichen Inhalt seiner Tasse in einem Zug hinunterstürzte.
Wieder war es einen Moment still.
Dann sagte der Schurke: «Hättest du Lust ein Spiel zu spielen?»
«Wie bitte?», fragte der Held in einem Ton als hätte er sich verhört.
Der Schurke zuckte entschuldigend mit den Achseln und sagte: «Mir ist langweilig.»
«Vielleicht hört es ja bald auf…», begann der Held, aber in diesem Moment knallte ich mit einer besonders starken Böe eine besonders grosse Menge Regentropfen auf die Fensterscheibe und der Held wandte sich nun interessiert dem Schurken zu und fragte: «Was hast du denn für Spiele.»
Es stellte sich nun heraus, dass der Schurke obwohl ein Computernerd auch ein Liebhaber von Brettspielen war.
Der Held und der Schurke einigten sich schliesslich auf das Spiel «Wer wars» in dem die Spieler gemeinsam den Dieb eines mächtigen Zauberrings entlarven müssen.
Es dauerte zwar eine Weile, bis der Held begriff, dass er mit dem Schurken und nicht gegen ihn spielen musste, aber nachdem er das kapiert hatte, klappte es ganz wunderbar und sie waren ein perfektes Team.
Runde um Runde spielten sie, probierten auch andere Spiele aus, aber am Ende fanden sie immer wieder zu «Wer wars» zurück.
Sie waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie gar nicht bemerkten, wie ich allmählich an Kraft verlor. Der Regen wurde schwächer, zu Hagel, Blitz und Donner war ich schon länger nicht mehr in der Lage und die Sonne drückte immer energischer gegen die dichte Wolkendecke, bis sich diese schliesslich ebenfalls zerstreute und ich nur noch in einigen schwachen Windstössen präsent war.
Der Held und der Schurke bemerkten das schöne Wetter draussen, als sie gerade wieder eine Partie beendet hatten.
«Nun könnten wir unseren Kampf führen.», sage der Held.
«Es wären beste Bedingungen.», pflichtete ihm der Schurke bei.
Der Held wandte sich vom Fenster ab und dem Schurken zu: «Aber was hälst du von einer letzten Partie.»
Der Schurke lächelte, nickte erfreut und begann mit dem Aufbau einer neuen Runde «Wer wars».
Hab ich das nicht toll hingekriegt?

Vereinigung

Wie ich sie liebe! Ich senge, dorre und verbrenne – doch dann, wenn Fata Morganen am Horizont aufsteigen und mein Flirren über dem Asphalt sämtliche Konturen auflöst, dann brauche ich sie! Sie, geboren aus dem Atem der Erde. Sie, schillernd im Glast des erwachenden Tages, in Schleiern um Baumwipfel, in Kissen auf noch schlafenden Flüssen, sich sammelnd in riesigen wogenden Becken.

Trunken vor Verlangen stelle ich ihr nach. Ich knistere in ihre Frische, bis sie sich öffnet, mir und meinem vom himmlischen Licht und Feuer entstammenden Wesen. Erst dann weiß ich, dass sie sich ebenso verzehrt, danach giert, von mir umfangen ihrem Siedepunkt zuzustreben. Ich liebe es, wie sie sich in meinen Armen auflöst und mit mir verschmilzt.

Wir schweben einander in die Arme, tanzen, umschlingen, vermengen uns, werden eins - lüstern und hemmungslos. In schier göttlicher Symbiose vereinigt gleiten wir unter die Kleidung der Erdbewohner. Geschmeidig kriechen wir zu ihnen in die Betten, kosten ihr Stöhnen, stärken uns an ihrem Ächzen, sättigen uns an ihrem salzigen Schweiß und fiebern nach mehr, nach mehr, ah - mehr!

Kurz vor dem Höhepunkt flieht all das Blau vom Firmament und stiebt auf orkanartigen Winden richtungslos davon. Blätter wirbeln, Äste peitschen, Staub wälzt sich in Pirouetten, Düfte und Klänge reiten zerrissen auf Sturmböen in die Weite. Noch inniger umschlingen und saugen wir einander auf. Wir lassen uns in diesen allumfassenden Taumel fallen, fressen die Farben, reiben, treiben in höchste Ekstase --------------------------

--------------------wo sich unsere Energie in gewaltigen Blitzen entlädt und der Himmel Fanfaren und Kanonen donnern und die Erde beben lässt.

Ermattet zerfällt unser Wir wieder in ich und du.

Wetterkapriolen
Johann war überzeugt, es diesmal zu schaffen. Er ist am Boden zerstört. Obwohl er Tag und Nacht gelernt hat, meistens jedenfalls, hat er es wieder nicht geschafft. Mathematik und Sprachen, die beiden wichtigsten Fächer, eine echte Katastrophe für ihn. Durchgefallen – ohne Abschluss – was jetzt? Zum Abiball hingehen, ist nicht gestattet und die Abschlussfahrt fällt ebenfalls ins Wasser. Verzweifelt sitzt er in seinem Zimmer auf dem Boden vorm Bett. Er ist entschlossen, niemanden zu sehen, mit keinem zu reden, nichts zu essen. Sein Vater ist sauer. Zeit verschwendet und für was? Obwohl seine Mutter ihn tröstet, dringen die Worte nicht zu ihm. Die Freude seiner Mitschüler erträgt er schon gar nicht.
Er benötigt eine Alternative.
„Du machst eine Ausbildung!“
Das steht für seinen Vater fest. Nur welche? Darüber hat er gar nicht nachgedacht. BWL studieren, das war sein Wunsch, aber der klappt nicht, das ist ihm jetzt klar. Johann hat keine Lust mehr auf Schule und wenig Bock auf eine Lehre. Das gibt Stress mit Papa. Er braucht einen Plan.
Nachher trifft er sich mit seinem besten Freund, dem fällt auf jeden Fall was ein. Für den scheint immer die Sonne, Wolken schiebt er bei Seite und ist dabei so freundlich.
Johann ist normalerweise aktiv, greift Projekte an und setzt sie um. Matze sagt, mach dich doch selbstständig, werde dein eigener Chef und zeig es allen. Fahrradkurier, was für eine verrückte Vorstellung. Sowas fällt nur seinem Kumpel ein. Aber je länger er darüber nachdenkt, desto besser gefällt ihm die Idee. Sein Fahrrad ist neu und Radfahren seine liebste Fortbewegung. Die Stadt kennt Johann wie kein anderer, ein wasserfester Transportrucksack ist schnell besorgt. Was hindert ihn? Ein Konzept ist ruckzuck geschrieben, gedruckt und verteilt. Er ist voller Elan. 10 Aufträge hat er schon und Montag fährt er los.
Sein erster Arbeitstag und es regnet. Die Frankfurter Straße runter, am Kiosk vorbei, zügig kommt er voran. Johann holt die Unterlagen vom Bankhaus ab und sprintet los, um die Briefe zur Anwaltskanzlei Brock und Starre zu bringen. Er fährt schnell durch die Pfützen. Das Wasser spritzt nur so und die Fußgänger schimpfen über seine rücksichtslose Fahrweise. Die Bürovorsteherin quittiert dem Fahrradboten seine Lieferung. Zeitlich knapp, aber rechtzeitig angekommen.
Schon springt er wieder aufs Rad, um eine weitere Sendung von einer Spedition abzuholen. Die Straßen sind voll und er kommt nur langsam voran. Viele Ampeln säumen seinen Weg und er hat rote Welle. Wenn das so weitergeht, schafft er seinen Zeitplan nicht. Abrupt bremst er, weil ein Mann, ohne zu schauen, die Fahrbahn überquert. Johann schimpft, beeilt sich, weiterzukommen, und nimmt eine Abkürzung. Pünktlich holt er einen Umschlag vom Pförtner ab. Schnell stopft er diesen in den Rucksack und rast los. Bis zum Hafen ist es ein ganzes Stück.
Diesmal wird eine persönliche Übergabe verlangt. Brenda ist fast schon im Feierabend, es klingelt.
„Kurierpost“, brüllt Johann in die Gegensprechanlage.
Um diese Zeit? Sie hatte keine andere Wahl. Ein junger Kerl in verschwitzten Fahrradklamotten kommt nach oben. Sie schaut zu, wie er den Umschlag aus seinem schlammbespritzten Rucksack holt.
„Wo kommen sie denn jetzt erst her“, schnauzt sie den Mann an.
„Von der Spedition Wagenknecht“ antwortet Johann souverän.
„Rote Welle ließ kein Tempo zu. Ein älterer Herr kreuzte unberechtigt meinen Weg, eine Polizeikolonne stoppte mich und eine Frau brauchte Erste Hilfe, weil ihr bei diesem Regen der Schirm weggeflogen war. Kurz vorm Hafen musste ich noch einen Hund retten, der fast ertrunken wäre. Jetzt bin hier, rechtzeitig, vor ihrem Feierabend“.
Brenda reißt ihm den Umschlag aus den Händen und knallt laut die Tür zu.
„So ein Lügner“, sagt sie wütend.
Ein Regenbogen zeigt sich am Himmel.

Ein toller Tag

Es ist ein schöner Sonnenaufgang am Sonntagmorgen. Die Wölkchen schimmern im Sonnenschein rosa am blauen Himmel. Die Wolken ziehen sanft und leise über das Dorf Ritterstern und die Menschen genießen ihr Frühstück.

Ich lasse in der Zeit die Wölkchen immer größer werden und inzwischen ist eine riesige Wolke über Ritterstern entstanden. Seit Tagen gab es keinen Regen, aber endlich ist es so weit. Nun darf ich für eine Abkühlung am heißen Tag sorgen. Gleich geht es los, nur noch ein paar Minuten. Dann ist es so weit.

Endlich kam ich als große Platztropfen auf die Erde runter. Wie ich mich so fallen lies, glitzernd im einzelnen Sonnenstrahl, beobachtete ich, wie die Kinder und Erwachsene in ihre Gummistiefel und Regenmäntel kletterten und sich nach draußen wagten.
Es wurde sich gedreht, die Regentropfen mit dem Mund aufgefangen und die bunten Regenschirme tanzten im schimmernden Sommerregen auf und ab.
Ich prassel aufs Gras und in Pfützen, wo die Kinder mit ihren roten, gelben oder grünen Gummistiefeln drin rumspringen und juhu riefen. Die Regenschirme in verschiedene Farben mit bunten Mustern, Punkten oder Streifen liegen inzwischen überall verkehrt herum auf dem Boden. So das ich dort rein Platzchen kann.
Alle tanzen im Garten, Park oder auf der Straße und genießen mich an dem schönen Tag. Sogar einige Hunde sprangen hin und her. Andere krochen irgendwo unter oder setzten sich unter einen Baum.

Ich lasse mit ein paar Sonnenstrahlen im Hintergrund einen Regenbogen in seiner ganzen Pracht erleuchten.
Jung und Alt drehen sich in die Richtung und bewundern die glänzenden und leuchtenden Farben von Rot, Orangen, Gelb, Grün, Blau und Violett des Regenbogens, während sie von mir noch nass getröpfelt werden.

Während der Regenbogen noch anhält, ziehe ich mich schon wieder in meine Wolke zurück und verteile mich auf den Himmel.
Die Sonne kommt hervor und schiebt mich in der letzten Wolke beiseite.

Auf der Erde werden die Regenmäntel wieder von mir und meinen anderen Regentropfen getrocknet und die Kinder spielen mit dem Ball oder fahren Fahrrad.
Andere genießen noch den Regenbogen und mache gehen wieder rein und widmen sich ihren Aufgaben oder Hobbys.

Alle sehen glücklich und zufrieden aus.
Was für ein toller Tag.

Unnötige Autofahrt

Der Schneefall wurde immer stärker, je länger ich fuhr. Keine Ahnung, was mich bewogen hatte, bei diesem Wetter noch aus dem Haus zu gehen. Vor allem um diese Uhrzeit! Es schneite bereits seit einiger Zeit in großen Flocken, die ich trotz der zunehmenden Dunkelheit und der immer größer werdenden Einsamkeit beobachtete. Ich schüttelte über meine eigene Unvernunft den Kopf.

Es war bitterkalt geworden. Im Licht der Scheinwerfer bemerkte ich, dass die Reifenspur, die ein Wagen vor einiger Zeit hinterlassen haben musste, bereits wieder zu verschwinden drohte. Das würde auch mit meiner Spur in kurzer Zeit passieren. Bei dieser Vorstellung überkam mich ein Schauder, obwohl ich es besser wissen sollte, denn ich war schon oft genug in dieser Gegend unterwegs, auch bei Schneefall. Bisher war noch nie etwas passiert. Doch dieses Mal war alles anders.

Ich ließ mich von den großen, weißen Flocken ablenken, die vor mir auf die Windschutzscheibe fielen. Die Scheibenwischer kamen nicht mehr hinterher, um das Glas freizuhalten.

Plötzlich huschte etwas Schwarzes knapp an der Fahrerseite meines Wagens vorbei. Erschrocken veriss ich das Lenkrad.

Und geriet ins Schleudern!

Unter der Schneedecke zwischen den Fahrspuren musste es bereits gefroren sein!

Ich drehte mich um und kam gegen meine Fahrtrichtung zum Stehen.

Erschrocken hielt ich den Atem an.

Damit hatte ich nicht gerechnet! Ich starrte in die Dunkelheit vor mir, ohne etwas wahrzunehmen.

Mein Herz hämmerte gegen meine Brust.

Ich lehnte mich zurück und atmete noch heftig! Mit Mühe konnte ich mich beruhigen.

Erst als Scheinwerfer auf mich zukamen, riss ich mich zusammen. Ein anhaltendes Hupen des vorbeifahrenden Autos machte mich darauf aufmerksam, dass ich noch immer im Schneetreiben auf der Straße stand.

Mit zittrigen Händen startete ich erneut und fuhr in die Richtung zurück, aus der ich ursprünglich gekommen war. Ich parkte vor meinem Wohngebäude, blieb jedoch unsicher im Wagen sitzen. Ich wusste noch nicht, ob meine Beine mir gehorchen würden.

Mein Zeitgefühl hatte ich verloren, als ich endlich aus dem Auto stieg und mich leise ins Haus schlich.

Donnerwetter

Regen prasselt gleichmäßig auf das schmutzige Glasdach der Stadthalle. Draußen ist es stockdunkel, so auch inmitten des großen Saals, in dem sich die fünfzehnjährige Tanja seit einigen Stunden versteckt hält. Mit angezogenen Beinen und gesengtem Kopf kauert sie unter den seitlich gestapelten Tischen und überlegt, welche Probleme auf die heranwachsende Frau in Zukunft warten werden, wenn sie wieder aus ihrem Versteck auftauchen oder gar entdeckt wird. Wird man sie des Einbruchs beschuldigen? Niemand hat mitbekommen, dass das Gebäude ihre Notunterkunft ist, als jemand die Halle abgeschlossen hat. Eine unbändige Angst, die zu einer ausgewachsenen Panik herangewächst, lässt das rothaarige Mädchen mit den grünen Augen durch die innere Anspannung völlig zusammenbrechen. Mit einem Seufzer verliert es für einen kurzen Moment das Bewusstsein und liegt plötzlich flach auf dem Boden.

„Es wird Zeit“, heult das Wetter auf. „Tanja kommt nicht mehr hervor. Ich kann sie nicht mehr sehen. Stunden sind bereits vergangen. Das arme Kind! Immer auf der Flucht, gepeinigt und in großer Angst! Manchmal muss man dem Menschen helfen und dessen Leid ein Ende setzen.“
Der Regen schwillt an und ergießt sich mit Wucht über die ganze Stadt. Kräftige Windböhen zerren an nun klappernden Fensterläden der Häuser und an losen Gegenständen, die schon nach kurzer Zeit immer mehr durch die Gegend geschleudert werden. Blitz und Donner lassen die Bewohner im Schlaf aufschrecken. Die Stadthalle wird am stärksten beschädigt, denn ein plötzlich einsetzender Orkan lässt schwere Balken, sogar ganze Mauern in den großen Saal herabstürzen und fegt dabei das ganze Dach in sich zusammen, lässt es in Millionen Stücke zerbersten und sich im gesamten fast vollständig zerstörten Raum verteilen.
All seine Kräfte hat das Unwetter zusammengenommen und sich vollends erschöpft, als ein Mädchen aus einer Ecke des Gerölls langsam hervorkriecht.

„Das Glücks-Kind, das dem schrecklichen Donnerwetter entkam“, sagt man.

Die Hitze der letzten Wochen macht sich überall bemerkbar. Pflanzen sind mehr braun als grün, der Roggen ist kaum 30 Zentimeter hoch und wird schon gelb. Die Menschen, die ich aus der Ferne beobachte, werden von Tag zu Tag aggressiver. Sie versichern sich gegenseitig, dass das aktuelle Wetter absolut wundervoll wäre, sie noch nie so viel Zeit im Schwimmbad verbracht hätten. Aber sobald sich ihre kleinen Grüppchen trennen, wandeln sich ihre Gesichter. Das Lachen und Lächeln macht Zornesfalten Platz oder sie rollen mit den Augen. Manch einer sieht hoffnungsvoll hoch zum Himmel und wird doch enttäuscht.
Etwas hält mich zurück, aber nicht mehr lange. Mit jedem Tag werde ich stärker und bald werde ich es durch die Barriere am Himmel schaffen. Das neueste Hoch, „Wilma“ genannt, ist nicht mehr so kräftig wie ihre Vorgänger.
Jetzt ist meine Zeit!
Ich quelle auf, atme tief ein, nehme den Platz ein, der mir zusteht.
Ich verdunkle die Sonne, die immer noch ihre heißen Strahlen Richtung Boden lenkt. Vor mir her treibe ich wilde Böen und den verheißungsvollen Geruch nach Regen.
Die Bäume rascheln und der mich begleitende Wind reißt vertrocknetes Laub mit sich. Die Menschen bleiben stehen und blicken nach oben.
Immer dunkler und dunkler wird der Himmel, bevor ich meine Schleusen öffne. Ich bin der Sturm, das Gewitter. Ich bringe Veränderung. Die Hitze schwindet, der Boden wird feucht. Ich bringe Erleichterung für die Menschen, die unter mir die Arme ausbreiten. Die Pflanzen saugen gierig meine Feuchte auf. Ich bringe hier Leben, woanders Fluten und Tod. Nichts ist dauerhaft. Ich bin nicht gut oder böse. Ich bin nur Veränderung. Den einen bringe ich eine Zukunft, den anderen Leid. Das ist meine Aufgabe. Wenn meine Stärke versiegt, bleibt ein Teil von mir zurück, wie eine Saat, die den Kern meiner Existenz wieder befeuern wird. Der Kreislauf beginnt von neuem, ein ewiger Tanz der Natur.

Die Sonne brannte schon wochenlang auf die kleine Stadt im Süden. Ihre Straßen waren flirrend heiß und wie ausgestorben, denn alle hielten sich in ihren Häusern und Wohnungen auf. Wer doch nach draußen ging, dem drohte ein Hitzschlag: Viele Menschen, vor allem ältere, kippten um, weil der Kreislauf nicht mehr mitmachte, und die Notaufnahme hatte Hochbetrieb. Die Klimaanlagen der Wohnungen und Kaufhäuser liefen auf höchster Stufe; Ventilatoren waren seit Wochen ausverkauft. Kaum ein Hundebesitzer traute sich, tagsüber Gassi zu gehen, aus Angst, das geliebte Tier könnte sich die Pfoten am heißen Asphalt verbrennen. Und es gab viel zu wenig Wasser: Vögel und kleine Tiere fanden keine Wasserstelle zum Trinken. Die Schalen, die man ihnen in die verdorrten Vorgärten stellte, trockneten viel zu rasch aus. Die Bäume hatten bereits ihr Laub abgeworfen, da es vertrocknet war. Selbst duschen war nur mit Einschränkung möglich und offiziell nur noch alle vier Tage erlaubt.
Petrus hatte mich zurückgehalten. Absichtlich. Mir gesagt, dass Endzeitwetter angesagt sei auf der Erde und die Menschen noch warten mussten. Ich hatte immer weiter gedrängelt und schonmal meine Wolken mobilisiert. Unruhig waren sie durchs Land gewabert, ohne sich zu öffnen. Dann endlich das Zeichen des Meisters. Nach sechs Wochen Trockenheit endlich durfte ich los und kam über die kleine Stadt. Erst leise und sanft. Ein Tropfen fiel auf den Münsterplatz. Mitten drauf. Dann ein zweiter. Dritter, vierter. Ein kleiner Junge, der mit seiner Mutter in der Bibliothek die Klimaanlage genossen hatte und nun auf dem Heimweg war, sah nach oben und zupfte seine Mutter am Ärmel, um sie zu fragen, was das denn sei auf seiner Hand. Sie bemerkte nichts und zog das Kind eilig weiter zur S-Bahn. Auch jetzt am Abend waren es noch 36 Grad Celsius.
Ich schickte einen ersten Windstoß über die Einkaufsstraße. Dann befahl ich meiner Wolkenarmee, sich über der Stadt auszubreiten. Jetzt ging alles schnell. Auf den vierten Tropfen folgten weitere, immer weitere. Sie tanzten und fielen auf die dampfenden Straßen, wo sie zischend zerstoben. Doch es folgten ihre Geschwister, immer mehr und unendlich viele, die aus den Wolken fielen und sich am Boden zu Pfützen zusammenschlossen. Sie tränkten die verdorrten Gräser der Vorgärten, tropften auf die Dächer der Häuser und rutschten durch die Regenrinnen. Langsam, ganz langsam atmete die Stadt auf. Man konnte es fast hören, wie sie erleichtert aufseufzte. Die Menschen kamen einer nach dem anderen auf die Straßen aus ihren Häusern und tanzten, während sie ihre Münder öffneten und gierig in den Himmel aufsahen. Selten war ich so freudig begrüßt worden! Auch der kleine Junge, der gerade aus der Straßenbahn stieg, wurde nun endlich aufgeklärt, dass ich der herbeigesehnte Regen sei und dass man sich beeilen müsse, heimzukommen, um nicht nass zu werden.

Unterschiedliche Wahrnehmung

Heute ist ein guter Tag um ein bißchen Frust abzubauen. Viel zu viele Wochen musste ich zu Hause bleiben und mich gedulden bis die Sommerzeit vorbei ist und es abends früher dunkel wird. Für den besonderen Auftritt habe ich mir die Dämmerung ausgesucht und starte mit einem lauten Donnerknall ins spaßige Abenteuer. Gleichzeitig öffne ich meine Schleusen und spende der Erde und den Pflanzen das dringend benötigte Wasser. Ach wie die Menschen rennen und versuchen irgendwo ein Dach über dem Kopf zu finden. Da vorne hält sich jemand eine Zeitung über den Kopf. Ein paar Meter weiter kämpft jemand mit seinem Regenschirm. Als der Schirm geöffnet ist mache ich mir einen Spaß daraus und puste kräftig drunter, so dass er umklappt. Mittlerweile bilden sich Pfützen auf der Straße und auf den Gehwegen. Da vorne sehe ich zwei kleine Kinder die strahlend in eine Pfütze hüpfen. Die Mutter daneben sieht nicht ganz so begeistert aus.
Als mir ein tiefes Grollen entweicht fangen die Kinder auf einmal an zu weinen und rennen mit ihrer Mutter zum nahe gelegenen Haus. Uups! Das wollte ich nicht.
Ich ziehe ein Stückchen weiter. Mittlerweile ist niemand mehr auf der Straße und ich lasse etliche Blitze den Himmel hell erleuchten und schicke tiefes Donnergrollen in den immer dunkler werdenden Abend hinaus. Letzte Fenster werden eilig geschlossen und durch das ein oder andere kann ich hineinlinsen. Die meisten Menschen gehen einfach ihrem Alltag nach. Ein paar sehen extrem ängstlich aus.
Dann komme ich an einem Dachfenster vorbei unter dem ein kleines Mädchen auf einer Matratze hockt. Dick eingemummelt in eine Wolldecke und einem Buch in der Hand. Eine kleine Leselampe erhellt nicht nur die Seiten, sondern auch ihr Gesicht. Sie sieht zufrieden aus. In diesem Moment schaut sie hinauf zu mir und strahlt mich selig an. Ich lasse noch eine Zeit lang Regen auf ihr Fenster trommeln und beobachte sie.
Müde kehre ich nach Hause zurück und gehe all das Erlebte noch einmal in Gedanken durch. Es macht Spaß ein paar Menschen Angst einzujagen. Es ist total witzig mit Regenschirmen zu spielen. Aber richtig glücklich gemacht hat mich das kleine Mädchen mit dem seeligen Blick.

Menschheit, sie war viel zu blöd

Ich wollte es erst gar nicht glauben, aber ich bin mächtig und gefährlich! Der Staub und die Schwebestoffe, die ich vor mir hertreibe, bringen den Organischen den Tod.

„Sei stark, behaupte deine Stellung!
Si vis pacem para bellum!“

Das war die Devise der Menschheit. Und sie hatten recht. Sie haben ihn erreicht: Den ewigen Frieden!

Sie waren lustige KerlInnen, diese Menschen. Sie bauten hohe Gebäude. Es war unterhaltsam, die Flügel ihrer Windmühlen zu drehen. Ihre Ideen jagten sie in Funksprüchen und codierten Bildern um die Welt.

„Große Ideen, doch nur Gelaber,
nicht Sapiens nur Homo Faber!“

Huiii, über das Meer und hinauf auf die 3000 er der südlichen Alpen. Viel Regen fällt aus der Luft, die ich über die Gipfel jage. 10000 mm pro Quadratmeter und mehr fällt hier im Jahr.
Auf der anderen Seite der südlichen Alpen Neuseelands, in Zentral-Otago, da regnet es nicht viel. Die Aprikosenbäume in den Plantagen sind vertrocknet, seit sie nicht mehr bewässert werden. Aber längst ist niemand mehr da, sie zu pflücken. Die Leichen von Mensch und Tier bleichen in Wind und Sonne.

Ein guter Platz, dachten die Prepper, die sich darauf vorbereiteten, den Atomkrieg zu überleben. Nicht gut genug!

„Der letzte aus dem Bu-un-ker kriecht,
bald strahlenkrank zu To -o-de sichet“

Ich jage um die Pyramiden von Gizeh und singe mein Lied:

„Nur einsam no-och ein De-enkmal steht,
Menschheit, sie war vie-iel zu blöd!"

Ich freue mich schon auf die Entwicklung der Kakerlaken. Denen scheint die Strahlung nichts anhaben zu können!

„Me-hen-sch-heit, sie war vie-iel zu blöd!“

Die Hitze

Ich, die Hitze, bereit übers Land zu wabern, die Steingärten zum Glühen zu bringen, die Steinmauern, den Rollrasen auszudörren und einiges mehr. Nachts will ich es anfangs nicht unter 20 Grad sinken lassen, dann wenn die Steine glühen wirds 25. Der Tag muss an die 38 Gard bringen, vielleicht sogar 40, solange wie vorhergesagt, den Hitzesommer.
Gut, nun bereit, zum Wabern, stubst mich die Kälte, der Regen der Wind an und meinen, lass es, wir machen das andersherum. Die glauben jetzt alle es kommt Hitze, nicht wissend, das die Propeller alles drehen können. Erst regnet es, ist kalt, dann schubst der Wind, seiner Kraft beraubt die Regenwolken nicht weg, also kannst du nicht auftreten.
Da wir Wettergeister alle zusammenarbeiten und uns schon lange ärgern über die falschen Vorhersagen, als wenn die Menschen nichts vom Wetter wüssten, vom Geist der Hitze, des Windes, des Regens. Sie scheinen nicht einmal zu wissen, wenn der Wind mit 100 km/h daherkommt, auf die Propeller trifft, sie dreht, schwindet seine Kraft und er ist hinterher ein laues Lüftchen.

Frama 2023-11-11

Naturgewalt

Ich greife nach den Holzlatten. Nach den Dachziegeln. Den Steinen. Ich greife alles, was mir in die Hände kommt. Reiße alles mit mir. Schleudere dann alles wieder auf die Menschen. Solange ich Kraft habe, werde ich wüten, zerstören und verwüsten. Nicht aus Hass heraus. Ich platze bloß vor Energie. Ich will niemanden etwas böses, es ist schlicht meiner Natur, zu zerstören. Nur wenn etwas vergeht, kann etwas neues entstehen.

Es war einmal …

… vor gar nicht allzu langer Zeit ein Sommer voller Kapriolen. Was jedoch kein Mensch wusste, war …

»Puh, ist das heiß hier!«, riss Laues-Lüftchen mich aus meiner Lethargie. »Wie lange brütest du schon über Europa, Sommerwärme?«
»Vier Wochen«, antwortete ich träge.
Heiter spielte Laues-Lüftchen Fangen mit einem Sonnenstrahl, bevor es sich unter die Schäfchenwolke versteckte, die es stets begleitete. »Frische-Brise schickt mich, um dich zu warnen.«
»Wovor?«
»Regen kommt über den Kanal.«
Dösig blinzelte ich in den klaren Himmel.
»Er meint, du hast dich hier schon zu lange festgesetzt.«
»Ausgerechnet jetzt, wo die Grill- und Festivalsaison richtig brummt«, loderte ich auf. Nichts beglückte den tristen Nieselpeter mehr, als einem das Feiern zu verhageln. Die Temperatur nach seinem Abzug wieder auf sommerlich hochzufahren, war stets eine schweißtreibende Arbeit.
»Sieh hinab, Sommerwärme«, hauchte Laues-Lüftchen. »Den Menschen, Tieren und Pflanzen dürstet es. Lass dich nach Osten tragen. Dort erwartet man dich sehnsüchtig.«
Gedankenverloren brütete ich weiter vor mich hin. Mein Flirt mit Wüstenwind hatte mich erhitzt. In der Nacht zuvor war er weitergewandert und ich vermisste seine sanften sandheißen Finger. »Dieses Jahr habe ich mir rechtzeitig einen Platz in der ersten Feierreihe gesichert,« sprach ich heißspornig. »Ich will der Musik lauschen, die Feuerwerke genießen, den Grillduft atmen …«
»Regen ist mit allen Wassern gewaschen«, erwiderte Laues-Lüftchen und zog mit der Schäfchenwolke davon.
Ich dehnte mich aus. An der Küste angekommen errichtete ich eine staubtrockene Hitzewand und wartete, bis Regen in pechschwarze Wolkenberge gekleidet aufzog. Die Schwüle zwischen uns war erdrückend. Regen nutzte sie und drängte mich stückchenweise zurück. Dabei ertränkte er sämtliche Felder und Wiesen im Norden, bis der letzte Traktor im achstiefen Schlamm versank. Selbst nachdem alle Festivals beendet waren und die Kühe längst wieder auf den Weiden grasten, sauertröpfelte er weiter vor sich hin. Gleichzeitig vertrocknete das Leben unter mir bis sich sogar die hartgesottensten Sonnenanbeter nicht mehr aus ihren Menschenhäuser trauten.
Frische-Brise stob vorbei. »Sturm hat von eurem Zwist wind bekommen!«, wehte sie aufgeregt, da toste Sturm bereits herbei und wirbelte uns mit all seiner Macht durcheinander.
»Habt ihr vergessen, wer ihr seid?«, blies er uns den Marsch. »Sorgt euch gefälligst um das Leben auf Erden. Nichts anderes ist eure Aufgabe.«
»Sie hat angefangen«, näselte Regen nassforsch.
»Wer hat denn die Festivals unter Wasser gesetzt?«, feuerte ich zurück.
»Kümmert euch um den Schlamassel. Beide!«, befahl Sturm und rauschte davon.
Auf handwarm reduziert zündete bei mir keine gescheite Idee. Auch Regen zuckte nur trübsinnig mit den nun kläglichgrauen Nebelwolken.
Eine Herde Schäfchenwolken erschien am Horizont. »Die ganze Welt wettert über eure Kapriolen.« Geschäftig hielt Laues-Lüftchen die Wölkchen beisammen und verteilte dabei frischweg Aufgaben. »Regen, pack deine Wolken ein und lass dich über dem Meer volllaufen. Sommerwärme, schnapp dir so viele Sonnenstrahlen wie möglich und bring damit das überflüssige Wasser im Norden zum Verdunsten. Ich mäste meine Schäfchen und schaff sie in den Süden zum Abschwitzen, bis Regen frischgefüllt die Dürre gründlich einnässt.«
Ich herzte Laues-Lüftchen glühend. »Du bist das Beste!«
»Puh, da werde ich ja zum Föhn.«
Wir arbeiteten hart. Sobald das Leben unter uns wieder in geregelte Bahnen verlief, verzog Regen sich über die Berge. Goldener-Herbst trat auf, woraufhin ich mich gen Osten treiben lies. Laues-Lüftchen blieb bei ihren Schäfchenwolken und winkte mir heiter hinterher.

Und wenn sie nicht verwittert sind, dann wettern sie noch heute.

Wolkenmeer

Ich bin ein kleines Wölkchen auf einer langen Reise. Vom Meer, vom großen Ozean komm ich her und durchquere die Lüfte.

Jeden Tag begegne ich dem erhabenen Wind, der mich einmal ganz sanft umspielt und mich sorgenlos dahingleiten läßt und dessen mächtigen Schwingen ich mich das ein oder andere Mal ergeben muß.

Dafür komm ich ganz schön rum und darf von den feinsten Wassern kosten, die diese Welt zu bieten hat. Mein Hunger wird jeden Tag gestillt, denn ich liebe diese feuchte schwülstige Wärme, den Geschmack der Meere in meinem Körper. Und wenn ich ganz sanft bis zu den Wellen schaue, kann ich das Salz riechen.

So kann Ich wachsen in meiner Pracht und Schönheit, so darf ich das prickelnde feuchte Nass in mir halten und genießen und meine Farben wechseln in allen schimmernden weißen und grauen Schattierungen.

Ich bin nun eine mächtige Wolke, die sogar ein wenig dem Wind trotzen kann und gerne mal an der Stelle bleibt, die sich gerade lohnenswert anbietet, um meinem nun unstillbaren Hunger nach Mehr zu genügen.

Meine Größe und Macht ist fast auf dem Höhepunkt angelangt. Meine Farben gleichen den dunklen Welten und Gelüsten der schwarzen See im Nebel, der es nach unschuldigen Seefahrern giert.

Noch kann ich es halten, noch ein wenig mehr aufnehmen, aber mein Hunger wird nie gestillt. Doch dann alsbald schlägt meine Stunde und zusammen mit meinem innigsten Partnern, dem Wind und den reichhaltigen Wassern in mir, können wir die Erde auf dem Festland tränken.

Es brodelt in mir, alles will raus, am liebsten auf einmal. Das Meer aus Wolken scheint mich auserkoren zu haben, Segen und Fluch zu bringen. Schönheit und kühlendes Nass für die Natur, unhaltbares Wasser in rauen Mengen für die Menschen, die auf ihr leben.

Und wenn ich ganz großes Glück habe, treffe ich mich heute noch mit meinen Geschwistern und wir rocken den Himmel mit gleißend hellen Lichtern, mit furchteinflößenden Donnern und eiskalt gefrorenen Brocken der Leidenschaft, so daß hier wirklich jeder weiß, wer heute die unzähmbare Macht am Firmament hat.

Retter-Wetter

Ich wusste, was er vorhatte. Ich hatte ihn schon eine ganze Weile beobachtet, erst bloß durch Zufall, aber als ich verstand, was er tat und was sein Plan war, heftete ich meinen Blick an ihn. Ursprünglich fand ich es bloß interessant, wie er meinem Geschehen trotzte, bei Wind und Regen und bei glühender Sonne ging er nach draußen. Ein Kompliment an meine Künste, dachte ich. Doch das war es nicht. Jeden Tag wenn er das Haus verließ, behielt ich ihn im Auge. Ich hielt mich versteckt, zeigte mich so wenig wie möglich. All meine Taten waren unauffällig, ein leichter Schauer bei einer seiner Besorgungsrunden, ein kleines Lüftchen wenn er mit dem Rad unterwegs war. Manchmal wenn er das Fenster offen ließ, konnte ich kurz in seine Wohnung eindringen. Dort sah ich zum ersten Mal seine Pläne und Notizen. Fürchterliche Kritzeleien, aber bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Ich wusste nicht, wann er das erste Mal zur Tat schreiten würde, aber ich wusste, dass ich ihn aufhalten musste. Und so beobachtete ich ihn, am Tag und wenn ich konnte auch in der Nacht. Jeden Schritt verfolgte ich aufmerksam, vernachlässigte dadurch bewusst meine Pflichten. Das mit ihm war wichtiger! Die Zeitungen am Kiosk konnten für einige Zeit ungestört liegen bleiben, ich glaube der Kioskverkäufer war sowieso froh, dass ich andere Dinge zu tun hatte.

Und dann war es soweit. Ich spürte es am knistern in der Luft, die ihn umgab und seiner nervösen Art. Er verließ das Haus am frühen Abend, hatte eine Sporttasche dabei und war ganz in schwarz gekleidet. Sofort war auch ich ganz aufgeregt. Der Wind wurde stärker und ich musste mich zügeln, um es nicht zu versauen. Ich wusste ja eigentlich gar nicht, wie ich vorgehen wollte. Er bewegte sich durch die Straßen, ging lange zu Fuß bis er am Rand der Stadt war. Inzwischen war es dunkel draußen, in dieser mondlosen Nacht fast schon finster. Er hatte Glück, sein Plan schien aufzugehen. Sie ging wie gewohnt eine Runde spazieren, ich hatte das überprüft, nachdem ich seine Notizen gelesen hatte, immer durch den Wald, der leider nur schlecht beleuchtet war. Ich hatte oft versucht sie zu warnen, mit Regenergüssen und starkem Wind, einmal sogar mit einem Gewitter, aber sie ging unaufhaltsam jeden Abend ihre Runde.
Er näherte sich ihr langsam. Ich versuchte keinen Mucks zu machen, kein Wind und keinen Tropfen ließ ich los, in der Hoffnung, sie würde ihn hören, vielleicht durch ein knacken der Äste, durch seine Atmung. Nichts. Als er näher kam, zog er ein Messer aus der Sporttasche. Es hatte die große seines Unterarms und eine breite Klinge. Ich konnte nicht länger zusehen. Ich bließ ihn von hinten stark an, eine kurze Böe, die glücklicherweise dafür sorgte, dass er kurz stolperte. Kurz sah er verwirrt aus, musste sich wieder fassen. Sie drehte sich um und plötzlich sah sie ihn. Er reagierte schnell und rannte auf sie zu. Sie ließ einen Schrei los, und ich lenkte einen Windstoß in Richtung der Wohngegend, der ihren Schrei in die Häuser der Nachbarn tragen sollte. Auch sie lief los, die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ich sorgte für Gegenwind, der ihn ausbremsen sollte. Er durfte sie auf gar keinen Fall kriegen. Seine Ausdauer war erstaunlich gut, er holte trotz meiner Bemühungen zu ihr auf. Das Adrenalin durchfloss mich und ich ließ einen lauten Knall los, gefolgt von einem Platzregen. Ich hatte die Hoffnung dass er ausrutschte, was sonst konnte ich tun in dieser Situation? Er packte sie am Arm. Sie stürzten beide. Der rutschige Waldboden und das abrupte anhalten hatte sie zu Fall gebracht. Und in diesem Moment, als ich sah, wie sie vor Angst zitterte, wurde mir klar, dass ich schon viel früher hätte eingreifen müssen. Wie konnte ich so blöd sein, den Helden an diesem Tag spielen zu wollen? Der Regen wurde immer stärker. Er hatte sich schnell wieder sortiert, packte ihre Fußgelenke und zog sich zu ihr hoch. Das Messer lag neben ihm, er wollte gerade danach greifen, doch ich blies es einige Meter von ihm Weg. „SCHEIßE“, fluchte er und sein Gesichtsausdruck ähnelte dem eines Tieres. Sie nutzte die Chance und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, konnte sich befreien und rannte los. Er zog hinterher, sprintete jedoch zuerst zu seinem Messer, was für einige Meter Abstand zwischen ihnen sorgte. Sie weinte bitterlich, lief nicht mehr so schnell; es schien als sei ihre Kraft erschöpft. Und als die Schuldgefühle, die Ohnmacht und die Wut mich gänzlich packten, schrie ich meinen Frust in die Nacht hinaus, so laut und so gewaltig, dass der Donner das ganze Gebiet in Angst versetzte und der Regen sich zurückzog. Die Wut im Bauch wuchs, dieser Mann würde ihr nichts antun, ich wollte diese Art der Bosheit nicht dulden und so ließ ich einen Blitz los, der ihn im laufen erwischte und ihn erstarren ließ. Sie blieb stehen, schaute zurück; den Einschlag hatte sie wohl auch wahrgenommen. Ihre Augen trafen sich, für einen kurzen Moment hatten sie Blickkontakt. Die Haare standen ihm zu Berge, das Gesicht jetzt sanfter und voller Angst. Sie ließ von ihm ab und sprintete in Richtung Wohngegend.

Nachdem ich von ihm abgelassen hatten, war ich ihr ins Viertel gefolgt. Kaum in der Sicherheit der Wohnhäuser angekommen, kam ihr auch schon ein Streifenwagen entgegen. Ich beobachtete sie noch eine Weile, wie ihr zittern noch lange anhielt, wie die Polizei Verstärkung rief und einen Krankenwagen, wie sie berichteten, dass ihr Schreien bis zu den Nachbarn vorgedrungen ist, die dann die Polizei gerufen haben. Sie erzählte von allem, was passiert war, konnte selbst kaum glauben, dass sie entkommen konnte.

Nachdem wieder Normalität eingekehrt war, ging auch ich wieder meinen Arbeiten nach. Wie immer war ich heute pünktlich um 11:05 Uhr da, nachdem der Kioskverkäufer seinen Zeitungsständer rausgestellt hatte. Ich war gut gelaunt und wirbelte auf dem Weg dorthin schon einigen Menschen die Hüte vom Kopf. Am Kiosk angekommen sah ich die Zeitungen, auf denen in diversen Abwandlungen die immer gleiche Titelstory zu sehen war: „Polizei fasst Mörder, Natur hilft mit.“ Viele beschrieben den Tathergang, sagten, in seiner Wohnung fand man ein einziges Chaos an Papieren, Fotos, Videoaufnahmen, die alle diese Tat und noch drei weitere planten. Immer wieder gab es Interviews mit ihr, die sich langsam erholt hatte, in der sie beteuerte, die Natur habe ihr auf wundersame Weise geholfen. Die Polizei berichtete, sie hätten den Mann nach einem Tag gefasst, mit Brandmalen am ganzen Körper verteilt. Es war ein Wunder.
Mein Wunder.