Der Elfte im Elften
Es ist Zeit. Nach meiner Reise übers Meer bin ich über Holland hinweg gefegt (langweilig wie immer, so flach) und komme nach NRW. So ein schönes Fleckchen Erde. Mein Ziel: Köln. Ich liebe diese Stadt, kenne jedes Lied, das je über sie geschrieben wurde. Sie ist hässlich, dreckig, und die Menschen rühmen sich einer kuriosen Oberflächlichkeit und haben ihr eigenes Grundgesetz aufgestellt. Und doch. Bin ich einmal da, will ich am liebsten nie mehr weg.
Heute ist ein besonderer Tag, der Elfte im Elften, Sessionseröffnung im Karneval. Tausende Menschen sind früh aufgestanden, haben sich verkleidet, geschminkt, gut gefrühstückt und sind, meinen Vorboten zum Trotz, losgezogen um sich noch in der Morgendämmerung an ihrer Lieblingskneipe anzustellen. Ich bewundere ihre Standhaftigkeit. Viele haben Getränke in der Hand, einige stehen sogar mit Thermoskannen voller Glühwein in der Schlange. Hilfsbereit blase ich auf die heißen Getränke. Alter Weihnachtsmarkt-Veteran, der ich bin, bekomme ich noch jede Tasse auf die perfekte Schlingtemperatur.
Ich puste freudig über ihre Köpfe hinweg, möchte mitfeiern. Hie und dort erklingen kölsche Tön aus Lautsprechern, die Menschen halten lachend ihre Hüte fest, doch einige erwische ich trotzdem. Die Melone eines Lappenclowns, den Plastik-Lorbeerkranz eines Römers.
In der Südstadt sehe ich einen Mann im Hühnerkostüm, Leghenne Fischer steht auf einem Schild an seiner Brust. Spielerisch greife ich mir ein paar seiner Federn und trage sie hinauf bis zum Dom, wo ich sie einem der frisch restaurierten Wasserspeier auf den Kopf setze. Alaaf!
Ich flöte durch die engen Gassen der Altstadt, sorge für rote Wangen bei den Touristen. In meinem Übermut werde ich stärker, rase bis zum Müngersdorfer Stadion und zurück, pfeife um die Kranhäuser und das Riesenrad am Schokoladenmuseum. Heidewitzka, Herr Käpitan!
Die Stunden vergehen wie im Flug, und bald schon stellen sich unweigerlich die Nebenwirkungen des frohen Treibens ein.
Aus leutselig Schunkelnden werden alkoholisierte Brüllaffen, der bunte Straßenkarneval beginnt zu riechen, nicht nur nach Erbrochenem, auch im Hinblick auf die überall aufgestellten Urinale und Dixie-Klos stellt sich kollektive Massenamnesie ein und Wildpinkler schießen wie Pilze aus dem Boden.
Es war zu erwarten, trotzdem dämpft es meine Freude. Ich flaue ab, streichle Hunderten von Ordnungshütern und Notfallpersonal über die Wangen.
Als die Nacht hereinbricht, beschließe ich, weiterzuziehen, aber nicht, ohne der AWB ein bisschen unter die Arme zu greifen. Bevor sie morgen mit Kehrmaschinen und Handwagen anrücken, sammele ich Wolken zusammen, presse sie dicht auf dicht, bis sie so dunkel sind, dass auch die letzte Paillette kein Funkeln mehr zustande bringt. Mit einem Donnerschlag läute ich den Regen ein, mein Abschiedsgruß an die Stadt, 30 Liter pro Quadratmeter.
Erst als alles sauber ist, ziehe ich weiter.