Seitenwind Woche 5: Launisches Wetter

Ich kann es niemandem Recht machen. Oder doch?

Ich höre die Menschen jeden Tag über mich nörgeln. Nie kann ich es Ihnen Recht machen. Den einen Tag ist ihnen zu warm, den nächsten zu kalt, dann zu nass und später hat es ihnen zu lange schon nicht mehr geregnet. So langsam bin ich es echt leid. Wissen sie denn überhaupt nicht wie schwer es ist die Balance über die Jahreszeiten und meine Launen zu halten? Wenn ich zu stark ausatme habt ihr da unten einen Sturm. Muss ich weinen, habt ihr schnell eine Überschwemmung. Werde ich wütend, tobt auf der Erde ein Gewitter. Ich habe viele Emotionen. Dementsprechend bin ich, das Wetter, die bedrohlichste aller Naturgewalten.

„Oh was ist das?“ Ich höre ein Kind leise im Bett flüstern. „Bitte, ich möchte dieses Jahr weiße Weihnachten. Ich werde auch den Rest des Jahres um nichts anderes bitten. Versprochen.“

„Ist das möglich? Gibt es auf der Erde tatsächlich Menschen die mich zu würdigen wissen? Oder ist es der Jahreszeit geschuldet?“ Ich denke darüber nach. „Wenn ich diesem einen Kind nachgebe und es seine Versprechen hält, wäre dies ein Mensch weniger, der jeden Tag meckert und über mich schimpft. Ich muss es versuchen.

Ich sammel all meine Energie. Es muss Kälter werden, damit Schnee fallen kann. Angst ist die einzige Emotion, die das kann. Ich Versuche mich darauf zu konzentrieren, wie enttäuscht das sind wäre wenn ich versage.

Ich spüre die Angst in mir aufsteigen. Es kribbelt leide in mir. Wie auf Knopfdruck bringe ich die Kälte auf die Erde. „so ist es gut. Nur noch ein wenig mehr.“ Ich klammere mich an das Gefühl. Es muss klappen.

Am Weihnachtsmorgen wacht das Kind in seinem Warmen Bett auf. Es reibt sich die Augen und schaut zum Fenster. „Das gibt es doch nicht!“ Es rennt aus dem Zimmer zu seinen Eltern ins Schlafzimmer. „Mama, Papa, wacht schnell auf! Na Los schon! Schaut doch nach draußen! Alles ist weiß! Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen!“

Ich bin gerührt. Ich fange an zu weinen. Und leise rieselt der Schnee…

Huh, jetzt puste ich schon seit Strophen den Kerl an.
Er soll schneller reiten. Sein Kind fiebert um sein Leben und er fürchtet sich vor dem Wind zwischen den Ästen.
Reite zu, mein Freund! Reite zu.
Die Stimmen, sie sind nur Fieberwahn!

Mein Gott, jetzt reden sie wirr.
Schneller, schneller, raune ich ihnen zu.

Sie erreichen den Hof mit Mühe und Not. In seinen Armen das Kind ist tot.

Aus heiterem Himmel

Mein Ziel ist noch nicht ganz klar. Ich bau mich gerade auf, beginne zu wachsen und jede Minute gewinne ich an Kraft.

So ganz überraschend kann ich heute nicht zuschlagen, ich wurde angekündigt. Im Fernsehen, im lokalen Rundfunk und in der Tageszeitung. Jedoch weiß niemand so genau, wo mich mein Weg langführt. Das ist meine Chance.

Ich reise mit dem Kollegen Cumulonimbus, begleitet von Grollen und elektrischer Entladung.

Es ist jetzt 16:47 und ich habe mich so aufgebläht, dass ich beginnen kann, Luft abzulassen. Oh mein Gott, wie befreiend, wie beglückend. Ich sauge alles in meinen Schlund und lasse es sogleich wieder aus großer Höhe fallen, weil ich mit meiner Energie haushalten muss.

Auf den ersten paar Kilometer ist es ein Leichtes, Dachziegeln durch die Luft zu wirbeln, wunderschön, wenn sie so leicht miteinander tanzen. Die großen Bäume die sich in meinem Luftzug winden lege ich einfach flach. Da nützen ihnen ihre Jahrzehnte alten Wurzeln auch nicht mehr. Die liegen nun elend, ineinander und aufeinander verwirkt, nutzlos herum. Den Wohnwagen kippe ich um und trage ihn 50 m weiter.

Herrlich.

Gartenstühle, Sonnenschirme und was sie so alles draußen stehen lassen, könne sie sich später in den Nachbargärten zusammensuchen.

Schade, ich kann mein Werk nur für den Augenblick genießen, nicht zurückschauen. Ich muss in Windeseile weiter, mir geht so langsam die Luft aus.

Wenn ich mich gleich zur Ruhe begebe, werde ich von ihrem Entsetzen träumen. Ihrer Schockstarre, wenn sie das Ausmaß erfassen. In ihrem geliebten Garten kein Baum mehr steht, das Auto von Ziegeln durchsiebt ist, und da wo sie fehlen regnet es auf den teuren Teppich. Wenn Straßen unpassierbar sind, auch nicht für die Feuerwehr, deren Sirenen wie Musik für mich klingt.

Sie werden mich nicht vergessen – dachten sie doch – bei ihnen komme ich bestimmt nicht vorbei.

Ich bin wütend.

So unfassbar wütend!

Wütend auf das Geschmeiß, das sich Mensch nennt. Was auch immer ich tue, ich kann es keinem recht machen.

Scheint die Sonne, ist es zu heiß.
Regnet es, ist es zu nass.
Bläst der Wind, ist er entweder zu stark oder zu schwach.
Schneit es, ist es zu kalt oder zu glatt.

Und jetzt haben sie den Bogen endgültig überspannt. Neuerdings sprühen sie irgendein chemisches Zeug in meine Wolken, um zu verhindern, dass diese regnen!
Wann lernen sie endlich, dass ich nicht beeinflussbar bin? Ich bin mein eigener Herr! Ich lasse mich nicht kontrollieren und steuern.

Aber bitte, sie haben es nicht anders gewollt: Dreh ich mich halt um 180 Grad.

Dann haben die, die über Regen, Kälte und Nässe klagen Sonne satt und die, die über die ewige Hitze klagen Regen im Überfluss.

Was wetten, dass ihnen das wieder nicht passt?

Fulgur

Ich sah mich suchend um. Mangels irgendwelcher Erhöhungen nahm ich einfach einen heftigen Anlauf und krachte mit voller Wucht in den Steppenboden.
Ordnungsgemäß gingen die trockenen Gräser in Flammen auf. Ein sanfter Wind fachte das Feuer weiter an. Scharen von Insekten und kleinen Tieren suchten ihr Heil in der Flucht. Aber was war das? Hier kam ein nacktes Etwas und lief nicht weg. Es trug einen Ast in der Hand und kam auf das Feuer zu. Es hielt den Ast in den Brand. Als das Holz sich entzündet hatte, stieß das Wesen einen triumphierenden Schrei aus und rannte zurück zu den Hügeln, von denen es gekommen war. Das war jetzt nicht so geplant, ehrlich. Keinen Respekt haben diese Geschöpfe. Na wartet nur.

Weiße Stille

Tsch…
Weine nicht, mein Kind. Ich bin ja bei dir.
Ich trockne deine Tränen, ob der tiefen Dunkelheit.
Spüre mich auf der Zunge; in deinem Haar und atme die Nacht.
Dir ist kalt?
Ich küsse dich überall, denn ich liebe dich.
Heute hole ich dich zu mir und bedecke dich sanft mit meinen weißen Flügeln.
Alles wird gut; ich bringe den ersehnten Frieden.
Lass uns lautlos verschwinden.

Was bin ich?

Mühle dreh dich und mahle das Korn.
Feuer beflügelt entfacht seinen Zorn.
Geleite die Reisen auf hoher See.
Treibe ins Tal von Bergen den Schnee.

Mal bin ich Segen und mal Leid.
Mich erfüllt Rastlosigkeit.
Bin ich nicht da, so misst du mich.
Bin ich zu stark, dann stör ich dich.

Leise nähere ich mich. Dort liegt die Stadt, die gleich in Angst und Schrecken vor mir versinken wird. Es wird nur noch das kalte Grausen herrschen, wenn ich sie in meiner Gewalt habe.
Ich gleite weiter, bis zu dem ersten Haus. Dort ist die Familie schon wach. Das Radio läuft. „Der Wetterdienst gibt für die frühen Morgenstunden eine Nebelwarnung heraus. Der Schulbetrieb beginnt erst zur Dritten Stunde“.
Lachhaft! Ich bin gekommen, um zu bleiben. Ich fließe weiter. Ich hülle alles in eine wattedichte, weiße Masse.
Ich bin jetzt unten am Hafen. Nebelhörner tuten um die Wette. Ja, tutet eure Angst hinaus. Ich dämpfe euren Ton bis zur Bedeutungslosigkeit.
„Au!“ Etwas piekt mich. Etwas schwächt mich!
Ich sehe mich um.
Mist!. Die Sonne lächelt mich an und ich weiß, dass ich für dieses Mal verloren habe.

Ein Weg allein

Melena Inkalo stand auf. Zuvor hatte sie unter einer Klippe gegraben, doch schlammiges Wasser machte es schwierig, das Objekt ihrer Begierde herauszubrechen.
Wütend schrie sie dem starken Tropenregen entgegen.
Sie zog ihre regendurchtränkte Bluse aus und wickelte sich diese, wie eine provisorische Kapuze, über den Kopf, ohne das es einen Sinn ergab. Besessenheit und die Wut auf eine für sie irreale Welt waren schon seit Jahren ihr Antrieb.
Die Erneuerung hatte alle menschliche Vernunft verschwinden lassen.

Alles begann mit einem Traum, aus dem sie als eine andere Person erwachte.
Danach zog sie sich an und ging fort. Einfach so.
Zuvor war sie einfach nur jene nette Frau Inkalo gewesen, die als Floristin in Vildbjerg lebte – achtundzwanzig Jahre alt, Mutter zweier Kinder, verwitwet.
Das zählte schon lange nicht mehr. Sie hatte ihr altes Leben vergessen.
Der Pfad der Erneuerung allein war wichtig – und auf diesem folgten lange, einsame Wanderungen; denn nur so konnte es sein – so, wie im ihrem Traum aus Hunger, Entbehrungen und Gewalt.
Ihr Weg war bestimmt durch Diebstahl und Mord. Sie stahl Essen und Kleidung, wann immer es nötig tat und tötete, zuweilen hinterrücks, um weiterreisen zu können. Ihr innerer Kompass zeigte eine Wegeslinie, die niemals gerade verlief, denn diese war das Ritual.
Jene Melena Inkalo nun, die dort, nahezu am Ende Ihrer Reise, dem Wetter voller Wut entgegensah, schien nur noch ein Schatten ihres vorherigen Lebens zu sein – ausgemergelt und vernarbt.
Einzig ihre Besessenheit hielt sie am Leben.

Der Regen ließ irgendwann nach. Das Wasser versickerte.
Sie begann erneut zu graben. Dann endlich gelang es ihr den mit Kristallen überzogenen Bronzehelm herauszubrechen.
Doch dieser war nicht wichtig. Nur der Schädel zählte.
Dessen grüne Augen waren wie lebendig, nahezu unversehrt und warm. Der Rest des Gesichtes war bereits seit Jahrtausenden verrottet. Melena nahm ein Messer, schnitt sie aus den Höhlen und aß diese – langsam und glückselig.
Währendem ging der erneut einsetzende Monsunregen in lauten Hagel über.
Dieser wurde bald darauf zu einem gnadenlosen Blizzard. Eis bedeckte die Bäume des naheliegenden Dschungels.

Nach ihrem Mahl ging Melena voller Stolz einen letzten Weg und wurde zu einer Kugel aus grünen Funken, die im Schneeweiß zerstoben.
Danach gab es sie nicht mehr.
Die Wiedergeburt der himmlischen Yü’üqua indes, Kaltmagierin und Göttin der alten Welt, war vollzogen. Als endloser Wintersturm peitschte sie körperlos durch die Lüfte und hatte großartige Pläne.

Ein Regentropfen macht doch noch kein Meer?

Ich schwimme rücklings im tiefen blauen Ozean und blicke hinauf auf einen fast wolkenlosen Himmel. Die Sonne steht hoch und wärmt mich mit ihren grellen Strahlen. Nach und nach bemerke ich plötzlich ein sanftes Ziehen. Fast so, als würde ich aus dem Meer, in dem ich schwimme, hochgehoben.

Höher und höher steige ich auf, sehe die kleine weiße Wolke immer näher kommen. Plötzlich bin ich ein Teil der schönen weißen Wolke, die ich doch eben noch von da unten bestaunt habe. Die Grenzen zwischen mir und den anderen Tropfen verschwimmen. Ich bin nun nicht mehr allein, sondern Teil eines größeren Ganzen.

Ich blicke hinunter und sehe, wie sich die sanften Wellen des tiefen blauen Ozeans unter mir vorüber schieben. Der Wind trägt uns weiter. Plötzlich sehe ich einen Strand, dann sehe ich Gras. Ich sehe Bäume. Dann eine Straße, die zu einem Dorf führt. Ich schwebe über das Dorf, ich schwebe über die Felder. Ich schwebe immer weiter, immer schneller. Die anderen sehen auch hinunter. Über der nächsten großen Stadt ist es schließlich so weit. Die Sehnsucht nach der Erde fängt an, uns nach unten zu ziehen. Dann werde ich zu schwer und spüre die Freiheit des freien Falls. Gemeinsam mit den anderen prassle ich hinunter.

Im Fallen sehe ich noch die vielen Straßen der Stadt und wünsche mir doch überall, aber bitte nicht auf den harten Asphalt aufzuschlagen. Ich habe Glück, so wie meine Freunde neben mir. Wir fallen in einen Fluss. Landen nicht so weich, wie wir es gerne hätten, aber doch besser als so manch andere auf der Straße.

Ich bin nun wieder ein Teil von einem großen Ganzen, wie vorhin in der Wolke. Nun bin ich ein Tropfen im Fluss des Lebens, immer in Bewegung, immer ein Teil von etwas Größerem. Schließlich mündet der Fluss in einem großen Meer und ich schwimme wieder rücklings im tiefen blauen Ozean.

Nebelliebe

Der gefrorene Morgentau hält sich schon seit Stunden. Prachtvoll glitzert er auf den dünnen Grashalmen, die die Last seiner millionen Juwelen nur mit größter Mühe tragen.
Ich strecke meine Glieder entzückt danach aus und krieche über das Gras.
Ein Stück. Noch ein Stück. Wo ich bin, hinterlasse ich meinen Schleier, nehme alles in mich auf.
Hinter der großen Wiese und dem kahlen Feld liegt das Dorf. Dutzende Lichter in den Fenstern. Der Novembermorgen hat Wolken gebracht; meine hochgeachteten Vettern. Sanft verästeln sie sich, machen es der Sonne schwer, ihre Arme hindurch zu strecken.
Wie es wohl sein mochte hoch oben am Himmel zu fliegen? Ich weiß es nicht. Mein Platz ist schon immer unten gewesen.
Der Boden hat sich ausgezeichnet abgekühlt. Es ist meine Zeit.
Wohlig lächelnd räkele ich mich. Wachse. Erst langsam, dann schneller, immer schneller, immer weiter in jede Richtung. Wie Tentakeln schlängeln meine Glieder sich vorwärts. Mit jedem Atemzug gewinne ich an Kraft, werde stark, undurchdringbar.
Mein Blick ist starr auf die Häuser des Dorfes gerichtet; heute kriege ich euch alle.
Ich beobachte euch, bevor ich zum verzehren komme. Wusstet ihr das? Ich lausche, bevor ich euch verschlucke.
Heute höre ich Kinderstimmen.
Von ihrem hellen Klang angezogen, dem unschuldigen Lachen und Kreischen, krieche ich weiter. Eilig ziehe ich meine Nebelspur weiter über das Feld und den Weg.
Da sehe ich sie schon.
Ein dutzend kleiner Menschenkinder in einem eingezäunten Hof. Ein wenig enttäuscht, lasse ich meine Finger darüber gleiten und hinterlasse einen nassen Film auf den Gitterstreben. Durch den Zaun bekomme ich sie nicht durch.
Früher habe ich am liebsten einsame Wanderer oder törichte Reiter verschlungen, doch von ihnen verlaufen sich nicht mehr viele in meine Arme. Doch Kinder! Heutzutage sind Kinder die einfachste Beute.
Nichts genieße ich so sehr, wie den Moment, wenn sie sich im mir verlieren. Wenn sie erstarrt stehen bleiben und begreifen, dass sie verloren sind im Nichts. Sich dann im Kreis drehen, flennen und rufen, aber niemand sie mehr hört, weil sie ganz mir gehören.
Schon der Gedanke an ihre Furcht nährt mich. Der Morgentau ist bereits unauffindbar verloren.
Durch den Zaun bekomme ich die Menschenkinder vielleicht nicht durch, aber zumindest kann ich ein wenig mit ihnen spielen.
Freudig lecke ich mir über die feuchtkalten Lippen. Welches der Kinderlein, die unbedarft schaukeln und rennen und ihre Sandschlösser bauen, ich als erstes in mich hüllen sollte?
Da fällt mir ein Junge auf. Er sitzt im Sandkasten und schaut mich an. Ja, fast könnte man meinen, er schaut mir direkt in die Augen. Weiß und unergründlich. Neugierig blinzelt er. Ich merke, wie er fröstelt, während er mir zusieht, wie ich rasendschnell dichter werde, an Form gewinne, wie ein Ungeheuer, doch er schaut nicht weg. Schon im nächsten Moment kann er den Baum auf der anderen Seite des Zauns nicht mehr erkennen.
Lauf, Junge! Fürchte mich! Er tut es nicht. Er zeigt in meine Richtung.
Angriff.
Ich bäume mich auf, springe über den Zaun und drücke meine Arme und Beine durch das Gitter hindurch, nahezu zeitgleich. Überall bin ich. Überall auf einmal.
Ich beeile mich. Schon gleite ich feucht unter ihre Kleidung, dringe in ihre Lungen, wenn sie einatmen. Schmiege mich an sie, schlüpfe an ihnen vorbei, hauche einen kalten Kuss in ihre Nacken.
Ein Kind nach dem anderen schaut auf. Schaut sich um, reibt sich irritiert die Äuglein.
Oh, herzzerreißende Unschuld!
Schnell habe ich mein Ziel erreicht. Der Junge steht noch unverändert dort. Gerade will ich ihn umschlingen, erstarrt wie er ist, als ein anderes Kind anfängt, bitterlich zu weinen. Einen Sekundenbruchteil zu lange lenkt es mich ab. Der Junge dreht um, rennt los und entkommt mir. Statt in meine schmeißt er sich in die Arme einer Erwachsenen, die mit einer Taschenlampe meinen Körper durchbohrt. Trotzig plustere ich mich auf und schlucke das Licht des Lämpchens.
Ich fühle ihr Unwohlsein. Ein bittersüßer Geruch. So war es immer. So wird es immer sein.
„Alle reinkommen!“, ruft sie, bemüht ihre Furcht zu verbergen. „Wir gehen in den Gruppenraum. Lia, Karl, Josua, ihr auch! Wir gehen heute nachmittag nochmal nach draußen, jetzt wird der Nebel zu dicht.“
Zwei weitere Erwachsene kommen heraus und sammeln die Kinder in Windeseile ein.
Ich versuche noch, wahllos nach einem Mädchen zu greifen, doch es wird mir entrissen, bevor ich es ganz umhülle. Keines lassen sie mir übrig. Alle bringen sie hinein in die warme, grell ausgeleuchtete Stube.
Hinter dem letzten Kind wird die Tür vor meiner Nase zugeworfen.
Durch die Fenster kann ich in den bunten Raum mit den kleinen Tischen und Stühlen sehen. Die Menschenkinder ziehen Schuhe, Jacke und Mütze aus.
So knapp war es mir gelungen.
Frustriert schnaube ich, strecke mich. Stülpe mich ganz über sie in ihrem Haus. Hülle sie ein, wie in einen Mantel, den ich immer enger binde. Es soll ihnen eine Lehre sein.
Lacht nur ihr Wolken; ich kann euch hören.
Gerade will ich weiterziehen, als die Tür sich auf einmal wieder einen Spalt öffnet.
Es ist der Junge.
Zaghaft drückt er sich durch den Spalt und streckt seinen Arm nach mir aus. Fast berührt er mich.
Nun lache ich. Lauter als die Wolken, die vor Schrecken auseinanderreißen. Dummes Menschenkind! Haben sie dich nicht gelehrt, Ungeheuer zu fürchten? Ich hechte vor, fasse seine kleine Hand. Ein eiskalter Schauder ergreift ihn. Schon will ich ihn an mich ziehen.
„So schön! Anna, Anna, guck doch mal, wie schön das aussieht!“
Ich stocke.
„Ja, ja, stimmt“, antwortet eine Stimme von innen, „mach die Tür bitte fix wieder zu.“
Der Junge verharrt, den Arm immer noch weit ausgestreckt. Und ich verharre mit ihm. „Ich mag dich, Nebel“, lächelt er plötzlich.
Da passiert es. Mir wird warm.
Die Sonne reißt ein riesiges Loch mitten durch meine Vettern. Wind pustet in mein Kleid. Es geht viel zu schnell. Der Junge schaut mich immer noch an; er starrt, fröhlich, voll kindlichster Begeisterung, dass ich bis zum Schluss nicht weiß, ob es die Strahlen der Mittagssonne sind, die mich auflösen, oder seine Liebe, die mich heiß und innig durchdringt.

So schwül!

Sehe ich da Schweißtropfen oberhalb deiner Oberlippe unterhalb der Nase?
Kannste wegwischen, die kommen aber gleich wieder nach.
Haste wohl frech gelogen, du Bitch, als du sagtest, du könntest gar nicht schwitzen. Nur, um dich neulich vor dem Sauna-Besuch zu drücken!
Jetzt breitet sich ein feuchter gleichmäßiger Film auf deinem ganzen Gesicht aus. Merkst du, wie dein Shirt auf der Haut haftet, hinten am Rücken? Bauchfrei bringt leider gar nichts, du klebst hinten an der Stuhllehne fest. Autsch!

Oh, jetzt wirst du rot. Dein Blutdruck steigt, das Blut kriecht dickflüssig und faul durch deine Adern und ich sage dir, ich könnte dir gefährlich werden.
Tatü-tata, tut mir das leid…
Was sagst du? Die Beine werden dir ganz schwer? »Es ist sooooo schwül!« Von dem affektierten Gewedel mit den Händen vor dem Gesicht wird es nicht besser.

Schwül- das bin ich. Mein Name ist Programm.: Ninety-Five-Per-Cent. 5 Prozent mehr und mein Kumpel Regen taucht auf.
Das ist mir hier alles noch zu hektisch, Mann. Ich mache Dampf und lege den ganzen Laden lahm. Alle bewegen sich nur noch in Zeitlupe, als wateten sie mit schweren Schritten durch dickflüssige Suppe, Moor, Watt weiß ich. I want to make you sweat, Baby.

Mit Bro Windstille und Sista Entfernter Donner feiere ich ab.
Kein Blatt bewegt sich und du glaubst zu ersticken. Und wenn dann Hoffnung aufkommt, weil es fern am Himmel irgendwo grummelt- Funfact: da wird nichts draus. Das Gewitter- es wird nicht kommen.
Ja, stöhne nur und trinke den 3. Liter Wasser. In dieser tropischen Nacht liegen deine Nerven blank. Ich wabere um deinen Körper herum und liege dann wie eine schwere Decke auf dir, obwohl da nichts ist. Ja, mach noch ein Fenster auf, auch auf Durchzug, aber ich bin der Stillstand. Phlegma mein zweiter Vorname. Ich schicke dir unruhige Träume, es tropft unaufhörlich um dich herum, du wähnst dich im Urwald, hörst sirrende Insekten, die dir langsam die Beine hochkriechen.

Schade, in der dämpfigen Morgendämmerung muss ich dich leider verlassen. Meine Familie braucht mich in Dubai. Wir wollen den Rekord brechen. Es ist jetzt schon so schwül dort, dass die Einwohner ihre Fernseher trocken föhnen müssen, bevor sie ans Netz gehen.
Spürst du den leichten Hauch, der von draußen hereinweht? Grauenhaft. Nichts für mich. Erhol dich, Baby. I´ll be back!

Warnung

Bin nicht
euer Schaukelpferd
mit Kufen fest
wie ihr auf mir herumreitet!

Seid so stur
wollt ihr dass ich
euch abwerfe
sturmpeitsche das Erdenkleid?

Ihr versteht mein
Beben nicht
ziehe Windhosen an
und stampfe auf!

Schütte Wassermassen
bringe Erde zum Fließen
lasse Wellen toben -
spürt endlich meine Gesetze!

Der Finger Gottes

Der Jeep ruckelte über die Schotterpiste in Richtung des Sees hinunter. Der Himmel war bewölkt, ein leichter Sprühregen setzte ein, dass Jack gezwungen war, den Scheibenwischer einzuschalten. Knirschend wischten die Wischer über die mit Fliegen beschmierte Frontscheibe. Er fluchte. Der Schmierfilm nahm ihm die Sicht. Er trat aufs Bremspedal. Das Fahrzeug kam ruckartig zum Stehen. Steine spritzten auf und schlugen gegen den Unterboden. Er griff ins Handschuhfach, fingerte ein rotes Tuch heraus und öffnete die Fahrertür. Mit gewaltiger Kraft wurde sie ihm aus den Händen gerissen. Es gab einen Schlag, dann gab das Metall krachend nach. Die Tür flog aus den Halterungen. Jack duckte sich, als die Tür mit Pfeilgeschwindigkeit zurück auf seine Motorhaube niedersauste und Teile der Frontscheibe traf. Glas splitterte. Reflexartig hob er schützend seinen rechten Arm vor das Gesicht. Etwas rüttelte am Jeep, so heftig, dass er anfing zu schlingern. In Panik krallte er sich ans Lenkrad. Um ihn herum heulte der Sturm. Peitschend klatschte ihm der Regen ins Gesicht. Sein Blick fiel auf das Funkgerät. Das Mikrofon war aus der Halterung gefallen und baumelte hin und her schlagend im Fußraum der Beifahrerseite. Er schnellte vor, um es zu greifen. Aber das Kabel entglitt ihm. Das Fahrzeug begann sich zu drehen und rutschte der abfallenden Böschung entgegen. Ein Ruck und der Jeep hob ab, wurde leicht wie eine Feder vom Sog emporgetragen und verschwand in dem alles verschlingenden Wirbel. Dann trat Stille ein. Feuchte Gischt rieselte silbrig glänzend herab. Aus der Ferne drang Sirenengeräusch durch das Tal. Erste Vorboten der beginnenden Katastrophe.

Paul saß im »Sturmvorhersagezentrum des nationalen Wetterdienstes« in Oklahoma und blickte auf seine Monitore. Eine Nachricht via »X« kam herein. Er klickte mit der linken Maustaste und die Meldung ploppte auf. Sie war von seinem Freund Jack. Paul überflog die Zeilen. »Die Stürme ziehen südlich an Watonga vorbei. Oklahoma droht Gefahr! Behaltet das Wetter im Blick!«
Nachdenklich schloss er die Nachricht. Dann wählte er Jacks Nummer.

Der Fall

In den Wolken geboren, stürze ich in den freien Fall hinein, frei von Absicht und Manöver, frei von dirigierter Kraft und doch zielgerichtet, der Gravitation ergeben, sich, in einem rasanten Sturz der unter mir leuchtenden Stadt nähernd, zerschneide ich die kühle Abendluft.

Eng umschlungen, einander zugewandt, bereit sich zu küssen in einer Nische des urbanen Rauschs, erregt vom Licht der Nacht, stehen sie dort, wo der Boden auf mich wartet. Ich bestürze die Iris, befülle den Augenraum mit kalter Feuchtigkeit, zerreiße die Szenerie, grabe mich in ihren Moment der Intimität, ohne Absicht, doch mit Wucht. Ich gleite langsam an der Wange herunter, um einen letzten, kurzen Fall zu erleben, hinterlasse eine dünne, nasse Spur und stürze gen Asphalt, wie all die anderen Tropfen, die prasselnd neben mir einschlagen.

Ich bin die Sturmfront …

Meine Kinder reisen mit mir. Blitze kündigen mich an und ihre donnernden Brüder folgen ihnen. Die Bäume verneigen sich ehrfurchtsvoll vor meinem Sohn, dem Wind. Die steinernen Gebäude, die uns so arrogant den Weg versperren, enthauptet er mit leichtem Schlag. Meine wolkigen Töchter lassen ihren Hagel prasseln auf gesenkte Häupter.
Ihr, mit den geduckten Körpern, bildet euch ein, die Natur zu beherrschen?
Ich demonstriere eindrucksvoll, wem hier die Macht gehört. Erkennet, dass ihr Mutter Erde nicht ungestraft an den Rand des Abgrundes treiben könnt.
„Machet euch die Erde Untertan“, steht in euren Büchern, doch die geknechtete Natur erhebt sich zur Rebellion.
Sehet, erfahret und fürchtet mich, Menschlein, das ist meine Warnung.
Ich fälle euch und werde die Städte roden, so wie ihr die Bäume und Wälder. Wie Ungeziefer werdet ihr ausgerottet werden.
„So schlimm war es noch nie“, höre ich Stimmen beim Vorbeiziehen klagen.
Seid gewiss, dies war erst der Anfang, denn ich kehre wieder, komme über euch bis zum letzten Tag. Fürchtet euch, euer Ende ist nah!

Ich bin die Sturmfront …

Ich bin unvorhersehbar. Mal beglücke ich die Welt mit einem schönen sanften Frühlingsregen, der die Pflanzen nährt und die Welt erblühen lässt. Aber manchmal - ja, da möchte ich auch einfach mal meinen Spaß haben. Deswegen kann es auch mal vorkommen, dass ich die Welt mit einer kleinen Schicht Puderzucker betupfe. Dann höre ich die Menschen immer schimpfen: „Das ist doch nicht mehr normal! Irgendwer hat das Wetter doch verhext!“ oder mein liebster Spruch: „Früher war das Wetter doch nicht so launisch.“
Da würde ich am liebsten ein lautes Donnergrollen loslassen, aber da tun mir dann die armen Tiere leid, die mich noch lauter wahrnehmen, als die Menschen. Deswegen versuche ich mich immer zurückzuhalten. Stattdessen schicke ich lieber ein paar Stürme, die mal frischen Wind in die Natur bringen.
Ich bin halt nicht jeden Tag gleich. Ich mag Abwechslung und ich liebe es meiner Kreativität freien Lauf zu lassen.
Deswegen nennen mich alle immer das Aprilwetter, denn ich bin gar kein so schlechter Scherz!

Vorhang auf für die Schokoladensoße aus dem Himmel

Sanfte Bögen aus zartem Gold umrahmen prächtige Landschaften aus Bonbonbergen und Zuckerwatte-Wäldern. Ein Fluss aus cremigem Karamell schlängelt sich durch Täler aus Marshmallows, während bunte Lutschbonbons wie Blumen aus den Wiesen sprießen. Die Luft ist erfüllt von einem betörenden Duft nach gebrannten Mandeln und frisch gebackenen Keksen.

In diesem zauberhaften Reich scheint die Sonne aus gezuckertem Marzipan und die Vögel singen süße Melodien, die nach Schokolade und Vanille duften. Glückliche Bewohner flanieren auf Straßen, die mit zuckrigen Steinen gepflastert sind und lachen unter Bonbon-Laternen, die die Nacht erleuchten.

Trommelwirbel: Dann, plötzlich komme ich! Aus der luftigen Süße falle ich hinab, sodass der Boden benetzt wird und die Menschen mit Freude erfüllt werden. Zumindest ist das der Plan – denn wer würde sich bitte nicht über mich freuen? Jetzt mal im Ernst!

„Schnell, sofort in die Häuser!“, schreit eine Frau fast schon hysterisch, als mein erster Tropfen ihren Kopf erwischt. Und sie ist nicht die Einzige, die sich beeilt, in Deckung vor mir zu gehen. „Immer diese Schokoladensoße, die es regnen muss! Die versaut mir noch die ganze Frisur. Was gäbe ich dafür, wenn unser Regen aus so etwas Banalem wie Wasser bestünde!“

Die Stunde des Nebels

Ein tagtäglicher Anblick der Stadt wurde plötzlich von der Ankunft eines undurchdringlichen Nebels unterbrochen, der sich wie ein unsichtbarer Vorhang über die Skyline legte. Ein düsteres Schauspiel entfaltete sich, als die normalerweise geschäftigen Straßen von einer wabernden Dunkelheit verschluckt wurden. Menschen rannten verwirrt durch die Gassen, während Geschäfte hastig ihre Tore schlossen und die alltägliche Betriebsamkeit einer bedrückenden Unsicherheit wich.

Das war meine Stunde - der Moment, in dem ich, der Nebel, aus meinem gewöhnlichen Gleiten durch Landschaften und Straßen heraustrat, um Angst und Schrecken zu verbreiten.
Langsam kroch ich durch die Straßen, meine undurchsichtige Präsenz verschlang die Welt um mich herum.
Warum ich das tat? Langeweile. Was sollte ein Nebel sonst tun? Nur lethargisch durch die Welt ziehen?
Klar, ich könnte anders sein, Trost und Behaglichkeit bringen. Immerhin ist November mein Geburtsmonat. Ich bin ein Skorpion! Mit mir ist nicht gut Kirschen essen.
Doch, trotz meiner schaurigen Neigungen, trage ich auch ein Gespür für das Schöne in mir - was auch immer Schönheit bedeuten mag!

Inmitten meines bedrohlichen Schattens verbirgt sich eine eigenartige Art von Ästhetik.
Die Art und Weise, wie ich mich in der Stadt um Straßenlaternen schlängelte oder das Licht in schummrige Reflexionen tauchte, trug eine merkwürdige Eleganz in sich. Sogar die unheimliche Stille, die ich mit mir brachte, hatte etwas Poetisches, wenn man sich darauf einließ.

Doch trotz meiner gelegentlichen Anwandlungen, Gemütlichkeit zu verbreiten oder eine gewisse Schönheit zu versprühen, bleibe ich - der Nebel - unvorhersehbar. Ich bin der Schleier des Unbekannten, der Launenhaftigkeit, der oft mehr ist, als nur ein gewöhnliches Wetterphänomen.

Gedanken der Mutter Erde
Nein, das kann nicht sein. Diese Erdlinge ruinieren meinen schönen Planeten. Sie holen alles aus mir raus. Was sie nicht brauchen, schmeißen sie einfach weg. Halden in allen Gegenden. Verseuchtes Wasser in meinen Flüssen und Seen. Riesige Plastikanhäufungen in meinen Meeren und Ozeanen. Qualmwolken in meiner Luft. Selbst die Fauna und Flora müssen leiden. Ganze Wälder verschwinden. Tieren werden ihre angestammten Räume entzogen. Die hebeln förmlich mein über Jahrmillionen geschaffene Strukturen aus. So etwas gab es früher nicht. Seitdem die Erdlinge sich immer raffinierterer Techniken betätigen, ist das für mich wie ein immerwährender Aderlass. Was habe ich bisher nicht schon alles versucht, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Stürme, Unwetter mit Starkregen, Hagel, Gewitter, und Sandstürme habe ich vermehrt geschickt. Auch Vulkanausbrüche und Erdbeben können diesem Treiben keinen Einhalt gebieten. Dabei reden sie geschwollen von Naturschutz. Das mag für einen kleinen Teil meiner Erde zutreffen. Doch der Überwiegende schert sich nicht einmal darum. Profit ist ihr Schlagwort. Dem ordnen die Kapitalkräftigen alles unter. Der übergroße Rest schaut tatenlos zu.
Jetzt werde ich zu meinem kräftigsten Mittel greifen.
Hitze oder Kälte?
Hitze ist besser. Dabei unterstützen die Erdlinge mich noch. Eigentlich brauche ich nicht viel dazutun. Das geht fast von alleine. Wird ihnen erst einmal das Trinkwasser so richtig knapp. Spätestens dann werden sie es kapieren.
Wenn es nur dann für sie nicht zu spät ist.