Seitenwind Woche 5: Launisches Wetter

Das Interview

«Schön, dass sie bei uns sind, liebe Hörerinnen und Hörer. Ich begrüße sie herzlich zu einer neuen Ausgabe der wöchentlichen Sendung ‹Im Gespräch mit ungewöhnlichen Begegnungen›.
Unseren letzten Beitrag mußten wir leider wegen technischer Schwierigkeiten ausfallen lassen, um so mehr freuen ich mich, heute wieder hier zu sein. Und diesmal haben wir etwas ganz besonderes zu einem Interview eingeladen!
Unser heutiger Gast ist: das Wetter!

Nein, nicht was sie jetzt denken. Weder Sven Plöger noch ein anderer Meteorologe sitzt mir heute gegenüber! Sondern vor mir schwebt ein echtes, ausgewachsenes Tiefdruckgebiet. Ich freue mich, Ihnen Helena vorstellen zu dürfen.
Hallo Helena, genz herzlich willkommen hier im Studio des Bayerischen Rundfunks!»

«Hallo…»

«Nicht so schüchtern, Helena! Es ist uns eine große Ehre, sie für das Interview gewonnen zu haben. Auch dass es heute endlich stattfinden kann, nachdem wir ja schon letzte Woche mit Ihnen auf Sendung gehen wollten.»

«Ahm, ja, mich freut es riesig, dass ich hier sein darf. Nicht viele Tiefdruckgebiete können sagen, dass sie interviewt worden wären! Und die technischen Schwierigkeiten, die ich letzte Woche verursacht habe, tun mir wirklich schrecklich leid!
Als Tiefdruckgebiet bin ich nun mal nah am Wasser gebaut und mir war nicht klar, wie empfindlich das Mischpult auf meine emotionalen Schauer reagiert…»

«Kein Problem, jetzt haben wir ja alles im Griff. Alle Gerätschaften sind wasserfest abgedichtet, es kann also nichts mehr schief gehen!
Aber erzählen sie doch von sich. Wo sind sie denn geboren?»

«Gerne! Wie viele meiner Geschwister entstand ich nahe bei Island. Es ist eine wundervolle Gegend, muss ich sagen. Obwohl noch nicht auf Land gestoßen, habe ich schon jetzt Heimweh nach den schier endlosen Weiten des Nordatlantiks! Es ist eine Freude für mich, mit dem Jetstream mitzuhalten und in hohen Tempo dahin zu eilen. Und erst die Corioliskraft, die man dort zu spüren bekommt, da wird einem ganz spiralig und linksdrehend davon!»

«Das klingt faszinierend. Wo sind sie denn jetzt genau?»

«Ich bin kurz vor Schottland. Oder war es zumindest bis vor kurzem. Ich habe ja die Abkürzung hier ins Studio genommen und kam für das Interview auf einen Sprung vorbei.»

«Unser Wetterdienst ist schon in heller Aufregung, weil sie das Tiefdruckgebiet, also sie, vom Radarschirm verloren haben. Die werden Augen machen, wenn sie nach dem Interview wieder zurückkehren werden.
Freuen sie sich schon darauf, endlich auf Land zu treffen?»

«Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich liebe die Freiheit des Ozeans, das ungebremste Wehen und das hemmungslose Abregnen. Wenn man auf Land stößt, gibt es nur Schwierigkeiten. Plötzlich ist da ein Berg, hier ein Wald oder dort eine Felswand. Da rempelt man gehörig dagegen, wenn man mit so großem Schwung daher saust.
Mir ist schon Angst und Bang davor und am liebsten würde ich wieder zurückkehren, nach Westen, in die Freiheit der Weite!»

«Man hört es an ihrer Stimme, wie nahe ihnen das geht. Können sie denn nicht einfach kehrt machen?»

«Nein, das ist es ja. Der Jetstream zwingt mich dazu. Es gibt nur eine Richtung: Ostwärts, und – und … und ich würde … doch viel lieber nach … schluchz … Westen ziehen.»

«Oh, ah, Moment bitte, liebe Zuhörer, ich muss schnell den Regenschirm aufspannen. Helena ist gerade emotional stark mitgenommen.»

«Ja, tut mir leid. Wie gesagt, ich bin nah am Wasser gebaut und wenn ich traurig bin, muss ich einfach schauern. Sorry.
…Prassel…»

«Aber das macht doch nichts. Wir haben ja aus letzter Woche gelernt und ich sitze hier im Friesennerz am Mikrofon und nun mit aufgespanntem Regenschirm. Alles ist gut.
Was erwarten sie denn, wenn sie nach Europa kommen? Nach unseren Vorhersagen werden sie direkt über Deutschland ziehen und große Wassermassen mit sich bringen. Die Bewohner unseres Landes sind schon ein wenig besorgt über diese Aussichten.»

«Ach, besorgt? Die sollen sich nicht so haben! Ich weiß nicht, warum wir Tiefdruckgebiete immer so einen schlechten Ruf haben. Das ärgert mich. Alle beschreiben uns immer als bösartige, zerstörerische Ungeheuer die nichts lieber tun, als es den Menschen mal so richtig zu zeigen, alles durcheinanderzubringen.
Das ist schon fast rassistisch, muss ich sagen. Über ein Hochdruckgebiet wird so etwas nie behauptet. Da freuen sich immer alle! Sie verbinden den Sonnenschein mit Freude und Glück.
Das kann ich ihnen aber sagen, das ist mehr Sonnen-Schein als Sein!»

«Tatsächlich? Ich habe von den Hochdruckgebieten immer den Eindruck, sie wären ganz gut drauf?»

«Gut drauf! Von wegen. Die haben es auch faustdick hinter den Isobaren, das dürfen sie mir glauben. Von wegen eitel Sonnenschein oder sonnige Aussichten!
Ich kenne ein paar von denen, die sind dermaßen depressiv! Weil die Sonne ständig lachen muß! Manchen steigt das so stark in die Heiterkeit, dass sie davon zum Wetterextremisten werden.
Letztens traf ich Ingolf. Der brüstete sich doch glatt damit, wie er als Hochdruckgebiet ganze Landstriche austrocknen lässt. Und die Haut der Menschen verbrennt, wo immer er nur kann.
So ein Unwetter! Aber sich glänzend und schön präsentieren!
Das ist eine Sauerei. Und doch liebt ihr Menschen die Hochdruckgebiete und fürchten uns Tiefs. Das verstehe, wer will!»

«Für uns Menschen ist es nun mal schöner, wenn man nicht frieren muss und draußen nicht nass wird.»

«Nass werden, das bisschen Wasser! Eure Landwirte verzweifeln über die Trockenheit, aber wenn unsereins daher kommt, um es zu bringen, dann regen sich auch wieder alle auf! Dabei sind wir Tiefs es, die das Schlamassel der Hochdruckgebiete beseitigen müssen! Schaut Euch mal den Grundwasserspiegel an, so kann man den doch nicht lassen, zum Donnerwetter!
Zzztt.»

«Oh, hier im Studio hat es eben ordentlich gedonnert. Helena, beruhigen sie sich bitte. Blitzentladungen tun unseren Gerätschaften gar nicht gut!»

«Ja ist doch wahr. Da muss ich mich richtig darüber ärgern. Wir Tiefs sind immer die Bösen, dabei bringen wir Euch das Elexier des Lebens: das Wasser!»

«Natürlich, aber manchmal ist es viel zu viel auf einmal!»

«Zu viel? Wie sollen wir denn sonst ausgleichen, was die Hochs wegtrocknen? Mit dem bisschen Landregen, den ihr Euch immer wünscht, geht das nicht.
Wir bringen Euch so viel Wasser, wie ihr braucht. Aber das ist euch auch wieder nicht recht. Zum Blitzschlag noch eins!
Zzzttbruzelzzzt
Es ist so ärgerlich mit euch Menschen. Uns immer so zu verleumden. Als hätten wir etwas gegen Euch.! Als wären wir Ungeheuer!
Zzztztttttzzzzzzpf
Wir sind die Lebensspender auf dieser Welt und wenn ihr nicht seit Jahrzehnten an unseren Systemen herumgemurkst hättet, dann würde das alles auch wunderbar funktionieren.
Ftzztttzzuzzz
Aber zum Blitz noch eins, irgendwie ist alles aus den Fugen geraten und wir bemühen uns, so viel aus zu gleichen wie wir können!
Zrrrrtttbzz
Wir wollen Euch nicht schaden, oder alles kaputt machen. Wir wollen ausgleichen, zum Donnerknall noch eins!
zzzrrttzzzz»

«Helena, bitte beruhigen sie sich, atmen sie tief durch. Wie gesagt, unsere Geräte und Blitze, das ist nicht gut.
Lieber Zuhörer, hier fegt gerade ein heftiger Sturm durch das Studio, ich weiß nicht ob sie mich noch verstehen können. Helena ist jetzt sehr emotional. Es ist wohl das Beste, wenn wir das Interview an dieser Stelle abbrrrr…
Brzzzzzzzzschhhhttttt»

WER ZIEHT DEM FÖHN DEN STECKER RAUS?

»Mir platzt der Schädel,« klagte die Stimme aus der Freisprechanlage des Passats.
»Ute, du machst mich fertig. Nimm was dagegen. Aspirin oder Ibu.«
»Kannst du heute Abend ohne mich zu Wilberts gehen?«
»Wie stellst du dir das vor?«
»Migräne.«
»Klar. Immer dann, wenn’s zu meinen Freunden geht.«
»Dieses Wetter …«
»Ach, so weit sind wir schon? Dass wir über das Wetter reden?«
»Das ist der Föhn, Norbert. Was kann ich dafür?«
Ein dunkler BMW schoss am Passat vorbei und quetschte sich gefährlich nah in die knappe Lücke davor.
Instinktiv drückte Norbert aufs Bremspedal.
»Dieser Spinner, dieser …«
Hinter ihm ertönte ein Quietschen, und um ein Haar wäre das nachfolgende Auto mit dem Passat kollidiert.
Darin saß ein Mann im Anzug, ein Anwalt, käsig im Gesicht. »Scheiße!«, entfuhr es ihm. »So eine gottverdammte Scheiße!«
Vor Schreck über das abrupte Bremsmanöver war ihm das Handy aus der Hand gefallen, direkt in den Becher auf der Mittelkonsole.
Mit zitternden Fingern fischte der Anwalt das Mobiltelefon aus dem brühheißen Kaffee und hielt es ans Ohr.
»Hören Sie mich?«, rief er. »Hallo?«
Das Handy blieb stumm.
»Nein, nein …!«
Verzweifelt tippte er auf die Tasten.
»Scheiße, scheiße, scheiße!«
Der Druck in seinem Schädel, an dem er schon den ganzen Morgen gelitten hatte, nahm zu.
»Komm, bitte, geh wieder an!«
Schweiß perlte auf seiner Stirn, und die Gedanken kreisten um das soeben geführte Telefonat.
Hatte sein Gesprächspartner die Anweisung korrekt verstanden?
Nicht auszudenken, wenn nicht!
Der Puls schlug ihm bis zum Hals, er lockerte seine Krawatte.
Atme, sagte er sich. Ein und aus. Ein und aus.
Kauf? Verkauf? Hatte er seine Order korrekt platziert? Was genau waren seine letzten Worte, bevor der Wahnsinnige vor ihm plötzlich stehengeblieben war?
Kauf oder Verkauf?
Sekunden später wechselte ein Aktienpaket im Wert von zehn Millionen EURO seinen Besitzer. Fast zeitgleich erreichte diese Transaktion den Bildschirm eines Buchhalters am anderen Ende der Stadt.
Dieser schüttelte den Kopf, glaubend, er hätte sich verlesen. Den ganzen Tag lang hatte er schon Schwierigkeiten gehabt, sich zu konzentrieren. Wie so oft, wenn der Föhn über das Land wehte.
Angestrengt blickte er auf den Screen. Suchte nach an einem Fehler. Aber da war keiner. Das Ergebnis blieb das gleiche.
Der Buchhalter wusste, was das bedeutete.
Schwer atmend erhob er sich, fieberhaft nach Worten suchend, mit denen er die Nachricht überbringen würde.
Bedächtig schritt er zur Türe. Öffnete sie.
»Was?«, brüllte sein Boss. »Sag das nochmal!«
»Gekauft.«
»Dieses Arschloch! Ausdrücklich habe ich ihm gesagt, er soll uns die Scheiße vom Hals schaffen! Bevor sie uns um die Ohren fliegt! Und was macht er? Was macht dieser verfickte Anwalt? Er kauft!«
Schlagartig verstummte er.
Diese plötzliche Stille ließ den Buchhalter frösteln.
»Du weißt«, hob der Boss an, »wie ich zu Illoyalität stehe.«
Der Angesprochene schwieg.
»Geh jetzt. Darum kümmere ich mich selbst.«
Er wartete, bis sich die Türe hinter seinem Buchhalter geschlossen hatte. Dann griff er zum Telefon.
»Der Anwalt«, sagte er kurz angebunden. »Du weißt, was zu tun ist!« Er legte auf.
Der Angerufene tat es ihm gleich und ließ das Handy in seiner Hosentasche verschwinden.
Atmete durch, griff zu dem Glas Wasser und warf sich die Tablette ein.
Dieses Pochen im Kopf. Er hatte das Gefühl, neben sich zu stehen, und wenn er gerade etwas gar nicht brauchte, dann das. Wer, dachte er, zieht dem Föhn endlich mal den Stecker aus der Dose? Das Wortspiel ließ ihn schmunzeln.
Aus der Jackentasche zog er die Waffe. Warf einen prüfenden Blick darauf, schließlich schraubte er den Dämpfer auf den Lauf.
Er wusste genau, wo er diesen Anwalt finden würde.
Ein gezielter Schuss aus nächster Nähe. Danach schnell in der Menge untertauchen. Hatte bislang immer geklappt. Business as usual.
Der Ort des Einsatzes lag in Fußnähe. Das sollte zeitlich passen. Und ein bisschen frische Luft täte ihm jetzt gut.
Er trat ins Freie. Wechselte die Straßenseite an der Ampel. Lief vorbei an den Geschäften und Cafés bis zur Kreuzung. Dort blieb er stehen und wartete.
Schaute nach oben, betrachtete das verwaschene Blau des Himmels und die schlierigen Föhnwolken. Als er den Blick senkte, bemerkte er die Zielperson.
Beobachtete, wie der Mann aus dem Auto stieg, nach seiner Aktentasche griff und den Wagen verschloss.
Jetzt kam der Anwalt auf ihn zu. Seinem Schritt fehlte es an der üblichen Selbstsicherheit, so als ahnte er, was ihn gleich ereilen sollte.
Der Killer tastete nach der Waffe. Trat seinem Opfer entgegen. Hob die Hand. Und dann flog er durch die Luft.
Auf der Straße kam er zum Liegen. Unweit des Autos, das ihn angefahren hatte.
Der Blick aus den weit geöffneten Augen war leer. Und doch schienen sie auf den Anwalt gerichtet zu sein, der mit offenem Mund beobachtete, wie sich eine klebrige, rote Pfütze um den Kopf des Verunglückten bildete.
Aus dem Unfallwagen kreischte eine Frau: »Oh Gott, oh Gott!« Wie von Sinnen schrie sie in ihr Handy. »Norbert, hilf mir! Ich, ich habe jemand totgefahren.«
»Du hast was?«
»Norbert, da liegt einer vor dem Auto. Und der rührt sich nicht. Oh Gott, Norbert, was habe ich getan?«
»Ute! Ganz ruhig! Wo bist du jetzt?«
»Apotheke. Ich wollte doch nur zur Apotheke. Wegen des Triptans. Wegen der Schmerzen. Das Ibu, das hat doch nicht geholfen!«
»Wo bist Du, Ute?«
Die Antwort ging unter in dem Heulen herannahender Sirenen.
Und unbeeindruckt blies der Föhnwind über die Stadt.

Ich bin

Ich bin. Klein und mickrig ist meine Reflexion in diesen dunklen Knopfaugen und der stoßweise Atem bläst mir fast das Licht aus.

Ich bin. Hungrig fresse ich das winzige Stück auf dem ich reite und rücke dem kleinen Menschlein immer näher. Kann ich dich fressen? Es schreit auf und lässt mich fallen. Der Aufprall auf der Fliese raubt mir fast die Sinne, aber da reicht mir das Menschlein ein zerknülltes Blatt Papier. Gutes Menschlein!

Ich bin. Gierig verschlinge ich das Papier, krieche empor und fauche dem Nichts trotzig ins Gesicht.
Noch mehr Papier, noch mehr Wärme und Helligkeit, noch mehr Knistern begleitet vom Glucksen des Menschlein.

Ich bin. Mehr, ich will mehr! Ein Stück Holz kriege ich zu fassen und es beginnt unter meiner Berührung zu knirschen, windet sich. Und es schmeckt so gut. Ich atme frei und nage an dem wunderschönen Nest aus Holz und Papier, das mein Menschlein nur für mich gebaut hat.

Ich bin. Übermütig lasse ich meine Zungen tanzen, zeige im knisternden Rhythmus meine schönsten Farben von fast weißem Gelb bis ins dunkle Orange. Ich will mein Menschlein betören und verzaubern, ihm zeigen was seine Zuwendung vermag. Und es lächelt. Ich sehe meine herrlichen Reflexionen in seinen Augen, auf seinen Zähnen und sein ganzes Gesicht ist in mein warmes Licht getaucht.

Ich bin. Glücklich nehme ich seine Geschenke, verschlinge das alte Mobiliar. Der Lack bringt eine scharfe Note in dieses Festmahl, so dass ich immer wieder einen bläulichen Hickser von mir gebe. Es lacht immer wieder auf, und ich lache mit ihm.

Ich bin. Trunken von diesem erhabenen Gefühl steige ich immer weiter auf, koste die Tapeten, welch ein Genuss!, erkunde die nächsten Räume, die so viel Neues für mich bereithalten. Dicht gewobene Rauchteppiche lasse ich durch alle Flure gleiten, jeder Vorhang tanzt vor Ekstase bei der kleinsten Berührung von mir. Die Grenzen der Zimmer zählen nicht mehr, selbst die alten Balken im Mauerwerk können sich nicht mehr vor mir verbergen und ich bringe sie zum Singen und Knacken!

Ich bin. Gewachsen und hungriger als je zuvor, lasse ich mit einem Paukenschlag ein Fenster zerbersten und sauge die herrliche Nachtluft ein. Dann zerspringt ein weiteres und noch eins kann meiner Kraft einfach nicht widerstehen. Ich atme tief ein und die Dachbalken verneigen sich endlich in einem tiefen, tosenden Fall. Zischende Funken stieben in den Himmel und umranden den Blick auf die Sterne. Schau nur, Menschlein!

Ich bin. Neugierig recke ich mich über die Mauern hinaus und streiche zärtlich über die Nachbarhäuser, die schon sehnsüchtig mit glühenden Steinen meine Berührung erwarten. In wilder Leidenschaft erobere ich sie. Eines nach dem Anderen bringe ich zum Knistern und Jauchzen, Glühen und Strahlen. Selbst weitere Menschlein stimmen mit lauten Rufen ein in den himmlischen Chor aus hitzigen Lohen und berstenden Gebälk.

Ich bin. Grenzenlos erscheint mir dieses Meer an Häusern, das nur auf die Krönung durch meine tanzenden Finger gewartet hat.

Ich bin.

Rebellion

Auftrag #20231111420:

Koordinaten: 51°31’N, 0°7’W

Tröpfchengröße: 1 mm, mäßiger Dauerregen

Start: 13:23 Ortszeit, Ende: 18:47

„Oje, schon wieder London“, dachte ich, als ich meinen neuen Auftrag erhielt. Das war schon das vierte Mal diese Woche. Ich hasste London. Dort tummeln sich immer die größten Regenwolken, jeder gibt damit an, er hätte den längsten Regen und es ist immer brechend voll. Die Menschen sind mürrisch drauf und verfluchen uns. „Hey Boo, schieb mich mal wieder nach London“, rief ich meiner besten Freundin, der Böe Boo zu. „Liebend gerne“, säuselte sie, als sie liebevoll meine Ränder umspielte.

Wir machten noch über dem Ärmelkanal einen kleinen Zwischenstopp, damit ich noch etwas tanken konnte. Musste ja doch etwas mithalten können, mit den Riesenwolken in London. Ich konnte schon die von schneeweißen Klippen gesäumte Küste erkennen. Die Klippen reflektierten das orange und rote Licht der untergehenden Sonne. Ich will nicht schon wieder nach London. Mittlerweile hatte ich die ganze Insel satt. Es gibt so viele wunderschöne Orte auf der Welt, warum immer England?

Boo hatte mir mal von einem Land im Süden erzählt, dass nur aus Sand besteht. Sie hatte davon geschwärmt, wie toll es war, als Böe im Sand zu spielen, goldene Berge zu bauen, die mit einem mitwanderten. Riesige menschenleere Weiten voll Sand, der von der goldenen Sonne geküsst wird. Außerdem soll es da richtig heiß sein, nicht wie im kühlen Norden.

„Ach Scheiß drauf“, dachte ich. „Boo, Planänderung, wir fliegen nach Süden, zu dem Sand, von dem du mir erzählt hast! Zeig mal, was du drauf hast, gib Gummi!“, ich fühlte mich richtig rebellisch, als ich das Kommando gab. „Alles klar Chef!“, Voller Vorfreude vollführte Boo eine Schraube um mich herum, bevor sie mich abbremste und in die entgegengesetzte Richtung schob.

Unsere Reise dauerte drei Tage. Wir überflogen ein Land, das viel mit Feldern und Wäldern bedeckt war und kamen an einer Großstadt mit einem Fluss vorbei, an dessen Ufer ein beleuchteter Turm aus Metall stand. Eine Herausforderung waren die Berge, die wir irgendwann am zweiten Tag passierten. Sie waren so hoch, dass wir ein paar örtliche Winde fragen mussten, damit sie Boo unterstützen und mich darüber heben konnten.

Leider verlor ich beim Aufstieg über die ersten Berge etwas Wasser, ich konnte es leider nicht mehr halten. Es war mir ein bisschen unangenehm. Sie trugen mich durch die schneebedeckten Gipfel des Gebirges, die fast meine Unterseite berührten. Durch die Höhe spürte ich das Wasser in mir gefrieren.

Nachdem wir die Bergkette passiert hatten, taute ich wieder auf. Schließlich erreichten wir ein weiteres Meer, an dem ich wieder auftanken konnte. In der Nacht kamen wir an zwei Inseln vorbei, wo die Leute ausgiebig feierten. Sie schienen so viel glücklicher als die Menschen in London. Sie tanzten auf den bunt beleuchteten Straßen und küssten sich, es war schön anzusehen. Sie waren so abgelenkt, dass sie uns gar nicht bemerkten.

Schließlich erreichten wir am dritten Tag eine weitere Küste. Zunächst war das Land noch grün und mit Palmen und Bäumen bedeckt. Doch die Vegetation wich dem Sand, je weiter wir nach Süden kamen. Es wurde immer wärmer. Endlich waren wir angekommen und es war unglaublich. Die untergehende Sonne wärmte sanft meine Unterseite und ließ mich in rötlichen Licht erstrahlen.

Die Landschaft sah aus wie das Meer, das wir überquert hatten, doch einfach aus Sand. Boo hielt mich an. Sie schoss zum Boden, zeichnete verspielt Muster und wirbelte etliche Körner auf. Sanft wogten sich die staubigen Wellen bei ihrer Berührung. Sie stieß glucksende Geräusche der Belustigung aus. Unter mir sah ich eine kleine Gruppe von Menschen, die auf komisch aussehenden Tieren ritten. Endlich ein bisschen Publikum.

Nach der langen Reise konnte ich es eh schon fast nicht mehr halten. „Hey Boo, schau her, jetzt bin ich dran!“, rief ich meiner Freundin zu. Ich öffnete alle Schleusen. Zuerst fielen ein paar kleine Tropfen, die auf dem heißen Sand sofort wieder verdunsteten. Ich presste stärker, ich musste wohl erst etwas warm werden. Die Menschen bemerkten mich und sahen zu mir auf. Ich spannte alles an. Und ehrleichtert spürte ich, wie mein Gewicht weniger wurde. Die Tröpfchen schwollen zu einem rauschenden Platzregen an.

Gut, dass ich nochmal aufgetankt hatte. Sogar ein Regenbogen im Sonnenuntergang bildete sich im herunterfallenden Wasser. Er verlieh dem Kunststück das gewisse Extra. Drei Stunden konnte ich bestimmt so weitermachen, bevor ich leer war.

Jetzt geschah etwas, was mir noch nie passiert war. Die Menschen stiegen von ihren Reittieren ab, streckten die Arme mir entgegen und fingen an zu schreien und zu singen. Einige von ihnen tanzten sogar in den Pfützen, die sich bildeten. Boo stimmte mit ein und pfiff durch ihre weiten Gewänder. Ich verspürte einen Moment der Glückseligkeit. Ein Moment der Harmonie zwischen Mensch und Natur.

Leider war er viel zu schnell vorbei. Als ich auf einen Bruchteil meiner ursprünglichen Größe geschrumpft war und ich die letzten verbliebenen Tropfen fallen ließ, war ich ziemlich erschöpft. Die Menschen spielten noch etwas in den Pfützen, bevor wieder auf ihre Reittiere stiegen und ihre Reise fortsetzten.

„Na komm Boo, ab nach Hause“, sagte ich und sie seufzte wehmütig. Sie nahm mich auf und trug mich wieder Richtung Norden. Als wir die Küste passierten fühlte ich ein elektrisierendes Kribbeln und sah alarmiert auf. Oje, da kam der Chef angeflogen. Jetzt gibt’s Ärger.

Stadt aus Glas

Der erste Windstoß ist für mich stets etwas Besonderes. Der erste Knall, wenn die Fensterläden zuschlagen. So beginnt es. Die ersten ängstlichen Gesichter: ihr wisst nicht, was kommt – doch ihr ahnt es.

Ich wirble euer fein geharktes Laub auf, stehle eure Wäsche von der Leine, zerre an euren weißen Vorhängen, bis sie reißen.

Ihr flüchtet euch in eure Häuser, schließt die Fenster und betet, ich möge vorüberziehen. Ich denke gar nicht daran.

Ich nehme euch den Strom, fälle eure Bäume, lasse Hagel auf eure Dächer niederprasseln. Jetzt erhebe ich mich, höher und höher: ein Strudel aus Wind, Wolken und Erde; so hoch, dass ich den Himmel küssen kann.

So blicke ich nieder auf eure Stadt aus Glas.

Einer von euch hat den Mut, sich mir in den Weg zu stellen. Er trägt Bibel und Kreuz bei sich. Ich solle diese Stadt verschonen, ruft er. Ich lasse die Eichen um ihn herum erzittern. Das ist deine letzte Warnung!

Er bittet mich erneut, nein, er fleht mich an – doch ich bin nicht der, für den er mich hält.

Das Leben

Was freust du dich, du junger Mann?
Siehst du nicht was ich dir angetan?
Groß ist dein Land, so weit und breit.
Doch sieht es keiner, dank Meisterhand.
Ich bin der Nebel, der dich einhüllt.
Bist du jetzt angsterfüllt?
Nein Herr Nebel, sicher nicht.
Ich freue mich über dein Angesicht.
Denn trocken war diese Jahreszeit.
Und du bringst mir Tau mit deinem Kleid.
Der Weizen wächst sowie Gerste und Mais.
Meine Familie wird satt bis ich werd ein Greis.

Liebe

Ich liebe ihn. Mein strahlendes Antlitz funkelt auf seiner klaren, makellos rund geformten Haut. Wenn sein erfrischender Duft unter mir aufsteigt, durchströmt mich dieses schlichte Gefühl stillen Glücks.
Wo er lang gewandert ist, glitzert die Welt. Tausende kleine Lichter, die in meinen Strahlen schimmern. Alle Pflanzen atmen auf, entfalten ihr sattes Grün. Vögel waschen ausgiebig ihr Gefieder.
Seine Spuren sind farblos. Doch niemand übersieht sie. Wo sie sich sammeln, spielen Kinder. Seine Liebe für die Welt spiegelt sich in allem, was er zurücklässt, bildet exakt ab, was ihn umgibt. Schlicht und zauberhaft.
Und er liebt auch mich. Wenn wir uns treffen, beginnen seine zahllosen Augen zu funkeln. Er saugt mein Licht auf und zeigt mir, was er darin sieht. Er strahlt das Violett seiner Träume aus, in denen ich die Hauptrolle spiele. Er flüstert mir das Blau seiner Trauer zu, wenn er mich nicht entdecken kann. Doch legt gleich darauf das Grün seiner unendlichen Zufriedenheit darüber und des Vertrauens, dass wir uns wiedersehen werden. Dann spielt er mit dem Gelb, meiner Farbe, und streckt mir meinen ganzen Stolz und meine offene Art entgegen. Er lacht in orange über all unsere phantastischen Augenblicke und das Glück unseres Zusammenseins. Und schließlich, in tiefstem Rot, erklärt er mir seine Liebe, seine Leidenschaft, die mich brennen lässt.
Und während er all das vor Freude hoch in den Himmel wirft, sehen uns alle zu. Doch es stört uns nicht. Denn sie erfreuen sich mit uns an dem Wunder, das zwischen uns und allen Schöpfungen besteht.

Stimmungswechsel

Wenn es mich langweilt und ich die triste Melancholie über das Land aussäe, überkommt mich ein Hauch von Mitleid. Wie sie da unten laufen. Geduckt, beinahe in sich verkrochen, mit grämigem Antlitz, als ob mein Regen die Gesichtszüge wegspült, verwaschen und fahl.

Und dann, als mein Trübsinn seinen Höhepunkt erreicht, die Lethargie in voller Blühte steht, durchbricht ein Jauchzer das Grau in Grau, zerberstet mit seiner Unbeschwertheit die erdrückenden Mauern.

Blicke, aufgeschreckt und verwirrt, fast widerwillig, suchen den Störenfried, der sie aus ihrer Tristesse herausreißt.

Platsch! Erneut dringt ein freudiges Quieken und Glucksen durch die regnerische Stille. Platsch! Platsch! Platsch!

Dieser kleine Farbtupfer da unten breitet sich langsam wie ein umgeworfener Farbeimer aus. Er befleckt die Menschen mit Frohsinn, zaubert ihnen ein flüchtiges Lächeln ins Gesicht und nimmt ihnen unbemerkt die Last von den Schultern.

Die Mutter, deren Hand wie Kaugummi an dem Arm des Kindes klebt, wird von Pfütze zu Pfütze gezogen. Anfangs noch mürrisch und in Sorge verlässt auch sie der Argwohn über den Übermut der Tochter.

Und dann, bei der nächsten großen Pfütze hüpfen doch glatt beide ungehemmt hinein.

Ich beobachte das Schauspiel und werde erst aus meinen Gedanken gerissen, als das Mädchen mit leuchtenden Augen und strahlendem Gesicht den Finger in den Himmel streckt.

„Guck mal, Mami! Ein Regenbogen! Der ist ja riesig!“ Auch die restlichen Passanten schauen nach oben. Viele zücken ihr Smartphone, fotografieren meine erhellte Laune und verbreiten sie hastig in den sozialen Netzwerken.

Ich lasse meinen Blick über die Menge schweifen und halte bei der Mutter inne. Sie greift die Hand des Kindes fester, schaut lächelnd hinauf und flüstert „Ja, Omi und Opi senden uns einen Gruß.“

Die Kleine entzieht sich dem Griff der nachdenklichen Mutter flitzt ein paar Meter über den Platz, um dann mit Schwung in die nächste Lache zu hüpfen.

Meine Melancholie ist verschwunden, weggespült durch kindliche Unbekümmertheit.

Naturgewalt der Erde

Ich spüre dich, wenn die Erde bebt.

Ich rieche dich in der Luft, wenn diese mein Gesicht umschmeichelt.

Es geht ein sanftes Zittern durch meinen Körper, wenn ich deine Farbenpracht in der Natur beobachte.

Es verschlägt mir die Sprache, wenn ich deinen Donner höre.

Ich werde still, wenn ich das Blatt von den Ästen fallen sehe.

Die Bewegung und das Fallen des Blattes, der Augenblick einer Ewigkeit gleich.

Und es ist die Stille und Verbundenheit, die mein Herz umarmen, in der Erkenntnis - dass wir eins sind…

Ich bin Nebel

In den frühen Morgenstunden erhebe ich mich leise aus den verborgenen Ecken der Umgebung. Ein zarter Hauch, der die schlafende Stadt umarmt und sie in ein geheimnisvolles Grau verpackt. Ich bin der Dunst, der sanft über Dächer und Straßen streicht, der die Laternen in ein gedämpftes Licht taucht und die Welt in einen undurchsichtigen Schleier hüllt.

Ich werde Nebel, werde mit jedem Atemzug der Stadt dichter, gewinne an Substanz und umgarne behutsam die Konturen der Gebäude. Die Menschen ruhen in ihren Träumen, während ich mich leise über die Straßen lege.

Ich bin Nebel. Die aufsteigende Sonne kündigt meinen Pakt mit dem Ruß und dem Dreck an, die in der Luft schweben. Gemeinsam formen wir uns zu einem undurchdringlichen Smog, der die Welt in ein trübes Grau taucht. Die Stadt, die eben noch im Schlaf verweilte, wird von meiner undurchsichtigen Decke umhüllt.

Ich bin Smog und spüre die Schwere, wie ich mich über die Straßen lege und die Umrisse der Gebäude in ein verschwommenes Bild verwandele. Die Stadt erwacht in meiner Umarmung, und ich bin der Schleier, der sie in ein geheimnisvolles Schweigen taucht.

Doch dann brechen die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke, und ich spüre, wie sie beharrlich ihren Weg durch meinen Nebel hindurch bahnen. Goldene Finger, die die Undurchdringlichkeit durchbrechen und Wärme in die Kälte des Morgens bringen. Ein stiller Kampf zwischen Licht und Dunkelheit.

Der rötliche Morgen tanzt mit mir, dem aufsteigenden Nebel, und ich beginne zu schillern. Der Smog, der eben noch die Stadt erstickt hat, löst sich auf. Die Sonnenstrahlen haben gesiegt, haben mich durchdrungen und die düstere Kulisse aufgelöst.

Ich bin Dunst, ziehe mich zurück, verflüchtige vor den Strahlen der aufgehenden Sonne und die Stadt atmet auf. Die Natur selbst hat einen Zauber gewirkt, um die düstere Umarmung des Morgens zu vertreiben und Raum zu schaffen, für das warme Licht eines neuen Tages.

In meiner flüchtigen Existenz erkenne ich die Schönheit der Veränderung, die Magie des Moments, wenn sich der Nebel lichtet und die Welt in neuem Glanz erstrahlt.

Gewitter

Ich näher mich mit sachtem Brummeln
Wachse an zu starkem Grummeln
Hin zu lautem Getöse
Gefährlich und böse

Meine Blitze zucken grell
Am Himmel wird es hell
Ich lass die Menschen zittern
Unter meinen Gewittern

Sollen Ehrfurcht zeigen
Sich vor mir verneigen
Die Luft vibriert mit jedem Donner
So zeige ich mich oft im Sommer

Mach euch den Garaus
Tobe mich aus
Dann ist‘s wieder still
So wie ich es will

Wenn Wolken weinen

„Bist du sicher, dass du das willst?“, frage ich. Ich bin verzweifelt und ich weiß nicht, was ich noch sagen soll.
„Ich kann einfach nicht so lange an einem Ort bleiben. Ich muss weiterziehen“, wispert Zirrus mir zu.
„Und ich …“ Ich kann dich nicht verlieren, wollte ich sagen. Doch ich weiß es besser. Ich existiere schon zu lange als Wolke. Ich hänge schwerelos am Himmel. Begrüße Sonne und Mond, die ich zwar beide nett finde, mich in meinem täglich Tun aber nur mäßig beeinflussen. Lache mit den Sternen. Spiele mit den Vögeln, die sich zu mir heraufwagen. Weine mit den Menschen aus der Ferne. Und lange habe ich dabei Zirrus Gesellschaft genossen. Zu lange. Wolken waren Freigeister. Wanderer. Entdecker. Wir taten, wonach uns der Sinn stand.
„Du kannst mitkommen“, bietet sie an, obwohl es absurd war. Wolken verschmolzen vielleicht miteinander, aber sie reisten sicher nicht nebeneinander her.
„Ich kann hier nicht weg“, lehne ich sofort ab. „Zumindest gerade nicht. Ich bin zu träge. Zu groß. Es würde zu lange dauern, mich jetzt zu bewegen.“
„Du bist ein Sturkopf, Nimbostratus“, zischt sie.
„Du auch“, erwidere ich.
„Vielleicht sehen wir uns ja wieder. Irgendwann.“
„Irgendwann“, stimme ich zu. Es war nicht ungewöhnlich. Aber es würde lange dauern. „Vielleicht warte ich auch einfach hier“, ergänze ich.
„Dann weiß ich, wo ich dich finde“, nickt Zirrus.

Und dann zieht sie fort. Ohne ein weiteres Wort und ich schaue ihr reumütig hinterher. Sie ist eine besonders schöne Federwolke - Gleichmäßig und elegant. Sie ist so schön, dass sie Probleme an den Orten verspricht, an die sie zieht und verweilt. So wie jetzt. Meine Trauer ist unendlich. Eigentlich hatten wir nicht einmal besonders viel miteinander gesprochen. Doch das war nicht wichtig. Wir haben uns ohne Worte verstanden. Wir haben uns im Stillen ertragen und geschätzt und das ist wahrlich selten.

Ich schüttle mich. Mein Verlust ist groß und ich schaffe es nicht mehr, meine Trauer zu zügeln. Schwere Tropfen fallen an meinem großen Körper herab. Zuerst sind sie zögerlich und klein. Schnell werden sie immer dicker und größer. Ich weine und die Welt weint mit mir. Unter mir sehe ich Menschen laufen. Sie flüchten vor mir. So wie Zirrus es getan hat.
Kälte steigt in mir auf. Meine Tränen verändern sich - werden härter. Klümpchen fallen von mir herab. Alle sind weg. Das Dorf unter mir liegt verlassen da. Nicht einmal Tiere wagen sich hervor, um mich zu trösten. Vielleicht wissen sie, dass es keinen Trost gibt. Gerade nicht. Ich bin allein. Und da beschließe ich, so lange zu weinen, bis ich keinen Tropfen mehr in mir habe. Bis ich alles vergessen habe, was passiert ist und ich keine Ahnung mehr habe, warum ich eigentlich weine. Bis die Welt sich an den Tag erinnert, an den Nimbostratus die Welt in seiner Trauer ertränkt hat.

Noch nicht vergessen

Ich sterbe und mein Tod bleibt unbeachtet.

Seit Anbeginn der Zeit wache ich über das Land und meine Aufgabe ist klar definiert. Wenn die dunklen Monate rufen, die Bäume ihre bunten Kleider verlieren und die Tiere ihren Rückzug planen, dann beginnt normalerweise meine Zeit.
Ich lege die Welt unter mir in einen weißen Schleier, verwandle alles in einen Ort aus Kälte und Stille.

Die Menschen sangen Lieder über meine Pracht, schrieben Geschichten über den Zauber und die Not, die ich brachte. Doch heute, heute redet kaum einer mehr über mich.
Ich bin irrelevant für sie geworden. Vergessen und begraben, zusammen mit den Liedern, Geschichten und der Ehrfurcht, die mich einst begleitete.

Meine Kraft verschwand schon vor Jahren. Heute ist kaum noch etwas von meiner einstigen Magie übrig.
Die Menschen stört es nicht, im Gegenteil, sie freuen sich wenn ich ein weiteres Mal nicht zu ihnen komme.

Ich sterbe und mein Tod bleibt unbeachtet.

Doch da, ein kleiner Hoffnungsschimmer unten am Boden. Er kommt in Form eines kleinen Körpers mit zwei kurzen Beinen und blonden Locken. „Bitte, Bitte lass es morgen an Weihnachten schneien.“
Sie kräuselt die Lippen und hebt die kleinen, dick eingepackten Hände flehend in den Himmel.
Ich nehme all meine Kraft zusammen und stoße schließlich einen Teil von mir ab.
Mein kleiner Gruß schwebt langsam und taumelnd zu Boden.
Ihre großen Augen weiten sich, als sie meine dicke Flocke erspähen.
Ich küsse ihre Nase und verspreche, alles dafür zu tun, sie bald wieder zu besuchen.
Heute Abend bin ich nicht vergessen.
Heute Abend lebe ich- nur für sie.

Handeln

Ich ertrage das nicht mehr, alles in mir wird dunkel und schwer.

Ich bin nur Teil der Masse. Wie die anderen werde ich den ganzen Tag nur herumgeschubst, mal hierhin mal dorthin. Es ist eine Last - jeden Tag.

Natürlich macht das was mit uns. Die einen werden traurig, möchten nur noch heulen, die anderen werden zornig. Am schlimmsten wird es wenn wir zusammengetrieben werden, dann ist es nur noch ein Schubsen und Reiben, das hält dann keiner mehr aus.

So wie jetzt gerade. Hilflos werden wir über eine Masse von Menschen getrieben. Die kommen da freiwillig zusammen um Spaß zu haben. Manchmal sind sie so froh, dass wir sie bis oben hören können und manchmal spüren wir da auch Energie hochkommen. Das finde ich toll. Dann erzählen wir uns immer die Geschichte von Woodstock, da waren die Menschen so laut und miteinander eins, das sie zu uns hochgesungen haben: „No rain, no rain!“ Natürlich konnten wir da auch nicht sofort aufhören, aber wir haben aufgehört zu gewittern und uns anstecken lassen von dem Optimismus der Menschen.

Aber jetzt verderben wir ihnen die Freude, ein paar von uns weinen schon, die Zornigen fangen an zu blitzen. Ich sehe die Menschen auseinander rennen, Schutz suchen. Vor uns. Auch vor mir. Es ist zu heulen.

In kleinen Gruppen stehen sie patschnass und dicht gedrängt unter Bäumen, Verkaufsständen und allem was ihnen Schutz bietet. Es tut mir so leid und mache alles noch viel schlimmer.

Doch da… da drängt sich eine ganze Gruppe unter einer Regenplane und schützt sich gegenseitig, ein paar lachen sogar. Und da… unter dem Baum küssen sich welche. Sofort schubse ich die zornige Wolke neben mir etwas weg und schaue weiter. Noch mehr Pärchen, die sich halten, noch mehr Gruppen die sich helfen. Dort teilen sie ihr Essen, da drüben trinken und lachen sie, einige verschwinden im Zelt, manche tanzen sogar im Regen.

Das ist schön, alle schauen wir gebannt nach unten, lassen sogar einen Sonnenstrahl durchscheinen.

Da blinzeln die Menschen zu uns herauf, mit fröhlichen Gesichtern, sie zeigen auf uns, viele singen.

Ob sie wohl „No rain, no rain singen?“

Das ist schön.

Ich bin ganz leicht…

…und löse mich auf.

Amor

Seit Wochen beobachtete ich nun schon die immer gleiche Szene: Sie gehen aufeinander zu, oft gehetzt genau wie alle um sie herum. Ein flüchtiger Blick, wenn sie sich begegnen, ein scheues Lächeln. Ich sehe die Röte, die ihre Wangen färbt, wenn er sie anlächelt. Ich spüre, wie sich die Atmosphäre um sie herum aufläd. Es kribbelt so schön. Und jeden Tag kribbelt es ein bisschen mehr.

Ich habe dem lange tatenlos zugesehen. Gespannt, wer den ersten Schritt macht. Doch zu meinem Verdruss ist nicht geschehen. Das Kribbeln um sie herum wurde immer mehr. Lud mich immer stärker auf. Manchmal glaubte ich sogar, kleine Blitze zu sehen. Doch nichts geschah. Wie jeden Tag warfen sie sich nur verstohlene Blicke zu. Ein Lächeln, ein kurzen Nicken von ihm, sonst nichts.
Irgendwann war ich es leid. So konnte es doch nicht weiter gehen. Ich musste eingreifen!
Es war ein sonniger Herbsttag. Ich blies das bunte Laub vor mir her, wehte den ein oder anderen Hut vom Kopf und ließ bunte Drachen steigen, das die Kinder, die sie hielten, ihre Freunde hatten. Als ich sie den langen Weg durch den Park entlang hasten sah, konnte ich mein Glück kaum fassen. Sie trug einen knielangen, weiten Rock. Fantastisch! Ich wartete mit zunehmender Ungeduld darauf, dass sie einander begegneten. Als sie sich, wie immer, schüchterne Blicke zuwarfen sah ich meine Chance gekommen. Mit lauten Brausen fuhr ich frech unter ihren Rock und ließ in hochwirbeln. Das entlockte ihr einen entsetzten kleinen Schrei. Er blieb erschrocken stehen, doch anstatt sie anzusprechen glotzte er sie nur blöde an. Nicht zu fassen. Sie strich sich hastig und beschämt den Rock glatt, lächelte ihn verlegen an und hastete, nun noch etwas schneller und mit puterrotem Gesicht weiter. Und er stand einfach nur da und starrte ihr hinterher. Was für ein Idiot! So hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Ab diesem Tag versuchte ich es noch ein paar Mal, die beiden irgendwie dazu zu bewegen, miteinander zu sprechen. Ich wehte ihm eine Zeitung, die ein Passant achtlos auf einer Parkbank hatte liegen lassen, ins Gesicht. Das brachte sie zwar zum Kichern, doch er fand das wohl weniger witzig, denn er lief missgelaunt einfach weiter und warf die Zeitung in den nächsten Abfall. Ein anderes Mal hatte ich mir sogar den Regen zu Hilfe geholt. Ich blies heftig unter ihren Schirm, sodass sie ihm entgegen stolperte. Und tatsächlich kam er ihr mit ausgebreiteten Armen zu Hilfe, da sie zu fallen drohte. Ups, da hatte ich es wohl ein bisschen übertrieben. Er fragte sogar, ob alles in Ordnung sei, doch sie nickte nur verlegen, lächelte und eilte weiter und ließ ihn ziemlich verdattert zurück. Regen und ich hatten gebannt zugesehen. Doch als die beiden Menschen wieder getrennt ihrer Wege gingen warf ich frustriert den Zeitungsstand um die Ecke um und Regen entlud seinen Frust in einem kurzen Wolkenbruch. Ich wusste nicht mehr weiter. Ich fragte sogar die Sonne um Rat. Diese wollte am nächsten Tag besonders strahlen, weil das die Menschen besonders glücklich machen würde und der Liebe Tür und Tor öffnete. Das behauptete zumindest die Sonne. Doch vergebens. Alles lief ab wie immer, nur das das Kribbeln in der Atmosphäre immer heftiger wurde. Bald würden diese beiden nur durch ihre bloße Begegnung ein Gewitter heraufbeschwören.
Sogar der Mond wollte helfen, doch die Mittagszeit war einfach nicht seine Tageszeit.

Und so kam es, dass ich immer frustrierter wurde. Und an diesem Herbsttag reichte es mir. Wie dumm waren diese Menschen nur? Jeder im Park konnte doch sehen, dass diese beiden füreinander bestimmt waren. Jeder Baum, jeder Strauch, Vogel, Eichhörnchen. Jeder! Warum waren sie nur so blind?
Als die beiden dieses Mal einander entgegen hetzten konnte ich mich nicht mehr beherrschen. In meinem Frust ließ ich alles los und eine heftige Böe erfasste die beiden so plötzlich, dass sie meiner Kraft nichts entgegen zusetzen hatten. Sie strauchelten. Die junge Frau schrie vor Schreck auf und geriet auf ihren hohen Absätzen aus dem Gleichgewicht. Ohje, das hatte ich nicht bedacht! Da der Mann selbst noch mit meiner kleinen Attacke zu kämpfen hatte, konnte er ihr nicht helfen. Und so fiel sie ungelenk nach vorne. Erschrocken zog ich mich sogleich zurück. Das hatte ich nicht gewollt! Zwei hässliche Schürfwunden prangten blutend auf ihren Knien. Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte sie aufzustehen. Und dann geschah es! Da waren plötzlich zwei starke Hände, die sie vorsichtig bei den Armen packten und ihr aufhalfen. Mir blieb bei diesem Anblick glatt die Luft weg - haha.
Er half ihr, sich auf die nächste Parkbank zu setzen und reichte ihr galant ein Taschentuch. Sie versuchte ihn unbeholfen abzuwehren, doch er beharrte darauf, ihr zu helfen und begann ihr mit dem Taschentuch vorsichtig Blut und Scmutz von den zerschundenen Knien zu tupfen. „Ich bin übrigens Paul!“, stellte er sich mit einem zurückhaltenden Lächeln vor. „Isabell“, entgegnete sie leise und wieder färbte Röte ihre Wangen und ließ sie einfach hinreißend aussehen. „Freut mich, dich kennenzulernen, Isabell!“ Und dann sahen sie sich lange in die Augen. Und ich schwöre, in diesem Augenblick zündete ein kleines Feuerwerk, dessen wohl nur ich gewahr wurde.
Endlich

Vor der Haustür

Es war ein Versuch, die Menschen an diesem Ort endlich zufriedenzustellen, ihnen endlich das zu bieten, wofür sie scheinbar lebten: für geschniegelte Gärten mit grünen Rasenflächen und Hängematten zwischen den Bäumen, um auf ihnen zufrieden schaukelnd Erdbeerbowle aus dicken Strohhalmen zu schlürfen.
Ich habe ihnen eine lange glückliche Zeit beschert. Mit Urlaubstagen vor der eigenen Haustür. Sie haben Glück in ihrem Endmoränengebiet. Kleine Hügel laden sie zu Wanderungen durch liebliche Kiefernwälder ein, die sogar im Winter den trüben Seelen wohltuendes Grün anbieten. Wasserstraßen und klare Seen erfrischen ermüdete Körper nach einem langen Arbeitstag oder lassen sie sich an Ferientagen an Sandstränden und begrünten Ufern versammeln. Sie wirken dann fröhlich und ausgelassen und ich wollte ihnen mehr davon geben. Sie können ihre Pflanzen und Rasenflächen sogar selbst bewässern und denken sich nichts dabei. " Oh nein, morgen geht das nicht, es wird schlechtes Wetter!" , rufen sie aus, angestrengt auf ihr Smartphone schauend, wenn Ausflüge geplant werden.

Und ausgerechnet immer zu der Zeit, wenn ich dachte, dass endlich ein Ausgleich zur Trockenheit nötig wäre. Lange habe ich den Regen für sie zurückgehalten. Meine grauen Wolken mit ihren schweren Bäuchen weitergeschickt, dorthin wo man dankbar über sie ist.
Denn sie rennen schon bei wenigen Tropfen panisch nach Hause, gekrümmt mit großen gelben Kaputzen, und decken hektisch ihre bunten Hängematten ab.
Sicher bin ich mir wirklich nicht, ob es gut ist, ihnen alles recht zu machen…

Ein ganz normaler Herbststurm steht auf meiner To-do- Liste. Neulich hörte ich, wie ein Paar an einem kühleren leicht windigen Herbsttag- also die Jahreszeiten lassen sich nun wirklich nicht anpassen! - Arm in Arm durch diesen einst wunderschönen Wald auf diesem kleinen Hügel spazierte. Sie schauten die meiste Zeit angestrengt nach oben, aus Sorge, dass eine frische Brise ihnen einen knorrigen, abgestorbenen Ast vor die Füße oder schlimmer noch auf den Kopf warf.
„Alles vertrocknet hier, sieht aus wie in einem Geisterwald…“ sagte die Frau traurig zu ihrem Liebsten.

Soll ich oder lieber nicht?

Genug!

Ich mag ihren Dreck nicht mehr sehen, nicht mehr riechen, mag nicht mehr miterleben, wie sie diesen wunderbaren Ort ruinieren. Trotz aller Zusammenkünfte und Beteuerungen ändert sich kaum etwas. Leere Worte einer Spezies, die noch immer glaubt, alles im Griff zu haben. Meine Geduld ist am Ende. Ich werde ihnen die Seelen aus dem Leib brennen, sie ertränken und ins Meer spülen, um zu retten, was zu retten ist. Ich habe sie lange genug gewarnt.

Die radikale frische Brise

Ich bin die radikale frische Brise, die vom Elbstrand her, aus dem Norden, von dort, wo Aufbruch, Mut und Neubeginn ihren Hafen haben, übers Land zieht und Veränderung bringt.

Ich bin keine Naturgewalt, die zerstört. Trotzdem kann ich gewaltige Wirbel machen. Ich bin kein Gegenwind und kein „steife Brise“ - auch wenn wir oft verwechselt werden.

Im Unterschied zum Gegenwind bin ich niemals gegen etwas. Das wäre Energieverschwendung.

Und im Unterschied zur steifen Brise bin ich immer biegsam und flexibel. Dadurch bin ich nicht angreifbar.

Wo ich bin, ist immer Bewegung und gerne wechsle ich ganz überraschend die Richtung. Meistens dann, wenn ihr euch auch abwendet, von Menschen, Situationen, Dingen. Wenn ihr um-kehrt und eine neue Richtung sucht. Dann bin ich da, denn das ist dann „genau mein Ding“ und deshalb habt ihr auch den Eindruck, dass am Meer der Wind immer von vorne bläst.

Und genau dieser Wind, das bin dann ich, die radikale frische Brise. Daran erkennt ihr mich. Ich komme immer von vorne, bin aber niemals gegen Euch, denn ich obwohl ich von vorne komme, dränge ich Euch niemals zurück, sondern puste den Raum frei, in dem ihr weiter gehen könnt. Weiter werdet.

Denn von vorne sehe ich Eure Augen, sehe ich Euren Mut, Eure Verzweiflung, Eure Unsicherheit. Und die puste ich dann erstmal kräftig durcheinander.

Und im Unterschied zur sanften Brise, die mir oft an den Fersen klebt, die beruhigt und besänftigt, nachdem ich mit meinem Wirbel fertig bin, gehe ich den Dingen auf den Grund. Dort finde ich nämlich die Wurzel des Übels. Deshalb heiße ich radikal.

Besonders gerne halte ich mich in Euren Köpfen auf.

Hier finde ich meistens unendlich viele Dinge, die ich durcheinanderpusten kann. Sorgen, Ängste, Bilder aus Eurer Vergangenheit. Gut, manchmal treffe ich auch auf beängstigende Leere. Das macht dann sogar mir Angst, denn dann weiß ich nicht, wo ich ansetzen kann.

Und da ich nicht nur radikal bin, sondern vor allem auch frisch (manche nennen das „Neu“ oder „Veränderung“), erkennt ihr mich daran, dass ich Euch ein bisschen Gänsehaut mache. Das dürft ihr nicht mit Frieren verwechseln, denn ich bringe soviel in Bewegung, dass Euch dabei niemals richtig kalt werden kann.

Wenn ich alles so richtig schön durchmischt und alle Wurzeln gezogen habe, dann ist mein Werk getan. Wenn sich dann die Elemente in Eurem Kopf wieder beruhigen und absetzen, dann sind sie nicht mehr wie vorher.

Und ich habe nicht nur das, was in Euch angelegt und verwurzelt war neu gemischt, ich habe auch immer ein bisschen was mitgebracht. Neue Impulse, die sich - manchmal unbemerkt, manchmal spürbar - zwischen das, was war, eingeschlichen haben.

Deshalb ist, wenn ich wieder weg bin, alles anders.

Wenn ihr stehen geblieben seid, während ich Wirbel gemacht habe, wenn ihr mir Widerstand geleitet habt, dann schlagt ihr nun nun wieder an der selben Stelle Wurzeln. Aber deren Tiefe und Struktur wird dennoch ein bisschen anders sein als zuvor.

Wenn ihr mich aber genutzt habt, um ein Stück vorwärts zu kommen, dann wurzelt ihr nun auf neuem Grund und anderem Boden. An dem, was nun neu wachsen darf, werdet ihr die Veränderung als wunder-voll erkennen.

Ein Sturm räumt auf

Ich war müde. Ich war es leid.
Jene, die sich dort sammelten trugen Schuld an dem ganzen Leiden. Sie waren es, die Mutter Erde immer wieder enttäuschten und schädigten. Und sie vergab ihnen. Immer und immer wieder.
Es war frisch, die Menschen hatten sich dick eingepackt und sammelten sich, um Brezeln zu essen, Laternen zu tragen und sich auszutauschen. Sie hinterließen Müll, den ich mit einer leichten Briese auffegte. Sie fröstelten, als ich durch die Menge fegte. Sie hassten mich, den Wind. Und ich hasste sie.
Es wurde dunkler und dunkler, die Laternen erleuchteten die Versammlung und sie begannen zu singen. Und sie hinterließen noch mehr Müll. Papiere, heruntergefallene Brezeln, Kunststoff. Ich wollte es zusammenfegen und erwischte versehentlich eine Laterne. Die Menschen raunten und starrten der Laterne mit Schock in den Augen nach. Sie entglitt mir und fiel in eine Pfütze, doch anstatt sie einzusammeln und zu entsorgen ließen sie das Papier liegen. Gläser mit goldener Flüssigkeit zersprangen, die Splitter verteilten sich auf dem Boden. Sie waren zu schwer, als dass ich sie hätte auffegen können.
Die Menschen amüsierten sich, während ich ihnen hinterherräumte. Sie schrien gegen mich an, um sich zu verstehen, sie beschwerten sich über mich.
»Der blöde Wind!«
Ich erstarrte in der Bewegung. Irgendwann war es genug. Ich holte tief, ganz tief Luft. Ich sammelte meine ganze Energie und jagte sie über die Versammlung. Ich tobte mich aus, rauschte mit rasender Geschwindigkeit durch die Menschen und die Hütten. Das Holz barste, Laternen wirbelten umher. Sie schrien vor Angst. Ich riss die Marktstände vom Boden, schubste die Menschen umher und riss die bunten Laternen mit mir. Schnell rannten die Menschen in die schützenden Bauten. Doch ich hatte mich noch nicht entladen. Ich raste auf sie zu, um ihnen in das Gebäude folgen zu können. Sie rissen die Türe zu und ich verfing mich in einer Buche. Ich war so wutentbrannt, dass ich zerrte und zog, mich aufbäumte. Die Buche bog sich bedrohlich in mir, bis es krachte. Ächzend fiel sie zu Boden, zerschlug ein Fenster. Eine gelbe Laterne zog an mit vorbei, durch die Lüfte. Meine Wut löste sich auf und ich sah, was ich getan hatte. Ich hatte genauso viel Chaos angerichtet, wie die Menschen. Beschämt zog ich mich zurück.

### Gewitter im Kopf

Als ich das Schreibthema dieser Woche las, freute ich mich. Ein spannendes Thema. Da fällt mir sicher eine gute Geschichte dazu ein.
Doch irgendwie entfachte sich in meinem Kopf ein Gewittersturm. Gedanken zuckten wie Blitze, um unmittelbar in einem Donnergrollen zu verpuffen. Ideen fielen wie Regentropfen auf den Boden und zerplatzten. Das Thema wurde zu einem undurchdringlichen Nebel. Sturmböen zerrissen auch noch den letzten Ansatz einer Geschichte.
So habe ich mich damit abgefunden. Ich lasse die schwarzen Wolken an mir vorbeiziehen und warte auf wieder sonnigere Zeiten.