Das Interview
«Schön, dass sie bei uns sind, liebe Hörerinnen und Hörer. Ich begrüße sie herzlich zu einer neuen Ausgabe der wöchentlichen Sendung ‹Im Gespräch mit ungewöhnlichen Begegnungen›.
Unseren letzten Beitrag mußten wir leider wegen technischer Schwierigkeiten ausfallen lassen, um so mehr freuen ich mich, heute wieder hier zu sein. Und diesmal haben wir etwas ganz besonderes zu einem Interview eingeladen!
Unser heutiger Gast ist: das Wetter!
Nein, nicht was sie jetzt denken. Weder Sven Plöger noch ein anderer Meteorologe sitzt mir heute gegenüber! Sondern vor mir schwebt ein echtes, ausgewachsenes Tiefdruckgebiet. Ich freue mich, Ihnen Helena vorstellen zu dürfen.
Hallo Helena, genz herzlich willkommen hier im Studio des Bayerischen Rundfunks!»
«Hallo…»
«Nicht so schüchtern, Helena! Es ist uns eine große Ehre, sie für das Interview gewonnen zu haben. Auch dass es heute endlich stattfinden kann, nachdem wir ja schon letzte Woche mit Ihnen auf Sendung gehen wollten.»
«Ahm, ja, mich freut es riesig, dass ich hier sein darf. Nicht viele Tiefdruckgebiete können sagen, dass sie interviewt worden wären! Und die technischen Schwierigkeiten, die ich letzte Woche verursacht habe, tun mir wirklich schrecklich leid!
Als Tiefdruckgebiet bin ich nun mal nah am Wasser gebaut und mir war nicht klar, wie empfindlich das Mischpult auf meine emotionalen Schauer reagiert…»
«Kein Problem, jetzt haben wir ja alles im Griff. Alle Gerätschaften sind wasserfest abgedichtet, es kann also nichts mehr schief gehen!
Aber erzählen sie doch von sich. Wo sind sie denn geboren?»
«Gerne! Wie viele meiner Geschwister entstand ich nahe bei Island. Es ist eine wundervolle Gegend, muss ich sagen. Obwohl noch nicht auf Land gestoßen, habe ich schon jetzt Heimweh nach den schier endlosen Weiten des Nordatlantiks! Es ist eine Freude für mich, mit dem Jetstream mitzuhalten und in hohen Tempo dahin zu eilen. Und erst die Corioliskraft, die man dort zu spüren bekommt, da wird einem ganz spiralig und linksdrehend davon!»
«Das klingt faszinierend. Wo sind sie denn jetzt genau?»
«Ich bin kurz vor Schottland. Oder war es zumindest bis vor kurzem. Ich habe ja die Abkürzung hier ins Studio genommen und kam für das Interview auf einen Sprung vorbei.»
«Unser Wetterdienst ist schon in heller Aufregung, weil sie das Tiefdruckgebiet, also sie, vom Radarschirm verloren haben. Die werden Augen machen, wenn sie nach dem Interview wieder zurückkehren werden.
Freuen sie sich schon darauf, endlich auf Land zu treffen?»
«Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich liebe die Freiheit des Ozeans, das ungebremste Wehen und das hemmungslose Abregnen. Wenn man auf Land stößt, gibt es nur Schwierigkeiten. Plötzlich ist da ein Berg, hier ein Wald oder dort eine Felswand. Da rempelt man gehörig dagegen, wenn man mit so großem Schwung daher saust.
Mir ist schon Angst und Bang davor und am liebsten würde ich wieder zurückkehren, nach Westen, in die Freiheit der Weite!»
«Man hört es an ihrer Stimme, wie nahe ihnen das geht. Können sie denn nicht einfach kehrt machen?»
«Nein, das ist es ja. Der Jetstream zwingt mich dazu. Es gibt nur eine Richtung: Ostwärts, und – und … und ich würde … doch viel lieber nach … schluchz … Westen ziehen.»
«Oh, ah, Moment bitte, liebe Zuhörer, ich muss schnell den Regenschirm aufspannen. Helena ist gerade emotional stark mitgenommen.»
«Ja, tut mir leid. Wie gesagt, ich bin nah am Wasser gebaut und wenn ich traurig bin, muss ich einfach schauern. Sorry.
…Prassel…»
«Aber das macht doch nichts. Wir haben ja aus letzter Woche gelernt und ich sitze hier im Friesennerz am Mikrofon und nun mit aufgespanntem Regenschirm. Alles ist gut.
Was erwarten sie denn, wenn sie nach Europa kommen? Nach unseren Vorhersagen werden sie direkt über Deutschland ziehen und große Wassermassen mit sich bringen. Die Bewohner unseres Landes sind schon ein wenig besorgt über diese Aussichten.»
«Ach, besorgt? Die sollen sich nicht so haben! Ich weiß nicht, warum wir Tiefdruckgebiete immer so einen schlechten Ruf haben. Das ärgert mich. Alle beschreiben uns immer als bösartige, zerstörerische Ungeheuer die nichts lieber tun, als es den Menschen mal so richtig zu zeigen, alles durcheinanderzubringen.
Das ist schon fast rassistisch, muss ich sagen. Über ein Hochdruckgebiet wird so etwas nie behauptet. Da freuen sich immer alle! Sie verbinden den Sonnenschein mit Freude und Glück.
Das kann ich ihnen aber sagen, das ist mehr Sonnen-Schein als Sein!»
«Tatsächlich? Ich habe von den Hochdruckgebieten immer den Eindruck, sie wären ganz gut drauf?»
«Gut drauf! Von wegen. Die haben es auch faustdick hinter den Isobaren, das dürfen sie mir glauben. Von wegen eitel Sonnenschein oder sonnige Aussichten!
Ich kenne ein paar von denen, die sind dermaßen depressiv! Weil die Sonne ständig lachen muß! Manchen steigt das so stark in die Heiterkeit, dass sie davon zum Wetterextremisten werden.
Letztens traf ich Ingolf. Der brüstete sich doch glatt damit, wie er als Hochdruckgebiet ganze Landstriche austrocknen lässt. Und die Haut der Menschen verbrennt, wo immer er nur kann.
So ein Unwetter! Aber sich glänzend und schön präsentieren!
Das ist eine Sauerei. Und doch liebt ihr Menschen die Hochdruckgebiete und fürchten uns Tiefs. Das verstehe, wer will!»
«Für uns Menschen ist es nun mal schöner, wenn man nicht frieren muss und draußen nicht nass wird.»
«Nass werden, das bisschen Wasser! Eure Landwirte verzweifeln über die Trockenheit, aber wenn unsereins daher kommt, um es zu bringen, dann regen sich auch wieder alle auf! Dabei sind wir Tiefs es, die das Schlamassel der Hochdruckgebiete beseitigen müssen! Schaut Euch mal den Grundwasserspiegel an, so kann man den doch nicht lassen, zum Donnerwetter!
Zzztt.»
«Oh, hier im Studio hat es eben ordentlich gedonnert. Helena, beruhigen sie sich bitte. Blitzentladungen tun unseren Gerätschaften gar nicht gut!»
«Ja ist doch wahr. Da muss ich mich richtig darüber ärgern. Wir Tiefs sind immer die Bösen, dabei bringen wir Euch das Elexier des Lebens: das Wasser!»
«Natürlich, aber manchmal ist es viel zu viel auf einmal!»
«Zu viel? Wie sollen wir denn sonst ausgleichen, was die Hochs wegtrocknen? Mit dem bisschen Landregen, den ihr Euch immer wünscht, geht das nicht.
Wir bringen Euch so viel Wasser, wie ihr braucht. Aber das ist euch auch wieder nicht recht. Zum Blitzschlag noch eins!
Zzzttbruzelzzzt
Es ist so ärgerlich mit euch Menschen. Uns immer so zu verleumden. Als hätten wir etwas gegen Euch.! Als wären wir Ungeheuer!
Zzztztttttzzzzzzpf
Wir sind die Lebensspender auf dieser Welt und wenn ihr nicht seit Jahrzehnten an unseren Systemen herumgemurkst hättet, dann würde das alles auch wunderbar funktionieren.
Ftzztttzzuzzz
Aber zum Blitz noch eins, irgendwie ist alles aus den Fugen geraten und wir bemühen uns, so viel aus zu gleichen wie wir können!
Zrrrrtttbzz
Wir wollen Euch nicht schaden, oder alles kaputt machen. Wir wollen ausgleichen, zum Donnerknall noch eins!
zzzrrttzzzz»
«Helena, bitte beruhigen sie sich, atmen sie tief durch. Wie gesagt, unsere Geräte und Blitze, das ist nicht gut.
Lieber Zuhörer, hier fegt gerade ein heftiger Sturm durch das Studio, ich weiß nicht ob sie mich noch verstehen können. Helena ist jetzt sehr emotional. Es ist wohl das Beste, wenn wir das Interview an dieser Stelle abbrrrr…
Brzzzzzzzzschhhhttttt»