Seitenwind Woche 5: Launisches Wetter

Rätsel

Mit diesem Menschen war ich im Bunde, beobachtete und beschützte ihn.
Gestern, als das letzte Abendlicht dem gefurchten Stamm des Baumes einen besonderen Schimmer gab, umwehte ich ihn liebevoll, den Mann, dessen Blut jetzt den Boden tränkt.

Er war oft hier und tätigte seine Geschäfte draußen im Wald. Nie ließ ich zu, dass es regnete, wenn er hier war und achtete darauf, dass durch meine Anwesenheit kein Ast aus der hochgewölbten, ausladenden Krone auf ihn herabbrach.

Doch gestern gab es Streit mit dem Mann, der ihm immer seine Ware verkaufte. Hitzig schrien sie sich an, trotz meiner Versuche sie abzukühlen. Als ich kräftiger wurde und ihre Jacken aufbauschte, spürte ich die Waffe und versuchte meinen Freund zu warnen, indem ich ihn wegstieß. Doch der Andere zog die Pistole und schoss. Nachdem der Schuss gefallen war, schrie ich auf, auf meine Weise.
Ich rauschte heran und peitschte die Äste mit ihren herzförmigen Blättern auf ihn herab, warf ihn um und heulte.

Nun steht der Mörder wieder hier, heute in Uniform und beobachtet die Spurensicherung, die nichts finden wird, weil er trotz meines Ansturmes sorgfältig alle Hinweise verwischt hatte. Aufmerksam suchen seine Kollegen den Boden ab. Ich wehe heran. Direkt vor einem der Polizisten lasse ich einen kleinen Ast fallen und dieser entdeckt sofort an der weißen samtigen Unterseite der Blätter das Haarbüschel, dass ich gestern erbeutet habe.

Ok! Wir Leser und auch bald die Spurensicherung, wissen nun, dass der Kommissar der Mörder war. Aber unter welcher Baumart geschah der Mord?

Eine Bitte

„Lieber Wind, ich habe eine Bitte an dich.“,beginnt der Brief der kleinen Anna. Sie sitzt an ihrem Tisch im Kinderzimmer und versucht erfolglos, die Tränen zu unterdrücken. „Ich bin sehr traurig, weil mein Papa gestorben ist. Auch meine Mama ist sehr traurig und weint immer.“ Mit einer entschlossenen Geste wischt sie sich mit dem Pulloverärmel die Tränen aus dem Gesicht und schreibt weiter.

„Mein Papa wird beerdigt und ich habe gehört, dass du diese Beerdigung verhindern könntest. Und das will ich nicht. Mein Papa muss auf dem Meer beerdigt werden, weil er sich das so fest gewünscht hat. Zu starker Wind kann die Beerdigung kaputt machen, hat meine Mama gesagt. Deshalb bitte, bitte, bitte! Kannst du nächsten Mittwoch bitte ganz ruhig sein? Nur bis zum Nachmittag. Es ist mein ganz großer Wunsch.“ Als die Tränen wieder aufstiegen, presste sie ihr Kuschelschaf ganz fest an sich und schloß für einige Zeit die Augen. Der Wind war ihr Freund, das wusste sie. Immer wenn sie zur Schule ging, oder das Haus verließ, begrüßte er sie. Mama meinte, das sei Zufall. Sie lebten halt an einem windigen Ort, aber das glaubte sie nicht. Sie fühlte eine Verbindung mit dem Wind, wenn er sie leicht anstupste und umspielte. Nur ganz selten war er wild und eigentlich nie böse. Sie waren Freunde, ganz sicher!

Er berührte sie sanft, als sie das Haus verließ. Ihre Haare flatterten durcheinander und aus lauter Freude wehte er gleich noch einmal stürmischer um sie herum. Aber heute lachte Anna nicht. So traurig hatte er sie noch nie gesehen, nicht einmal als das Kuschelschaf verloren ging. Deshalb beruhigte er sich und begleitete sie nur vorsichtig und beobachtete. Etwas war hier komisch.

Anna Weg führte zu ihrem Berg, eigentlich nur eine Anhöhe, aber es war einer ihrer Lieblingsorte. Hier hatte er ihr geholfen, einen Drachen in fantastische Höhen steigen zu lassen, und auch ihre Seifenblasen hatte er über die ganze Umgebung verteilt. Heute aber hatte sie nur einen Zettel in der Hand, den sie fest an ihre bebende Brust drückte. Tränen liefen ihr über das Gesicht und der Wind verstand nicht warum. Was war geschehen? Als sie den Zettel losließ, nahm er ihn an sich und ließ ihn in den Himmel emporsteigen. Das schien sie etwas zu trösten.

Er konnte nicht lesen, aber er konnte fühlen. Und sein Gefühl sagte ihm, das Anna einen Freund braucht. So nahm er sich vor, sie noch besser zu begleiten und zu beschützen. Aber so sanft er konnte. Denn dieses kleine Meschlein war derzeit sehr zerbrechlich.

Es bleibt Magie

Ich bin eine magische Komposition, denn für mich braucht es mehr als eine Zutat: Ich brauche die Sonne, ich brauche den Regen. Von beidem nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Du musst zudem an der richtigen Stelle stehen: Die Sonne im Rücken, den Regen vor dir.
Und dann geschieht die Magie: An Millionen winziger Tröpfchen bricht sich das Licht, teilt sich auf in seine Farben. In Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett spanne ich mein Band über den Horizont. Verbinde die Welten, verbinde Erde und Himmel.
Du bleibst stehen und lächelst. Denn es bleibt Magie – auch wenn man eine Erklärung dafür hat.

Donnerwetter

„Sie haben viele Namen für mich. Petrus oder Taru und auch Tinia wurde ich schon genannt oder sogar Hadad. Immer wenn sie sich einen neuen Namen geben, erhalte ich auch einen. Wieder und wieder. So nervig. Dabei bin ich doch immer derselbe! Was stimmt mit ihnen nicht?“

„Äh, entschuldigen Sie bitte, aber…“

„Und dann immer diese Forderungen. Fortwährend!! Im Frühling soll ich Strom und Bäche vom Eise befreien, im Sommer Regen und Sonne so gestalten, dass die Ernten reich ausfallen und Gevatter Hunger nicht an die Türen klopft. Im Herbst wird dann erwartet, dass ich die Landschaften schön bunt färbe, das Auge isst ja bekanntlich auch mit und im Winter wieder alles ordentlich weiß einkleiden, es feiert sich ja dann Christus Geburt so behaglich. Schöne Grüße übrigens.
Aber nicht zu viel Schnee und zu lange, sonst haben die Dächer schwer zu tragen und die Wege zur Arbeit werden beschwerlich. Immer nur fordern und fordern.“

„Äh, ich bitte Sie…“

„Und meckern. Das können sie auch großartig. Gleich nach Fordern. Immer nur meckern und meckern!!! Entweder es ist zu kalt oder zu heiß, zu viel Regen oder zu wenig, der Sturm ist viel zu laut, der Wind zu doll oder zu schwach und die Wolken sind auch wieder viel zu grau und dunkel. Furchtbar. Wenn sie nicht fordern, sind sie nur am Meckern. Als ob sich das bisschen Wetter von alleine macht!!!“

„Äh, darf ich Sie bitte kurz unterbrechen…“

„Und dann diese ganzen Opfergaben. Was soll das denn bitte? Was habe ich davon, wenn sie Ziegen mir zu Ehren schlachten? Wie widerlich ist das bitte? All das Blut. So eklig. Und Artemis ist dann auch wieder sauer auf mich und redet wochenlang kein Wort mit mir!!!
Oder sie bauen Ebenbilder von mir, die so absolut gar keine Ähnlichkeit mit mir haben und für sich schon eine Beleidigung sind. Nur damit sie dann Essen und Blumen an diesen kunstbefreiten Statuen niederlegen können. Und gleich wieder fordern. Mehr Regen, mehr Regen. Und dann besitzen sie auch noch die Frechheit, die Speisen verfaulen und die Blumen verwelken zu lassen. Das ist auch so eine Beleidigung! Sauberkeit ist nicht ihre Stärke. Ich sage nur Pest und Cholera."

„Äh, nur ganz kurz…“

„Und wehe es passiert mir einmal ein kleiner Fehler. Aus Versehen regnet es hier und da mal Fische, Frösche oder Vögel. Gleich geht das Geheule los und Panik bricht aus. Die Welt wird untergehen und so. Alles wieder ganz schlimm. Und dann fangen sie auch gleich wieder mit den Tieropfern an. Hör mir auf! Anstatt zufrieden zu sein, dass es mal Essen regnet. Ich meine, die meisten essen doch Tiere, so komisch sind sie. Gut, einige fressen sich sogar sich gegenseitig, aber das ist nicht meine Angelegenheit. Ich will ja nicht lästern.“

„ÄH, ICH MUSS sie jetzt wirklich unterbrechen. Das hier ist eine Steuerkanzlei. Der psychiatrische Sozialdienst ist direkt nebenan. Mein Name ist Tile Kolup und unsere Frau Holztuch wird Sie jetzt zur Tür begleiten. Ihnen einen guten Tag und alles Gute.“

„Herr Kolup, darf ich kurz stören?“
„Ja, Frau Holztuch.“
„Der Herr ist jetzt gegangen. Darf ich fragen, was es diese Woche war?“
„Heute hielt sich jemand für einen Wettergott… Ich verstehe das nicht. Seit einigen Wochen verirren sich immer am Freitag die kuriosesten Leute zu uns.“
„Stimmt. Letzte Woche war hier jemand, der sich für einen Maschinengeist hielt. Und er konnte fließend Binär.“
„Ja, ich erinnere mich. Aber warum immer am Freitag, Frau Holztuch?“
„Keine Ahnung, Herr Kolup. Das hätte ich mal den Mann fragen sollen, der sich vor zwei Wochen für einen Duft hielt. Der Maschinenmann sprach ja nur Binär, zwar fließend, aber ich konnte die Einsen von den Nullen nicht unterscheiden.“
„Ich meine, die Herren sind ja sympathisch. Der Duftmann roch auch sehr gut und war elegant gekleidet. Aber immer am Freitag, immer kurz nach 16 Uhr?“
„Mein Favorit ist immer noch der Außerirdische. Wie war das noch gleich? Sulinara leshar, Herr Kolup.“
„Ihnen auch sulinara leshar, Frau Holztuch. Ich bin schon gespannt, was es nächsten Freitag ist? Jemand, der sich für Sternenstaub hält?“
„Wer weiß, Herr Kolup. Das steht wohl nur in den Sternen.“

Wirbelsturm-Ballett

Perfekt! It’s showtime, baby. Wir sind als nächstes dran. Die Bühne: eine breite und ruhige Landschaft. Ich bin bereit. Meine Background-Tänzer sind auch alle ready to shine. Macht euch auf etwas gefasst, ich werde euch eine Show bieten, wie ihr sie noch nie gesehen habt. Mann, das ist ein tolles Gefühl, auf die Bühne zu treten. Und nun Blitz eins rechts hinter mir. Großartig. Und jetzt Blitz zwei links hinter mir. Punktgenau. Die musikalische Begleitung ist grandios. Erste Position. Zack. Und jetzt Plié. Eh, was soll das, Blitz zehn? Das war doch noch gar nicht dein Einsatz und dann machst du dich auch noch so breit? Das war auch nicht einmal der Tanzschritt, den wir vorhin ausgemacht hatten! Versuchst du mir die Show zu stehlen? Netter Versuch, aber meine Pirouetten sind wesentlich eleganter, fesselnder und mitreißender als dein kurzes Erscheinen. Du bist gefeuert! Und ihr zwei, warum fahrt ihr weg? Ich habe noch nicht mal richtig angefangen. Kunstbanausen!

Wintertag

Fast möchte einem der Wind die Türe aus der Hand reißen, so stürmisch fegt er an diesem Wintermorgen durch die Straßen. Vergnügt rupft und zerrt er an Mantel und Kapuze und freut sich offenbar diebisch über eine ergatterte Plastiktüte, die er zielsicher gegen den nächsten Baum pustet. Die beißende Kälte scheint sich mit Genuss auf die meist schutzlos ausgelieferten Gesichter zu stürzen und mit Hingabe Wangen und Nasenspitzen tomatenrot zu färben oder bläulich anlaufen zu lassen.

Myriaden wirbelnder Schneeflocken geben sich die größte Mühe, alles unter einer weißen Decke zu verstecken; dabei suchen sich die ganz vorwitzigen unter ihnen ihren Platz auf Augenbrauen und Wimpern und gewähren nur noch einen verschleierten Blick auf die Schönheiten dieses Morgens.

So nimmt man die übermütige Amsel, die gerade die unberührte Schneedecke eines Gartens mit tapsigen Schritten entweiht, bloß als pechschwarz glänzenden Farbklecks wahr, und die beste Freundin in ihrer Vermummung erkennt man allein an ihrer unnachahmlichen Art, brummelnd über einen Schneehaufen zu klettern. Die junge Frau, die vorübereilt, und der dicke Tränen über die Wangen kullern, möchte man am liebsten tröstend in die Arme nehmen. Aber ein Blick in die lachenden Augen lässt erkennen, dass nicht nagender Kummer, sondern die schneidende Kälte von Brüderchen Frost die Schleusen geöffnet hat.

Schritte klingen dumpf auf den schneebedeckten Straßen. Dumpf und auch ein bisschen wehmütig im Gegensatz zum fröhlichen Geklapper der Schuhsohlen auf dem blanken Asphalt des Sommers. Dieser kleine Anflug von Melancholie vergeht jedoch rasch beim Anblick der entblätterten Bäume, die der Herbst als starre, traurige Gerippe zurückgelassen hatte, und die sich nun, im wirren Schneegestöber, in bizarre Zuckergussfiguren verwandeln.

Angesichts dieser einzigarten Schönheiten scheint es auch die Sonne nicht mehr hinter der Wolkendecke aushalten zu können. Langsam, wie um die hastenden, bibbernden Menschen da unten nicht zu erschrecken, durchdringt sie das eintönige Grau. Sie erntet so manchen dankbaren Blick, und auch die freche Amsel in Nachbars Garten zwitschert vergnügt.

Drei Tornados.

Wir steigen aus der Gewitterwolke herab, ein nach dem anderen. Heute kommen wir zu dritt. Dunkel und mächtig sind unsere Körper, wir zerstören und formen im selben Atemzug. Wir gehen zusammen und vergehen zusammen. Wir nehmen uns alles, wonach es uns ist. Doch heute haben wir ein anders Ziel, ein Leben zu retten.

Deswegen singen wir. Unsere Stimmen sind tief und lassen die Welt erschaudern. Heute singen wir nur für sie. Ein kleiner Mensch in einem Turm, ganz alleine und traurig. Ihre Gedanken sind schwer. Freude hat sie verlassen. Sie verlernt wie man lacht, sie vergisst wie man tanzt. Sie wünscht sich, sie könnte alles hinter sich lassen, den Schmerz, den Verlust, die Trauer, die Dunkelheit in ihrer Seele. Sie wünscht sich die Erlösung, deswegen blieb sie heute in dem Turm. Deswegen ging sie nicht weg, obwohl sie gewarnt wurde. Ihre Furcht ist groß, ihr Herz zuckt und zittert wie ein kleines Häschen. Das Atmen fällt ihr schwer, doch sie bleibt.

Sie ist so zart und zerbrechlich, es wäre leicht für uns ihr das zu geben, was sie sich wünscht. Doch ihr Schicksal ist anders. Wir singen unser Lied und sie hat zu hören, wir singen unser Lied und sie betet und weint.

Sieh uns zu,

fürchte uns,

bewundere uns,

danke uns,

das Leben ist kurz, gib nicht auf!

Öffne deine Augen, siehe uns zu,

versteh, dass es so viel mehr gibt, als der Schmerz und der Tod.

Sei dankbar,

und erinnere dich daran,

dass du lebst…

Als der Himmel wieder erhellte und der Wind die schweren Gerüche der Tornados mit sich nahm, fasste sie einen Entschluss. Sie packte ihren Koffer und verließ den Turm, das Meer, die Küste und die Einsamkeit. Sie kehrte nie wieder zurück. Viele Jahre später, saß sie auf der Bettkante neben einem kleinen Mädchen und erzählte ihr die Geschichte von drei Tornados, die ihr Leben gerettet haben.

In Erinnerung an meine Oma.

Spielzeug

Yeah, ist das geil so über das Meer zu rasen. Sie nennen mich eine „Kategorie 5“, ich fliege mit 280 Stundenkilometern. In ca. einer Stunde erreiche ich die Küste, das wird ein Fest! In den letzten Jahren wächst meine Energieversorgung ins Unendliche. Sie heizen die Erde und damit das Meer immer weiter auf und so tanke ich jedes mal noch mehr Energie. Diese heiße hochfeuchte Luft ist wie ein Energiebooster für mich. Und dann der Spaßfaktor: Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten die Flüsse eingepfercht und zubetoniert, Kanäle aus Beton gebaut. So erreiche ich mit meiner Freundin der Flut immer weiter im Inland gelegene Orte. Die betonierten Wasserstraßen, ohne Ablaufmöglichkeiten und ohne natürliche Überschwemmungsgebiete, sind für uns die idealen Rodelbahnen. Wir kommen so weit ins Landesinnere wie nie zuvor. Wir peitschen über die Deiche und mit der neuen Energie wische ich alles weg, was uns im Weg liegt. Die Menschen? Pah! Sind doch selber schuld! Aber für uns ist es die reinste Gaudi und das Schönste: Wir werden immer mehr und schon jetzt brauchen wir auf keine Jahreszeiten mehr zu warten, die Energie ist unbegrenzt und ständig vorhanden. Juchhuuuuu, geilowitsch, ich schreie vor Vergnügen, meine Brüder Donner und Blitz kommen jetzt so richtig in Fahrt. Wir erreichen den Küstenstreifen. Ahhh, das macht Laune: hau drauf und weg damit, „alle Tierchen fliegen in die Luft“ ha, ha, keine Sorge, runter kommen sie alle …
Da kommt unser Special-Spielzeug in Sicht: Ein Yachthafen, es schüttelt mich vor lachen. Ja, und da rollt Judy heran, die schönste Sturmflut von allen. Geschmeidig hebt sie den Pegelstand im Hafen mal locker um zehn Meter an, die Trossen reißen und jetzt lass ich die Bötchen in die Luft wirbeln. Es gibt nichts Besseres. Und da: Telegrafenmasten eines Umspannwerks, ich fass es nicht, ungesichert! Und weg damit. So, das wars, die Lichter sind verschwunden, so sieht man doch die Blitze gleich viel besser. Es ist herrlich. Die Menschlein, ha, wie lange wollen sie hier überhaupt existieren? Aber sie lernen ja nix. Das freut uns: An denselben Orten, wo sich meine Geschwister und ich schon ausgetobt haben, bauen sie uns neue Spielzeuge auf. Wie toll ist das denn?! Und wir werden immer mehr …

Windige Familienbande

Mit der Verwandtschaft ist es wohl überall das Gleiche, ob du dich nun als Tier, als Pflanze, oder gar als Mensch durchs Leben schlägst.
Warum sollte dies bei uns Elementen anders sein, schon mal darüber nachgedacht?
Mit den einen bist du auf gleicher Wellenlänge, magst sie und verstehst dich mit ihnen wortlos blind, und freust dich, wenn sie kommen.
Bei anderen hingegen freust du dich mehr, wenn sie wieder gegangen sind.
Und dann gibt es noch diejenigen, wo deine Freude am größten ist, wenn sie dich erst gar nicht behelligen. Ich denke, ihr wisst, was ich meine…
Welchen Gedanken fächelte mir meine Zwillingsschwester Liebliche Brise neulich zu: »Lieber Ratten im Keller, als Verwandtschaft im Haus…«, ich wusste sofort, wen sie hiermit meinte, aber am besten bildet ihr euch einfach eure eigene Meinung.
Nun ja, großes Familientreffen war wieder einmal bei uns angesagt. Und nicht immer hast du ja 'ne gute Ausrede parat, und kannst dich vor so etwas drücken, und so mussten Liebliche Brise und ich mal wieder zwangsläufig so manches über uns ergehen lassen, den hämischen Spott unserer Rüpelgeschwister Sturm und Orkan beispielsweise, immer wieder deren gleiches Tiefdruckgeschwalle, immer wieder all den selben Scheiss. Entschuldigt bitte meine Wortwahl…
Aber wie sie sich mit ihren großen und sehr großen Heldentaten immer voreinander brüsten, sich wildtosend die jeweiligen Verdienste in kaum erträglicher Lautstärke entgegenposaunen, nur um uns kleinere Geschwister zu verhöhnen oder gleich ganz unterzubuttern, ich könnte sie dafür echt in den Wind schiessen!
Wer von uns beiden vermag es da schon, die kleineren Freuden oder die beruhigende Vernunft, die in uns wohnt, solch einem Spektakel aus Heulen, Zischen, Brausen, Donnern, Jaulen jener windiger Maulhelden entgegen zu setzen? Ich jedenfalls nicht. Für derart Prahlerei über Tod und Zerstörung hege ich nur Verachtung.
»Hey, Laues Lüftlein und du, Liebliche Brise, wie geht es euch Luftnummern denn überhaupt, wo habt Ihr euch denn zuletzt so rumgetrieben?«, sturmdreistes Rauschgrollen schlug uns unvermittelt, aber vehement entgegen, als Gevatter Sturm sich uns feist zuwandte, wie immer fies von der Seite und dann auch noch so richtig niederträchtig und brutal gegen den Uhrzeigersinn.
Völlig unerträglich wurde es dann aber, als auch noch unser Psychopathenbruder, Schwerer Orkan, sich hämisch mit uns befassen wollte und seinen stinkenden Brodem aus Wut und Zerstörung als volle Breitseite in unsere Richtung ausspie.
Nee, das war dann doch zu viel der Herzlichkeit, du ekelhafter, poltender Großkotz von einem mistkerligen Bruder Du, du Feind des Friedens und des Lebens!
Frustriert entwehten wir dem buckligen Verwandschaftsinferno, was hättet Ihr an unserer Stelle getan?
»Diese Berserker zu zähmen, das können wir in den Wind schiessen, diese Zerstörungskraft wird der Welt noch zum Verhängnis werden.«
»Lass uns beim nächsten Mal hier anknüpfen, ich fühle, ein Flüstern zieht mich fort von dir, liebe Brise, zu einem Hort der Menschen, aber ich freue mich darauf, wenn wir uns bald wiedersehen und ich dir davon berichten kann.«
Voller Vorfreude wehte ich nun durch sie hindurch und fand mich windschnell vor dem geöffneten Fenster jenes kleinen Menschenmädchens wieder.
Idyllischer Friede hieß mich drinnen willkommen, als ich mich klammheimlich in ihre weichen Haare legte, um den lieblichen, unverdorbenen Duft des langsamen Erwachens zu schnuppern, welch eine Wonne, denkt Ihr euch nun doch sicher?
Und das war es auch, denn meine Erinnerung an die Derbheit der eigenen Verwandschaft schien im selben Augenblick wie ausgelöscht, als ein Hauch von Frühstück zu uns sich hinzugesellte und sich das Menschenkind, noch ganz traumverschlafen, die Augen wach rieb und mir hell entgegenlachte.

Njörd ist wütend

Möwen kreischen. Wer war diese einsame Frau mit der leeren und der vollen Tasche, frühmorgens, barfuß, am Strand des baltischen Meeres? Stets schien sie mehr mitzunehmen als hinzubringen, sehr seltsam!
Njörd, der alte Wassergott, tobte, fluchte, schäumte mit den Wellen vor lauter Zorn. Das alles half nichts. Seine gemütliche Unterwasserhöhle wurde immer mehr zu einem riesigen unübersichtlichen Müllhaufen voller bunter Plastik. Jetzt reichte es ihm endgültig und er rief mich zu Hilfe in der düsteren Dunkelheit. Ja, ein Auftrag nach meinem Geschmack.
Weil ich der großartigste Künstler bin, prustete ich sogleich voller Freude los, es sollte eine Nacht werden, die man so schnell nicht vergisst. Blitzend und mit donnerndem Regen orkanierte ich mit meinen wildesten Stürmen über die raue See.
Meine Kinder Süd-, West– und Nordwind ließ ich nach Herzenslust sich austoben. Lachend rangelten sie mal in die eine, mal in die andere Richtung. Mein junger Ostwind aber trieb es bereits gefährlich wild, er spielte mit den Schiffen, warf sie von einer Seite auf die andere, es brachte sie in Seenot. An einer Ölplattform zurrte und zog und zerrte er so lange, bis sie sich aus der Verankerung löste und übers Meer trieb.
Laut jubelnd entfesselten wir unsere Kräfte, ich spürte die Lust der Überlegenheit, der Macht, die wilde Geilheit der Zerstörungswut. Ich wirbelte den Meeresboden hoch, wir überfluteten Strände, Deiche, Häfen, vor uns war nichts sicher.
Meine gierige Vereinigung mit Njörds ekstatischen Wellen, die ich meterhoch peitschte, ein wilder Tanz der Elemente. Hach, welch eine hochenergetische Nacht,. Njörd besah seine frische Unterwasserwelt, er weinte vor lauter Freude dicke große Tränen!
Morgens kam sie diese einsame Frau mit ihrem Hündchen (ein Windhündchen, die mag ich besonders gerne). Barfuß und dick eingemummelt in Mütze, Schal und Jacke, wanderte sie am überschwemmten Sandstrand entlang, das Meer hatte sich zurückgezogen. Sehr sanft streichelte ich ihre Wangen. Wie jeden Morgen begleiteten sie die hungrigen Möwen, Tauben und Krähen, laut schreiend. Sie warf ihnen Brotbröckchen in die Luft.
Ständig bückte sie sich, nach bunten Plastikschippchen und -förmchen, Kronkorken, Flaschen, Plastikbestecke, Scherben, Zigarettenkippen, Teile von Seilen und Tauen, Fischernetze, Bootsteile, Verpackungen, Strohhalme, Abfälle achtloser Badegäste, alles packt sie in eine Mülltüte. Sie liebte die Ostsee so sehr.
Plötzlich blieb sie stehen. Etwas trieb um ihre Füße im Wasser, sie hob es auf: „Oh wie schön, ein dicker Brocken honigfarbenen Bernsteins, die Tränen der Götter“

Die hängen mal wieder nur rum, gehen ihrem Sommervergnügen nach. Unter tosendem Lärm starren sie in Rudeln nach vorne. Menschen sind eigenartig.
Mein Freund Cumulus aus der unteren Schicht lässt es regnen, wenn ihm langweilig wird. Das soll alles sein? Ich möchte höher hinaus. Schnell wachse ich heran, zu schnell für die komischen Menschen und ihre Ignoranz. Sie gucken immer noch nach vorne, scheinen den Krach zu genießen, beachten mich nicht weiter. Das muss ich ändern. Mir sind jedoch die Hände gebunden. Lange wird es aber nicht mehr dauern. Ich kann es deutlich spüren. Das Wasser verdunstet, feuchtwarme Luft steigt auf. Was für ein Gefühl! Meine Tröpfchen fangen an zu streiten, laden sich gegenseitig auf. Die Spannung steigt. Die Musik wird lauter. Meine Tropfen spalten sich in zwei Lager. Ich kann eine Eskalation nicht mehr zurückhalten, presse, stöhne, entlade mich, im selben Moment wie die Heavy Metal Band, zu der jetzt keiner mehr hinstarrt. Sie rennen wie wild durcheinander, suchen Schutz. Auch die beiden da. Das sind die Richtigen. Sie sind es, für die ich auserwählt bin. Und! Treffer!
Die wollen nicht mehr rumhängen, fahren nach Hause, in Rudeln. Obwohl die Sonne wieder strahlt. Dabei habe ich doch einen Volltreffer gelandet. Menschen sind eigenartig.

Peer-Ole bekommt Wind

Mein Spielplatz ist die See. Mein nassgelegter Sandkasten, sozusagen. Auf dem Meer habe ich das Sagen, und alles auf mir tanzt nach meiner Melodie. Den größten Spaß habe ich bei den richtig ruppigen, rauen Spielen, vor denen sich sogar die alten Seebären fürchten. Wie gerne sehe ich ihnen zu, wenn ihre Schiffchen die von mir hochgepeitschten Wellen erklimmen, um, kurz auf dem Gipfel verharrend, sogleich die Talfahrt anzutreten.

Würde ich vor Vergnügen nicht so viel Lärm machen, könnte ich die Menschlein darauf vor Angst schreien hören. Vielen wird bei dieser Achterbahnfahrt schlecht, und ich lache, als auch Peer-Ole, das Gesicht in der Farbe junger Braunalgen, an der Reling steht und schluckt. Ob dem Grünschnabel schon jemand den Unterschied zwischen Luv, meiner Angriffsseite, und Lee, meiner Schattenseite, erklärt hat?
Oh, oh. Jetzt weiß er´s!

Schau nicht so ängstlich

Schau nicht so ängstlich.
Was suchst du denn?
Ich bin doch da, hier bei dir.
Bin überall, unter, neben und hinter dir.
Ich halte dich fest.

Schau nicht so ängstlich.
Was hast du denn?
Ich mach dich unsichtbar, verberge dich.
Ob nah oder fern, er sieht dich nicht.
Ich beschütze dich.

Schau nicht so ängstlich.
Warum rast dein Herz?
Ich komm näher, hüll dich ein.
Angstschweiß auf deiner Haut, feucht wie ich.
Ich wische ihn weg.

Schau nicht so ängstlich.
Bin ich zu klein?
Ich breite mich aus, übernehme das Feld.
Suche ihn, jage ihn.
Ich rette dich.

Schau nicht so ängstlich.
Vertraust du mir nicht?
Ich beweis es dir, nehm ihm die Sicht.
Der Abgrund, ein Schrei, dann der Aufprall.
Ich bin der Nebel, ich hab dich befreit.

Wenn ich nur wüsste!?

Wenn ich es nur wüsste! Seit sechs Tagen denke ich darüber nach, welcher es war. Der blau Schimmernde? Der ziemlich Schwarze? Oder die drei kleinen Gelben? Wenn ich mich nur zurückdrehen könnte, an den Anfang, dann würde ich es bestimmt herausfinden. Aber es geht eben nicht. Nichtlineare Gleichungen und so, prinzipiell unberechenbar, weiß eh jeder. Und trotzdem, irgendwie möchte man doch wissen, wer einen ins Leben gebracht hat. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?

Mann, Mann, Mann. Wenn ich nach unten schaue, dann sieht das ja mal richtig übel aus. Auf dem letzten Schild, das durch mich durchflog, stand ‚Aeropuerto Acapulco‘. Den hab ich komplett zerlegt. Nicht nur den. Wenn ich einmal in Fahrt bin, dann hält mich nichts mehr auf. Zum Glück ist es nicht meine Schuld.

Aber wessen dann? Welcher war es denn nun? So dunkel, wie ich die Welt unter mir gerade mache, war es bestimmt der Schwarze. Oder? Eigentlich wollte ich ja auf dem blauen Meer bleiben, gar nicht an Land gehen, also war es der Blaue! Gelb? Nein, nach gelb sieht im Moment gar nichts aus, die drei Kleinen kann ich wohl abhaken.

Ach, egal. Werde ich eben nächstes Mal besser aufpassen, wenn wieder so ein Schmetterling hochflattert um seinen komischen Effekt zu probieren. Und mich aus ein paar verwirbelten Luftmolekülen auf völlig unvorhersehbare Weise aufs Neue erschafft. Wenn der wüsste, was er damit anrichten kann! Kleiner Schlawiner!

Westwind
Potzblitz! Ein Welpenmenschlein!
Was taumelt es mitten in der Nacht auf meiner Arbeit herum, und stört mich? Bei der weinenden Windstille des Westens! Es betrampelt ungelenk, wie ein trunkenes Nilpferd meinen Arbeitsbereich, mein Metallgeländer. Eben noch sorgsam mit Eisregen bespuckt und schon Tauspuren dieser wandelnden Verwirrung. Was glaubst du kleines Windspiel, wozu Geländer da sind? Häh!!! Jaha! Richtig, Geländer weisen meist zu einer Seite sehr viel tiefen Raum auf. Gefährlichen Raum. Hörst du mich nicht? Ich pfeife gerade mit dir! Jaule dir direkt ins Ohr! Bohre wie ein Eiszapfen hinein, durch den fellumrandeten Kaputzenanorak, der hauptsächlich aus Aufnähern deiner Stars und Vorbilder besteht. Ignoriere mich ja nicht, du merkwürdiges Menschenkind.
Es ist … oh es ist schlimm! Ich lese dich! Gedanken landen immer im Wind, immer! Weißt du das nicht? Ach was wisst ihr schon. All eure Antworten wehen mit den Winden, du musst sie nur hören wollen. Hat doch der Bob schon gesungen für dich. Du trägst aber keinen Patch von ihm. Du, Tochter einer quirligen Qualle? Was ist mit deinem Kopf nicht okay? Ich lese dich! Muss ich dir erst die Nase vereisen, damit du verschwindest?
Bei den heiligen vier Himmelsrichtungen: Du willst springen? Hahaha!
Jetzt verstehe ich dein Gehampel. Die Flasche Wodga fällt schon in die schäumende graue Gischt. Sie fällt lange.
Großes Glück hast du, dass ich vom Westen komme! Oh ja, ganz groß, groß, groß ist dein Glück heut, denn ich bin der singende Westwind. Der Nordwind wäre um Längen härter mit dir, du Schnösel. Er hätte dir gesagt: «Fahr in die Schweiz, du dummes Gör, da sind die Täler tiefer und ich habe mehr vom Fall.»
Seufz, ich bin nicht so hart, war ich nie. Ich sause mal mit 180, aber das wars auch schon. An Kathrina reiche ich nicht heran. Eisregen, ja das kriege ich gut hin! Schnee, kein Thema. Und wenn ihr mich sehr aufregt, spei ich auch murmelgroßen Hagel. Es ist so amüsant, wenn ihr Schutz sucht und in euren Köpfen schon der Ärger über die kleinen Dellen in euren Blechkröten aufschäumt. Statt froh zu sein, heil davon zu kommen, grämt ihr euch ins Gedankenelend, so seit ihr eben. Eure Gläser sind immer halbleer, bei dir sogar die ganze Flasche.
Nein, pfeif ich! Pass auf!
Mit Eisregen ist nicht zu spaßen, du hampeliger Handyiac. Sorry, hab mitgelesen! Er hat Schluss gemacht! Per Whats App? Sein Ernst? Pffft. Mach es wie ich Schätzchen, pfeife drauf! Dir ist viel erspart geblieben. Du weißt es noch nicht, aber ich! Ja da staunst du was, allen Gedichten zum Trotze, du dümmlich Wesen, der Wind kann doch lesen!
Ein Sog von mir, wie eine harte Hundertfingerhand, reisst dich zurück ins Leben. Dein mit Obst bemaltes Telefon switcht aus der Hand und dreht sich wie eine bunte Spiralgalaxie, die lautlos in die eisige Dunkelheit der Strömung abtaucht. Platsch! Wenn es nicht so traurig wäre mit dir, würde ich meiner Schadenfreude vollen Ruam geben. Juhhhhhiii. Lache und singen, Freude bringen, geschwind, geschwind, ich bin der Westwind!
Er hat dich nicht verdient! Schluss, Basta, Ende, Aus! Sonnenschein, sei froh und lass uns singen! Vergiss diese Trottellumme, soll er selbst springen! Singen wir gemeinsam. Singen, singen, …singen ist besser, als springen…na komm frohlocke mit mir, kleine verbohrte Zimtzicke!
Wer so Schluss macht wie dein Elendsbringer da, wie dein hihihi, Ex, der taugt nicht, um deinen Goldfisch zu füttern, glaub mir doch.
Halt schon still! Ich puste dir die Liebeskummertränen von der frostigen Haut. Siehst du, pffft, Eiskristalle! Gefrorener Kummer, der 34 Meter fällt. Schau dir ruhig die vier Grad kalte Suppe an. Darin willst du nicht landen. Also hör zu Sonnenschein, mein Deal! Heute wieder Westwinddeal, black windy Befreiungsdaydeal! Heute bin ich mal nett, deshalb lasse ich dich noch nicht los. Das ist nicht immer so! Ich kann auch anders! Ganz anders, aber pfft, ich singe lieber und hab gute Laune. Ich meine, ich bin der Westwind! Der Sturm, der Orkan! Ich kann das Aufkeimen deines persönlichen El Ninjos nicht dulden, da krieg ich Woklenjucken. Gucke ich mir nicht länger an, Liebes! Warum? Warum? Weil die Wirkung in keinem Verhältnis zur Ursache steht. Aber ich weiß, ich weiß, in deinem Alter bist du Emotionswelpe, ist alles hormonell bei euch. Du bist überzeugte Emotionalistin, nimmst selbst den Dreck unterm Fingernagel persönlich. Hast keinen Blick für die rechten Verhältnisse. Kein Maß für die Kostbarkeit deines Daseins. So geht es allen in deinem Alter. Ohhhh ja! Manche schlagen anderen auf die Nase, weil sie schief angesehen werden. Die Feiglinge unter ihnen rotten sich dazu in Gruppen zusammen. Manche springen von Brücken, weil ihre große Liebe sie verlassen hat, und merken kurz vorm Aufkommen, dass Luft keine Notleitern hat. Einige erschießen sich sogar, weil sie einen Pickel auf der Stirn haben und ihr Insta damit zum Lacher wird! Ich habe soviel nach unten begleitet, dass es mich nur noch wütend macht! Geh heim, du kleine verwöhnte Tümpelkröte!!! Schleich dich, du verwöhntes Lüftchen!! Du Hauch von einem Wölkchen! Mit Problemen so groß wie Ameisenscheiße!
Du sollst verschwinden! Besinne dich! Ich pfeife dir noch ein paar schöne Lieder auf dem weg und rede vielleicht mal mit den Sublimationswinden aus Südwesten, sie tragen die Geschichten der Welt mit sich herum, die Weisheiten aller Wesen. Du solltest dich aufwärmen jetzt, Göre! Wenn du morgen dein Insta ablichtest, willst du doch nicht aussehen wie ein Knitterfrosch mit abgefrorener Nase. Ich habe noch viel zu tun, der Eisregen darf heute Nacht nicht ruhen. Pfft.
Husch husch, ich geb dir Rückenwind. Klar, das hier, bleibt unser Geheimnis. Der Wind kann auch schweigen. Ich schlag dir ein paar harte Eiskristalle schräg ins Gesicht, damit du endlich wach wirst. Es klappt. Die kleine pubertierende Murmel rollt wieder rund. Hop Hop, ins Leben zurück. Sterben abgesagt!

Chaos Theorie

Ein Schmetterling, ein Flügelschlag,
Geboren in diesem Moment,
Der Mensch mich nicht zu vernehmen vermag,
Er gar meine Macht verkennt.

Zur seichten Brise bin ich gedeiht,
Berühre sanft sein Gesicht,
Bin willkommen zur heißen Sommerzeit,
Bin der Hauch der Kühlung verspricht.

Als Luftzug rausch’ ich durch Blätter und Tann’,
Lasse Flocken tanzen in Symphonie,
Blähe Segel auf und treibe Mühlen an,
So bringe ich dem Menschen Energie.

Stark und kräftig, nenne mich Wind,
Ich schiebe Regenwolken die Felder entlang.
Erfreu’ beim Drachenflug jedes Menschenkind,
Lüfte Häuser und vertreibe Gestank.

Zum Sturm gewachsen werde ich zur Gefahr,
Peitsche das Meer gegen Klippen und Strand,
Der Mensch nimmt mich mit Besorgnis wahr,
Hat nun meine Macht erkannt.

Ich bin der Orkan, mit tosenden Kraft
Brech’ ich Bäume und leere das Dach,
Ihr Menschen, habt nun wahrlich Acht,
Ich zürne mit Kreischen und Krach.

Als Weltensturm habe ich entfacht,
Verwüstung, Chaos und Tod,
Ihr Menschen, klein und unbedacht,
Ängstlich und leidend in Not,
Habt nicht verstanden, nicht gedacht,
Was ein Schmetterling euch alles bot,
Neben Schönheit, Freude und Farbenpracht,
Ist eure Existenz von seinem Flügelschlag bedroht.

Die kleine weiße Monsterwolke Dropsch

Leicht, wie eine Daunenfeder
jag’ ich übers Firmament,
flauschig weich, belächelt jeder
mein gemeines Temp’rament.

Wie gern würd ich Verderben bringen,
Hunger, Elend, Angst und Not.
Doch lässt mein Ritt auf Windes Schwingen,
auch mich selbst nicht unbedroht.

Jagt er auch stürmisch mich voran.
Ist im Nu die wilde Fahrt vorbei.
Wenn ich mich nicht zusammenreiß’,
reißt er mich ungestüm entzwei.

Da. Endlich. Unter mir die Stadt.
Wind, hab Dank, hier lass mich raus.
Sieh’ nur das Volk im Sonnenbad.
Gleich bricht die blanke Panik aus.

Ich sinke tiefer, nehme Maß,
spür den Wind in meinem Rücken,
Hey, das wird ein Riesenspaß,
in mir blubbert’s vor Entzücken.

Himmel, wie ich das genieße.
Bin nicht viel. Nur weiß und klein,
Doch diese eine Sonnenwiese,
gehört mir heute ganz allein.

Zielen, zählen … sechs, fünf, vier …
Schleusen auf. Los, Wind gib Gas,
Schirme, Hüte – pack sie dir.
Heut’ mach’ ich sie alle nass

Kommunalorange

Nimm das Ding da weg. Der spinnt doch. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm röhrt der Typ in kommunalorange über den Bürgersteig. Blätter wirbeln in alle vier Himmelsrichtungen. Hey, weg da. Das ist mein Job. Was zur Hölle? Ich nehme Anlauf, stemme mich gegen ihn, gegen seine Maschine. Ich fühle die Kraft in mir. Trommle gegen die Straßenlaterne und entdächere das Bushaltestellenwartehäuschen. Hach. Was für eine Freude. Ich liebe, was ich tue. Wirklich. Nanu, jetzt stemmt er sich gegen mich, wehrt sich. Die Maschine wirft er achtlos zu Boden, sucht Schutz unter einem Baum. Ich hielt ihn für schlauer. Schade. Wumms. Entwurzelt. Ups, jetzt steht er im Freien. Nimmt die Beinchen in die Hände und rennt. Ab nach Hause, kleiner Freund.

Laubbläser abzugeben. Preis VB.
Kommunalorange mochte ich noch nie.

Keine Erlösung

Regenwahrscheinlichkeit 40 %.
«Verdammt! Das wird doch wieder nichts.»
Adrian legte das Handy beiseite, nur um es wenige Minuten später wieder in die Hand zu nehmen. Erneut öffnete er die Wetter-App. Na klar, keine Veränderung …
Wie sollte es auch innerhalb von fünf Minuten.
Wieder blickte er nach oben. Unter das ewige Azurblau der letzten Wochen hatte sich heute eine Nuance Grau gemischt. Aber am Himmel keine Spur von Regenwolken, die das erlösende Nass bescheren würden.

Adrian ließ seine Augen umherschweifen. Beim Anblick des Gartens schmerzte seine grüne Seele zutiefst. Die Wiese ein gelblichbrauner Teppich aus Stroh. Bäume und Sträucher warfen ihr Laub ab, als sei schon tiefster Herbst. Heranwachsende Äpfel trugen Sonnenbrand auf ihren Wangen. Verdorrte Wildblumen ließen die Köpfe hängen. Kaum noch Leben im geschundenen Paradies.
Dabei war dieses artenreiche Fleckchen bis vor kurzem ein Refugium für Insekten sowie kleine Wildtiere gewesen. Und Adrians ganzer Stolz.
Dieser blickte auf die restlos geleerten Regentonnen und bat Gott, das Universum oder sonst wen um Erlösung und wusste doch ganz genau, dass auch Beten nicht helfen würde.
Eine landesweite Katastrophe bahnte sich an. Flüsse, Seen und Talsperren waren zu Tümpeln geschrumpft. Der Grundwasserpegel auf einen bedenklichen Tiefstand gesunken. Wasser musste rationiert werden. Gießen von Gärten und Grünanlagen wurde untersagt.

Und ich? Ich glänzte durch Abwesenheit. Ich hatte woanders zu tun.
Viel zu tun …!
Unter mir versank die Welt gerade in Fluten. Ich regnete ohne Unterlass. Das war mein Auftrag, den ich zu erfüllen hatte. Denn ich war nur ein Rädchen im Getriebe einer riesigen Maschinerie. Ich konnte nicht allein agieren, so wie es mir beliebte. War von meinen Kollegen abhängig, den vielen Akteuren im Wettersystem.
Die globale Erderwärmung hatte uns komplett durcheinandergebracht. Wer bitteschön konnte bei dieser ständigen Hitze noch einen kühlen Kopf bewahren?
Wir waren alle ohnehin sehr empfindlich. Schon kleinste Veränderungen konnten das reinste Chaos verursachen.

Wie gerne hätte ich geholfen. Den Ertrinkenden und den Verdurstenden.
Aber es war zu spät.
Und wo einmal Adrians Garten lag, befindet sich nun eine Wüste. An der Stelle, an der sein Lebenslicht erloschen war, ist die prachtvollste aller Sandrosen gewachsen.

burn out

Lustlos streife ich über ein abgeerntetes Feld. In der flirrenden Hitze lasse ich hier und da Spreu tanzen. Macht auch keinen Spaß. Momentan fällt es mir schwer, mich an meinem Dasein zu freuen. Das Perspektivgespräch mit Mutter Natur hat da nichts dran geändert.

Kann ja sein, dass ich in den letzten Wochen etwas durcheinander war. Aber muss man mir denn gleich mit einer Kur im Kalmengürtel drohen? Ganz fair kann ich das nicht finden. Schließlich war ICH es, der um eine Umschulung gebeten hat. Mehrfach. Hätte ja sein können, dass es so etwas auch für einen mittelqualifizierten Wind gibt.

Gern wäre ich Teil einer Wolkenformation geworden. Oder ein Regentropfen. Irgendwas, wo ich nicht immer allein arbeiten muss. Aber nein, wegen Fachkräftemangel bin ich unabkömmlich. Und nun meckert sie.

Ja gut, neulich hatte ich es eilig und hab mich versehentlich weiter ausgedehnt, als ich es gemerkt habe. Das ist ja nicht nur schlecht. Immerhin haben die Menschen jetzt etwas, das sie neu aufbauen können. Haben sie zu tun. Außerdem ist Spätsommer. Gute Zeit für Aktivitäten im Freien.

Schlechte Zeit für mich. Die Wolken sind im Jahresurlaub und Frau Sonne ist im Nachgang des frühsommerlichen Schlafmangels voll am Dauerglühen. Leise jammernd tauche ich ein kleines Wäldchen. Lasse mich um Baumkronen treiben, streichle spärlich wachsendes Gras.

Ein Geräusch stört den Wald. Was ist das? Es gehört nicht hierher. Ich streife suchend über einen Weg. Ah da! Eine junge Frau joggt allein. Motiviert, wie ich finde. Und mutig. Wahrscheinlich ist sie aus der Stadt gekommen. Frische Luft und so. Ich begleite sie ein Stück. Fächle ihr Luft in den nassen Nacken, schaue über ihre Schulter den Weg aus ihrer Perspektive an.

Bemerkt sie da vorn den Kerl? Der sieht weder sportlich noch freundlich aus. Er versteckt sich bei einer Eiche. Beobachtet sie. Erwartet sie. Ich nehme ihren Schweiß wahr und sein Adrenalin. Zu alt bin ich, um nicht zu wissen, was jetzt kommt. Meine Chance nämlich. Ich werde zum Helden. Ich, die Fast-Naturgewalt.

Mit aller Macht baue ich einen Windstoß und haue einen toten Ast aus der alten Eiche. Ein Krach, ein Ächzen - und das Mädel fällt um. Scheiße, Wurfparabel falsch berechnet.

Ich glaub, ich geh. Leise pfeifend verlasse ich den Ort des Irrtums. Sollen die mal machen. Ich flieg lieber in den Kalmengürtel. Unterwegs hol ich noch Mary Poppins aus dem Seniorenheim. Letzte Woche hab ich sie da versehentlich abgesetzt, während die Klausens ein paar Häuser weiter an ihrer renitenten Brut verzweifeln.

Eine Kur – ja eine Kur vor dem Herbst wird mir guttun.